Pride (abgebrochen) von Artem ================================================================================ Kapitel 30: Kae --------------- Geduckt trabten wir zu der Hauswand, die ziemlich herunter gekommen aussah. „Ehrlich, hier sollen die Dokumente verstecken? Mal im Ernst, gibt es da nicht professionellere Wege?“, flüsterte ich. Ethan sah warnend zu mir und legte einen Finger an die Lippen. „Schhh.“ Ich schüttelte den Kopf, nach dem Motto: ‚ist ja gut’ und folgte ihm weiter zu einem Rohr, das sich die Wand hinab hielt. Ich stoppte meinen Atem. Wir sollten doch nicht etwa dadurch zum Fenster kommen? Bei meinem Gewicht war das ja kein Problem, aber bei Ethans? So langsam kam mir der ganze Plan ein bisschen brüchig vor. Als Ethan Anstalten machte, das Rohr zu erklimmen, hielt ich ihn entgeistert zurück. „Du willst da doch nicht ernsthaft hochklettern? Ich dachte ja, das besagte Rohr wäre stabiler, aber so ein Exemplar würde unter dir doch zusammenbrechen!“ Genervt schaute er mich an. „Halt doch endlich mal die Klappe, das Gebäude ist bewachter als du denkst! Und Mariana wird sich schon sicher gewesen sein, wen sie wo einsetzt! Das hat sie uns doch vorhin noch alles erklärt!“, brachte er zornig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, immer wieder zu dem Fenster blickend. Er dachte also wirklich, die Orga wäre makellos. Natürlich war sie das nicht, schließlich konnten sie mir nicht mal eine Wohnung managen, weil der Krieg schon völlig ausartete. Sie waren sich ganz sicher nicht zu schade dafür, ein paar Krieger in den Abgrund stürzen zu lassen, um an dämliche Dokumente zu kommen. Die Orgas waren beide schon immer ein wenig altmodisch, weil vieles auf die Entstehung der Dämonen zurückführte. Alles war immer irgendwie eine ‚Sache der Tradition’ gewesen, ich selbst habe nie wirklich darauf gestanden. Aber ich war letztendlich bei den Red V’s aufgewachsen, was sie sagten war Pflicht. So wurden wir alle großgezogen, allerdings zweifelte ich in den letzten Jahren mehr und mehr daran. Es schien plötzlich so lückenhaft, als es hart auf hart kam. Es ging auf einmal gar nicht mehr richtig um die Dämonen, wie von Anfang an. Es ging nur noch um die Ehre. Die Ehre gegenüber den Ao’s. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, niemand merkte es so richtig, die Krieger sahen alle nur in die eine Richtung, in der sie aufgewachsen waren. „Ich gehe jetzt vor, und du folgst mir, aber stumm! Klar?“, zischte Ethan und guckte weiter pausenlos zum Fenster. Ach, da war er dann doch nicht mehr so nett wie vorher. Aber was konnte ich schon tun, war am Ende ja sein Problem wenn er leichtgläubig aus dem ersten Stock fiel. Entnervt gab ich nach und nickte mit dem Kopf zum Rohr, dass er sich nun vornehmen sollte. Genauso schlecht gelaunt machte er sich daran, Tritt für Tritt weiter nach oben zu kommen. Das Rohr hielt doch besser als ich gedacht hatte. Am Fenster drückte Ethan sich leicht nach vorne, um zu gucken, dass sich niemand im Raum befand. Anscheinlich war dem so. Gespannt beobachtete ich, was Ethan als nächstes tun würde, um das Fenster zu öffnen. Das hatte Mariana nämlich wortlos stehen lassen, so als ob Ethan gewusst hätte, was zu tun war. Nach dem Essen, bei dem ich Adrian angesprochen hatte, wurden wir alle noch mal in die Sporthalle gerufen, um die Einzelheiten zu erfahren, und sie zu besprechen. Ganz klar, hatte Mariana uns alles erklärt, vom Weg über die Sache mit dem Rohr bis zu Fluchtmöglichkeiten. Aber was sie uns nicht gesagt hatte, war was in den Akten stand. Okay, es war selbstverständlich dass man als Krieger, und in dem Falle Spion, nicht wissen durfte, was die GEHEIMEN Akten beinhalten. Mariana hatte uns einfach Nummern genannt, die Nummern der Dokumente. Danach hatte sie ausdrücklich betont, wir dürften auf gar keinen Fall hineinsehen. Das war eine schlechte Idee von ihr, denn sie machte mich unheimlich neugierig. Und bei mir hätte sie sich nicht darauf verlassen sollen, dass ich den Regeln wirklich folgte. Aus meinen Gedanken riss mich, wie Ethan auf eine seltsam überraschende Weise das Fenster öffnete. Seine Hand verformte sich, sie glich schon einer Art glibberigen Masse, die sich problemlos durch den Schlitz des Fensters transportieren ließ. Was für eine Art von Dämon er auch war, es erklärte sich jedenfalls warum er die Prüfung lebendig überstanden hatte. Was mich jedoch weiter störte war, wie schlecht das Gebäude bewacht wurde. Nichts machte wirklich eine Herausforderung, wenn man versuchte einzubrechen. Es kam mir vor wie die Festung eines Dreijährigen. Oder vielleicht auch ein stinknormales Familienhaus, das kam schon eher heran. Mit Handzeichen zeigte mir Ethan, dass ich zum Fenster kommen sollte. Er schlüpfte selbst hinein und wartete darauf, dass ich hochkam. Wenn das Rohr Ethan gehalten hatte, würde es hoffentlich auch mich halten. Ich betrat das wackelige Stück an der Hauswand und klammerte mich daran fest. Vorsichtig setzte ich einen Fuß nach dem anderen höher, versuchte, nicht abzustürzen. Nach einer Zeit, die Ethan ungeduldig gemacht hatte, war ich fast am Fenster angekommen. Doch dann machte irgendwas unter mir ein knackendes Geräusch, mein rechter Fuß verlor den Halt. Ein Nervenschuss ging durch meinen Körper und ich krallte mich instinktiv an die Fensterbank, während mein anderer Fuß drohte, ebenfalls den Boden zu verlieren. Sofort dachte ich daran, wie Ethan eben noch Mariana und ihre ‚tollen’ Pläne angepriesen hatte. Wer behielt jetzt Recht, hä? Ich hielt die Luft an. Mein Herz klopfte, mein Blut schoss mir durch die Adern und bemüht versuchte ich, mich auf die Fensterbank zu ziehen, als Ethan es übernahm und mich an den Armen in den Raum zog. Erleichtert atmete ich auf. Die Räumlichkeit war mit Neonröhren beleuchtet, weiße, kalte Fliesen zogen sich über den kompletten Boden. Die Wand füllte die gleiche Farbe, um uns herum standen Schränke, in denen sich Hängeregister ausfindig machten. Einer der Schränke, ganz in der Ecke, war völlig leer und seine Türen standen offen, die restlichen waren alle verschlossen. „Los, such du Akte 224. Ich gucke nach 571.“, befahl Ethan und öffnete, wieder mit dieser speziellen Glibberhandtechnik, zwei Schränke, beschriftet mit den Zahlen 111-399 und 420-611. Hastig suchte er in dem Schrank, den er zuerst geöffnet hatte, nach seinem Dokument und murmelte ständig Zahlen vor sich hin. Achselzuckend bewegte ich mich zu dem Regal, das sehr wahrscheinlich Akte 224 in sich versteckte und blätterte durch das Hängeregister. „203, 204, 205, 206…“, flüsterte ich nach einer Weile auch vor mich hin, womit ich Ethan nach meiner Ansicht nach ein kleines bisschen aus dem Konzept brachte; gestresst rieb er sich die Augen. 224, das war die Akte! Ich zog sie geschickt heraus und zögerte nicht damit, einen Blick hinein zu werfen. Ethan bemerkte das und riss die Augen auf. „Kae, lass das! Du darfst da nicht reingucken!“, rief er leise, aber gereizt. Ich schnaubte. „Wenn die mir schon zumuten, dass ich auf einem baufälligen Rohr in diese Zentrale einsteige, werde ich mir doch mal ein kleines Schnuppern nicht verkneifen müssen.“ Ich klappte den beigefarbenen Umschlag auf und entdeckte sofort eine dicke, schwarze Überschrift, die lautete: Brendon Karlsen. Wer war das denn? Meine Frage klärte sich, als mein Blick auf das Foto unter dem Namen fiel. Es war ein Foto vom Chef. Niemand wusste den Namen von ihm, jedenfalls keiner, der in der Organisation arbeitete. Der Chef war immer eine Art Mysterium gewesen, es war nie bekannt ob er Familie hatte, wie er aufgewachsen war, welche Art von Dämon oder geschweige denn wie alt er war. Es gab Gerüchte, aber man konnte sich nicht sicher sein ob sie wirklich stimmten. Der Chef tat immer so, als ob man sich schon ewig kennen würde, niemand kannte ihn aber wirklich. Trotzdem war es mein Chef und Vorgesetzter, als treue Kriegerin sollte ich nicht in seinem Privatleben schnüffeln. Zu schade, dass ich alles andere als treu war. Ich schlug die Seite um, auf dem nächsten Blatt prangte ein Steckbrief. Name: Brendon Karlsen Alter: 738 Jahre Dämon: Strigoi Größe: 1,87 cm Gewicht: 83 kg Haarfarbe: braun Augenfarbe: grün Himmel, Arsch und Wolkenbruch! Der Kerl war über siebenhundert Jahre alt? Er sah aus wie Anfang, Mitte dreißig, aber doch nicht siebenhundert! Unwillkürlich klappte sich mein Mund auf und ich las weiter. Karlsen, Sohn eines Mitgründers der Red V’s. Wurde als Lehrling seines Vaters erzogen, übernahm die Organisation nach des Vaters Tod. Aufgrund eines Eids mit dem Teufel Luzifer erhielt er endlose Lebenszeit und Jugend. Er verfügt über mächtige Kräfte, viele von ihnen sind unbekannt. Ein normaler, bzw. reinblütiger Dämon wäre nicht imstande, diese Kräfte zu bezwingen. Der Eid hat ihm nicht nur diese Kräfte verliehen, sondern ihn ebenfalls unverwundbar gemacht. Als Strigoi ist er jedoch eine Nacht in seinem Leben gegen alle Gesetze der Natur verwundbar. Ein Eid mit einem Teufel? War das nicht doch sehr weit hergeholt? Vielleicht war diese Akte ja auch nur eine Ausgeburt der Gerüchte. Aber dann wunderte mich schon, dass Mariana uns so verschärft eingehämmert hat, wir sollen nicht in die Akte gucken. Ich schüttelte den Kopf. Seit einigen Jahren wird in der Organisation Ao versucht, die verwundbare Nacht zeitlich ausfindig zu machen. Der genaue Zeitpunkt ist stets unbekannt, trotzdem steht fest dass die Nacht in seinem 739. Lebensjahr stattfinden wird. Das hieße ja, wenn die Ao’s herausfinden würden, wann diese Nacht exakt ist, dann verübten sie einen Anschlag auf den Chef? Und er lebte sein 739. Lebensjahr doch schon? Karlsen begann, sich mehr Krieger in den Red V Hauptsitz versetzen zu lassen, man weiß, dass er damit eine Barriere schließen will, um seine verwundbare Nacht zu überleben. Bei den Ao’s kommt man bereits dem Zeitpunkt immer näher, durch Spitzel wird mehr in Erfahrung gebracht. Mir stockte der Atem. Der Chef, also Karlsen, hatte alle Krieger bloß aus Eigenschutz hierher geschleppt? Das hieße ja, die Aussage, der Krieg hätte sich verschlimmert, war gelogen! Der Krieg wurde gar nicht heftiger, es kam jedem einfach so vor. Natürlich, das war es. Man glaubte von Anfang an das, was einem eingetrichtert wurde. Es ging Karlsen nicht mehr um die Organisation, nicht mal um die Ehre – er schützte nur sich selbst. In mir stieg eine Wut auf, doch ich las die nächsten Zeilen. Besonders setzt Karlsen Anspruch auf eine Kriegerin, die über genauso mächtige Kräfte wie er verfügen soll, aufgrund einer Blutvermischung. Akte der Kriegerin: 571 571, das war doch Ethans Dokument? Ohne nachzudenken klappte ich Karlsens Akte zu und stürmte zu Ethan, der mich schon eine ganze Ewigkeit lang frustriert angesehen hatte. „Willst du ernsthaft das Vertrauen zu…“, begann er, doch ich fiel ihm in den Satz. „Halt’s Maul, wo ist deine Akte?“, fuhr ich ihn an. Nicht gerade begeistert hielt er mir den Umschlag in seiner Hand hin, wartete jedoch bevor er ihn losließ. Ich zerrte ungeduldig daran. „Was hat dich denn so neugierig auf die Unterlagen gemacht?“, wollte er wissen und studierte meine Naivität. „Ich glaube…“, fing ich meine Aussage an, hielt inne und seufzte. „Ich glaube, der Chef will meine Kräfte als Aswang ausnutzen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)