Kirschblüten im November von Sakuran ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Es war ein kühler Aprilmorgen an dem sie, wie jeden Sonntag, alleine auf dem Schulhof mit ihrem Ball spielte. Die Kirschblüten fielen wie kleine rosafarbene Schneeflocken auf den sandigen Boden und erzitterten bei jedem Aufprall des runden Spielzeuges. Ihr dunkelbraunes Haar war hinter ihren Ohren filigran zusammen geflochten und mündete in einem langen Zopf. Einzelne Blütenblätter hatten sich bereits in ihren Haarsträhnen verfangen, aber sie spielte unbeirrt weiter. Das zischende Geräusch des Fußballs, welcher sie hart an der linken Hand traf, riss das junge Mädchen aus ihrem Spiel. Entsetzt sah sie sich um und erkannte einige Jungen, die über den Schulhof rannten. Einer dieser Raufbolde kam direkt auf sie zu. Sein braunes Haar stand in alle Richtungen von seinem Kopf ab. Sie kannte diesen Jungen. Diesen schrecklichen, ungezogenen, wilden Kerl, der ebenfalls ihre Schule besuchte. In seinen dunkelbraunen Augen brannte ein merkwürdiges Leuchten. Eine unbändige Leidenschaft oder vielmehr Sehnsucht. Aber das junge Mädchen hätte es zu diesem Zeitpunkt nicht definieren können. Er trat an sie heran und schnappte sich seinen Fußball. Doch noch bevor er ein einziges Wort sagen konnte, fing das kleine Mädchen fürchterlich an zu weinen. Reumütig sah er sie an und wusste nicht so richtig, was er sagen sollte. Er kannte dieses Mädchen. Jedes Mal wenn er sie sah, erinnerte sie ihn an etwas, doch er wusste nicht woran. Unsicher ließ er den Ball wieder fallen und dabei sprangen die am Boden liegenden Kirschblüten wie Konfetti in die Luft. Die beiden Kinder beobachteten die fliegenden Blütenblätter und fingen gemeinsam an zu lächeln. Entschuldigend streckte er seine Hand nach ihr aus und wischte ihr sanft die Tränen von den Wangen. Jetzt wusste er, woran sie ihn erinnerte. Sie war wie eine zarte Kirschblüte, kurz davor zu erblühen. Sie sah so wunderschön aus und ließ sein Herz höher schlagen. „Bitte nicht weinen. Wir haben dich nicht absichtlich mit dem Fußball getroffen...“ Mit einem lauten Schluchzen wischte sie sich ihre Augen trocken. Er schenkte ihr ein freches Grinsen und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Entsetzt riss sie ihre Augen auf und starrte ihn an. „...wenn ich groß bin, dann werde ich dich heiraten!“ Was bildete sich dieser Kerl denn eigentlich ein? So einen wollte sie bestimmt nicht heiraten. Diese ungebändigten Haare, sein unverschämter Charakter und außerdem war er älter als sie. Wütend zischte sie durch ihre kirschroten Lippen und hob ihren Ball vom Boden auf. „Da kannst du aber lange warten. Bevor ich dich heirate, blühen die Kirschbäume im November!“ Sie ging an ihm vorbei und wollte ihn einfach so stehen lassen, aber der kleine Junge griff nach ihrer Hand. Seine enttäuschten Augen suchten ihren Blick. Das Mädchen musste hart schlucken und sah deutlich, dass sie ihn verletzt hatte. „Dann werde ich dir versprechen, dass ich es irgendwann im November Kirschblüten regnen lasse und im Gegenzug musst du mich dann heiraten, versprochen?“ Ein Windzug wehte die am Boden liegenden Kirschblüten durch ihr Haar und das junge Mädchen grinste siegessicher, während sie zur Bestätigung nickte. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Dies ist eine Geschichte, die ich noch nie erzählt habe. Eine Geschichte über dein Leben, deine tiefe Freundschaft und deine unsterbliche Liebe. Eine Geschichte über ein Versprechen, welches du ewig während in meinem Herzen verschlossen hast. Mein ganzes Leben lang habe ich mich gefragt, was das wohl ist, was uns unsterblich macht. Was bringt uns dazu, immer wieder aufzustehen und für das zu kämpfen was wir lieben? Woher nehmen wir diese Stärke? Du wusstest, dass wir in unseren dunkelsten Momenten etwas finden, etwas, das uns weiter machen lässt. Etwas, das uns antreibt. Als alles verloren schien, hast du mir gezeigt was es bedeutet zu leben, zu hoffen und zu kämpfen. Du hast mir beigebracht, dass unsere Unsterblichkeit darin besteht was wir tun und nicht in dem wer wir sind. In den verzweifeltsten Augenblicken unseres Lebens, dürfen wir die schwache Flamme der Hoffnung in unseren Herzen nicht aus den Augen verlieren. Denn nur in unseren dunkelsten Stunden erkennen wir die wahre Stärke des brillanten Lichtes in uns selbst und fangen an zu kämpfen. Dein Licht strahlte stets so hell und doch konnte ich deine Flamme nicht vor dem aufziehenden Sturm bewahren. Selbst heute, so viele Jahre später, weiß ich nicht, was ich ohne dich tun soll. Ich höre immer noch deine Worte, die wie ein zärtliches Flüstern zu mir durchdringen. Du bist wie ein unauslöschliches Licht, das mir jedes Mal den Weg nach Hause zeigt und mich beschützt. Solange, wie du bis in alle Ewigkeit bei mir bist in der dunkelsten Nacht, geht es mir gut. Solange bis wir uns im Regen der Kirschblüten wiedersehen, irgendwann an einem kalten Novembertag. Kapitel 1: Wieder zurück (Mimi) ------------------------------- Wie beschreibt man dieses Gefühl, wenn man nach so langer Zeit an einen Ort zurückkehrt, den man nur mit Trauer und Schmerz verbindet? Wenn man sich irgendwie fehl am Platz fühlt, man aber ganz genau weiß, dass dieser Ort die eigene Heimat ist? Was geschieht mit unseren Erinnerungen? Können wir irgendwann aufhören daran zu denken? Was heilt unsere Wunden? Was bringt uns dazu jemandem zu vergeben? Irgendwann sagte mir ein sehr guter Freunde einmal, dass es wahnsinnig einfach sei jemanden zu verletzen. Es aber unsagbar schwer sei, jemandem zu vergeben und beinahe unmöglich sich seine eigenen Fehler zu verzeihen. Obwohl mittlerweile so viele Jahre vergangen sind, schaffe auch ich es nicht, mir selbst zu vergeben. Und doch kehre ich an diesen Ort zurück. Zurück in diese Stadt. In meiner Brust machte sich ein längst vergessen geglaubtes Gefühl von Geborgenheit breit. Nach fünfzehn Stunden Flug könnte es aber auch das Gefühl akuter Müdigkeit und die Wirkung der letzten Gläser Jack-Daniels sein, die ich mir mit meinem Sitznachbarn aus Louisiana teilte. Warum habe ich es eigentlich nie geschafft, in den acht Jahren, die ich in den USA lebte, die Südstaaten zu besuchen? Dumme Frage, jetzt stand ich schließlich am Flughafen Nirata in Tokio und wartete auf mein Gepäck. Ungeduldig zupfte ich immer wieder am Saum meines knielangen fliederfarbenen Chiffon Kleides. Dieser leichte Stoff trug sich im Sommer sehr angenehm und ich war froh, dass ich mich bei der Abreise doch dafür entschieden hatte, ein ärmelloses Kleid anzuziehen. Zwei süßliche Augenaufschläge für den Zollbeamten später, hatte ich endlich den Sicherheitsbereich verlassen und betrat die Ankunftshalle des Flughafens. Es war wirklich ungewohnt, in all diese asiatischen Gesichter zu blicken, obwohl ich ja selbst nicht anders aussah. Meine Gereiztheit wich plötzlich meiner Aufregung, als ich sein auffällig rotes Haar in der Menschenmenge erkannte. Ein breites Grinsen schob sich über mein Gesicht und ich bewegte mich ihm entgegen. Doch noch bevor wir uns gegenüber standen erkannte ich, dass ihn jemand begleitet. Mir stockte der Atem und ich blieb wie erstarrt in der Menschentraube stehen. Er war hier. Er war tatsächlich gekommen, um mich abzuholen. Er hatte sein Versprechen gehalten. Taichi Yagami, der Mann, mit dem mich mehr als reine Freundschaft verband. Aber diese Zeit lag in einer bereits weit entfernten Vergangenheit und ihn heute zu sehen, machte mich nicht nur nervös, sondern weckte ebenso längst vergessen geglaubte Erinnerungen. Erinnerungen an ihn und mich. Erinnerungen an uns. An etwas, das uns für immer mit einander verbinden würde. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen und doch hatte sein Blick noch immer dieselbe Wirkung, wie in all den Jahren zuvor. Seine zutiefst dunkelbraunen Augen. Sein verklärter und geheimnisvoll wirkender Blick, der mich unaufhaltsam durchbohrte und mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann mein Herz in den letzten acht Jahren so heftig gegen meine Brust hämmerte, wie in diesem Moment. Völlig egal wie lange es her war, was zwischen uns vorgefallen und wie sehr wir beide uns verändert hatten, Tai war der einzige Mann, der mich mit einem einzigen Lächeln vollkommen aus der Bahn werfen konnte. Er lächelte mich an und ich spürte, wie er mich von oben bis unten musterte. Seine Hände ruhten lässig in seinen Hosentaschen und die ersten drei Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet. Seine noch immer wohlgeformte Brustmuskulatur ließ sich unter dem dünnen Stoff erahnen und verdammt nochmal, ich schmolz bei seinem Anblick dahin. Plötzlich spürte ich, dass mich mein bester Freund in eine Umarmung zog. Mein Hirn meldete sich zurück und ich schlang ebenso meine Arme um Koushiro. „Herzlich Willkommen!“ sagte er glücklich und löste sich wieder von mir. „Hattest du einen guten Flug?“ fuhr er fort und nahm mir mein Gepäck ab. Koushiro und ich hatten uns immer sehr regelmäßig gesehen. Er besuchte mich häufig in den USA und war mir stets ein treuer zuverlässiger Freund. Ich schätzte ihn sehr und auch er wusste, was er für einen wichtigen Stellenwert in meinem Leben hatte. „Äh ja...“ stammelte ich nervös und sah unsicher zu Tai rüber. Noch immer grinste er mit einer gewissen Selbstgefälligkeit und machte überhaupt keine Anstalten, mich zu begrüßen. Was starrte er mich denn so dämlich an? Hatte ich etwas im Gesicht? Also nach 15 Stunden im Flugzeug würde wohl jede Frau etwas durcheinander aussehen. So ein blöder Scheißkerl, sich hier so blasiert mit seinem wunderschönen Gesicht, seinem Traumkörper und diesen unsäglich schicken Klamotten zu präsentieren. Auch wenn mir mein Vater sonst nicht viel beigebracht hatte, so wusste ich dennoch, wie man einen Menschen anständig begrüßte. Höflich streckte ich meine Hand aus und hauchte ein beinahe tonloses „Hallo“, aber er zeigte sich völlig unbeeindruckt und griff nach meinem Handgelenk. Als er mich ruckartig in eine innige Umarmung zog, wurde mir wahnsinnig heiß. Es war ganze acht Jahre her, seitdem wir uns so nahe gewesen waren. Geschah das jetzt wirklich? Ich spürte seine großen Handflächen auf meinem Rücken und roch den köstlichen Duft seines Parfüms. Seine starken Arme, sein maskuliner Duft, seine breiten Schultern. Er war längst kein Junge mehr, sondern ein erwachsener Mann. „Hallo Prinzessin. Ich glaube, dass ich mehr als einen langweiligen Händedruck zur Begrüßung verdient habe...“ Als seine rauchige Stimme in mein Ohr drang, schlug mir mein Herz bis zum Hals. Er hatte sich nicht nur äußerlich verändert, auch seine Stimme war viel männlicher geworden. Ich glaube, dass ich tatsächlich kurzzeitig meine Augen geschlossen und erneut einen tiefen Atemzug von seinem betörenden Duft genommen hatte, bevor er die Umarmung mit mir löste. Koushiro hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und zog einen meiner beiden Koffer. Über seine rechte Schulter hatte er meine Reisetasche gelegt und drehte sich fragend zu mir und Taichi um. Dieser schenkte mir erneut ein Lächeln und griff nach meinem zweiten Koffer. „Du reist aber mit wenig Gepäck...“ bemerkte er zynisch und ich folgte den beiden Männern in Richtung des Ausgangs. „Ich höre da eine gewisse Zweideutigkeit? Meinst du das etwa ironisch?“ fragte ich grinsend und fuhr mir durch mein langes Haar. „Izzy hatte mir erzählt, dass du bereits vor drei Monaten hier gewesen bist und die Wohnung eingerichtet hast.“ Koushiro wartete am Fahrstuhl auf uns und sah mich noch immer freudestrahlend an. „Wirst du in der Wohnung des Bekannten deiner Mutter wohnen?“ fragte der Rothaarige und beförderte mein Gepäck in den Aufzug. „Ja, er ist erst für zwei Jahre in Brasilien. Irgendwas mit einem Programm für Straßenkinder. Ich konnte sogar die Einrichtung seiner Wohnung übernehmen. Alles, außer das Schlafzimmer. Ich bestand diesbezüglich auf meine eigenen Möbel.“ „Ich möchte auch in keinem Bett schlafen, indem bereits zuvor andere Menschen ihren Spaß hatten...“ Tai schenkte mir ein lüsternes Grinsen und ich verdrehte lediglich meine Augen. „Du solltest nicht von dir auf andere schließen! Und was machst du, wenn du mal in Hotels übernachten musst? Nimmst du dir da eine Luftmatratze mit, oder wie? Nein, auch wenn dein perverses Gehirn das vielleicht nicht verstehen mag, es geht um den Platz für meine Klamotten. Ein Schrank reicht nicht aus!“ Beide fingen schallend an zu lachen und ich wurde plötzlich ganz verlegen. Gemeinsam hoben die zwei jungen Männer mein Gepäck in das Auto. Koushiro hielt mir höflich die Tür auf und ließ mich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Er selbst setzte sich nach hinten. Taichi startete den Motor seines schwarzen Audi A4 Cabrio und machte mich erneut mit seinem verführerisch zweideutigen Grinsen nervös. „Also wohin darf dich mein Automobil befördern? Hast du die Adresse im Kopf?“ Ich lächelte unverhohlen auf seine Frage hin und nickte. Als wir mit offenem Verdeck durch die Stadt fuhren wurde mir erst einmal wieder bewusst, wie sehr ich diese schwül heißen Sommer in Japan doch hasste. Es war Ende Juni und die Regenzeit hatte Einzug gehalten. Häufig war es im Juni so, dass es gegen Abend aufhörte zu regnen und die Sonne sich durch die dichten Wolken quälte. Auch wenn mein letzter Besuch noch nicht allzu lange zurück lag, fühlte es sich doch fremd an, wieder hier zu sein. Aus dem Radio dröhnte japanische Popmusik und die schrillen Leuchtreklamen erinnerten mich an den Broadway in New York City. Obwohl sich Koushiro alle Mühe gab, mit mir ein Gespräch anzufangen, bekam er von mir nur einsilbige Antworten und gab es somit relativ schnell auf. Er wendete sich Taichi zu und die beiden sprachen über irgendwas aus ihrer Arbeit. Ich wusste, dass die beiden gemeinsam in derselben Firma arbeiteten. Taichi war dort als Anwalt für Wirtschaftsrecht tätig und hatte Koushiro eine Stelle in der IT-Abteilung besorgt. Die zwei waren bereits seit Jahren ein Herz und eine Seele. Irgendwie hätte man das niemals erwartet, aber die beiden passten wie Arsch auf Eimer. Im städtischen Verkehrschaos erreichten wir das Apartmenthaus nach etwa vierzig Minuten. Ganz Gentleman trugen Taichi und Koushiro mein Gepäck in den Aufzug. Mein neues Domizil befand sich im 26. Stockwerk, der Ausblick über die Stadt konnte demnach nur atemberaubend sein. Noch immer müde, stieß ich die Tür auf und betrat das geräumige Wohnzimmer dieser zwei Raum Wohnung. Hinter mir hörte ich nur ein synchrones „Wahnsinn“ und musste mich lachend zu den beiden Männern umdrehen. Taichi bewegte sich ungehemmt durch das Wohnzimmer und betrachtete die offene Küchenzeile. Koushiro hingegen zeigte etwas mehr Anstand und fragte mich höflich, wohin er mein Gepäck bringen sollte. Ich deutete mit meinem Finger auf die gegenüberliegende Tür des Schlafzimmers und suchte dann selbst das Badezimmer auf. Selbst dieses Badezimmer war der absolute Wahnsinn. Es erinnerte an eine futuristische Designerausstellung für Porzellan. Als ich die Tür endlich hinter mir geschlossen hatte, seufzte ich erleichtert und irgendwie kroch ein zufriedenes Lächeln über meine Lippen. Ich lehnte mich auf das Waschbecken und betrachtete mein müdes Gesicht im Spiegel. Ich hätte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er heute tatsächlich vor mir stehen würde. Zwar hatte Taichi es in seinen letzten Briefen geschrieben, wie sehr er sich auf mich freuen und mich auf alle Fälle mit abholen würde, aber wie war es mit den Männern, man hört sie reden aber doch nichts sagen. Nachdem ich mich etwas frisch gemacht hatte, betrat ich wieder das Wohnzimmer und musste feststellen, dass niemand hier war. Etwas verwirrt ging ich ins Schlafzimmer und beobachtete die beiden. „Die komplette vordere Seite ist verglast. Man kann die gesamte Stadt überblicken wenn man im Bett liegt...“ sagte Koushiro und sah aus den Fenstern. Taichi hingegen öffnete neugierig eine Schublade nach der anderen. „Verdammt, ich brauche mal ein Taschentuch...“ murmelte er und wich erschrocken zurück, als er die nächste Schublade aufzog. „Oh, das ist natürlich noch viel besser...“ sagte er grinsend und faltet eines meiner Spitzenhöschen auseinander. Koushiro sah zu ihm und wurde sofort feuerrot. Hastig stürmte er zu Tai und entriss ihm meine Unterhose. „Bist du denn bescheuert? Du kannst doch nicht in ihrer Unterwäsche rumwühlen!“ „Ich habe lediglich ein Taschentuch gesucht und außerdem bist du derjenige, der gerade einen sexy Damenslip in den Fingern hält...“ „Kann ich den Herrschaften behilflich sein? Sucht ihr noch den passenden BH dazu?“ Ich machte mich lieber bemerkbar, bevor die Unterhaltung der beiden noch Informationen ans Tageslicht brachte, die ich besser nicht wissen wollte. Sofort ließ Koushiro völlig entsetzt meine Unterwäsche zu Boden gleiten und sprang einige Schritte von meiner Kommode weg. Stotternd erklärte er mir, dass er überhaupt nichts damit zutun hätte und es ihm furchtbar leid täte. Sein niedliches Gesicht glich einer reifen Tomate und ich konnte an seiner Körperhaltung sehen, dass er nur ganz kurz vor einem Herzinfarkt stand. Ich kam nicht umher darüber zu lachen und schob mit einem lässigen Hüftschwung die Schublade wieder zu. Dabei sah ich in Tais Gesicht. Er schien völlig unbeeindruckt und hatte seine Arme vor der Brust verschränkt. „Du schämst dich wohl kein bisschen?“ fragte ich herausfordernd und bekam ein kokettes Grinsen von ihm. „Warum sollte ich? Ich habe lediglich ein Taschentuch gesucht...“ „Das Schlafzimmer einer Frau sollte selbst für dich tabu sein, außer sie lädt dich ausdrücklich dazu ein, es mit ihr zu teilen.“ Ich reichte ihm ein Taschentuch aus meiner Handtasche. Er nahm es mir aus der Hand und wollte an mir vorbei, wieder ins Wohnzimmer laufen, als ich seine heißen Lippen an meinem Ohr spürte. „Aber Schätzchen, mit einer solch verführerischen Unterwäsche, lädst du mich auf alle Fälle in dein Schlafzimmer ein.“ Entsetzt weiteten sich meine Augen und ich spürte, wie mir der Mund offen stehen blieb. Was für ein unverschämter und dazu noch selbstverliebter Kerl. Aber noch viel schlimmer war, dass genau diese gleichgültig arrogante Art mich immer wieder packte. Seine raue Stimme in meinem Ohr, sein heißer Atem in meinem Genick und verdammt nochmal, dieser lässige unbeeindruckte Blick von ihm. Tai spielte mit mir und er wusste genau, dass ich wie Wachs in seinen Händen war. Weiß Gott Mädchen, das kannst du doch besser. Diese Zeiten, in denen ihm mein Herz gehörte, sind doch schon längst vorbei. Ich durfte mich nicht von seinem zuckersüßen Charme benebeln lassen. „Wir sollten etwas essen gehen...“ die Stimme meines rothaarigen Freundes riss mich aus meiner Schockstarre. Verwirrt blickte ich in seine Augen und lächelte verlegen. Sicherlich bemerkte sein scharfer Verstand sofort, welche Wirkung Tai gerade auf mich hatte und dennoch lächelte mich Koushiro liebevoll an und legte seine Hand auf meine Schulter. „...na komm schon. Sicherlich bist du hungrig.“ beendete er seinen Satz und ich nickte zustimmend. Während wir zu Dritt im Fahrstuhl standen, musste ich die beiden Männer einfach beobachten. Die Jahre, in denen wir nur Schulfreunde waren, lagen so lange zurück. Aber selbst heute war Koushiro immer noch ein unglaublicher Mensch. Er wusste jedes Detail dieser unsäglichen Geschichte zwischen mir und Tai, aber dennoch blieb er gerade im Schlafzimmer ganz entspannt und rettete mich aus dieser merkwürdigen Situation. Wenn ich ihn mir heute genauer betrachte, dann hatte er kaum noch eine Ähnlichkeit mit dem nervösen Nerd aus Schulzeiten. Während der letzten Jahren an der Oberschule war er nochmal in die Höhe geschossen und hatte seine Klassenkameraden bezüglich der Körpergröße definitiv eingeholt. Seine Schultern waren breiter, seine Oberarme trainiert und in seine Handflächen hätten meine zweimal reingepasst. Koushiro war sicherlich nur wenige Zentimeter kleiner als Taichi und der war bereits ziemlich groß für einen Japaner. Wo mein Blick doch gerade bei ihm hängen geblieben ist, verflucht nochmal, wie schafft er es nur diesen Körper zu haben? Diese definierten Muskeln und der stetig gebräunte Teint seiner Haut. Obwohl seine Haare deutlich kürzer waren als früher, glichen sie noch immer einem heilloses Durcheinander. Ob er eine feste Freundin hatte? So ein hübscher und erfolgreicher Typ war doch nicht alleine und wenn er keine feste Freundin hatte, dann sicherlich unzählige fürs Bett. Plötzlich seufzte ich lautstark und die beiden blickten mich fragend an. So eine Scheiße, habe ich jetzt tatsächlich laut geseufzt? Ich bräuchte wirklich einen Drink und dann müsste ich endlich mal lernen, meine Tagträume von der Realität zu unterscheiden. „Ich hab Hunger!“ flötete ich schnell, um die beiden Männer zu beruhigen. Beide lächelten mich an und sprachen weiter. Ich konnte ihnen nicht gänzlich folgen, da ich den Anfang ihres Gespräches verpasst hatte, aber offenbar ging es um ein neues Projekt in der Firma. Erneut nahm ich auf dem Beifahrersitz neben Taichi Platz und ließ meinen Blick durch die in Hektik ertrinkende Stadt schweifen. Wir fuhren vom Stadtteil Minato, in dem ich zukünftig wohnen und arbeiten würde nach Odaiba, dem Stadtteil in dem wir alle zusammen aufgewachsen waren. Die Familien von Koushiro und Taichi lebten noch immer hier, auch wenn ihre Kinder längst ausgezogen waren. Ich wusste, dass Taichi eine kleine Wohnung direkt in Shibuya hatte und Koushiro selbst, wohnte lediglich zwei Straßen von mir entfernt. Die kleine Schwester von Tai war ebenfalls vor einem Jahr ausgezogen und wohnte irgendwo im Norden der Stadt. Es war wirklich unfassbar, wie schnell wir alle erwachsen geworden sind. Wie sehr wir uns doch verändert hatten. Manchmal scheint die Vergangenheit soweit weg zu sein und dann ist es doch nur ein einziger Moment, ein winziger Windhauch, ein beiläufig gesagtes Wort, das uns schlagartig und unvorbereitet begreifen lässt, dass wir unsere Vergangenheit niemals gänzlich hinter uns lassen können. Egal wohin wir gehen, egal zu wem wir werden, unsere Vergangenheit wird immer ein Teil von uns sein. Wir fuhren über die imposante Rainbow Bridge und als die Wolkenkratzer Tokios hinter uns immer kleiner wurden, vermischten sich die bunten Lichter der Halbinsel mit dem tiefen Rubinrot der Abenddämmerung. Der kalte Meereswind ließ mich erzittern, aber vielleicht war es auch die unzähligen Erinnerungen, die erneut in meiner Brust aufflammten. Taichi fuhr nicht erst auf die Hauptstraße, sondern benutzte gekonnt die Abkürzungen über die Nebenstraßen. Nach nur wenigen Minuten hatten wir das kleine Restaurant in der Nähe vom Toritsu Shiokaze Park erreicht. Sehr viele Menschen drängten sich an der Uferpromenade entlang und genossen ihren Freitagabend. Offenbar hatten die beiden einen Tisch für uns drei in einem Separee reserviert, sodass wir sofort von der Kellnerin durch den Gastraum delegiert wurden. Es war sehr ungewohnt, dass ich auf dem Fußboden Platz nehmen musste. Überhaupt hatte ich einige Probleme damit, mich wieder in der japanischen Kultur zurecht zu finden. „Alles in Ordnung?“ fragte mich Koushiro und legte sachte seine Hand auf meinen Oberarm. Meine Unsicherheit blieb ihm wohl nicht verborgen. Ich lächelte matt und strich mit meinen Händen über den dünnen Stoff meines Kleides. „Ja, mir geht es gut. Es ist nur alles so ungewohnt.“ Es schien beinahe so, als würde mich mein bester Freund nun etwas traurig mustern, doch dann erhellten sich seine beinahe schwarzen Augen wieder und er schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln. „Nach so langer Zeit, fühlt es sich bestimmt merkwürdig an, wieder hier zu sein. Du bist so lange weg gewesen.“ seine Handfläche glitt von meinem Oberarm hinab auf meinen Schoß und legte sich schützend über meine beiden Hände. „Also für meinen Geschmack bist du einfach viel zu lange weg gewesen, von daher sollten wir den heutigen Tag ordentlich feiern und nicht so ein betrübtes Gesicht machen!“ wie immer durchbrach Taichi diesen sensiblen Moment mit seiner sorglosen Art. Koushiro löste sich mit einem verlegenen Gesichtsausdruck von mir und beobachtete den brünetten Hitzkopf dabei, wie er einige Getränke orderte und soweit ich das richtig verstehen konnte, war keines davon alkoholfrei. Müssten wir denn nicht wieder mit dem Auto nach Hause fahren? Irgendwie fühlte ich mich noch immer sehr unwohl. Davon mal völlig abgesehen, dass ich nur die Hälfte der Speisekarte lesen konnte, kroch dieses merkwürdige Gefühl von Traurigkeit immer weiter in mir hoch. Die junge Kellnerin platzierte sämtliche Getränke auf dem Tisch und wechselte mit Taichi ein paar Worte. Immer wieder musste sie verlegen über seine unverschämt aufreizenden Witze kichern und notierte die Bestellungen der beiden Männer. Ich selbst entschied mich lediglich für Chirashi-zushi und versuchte nicht allzu angeekelt drein zu blicken, da ich die schleimigen Anmachversuche des überheblichen Yagami kaum ertragen konnte. „Prinzessin, jetzt zieh nicht so ein tief trauriges Gesicht.“ seine Worte rissen mich aus meinen Gedanken und ich sah in seine dunkelbraunen Augen. Mit einem frechen Grinsen schob er mir ein Schälchen Sake rüber und forderte mich dazu auf, mit ihm zu trinken. Koushiro stieß mich von der Seite an und hatte ebenso seine kleine Tonschale mit dem warmen Reiswein gehoben. Ein angestrengtes Seufzen verließ meine Lippen und ich stieß mit den beiden an. Der heiße Schnaps brannte in meinem Hals und kurz musste ich angewidert mit dem Kopf schütteln, als mir Tai bereits nachschenkte. „Dein ernstes Gesicht lässt dich aussehen wie eine alte Frau. Du solltest viel mehr lächeln, das zeigt nämlich deine anmutige Seite.“ sagte er plötzlich und stützte seinen Ellenbogen auf dem Tisch ab. Sofort griff ich nach meinem Trinkschälchen und leerte es in einem Zug. Wie schaffte er es nur immer wieder, dass er mich in einem Satz beleidigte aber mir gleichermaßen ein wunderschönes Kompliment machte? Dieser Typ trieb mir schon wieder die Röte ins Gesicht und ließ mein Herz schneller schlagen. Heftig donnerte ich das Tongefäß auf den Tisch und spendierte ihm etwas von meinem süffisanten Gesichtsausdruck. „Wer von uns ist die alte Frau? Also du bist doch der Älteste hier im Raum, mit deinen 25 Jahren, ein ganzes Vierteljahrhundert.“ Koushiro lachte und nahm einen Schluck von seinem Bier, während Taichi zufrieden grinste und mir erneut nachschenkte. „Schlagfertig wie immer, so gefällst du mir schon viel besser, Prinzessin.“ Ich setzte erneut an und leerte mein Getränk in einem Zug. Tai hingegen trank nicht weiter, schenkte mir dafür immer wieder ordentlich nach. Während wir gemeinsam miteinander aßen, schien die Zeit still zustehen. Es war sehr lange her, dass ich mich in der Gesellschaft anderer Personen so wohl gefühlt habe. Wir lachten über alte und neue Geschichten. Die gemeinsamen Abenteuer der beiden Jungs, von ihrer Arbeit und ihren Kollegen, aber auch über ihre Familien. Taichi erzählte einiges von seiner kleinen Schwester und es freute mich, dass Hikari und er noch immer so ein inniges Verhältnis zueinander hatten. Doch trotz aller Vertrautheit, die uns drei miteinander verband wussten wir, dass es eben nicht genauso wie früher war. Nicht nur, dass wir uns alle unwahrscheinlich verändert hatten, es fehlten ebenfalls weitere wichtige Personen an diesem Tisch. Auch wenn ich die neusten Neuigkeiten über Jou und seine Verlobte gehört hatte und sogar von Takeru, der irgendwo in Osaka studierte, gab es zwei Menschen, über die wir kein einziges Wort verloren. Zwei Personen, von denen wir überhaupt nicht sprachen. Als würden sie seit Jahren nicht mehr existieren und doch waren sie allgegenwärtig. Ich war inzwischen auch viel zu betrunken, als dass ich mir darüber ernsthafte Gedanken machen konnte. Keine Ahnung wann ich eigentlich angefangen hatte fröhlich vor mich her zu singen, aber ich schien das gesamte Restaurant zu unterhalten. Koushiro hielt mich am Oberarm fest, sodass ich nicht nach vorne kippte und Tai stachelte mich immer wieder dazu an, weiter zu singen. Vorsichtig brachten mich beide nach draußen und wollten zurück zum Auto. „Ich mag noch eine Runde spazieren...“ gluckste ich lallend und griff nach den Armen der beiden. „Ist vielleicht keine schlechte Idee so betrunken wie du bist. Die frische Luft wird dir gut tun...“ sagte Koushiro lachend und hielt meine Hand fest umschlossen. „Kein Problem Prinzessin, wann hast du schon mal die Gelegenheit, dich von zwei so bezaubernden Gentleman durch die Straßen geleiten zu lassen?“ Auch Tai nahm meine Hand und so liefen wir zu dritt durch die inzwischen dunklen Straßen von Odaiba. Ich löste mich aus der Mitte zwischen den beiden und ließ ihre Hände los. Die Gegend war mir so vertraut und ich wusste genau wohin ich gehen wollte. Warum konnte ich nicht einfach umdrehen? Warum trieb mich irgendetwas an diesen Ort zurück? Obwohl ich einige Schritte vorneweg ging, hörte ich die beiden miteinander sprechen. „Weiß sie denn überhaupt nicht, was am Ende der Straße ist? Sollten wir nicht besser umdrehen?“ fragte Koushiro und sah zu Tai. „Ich glaube, dass sie ganz genau weiß, wohin sie läuft...“ Tai seufzte leise und ich hörte, wie er seine Hände in die Hosentaschen gleiten ließ. „...Manchmal muss man dorthin zurückkehren wo alles begann, um endlich damit abzuschließen.“ Der Wind fuhr mir kühl durchs Haar und ich senkte meinen Kopf etwas. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab. Bedeutete das etwa, dass Tai bereits mit der Vergangenheit abgeschlossen hatte? Warum konnte ich nicht auch los lassen? Weshalb trugen mich meine Füße zurück an diesen Ort? Im fahlen Schein der Straßenlaternen erkannte ich die kühle Fassade einer Mauer und ein wuchtiges Eisentor. Wie einzelne Schwertspitzen ragten die Metallpfosten vom Erdboden auf und verbargen dahinter das riesige Gebäude. An einer kleinen Bronzetafel am Eingang stand deutlich: »Odaiba Oberschule« geschrieben. Zitternd legte ich meine Finger um die eiskalten Eisenstäbe des verschlossenen Tors. Mein Blick glitt über den verlassenen Schulhof. Die gläserne Fassade des Hauptgebäudes war in ein tiefes Schwarz getaucht und in meiner Brust mischten sich Trauer und Verzweiflung, bis letztlich nur noch der bittere Geschmack von Wut übrig blieb. „Acht Jahre…es ist acht Jahre her und doch tut es immer noch so weh.“ entglitt es meinen Lippen und ich spürte, dass sich Koushiro neben mich stellte. „Lass es gut sein Mimi, wir sollten zurück zum Auto gehen...“ sanft legte er seine Hand auf meine Schulter, doch es half nichts. Jede Faser in meinem Körper spannte sich an und ich fühlte, dass mir unweigerlich Tränen in die Augen schossen. Ich wollte nicht weinen. Ich wollte dieses schmerzende Gefühl nicht länger in mir tragen. Aber so sehr ich mich bemühte, ich spürte, wie meine Vergangenheit mich einholte. Solange hatte ich mit mir selbst gerungen, ich wollte nicht mehr dieses verletzliche Mädchen sein. Ich wollte stark sein, nach vorne sehen und meine Fehler endgültig hinter mir lassen. Aber in diesem Moment, als ich vor wenigen Stunden aus dem Flugzeug gestiegen bin wurde mir bewusst, dass ich mir selbst noch immer nicht verzeihen konnte. Ich würde meine Vergangenheit niemals hinter mir lassen können. Plötzlich löste ich meine Finger vom Tor und ging ein paar Schritte zurück. Meine Füße fühlten sich tonnenschwer an und meine Tränen brannten wie Feuer auf meiner Haut. Zögerlich beugte ich mich nach vorne und hob vom Boden einige größere Steine auf. Verzweifelt holte ich aus und warf einen nach dem anderen über den Zaun. Meine Tränen tropften von meinem Kinn herab und benetzten den Stoff meines Kleides. Mit jedem Stein den ich warf, bohrten sich meine Zähne tiefer in das zitternde Fleisch meiner Lippen. Schluchzend und beinahe schreiend holte ich zum nächsten Wurf aus, als Tai plötzlich mein Handgelenk packte und mich an seine Brust drückte. Ich öffnete meine Hand und der Stein fiel mit einem lauten Poltern zu Boden. „Lass mich los!“ schrie ich mit gebrochener Stimme und hämmerte mit meiner linken Faust gegen seine Brust, doch er ließ nicht von mir ab. Der grässliche Geschmack von Blut auf meiner Zunge mischte sich mit Tränen und in mir steigerte sich Wut zu wilder Raserei. In meiner tiefen Verzweiflung bemerkte ich überhaupt nicht, dass ich immer wieder zum Schlag ausholte und Taichi mehrfach im Gesicht traf, bis Koushiro meine linke Hand packte und sich von hinten gegen mich drückte. Ich spürte seinen warmen Körper an meinem Rücken. Sanft legte er seinen Kopf an meine Schulter und sein heißer Atem ließ mich erschaudern. Nun stand ich ungewollt zwischen den beiden, der eine hielt meine rechte und der andere meine linke Hand fest. Mein schluchzendes Gesicht lehnte gegen Tais Brust und ich konnte seinen rasenden Herzschlag deutlich hören. Warum hielt er mich fest? Spürte er nicht denselben Schmerz, wenn er hier war? Hatte er etwa alles vergessen? Ich blickte nach oben in sein Gesicht und erkannte in seinen Augen weder Wut noch Verachtung. Ich sah einzig und allein tiefe Traurigkeit. Diese Traurigkeit. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Diese hoffnungslosen und gebrochenen dunkelbraunen Augen. Ich ließ meine Hände sachte nieder sinken und presste mein Gesicht gegen seine Brust. Es schien, als würden sämtliche Kräfte aus meinem Körper schwinden und diese starke Fassade aus Wut und Hass, hinter der ich mich all die Jahre versteckt habe, bröckelte allmählich. Alles brach aus mir heraus und ich fing an, laut schluchzend, zu weinen. Beide gaben meine Hände frei und ich suchte mit meinen Fingern Halt im Stoff seines Hemdes, während Tai seinen Kopf auf meine andere Schulter legte. Koushiro wollte sich gerade von mir lösen, als ich meine rechte Hand hastig nach hinten ausstreckte und ihn zurück zog. Er verharrte hinter mir und ich spürte, dass seine Finger langsam zwischen meine glitten. Schweigend standen wir zu dritt in der Dunkelheit dieser Nacht. Beide hielten mich fest in ihren Armen, beschützten mich davor, in der tiefen Finsternis meines Herzens den Halt zu verlieren und in den endlosen Abgrund vor meinen Füßen zu stürzen. Einst waren wir unschuldige Kinder. Einst hielten wir einander fest und beschützten uns gegenseitig. Einst waren wir acht unzertrennliche Freunde. Eine Freundschaft war etwas so kostbares, so wertvolles und seltenes. Sie wuchs über viele Jahre und trug irgendwann die Blüte von bedingungslosem Vertrauen. Durch das Band der Freundschaft waren wir innig miteinander verbunden und doch konnte ein einziger Fehler dieses filigrane Gefüge im Bruchteil weniger Augenblicke in tausend Scherben zerschmettern. Irreparabel beschädigt und für immer gebrochen. Das Vertrauen von so vielen Jahren, ausgelöscht in einem einzigen Moment. „Tai...“ ich konnte kaum glauben, dass ich tatsächlich etwas sagte. In dieser tiefschwarzen Nacht, die Kälte in meinem Herzen spürend und doch wissend, dass es zwei Menschen in meinem Leben gab, die mich festhielten. Meine Stimme klang wie eine zerbrechliche Spieluhr, deren Melodie langsam verblasst, bis sie gänzlich verstummt. „...es tut mir so leid.“ Seine Umarmung wurde fester, doch er sagte kein Wort. Schluchzend legte ich meine linke Hand auf sein Haar. „Es tut mir so unendlich leid. Ich hätte niemals gehen dürfen.“ meine Stimme klang so zitternd, dass ich mich regelrecht für meine Schwäche schämte. Doch auch darauf erhielt ich keine Antwort. Keiner von beiden sagte etwas, zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern, denn der Alkohol hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Tai trug mich schließlich irgendwann huckepack zurück zum Auto und legte mich vorsichtig auf den Rücksitz. Immer wieder muss ich eingeschlafen sein, denn ich bekam nur Bruchstücke von dem Gespräch der beiden mit. Offenbar musste Tai so aufgebracht gewesen sein, dass Koushiro gefahren ist. Wenn auch nur verschwommen, so konnte ich dennoch seinen verzweifelten Gesichtsausdruck deutlich erkennen und wie er sich immer wieder fahrig durchs Haar strich, seine Lippen zusammenpresste und den Kopf dabei gegen die Fensterscheibe lehnte. Als wir bereits vor meiner Wohnungstür standen kam ich wieder zu Sinnen. Müde betrachtete ich Tais Nacken. Seine Haare standen etwas wild zu allen Seiten ab und doch bezauberte mich der Anblick seiner nackten Haut. Ich konnte seinen unvergleichlichen Duft auf meinen Lippen schmecken und schmiegte mich etwas dichter an seinen Rücken. Vorsichtig trug er mich durchs Wohnzimmer, während Koushiro in der Küche stehen blieb. Unüberlegt glitten meine Finger durch sein Haar und ehe ich hätte klar darüber nachdenken können, küsste ich zärtlich seinen Nacken. Meine Zunge kostete neugierig vom salzigen Geschmack seiner weichen Haut. Doch diese Tat schien den ansonsten so unbekümmerten Yagami vollkommen aus der Bahn zu werfen, denn beinahe stolperte er über seine eigenen Füße und verlor das Gleichgewicht. Etwas unsanft landete ich deswegen in meinem Bett und musste unweigerlich lachen, als ich in sein hochrotes Gesicht blickte. Er konnte sich geradeso neben mir abstützen, denn ansonsten wäre er direkt auf mir gelandet. „Seit wann bringt dich ein unschuldiger Kuss derart aus der Fassung?“ gluckste ich kichernd und schlang die Bettdecke um meinen Körper. „Es war nicht dein Kuss, der mich heute aus der Fassung brachte.“ antworte er mir mit einer sehr ernsten Stimme. Plötzlich tat es mir unfassbar leid, dass ich mich so benommen hatte. Ich hätte mich zusammenreißen müssen, doch stattdessen habe ich alte Wunden aufgerissen. Ich konnte es deutlich in seinen traurigen Augen sehen. Erneut spürte ich diesen stechenden Schmerz in meiner Brust und rang mit den Tränen. Auch wenn ich fürchterlich betrunken war, so waren meine Emotionen dennoch aufrichtig. „Es tut mir wirklich so leid, bitte glaube mir….“ Ich spürte seine Finger in meinem Haar und hörte den vertrauten Klang seiner rauen aber gleichermaßen sanftmütigen Stimme. „Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist. Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“ Mit letzter Kraft versuchte ich, ihm in die Augen zu sehen bevor mich die Müdigkeit übermannte und zum einschlafen zwang. In diesen wenigen Sekunden schien es mir, als würde er sich zu mir herunter beugen und mich küssen wollen. Einzelne Sonnenstrahlen drängten sich durch die Rollläden und durchdrangen den dunklen Stoff der Vorhänge. Noch bevor ich ein einziges Auge aufschlagen konnte, durchflutete ein stechender Schmerz meinen Schädel. Laut stöhnend drehte ich mich auf den Bauch und versuchte mein Gesicht unter meinem Kopfkissen zu vergraben, aber es half alles nichts. Zu meinen unsäglichen Kopfschmerzen kam ein unerträgliches Durstgefühl hinzu. Genervt schoben sich meine nackten Füße aus der kuschelweichen Bettwäsche, bis sie schließlich den kühlen Holzboden berührten. Wie viel hatte ich denn bitte gestern Abend getrunken? Mein Schädel pochte wie ein Presslufthammer. Langsam setzte ich mich auf und öffnete meine Augen. Wie bin ich überhaupt ins Bett gekommen? Ich hatte immer noch meine Klamotten von gestern an und einen ekelhaft fahlen Geschmack im Mund. “Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist. Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“ Ich zuckte zusammen, als mir seine Worte wieder einfielen. Taichi und Koushiro hatten mich nach Hause gebracht, nachdem ich betrunken zu unserer alten Schule gelaufen und dort völlig ausgerastet bin. Langsam konnte ich mich wieder an alles erinnern und sah sein trauriges Gesicht vor mir. Seine dunkelbraunen, verloren Augen, die in der Dunkelheit nach meinen suchten. Andächtig legte ich meine Finger auf meine Lippen. Hatte er mich geküsst? Ich konnte mich nicht mehr erinnern und doch musste ich lächeln. Langsam erhob ich mich und schlich in die Küche. Mein Durst brachte mich beinahe um den Verstand und ich öffnete den Wasserhahn. Selbstverständlich hatte ich weder etwas zu trinken, noch etwas zu essen besorgt. Doch noch bevor ich mich unter den kühlen Wasserstrahl beugen konnte, sah ich, dass neben der Küchenspüle eine Flasche Wasser stand, daran gelehnt ein kleiner Zettel. »Guten Morgen Prinzessin, nach übermäßigem Alkoholkonsum sollte man sehr viel Wasser trinken!« Ich grinste und trank einen großen Schluck. Als ich den Kühlschrank öffnete, um die Falsche darin zu platzieren staunte ich nicht schlecht. Darin befanden sich einige Bagels, Frischkäse und Marmelade. Lächelnd griff ich nach der Notiz, die gegen das Marmeladenglas gelehnt war. »Es ist schön dich wieder hier zu haben, bitte genieße dein erstes Frühstück. Herzlich Willkommen zu Hause liebe Mimi. - Tai & Izzy« Zitternd schob ich meine Hand vor den Mund und lehnte meinen Kopf gegen das kühle Metall der Kühlschranktür. Tränen liefen über meine Wangen, aber ich war keineswegs traurig. Mich ergriff ein Gefühl von tiefer Geborgenheit. Denn obwohl ich mich so fremd und verloren an diesem Ort fühlte, waren es diese zwei völlig unterschiedlichen Männer an meiner Seite, die mich so liebevoll willkommen hießen. An diesem schwülheißen Morgen Ende Juni hatte ich zum ersten Mal seit wirklich langer Zeit das Gefühl, angekommen zu sein. Es fühlte sich immer noch alles sehr ungewohnt an, aber ich war endlich wieder zurück. An eurer Seite fühlte sich mein Herz zu Hause und ich verstand, dass es kein Ort war, der uns eine Heimat schenkte, es waren die Menschen in deren Armen wir Geborgenheit fanden. „Vielleicht bin ich jetzt noch nicht zu Hause, aber ich bin endlich wieder zurück...“ Kapitel 2: Alte Freunde (Tai) ----------------------------- Diese Stadt war einfach furchtbar, selbst an so wundervoll sonnigen Tagen wie heute, schien der Himmel einfach grau zu bleiben. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und starrte gedankenverloren auf die überfüllte Straßenkreuzung. Es war Samstagmittag und es kam mir so vor, als würden die Menschen in dieser überfüllten Stadt niemals Ruhe finden. Ein merkwürdig zufriedenes Lächeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Auch ich konnte letzte Nacht keine Ruhe finden. Was war da zwischen uns letzte Nacht passiert? Diese wenigen Minuten, die wir zu dritt vor der Schule standen und jeder von uns den bitteren Geschmack der Vergangenheit kostete. Es fiel mir so unsäglich schwer, meine Gefühle vor ihr zu verbergen und als wir endlich im Auto saßen, stürzte alles über mir zusammen. Obwohl Izzy viel mehr Alkohol getrunken hatte als ich, musste er zurück fahren. Ich war völlig außer mir und meine Gedanken überschlugen sich, denn auch ich habe niemals vergessen können was mit uns geschehen ist und als ich eine herzzerreißend weinende Mimi in meinen Armen hielt, in ihren Augen den Schmerz und die Verzweiflung sah, wurde mir bewusst, dass wir zwar älter geworden waren, aber immer noch für unseren Fehler bezahlten. Ich war stets bemüht, mit jedem Jahr etwas mehr zu vergessen, doch gestern Nacht holte mich unsere Vergangenheit wieder ein. Als sie mir plötzlich im Schlafzimmer zärtlich durchs Haar streichelte und meinen Nacken küsste, vergaß ich alles um mich herum. Am liebsten hätte ich mich zu ihr gelegt, sie in meine Arme genommen und ihr gesagt, dass ich sie für immer beschützen würde und alles nur ein furchtbar schlechter Traum gewesen sei. Allein ihr Blick, ihr Lächeln, ihre Finger auf meiner Haut und ihre Stimme, die mir zärtlich ins Ohr flüsterte, brachten mich dazu, mich wieder genauso zu fühlen wie damals. Ich fühlte mich frei, geborgen und sicher. Ihr fuhr mir nervös durch mein zerzaustes Haar und stellte meine Kaffeetasse auf meinem Wohnzimmertisch ab. Mein Blick richtete sich auf die Badezimmertür und eine hübsche Blondine kam auf mich zu und trank einen Schluck von meinem Kaffee. „Guten Morgen mein Lieber, hast du deine Gedanken wieder etwas sortiert?“ Warum wurde ich plötzlich so verlegen? Ich kannte Anna schon länger. Sie kam ursprünglich aus der Ukraine und war die Ehefrau eines ehemaligen Klienten von mir. Sie arbeitete für ein Bauunternehmen und seit einigen Monaten trafen wir uns regelmäßig, wenn sie geschäftlich in Tokio zutun hatte. Eigentlich war ich überhaupt nicht der Typ für wilde Affären, mir lagen eher die einmaligen Bettgeschichten, aber das mit Anna hatte sich irgendwie entwickelt. Die Fronten waren geklärt und es war für uns beide lediglich unverbindlicher Sex. Gleich nachdem ich letzte Nacht Mimi verlassen und Izzy nach Hause gebracht hatte, rief ich sie an und bat um ein Treffen. Ich musste mich unbedingt auf andere Gedanken bringen, doch offensichtlich gelang es mir nur bedingt. „Was meinst du denn damit?“ fragte ich, obwohl ich genau wusste, worauf sie hinaus wollte. Sie ging in den Flur und zog sich ihre schwarzen Wildlederpumps an. „Du hast mich zwar um ein Treffen gebeten, aber dennoch bist du überhaupt nicht bei der Sache gewesen. Lag es an dem Mädchen, das du gestern vom Flughafen abgeholt hast?“ sie grinste und ihre stahlblauen Augen suchten meinen Blick. Mein Herz fing plötzlich an wie wild zu schlagen. Irgendwie war es mir peinlich, dass ich letzte Nacht zwar mit ihr geschlafen, aber dabei nur an eine andere Frau gedacht hatte. „Ach Quatsch, ich habe gestern bloß eine alte Freundin abgeholt. Da ist nichts und ich war gestern einfach nur müde...“ Um Gotteswillen, ich habe schon deutlich besser gelogen. Diesen Schwachsinn glaubte ich mir ja nicht einmal selbst. Doch Anna blieb völlig entspannt und kam auf mich zu. Zärtlich strich sie mir über die Wange und grinste zweideutig. „Weißt du mein lieber Yagami, eine feste Freundin würde dir ganz gut tun und du machst nicht den Anschein, als hättest du gestern lediglich eine alte Freundin wiedergesehen. Deine braunen Augen haben dich verraten, denn man kann in deinem Blick deutlich erkennen, dass du nur noch an sie denken kannst.“ Anna beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie die Tür hinter sich zuzog und mein Apartment verließ. Etwas verdutzt sah ich ihr hinterher und musste über ihre Worte nachdenken. Schon merkwürdig, dass es den Menschen immer wieder so verdammt schwer fiel, ehrlich zu sich selbst zu sein. Ich erinnerte mich an den gestrigen Nachmittag, wie müde und erschöpft Mimi zwischen all den Menschen am Flughafen stand. Sie wirkte beinahe verloren in diesem wunderschönen fliederfarbenen Kleid. Ihre langen kastanienbraunen Haare, umspielten ihre nackten Schultern und dieser erwartungsvolle Blick, der sich hinter ihren goldbraunen Augen versteckte, ließ mein Herz sofort höher schlagen. Vom ersten Moment an, als ich sie in dieser überfüllten Flughafenhalle sah war mir klar, dass ich niemals aufgehört habe, diese Frau inständig und aufrichtig zu lieben. Und wenn ich jetzt wirklich ehrlich zu mir selbst war, dann war sie die einzige Frau in meinem gesamten Leben, die mir jemals etwas bedeutete. Aber jetzt, beinahe acht Jahre später, hatten sich die Dinge verändert. Wir waren nicht mehr dieselben und sicherlich hatten sich ihre Gefühle von damals ebenfalls verändert. Sie sagte mir gestern Nacht zwar, dass ihr alles leid täte, aber im Grunde gab es überhaupt nichts, wofür sie sich entschuldigen musste. Denn ich war es, der zu schwach gewesen ist. Ich konnte sie nicht beschützen, ich konnte ihr nicht beistehen ich konnte nicht der Mann sein, den sie damals an ihrer Seite gebraucht hätte. Ich ließ es zu, dass andere sie verletzten. Ich ließ es zu, dass unsere damals besten Freunde uns verrieten und unsere Eltern uns daraufhin voneinander trennten. Das ohrenbetäubende Geräusch meines Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Ich nahm ab und meldete mich etwas genervt. „Guten Morgen mein Bester. Konntest du trotzdem in den Schlaf finden, auch wenn du gestern Abend leider nicht deinen Gute-Nacht-Kuss bekommen hast?“ Ich hörte das schadenfrohe Lachen in der Stimme meines besten Freundes und knurrte einige Beleidigungen ins Telefon. Aus unerklärlichen Gründen fühlte ich mich gestern Nacht unwahrscheinlich zu Mimi hingezogen und hätte sie zum Abschied wohl beinahe geküsst, doch Izzy kam dazwischen und machte mir einen Strich durch die Rechnung. Vielleicht war es auch besser so, sicherlich hätte es alles nur unnötig verkompliziert. Er hatte mir gesagt, dass Mimi weder etwas zu trinken oder zu essen im Kühlschrank hätte. Daraufhin sind wir mitten in der Nacht nochmal in den Supermarkt und haben dieser verwöhnten Prinzessin etwas besorgt. Kurzzeitig ließ mich Izzy spüren, dass er meinen Annäherungsversuch beschissen fand, aber dann kriegte er sich auch wieder ein. Eigentlich kamen wir uns beim Thema Frauen niemals in die Quere, aber Mimi war schon ein Kapitel für sich. „Keine Sorge, ich habe einen Gute-Nacht-Kuss bekommen. Mach dir mal um mein Sexleben keine allzu großen Gedanken.“ brummte ich und setzte mich auf meine Couch. „Oh, da bin ich ja beruhigt.“ gluckste er unverschämt. „Ich wollte dich fragen, wann wir uns heute treffen. Du hast doch die Villa eines Klienten über das Wochenende bekommen, richtig?“ „Der alte Nagoya war mir noch etwas schuldig, deshalb können wir seine Villa das gesamte Wochenende nutzen. Bei dieser Affenhitze brauche ich aber auch unbedingt die Abkühlung im Pool.“ Einer meiner Klienten, dem ich wie gewohnt den Arsch rettete und seine miesen Geschäftspraktiken verschleierte, war mir noch einen Gefallen schuldig. Ich hatte für heute Abend eine kleine Party organisiert und wollte zuvor den Nachmittag selbst am Pool verbringen. In der Regel nutzten Izzy und ich häufig die Anwesen meiner Klienten zum entspannen. „Vielleicht sollten wir Mimi mitnehmen. Ich hatte gestern nämlich das Gefühl, als würde sie sich etwas verloren fühlen. Es ist schwer, nach dieser langen Zeit wieder hier zu sein. Sicherlich fühlt sie sich einsam.“ Wenn es um Mimi ging, war Izzy unwahrscheinlich aufmerksam und fürsorglich. Ich lächelte etwas und legte meine Füße auf den Tisch. „Ja, das Gefühl hatte ich auch und als ich sie etwas trösten und willkommen heißen wollte, hast du mich unterbrochen. Du solltest dich schämen….“ Ich hörte ein hilfloses Seufzen und konnte mir sein genervtes Gesicht bildlich vorstellen. „Trotzdem musst du nicht jede Gelegenheit ausnutzen. Vielleicht lässt du sie erst mal aus dem Flugzeug aussteigen, bevor du über sie herfällst wie ein hungriger Wolf. “ „Also jetzt mach mal halblang, du tust gerade so, als wärst du viel anständiger als ich. Wenn ich mich richtig erinnere, gehen wir stets gemeinsam auf die jagt und du gehst sehr selten alleine nach Hause. Oder hat mich immer ein anderer Koushiro Izumi begleitet?“ Was dachte sich dieser rothaarige Klugscheißer? Er war ebenso kein Kostverächter und wir beide waren regelmäßig unterwegs, um etwas Spaß zu haben. „Wie auch immer. Wir sollten sie heute mitnehmen und ihr Gesellschaft leisten. Gesellschaft, in welcher Hosen getragen werden und Zungen im Mund verbleiben. Verstanden?“ Laut lachend hielt ich mir den Bauch, aber ich wusste genau, worauf Izzy hinaus wollte. Mimi war keine von diesen oberflächlichen Eroberungen für eine Nacht. Sie war etwas besonderes und das wussten wir beide. Izzy und ich vereinbarten, dass ich Mimi abholen und mitbringen würde, da er selbst nochmal ins Büro müsste. Während ich meine Klamotten für den Abend und meine Badesachen zusammensuchte blickte ich etwas argwöhnisch mein Spiegelbild an. In meinem Badezimmer roch es immer noch nach Annas Parfüm und dennoch konnte ich einzig und allein an diese traurigen goldbraunen Augen von Mimi denken. Ich musste mich unbedingt zusammenreißen. Wir waren nur alte Freunde und dieses merkwürdige Gefühl von Verliebtheit musste ich unterdrücken. Sie hatte mehr verdient als mich. Es sollte ein beständiger, ehrlicher und starker Mann sein, der sie auf Händen tragen würde. Kein Gefühlslegastheniker wie ich es war. Ich seufzte und knöpfte meine Bermudashorts zu. Aus dem Schrank griff ich mir ein weißes Polo Shirt und entschied mich für meine Hilfiger Espadrilles. Ich sah an mir runter und musste doch etwas schmunzeln, denn manchmal lief ich wirklich rum, wie ein stinkreicher Schnösel. Aber Geld war nun mal nichts, worüber ich mir bei meinem Job Sorgen machen musste. In der Tiefgarage setzte ich mich in mein Auto und ließ das Verdeck runter. Lässig wie immer griff ich zu meiner Sonnenbrille und fuhr nach draußen. Dieser Tag war wirklich abartig heiß. Von meinem Apartment bis zu Mimi waren es mit dem Auto und bei dem Verkehr in Tokio ganze vierzig Minuten. Gut gelaunt parkte ich den Wagen direkt vor ihrer Tür und schlenderte durchs Foyer zu den Fahrstühlen. Ob sie wohl noch schlief? Immerhin hatte sie gestern ordentlich getankt. Ich entschied mich dazu, lieber anzuklopfen und die Klingel nicht zu betätigen. Es tat sich nichts. Erneut schlug ich mit den Fingerknochen meiner rechten Hand gegen die Haustür. „Hey Prinzessin, aufgewacht die Sonne lacht!“ rief ich hinterher und schob meine Sonnenbrille ins Haar. Ich wollte gerade klingeln, als sich plötzlich die Tür öffnete. Eine völlig verschlafene Mimi blickte mich an. Sie trug lediglich Shorts und ein hautenges Tanktop. Ihr langes offenes Haar umspielte ihre Schultern und legte sich dezent über ihre Brüste. Natürlich konnte ich mir einen prüfenden Blick in ihre Körpermitte nicht verkneifen und sah deutlich, dass sie keinen BH trug. Meine Wangen mussten sich kurzzeitig rot gefärbt haben, denn ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. „Wenn du fertig bist mir auf die Brüste zu starren, könntest du mir verraten, was dich so verdammt früh vor meine Haustür treibt.“ ihr selbstgefälliger Tonfall ließ mich grinsen und wieder in ihre Augen blicken. „Meine Hübsche, es ist inzwischen Mittag und diesen wundervollen Tag solltest du nicht so ganz alleine im Bett verbringen.“ Mit einer freundlichen Geste bat sie mich ins Apartment. „Deswegen bist du zu mir gekommen? Damit du mir etwas Gesellschaft im Bett leistest, nachdem du mich gestern so abgefüllt hast?“ sie ging an mir vorbei und holte sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. Ich konnte mir einen prüfenden Blick auf ihren knackigen Hintern nicht ersparen und musste zugeben, dass sie verdammt lange Beine und überaus köstlich geformte Pobacken hatte. „Auch wenn ich dir selbstverständlich gerne Gesellschaft im Bett leisten würde, wollte ich dich eigentlich mit ins Haus eines Klienten nehmen und den Tag am Pool verbringen.“ Sie lehnte sich gegen den Küchentresen und schenkte mir ein fröhliches Lächeln. „Eine Poolparty?“ „Ja, heute Abend habe ich tatsächlich einige Leute eingeladen, aber jetzt wollte ich etwas Zeit mit dir und Izzy verbringen. Natürlich nur, wenn du noch nichts anders vor hast.“ Plötzlich stieß sie sich von der Arbeitsplatte ab und lief hinüber zum Badezimmer. Noch ehe ich tatsächlich realisieren konnte was geschah, glitten ihre Shorts zu Boden und ich konnte ihren nackten Hintern sehen. Diese unverschämte Hexe, das war also die Retourkutsche für gestern? Ich wusste, dass sie es mir noch heimzahlen würde, dafür dass ich sie gestern so nervös gemacht habe. „Dann werde ich mich mal duschen und umziehen, du kannst es dir ruhig bequem machen...“ sie blickte lasziv über ihre Schulter und streckte mir tatsächlich die Zunge heraus, bevor sie die Badezimmertür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Als sie fertig mit duschen war, verschwand Mimi mit ihrem Handtuch bekleidet im Schlafzimmer und zog sich um. Ich hatte schon aufgehört auf die Uhr zu sehen, als sich die Zimmertür, nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder öffnete. Mimi trug einen kurzen weißen Rock und ein schwarzes mit Spitze verziertes Top. Unter ihrem rechten Arm hatte sie eine kleine Reisetasche geklemmt, worin sich offensichtlich ein Handtuch und andere Utensilien, die eine Frau so benötigte befanden. Ich stand von der Couch auf und nahm ihr die Tasche ab. „Bist du jetzt endlich fertig?“ fragte ich ungeduldig und beobachtete sie dabei, wie sie in ihre Sandaletten schlüpfte. „Na hör mal, es kann ja nicht jeder so nobel angezogen sein wie Herr Rechtsanwalt von und zu Yagami.“ Autsch, das hatte tatsächlich gesessen, aber ich lächelte und ließ ihr diesen kleinen Sieg. Ich platzierte ihre Tasche auf dem Rücksitz und öffnete ihr die Beifahrertür. Etwas verwundert sahen mich ihre funkelnden goldbraunen Augen an. „Vielen Dank...“ murmelte sie und ich konnte den süßlichen Duft ihrer frisch gewaschenen Haare riechen. Warum war ich gerade so nervös? Eigentlich war es doch nichts besonderes mit ihr zusammen zu sein? Na gut, vielleicht war es etwas länger her, aber sie war doch noch immer die alte Freundin aus Kindertagen. „Warum kannst du das Haus eines Klienten nutzen?“ durchbrach ihre zarte Stimme die Stille zwischen uns. „Er war mir noch etwas schuldig.“ „Dein Klient war dir noch etwas schuldig? Bezahlen dich deine Klienten etwa nicht mit Geld?“ ich hörte den unterschwelligen Spott in ihrer Stimme. „Grundsätzlich bezahlen mich meine Klienten mit Geld, wie du unschwer an meiner Kleidung und meinem Auto erkennen kannst. Aber in diesem Fall habe ich ihn aus einer Sache rausgeboxt, bei der er ganz offensichtlich schuldig gewesen ist.“ Kurz sah ich prüfend zu ihr rüber, aber das was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht. Ihre Augen blickten mich enttäuscht an. Ich dummer Idiot, sie war ja keine von diesen oberflächlichen Weibern, die lediglich auf mein Geld scharf waren. Sie kannte einen anderen Taichi Yagami, einen, der sich lieber beide Hände abgehackt hätte, als solche miesen Geschäftsmänner aus ihren kriminellen Machenschaften heraus zu hauen. „Wann bist du denn so ein Anwalt geworden? Ein Anwalt, der Verbrecher verteidigt, die schuldig sind? Früher hast du solche Menschen zutiefst verachtet.“ ihre Worte trafen mich unerwartet hart. Meine Kehle war staubtrocken und ich musste meinen Blick von ihr abwenden. Ich spürte ihre Verachtung auf meiner Haut und hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme. Irgendwie schon verrückt, wie sehr ich mich daran gewöhnt hatte, diese Maske zu tragen. Die Maske eines erfolgreichen, ungebunden, unnahbaren Rechtsanwaltes. Aber im Inneren war ich meilenweit davon entfernt, so ein eiskalt kalkulierbarer Karrieremensch zu sein. Ein bitteres Lächeln schob sich über meine Lippen. „Ich hatte vergessen, dass du mich seit Kindertagen kennst. Auch wenn du denkst, ich wäre so ein gewissenloser, geldgieriger Rechtsverdreher, so ist es doch etwas anders. Ich komme nur sehr selten dazu, den Menschen um mich herum diese andere Seite von mir zu zeigen.“ ich nahm meine Sonnenbrille ab und sah sie ernst an. „Ich haue diese Verbrecher tatsächlich raus. Helfe ihnen dabei, ihr Vermögen zu behalten und ihre miesen Machenschaften zu verstecken, aber nur unter der Prämisse, dass sie einen erheblichen Teil ihres Vermögens spenden müssen und zwar in verschiedene Fonds. Das Geld wird dann dafür verwendet, um Kindern in Südamerika und Südostasien zu helfen.“ Mimi blieb unerwartet still und ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht richtig deuten, also konzentrierte ich mich wieder auf die Straße. „Also bist du am Ende trotzdem ein Verbrecher. Du stiehlst das Geld von den Reichen, um es den Armen und Bedürftigen zu geben.“ sie klang freundlich und ein prüfender Blick verriet mir, dass sie mich anlächelte. „Na ja, was soll ich sagen? Das macht mich wohl zu einem neumodischen Robin Hood?“ ich lachte verlegen und fuhr mir nervös durch mein Haar. Auf einmal spürte ich ihre Finger in meinem Nacken. Etwas nervös sah ich zu ihr und lächelte unsicher. „Ich wusste, dass du nicht so ein Anwalt bist. Auch wenn wir uns über die Jahre verändert haben, bleiben wir im Grunde unseres Herzen doch immer gleich, oder? Du bist schon immer ein Mensch gewesen, der sich schützend für die Schwächeren einsetzte, ohne dabei an sich selbst zu denken und diese Eigenschaft machte dich für mich immer so besonders. Heute benutzt du dafür eben nur mehr deinen Kopf, als deine Fäuste.“ Verdammt, ich wurde schon wieder rot und bekam eine Gänsehaut von ihren Fingern in meinem Nacken. Blieben wir denn tatsächlich im Grunde unseres Herzens immer gleich, auch wenn uns das Leben immer wieder auf harte Proben stellte? War ich noch immer derselbe, der sich uneigennützig schützend für die Schwächeren einsetzte, oder versuchte ich lediglich mein eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen? Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte, aber ihr fröhlicher Gesichtsausdruck schien auch keine Antwort von mir zu erwarten. Wir verließen den überfüllten Stadtkern und fuhren in den Norden Tokios. Nach und nach reihten sich kleine Einfamilienhäuser aneinander und die riesigen Apartmentkomplexe verschwanden hinter uns. Die Straßenzüge wurden grüner und auch der Himmel schien endlich wieder blau zu sein. Ich fuhr mit dem Wagen direkt in die Einfahrt und parkte neben Izzy. Mimi stieg freudig aus und bewunderte das riesige Anwesen. „Hey Kumpel...“ begrüßte ich meinen besten Freund mit einem leichten Schlag auf die Schulter, als er uns auf der Treppe entgegen kam. „Na ihr beiden? Ihr habt aber lange gebraucht.“ entgegnete der Rothaarige und löste sich gerade aus der Umarmung mit Mimi. „Tja, die Prinzessin benötigte etwas mehr Zeit, um sich zurecht zu machen.“ Mimi schenkte mir einen zornigen Blick, bevor sie durch den Garten direkt auf den Pool zusteuerte. Noch bevor Izzy und ich etwas sagen konnten, schmiss sie ihre Klamotten von sich und sprang laut kreischend ins kühle Nass. Ich musste lachen und beobachtete, wie sie auftauchte und ihre nassen Haare hinters Ohr strich. Sie trug einen ungewöhnlichen Badeanzug. An der rechten Seite war der schwarze Stoff komplett geschlossen aber auf der linken Seite war er zwischen Brust und Hüfte großzügig ausgeschnitten, sodass man die nackte Haut ihrer linken Körperhälfte und ihres Bauches deutlich sehen konnte. Das eiskalte Wasser, welches mir mit einem Mal gegen die Brust spritzte, riss mich aus meinen Gedanken. „Was ist mit euch los? Haben die Herrschaften etwa Angst sich nass zu machen?“ fragte sie kess und streckte uns die Zunge heraus. „Na warte du alte Hexe!“ fauchte ich grinsend und zog mir mein Shirt über den Kopf, um dann mit Anlauf ins Wasser zu springen. Sie kreischte und quietschte wie ein kleines Mädchen, als ich sie immer wieder packte und unter die Wasseroberfläche drückte. Es war völlig aussichtslos, aber Mimi probierte es hartnäckig, mich ebenfalls unterzutauchen. Mir entlockten ihre verzweifelten Versuche nur ein müdes Grinsen. Doch plötzlich packte mich jemand hinten im Nacken und im selben Moment zog mir Mimi unter Wasser die Beine weg. Als ich wieder auftauchte und um Atem rang sah ich, wie Izzy und Mimi sich den Bauch hielten vor lachen. Dieser hinterhältige Rotschopf hatte doch tatsächlich mit dieser Zimtziege gemeinsame Sache gemacht. „Rache ist süß Izumi...“ verkündete ich diabolisch und stürzte mich in eine wilde Wasserschlacht mit beiden. Wenn uns jemand beobachtet hätte, hätte er wohl gedacht, dass wir gerade mal 15 Jahre alt waren. Aber seit unendlich langer Zeit fühlte ich mich so unbeschwert wie ein kleiner Junge. Ich genoss es mit meinen beiden besten Freunden zusammen zu sein, egal wie kindisch wir uns aufführten. Außerdem war es unerwartet reizvoll, Mimi ständig zu berühren und ihre nackte Haut unter meinen Fingern zu spüren. „Ich kann nicht mehr! Ich beiden ertränkt mich bald!“ japste sie und stützte sich mit beiden Armen am Beckenrand ab, um aus dem Pool zu steigen. Izzy und ich folgten ihr und legten uns nebeneinander auf die Liegen. Sie lag zwischen uns und die Sonne feuerte erbarmungslos auf uns nieder. Mimi hatte sich irgendwann auf den Bauch gedreht und schien zu dösen. Auch Izzy hatte seine Augen geschlossen und beide Hände hinter seinen Kopf gelegt. Ich beobachtete, wie sich Mimis Rücken bei jedem Atemzug gleichmäßig hob und senkte. Ihr langes Haar hatte sie über ihre linke Schulter gelegt. Der Badeanzug umspielte die Silhouette ihres Körpers und ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihr abwenden. Als ich ihren Körper das letzte Mal so gesehen habe, war sie noch ein Mädchen, ein Teenager und jetzt war sie, ganz ohne jeden Zweifel, eine wunderschöne Frau. Der Nachmittag verging für meinen Geschmack viel zu schnell. Die ersten Gäste trafen bereits ein und ich setzte wie gewohnt die Maske des versierten Rechtsanwaltes auf. Es kamen einige Kollegen aus der Kanzlei, ehemalige Klienten und andere unliebsame, aber deshalb nicht weniger bedeutende Bekannte. Zu Beginn meiner Karriere war es ungemein wichtig, den oberen Zehntausend tief in den Arsch zu kriechen, sodass ich für die Kanzlei Mandate an Land zog. Aber inzwischen eilte mir mein Ruf voraus, sodass ich es keineswegs mehr nötig hatte, für mich und meine Qualifikationen zu werben. Dennoch erinnerte mich Izzy immer wieder daran, dass ich nicht gänzlich als Arschloch durch die Welt ziehen konnte und mir einige Kontakte aufrecht erhalten sollte. Als Leiter der IT - Abteilung hatte mein bester Freund nichts auszustehen, außer ordentlich Geld zu scheffeln und ab und an einige Server von gegnerischen Parteien zu knacken. Der Vorstandsvorsitzende nutzte in letzter Zeit auch des Öfteren seine Fähigkeiten dahingehend, dass Izzy spezifische Software für die Kanzlei entwickeln sollte. Ich hatte im Grunde überhaupt keine Ahnung von seiner Arbeit und anders herum schien es wohl genauso zu sein. Eigentlich hatten wir beide einen ziemlich steilen Aufstieg hingelegt. In nur zwei Jahren hatte ich mich zu einem hoch angesehenen Partner in der Kanzlei etabliert und Izzy schaffte es ,durch seine außerordentlichen Fähigkeiten, innerhalb weniger Monate zum Leiter der gesamten Abteilung. Ich hasste solche blasierten Veranstaltungen und versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Izzy unterhielt sich im Wohnzimmer gerade mit einigen Kollegen, als ich zwei ehemalige Schulkameradinnen begrüßte. Seitdem ich ihre beiden Ehemänner in einem riesigen Betrugsfall verteidigt hatte, bekam ich diese zwei grässlichen Krähen nicht mehr los. Raiko und Hiromi waren eine Klassenstufe unter mir und somit in einer der Parallelklassen von Mimi und Izzy gewesen. Ihre überschwängliche Begrüßung ekelte mich an. Ich hasste es, wenn die Menschen so taten, als seien sie meine besten Freunde, nur weil sie mich von früher kannten. Schnell verzog ich mich in die Küche, um noch ein paar Flaschen Champagner zu besorgen. Verwundert sah ich, dass Mimi in ihrem Badeanzug an der Küchenspüle stand und einige Gläser säuberte. „Was machst du denn da?“ fragte ich grinsend und legte ihr sachte meine Hand auf die Schulter. „Es waren keine sauberen Gläser mehr übrig und die Spülmaschine braucht viel zu lange, also wollte ich schnell ein paar Gläser spülen.“ sie schenkte mir ein zuckersüßes Lächeln. „Warte, ich helfe dir...“ antwortete ich und schnappte mir das Geschirrtuch, um die Gläser abzutrocknen. „Du bist ein furchtbar schlechter Gastgeber, es gibt ja nicht mal was zu essen...“ Mimi grinste frech und spritzte mir etwas Spülwasser ins Gesicht. „Mir doch egal. Die sollen bloß nicht zu lange bleiben. Alkohol ist völlig ausreichend und wenn dieser auch noch in so liebevoll gespülten Gläsern serviert wird, gibt es jawohl nichts auszusetzen.“ Ich stieß mit meiner Hüfte gegen ihre und spritzte ebenfalls etwas Wasser in ihr Gesicht. „Hast du denn schon gesehen, dass Mimi Tachikawa hier ist?“ wir beide erstarrten in unserem Spiel, als wir von draußen diese beiden Stimmen hörten. Offenbar standen Raiko und Hiromi im Flur und da die Küche zum Flur hin durchgängig war hörten Mimi und ich jedes einzelne Wort, das die beiden miteinander wechselten. „Ja unglaublich, oder? Die traut sich was, hier nach all den Jahren aufzutauchen!“ „Sie soll doch eine Affäre mit einem Lehrer gehabt haben und dann Hals über Kopf mitten im Schuljahr der 10. Klasse verschwunden sein.“ „Nicht nur eine Affäre. Ich habe gehört, dass sie sogar schwanger gewesen sein soll und ihr Vater sie dann aus der Schule raus nahm und mit der gesamten Familie in die USA verschwand.“ „Es ist wirklich unfassbar, sie ist immer noch dieselbe Schlampe wie damals. Hast du ihren Badeanzug gesehen? Was soll das werden? Will sie jetzt Yagami rumkriegen? Sie war doch schon immer so ein Flittchen und hat sich an jeden Typen rangemacht.“ „Tja, wenn man sonst nichts kann, muss man sich wohl einen reichen Ehemann suchen, der einen dann aushält...“ Ich war völlig erstarrt über das, was die beiden da so schonungslos miteinander besprachen. Sie wussten nicht, dass Mimi und ich einige Meter entfernt standen und alles hörten. Mein Herz raste vor Wut und ich konnte mich kaum beherrschen. Es fehlte nicht viel und ich wäre nach draußen gestürmt, um den Beiden ordentlich meine Meinung zu sagen, als ich plötzlich das Zerbrechen eines Glases hörte. Erschrocken sah ich zu Mimi. Ich hatte sie in meinem Rausch aus Zorn völlig ausgeblendet, aber sie stand ja immer noch neben mir. In ihrer rechten Hand hielt sie den abgebrochenen Stiel des Weinglases. Sie schien unverletzt zu sein, aber bei dem Anblick ihres Gesichts lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Ihre Augen waren weit aufgerissen und wirkten völlig leer. Angespannt zitterten ihre Hände, in denen sie das zerbrochene Glas hielt. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre und schob die Scherben aus ihrer Handfläche. Ich konnte ohne große Mühe erkennen, wie sehr sie mit sich selbst kämpfte. Sie wollte nicht weinen, sie wollte keine Schwäche zulassen und doch zeigte jede einzelne Faser ihres Körpers, wie verletzt sie war. Als würde ich neben mir stehen, hörte ich nur beiläufig, dass die beiden Frauen im Begriff waren die Küche zu betreten und sich noch ein Glas Champagner zu holen. Mimi rieb sich panisch über das Gesicht und fing an wie Espenlaub zu zittern. Sie wollte sich verstecken, einfach nur davon laufen. Ich sah die Panik in ihren Augen. Wie ein angeschossenes Reh versuchte sie, vor den Wölfen zu flüchten, doch es gab kein Entkommen. Ich vermag nicht mehr genau zu beschreiben, was damals mit mir geschah. Was in meinem Kopf vorging, aber ich konnte an nichts anderes denken, als daran, sie zu beschützen. Auf keinen Fall wollte ich, dass diese gehässigen Weibsbilder ihre verletzte Seite sahen und Mimi dadurch noch viel mehr demütigten als ohne hin schon. Ich zog mein Shirt aus und beförderte es kurzerhand über ihren Kopf. Fassungslos starrte mich Mimi an, als ich mich mit dem Rücken gegen die Küchenspüle lehnte und sie an meine Brust zog. Mimi stand nun mit ihrem schmalen Rücken zum Flur, sodass niemand ihr Gesicht sehen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke, bevor ich mich zu ihr beugte und sie zärtlich küsste. Ich schmeckte ihre salzigen Tränen auf ihren Lippen und spürte ihren zitternden Körper in meinen Armen. Zärtlich streichelte ich über ihren Rücken und versuchte ihr so ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Bevor ich meine Augen schloss, sah ich die dämlichen Gesichter von Raiko und Hiromi, die mit hochrotem Kopf in der Küche standen und unseren Kuss beobachteten. „Oh, wir wollten nicht stören...“ stammelte Raiko lachend und zog ihre Freundin am Arm wieder zurück in den Flur. „Da hat sich Yagami aber wieder schnell eine Flamme aufgerissen!“ „Diesmal eine Brünette, wo er doch sonst eher auf Blondinen steht...“ Ich konnte das dämliche Gerede und Lachen der beiden noch solange hören, bis sie endlich wieder irgendwo im Garten verschwunden waren. Doch im Grunde war es mir egal, denn meine Aufmerksamkeit galt einzig und allein der Frau in meinen Armen und dem atemberaubenden Kuss, den wir soeben miteinander teilten. Auch wenn Mimi zunächst nicht darauf einstieg und sichtlich überrumpelt wirkte, spürte ich irgendwann ihre Zunge, die sanft gegen meine stieß. Ohne länger darüber nachzudenken fuhren meine Hände hinauf zu ihrem Haar. Meine Finger vergruben sich in ihren langen kastanienbraunen Strähnen und ich sog den süßlichen Duft ihres Haares gierig in mich auf. Es war ein Kuss. Ein einfacher Kuss und doch weckte er so viele Emotionen in mir. Es war lange her, dass ich eine Frau so leidenschaftlich küsste. Es war überhaupt lange her, dass ich eine Frau geküsst habe. Verdammt, es war lange her, dass ich sie geküsst habe. Keine Ahnung wie lange wir so innig ineinander verschlungen in der Küche standen und uns küssten, aber es war Mimi, die sich schließlich von mir löste. Ich öffnete langsam meine Augen und rang kurz nach Atem. Sie blickte zu Boden und so war es mir unmöglich ihr Gesicht zu sehen. Ihre Hände lagen flach auf meiner Brust. Es war kein Zittern mehr zu spüren, einzig das leise Geräusch ihres gleichmäßigen Atems konnte ich vernehmen. „Danke...“ flüsterte sie kaum hörbar. Unbeholfen starrte ich sie an und drückte ihr Kinn mit meiner linken Hand nach oben. Ich wollte sie sehen, in ihre Augen blicken und wissen, was sie fühlte. Was war das gerade zwischen uns gewesen? Einfach nur ein Kuss unter Freunden oder doch mehr? Verschämt wich sie meinem Blick aus und vorsichtig wischte ich die letzten Reste ihrer Tränen weg. „Du musst diese dämlichen Weiber ignorieren. Nur wir beide wissen einzig und allein was damals wirklich passiert ist.“ Scheiße! Hatte ich das jetzt wirklich gerade laut ausgesprochen? Ihre goldbraunen Augen trafen mich wie scharfe Messerspitzen und ich sah deutlich, dass ich soeben eine längst verblasste Narbe aufgerissen hatte. Ich erzitterte bis ins tiefste Mark, als ich sah, wie aus ihren verloren Augen dicke Tränen kullerten. Schluchzend presste sie ihre Hände gegen ihre Lippen und versuchte sich zu beruhigen, aber es half nichts. Plötzlich war ich derjenige, der anfing zu zittern. Hastig zog ich sie an meine Brust und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. „Entschuldige...“ flüsterte ich mit brüchiger Stimme. Doch anstatt einer Antwort hörte ich nur ihr verzweifeltes Schluchzen und spürte, wie sich ihre Fingerspitzen in die nackte Haut meines Rückens bohrten. „Es ist nicht deine Schuld...“ keuchte sie gegen meine Brust und ich öffnete erschrocken meine Augen. „...wahrscheinlich haben die beiden recht damit. Was sollen sie auch sonst von mir denken?“ Hatte ich das jetzt richtig verstanden? Was lief denn jetzt verkehrt? Mit überhaupt nichts hatten diese elendigen Schlampen recht. Wie konnte Mimi sich dieses Geschwätz annehmen? Niemand hatte das Recht über einen anderen zu urteilen und schon gar nicht dann, wenn er die Wahrheit überhaupt nicht kannte. Sanft drückte ich Mimi von mir weg und sah sie lächelnd an. „Vielleicht machst du dich kurz etwas frisch, ich bringe dich ins Schlafzimmer, dort ist ein separates Badezimmer. Nimm dir etwas Zeit, ich bin gleich wieder da.“ Auch wenn es total bescheuert wirkte, aber ich musste sie jetzt alleine lassen. Ich konnte es nicht länger aushalten, sie so verletzt zu sehen. Meine Wut vernebelte mir völlig die Sinne und ich konnte mich keine weitere Sekunde zusammen reißen, also blieben mir nur zwei mögliche Optionen. Entweder würde ich vollständig ausrasten oder aber Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich stürmte durchs Wohnzimmer und packte Izzy an der Schulter. Etwas entsetzt über meinen harten Griff, starrte mich mein bester Freund ratlos an. „Bitte geh ins Schlafzimmer zu Mimi, ich bin gleich bei euch...“ mit diesen Worten ließ ich ihn stehen und eilte nach draußen zum Pool. Die beiden Weibsbilder standen gerade mit einigen anderen Gästen zusammen und unterhielten sich angeregt. Mit einem freundlichen Lächeln legte ich meine Arme um die Beiden und löste sie aus der Menge. „Ich glaube, ihr beiden wolltet gerade gehen.“ sagte ich überaus freundlich und manövrierte die beiden in Richtung Einfahrt. „Was? Nein, wie kommst du denn darauf? Wir sind doch erst gekommen!“ meinte Raiko und fing an zu lachen. „Oh ich bin ganz sicher, dass ich gerade gehen wolltet.“ Ich öffnete die Tür ihres Autos und forderte sie mit meinem beinahe schon bedrohlich ernsten Blick dazu auf einzusteigen. „Was ist denn passiert? Wir wollten dich und deine Flamme nicht stören. Warum so wütend?“ fragte Hiromi und ließ das Fenster runter. Lässig und mit einem süffisanten Grinsen lehnte ich mich ins Auto. Diese dummen Idiotinnen hatten Mimi tatsächlich nicht erkannt. Sie dachten also wirklich, ich hätte mit irgendeiner unbekannten Frau rumgeknutscht. „Wenn ich nur noch ein einziges Mal höre oder mitbekomme, dass ihr in dieser Art und Weise über Mimi sprecht, werdet ihr mich nicht nur wütend erleben.“ Beide starrten mich erschrocken an. „Aber wir...“ ich ließ sie überhaupt nicht zu Wort kommen. „Ihr erlaubt euch ein Urteil über Menschen, die ihr überhaupt nicht kennt. Kein Stück wisst ihr über sie oder über mich. Vielleicht solltet ihr eure Zeit vielmehr damit verbringen auf euch selbst zu schauen, bevor ihr euch die Mäuler über andere zerreißt. Vielleicht sollte sich Raiko die Frage stellen, warum ihr Mann jeden Dienstag und Donnerstag Überstunden machen muss und ihre beste Freundin Hiromi an diesen Tagen ebenfalls keine Zeit hat. Möglicherweise weil sich die beiden an diesen Tagen im Hotel zum vögeln treffen? Aber vielleicht vermutet Raiko das schon länger und hat deshalb vor wenigen Monaten eine Affäre mit dem Mann ihrer besten Freundin angefangen?“ mit jedem Wort, das ich von mir gab, entglitten ihre dummen Gesichter mehr und mehr. „Schon unfassbar was die Menschen alles so erzählen, wenn sie in der Klemme sitzen. Was mir meine Klienten erzählen, nur um ihren eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Eure Männer haben weder vor euch, noch vor sich selbst Respekt. Alles was sie in ihrem Leben schätzen sind Geld und Macht und ihr lebt doch recht gut damit...“ Ich beugte mich tiefer nach unten und sah den beiden noch immer lächelnd ins Gesicht. „...die einzigen Schlampen die ich hier sehe seid ihr, fickt gegenseitig mit euren Männern rum und nennt euch beste Freundinnen? Ihr wisst doch überhaupt nichts von Freundschaft.“ Ich lehnte mich zurück und ließ meine Hände lässig in meine Hosentaschen gleiten. „Ich gehe recht in der Annahme, dass wir damit übereinkommen, dass ich nie wieder etwas von euren diffamierenden Anschuldigungen gegenüber Mimi Tachikawa höre, denn ansonsten wird wohl jeder von euren bedingt treuen Ehemännern und deren wenig rühmlichen Geschäften erfahren.“ Die zwei Frauen starrten schweigend vor sich hin und ich bekam nur ein kurzes Nicken als Bestätigung. Wütend schlug ich gegen die Wagentür und hob meine Stimme. „Haben wir uns verstanden ihr verfluchten Dreckstücke?“ Ängstlich zuckten beide zusammen und stammelten ein leises »Ja« in meine Richtung. „Na also, geht doch. Dann fahrt schön vorsichtig nach Hause.“ Ich drückte ihnen noch eines meiner freundlichsten Lächeln entgegen bevor ich zurück ins Haus ging. Nach diesem Zwischenfall hatte ich auf keine dieser Scheißfressen noch Bock und schickte alle unter einem fadenscheinigen Vorwand nach Hause. Ich sagte, dass ich mich umgehend mit einem wichtigen Klienten treffen müsste, der plötzlich in Untersuchungshaft saß. Als ich endlich den letzten Gast aus der Haustür befördert hatte, ging ich nach oben und wollte endlich nach Mimi sehen. Die Schlafzimmertür war leicht geöffnet. Scheinbar hatte Izzy beim Betreten des Zimmers vergessen diese wieder zu schließen. Es war totenstill im Haus und ich konnte noch immer das markerschütternde Schluchzen von Mimi hören. Ich wollte die Tür soeben öffnen, als sich mir ein Bild bot, welches mich erstarren ließ. Mimi saß weinend auf der Kante des Bettes und vor ihr auf dem Fußboden kniete Koushiro und hielt zärtlich ihre beide Hände mit seinen umschlossen. Die Art und Weise, wie er sie ansah, wie seine Augen hilflos versuchten ihr etwas zu sagen. Ich habe noch nie einen solchen Blick bei ihm gesehen. Überhaupt hatte ich die beiden noch nie so vertraut miteinander gesehen. Mimi löste eine Hand von ihm und streichelte ihm beinahe liebevoll über sein Haar. Er hingegen wischte ihr vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht und lächelte sie an. Beide sprachen kein Wort miteinander, aber das brauchten sie auch nicht. Ohne Probleme konnte ich erkennen, was sein Blick ihr mitteilen wollte. Sein sehnsüchtiger Blick. Ich konnte nicht länger hinsehen und lehnte mich gegen die Wand des dunklen Flurs. Mit einem Mal fühlte ich mich erstarrt, einsam, hilflos und mein verfluchtes Herz schmerzte in meiner Brust. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass er es war, der die letzten Jahre an ihrer Seite gewesen ist. Ihr bester Freund, ihr engster Vertrauter, ihre Zuflucht und in all den Jahren hätte ich niemals gedacht, dass mein bester Freund solche Gefühle für sie hatte. Vielleicht wollte ich es auch nicht wahrhaben, vielleicht täuschte ich mich auch jetzt in diesem Moment, aber egal was es war, es war mehr als Freundschaft. Und auch wenn es mich jetzt unendlich schmerzte, vielleicht war es auch richtig so. Das mit mir und Mimi war so lange her. Wir hatten uns verändert, unsere Gefühle, unsere Leben, vielleicht waren es nur die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit mit ihr. An eine glückliche Zeit mit ihr, die mich glauben ließen, dass ich noch immer diese Gefühle in meinem Herzen trug, dass ich sie noch immer liebte. Routiniert setzte ich mein Lächeln auf und öffnete die Tür. Beide sahen mich fragend an und ohne ihnen eine Antwort zu geben, packte ich Mimi und trug sie unter lautem Protest nach draußen. „Hey Tai, was soll das?“ rief Izzy und lief mir hinterher. „Lass mich runter! Bist du bescheuert?“ fauchte sie laut und schlug mit ihren Fäusten gegen meinen Rücken. „Ich kann eure traurigen Gesichter nicht ertragen!“ sagte ich schließlich und warf Mimi von meiner Schulter direkt ins Wasser. Völlig fassungslos stand mein bester Freund neben mir und konnte überhaupt nicht so schnell reagieren, wie er ebenfalls von mir kurzerhand in das kalte Wasser befördert wurde. Mit Anlauf sprang ich den beiden hinterher und für in dem kurzen Moment, den ich unter Wasser war, gab ich mich meiner Traurigkeit hin, doch als ich wieder die Oberfläche erreichte und nach Atem schnappte, blickte ich in das lachende Gesicht meiner Freundin. Allein für dieses unbeschwerte Lachen hatte sich dieser Abend gelohnt. „Wenn man dich zum Freund hat, dann braucht man keine Feinde...“ sagte Mimi noch immer lachend und zog sich mein klitschnasses Shirt über den Kopf. „Dieses kleine bisschen Freundschaft ist mir soviel mehr wert, als alle Bewunderung der Welt.“ antworte ich leise. Ich spürte den fragenden Blick meines besten Freundes auf meiner Haut, dennoch sah ich nicht zu ihm. Mimi schwamm zu mir rüber und strich mir sachte durchs Haar. Ihre Augen wirkten dankbar und ihr Lächeln schien nicht gespielt zu sein und trotzdem konnte ich nicht vergessen, wie zärtlich sie noch vor wenigen Minuten Izzy auf die selbe Weise durchs Haar streichelte. „Das hast du schön gesagt Tai, dann werde ich dir diesen kleinen Fehler wohl vergeben...“ „Ein sehr guter Freund sagte einmal zu mir, dass man in der Freundschaft nicht sehr weit kommt, wenn man nicht bereit ist, kleine Fehler zu verzeihen.“ Ich sah zu Izzy, der bereits aus dem Pool geklettert war und am Stoff seiner nassen Hose zupfte. Er stand mit dem Rücken zu uns. Mimi folgte meinem Blick und lächelte zufrieden. „So ein kluger Freund, den du da hast...“ Er drehte sich zu uns um und streckte uns beiden die Zunge raus. „Bei soviel Blödheit, muss ja einer von uns Dreien etwas mehr als Luft und Kartoffelbrei im Kopf haben. Sehr schlau, mich mit meinen Klamotten ins Wasser zu werfen. Wie soll ich denn heute nach Hause kommen?“ Lachend lehnte ich mich gegen den Beckenrand und spritzte Mimi mit meinen Füßen etwas Wasser ins Gesicht. „Dann fährst du einfach nackt oder wickelst dir ein Handtuch um...“ Ich war im Moment wirklich gemein und irgendwie hatte er es wohl überhaupt nicht verdient, aber es ärgerte mich, dass er Mimi so nahe stand. Verdammt, ich war wirklich ein schrecklich ungerechter Freund. „Oder du leihst mir einfach eines der Kleidungsstücke deiner unzähligen Affären, die du regelmäßig mit hier raus bringst.“ Hatte er das jetzt tatsächlich laut ausgesprochen? Wenn mein Blick getötet hätte, dann wäre er sofort, so wie er dort vor mir stand umgefallen. Aber irgendwie schien es Mimi überhaupt nicht zu erschüttern. Ich hörte ihr sanftes Lachen und wie sie ebenfalls aus dem Wasser kletterte. Geschmeidig ließ sie ihre Beine vom Rand hängen und sah mich herausfordernd an. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der erfolgreiche Rechtsanwalt, so ziemlich jede Frau in der Stadt durch hat und zu meinem Bedauern muss ich anmerken, dass dies mein Bild des heroischen Robin Hood deutlich trübt.“ Mein bester Freund stellte sich neben Mimi und ich sah das schadenfrohe Grinsen in seinem dämlichen Gesicht. „Er vergleicht sich mit Robin Hood? Dabei knutscht er doch mit jeder herum, eher wie Casanova.“ Wenn er jetzt nicht sofort seine dämliche Fresse halten würde, dann müsste ich ihn tatsächlich ins Wasser ziehen und hier in diesem Pool ertränken. Mimi brauchte nun wahrlich nicht alles von unseren gemeinsamen Aufreiß-Touren zu erfahren und ich würde Izzy zum Schweigen bringen, so wahr mir Gott helfe. Ich zog mich ebenfalls aus dem Wasser und setzte mich den beiden gegenüber an den Rand. Meine Augen suchten im glimmenden Schein der Außenbeleuchtung nach ihren goldbraunen Augen. „Vielleicht habe ich tatsächlich so einige Gelegenheiten genutzt, wobei ich da nicht der Einzige bin...“ strafend sah ich zu Izzy und spürte seinen mahnenden Blick. „...aber ich küsse nicht jede Frau. Auch dann nicht, wenn ich mit ihnen eine Affäre habe. Ich küsse lediglich besondere Frauen oder aber alte Freunde.“ Ich hielt kurz Inne und versuchte ihren verwunderten Gesichtsausdruck etwas länger zu genießen. Danach stand ich auf und fuhr mir durchs nasse Haar. Ich wusste nicht, was sie dachte, was sie über unseren Kuss dachte, was sie für mich oder Izzy empfand. Ich wusste nicht, ob wir nur Freunde waren oder viel mehr als das. Eigentlich wusste ich überhaupt nichts und ich kam mir vor wie ein Volltrottel. „Du solltest Mimi nach Hause fahren. Oben sind sicherlich noch einige Klamotten, die du dir ausleihen kannst. Ich werde hier noch für Ordnung sorgen...“ Beide folgten mir nach drinnen und am liebsten hätte ich mich hinter irgendeiner Tür verkrochen. Ich wollte alleine sein, nicht länger diese Maske tragen und mein fröhliches Gesicht machen. „Aber wir können dir doch noch helfen. Du solltest nicht alles alleine aufräumen...“ Ihre Stimme klang stets so sanftmütig und doch konnte ich sie jetzt nicht länger ertragen. „Nein schon gut. Ihr habt noch eine längere Fahrt. Ich muss nur nach Shibuya...“ Keine Ahnung ob Izzy erkannte, dass es mir nicht sonderlich gut ging oder ob er einfach die Chance nutzen wollte mit ihr alleine zu sein. „Okay, ich hole mir von oben etwas zum anziehen und wir fahren nach Hause. Sehen wir uns morgen?“ fragte er und ich konnte nicht länger den Zorn in meiner Stimme verbergen. „Keine Ahnung. Ich glaube aber eher nicht, ich bin mit meiner Schwester verabredet...“ Ich drehte ihm den Rücken zu, wich seinem fragenden Blick aus und verschwand in der Küche. Mimi schien etwas verwundert im Wohnzimmer stehen zu bleiben. Wahrscheinlich spürte man die hitzige Spannung zwischen mir und Izzy und sie konnte nicht einschätzen weshalb ich so angefressen reagierte. Wenige Sekunden später hörte ich ihn aus dem Schlafzimmer kommen und einige Worte mit Mimi wechseln, danach ging er nach draußen und stieg ins Auto. Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen die Kühlschranktür. Was war nur los mit mir? Ich tat gerade so, als hätte er mir mein Spielzeug weggenommen. Wie ein kleiner bockiger Junge führte ich mich auf und wusste selbst nicht warum. „Tai?“ Ihre Stimme ließ mich zusammenzucken und ich drehte mich fragend zu ihr um. Sie hatte sich inzwischen auch wieder ihre Klamotten angezogen und schien etwas besorgt zu sein. „Alles in Ordnung mit uns? Bist du wütend?“ Ich lächelte und schüttelte mit dem Kopf. Sie war so feinfühlig und selbst nach all den Jahren sah sie es mir sofort an. Es war mir noch nie möglich gewesen, irgendwas vor ihr zu verbergen. Vielleicht waren wir uns in diesem Punkt einfach zu ähnlich. Obwohl ich mein Pokerface inzwischen perfektioniert hatte schien es, dass Mimi trotzdem hinter die Fassade blicken konnte. „Ich möchte mich nochmal bei dir bedanken. Vielen Dank für diesen Nachmittag und...“ Sie lächelte verlegen und sah zu Boden. „...Gute Nacht.“ Damit ließ sie mich alleine in der Küche zurück. Aus dem Fenster konnte ich beobachten, wie sie in seinen weißen Toyota Avalon einstieg. Es war natürlich ein Hybrid. Wie konnte man nur einen Hybrid fahren und dann auch noch ein japanisches Auto? Bei seinem Gehalt hätte er Porsche fahren können, aber so war Izzy eben. Vielleicht ein wissbegieriger, etwas gleichgültiger Snob aber ganz gewiss kein Poser. Und was war ich? Ein eifersüchtiger, arroganter, unbedachter Feigling, der seine Unsicherheit hinter einer Maske aus Überheblichkeit versteckte. Ich hätte sie nicht küssen dürfen, ich hätte die beiden nicht so sehen dürfen. Denn scheißegal was wir waren, uns Drei verband soviel mehr als Freundschaft. Nach all den Jahren waren wir alles, aber gewiss nicht nur alte Freunde. Kapitel 3: Zusammen ist man weniger allein (Mimi) ------------------------------------------------- Dieser gesamte Abend war absolut beschissen verlaufen. Wie konnte es nur dazu kommen, dass ich diesen Kuss zuließ? Was ist da zwischen mir und Tai passiert? Es war kein Kuss, nur um mich zu schützen und mein Gesicht zu wahren. Die Art wie er mich küsste, war leidenschaftlich und beinahe schon sehnsüchtig. Zuletzt sprach er sogar davon, dass er nicht jede Frau küsste, sondern nur ganz besondere oder aber alte Freunde. Was war ich denn für ihn? Die Besondere oder die alte Freundin? Was ich mir ebenfalls nicht erklären konnte war, wann seine Stimmung dermaßen kippte. Plötzlich war er so bösartig und abweisend zu Koushiro. Selbst als ich mich von ihm verabschiedete konnte ich in seiner Stimme deutlich eine gewisse Gereiztheit heraus hören. Mein nasses Haar klebte mir auf den nackten Schultern und irgendwie fröstelte es mich. „Soll ich die Heizung anstellen?“ Die Stimme meines besten Freundes riss mich unerwartet aus meinen Gedanken. Eine ganze Weile saß ich schweigend neben ihm in seinem Auto, bis Koushiro schließlich das Schweigen brach. Er musste wohl mein Zittern bemerkt haben. Ich spürte seinen besorgten Blick auf meinem Körper und nickte nur auf seine Frage hin. „Sag mal, was ist das gerade zwischen dir und Tai gewesen? Es schien, als wäre er wütend auf dich.“ Ich beobachtete im neonfarbenen Schein der Straßenlaternen, dass Koushiro über meine Frage nachdenken musste. Es wirkte, als würde er die richtigen Worte suchen, sie aber nicht finden. „Ich weiß nicht. Vielleicht hat es ihn geärgert, wie die beiden Weiber über dich gesprochen haben. Du kennst doch Tai, an irgendeinem lässt er seine schlechte Laune immer aus.“ Sein künstliches Lächeln konnte mich nicht davon überzeugen, dass er seinen Worten selbst Glauben schenkte. „Hat Tai denn eine feste Freundin?“ Ach verdammt, habe ich diese Frage tatsächlich laut ausgesprochen? Sofort griff ich mir mit meiner rechten Hand an den Kopf und biss mir auf die Unterlippe. Ich hatte Koushiro nichts von meinem Kuss mit Taichi erzählt. Alles was er wusste war, dass zwei ehemalige Mitschülerinnen schlecht über mich gesprochen hatten und Taichi sie diesbezüglich zurecht stutzte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es könnte zwischen uns Dreien eine merkwürdige Situation entstehen, wenn Koushiro davon wüsste. Aber meine Frage nach einer festen Freundin war genauso unangebracht. „Also im Moment ist da niemand soweit ich weiß.“ Seine Antwort kam prompt und ich war erstaunt, dass Koushiro überhaupt nicht verwundert wirkte. „Ich weiß, dass er vor einigen Jahren eine feste Beziehung hatte. Vielleicht zwei Jahre, die beiden lernten sich irgendwann im Abschlussjahr kennen und selbst im ersten Jahr an der Uni waren sie noch ein Pärchen. Aber irgendwie beendete Tai es dann schlagartig. Er hat mir niemals erzählt warum und seitdem hatte er auch keine feste Freundin mehr.“ Das waren doch mehr Informationen als ich eigentlich wollte. Offenbar hatte er an meiner dämlichen Frage gehört, worauf ich eigentlich hinaus wollte. Koushiro kannte mich einfach viel zu gut. Ich lächelte verlegen und fuhr mit beiden Händen über meine eiskalten Oberschenkel. „Und was ist mit dir mein Bester? Gibt es da ein besonderes Mädchen in deinem Leben?“ Ich grinste frech und wollte meine Neugier bezüglich Taichis Liebesleben in eine allgemeine Richtung drängen. Trotz der nächtlichen Dunkelheit erkannte ich, dass meine Frage eine gewisse Verlegenheit in Koushiros Gesicht trieb. Er war einfach zuckersüß wenn er so nervös wurde. „Als ob du es nicht sofort wüsstest, wenn es da eine besondere Frau gäbe.“ Seine Antwort war kurz und prägnant. Leider hatte er auch noch recht damit. Es gab eigentlich keine Geheimnisse zwischen uns und von einer festen Freundin hätte er mir wohl erzählt. Obwohl ich tatsächlich etwas erschrocken war, als Taichi anmerkte, dass auch Koushiro kein Kostverächter wäre und sich genauso auf bedeutungslose Abenteuer mit Frauen einlassen würde. Bei Gelegenheit sollte ich da wohl etwas intensiver nachbohren. „Was ist mit deinem neuen Job? Bist du schon aufgeregt?“ Ich grinste süffisant, als er mir diese Fragen stellte. Wie immer wendete er sich aus einer unbequemen Situation, indem er einfach das Thema wechselte. „Ich freue mich sehr, dass ich bei dem Magazin anfangen kann. Zwar zunächst als einfache Mode-Kolumnistin, aber aller Anfang ist schwer. Wie gefällt es dir in deinem Job und ein Kollege von Tai zu sein? Ihr beide hängt ja zusammen wie ein altes Ehepaar.“ „Das sagt meine Mutter auch immer. Wir können uns zwar manchmal unwahrscheinlich auf die Nerven gehen, aber im Grunde bin ich froh, mit ihm zu arbeiten. Der Job an sich macht mir auch Spaß. Als leitender Informatiker habe ich viele interessante Aufgaben und Langeweile kommt eigentlich selten auf.“ Ich hatte ihn schon lange nicht mehr so begeistert über etwas sprechen hören. Offenbar hatte Koushiro seinen Weg gefunden, denn auch seine letzten Jahre waren nicht nur von Sonnenschein geprägt. Er brachte den Wagen vor meinem Wohnhaus zum stehen und sah mich lächelnd an. „Wollen wir morgen zu dritt an den Strand gehen?“ Etwas verblüfft hob ich meine Augenbrauen und musterte ihn misstrauisch. Hatte er denn noch nicht genug von mir und was war mit Taichis schlechter Laune? Würde der überhaupt mitkommen? Nichts desto trotz reizte mich ein Tag am Meer und was sollte ich sonst am Sonntag machen? Also sagte ich zu und stieg aus dem Auto aus. Koushiro begleitete mich zur Tür und wir beide blieben stehen. Ich musste ungewollt lächeln, denn es sah so aus, als hätten wir ein Date gehabt und er brachte mich gerade nach Hause. Sanft fuhr ich mit meinen Fingern durch sein Haar. Es war inzwischen vollständig getrocknet und ein leichter rötlicher Schimmer auf seinen Wangen verriet mir, dass es ihn nervös machte, wenn ich ihn auf diese Weise berührte. „Gute Nacht Koushiro...“ flüsterte ich leise und löste meine Finger von seinem Kopf. „...vielen Dank, dass du mir ein so guter Freund bist. Ich möchte dich in meinem Leben niemals missen und ich weiß, dass ich das viel zu selten sage.“ In seinen dunkelbraunen Augen spiegelte sich eine gewisse Verwunderung. Ich öffnete die Hauseingangstür und lächelte sanft. „Holst du mich morgen ab, damit wir zusammen zum Strand fahren können?“ Er nickte stumm und ich spürte, dass er etwas sagen wollte, doch er tat es nicht. Stumm schob er seine Hände in die Hosentaschen und ging einige Schritte rückwärts, bis er sich schließlich umdrehte und zurück zu seinem Auto lief. Bevor er einstieg hörte ich noch ein zögerliches »Gute Nacht, Mimi.«. Seufzend begab ich mich zum Fahrstuhl und kam nicht umhin, noch die gesamte Nacht über diesen verrückten Abend nachzudenken. Verschlafen stand ich am darauf folgenden Sonntagmorgen an der Straße und wartete auf Koushiro. Er hatte mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er in einer Stunde vor meinem Haus stehen und mich abholen würde. Jetzt wartete ich bereits seit fünfzehn Minuten und er war nicht zu sehen. Ich setzte mich auf meine Strandtasche, zog meine Beine dicht an den Körper und winkelte meine Ellenbogen an, damit ich mein Gesicht darauf ablegen konnte. Ich wollte gerade mein Telefon zücken und ihn hysterisch schreiend anrufen, als ich im grellen Schein der Sommersonne sein Auto auf der Straße erkannte. Sichtlich beschämt stieg er aus dem Wagen und neigte mehrfach entschuldigend seinen Kopf. Wütend stand ich auf und warf ihm meine Tasche gegen die Brust. „Halt die Klappe und fahr los! Holen wir den dämlichen Trottel von zu Hause ab oder bewegt der hübsche Prinz seinen Knackarsch selbst zum Strand?“ Als ich mich auf den Beifahrersitz setzte verschränkte ich meine Arme vor der Brust und starrte Koushiro mit meinem bösen Blick nieder. „Er will nicht mitkommen. Deswegen habe ich mich verspätet. Ich habe jetzt sicherlich eine halbe Stunde mit ihm diskutiert, aber er will nicht. Tai meinte, dass er sich heute mit seiner Schwester treffen wolle und deshalb keine Zeit hätte.“ Merklich verstimmt blies ich meine Wangen auf und drückte meinen Kopf in den Sitz. „Was soll das heißen? Will er mir erzählen, dass er den ganzen Tag bei Hikari ist? Wohl eher nicht, vielmehr glaube ich, dass dieser dämliche Trottel immer noch beleidigt ist, so wie ein kleines Baby. Wo wohnt Hikari denn? Ich habe sie auch schon sehr lange nicht mehr gesehen und auf einmal verspüre ich starke Sehnsucht nach ihr...“ „Ich dachte auch, dass er irgendwie sauer wirkte. Aber er wollte mit mir nicht darüber sprechen. Seine Schwester wohnt oben in Sumida, willst du jetzt etwa dorthin?“ „Genau, wir fahren ihn dort abholen. Dieser dämliche Vollidiot, was hat der für ein Problem?“ Es war eine kurze Diskussion, die ich mit Koushiro diesbezüglich führen musste, bis er schließlich in Richtung Sumida fuhr. Ich wollte jetzt wissen, was Tai für ein Problem mit mir oder Koushiro hatte. Wir waren doch nicht mehr im Kindergarten und so einfach ließ ich diesen Trotzkopf nicht davon kommen. Nach einer schier endlosen Fahrt durch die Hitze der pulsierenden Stadt, erreichten wir den weitläufigen Gebäudekomplex, in dem Hikari zu wohnen schien. Koushiro machte kein Geheimnis daraus, dass es ihn wortwörtlich ankotzte, dass wir jetzt hier waren. Er wusste, dass es Ärger mit Tai geben würde und hatte wohl keine große Lust weiter mit ihm zu streiten. Doch ich ließ mich davon nicht beirren und außerdem wollte ich meine kleine und jüngste Freundin auch endlich wieder sehen. Fröhlich posaunte ich in die Gegensprechanlage, als ich Hikaris Stimme am anderen Ende hörte, woraufhin diese ebenfalls in schallende Freudenschreie ausbrach und uns die Tür öffnete. „Ach du meine Güte, Mimi! Du siehst fabelhaft aus!“ begrüßte sie mich an ihrer Eingangstür und ich schlang sofort meine Arme um sie. Sie war noch immer so klein und zierlich wie damals. Ihr Haar reichte lediglich bis zum Kinn und sie trug eine Brille. Alles in Allem sah sie sehr erwachsen aus, vielleicht ein bisschen zu dünn für meinen Geschmack. „Es ist viel zu lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Wie geht es dir?“ antwortete ich schließlich. Doch unser freudiges Wiedersehen wurde jäh unterbrochen, als Taichi hinter seiner kleinen Schwester auftauchte und sich missmutig gegen den Türrahmen lehnte. Zunächst galt sein zorniger Blick Koushiro, bevor er schließlich mich ansah. „Ihr seid ja wie die Kletten. Was wollt ihr denn hier? Ich habe doch gesagt, dass ich heute keine Zeit habe, um an den Strand zu fahren...“ Gelangweilt von seinen Worten verdrehte ich meine Augen und schob ihn sachte zur Seite, damit ich in die Wohnung meiner Freundin eintreten konnte. „Bleib mal ganz locker Yagami oder wurdest du heute Morgen mit dem Klammerbeutel gepudert?“ Sein genervtes Zischen ließ mich völlig kalt und neugierig sah ich mich in der Wohnung um. Hikari lebte alleine in dieser Zwei-Raum-Wohnung. Im Wohnzimmer sah ich einige alte Fotos von uns aus Schulzeiten und Kindertagen. „Warum seid ihr hier? Was soll das Izzy?“ hörte ich Taichi angespannt sagen, als er mit Koushiro im Flur stehen blieb. „Sie wollte unbedingt Hikari sehen...“ versuchte sich dieser irgendwie aus der Affäre zu ziehen. „Sag mal Kari, warum ist dein Bruder heute so schlecht gelaunt? Ich bin erst seit zwei Tagen in der Stadt und schon macht er mir das Leben schwer. Wir wollten heute zu dritt ans Meer fahren und er spielt seit gestern Abend die beleidigte Leberwurst.“ Meine jüngere Freundin stand grinsend neben mir. Es schien, als wüsste sie mehr als ich und doch sah ich etwas in ihren Augen, dass überhaupt nicht fröhlich wirkte. Was war das nur für ein trauriges Leuchten in ihren braunen Augen? Nachdenklich musterte ich noch einmal ihre Wohnung und stellte fest, dass zwar überall Fotos von uns standen, aber kein einziges von ihr und Takeru. Was war geschehen? Die beiden waren doch immer wie Pech und Schwefel. „Mein Bruder ist kompliziert, das weißt du doch. Man muss ihn eben zu seinem Glück zwingen. Nehmt ihn ruhig mit, ich wollte mich heute sowieso noch mit einigen Freundinnen treffen...“ Ihre Worte und der darauf folgende Protest ihres großen Bruders rissen mich aus meinen Gedanken. „Wie bitte? Wie kannst du mir so in den Rücken fallen? Wir waren heute miteinander verabredet!“ „Ach Tai, du solltest ein wenig mit deinen Freunden raus gehen und spielen. Sei mal ein bisschen locker und weniger Business-Man...“ Es war immer noch niedlich, wie die beiden miteinander umgingen. So unbeschwert und natürlich. Die beiden waren schon immer durch ein starkes Band miteinander verbunden. Sie waren so viel mehr als Geschwister. Sie waren Freunde. „Hör auf wie Mama mit mir zu sprechen!“ Die Zwei lieferten sich ein hitziges Wortgefecht, bis ich schließlich dazwischen ging und Taichi sachte aus der Wohnung manövrierte. „Hey! Nimm deine Finger weg, ich will nicht mit euch zum Strand!“ fluchte er verdrossen und packte mich an den Handgelenken. „Sonst stört es dich doch auch nicht, wenn eine Frau Hand anlegt. Also sei ein braver Junge und tu mir diesen Gefallen. Ich möchte mit dir Zeit verbringen, wir haben uns so lange nicht gesehen und der gestrige Abend war nicht unbedingt unter meinen persönlichen Top 10.“ Plötzlich wurde Taichi ganz still und zeigte keinerlei Gegenwehr. Sein wütender Blick verschwand und beinahe traurig sah er mich an. „In Ordnung...“ sagte er leise. „...aber ich brauche eine Badehose und eine Sonnenbrille.“ Ich hörte ein lautes Stöhnen von Koushiro, der mit hängendem Kopf die Wohnung verließ und am Fahrstuhl auf uns wartete. Offenbar hatte der Rothaarige keine große Lust, mit seinem besten Freund auch noch einkaufen zu gehen. Ich hingegen wendete mich zu Hikari und nahm sie fest in meine Arme. „Ich bin so glücklich darüber, dass ich endlich wieder zu Hause bin. Wir müssen uns unbedingt wieder treffen und dann musst du mir alles erzählen.“ Als ich mich von ihr löste, starrten ihre knopfrunden braunen Augen fragend in mein Gesicht. Ich zwinkerte ihr zu und lehnte mich zu ihr runter, damit ich ihr etwas ins Ohr flüstern konnte. „Das mit dir und Takeru...ich will alles wissen.“ Dann eilte ich zu meinen Jungs, die schon wieder drauf und dran waren sich gegenseitig aufzufressen. Drei Klamottenläden und fünfundvierzig Autominuten später erreichten wir endlich den Strand. Inzwischen stand die Mittagssonne im Zenit und verbrannte den Asphalt unter meinen Füßen. Ich schob mir meine schwarz getönte Sonnenbrille immer wieder die Nase hinauf und konnte es kaum erwarten ins Meer einzutauchen. Koushiro schien jedoch am Rande des Wahnsinns zu sein, denn ich konnte die unterschwellige Aggression in jedem seiner Schritte sehen. Taichi hingegen flanierte lässig über den Sand und erfreute sich einer unverschämt teuren »Prada Sonnenbrille« und neuer Bermudashorts. Beinahe schon auffällig absichtlich ließ er bei jedem vorbei laufenden Mädchen, seine Sonnenbrille etwas tiefer gleiten und musterte deren Körper ganz genau. Sollte er doch seine dämlichen Spielchen spielen, ich stand da drüber. Ich war schließlich erwachsen und kein Teenager mehr. So leicht konnte man mich nicht eifersüchtig machen. Zumindest war ich sehr bemüht, diesen Anschein zu erwecken, was mir aber verflucht schwer fiel. Im Gedränge aus Touristen und anderen Badegästen ergatterten wir einen Platz unweit eines kleinen Strandrestaurants. Ich hatte keine Geduld mehr mein Handtuch auszupacken und mich in aller Ruhe auszuziehen, denn ich schmolz dahin. Ungeduldig zerrte ich an meinem Sommerkleid, bis ich es endlich über den Kopf bekam und rannte wie eine Wahnsinnige ins Wasser. Der heiße Sand verbrannte mir die Fußsohlen und kreischend sprang ich in die salzigen Wellen. Mein Badeanzug sog sich mit Wasser voll und für einen kurzen Moment erschauderte ich unter der Kälte des Ozeans. Mit geschlossenen Augen tauchte ich unter und ließ mich einige Sekunden von der Strömung treiben, bis ich mich mit beiden Füßen vom Meeresboden abstieß und wieder auftauchte. „Ach übrigens….“ hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir und noch ehe ich mich umdrehen konnte, spürte ich eine kräftige Hand in meinem Genick. „...das ist für den »Klammerbeutel«.“ Und schon drückte er meinen Kopf in die nächste Welle. Keuchend tauchte ich wieder auf und rieb mir entsetzt meine Augen. Sein schallendes Gelächter trieb mir die Röte ins Gesicht und wütend griff ich nach seinem Arm, doch Tai stand wie ein Fels in der Brandung. Egal wie sehr ich an ihm zerrte, schubste, kratzte, biss oder kreischte. Lachend tauchte er mich abermals unter Wasser und zog mich im selben Moment wieder nach oben. „Da musst du noch etwas trainieren. Mit deinen dünnen Pudding Ärmchen hast du keine Chance gegen mich, meine Süße!“ sagte er und ich konnte nicht eine Sekunde länger gegen ihn ankämpfen. Hustend und röchelnd hielt ich mich an ihm fest, da mich meine Kräfte verließen. Trotz meiner erbärmlichen Niederlage musste ich lächeln. Wir spielten wie kleine Kinder und offensichtlich hatte sich seine schlechte Laune auch etwas gebessert. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlang ich meine Beine um seine Hüften und legte meinen Kopf erschöpft auf seine Schulter. Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Weise in den Wellen standen, aber ich genoss seine Wärme und die Nähe zu ihm. Irgendwann spürte ich sogar seine Hände und wie er mir damit sanft über den Rücken streichelte. Es fühlte sich so vertraut an. Ich vermisste es, mich in den Armen eines Mannes beschützt zu fühlen. Langsam schloss ich meine Augen und schmiegte mich etwas dichter an seine Brust. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder los gelassen. Woher kamen nur diese Gefühle in meiner Brust? Wie konnte es möglich sein, dass nach all den Jahren immer noch eine so große Anziehungskraft zwischen uns bestand? Unentwegt musste ich an unseren Kuss von gestern Abend denken. Wie sich seine rauen Lippen fordernd auf meine legten. Ich schmeckte noch immer seinen bittersüßen Geschmack auf meiner Zunge. Es war eine Mischung aus seiner letzten Zigarette und Bier. Im Grund wollte ich es mir nicht eingestehen, aber dieser Kuss hatte in mir etwas geweckt. Ein Verlangen, welches ich so sorgfältig versuchte zu verbergen. Nicht zuletzt durchflutete diese Sehnsucht nach ihm meinen gesamten Körper und ließ mich unter jeder Berührung seiner Finger erzittern. „Lass uns zurück gehen, sonst brät Izzy wie ein Scampi in der Pfanne. Er möchte sicherlich auch ins Wasser...“ Als Tai mich langsam von sich drückte, konnte ich meine Enttäuschung nur schwer verbergen, aber ich nickte lächelnd und gemeinsam gingen wir zurück zu unseren Plätzen. War ihm meine Nähe zu viel? War das vielleicht der Grund, warum er gestern Abend so missmutig reagierte? Aber weshalb kam er dann zu mir ins Wasser? Ich wurde aus diesem Kerl einfach nicht schlau. Nach all den Jahren war es immer noch dieses auf und ab, heiß und kalt, nah und fern zwischen uns. Koushiro lag dösend auf dem Bauch und hatte sein Gesicht unter den Armen vergraben. Mir war gestern schon aufgefallen, dass er ein ziemlich breites Kreuz hatte. Einzelne Muskelfasern zeichneten sich unter seinen Schulterblättern ab und zogen sich diagonal verlaufend in seine Oberarme. Natürlich hatte ich ihn schon sehr oft mit freiem Oberkörper gesehen, aber seine männliche Statur war mir noch nie zuvor wirklich aufgefallen. Ich sah kurz zu Taichi und signalisierte ihm, dass er still sein sollte. Sofort verstand der Brünette und grinste schadenfroh, als ich mich ohne Vorwarnung auf Koushiro legte. Ich war nicht nur nass, sondern auch eiskalt. Mein Freund fuhr unter einem lauten Aufschrei zusammen, doch ich blieb unbeirrt auf seinem Rücken liegen und klammerte meine Arme um seine Brust. „So kalt ist das Wasser….“ sagte ich lachend. Ich spürte seine Gänsehaut unter meinen Fingern und roch den Duft seines Parfüms. Meine Beine legte ich neben seinen Hüften ab und platzierte meinen Hintern bequem auf seinem, während er versuchte sich unter mir zu winden und sich somit zu befreien. „….Oh, oh, oh Izumi-san, so willst du dich aus meinem Griff befreien? Das geht doch besser, denn wirkliche Mühe gibst du dir nicht.“ sagte ich provokant und legte meine Lippen sachte an sein Ohr. „Warum sollte ich mir auch Mühe geben? Ich finde deinen scharfen Hintern, der auf meinem sitzt, überaus reizvoll.“ antworte er mir flüsternd und ich riss etwas verblüfft meine Augen auf. Konnte es tatsächlich möglich sein, dass Koushiro Izumi soeben mit mir flirtete? Auf einmal packten mich seine Hände an den Oberschenkeln und beförderten mich auf den Rücken. Unbeeindruckt erhob sich der Rothaarige und sah von oben mit einem breiten Grinsen auf mich herab. „Ts, ts, ts Tachikawa-san, verliere deinen Gegner niemals aus den Augen.“ Dieser Mistkerl, hatte mich absichtlich verwirrt. Ich setzte mich aufrecht hin und beobachtete meinen Freund dabei, wie er ins Wasser rannte. „Wirklich durchtrieben. Ich frage mich, woher er solche hinterhältigen Verhaltensweisen hat?“ Eigentlich sprach ich mit mir selbst, aber Taichi saß kichernd neben mir und zündete sich gerade eine Zigarette an. Es war immer noch merkwürdig für mich, dass er rauchte. Aber über die Jahre hatte sich eben so einiges verändert. „Ich würde sagen, dass er in dir die beste Lehrerin hatte.“ Argwöhnisch verzog ich meine Mundwinkel und blickte auf Tai nieder. Er lag entspannt auf seinem Handtuch in der prallen Sonne und hatte seinen rechten Arm unter seinen Kopf geschoben. Mit der linken Hand bewegte er seine Zigarette immer mal wieder zu seinen Lippen. Seine Brustmuskeln hoben sich gleichmäßig bei jedem Atemzug und ich kam nicht umhin, ihn versehentlich etwas weiter unterhalb seines Bauchnabels zu mustern. „Arsch.“ stöhnte ich und streckte ihm die Zunge raus. „Zicke.“ erwiderte er grinsend und streckte mir ebenfalls seine Zunge raus. Die Zeit verging wie im Fluge und irgendwann muss ich wohl tatsächlich eingeschlafen sein. Mir war unsäglich heiß und der Schweiß perlte mir von der Haut, als ich mich keuchend auf meinem Handtuch aufsetzte. Neugierig beobachtete ich die zahlreichen Menschen am Strand. Kinder, die aufgeregt in den Wellen spielten. Liebespaare, die Händchen haltend vor mir auf und ab spazierten und natürlich die faulen Sonnenanbeter neben mir. Mit einem schiefen Grinsen starrte ich abwechselnd auf Tai und Koushiro. Beide lagen dösend auf dem Bauch und regten sich keinen Zentimeter. Da mit den beiden Schnarchnasen sowieso nichts anzufangen war, beschloss ich, alleine eine Runde schwimmen zu gehen. Ich musste dringend einen klaren Kopf bekommen. Als ich meinen Körper seicht ins Wasser gleiten ließ, schloss ich meine Augen und dachte über die vergangenen zwei Tage nach. Die Situation zwischen mir und Tai am Flughafen, wir drei vor der Schule, wie er mich ins Bett brachte und dann der Kuss zwischen uns auf der gestrigen Party. Plötzlich durchzog ein stechender Schmerz jede einzelne meiner Muskelfasern und riss mich aus meinen Gedanken. Ein kurzer Aufschrei kam mir über die Lippen und ich zog mein rechtes Bein reflexartig an mich heran. Ich verlor das Gleichgewicht und versuchte mit meinen Füßen den Meeresboden zu erreichen. Es war jedoch zu tief und umso mehr ich mich bemühte irgendwie Halt zu finden, desto öfter schluckte ich versehentlich Wasser. Unkontrolliert begann ich zu husten und ruderte mit beiden Armen. Eiskalte Panik kroch meinen Bauch hinauf und ließ mich beinahe erstarren. Was hatte mich in mein Bein gebissen? Würde ich jetzt ertrinken? Sollte es so zu Ende gehen? Kein wirklich spektakulärer Abtritt, das hätte ich mir besser vorgestellt. Doch während ich mich innerlich von dieser schönen Welt verabschiedete, packten mich zwei Hände und zogen mich rückwärts aus dem Wasser. Nach Luft ringend krallte ich mich an seinem Nacken fest, als Tai mich vorsichtig an den Strand trug und sich hinkniete. Dabei legte er mich vorsichtig auf seinen Beinen ab und richtete meinen Oberkörper senkrecht auf. Ein paar Mal schlug er mir auf den Rücken, sodass ich das Wasser aus meinen Lungen spuckte. „Was ist passiert?“ fragte mich eine andere Stimme und verwirrt sah ich in das Gesicht meines rothaarigen Freundes, der sich schützend über mich beugte. „Ich glaube irgendwas hat sie gebissen. An ihrem rechten Knöchel sind merkwürdige rote Punkte. Könnte eine Seeschlange gewesen sein...“ antwortete Tai und hob meinen Fuß etwas an. „Eine Schlange?“ schrie ich plötzlich lautstark und krallte meine Fingernägel tief in sein Genick. Ich hörte sein schmerzverzerrtes Keuchen und ließ sofort locker. Koushiro kniete sich vor meine Füße und berührte vorsichtig meine Ferse, damit er sich die benannte Stelle genauer betrachten konnte. „Es sieht tatsächlich wie ein Biss aus. Ich rufe einen Notarzt, bleib bei ihr...“ mein Freund stand auf und eilte zur Strandhütte. Ich spürte deutlich, dass ich immer nervöser wurde. Meine Gliedmaßen zitterten und ängstlich starrte ich zwischen Tai und den zahlreichen Menschen, die um uns herum standen, hin und her. Mit einem Mal legte Tai seine Lippen an meinen Knöchel. Etwas entsetzt zog ich mein Bein zurück, doch er hielt es fest und sah mich ermahnend an. „Wenn es eine giftige Seeschlange war, dann muss das Gift raus. Bis der Notarzt hier ist, sollte ich wenigstens versuchen, es mit dem Mund heraus zu bekommen.“ Noch immer starrte ich ihn völlig fassungslos an. Irgendwie hatte ich mir den Moment, in dem ein Taichi Yagami seine Lippen über mein nacktes Bein gleiten lässt, anders vorgestellt. Ich spürte den kräftigen Sog seiner Lippen kurz überhalb meines Knöchels und kniff meine Augen etwas zusammen. Es war ein schöner Anblick, wie ich auf seinem Schoß lag, meine Arme um seinen Nacken geschlungen hatte, den Kopf an seine nackte Brust schmiegte und er mit seiner linken Hand zärtlich meinen Rücken stützte und die rechte Hand unter meinen Oberschenkel legte, damit er mein Bein vorsichtig zu seinem Mund führen konnte. Er hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich darauf, mir zu helfen. Als er sich von mir löste und sich leicht von mir weg drehte, damit er ausspucken konnte, bemerkte ich, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut hatte. Wie peinlich! Sicherlich hatte er es bemerkt. Mein rotes Gesicht hätte ich in dieser Hitze erklären können, aber eine Gänsehaut? „Du musst ihr nicht das Blut aussaugen wie ein Vampir!“ Koushiro kniete sich neben mich und packte meinen Fuß etwas unsanft. In seiner Hand hielt er ein Glas mit Eistee und Eiswürfeln, ohne Vorwarnung goss er den Inhalt über meinen Fuß und ich schrie schockiert auf. Sein strafender Blick und fester werdender Griff um mein Fußgelenk ließ mich sofort verstummen. Sachte strich er mit dem Eiswürfel über die verwundete Stelle und betrachtete sie erneut besorgt. „Das Teein im Eistee hat eine antitoxische Wirkung. Der Notarzt müsste gleich hier sein. Inzwischen ist die Stelle ganz schön geschwollen, aber wohl eher, weil ein gewisser Blutsauger, wie ein Geisteskranker, daran rumgelutscht hat.“ Irgendwie spürte ich eine gewisse Spannung zwischen den beiden. Warum denn das? Taichi grinste nur provokant und ließ die Aussage von Koushiro völlig unkommentiert. Keine fünf Minuten später saßen noch zwei Sanitäter und ein Notarzt um mich herum. In der ganzen Aufregung hatte ich natürlich angefangen zu heulen wie ein kleines Mädchen. Noch immer lag ich auf dem Schoß von Tai und klammerte mich an ihm fest. „Ich glaube nicht, dass es ein Biss von einer Seeschlange ist. Es sieht vielmehr danach aus, als wäre ihre Freundin an einen Seeigel geraten. Aber damit wir sicher sein können, werde ich ihr vorsichtshalber ein Antiserum spritzen.“ Ich fuhr erschrocken zusammen. Hatte dieser sadistische Schweinehund von Notarzt gerade gesagt, dass er mir eine Spritze geben wollte? Ich sah das glänzende Metall der Kanüle im grellen Schein der Nachmittagssonne aufblitzen und zog ruckartig mein Bein zurück. Meine Lippen begannen zu beben und Tränen kullerten über meine Wangen. „Ich will keine Spritze! Ich habe Angst vor Spritzen!“ jammerte ich schluchzend und vergrub mein Gesicht in Taichis Brust. Sein sanftes Lachen brachte mich dazu, ihn anzusehen. Liebevoll streichelte er über meine Wange und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Es war mir egal, dass alle um mich herum denken mussten, ich wäre ein kleines dämliches Mädchen. Es war mir egal, dass uns alle anglotzten. Ich spürte seine Lippen auf meiner Haut, sah das Strahlen in seinen Augen, das Lächeln in seinem Gesicht und spürte seine Hände überall auf meinem Körper. „Du hast normalerweise so eine große Klappe und fürchtest dich vor nichts. Du bist eine tapfere Kämpferin und jetzt gehst du in die Knie wegen einer kleinen Spritze? Da hast du doch schon viel schlimmeres überstanden. Ich denke, dass du dich vor überhaupt nichts fürchten musst, solange ich bei dir bin. Denn ich werde immer auf dich aufpassen, versprochen.“ Bedächtig weiteten sich meine Augen und mein Herz hämmerte gegen meine Brust, als ich seine Worte hörte. Meine verkrampften Finger wurden etwas lockerer und langsam streckte ich mein Bein wieder aus, sodass der Notarzt die Injektion setzen konnte. Aber es gelang mir einfach nicht, meinen Blick von Taichis dunkelbraunen Augen abzuwenden. Tai selbst, sah mich ebenfalls unentwegt an. Er nannte mich eine Kämpferin, dass ich tapfer sei und schlimmeres überstanden hätte. Doch vielmehr bewegte mich, dass er sagte, ich müsste mich niemals fürchten, solange er bei mir wäre. Er würde immer auf mich aufpassen. Ich schluckte harte und fuhr mit meinen Fingerspitzen langsam durch seinen Haaransatz im Nacken. Kurz fielen ihm dabei die Augen zu und ich konnte deutlich erkennen, dass er es genoss, wenn ich ihn auf diese Weise berührte. „Ein Versprechen muss man halten...“ sagte ich plötzlich und er öffnete seine Augen wieder. „Kein Problem. Es funktioniert aber nur, wenn du auch an meiner Seite bist.“ Er sprach diese Worte ganz leise in mein Ohr, sodass es niemand um uns herum hören konnte. Wie ein Geheimnis flüsterte er mir dieses Versprechen zu und ich hätte mich nicht glücklicher fühlen können. Auch wenn ich ihn nicht einschätzen konnte, nicht wusste, was das zwischen uns zu bedeuten hatte, nahm ich sein Versprechen dennoch ernst. Nachdem ich einen schmalen Verband um mein Fußgelenk bekommen hatte, erhoben sich die Sanitäter sowie der Notarzt und ich bedankte mich höflich bei ihnen. Es war mir sehr peinlich, dass ich mich wie ein kleines Mädchen aufgeführt und diesen erwachsenen Männern solche Sorgen bereitet hatte. Koushiro packte mich sanft am Arm und half mir dabei aufzustehen. Mit einem verschämten Lächeln dankte ich ihm. „Wollen wir vielleicht etwas essen?“ fragte er grinsend und ließ meinen Arm los. „Ich habe einen Bärenhunger. Einfältige Jungfrauen zu retten ist ganz schön anstrengend!“ bemerkte Tai und schlug sich auf seinen durchtrainierten Bauch. „Wer ist hier einfältig? Du spinnst wohl?“ zischte ich gefährlich und stemmte meine Hände in die Hüften. „Die Frage sollte vielmehr lauten, wie Tai auf »Jungfrau« kommt.“ Vollkommen fassungslos starrte ich in das Gesicht meines rothaarigen Freundes. Hatte er das jetzt tatsächlich von sich gegeben? Laut lachend schlug ihm Tai auf die Schulter und die beiden gingen Arm in Arm zu dem kleinen Strandrestaurant. Wie ein Herz und eine Seele, obwohl sich die beiden vor wenigen Minuten noch gegenseitig tötende Blicke zugeworfen hatten. Ach und überhaupt, wieso war ich denn jetzt die Blöde? „Hey wartet auf mich! Ich bin verletzt! Seid lieb zu mir!“ rief ich und humpelte den beiden hinterher. „Na komm schon, du Verletzte vom Seeigel und sterbende Prinzessin in den Armen des holden Ritters.“ Tai breitete seinen Arm aus und die beiden ließen mich in ihre Mitte. Wir holten unsere Sachen und zogen uns etwas über, bevor wir gemeinsam zu dem kleinen Restaurant liefen. Es war schon merkwürdig zwischen uns. Irgendwie waren wir sehr vertraute Freunde und doch konnte ich ab und an eine gewisse Spannung zwischen uns spüren. Ich hätte nicht genau beschreiben können, ob es sich dabei um Liebe, Sehnsucht, Leidenschaft oder vielleicht sogar Eifersucht handelte. Aber es war mehr als unschuldige Zuneigung unter Freunden. „Wer hätte denn eigentlich geglaubt, dass Joey der Erste von uns sein wird, der heiratet und sogar eine Familie gründet?“ Ich stützte meinen Kopf auf der Handfläche meiner linken Hand ab und rührte mit dem Strohalm in den Eiswürfeln meines Getränkes. „Ich kann auch nicht verstehen, wie der eine Frau gefunden hat. Joey war doch nur am lernen. Wirklich unfassbar, dass die beiden in wenigen Monaten Eltern sein werden.“ Taichi blätterte in der Speisekarte und in seiner Stimme hörte man deutlich den Zynismus heraus. „Ja, stellt euch mal vor, wir wären jetzt schon Eltern. Wirklich eine absurde Vorstellung…..“ Koushiro sprach diesen Satz unbedacht und lachend aus, bis eine eisige Stille zwischen uns einkehrte. Entsetzt hatte Tai den Blick von der Speisekarte abgewendet und sah zu Koushiro, bevor er sein dunkelbraunes Augenmerk verschämt von ihm abwendete und zu Boden starrte. Auch ich war völlig fassungslos. In den Augen meines rothaarigen Freundes spiegelte sich sein Mitgefühl und ich hörte seinen aufgebrachten Herzschlag. „Es tut mir leid. Das wollte ich nicht. Ich habe nicht über meine Worte nachgedacht. Bitte entschuldigt...“ stotterte Koushiro und presste seine Hände zitternd gegen seine Oberschenkel. Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch anschwiegen, aber ich konnte die traurigen und von Schmerz gezeichneten Gesichter der beiden nicht länger ertragen. Es war so lange her und heute hätte man sowieso nichts mehr daran ändern können. Es gab keinen Tag, an dem ich mir nicht genau dieselbe Frage stellte, die mein rothaariger Freund vor wenigen Sekunden laut ausgesprochen hatte. Was wären wir wohl für Eltern geworden? Auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als endlich mit meiner Vergangenheit abzuschließen, konnte ich in den Augen von Tai offenkundig erkennen, dass es wohl niemals aufhören würde wehzutun. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Schulter meines besten Freundes und schenkte ihm ein sanftmütiges Lächeln. „Schon gut. Es ist so lange her. Wir sollten nicht immer in der Vergangenheit hängen, schließlich gibt es soviel gutes in unserer Gegenwart zu besprechen. Zum Beispiel das Glück unseres Freundes, der bald Vater wird.“ Ich spürte, dass auch Taichi seinen Blick wieder aufrichtete und zu mir sah. „Mimi hat recht. Du hast nichts falsches gesagt. Die Dinge sind, wie sie sind.“ Wie immer gelang es dem Brünetten mit wenigen Worten direkt zum Punkt zu kommen. Ich wollte diese drückende Stimmung zwischen uns lockern und fing an, einige Fragen zu Hikari zu stellen. Natürlich wollte ich wissen, was zwischen ihr und Takeru vorgefallen war, weil sie keinerlei Fotos von ihm in ihrer Wohnung hatte. Doch Taichi hielt sich bedeckt und sagte mir, dass er es nicht genau wüsste. Die Entscheidung, dass der Blondschopf alleine in Osaka studieren würde, sei sehr unerwartet gekommen. Danach hätte Hikari sich Hals über Kopf in eine hoffnungslose Romanze mit irgendeinem Kerl gestürzt. Taichi sprach sehr abfällig über diesen Mann und beschrieb die Beziehung zwischen seiner Schwester und diesem Kerl sehr negativ. Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, als würde er sich für seine Schwester wünschen, dass Takeru noch in ihrer Nähe sei. Vielleicht hoffte Taichi sogar insgeheim, dass die beiden irgendwann vielleicht doch noch ein Paar werden könnten. „Aber ich glaube, dass meine Schwester mir nicht alles erzählt hat, was zwischen ihr und Takeru vorgefallen ist. Möglicherweise hängt alles auch mit der Scheidung unserer Eltern zusammen. Ich hatte damals schon das Gefühl, als hätte Hikari in dieser sinnlosen Romanze zu diesem Kerl Trost gesucht. Wahrscheinlich gibt es eben doch Dinge, über die meine Schwester nicht mit mir sprechen möchte.“ Etwas entsetzt riss ich meine Augen auf und fuhr mir durch mein offenes Haar. „Deine Eltern sind getrennt? Davon wusste ich gar nichts. Seit wann und warum?“ Ich wusste nicht, dass sich seine Eltern getrennt hatten. Über all die Jahre habe ich wirklich sehr viel verpasst und es wurde mir immer schmerzlicher bewusst. Tai hatte in seinen Briefen niemals davon berichtet, dass seine Eltern Probleme miteinander hatten. Aber wahrscheinlich war dies auch kein Thema, worüber man in einem kurzen Brief erzählte. Auch Koushiro hatte niemals ein Wort darüber verloren. Im Grunde war das Familienleben eine sehr private und intime Angelegenheit und ich konnte verstehen, dass man so etwas nicht zwischen Tür und Angel miteinander besprach. „Meine Eltern sind nicht getrennt. Sie sind bereits seit zwei Jahren geschieden. Eine Trennung gab es bereits weit vorher. Meine Schwester hatte sehr darunter gelitten. Ich persönlich hatte es schon lange kommen sehen und war froh, als die beiden endlich einen Schlussstrich zogen. Ihre ewigen Streitigkeiten waren nicht mehr zu ertragen. Vielleicht haben sie auch nur gewartet, bis wir endlich erwachsen waren. Vielleicht hatten sich meine Eltern schon sehr viel länger nichts mehr zu sagen.“ Ich sah in seinem Gesicht, dass Taichi sehr darauf bedacht war, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und doch wusste ich genau, wie schmerzlich es für ihn gewesen sein musste. In seinen dunkelbraunen Augen spiegelte sich einfach jede Emotion. Langsam schob ich meine Hand über den Tisch und berührte seine Finger. „Es tut mir leid...“ murmelte ich, doch Tai zog abrupt seine Hand weg und schenkte mir ein beiläufiges Lächeln. Der Kellner, der uns das Essen auf den Tisch stellte, unterbrach diese merkwürdig angespannte Situation glücklicherweise. Warum entzog sich Taichi meiner Berührung? Was war das für ein Lächeln? Vor wenigen Minuten waren wir uns körperlich so nah, er gab mir ein Versprechen und jetzt schien wieder eine wahnsinnig große Distanz zwischen uns zu bestehen. Meine Gedanken zogen unaufhörliche Kreise in meinem Kopf. Irgendwann konnte ich dem Gespräch zwischen Koushiro und Taichi nicht länger folgen und konzentrierte mich auf mein Essen. Könnte es vielleicht sein, dass Taichis Reaktion überhaupt nichts mit der Scheidung seiner Eltern zutun hatte, sondern mit dem, was Koushiro versehentlich sagte? Mied er absichtlich die Nähe zu mir aus Angst, dass die Vergangenheit uns einholen könnte? Gab es einen Zusammenhang zwischen der Scheidung seiner Eltern, dem Bruch in der Freundschaft zwischen Hikari und Takeru und dem was vor acht Jahren passiert ist? „Kommst du mit?“ erschrocken zuckte ich zusammen und starrte zu Koushiro rauf. Er hatte sachte seine Hand auf meine Schulter gelegt und wartete offenbar schon etwas länger auf eine Antwort von mir. „Wie bitte?“ fragte ich verwirrt und stand langsam vom Tisch auf. „Wir wollten noch eine Runde am Strand spazieren, möchtest du mitkommen?“ Ich nickte und folgte den beiden. Inzwischen war die Sonne kaum noch am Horizont zu sehen und die Dunkelheit legte sich langsam über den Strand. Dennoch wich die Hitze kein bisschen. Immer wieder zog ich meine Füße durch die seichten Wellen und drückte sie in den nassen Sand. Der Abend war wunderschön. Ein sternenklarer Himmel breitete sich über uns aus und in weiterer Entfernung war das gleichmäßige Zirpen der Grillen zu hören. Wir setzten uns irgendwo hin und betrachteten die schimmernde Reflexion des Mondes auf der unruhigen Meeresoberfläche. Mittlerweile hatten auch die beiden Männer aufgehört sich zu unterhalten und genossen die Stille. Schweigend erhob ich mich und ging einige Schritte vor zum Wasser. Nachdenklich beobachtete ich, wie sich die Schaumkronen der tosenden Wellen langsam absetzten und unter ihnen verschwanden. Seit so vielen Jahren hatte ich mich unbeschreiblich einsam gefühlt. Ein Teil von mir wurde mir entrissen. Unwiderruflich ausgelöscht in einem Bruchteil von Sekunden. Vor acht Jahren verschwand dieses unschuldige kleine Mädchen in mir und zurück blieb eine leere Hülle. Doch seit zwei Tagen spürte ich deutlich, dass sich etwas in mir veränderte. Die beiden veränderten mich. Selbst wenn ich beinahe jede Sekunde mit meiner Vergangenheit konfrontiert wurde und den Schmerz von damals fühlte, so wurde mir mit einem Mal bewusst, dass nicht nur ich diese Hölle durchlebt hatte. Ich drehte mich um und lief langsam zurück. Mit einem leisen Seufzen ließ ich mich vor ihnen auf die Knie sinken und musterte ihre fragenden Gesichter. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Schweigen zwischen uns lauter ist, als jedes Wort das wir uns sagen.“ Ich beugte mich etwas nach vorn und schlang meine Arme um die beiden. Ich schmiegte meinen Kopf auf ihre Schultern und schloss genüsslich meine Augen. Koushiro legte seinen Arm auf meinen Rücken und zog mich dichter zu sich. Tai hingegen zeigte keinerlei Reaktion. Es war mir plötzlich sehr unangenehm und ich hatte das Gefühl, als würde ich mich Taichi aufdrängen. Es war beinahe so, als hätte er kein Interesse an meiner Nähe. Ich wollte mich gerade von den beiden lösen, als es die Hand des Brünetten war, die mich ruckartig wieder nach unten zog. Ungewollt war ich zwischen den breiten Schultern der beiden gefangen, unfähig ihnen in die Augen zu sehen. Ich spürte seine warmen Lippen an meinem Ohr, leise flüsterte er mir etwas zu und sorgte dafür, dass mein Herz fast zersprang. „Ganz egal wie lange es dauern wird, bis wir darüber hinweg sind. Ganz egal wie laut unser Schweigen auch sein wird. Ich will es niemals vergessen. Aber bitte denke immer daran, dass du diesen Schmerz nicht alleine in dir trägst.“ An diesem Abend. In der Hitze der Nacht. Zwischen dem Leiden der Vergangenheit und den Sehnsüchten der Gegenwart wurde mir zum aller ersten Mal in meinem Leben bewusst, dass wir als Freunde diese Bürde gemeinsam trugen. Ich verstand, dass man zusammen weniger allein war. Kapitel 4: Sternenkinder (Tai) ------------------------------ Zum gefühlten hundertsten Mal starrte ich auf meine Armbanduhr und konnte dem Gerede meines Vorgesetzten in unserer Wochenabschluss-Konferenz überhaupt nicht mehr folgen. Nach diesem ereignisreichen Wochenende kehrte der eintönige Alltag meines gewöhnlichen Lebens viel zu schnell wieder ein. Ich musste ständig an den letzten Samstag im Haus des Klienten denken. An das, was diese Mädchen zu Mimi sagten, ihre verletzten Augen, den Kuss zwischen uns und wie sehr mich die Erinnerungen an unsere Vergangenheit doch noch schmerzten. Eigentlich dachte ich wirklich, dass ich dieses tiefe Tal der Traurigkeit längst überwunden und meinen Preis dafür bezahlt hatte, doch diese Tage, die ich mit Mimi verbracht hatte zeigten mir, dass ich weit davon entfernt war irgendwas zu vergessen. Am Mittwoch traf ich mich mit Izzy und Mimi zum Abendessen. Ich war sehr gespannt auf das, was Mimi von ihrem neuen Job in der Redaktion eines bekannten Modemagazins zu berichten hatte. Sie wirkte sehr glücklich, denn offenbar erhielt sie gleich zu Beginn den Auftrag, über ein neu aufstrebendes japanisches Modelabel zu berichten. Nachdem wir unsere Freundin nach Hause gebracht hatten, erzählte mir Izzy, dass er etwas für ihren Geburtstag planen würde. Niemals hätte ich vergessen können, dass meine kleine verwöhnte Prinzessin am siebten Tag des siebten Monats, am Tanabata, Geburtstag hatte. In diesem Jahr fiel der 07. Juli auf einen Samstag und Izzy wollte sie mit einer Reise nach Kyoto überraschen. Er erzählte mir, dass Mimi sich schon immer wünschte, einmal in die kulturell bedeutendste Stadt Japans zu reisen. Ihr Vater hätte niemals etwas für die eigene japanische Identität und somit auch die Geschichte und Kultur des Landes übrig gehabt. Es gab dabei wohl nur ein Problem, in der gesamten Stadt gab es zum berühmten Sternenfest kein einziges Hotelzimmer mehr, weswegen mein rothaariger Freund angestrengt überlegte, wie und wo er mit Mimi hätte übernachten können. Schließlich schlug ich ihm vor, dass ich mich um ein Hotelzimmer kümmern könnte. In was hatte ich mich da nur rein geritten? Eigentlich wollte er sicherlich mit ihr alleine fahren und ich drängte mich provokant dazwischen. Aber zu meiner Verwunderung hörte ich keine Widerrede von meinem besten Freund. Ganz im Gegenteil. Izzy sagte mir, dass sie sich sicherlich freuen würde, wenn ich mit käme und wir zu dritt das Sternenfest in Kyoto besuchen könnten. Seine entspannte Reaktion verwirrte mich und ließ meine Theorie, dass er womöglich mehr als nur freundschaftliche Gefühle für sie empfand, ein wenig verblassen. Also organisierte ich das letzte Hotelzimmer in der Stadt. Meine Finger tippten inzwischen immer nervöser auf meiner Uhr herum, als ich den mahnenden Blick meines Chefs auf mir spürte und entschuldigend grinste. Es war inzwischen weit nach Mitternacht und wir saßen immer noch in der Kanzlei. Es ging um einen sehr brisanten Fall und mit meinen vierzehn Kollegen berieten wir jetzt seit Stunden, wie es weiter gehen könnte. Ich wollte nur noch in mein Bett und ein paar Klamotten für das Wochenende sollte ich auch noch zusammen packen. Ein Geschenk für Mimi hatte ich auch noch nicht besorgen können. Vielleicht wollte ich es auch nicht, denn alles was mir einfiel schrie förmlich: »Ich steh voll auf dich!«. Keine Ahnung wann ich endlich in mein Bett fiel, aber ich konnte verdammt schlecht einschlafen. Wie bereits die letzten Tage zuvor. In mir fühlte sich alles so chaotisch und unruhig an. Immer wieder sah ich wirre und unsortierte Bilder der vergangenen Jahre vor mir. Von alten Freunden, die zu Feinden wurden. Von meinen Eltern, die sich jeden Abend stritten. Von meiner kleinen Schwester, die stundenlang heulend im Bett lag und von mir in den wohl dunkelsten Stunden meines Lebens, mit den falschen Freunden an meiner Seite und auf einem schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Ich überlegte kurz nach vier Uhr morgens tatsächlich, ob mir etwas Sex beim Einschlafen helfen könnte und hatte die Nummer von Anna schon gewählt, als ich mich dann doch dagegen entschied. Stattdessen tippte ich eine Nachricht für Mimi und überlegte geschlagene dreißig Minuten, ob ich sie senden sollte oder nicht. »Ich wünsche dir alles erdenklich Gute zu deinem 25. Geburtstag! Willkommen im Kreis der Vierteljahrhundert-Jährigen. Vielleicht können wir irgendwann mit dem selben Lächeln auf das zurück blicken was hinter uns liegt, wie auf das was noch vor uns ist. Wir sehen uns in ein paar Stunden wegen deiner geheimen Geburtstagsüberraschung. Bis nachher, Tai.« Gegen sieben Uhr morgens drängten sich die ersten Sonnenstrahlen durch mein Fenster und mir war klar, dass ich jetzt sowieso nicht mehr einschlafen konnte. Der Zug würde um zehn Uhr abfahren und bis dahin müsste ich sowieso am Bahnhof sein. Vollkommen erschöpft quälte ich mich aus meinem Bett und stellte mich unter die Dusche. In einer kleinen Reisetasche packte ich einige Klamotten zusammen und zog mir eine schlichte Jeans mit einem weißen Hemd an. Mein reichhaltiges Frühstück bestand aus vier Zigaretten und zwei Tassen Kaffee, bevor ich mich schließlich in die U-Bahn setzte und zum Hauptbahnhof aufbrach. Irgendwie ärgerte es mich, dass mein bester Freund Mimi viel besser kannte als ich. Er wusste ganz genau, was er ihr zum Geburtstag schenken könnte. Er kannte ihre sehnlichsten Wünsche und überraschte sie mit einer ganz besonderen Reise. Wie hätte ich da mithalten können? Als ich am Bahnsteig eintraf, waren beide noch nicht zu sehen. An einem Samstagmorgen drängten sich unzählige Menschen auf dem Bahnhof aneinander vorbei. Die beiden müssten sich beeilen, denn in knapp zehn Minuten würde der Shinkansen abfahren. Ungeduldig zündete ich mir eine Zigarette an, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte. „In allen Bereichen des Hauptbahnhofes ist das Rauchen strengstens untersagt. Du als Rechtsanwalt solltest dir deiner Vorbildfunktion bewusst sein.“ Mit einem schiefen Grinsen drehte ich mich um und drückte die Zigarette auf dem Boden des Bahnsteiges aus. „Kann man deine »Klugscheiß-Funktion« nicht einmal am Samstag abstellen?“ Ich blickte in die Augen meines rothaarigen Freundes. Er grinste freudig und zeigte auf die junge Frau, die neben ihm stand. Sie wirkte ein kleines bisschen aufgeregt und verschlafen zu gleich. Ihre goldbraunen Haare waren zu einem eiligen Zopf gebunden und sie schien keine Zeit dafür gehabt zu haben, sich zu schminken. Wobei mir Mimi mit wenig bis gar keinem Make-Up sowieso am aller besten gefiel. Ich lachte, als ich ihre kleine Reisetasche sah und fuhr mir lässig durchs Haar. Mimi seufzte leise und blickte verdrossen auf die Anzeigetafel des Bahnsteiges und plötzlich weiteten sich ihre haselnussbraunen Augen. Ich konnte deutlich sehen, wie sie die Schriftzüge las und ihr bewusst wurde, wohin die Reise gehen würde. „Kyoto?“ fragte sie leise und sah abwechselnd zwischen mir und Izzy hin und her. „Alles Gute zum Geburtstag...“ murmelte mein bester Freund, als sie ihm mit einem Mal hastig um den Hals fiel. Die Röte schoss ihm unaufhaltsam ins Gesicht und völlig unbeholfen, legte er seine Arme um Mimi. Es fiel mir schwer meinen lässigen Gesichtsausdruck zu wahren und doch konnte ich meinen eifersüchtigen Blick nicht von den beiden abwenden. Sie löste sich von ihm und hauchte ihm einige Worte des Dankes ins Ohr, bevor sie ihm zärtlich einen Kuss auf die Wange gab. Danach sah sie zu mir und neigte ihren Kopf schüchtern. Warum denn das? Weshalb reagierte sie so verlegen und warum bekam ich keine Umarmung? „Vielen Dank für deine Glückwünsche heute Nacht und für diese Reise nach Kyoto.“ Mir war bewusst, dass ihre Verlegenheit etwas mit meiner nächtlichen SMS zu tun haben musste. Offenbar hatte sie genauso wenig Schlaf gefunden wie ich, zumindest sah sie so aus. Der ohrenbetäubende Lärm des einfahrenden Zuges erschütterte die peinliche Stille zwischen uns. Die Menschen drängten sich an uns vorbei und strömten in die einzelnen Abteile des schier endlos langen Zuges. „Schon gut. Die Idee für diese Reise als Geburtstagsgeschenk hatte Izzy. Ich habe nur das Hotelzimmer organisiert. Ein richtiges Geschenk habe ich also überhaupt nicht.“ Mimi lächelte und setzte sich als erste auf einen der vier Sitzplätze. „Dann kannst du mir ja einen schicken Kimono kaufen. Schließlich trägt man doch traditionelle Kleidung auf einem traditionell japanischen Fest in der Heimatstadt aller Japaner?“ Irgendwie mussten Izzy und ich über ihre Frage lächeln. Ich hätte ihr gottverdammt alles auf diesem Planeten gekauft, wenn sie mir dafür eine einzige Umarmung geschenkt hätte. Ich ließ mich auf dem Platz ihr gegenüber nieder und schlug meine Beine übereinander, nachdem sich mein bester Freund direkt neben Mimi gesetzt hatte. „Einverstanden. Dann steht neben dem Sightseeing als erstes Shopping auf dem Plan und heute Abend das Sternenfest?“ sagte ich und erhielt ein bestätigendes Nicken von den beiden. „Wie lange werden wir fahren?“ fragte Mimi und lehnte ihren Kopf sachte gegen die Schulter von Izzy. „Mit dem Shinkansen sind es nur dreieinhalb Stunden von Tokio bis Kyoto.“ Seine Antwort klang weder nervös, noch schien er über die Nähe zu ihr verwundert zu sein. „Mit der U-Bahn sind es noch mal zwanzig Minuten bis zum Hotel. Es ist das letzte Zimmer, was ich ergattern konnte und das auch nur über einige Kontakte. Keine Ahnung was es für ein Zimmer ist, hoffentlich keine miese Absteige.“ Ich grinste und lehnte meinen Kopf gegen den weichen Sitz. „Das ist mir völlig egal. Hauptsache wir drei sind zusammen und ich kann endlich Kyoto besuchen. Das ist das beste Geburtstagsgeschenk überhaupt!“ Sie freute sich wirklich wahnsinnig und verdammt, ich fühlte mich wirklich beschissen weil nicht ich es war, der sie damit überrascht hatte. Trotz meiner Müdigkeit konnte ich nicht aufhören, meine beiden Freunde zu beobachten. Vollkommen vertraut schmiegte sie sich an ihn. Die Art wie sie ihre Hand auf seine legte, wie sie ihn ansah, wie sie ihm ein Lächeln schenkte, ihm zärtlich über den Arm streichelte. Ich hätte kotzen können. Irgendwann wurden ihre Augen schwer und sie schlief an seiner Seite langsam ein. Mein Augenmerk wanderte ein wenig zur Seite und ich sah zu Izzy, der mich ebenfalls anstarrte. Erschrocken wendete ich meinen neugierigen Blick sofort von ihm ab. Hatte er etwa bemerkt, dass ich die beiden die gesamte Zeit beobachtet hatte? Ich fühlte mich ertappt und peinlich berührt zugleich. Nachdem er nichts zu mir sagte, lehnte ich meinen Kopf träge gegen das Fenster. Die vorbeiziehende Landschaft langweilte mich ungemein und irgendwann musste wohl auch ich eingeschlafen sein, denn ein kräftiges Rütteln weckte mich etwas unsanft. „Tai! Taichi, wir sind da. Wach auf!“ hörte ich Izzy zu mir sagten, während ich mir verschlafen die Augen rieb. Mimi stand bereits im Gang und hielt ihre Reisetasche in den Händen. Mit einem verschmitzten Grinsen sah sie mich an und zwinkerte mir zu. Allem Anschein nach gab mein schlafendes Gesicht allen Anlass, um sich über mich lustig zu machen. Meine Freundin war so unruhig und aufgeregt wie ein kleines Kind. Irgendwie konnte ich ihre Begeisterung für Kyoto überhaupt nicht nachvollziehen. Ich selbst hatte diese Stadt bereits ein paar Mal zuvor besucht. Natürlich war es eine besondere Stadt, eine Stadt zwischen Tradition und Moderne und alle Mal besser als Tokio. Aber so richtig konnte der Funke bei mir nicht überspringen. Die Straßen der Stadt waren unfassbar überfüllt. Wir erreichten irgendwann endlich das Hotel und nach einigen hitzigen Diskussionen an der Rezeption bekamen wir den Schlüssel für das letzte verfügbare Zimmer. Es war ein Doppelzimmer. Uns Dreien stockte der Atem. Wie sollten wir zu dritt in einem Doppelzimmer übernachten? Genau diese Frage galt es dann mit dem Rezeptionisten zu diskutieren, bis ich schließlich sagte, dass wir zu dritt in dem Bett schlafen würden. Als wir in dem winzigen Zimmer standen und uns darüber bewusst wurden, dass nicht einmal die Klimaanlage funktionierte und es wohl eine sehr heiße und beengte Nacht werden würde, war es Mimi die lautstark anfing zu lachen. Izzy und mir war irgendwie überhaupt nicht zum lachen zumute, aber als wir ihr unbeschwertes Gesicht sahen, kamen wir nicht umhin die Situation ebenfalls mit Humor zunehmen. „Wie im Ferienlager. Da mussten wir auch zu viert in winzigen Zelten übernachten.“ sagte Mimi als sie das Badezimmer verließ. Ihre wunderschönen Haare fielen offen über ihre Schultern und ihre Wimpern hatte sie dezent mit etwas Mascara betont. Sie trug ein gelbes Sommerkleid, welches verdammt eng war und ihre Kurven reizvoll betonte. „Damals im Ferienlager waren wir selbst aber nur halb so groß wie jetzt. Da passten wir zu viert in ein Zelt. Wie sollen wir denn zu dritt in diesem Bett schlafen?“ fragte mein Freund und ließ sich mit einem lauten Seufzen nach hinten auf die Matratze fallen. „In dem wir uns einfach ganz eng zusammen kuscheln.“ erwiderte Mimi grinsend und sah plötzlich zu mir rüber. „Gegen kuscheln habe ich grundsätzlich nichts, aber wir haben da draußen 36℃ und die Klimaanlage funktioniert nicht. Ich glaube, da will ich heute Nacht lieber nicht kuscheln.“ Ich sah zu ihr und bekam als Antwort nur ihre rosafarbene Zunge herausgestreckt. „Ihr seid so richtig alte, verbitterte Männer. Jetzt seid halt flexibel und nehmt die Dinge so, wie sie kommen. Es ist nur eine Nacht und die werden wir schon überleben. Ich habe heute Geburtstag und will nicht solche mürrischen Gesichter sehen!“ Wenn sie nur wüsste, wie recht sie damit hatte. Ich grinste in mich hinein und beobachtete, wie sich mein bester Freund auf dem Bett aufsetzte. Mimi legte ihre Hände auf seine Schultern und lehnte ihre Stirn gegen seine. Mir schnürte es den Hals zu. „Lasst uns los gehen.“ raunte ich mit brüchiger Stimme und drängte mich an den beiden vorbei. Ich musste raus hier. Diesen Anblick konnte ich nicht länger ertragen. Wenige Minuten später befanden wir uns zwischen all den Menschen im Gedränge der Straßen. Izzy spielte den Reiseführer und Mimi kam nicht aus dem Staunen heraus. Nach der furchtbar langweiligen Teezeremonie, fünf Tempelanlagen und drei Schlössern später waren wir endlich in der Einkaufsstraße und suchten nach einem Kimono für Mimi. Wir Männer gaben letztlich auf und setzten uns an den Bordstein, während unsere Freundin wie wild mit meiner Kreditkarte die Läden plünderte. Schließlich kam sie mit einer großen Schachtel zu uns zurück und schenkte mir ein breites Grinsen. „Dein Geld ist definitiv gut investiert! Lasst uns zurück zum Hotel gehen, damit ich mich umziehen kann. Das Fest beginnt bald und ich habe keine Ahnung wie man einen Kimono bindet.“ Mimi setzte sich in Bewegung und wir folgten ihr. „Ist das dein Ernst? Du kannst keinen Kimono binden?“ fragte ich erstaunt und musterte ihren schmalen Rücken. „Irgendwie bekomme ich das schon hin. So schwer kann es ja nicht sein.“ antwortete sie unbekümmert. Mit einem ungläubigen Grinsen sah ich zu meinem Freund rüber. Ich wusste nämlich ganz genau wie beschissen schwierig es war, diese Klamotten anzuziehen. Ich hatte eine kleine Schwester und musste ihr ständig dabei helfen einen Obi zu binden. Ich stieß die Tür zum Hotelzimmer auf und völlig erschöpft ließ ich mich auf dem großen Doppelbett nieder. Izzy setzte sich neben mich, während Mimi im Badezimmer verschwand. „Alles in Ordnung?“ seine Worte ließen mich zu ihm aufsehen und ich seufzte leise. „Ja, was soll denn sein?“ „Mir sind deine Blicke nicht entgangen. Müssen wir beide irgendwas miteinander klären?“ Ich hätte nie gedacht, dass mich Izzy einmal so direkt auf einen Konflikt ansprechen würde. Langsam schob ich meine Ellenbogen unter meinen Rücken und richtete mich auf. Zögerlich sah ich in seine dunkelbraunen Augen und überlegte tatsächlich ihn zu fragen, was da zwischen ihm und Mimi lief, doch dann öffnete sich die Badezimmertür. „Ich kann es nicht! Was zieht man denn zu erst an? Und wie bindet man es zusammen?“ völlig verzweifelt suchten ihre Augen nach Antworten in unseren Gesichtern. Mein müder Körper erhob sich vom Bett und ich ging zu ihr rüber. Vielleicht war es ganz gut, dass Mimi dazwischen kam. Wahrscheinlich wäre dieses Gespräch zwischen mir und Izzy nicht gut verlaufen. Ich drängte Mimi zurück ins Badezimmer und schob die Tür mit meinem Fuß hinter mir zu. „Zeig mal her….“ murmelte ich und manövrierte sie vor den Spiegel. Ich selbst stand hinter ihr und band den Nagajuban mit dem Datejime zusammen. Hoffentlich würde niemals jemand erfahren, dass ich genau wusste was ich da tat. Neugierig musterten mich ihre glänzenden Augen. Mimi schien sehr erstaunt darüber zu sein, dass ich völlig schweigsam ihren Kimono binden konnte. Als letztes packte ich den Obi aus der Verpackung aus und legte ihn vorsichtig um ihre Taille. Sie hatte einen wunderschönen Kimono gekauft. Es war elfenbeinfarbene Seide mit aufgestickten Schmetterlingen. Der Obi hatte eine seidig glänzende altrosane Färbung. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel und meine Hände ruhten kurz oberhalb des gebundenen Obis auf ihrem Rücken. „Tai….“ sie stockte kurz und strich sich einige Haarsträhnen hinters Ohr. „...warum kannst du einen Kimono binden?“ „Ich habe eine kleine Schwester mit zwei linken Händen.“ Ich grinste beiläufig und fuhr mit meinen Händen langsam durch ihr Haar. „Weißt du denn nicht, dass ein elfenbeinfarbener Kimono ein Hochzeitskimono ist?“ sagte ich leise und beobachtete, wie sie unter meinen Berührungen langsam ihre Augen schloss. „Nein, das wusste ich nicht.“ Mimi legte ihren Kopf in den Nacken, sodass sie gegen meine Schulter stieß. „Du wärst ganz bestimmt eine wunderschöne Braut. Zumindest siehst du jetzt in diesem Kimono unglaublich elegant aus.“ Was redete ich denn da? Das hörte sich ja total bescheuert an. Wahrscheinlich war mein Hirn total vernebelt von ihrem süßlichen Jasminduft, der sich in meine Nase drängte. „Vielen Dank für dieses schöne Geschenk.“ sie öffnete ihre Augen und schenkte mir ein freches Grinsen. „Das du dir selbst gekauft hast?“ erwiderte ich ebenso grinsend und legte meine Hände auf ihren Bauch. „Ich meinte nicht den Kimono.“ sagte sie unerwartet und löste sich aus meinen Armen. Wie ein begossener Pudel stand ich im Badezimmer und starrte ihr hinterher. Meinem rothaarigen Freund fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er Mimi so sah. Sie packte den Inhalt ihrer Handtasche in einen kleinen Stoffbeutel und schlüpfte in ihre Schuhe. Gemeinsam brachen wir schließlich zum Fest auf. Ganz Kyoto war mit Papierlampions und Fackeln geschmückt. Junge Mädchen und Frauen waren in farbenfrohe Kimonos gekleidet und stolzierten auf ihren Holzsandalen an uns vorbei. Auf unserem Weg durchquerten wir natürlich eines der berüchtigsten Rotlichtviertel, das Pontochô. Einige Maikos und Geishas standen vor den Teehäusern und machten uns schöne Augen. Mimi war völlig fasziniert und griff im Gedränge der Menschen nach meiner Hand. „Sag mal, bist du schon einmal in einem solchen Teehaus gewesen?“ Auf ihre Frage hin blickte ich sie verwundert an und zog sie dichter zu mir. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ erwiderte ich und konnte das schadenfrohe Grinsen meines besten Freundes deutlich erkennen. „Mit Klienten geht man doch sicherlich auch mal in so ein Etablissement, oder etwa nicht?“ Völlig entrüstet zog ich meine Augenbrauen nach oben und starrte in ihr neugieriges Gesicht. „Du meinst jawohl mit deinem zweideutigen Ausdruck von »Etablissement« kein Teehaus, sondern ein Bordell! Meine Liebe, ich habe noch nie für Sex bezahlt und habe es auch in Zukunft nicht vor.“ Wie kam sie denn auf solche Ideen? Außerdem waren Geishas doch keine Prostituierten im engeren Sinn. „Aber in einem Teehaus sind wir tatsächlich schon mit Klienten gewesen und wurden dort auch von einer Geisha bedient. Das hatte aber überhaupt nichts mit Prostitution zu tun.“ ergänzte Izzy und schob sich die Hände in seine Hosentaschen. Blöder Scheißkerl, ließ mich erst auflaufen, um mich dann doch gnädiger Weise zu retten? Da hatte er ja noch einmal Glück gehabt, sonst hätte ich ihm diese Nacht das Kissen aufs Gesicht gedrückt. Am Ende der Straßen kamen wir auf den großen Festplatz am Ufer des Kamogawa. Die untergehende Sonne tauchte die Silhouetten der umliegenden Restaurants und Terrassen in eine blutrote Farbe. In den Bäumen hingen unzählige Lampions und Kinder trugen kleine Bambuszweige, an denen ihre Wunschzettel befestigt waren. An einem Imbiss-Stand kauften wir einige Okonomiyaki und stießen standesgemäß mit etwas Sake auf Mimis Geburtstag an. Ich hatte einen Bärenhunger und stopfte die kleinen köstlichen Pfannkuchen förmlich in mich rein. Als wir weiter gingen, zog Mimi plötzlich an meinem Ärmel und bat mich und Izzy darum, mit ihr einen Goldfisch zu fangen. Wir waren die einzigen Erwachsenen an diesem Stand. Um uns herum hockten nur kleine Kinder an den Wasserbecken und versuchten mit einem winzigen Papiersieb einen Goldfisch zu ergattern. Natürlich stellte ich mich völlig grobmotorisch an und hätte nicht einmal mit dem Nudelsieb meiner Mutter einen Fisch fangen können. Selbst mein bester Freund schien kein Glück zu haben. Aber Mimi gelang es nach nur drei Versuchen tatsächlich einen kleinen Goldfisch zu erhaschen. Nachdem eines der Mädchen neben ihr anfing vor Verzweiflung zu weinen, schenkte Mimi dem Mädchen ihren Goldfisch. „Du bist einfach zu gütig.“ sagte ich bissig und streckte ihr meine Zunge heraus. „Die Kleine tat mir leid. Sie hatte es sooft probiert und doch keinen Fisch gefangen.“ Mimi war wirklich zu süß. Manchmal hatte sie diese liebevolle Seite an sich, die sie aber leider viel zu selten zeigte und sich lieber hinter der Maske der verwöhnten Prinzessin versteckte. Wir liefen am Ufer des Flusses entlang und entdeckten einige schwimmende Papierboote in deren Mitte eine kleine Kerze brannte. Mimi blieb neben einigen jungen Frauen stehen und beobachtete sie dabei, wie sie die Papierboote falteten und mit Tinte einige Schriftzeichen drauf pinselten. „Sternenkind? Was bedeutet das?“ murmelte sie fragend und eine der jungen Frauen schenkte ihr ein höfliches Lächeln. „Als Sternenkinder werden die Kinder bezeichnet, die während oder nach der Geburt versterben. Oder jene Kinder, die die Sterne erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften.“ Ich und Izzy blieben wie angewurzelt hinter Mimi stehen und hörten den Worten dieser jungen Frau ebenfalls zu. „Selbst wenn die Eltern oftmals ihr Kind nicht in den Armen halten konnten und die Zeit mit diesem nur sehr kurz war, so besteht dennoch eine intensive Bindung. Der Tod des Kindes verursacht deshalb ein tiefgreifendes und langanhaltendes Gefühl von Trauer bei den Müttern und Vätern. Deswegen treffen sich Eltern jedes Jahr zum Sternenfest hier am Fluss und lassen als Andenken an ihre Sternenkinder eines dieser Lichterschiffchen zu Wasser.“ Im Bruchteil einer Sekunde schien meine Welt zu erstarren. Alles um mich herum verschwand. Unfähig irgendetwas in meinem Herzen zu fühlen, wanderte mein verschwommener Blick zu Mimi. Ein eisiges Gefühl von Kälte stieg in mir empor und ich hätte zur gleichen Zeit schreien und weinen können. Mimi hockte sich ans Ufer und betrachtete die einzelnen tanzenden Lichter auf der Wasseroberfläche. Sie sagte kein Wort, aber ich konnte sehen, dass sie am ganzen Körper zitterte. Es war, als stünde ich neben mir. Ich griff nach einem der Papierschiffchen und hockte mich neben meine Freundin. Schweigend legte ich ihr das kleine Boot in die Hand und platzierte die Kerze in dessen Mitte. Als der Docht brannte, sah ich in ihr Gesicht. Ihre Augen waren leer und Tränen hatten sichtliche Spuren auf ihren Wangen hinterlassen. Ich führte unsere beiden Hände langsam zum Wasser. Gemeinsam gaben wir das Schiffchen frei und ließen es treiben. Ihre langen Haarsträhnen fielen über ihre Schultern und Tränen verfingen sich darin. Es war ein leises Schluchzen was mir verriet, dass sie tatsächlich weinte. Mein Herz schmerzte so unsagbar, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste jede Sekunde sterben. Es kostete mich soviel Kraft, dass ich nicht selbst in Tränen ausbrach. Ich griff hastig nach Mimi und zog sie in meine Arme. Auf den Knien saßen wir am Ufer des Flusses und ich drückte sie fest an meine Brust. Im Schutze meiner Arme ließ sie ihrer Trauer freien Lauf. Ich spürte ihre bebende Brust dicht an meinem Herzen. So viele Tränen hatte ich vergossen, ich konnte einfach nicht mehr darum weinen. Es war zu spät. Irgendwann, vor langer Zeit, hätten wir eine Familie sein können. Irgendwann, vor langer Zeit, hätte ich das ungeborene Leben, welches sie unter ihrem Herzen trug bewahren müssen. Irgendwann, vor langer Zeit, hätte ich diese Frau in meinen Armen beschützen müssen. Doch ich ließ sie alleine, ließ zu, dass andere Menschen Entscheidungen trafen und uns entzweiten. Als sich Mimi weinend an mich schmiegte wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass wir beide noch nie darüber gesprochen hatten. Einsam und alleine versuchten wir mit dem Schmerz, der ein riesiges Loch in unsere Herzen gerissen hatte, zu leben. Jeden Tag aufs Neue aufzuwachen, zu lächeln, weiter zu leben. „So ist es nicht gewesen. Es ist kein Sternenkind...“ ihre brüchige Stimme ließ mich erzittern. „...es ist tot, weil ich es hab weg machen lassen.“ Ich hörte wie ein gequältes Keuchen meine Lippen verließ und ich sie unweigerlich fester an mich drückte. Verzweifelt presste ich meine Augenlider zusammen und spürte, wie eine heiße Träne über meine Wange kroch. „Du hast diese Entscheidung aber nicht selbstständig getroffen. Dir blieb keine andere Wahl, andere Menschen drängten dich dazu. Dieses Kind hat die Sterne erreicht, noch bevor es das Licht der Welt erblicken konnte. Ganz egal unter welchen Umständen. Deshalb ist es ein Sternenkind.“ meine Stimme erschauderte unter meinem ungleichmäßigen Atem. „Ich kann damit nicht leben. Es frisst mich auf, es tut so weh und ich kann es einfach nicht vergessen. Es war ein Teil von mir und jetzt ist da nichts mehr.“ Ihre Fingernägel bohrten sich durch den dünnen Stoff meines Hemdes und meine Haut fing an wie Feuer zu brennen. „Mimi, damals ist nicht nur ein Teil von dir gestorben, sondern auch von mir. Es muss wehtun, denn sonst vergessen wir. Ich will es nicht vergessen. Niemals.“ Ich konnte nicht weiter sprechen, da meine Stimme unter meinen Tränen brach. Zärtlich streichelte ich ihr einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und küsste liebevoll ihre Stirn. Wenn sie nur wüsste, wie sehr ich gelitten habe. Wenn ich nur sagen könnte, dass es über all die Jahre niemals besser geworden ist. Aber wie könnte ich es ihr sagen, jetzt wo ich sie so zerbrochen in meinen Armen hielt? „Ich bin nicht bei dir gewesen und dabei hätte ich es sein müssen, der dich davor bewahrt diesen Weg alleine zu gehen. Ich werde dich irgendwann um Verzeihung bitten, aber erst dann, wenn ich mir selbst vergeben kann.“ Als ich diese Worte gegen ihre Stirn flüsterte, wurde ihr Griff lockerer und ihr Schluchzen verebbte langsam. Nach einer schier endlosen Zeit, die wir ineinander verschlungen am Ufer des Flusses knieten, wurde es unbeschreiblich still zwischen uns. Einzig die gedämpften Geräusche der Menschen um uns herum, weckten ab und an mein Gehör. Mimi löste sich langsam aus meinen Armen und blickte schweigend auf die beständige Strömung der schimmernden Wasseroberfläche. Zögerlich legte ich meine Hand auf ihre. Unsere Finger verflochten sich miteinander und Mimi wischte sich mit der anderen Hand über ihr verweintes Gesicht. Danach zog sie mich langsam nach oben und wir drängten uns durch die Menschen zurück auf das Fest. In diesem intensiven Moment zwischen uns, hatte ich meinen besten Freund völlig aus den Augen verloren. Angestrengt sah ich mich nach ihm um, konnte ihn aber nirgends erkennen. Mimi selbst schien auch nach Izzy zu suchen, doch noch bevor sie ihr Telefon aus ihrem kleinen Stoffbeutel erhaschen konnte, sah ich ihn abseits des Gedränges auf einer Parkbank sitzen. Einige brennende Lampions hingen über ihm und erhellten die Dunkelheit der Nacht. Ohne ein Wort miteinander zu wechseln, gingen Mimi und ich zu ihm. Etwas überrascht sah er zunächst Mimi und dann mich an. Danach tat er etwas, wofür ich ihm wohl ewig dankbar sein werde. Er lächelte. Es war ein Moment, in dem wir drei wohl keiner Worte bedurften. Stumm erhob sich Izzy und legte seine Hand fürsorglich auf meine Schulter. Sein Blick stellte keine Fragen und verurteilte mich nicht. Manchmal gab es einfach nicht genügend Worte, um zu beschreiben was man fühlte. Ein Blick, eine zärtliche Geste oder ein sanftmütiges Lächeln konnten soviel mehr sagen als alle Sprachen dieser Welt. Wir kehrten allmählich zurück ins Hotel. Als wir den endlosen Flur entlang gingen, packte mich Izzy plötzlich am Arm und zog mich etwas zurück. „Ich glaube, dass ich euch besser alleine lassen sollte. Dieser Moment ist etwas ganz besonderes für euch. Es ist euer Moment und ich denke, dass ihr endlich darüber sprechen solltet.“ Völlig entgeistert starrte ich in seine dunkelbraunen Augen. „Wie bitte? Wo willst du denn schlafen, auf dem Gang? Es gibt in der ganzen Stadt keine Zimmer mehr und….“ doch er unterbrach mich harsch. „Ich werde den Nachtbus zurück nach Tokio nehmen.“ Jetzt wurde es mir aber zu blöd. Ärgerlich packte ich seinen Arm und zerrte ihn unsanft zu mir. „Bist du bescheuert oder was? Du lässt sie hier nicht sitzen. Sie hat heute Geburtstag und ich werde ganz bestimmt nicht mit dieser verdammten Scheiße von damals anfangen und heute mit ihr darüber sprechen. Du bleibst hier!“ Eigentlich klang meine Stimme verdammt sauer, doch gegen Ende hin wurde ich immer flehender. Ich wollte nicht, dass er ging. Möglicherweise weil ich Angst davor hatte mit ihr alleine zu sein. Ich konnte dieses Gespräch nicht führen, nicht heute, nicht jetzt, nicht mit ihr. Auf einmal konnte ich ein Lächeln auf seinen Lippen erkennen und deshalb zog ich meine Augenbrauen erstaunt nach oben. Ohne noch etwas zu sagen, ging er an mir vorbei und folgte Mimi in das Zimmer. Manchmal wurde ich wirklich nicht schlau aus diesem Kerl. Es war wirklich wie im Ferienlager. Erst mussten wir alle nacheinander duschen und dann standen wir, wie die drei von der Tankstelle, vorm Spiegel und putzten uns unsere Zähne. Plötzlich fing Mimi an zu lachen und prustete dabei die gesamte Zahnpasta gegen die glatte Oberfläche des Spiegels. Selbstverständlich musste ich ebenso lachen und besabberte dabei mein Shirt, woraufhin mich Izzy und Mimi lautstark auslachten. Ich drehte den Wasserhahn auf und spritzte achtlos mit kaltem Wasser nach den beiden. Izzy wollte sich damit zur Wehr setzen, indem er Mimi als Schutzschild benutzte, woraufhin diese schrill quietschte. Ich sah zu meinem besten Freund und deutete ihm mit meinem Blick, dass wir Mimi unter die eiskalte Dusche stellen sollten. Ohne Einwände packte er sie von hinten und ich griff nach ihren Fußgelenken. Unter lautem Protest und zugegebenermaßen heftigen Tritten beförderten wir sie in die Duschkabine. „Ihr Schweine! Wenn ihr jetzt das kalte Wasser anstellt werde ich nackt schlafen! Ich schwöre euch, dass ich schreckliche Rache nehmen werde!“ kreischte sie lachend und versuchte immer wieder meine Hände abzuwehren. „Du nackt in diesem Bett, das wäre wirklich eine schreckliche Strafe für uns beide!“ sagte ich nur hämisch grinsend und stellte das kalte Wasser an. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so unglaublich lachen musste. Es war wirklich beinahe soweit, dass ich mir in die Hose gepinkelt hätte. Mimi erkämpfte sich schlussendlich den Brausekopf zurück und richtete diesen fluchend auf Izzy und mich. Klitschnass zogen wir uns unsere Shirts aus. Mein Freund reichte Mimi schließlich ein frisches von seinen, womit sie im Badezimmer verschwand und sich umzog. „Ich dachte du willst nackt schlafen?“ sagte ich provokant und legte mich mit meiner nassen Unterhose auf die rechte Seite des Bettes. „Da wir in einem Bett schlafen, möchte ich feuchte Träume unbedingt vermeiden!“ sagte sie kess und sprang direkt vom Badezimmer ins Bett. „Also ich weiß ja nicht mit was für Milchbubis du dich umgibst. Aber feuchte Träume hatte ich das letzte mal mit 15 Jahren.“ gurgelte ich kichernd und betrachtete ihren zierlichen Körper, der so dicht neben mir lag. Izzy zog die Vorhänge zu und platzierte sich auf der linken Seite des Bettest, sodass Mimi zwischen uns in der Mitte lag. Im Zimmer war es so unerträglich heiß, dass wir die Laken mit unseren Füßen nach unten schoben. Die Dunkelheit umhüllte uns und völlig erschöpft platzierte ich meine Arme unter meinem Kopf. Mein Ellenbogen stieß gegen den meines besten Freundes und verschämt rückte ich etwas mehr an die äußere Kante des Bettes. Also ich hatte ja wirklich nichts gegen einen Dreier, aber dann doch bitte mit zwei Frauen und nicht meinem besten Freund. „Wenn wir Kinder wären, wäre es wohl völlig normal zu dritt in einem Bett zu schlafen, aber jetzt hat es echt was versautes an sich.“ sagte ich kichernd. „Irgendwie tatsächlich eine merkwürdige Situation. Da könnten einem Typen wie dir schon wirklich schmutzige Gedanken kommen.“ erwiderte Izzy rotzfrech und streckte mir seine Zunge raus. „Weshalb sollte nur Tai diese schmutzigen Fantasien haben. Findest du mich etwa nicht attraktiv oder bist du schwul?“ als Mimi diese Frage formulierte musste ich insgeheim so bösartig lachen, weil ich das hilflose und beschämte Gesicht meines Freundes sah. Mimi erlöste ihn meines Erachtens viel zu schnell aus dieser misslichen Lage und sprach weiter. „Am Ende seid ihr beide Männer und damit perverse Dreckschweine. Trotz aller Liebe, würde ich mit euch beiden niemals einen Dreier schieben. Also wenn ihr später in der Nacht aufwacht und nicht mehr auf dem Bauch liegen könnt, dann solltet ihr vielleicht eine kalte Dusche nehmen.“ Wer war denn jetzt versaut von uns? Mimi konnte ja sehr gut in Worte fassen, was physisch mit einem Mann geschah, wenn er erregt war. Sie war wirklich ein unglaublich freches Biest und wusste gezielt ihre Reize einzusetzen. Izzy und ich nahmen es ihr keinesfalls übel, sondern grinsten verschmitzt und ließen ihre Aussagen unkommentiert. „Ich danke euch beiden für diesen wundervollen Tag. Gute Nacht.“ flüsterte Mimi in die Stille zwischen uns und drehte sich auf die Seite. Ich spürte ihr Gesicht an meiner Brust und wie ihr Atem gleichmäßig meine nackte Haut streifte. Ein raschelndes Geräusch verriet mir, dass sie nach Izzys Arm griff und ihn um sich legte. Im selben Moment schob sie ihre Hand sanft über meine Brust. Mein Herz raste und in wenigen Sekunden war meine Müdigkeit völlig weggeblasen. Wie konnte sie sich so dicht an mich schmiegen? Ich würde niemals ein Auge zu bekommen. Schweiß perlte über meine nackte Haut. Ihre Haarsträhnen kitzelten auf meiner Brust, während ihre Lippen sich fordernd von meinem Schlüsselbein hinauf zu meinem Hals arbeiteten. Ihre Finger glitten ohne Umschweife über meinen Bauchnabel und fuhren unter meine Unterhose. Perplex starrte ich in ihre lustverhangenen Augen, als sie sich aufrichtete und sich rittlings auf mich setzte. Ihre Schenkel pressten sich an meine Hüfte und ihre Finger wanderten neugierig über meine Brust. Ihre Lippen berührten die meinen nur flüchtig. Sie küsste mich nicht, ließ ihre Zunge jedoch über mein Kinn, hinab zu meiner Brust und dann weiter über meinen Bauch gleiten. Ein ersticktes Keuchen verließ meinen Mund und ich presste genüsslich meinen Kopf ins Kissen, als ihre Lippen langsam am Bund meiner Unterhose ankamen. Ich spürte ihre kühlen Finger, wie sie den Stoff langsam nach unten schoben und ihre Zunge neugierig weiter hinab glitt. Kurz bevor sie meine empfindlichste Stelle erreichte, hielt sie Inne und sah mit ihren goldbraunen Augen zu mir rauf. Ein verschmitztes Lächeln zeichnete sich auf ihrem grazilen Gesicht ab und sie richtete ihren Oberkörper langsam wieder auf. Das weiße Shirt klebte auf ihre schweißnassen Haut und zeigte die darunter liegenden wohlgeformten weiblichen Rundungen schonungslos. Mein Mund wurde staubtrocken und ich leckte mir genießerisch über meine Lippen. Plötzlich bewegte sich ihr Arm nach links und meine müden Augen folgten ihrer Bewegung. Sie griff nach seinem Kragen und zog ihn dicht an sich. Es war ein anderer Mann den sie nun leidenschaftlich küsste und ihre Lippen mit den seinen vereinte. Während Mimi auf meinem Schoß saß, war es Izzy den sie brennend in einen wilden Kuss zog. Sie küsste nicht mich. Mit einem lauten Keuchen riss ich meine Augen auf und rang hilflos nach Atem. Die Hitze in diesem Zimmer war unerträglich und es dauerte einige Sekunden bis ich begriff, dass ich soeben nur geträumt hatte. Ich sah neben mich und erblickte eine schlafende Mimi, die noch immer dicht an mich gekuschelt lag. Hinter ihr ruhte mein bester Freund und hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt. Ich fuhr mir mit beiden Händen über mein schweißnasses Gesicht. Offensichtlich hatte ich vorhin den Mund zu voll genommen und die Zeit meiner feuchten Träume war noch längst nicht vorbei. Ich benötigte unbedingt eine kalte Dusche. Als ich im Badezimmer stand und mich wieder etwas runter reguliert hatte, betrachtete ich mein müdes Gesicht im Spiegel. Auch wenn wir vorhin wieder miteinander lachen konnten, ging mir der heutige Abend nicht aus dem Kopf. Mein Freund hatte recht, ich müsste mit Mimi über unsere Vergangenheit sprechen. Doch auch ich hatte Angst davor, dass alte Wunden aufreißen und ich erneut die Kontrolle verlieren könnte. Denn ich würde niemals vergessen können, wie sehr der Verrat eines Freundes schmerzte. Jedes Jahr dachte ich daran. Ich dachte daran wie es wäre ein Vater zu sein, ein Kind zu haben, ein gemeinsames Leben zu führen mit der Frau die ich liebe. Doch alles was letztlich übrig geblieben ist, war ein kleines Papierschiffchen mit einer Kerze darauf und dem Gedenken an ein Sternenkind. Kapitel 5: Aller Anfang ist schwer (Mimi) ----------------------------------------- Die Hitze im Zimmer war kaum auszuhalten und meine Haute klebte an dem Stoff meiner Kleidung. Ein schwacher Windzug streifte meine Wange und ließ mich allmählich meine Augen aufschlagen. Etwas desorientiert blickte ich direkt auf den Hinterkopf eines jungen Mannes. Ich war mir nicht sicher, ob ich noch immer schlief, also berührten meine Finger prüfend sein dunkelbraunes Haar. Er zeigte keinerlei Reaktion. Ein zaghaftes Lächeln schmückte meine Lippen, als mein Blick über seinen Körper hinweg zum geöffneten Fenster wanderte. Die Vorhänge wiegten sich gleichmäßig im Wind und von draußen dröhnte der Lärm der Straßen nach oben. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zur Seite und erblickte das schlafende Gesicht von Koushiro, der sorglos auf dem Rücken lag. Ich hatte also nicht geträumt. Ich lag hier im Bett mit meinen beiden besten Freunden und zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass der gestrige Abend ebenfalls kein Traum gewesen war. Mit einem leisen Seufzen legte ich mich auf den Rücken und fuhr mit beiden Händen durch mein nass geschwitztes Haar. Dieses Gefühl von Leere machte sich wieder in mir breit und alles woran ich denken konnte war dieses eine Wort. »Sternenkind« Ich sah noch immer das Gesicht von Tai vor mir, wie er mich am Ufer des Flusses in seinen Armen hielt, versuchte mir mit seinen Worten Trost zu spenden, mich vergessen zu lassen, mir die Schuld von den Schultern zu nehmen und dass er gleichzeitig genau wusste, dass er versagt hatte. Tai wusste, genauso wie ich, dass es Wunden gab, die einfach niemals heilen würden. Doch am meisten beschäftigte mich, dass er zu mir sagte, er könnte mich erst dann um Verzeihung bitten, wenn er sich selbst verziehen hätte. Mein Blick wanderte zu ihm. Ich sah lediglich seinen Rücken. Er sah so friedlich aus und ich wusste, dass ich den gestrigen Abend ohne ihn niemals überstanden hätte. Ich war inzwischen so routiniert darin, mich hinter einer freundlichen Fassade zu verstecken. Hinter blöden Witzen und zweideutigen Anspielungen, die auf keinen Fall Preis geben sollten, wie verletzlich ich im Inneren bin. Doch ich erinnerte mich genau an seinen tief traurigen Blick. Diese verletzten braunen Augen, die so hilflos und verloren in meine sahen und nach etwas suchten. Nach was hast du gesucht Tai? Was suchen wir beide ineinander? Werden wir es jemals finden oder uns in dieser endlosen Suche verlieren und daran zerbrechen? Du sagtest mir, dass es andere Menschen um uns herum gewesen seien, die diese Entscheidung trafen. Aber das was du nicht weißt ist, dass diese Geschichte mehr als nur eine Wahrheit hat. Vielleicht hattest du recht damit, vielleicht bist du nicht für mich da gewesen und konntest mich nicht beschützen. Aber ich glaube, selbst wenn du an meiner Seite gewesen wärst, hätte es nichts an meiner Entscheidung geändert. Wir waren zu jung, zu dumm, zu naiv und zu unvorsichtig. Vor acht Jahren hatte ich wirklich geglaubt, dass wir beide uns nach dieser einen Nacht lieben würden und du der Mann für den Rest meines Lebens wärst. Aber die Realität sieht nun mal ganz anders aus. Das mit uns war kein Märchen. Es gab kein Happy End und auch jetzt war ich mir nicht sicher, was das mit uns werden sollte. Gestern Abend hatte ich für mich den Entschluss getroffen, dass ich niemals wieder über unsere gemeinsame Vergangenheit sprechen möchte. Ich wollte alles hinter mir lassen und die logische Konsequenz würde demnach auch sein, dass ich diese Gefühle für dich, die irgendwie immer noch da waren, niemals zulassen dürfte. Das mit uns war vorbei, es hätte niemals anfangen dürfen, denn es brachte nur Schmerz und Leid für uns beide. Das habe ich gestern in deinen Augen gesehen. Auch wenn ich nicht weiß, was mit dir damals passiert ist, wie du es verarbeitet hast, so wurde mir am Ufer dieses Flusses mit einem Mal bewusst, dass etwas in dir zerbrochen ist. Wie dumm von mir, aber ich fühlte mich dafür verantwortlich. Denn es ist tatsächlich so wie du sagtest, es ist nicht nur ein Teil von mir gestorben, sondern auch von dir. Manche Wunden heilen eben nicht. Ich ertrug meine eigenen Gedanken nicht länger und schälte mich langsam zwischen den beiden aus dem Bett. Im Badezimmer gönnte ich mir eine kalte Dusche und machte mich zurecht. Neben meinem Make Up setzte ich auch meine übliche Maske auf und versuchte meinen Geburtstag weitestgehend zu vergessen. Mit einem frechen Grinsen weckte ich diese Schlafmützen auf und nach längerem Gegrummel standen auch Tai und Koushiro endlich auf. Wir verbrachten noch einen wundervollen Tag in Kyoto. Ganz ohne Streit, Sorgen oder mühseliger Worte über unsere Vergangenheit. Taichi wirkte merkwürdig entspannt. Diese erdrückende Spannung zwischen den Männern war überhaupt nicht mehr zu spüren. Während der Zugfahrt zurück nach Tokio schlief ich sofort ein. Endlich saß ich in einem klimatisierten Raum und musste nicht in meinem eigenen Schweiß baden. Auch wenn dieser kurze Ausflug auf der einen Seite sehr traurig und verletzend war, so hatte ich auch zahlreiche neue Erinnerungen sammeln können und ich freute mich auf den morgigen Arbeitstag beim Magazin. Als wir den Bahnhof erreichten war es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Gefangen in unserem Alltag, unserer eigenen erwachsenen Welt gingen wir auseinander. Hinter uns ein Berg aus ungesagten Worten. In den nächsten Tagen hatte ich unbeabsichtigt wenig Kontakt zu Koushiro und Tai. Ich konzentrierte mich auf meinen neuen Job und war bereits nach wenigen Tagen wieder völlig gefangen in der Redaktion. Ich kam spät nach Hause, aß zu wenig und trank auf den nächtlichen Partys mit meinen Kollegen definitiv zu viel Alkohol. Von einem gesunden und erholsamen Schlaf mal ganz zu schweigen. Inzwischen hatte der Sommer seinen Zenit überschritten. Die Tage wurden wieder erträglich und in den Nächten kühlte es sogar angenehm ab. Ich mochte den August. Die schwüle Hitze des japanischen Sommers ging langsam vorüber, aber es war dennoch nicht zu kühl und man konnte die langen Tage an der frischen Luft oder am Meer genießen. Nach einem schier endlosen Terminchaos schafften es Hikari und ich endlich uns auf einen Kaffee zu verabreden. Ich eilte gerade von der Redaktion zum vereinbarten Treffpunkt und war wie immer zu spät dran. Meine jüngere Freundin und ich hatten uns so viel zu erzählen und stets fehlte uns die Zeit. Ich war nun inzwischen seit knapp zwei Monaten in Tokio und wir hatten es einfach nicht geschafft uns endlich mal alleine zu treffen. Es war ein verregneter Donnerstagabend und ich öffnete die Tür zu dem kleinen Café. Hikari saß geduldig wartend am Fenster und hatte mich bereits entdeckt. Mit einem freudestrahlenden Gesicht ging ich zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Entschuldige meine Verspätung...“ flüsterte ich und setzte mich ihr gegenüber auf den Stuhl. „Kein Problem. Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet von Mimi Tachikawa.“ Oh verdammt, mein Ruf eilte mir wohl voraus. Eine gewisse Röte zeichnete sich auf meinen Wangen ab und es war mir sichtlich peinlich, dass ich ständig zu spät kam. Dennoch fanden wir beide schnell ins Gespräch. Unsere Themen überschlugen sich nach all den Jahren. Ich erzählte ihr von meiner Zeit auf dem Collage und der Uni in Kalifornien. Hikari war unglaublich neugierig und quetschte mich aus wie eine reife Tomate. Doch irgendwie fiel mir auf, dass wir ständig nur von mir sprachen. Ich grinste verschmitzt, während ich mir meinen zweiten Cappuccino bestellte. „Sag mal Hikari, was ist denn mit deinem Studium? Wie kam es dazu, dass du nicht mit Takeru nach Osaka gegangen bist? Und warum gibt es in deiner Wohnung kein einziges Foto von euch beiden?“ Ich hatte zwar über all die Jahre auch sporadischen Kontakt zu dem kleinen Blondschopf, aber so wirklich hatte Takeru auch nicht durchblicken lassen, was damals zwischen ihm und Hikari vorgefallen war. „Du fällst aber mit der Tür ins Haus...“ murmelte sie mit einem verlegenen Gesichtsausdruck. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und es ist nicht nur viel in meinem Leben passiert. Es macht mich einfach traurig zu wissen, dass ihr beide keinen Kontakt mehr miteinander habt.“, meine Antwort war ehrlich und ich sah in ihrem unsicheren Blick, dass Hikari irgendwie schon gerne darüber sprechen wollte, aber nicht wusste wie sie anfangen sollte. „Mich macht es auch traurig, dass ich ihn überhaupt nicht mehr in meinem Leben habe.“, verwirrt sah ich zu ihr. Ich schluckte hart und dann fing Hikari an, mir ihre Geschichte zu erzählen. „Irgendwie hatte alles mit der Scheidung meiner Eltern angefangen. Damals war es unerträglich zu Hause. Ich flüchtete mich zu Takeru und verbrachte sehr viel Zeit mit ihm. Natürlich missfiel das meinem Bruder, der nicht wollte, dass ich mich mit dem Bruder von Yamato abgab.“, Hikari unterbrach ihren Redefluss kurz und sah mich entschuldigend an. „Meinem Bruder ging es damals sehr schlecht. Das hatte mehrere Gründe und irgendwie fühlte ich mich schuldig. Also traf ich mich weniger mit Takeru. Er konnte es nicht verstehen und bemühte sich nur noch mehr um mich. Ich hatte damals das Gefühl mich zwischen meinem Bruder und meinem besten Freund entscheiden zu müssen. Der Krach zu Hause, das Chaos mit meinem Bruder und diese immer intensiver werdenden Gefühle für Takeru setzten mich so dermaßen unter Druck, dass ich mich entscheiden musste. Als ich die Zusage für das Studium in Osaka bekam, schien es eine ideale Fluchtmöglichkeit zu sein. Endlich aus diesem Irrenhaus auszubrechen, alles hinter mir zulassen und mit Takeru fortzugehen….“, ein erschütternd schmerzvolles Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen und Hikari wich meinem Blick plötzlich aus. Ich konnte die Bitterheit in ihren Worten hören, als sie nach einer längeren Pause weiter sprach. „...aber es kommt eben alles anders als man denkt. Meine Eltern ließen sich scheiden, mein Bruder brauchte mich damals an seiner Seite und mir wurde bewusst, dass ich die Vergangenheit nicht hinter mir lassen konnte. Ich wusste, dass Takeru mich niemals zurück gelassen hätte. Er wäre immer an meiner Seite geblieben. Also musste ich dafür sorgen, dass es nichts mehr gab, was ihn hier in Tokyo halten würde. Ich musste dafür sorgen, dass er mich losließ und das Studium in Osaka alleine anfangen würde.“ Tränen rollten über ihre Wange, doch Hikari wischte sie blitzschnell weg. Ich merkte, wie mein Mund trocken wurde und mir einfach die Worte fehlten. Vielleicht gab es aber auch überhaupt nichts dazu zusagen. Langsam schob ich meine Hand über den Tisch und berührte ihre zitternden Finger. Sie sah mich an und lächelte sanft. „Schon gut. Es ist so lange her. Heute tut es nur noch ein kleines bisschen weh. Im Grunde habe ich mich dann auf diese Beziehung eingelassen, mit einem Kerl, den ich gar nicht wollte. Aber ich habe damit mein Ziel erreicht. Takeru war am Boden zerstört, unsere Freundschaft zerbrach und er verließ Tokio, um in Osaka zu studieren. Alles in allem ging mein Plan auf.“, sie seufzte leise und spielte mit dem Strohhalm in ihrem Eistee. „Nur leider war diese Beziehung einfach furchtbar, denn man kann nicht zwei Menschen gleichzeitig lieben.“ Was hatte sie da gerade gesagt? Man könnte nicht zwei Menschen gleichzeitig lieben? Sie liebte Takeru? Immer noch? Schon immer? Aber heute sah die Welt doch anders aus. Wenn sie ihn immer noch liebte, warum gab sie ihm nicht nochmal eine Chance? Es wäre doch schrecklich, weiter in dieser Ungewissheit zu leben. „Du solltest auf dein Herz hören und den Mut aufbringen, dir und ihm nochmal eine Chance zu geben. Meinst du nicht, dass es sich unwahrscheinlich schwer leben lässt mit diesem ständigen »Was wäre wenn« im Kopf?“, in meiner Stimme klang deutlich eine gewisse Fassungslosigkeit heraus. „Was denn für eine Chance? Ich habe ihm damals das Herz gebrochen. Ich wollte, dass er sein Glück woanders findet. Es wäre doch völlig unfair, wenn ich jetzt wieder ankomme und versuche mich in sein Leben zu drängen. Außerdem will er sicherlich nichts mehr von mir wissen...“, sehnsüchtig starrte sie auf ihre Finger. „Aber woher willst du das denn wissen?“, jetzt hatte es mich aber gepackt. Diese Geschichte zwischen den beiden durfte doch nicht so enden. „Es gibt keine Anrufe von ihm, keine Geburtstagswünsche und wenn wir uns das eine oder andere Mal in Tokio begegnen, weil er seine Mutter besucht, gibt es nur eine flüchtige Begrüßung und nichts weiter. Als seien wir alte Bekannte, die sich nichts weiter zu sagen haben und so ist es wahrscheinlich auch.“ Ich sah, dass dieses Gespräch Hikari an den Rand ihrer Belastbarkeit führte. Ungewollt hatte ich sehr tiefe Verletzungen aufgerissen und bohrte mit meinen Fingern in ihren Wunden. „Takeru hat am Samstag Geburtstag, aber sicherlich weißt du das. Er hat mich eingeladen und er wird hier in Tokio in der Wohnung seiner Mutter feiern. Du solltest einfach mitkommen. Sicherlich werden auch Joey und seine Verlobte da sein und natürlich werde ich auch Koushiro mitschleifen. Es wird bestimmt ein lustiger Abend.“, mit einem zutiefst entsetzten Gesichtsausdruck starrte mich die kleine Brünette an. Hikari schob ihre Brille zurück auf die Nase und holte tief Luft. „Bist du bescheuert? Hast du mir gerade nicht zugehört? Ich gehe doch nicht auf seinen Geburtstag. Nachher ist da seine Freundin oder wer auch immer und ganz bestimmt will er mich nicht an diesem Abend sehen.“ Ich stand plötzlich auf und knallte etwas Geld auf den Tisch. „Weißt du was Hikari, das Leben ist zu kurz für diese Scheiße! Das schlimmste was passieren kann ist, dass er dir sagt du sollst dich verpissen. Gut, dann ist es blöd gelaufen, aber du weißt wenigstens woran du bist und kannst mit diesem Kapitel abschließen. Alles ist besser als diese Ungewissheit.“ Ihre großen runden Knopfaugen starrten mich fragend an und ich schenkte ihr lediglich ein süffisantes Grinsen. „Zieh dir einen heißen Fummel an, ich hole dich gegen acht ab.“ Ich weiß zwar nicht, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe, aber irgendwie wollte ich nicht, dass die beiden in ihrem Unglück ertranken. Nach all den Telefonaten mit Takeru hatte ich ziemlich schnell raus, dass es da keine andere Frau in seinem Leben gab. Neben Studium und Sport spielte sich da relativ wenig in Osaka ab und seinen Geburtstag feierte er eigentlich auch nur in Tokio, weil er mit mir feiern wollte. Die zwei führten ein völlig trübsinniges Leben, einander vermissend und nicht dazu in der Lage, sich auf irgendwas anderes einlassen zu können. Wo war das denn bitte sinnbringend? Aber ein anderer Aspekt unseres zurückliegenden Gespräches beschäftigte mich viel mehr. Was hatte sie mir zwischen den Zeilen über ihren Bruder erzählt? Es muss eine Zeit gegeben haben, in welcher es Taichi sehr schlecht ging und Hikari ihn deswegen keinesfalls verlassen konnte. Dieser besorgniserregende Zustand ihres Bruders hatte bei Hikari sogar Schuldgefühle ausgelöst. Was war denn mit Tai los gewesen? Ging es ihm schlecht wegen der Scheidung seiner Eltern oder gab es andere Gründe? Der Rest meiner Arbeitswoche verstrich relativ schnell. Am Samstagvormittag gab es noch einen Termin mit einem jungen Designer und danach stürzte ich mich in meinen Samstagabend. Da es sich um eine Geburtstagsfeier unter Freunden handelte, entschied ich mich für eine schlichte schwarze Jeans und ein schulterfreies Top. Bei meinem letzten prüfenden Blick in den Spiegel stellte ich jedoch fest, dass man unter meinem rechten Schulterblatt die erste Kirschblüte meiner Tätowierung erkennen konnte. Ich seufzte leise und zog mir etwas anderes über. Auch wenn ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass Taichi nicht auf die Party kommen würde, wollte ich dieses Risiko nicht eingehen. Ich wollte einfach nicht, dass er dumme Fragen stellte, denn er hätte sofort gewusst, was dieser blühende Kirschzweig zu bedeuten hatte. Der Abend war angenehm warm und die Grillen veranstalteten ein ohrenbetäubendes Konzert in den Vorgärten der zahlreichen Hochhäuser. Es waren lediglich zwei Querstraßen, die ich passieren musste, um Koushiros Wohnung zu erreichen. Ein gut aussehender rothaariger junger Mann öffnete mir die Tür. Der frische Duft von Zitrusblüten und Nelken stieg mir in die Nase. Ich mochte den Geruch seines After-Shaves und schmiegte meinen Kopf etwas dichter an seinen Hals, als mich mein bester Freund zur Begrüßung in den Arm nahm. „Du siehst gut aus...“, sagte ich, als er sich von mir löste und ich sein Outfit musterte. „Ich habe mir auch Mühe gegeben, schließlich begleite ich heute die beste Modejournalistin Japans.“, er grinste mich verschmitzt an und griff nach seiner Armbanduhr, die auf der kleinen Anrichte im Flur lag. Ich schlüpfte aus meinen Pumps und folgte dem groß gewachsenen Mann ins Wohnzimmer. Etwas verwundert erblickte ich einen wenig amüsiert drein blickenden Taichi Yagami auf der Couch sitzend. Er hatte seine Beine übereinander geschlagen und die Arme auf der Rückenlehne ausgebreitet. Ich konnte seinen neugierigen Blick überall auf meinem Körper spüren und in derselben Sekunde beglückwünschte ich mich dafür, dass ich mich doch für ein anderes Oberteil entschieden hatte. „Was machst du denn hier?“, fragte ich höflich und blieb direkt vor ihm stehen, während Koushiro im Badezimmer verschwand. „Izzy hatte mir gesagt, dass ihr heute zusammen auf den Geburtstag geht und da wir uns einige Tage nicht gesehen haben, wollte ich diese Gelegenheit nutzen und etwas mit dir besprechen.“ Irgendwie fühlte ich mich ertappt. Er hatte vollkommen recht, wir hatten uns tatsächlich einige Tage nicht gesehen. Wobei ich ihm keinesfalls absichtlich aus dem Weg ging. Wir hatten wohl einfach nur beide sehr viel zu tun. Entweder hatte ich keine Zeit etwas mit den beiden zu unternehmen, oder Taichi musste länger in der Kanzlei arbeiten. „Was gibt es denn?“, fragte ich vorsichtig und hoffte, dass es nichts Ernstes war. „Du weißt doch, dass ich ab und an einige Projekte unterstütze, die sich um kranke oder benachteiligte Kinder kümmern.“ Ich nickte verstehend und setzte mich ihm gegenüber auf den niedrigen Wohnzimmertisch. Tai lächelte und beugte sich etwas zu mir. Schon wieder waren es seine dunkelbraunen Augen, die mich völlig nervös machten. Meine Handflächen wurden feucht und mein Herz fing an, wie wild gegen meine Brust zu pochen. „Nächstes Wochenende ist eine Art Campingausflug mit Kindern, von denen ein Elternteil an Krebs erkrankt ist. Die zwei Sozialarbeiter, die diesen Ausflug begleiten wollten, haben sich beim Surfen verletzt. Der eine das Bein und der andere den Arm. Ist auch egal, jedenfalls wollte ich diesen Ausflug nicht ausfallen lassen, weil sich die Kinder natürlich wahnsinnig darauf freuen. Ich werde mitfahren und wollte fragen, ob du mich begleiten könntest. Schließlich kannst du ganz gut mit Kindern und weißt sowieso immer alles besser.“, seine Stimme war irgendwie unsicher und herausfordernd zugleich. Ich grinste über beide Ohren und lehnte mich etwas nach hinten. „Soll das etwa heißen, dass du mich um Hilfe bittest?“ Taichi zog seine rechte Augenbraue nach oben und gab einen merkwürdig abwertenden Zischlaut von sich. „Ich würde es nicht Hilfe nennen, eher um deine Gesellschaft.“ „Oh, um meine Gesellschaft? Sehr interessant...“, ich grinste weiter und musterte seine leicht geröteten Wangen. „...ich gewähre dir den Genuss meiner Gesellschaft nur dann, wenn du mich heute auf diese Geburtstagsfeier begleitest.“, plötzlich färbte sich sein liebliches Gesicht finster. „Du spinnst wohl? Ich gehe ganz gewiss nicht auf eine Feier dieser blonden Ishida Sippschaft.“ „Aber Takeru ist kein Ishida und deine Schwester wird auch dort sein.“ Ich war wirklich etwas erstaunt über seine wütende Reaktion. „Ist doch egal. Ich will auf keinem Fall diesem Drecksack Ishida begegnen und diese unschöne Szene muss ich meiner Schwester nun wirklich nicht antun.“ „Woher willst du denn wissen, ob Yamato dort sein wird?“ Ach verdammt, ich hatte gerade wirklich seinen Vornamen ausgesprochen. Ich konnte regelrecht mit ansehen, wie Taichis Blick in unbändiger Raserei erstarrte. Er stand langsam auf und ging an mir vorbei. Ich hätte mich ohrfeigen können, manchmal war ich wirklich wie ein Elefant im Porzellanladen. „Tai, bitte, ich...“, doch er ließ mich nicht aussprechen. „Mimi, selbst die minimalste Wahrscheinlichkeit reicht mir aus. Ich will ihn nicht sehen!“, ich hörte in seiner Stimme, dass ich kaum noch eine Chance hatte, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Ich wusste warum er so reagierte, denn auch ich wollte Sora und Yamato nicht unbedingt begegnen. Doch nach all den Jahren schätzte ich mich selbst so reif ein, dass ich die beiden ignorieren und drüber stehen könnte. Aber offensichtlich schmerzte dieser Verrat meinen brünetten Freund viel mehr, als mich. Es war nicht meine Absicht jetzt über diese lange zurückliegende Angelegenheit zu diskutieren, davon mal völlig abgesehen, dass ich unsere Vergangenheit sowieso hinter mir lassen wollte, also seufzte ich nur leise. „Ich kann dich verstehen und trotzdem hätte ich mich darüber gefreut, dich heute Abend an meiner Seite zu wissen. Nur für den Fall der Fälle.“, ich schlüpfte in meine Schuhe und hörte Koushiro aus dem Badezimmer kommen. Tai sah mir ein letztes Mal in die Augen. Sein Blick war nicht länger wütend, eher entschuldigend. „Ich kann es einfach nicht. Auch nicht für dich.“ Mit diesen Worten ließ er mich im Flur stehen. Kurz überlegte ich, ob ich ihm eventuell hinterher gehen sollte, doch Koushiro hielt mich davon ab. „Lass ihn. Das muss er mit sich selbst ausmachen. Wir sollten Hikari abholen, denn wie immer sind wir zu spät dran.“, sein sanftmütiges Lächeln machte mich etwas zuversichtlicher. Nachdem wir Hikari abgeholt hatten, kamen wir eine gute Stunde zu spät zum Geburtstag. Bereits alle Gäste waren da und die Schuhe stapelten sich vor der Tür. Plötzlich griff Hikari nach meiner Hand und zog mich panisch zurück von der Tür. Koushiro sah uns verwundert hinterher. „Was….was ist denn?“ stotterte ich stolpernd während Hikari mich zu sich zog. Ihr kurzes olivgrünes Kleid betonte ihre dunkelbraunen Augen. Ich konnte sofort die Angst in ihrem Blick sehen. Ich fühlte das Zittern ihrer dünnen Finger in meiner Hand und ein mitfühlendes Lächeln zeichnete sich auf meinen roten Lippen ab. „Ich kann das nicht. Ich kann da nicht rein gehen. Das war eine dumme Idee.“ flüsterte sie leise. Noch ehe ich etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür und Takeru trat in den Hausflur hinaus. Ich verstand nicht so recht, denn ich hatte nicht geklopft oder geklingelt. Wie konnte uns der Blondschopf bemerkt haben? Seine freudige Begrüßung galt zunächst Koushiro, bis er schließlich mich und dann Hikari auf dem Flur erblickte. Ein merkwürdiges Schweigen machte sich breit und meine jüngere Freundin starrte steif auf den Boden. Zitternd wagte sie zu keinem Moment aufzublicken. Am liebsten wäre sie wohl sofort im Boden versunken. Doch jetzt gab es einfach kein Zurück mehr. „Hallo.“ sagte Takeru und trat etwas aus der Tür heraus. „Wollt ihr vielleicht rein kommen?“ fügte er leise hinzu. Koushiro war bereits in der Wohnung verschwunden. Ich holte tief Luft und setzte mein freundlichstes Lächeln auf. „Happy Birthday!“ kreischte ich über den Gang und packte Hikari am Handgelenk. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Ach Gott bist du groß geworden! Ein richtiger Mann!“ ich schlug ihm so hart auf die Schulter, dass Takeru kurz gegen den Türrahmen stieß. Etwas überrumpelt von meiner überwältigenden Begrüßung lächelte er und blickte zwischen mir und Hikari hin und her. Ich konnte seine Unsicherheit deutlich sehen. „Ich habe Hikari mit gebracht. Stell dir vor, sie wohnt in Sumida. Kannst du dir das vorstellen? Ich könnte niemals in diesem Stadtteil wohnen. Wie ist es denn in Osaka? Ich hoffe doch, dass du nicht in so einem verdreckten Studentenwohnheim wohnst…..“ ich plapperte immer weiter und schließlich standen wir mitten in der Wohnung. Hikari hatte ihren Blick noch immer fest auf ihre Füße gerichtet und Takeru sah durch mich hindurch. Er hatte nur Augen für Hikari. Die beiden hatten sich seit so langer Zeit nicht gesehen und jetzt standen sie sich plötzlich gegenüber. Ich konnte genau nachfühlen, wie es beiden erging. Doch manchmal brauchte es diese dritte Person, damit man sich wieder näher kommen konnte. Koushiro kam mit einem Bier zu mir und klopfte Takeru auf die Schulter. „Ich muss diese alte Quasselstrippe kurz entführen….“ mein rothaariger Freund zog mich sachte hinter sich her und mit einem Mal standen Hikari und Takeru alleine im Flur der Wohnung. „Genau zum richtigen Zeitpunkt, ich wusste langsam nicht mehr, was ich noch erzählen sollte.“ ich nahm einen Schluck aus der Flasche und blieb mit Koushiro im Wohnzimmer stehen. „Ja, manchmal muss man die Menschen zu ihrem Glück zwingen.“ er zwinkerte mir süffisant grinsend zu und setzte ebenfalls zum Trinken an. „Soll das etwa heißen, dass du vorhin einfach geklingelt hast?“ ich musste lachen, soviel Durchtriebenheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Er nickte und sah lächelnd zu unseren jüngeren Freunden aus Schulzeiten in den Flur. „Manchmal braucht es einen gewissen Abstand, um wieder zueinander zu finden und manchmal schafft man es nicht ohne Hilfe, diese Distanz zu überwinden.“ Plötzlich wendete sich Koushiro mir zu. Sein Blick durchdrang mich bis ins tiefste Mark und ich begann plötzlich zu zittern. Was war das für ein merkwürdiges Gefühl, als sich unsere Blicke trafen? Ich spürte seine Hand, die nach meiner griff. Sanft streichelte sein Daumen über meinen Handrücken, als er einige Schritte näher kam. „Ich…“ begann er leise zu sagen und ließ mit seinen dunkelbraunen Augen nicht von mir ab. Doch noch bevor er weiter sprechen konnte, legte jemand seinen Arm um mich und begrüßte mich fröhlich. Es war Joey, der mit seiner Verlobten plötzlich neben uns stand. Ich konnte die kleine Wölbung unter dem Kleid seiner Verlobten deutlich erkennen und gratulierte den Beiden selbstverständlich auch nochmal persönlich zur Schwangerschaft. Auch andere alte Freunde aus Schulzeiten gesellten sich zu uns und überschütteten uns mit neugierigen Fragen. Wir alle hatten uns ewig nicht gesehen. Wir waren erwachsenen geworden und plötzlich gab es vieles miteinander zu besprechen. Und dennoch schweifte mein Blick immer wieder ab und suchte nach Koushiro. Was wollte er mir sagen? Was war da gerade zwischen uns passiert? Dieses merkwürdige Gefühl in meinem Bauch. Was war das? Jedes Mal wenn sich unsere Blicke trafen, lächelte er mir unverändert zu. Vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet. Sicherlich wollte er mir nur was von der Arbeit erzählen. Ich machte mir schon wieder viel zu viele Gedanken. Später am Abend wiegte ich meinen Körper schwungvoll zur Musik. Ich hatte definitiv zu viel Prosecco und später sogar Rum getrunken. Hikari gesellte sich zu mir und erzählte mir, dass sie nur wenig mit Takeru sprechen konnte. Ständig kamen irgendwelche Gäste und wollten Takeru gratulieren oder ebenfalls mit ihm sprechen. Sie wirkte niedergeschlagen. Ich fühlte mich irgendwie schuldig. Vielleicht hatte der Blondschopf doch kein Interesse an ihr. Doch so einfach wollte ich nicht aufgeben. Ich drückte Hikari meinen Drink in die Hand und schob sie auf die Tanzfläche. „Jetzt schwing mal deinen sexy Hintern, ich bin gleich wieder da!“ ich ließ von ihr ab und ging in der Wohnung auf die Suche nach dem Geburtstagskind. Er stand in der Küche und unterhielt sich mit irgendwelchen Mädels. Diese konnte ich natürlich gekonnt ignorieren und stellte mich einfach zwischen die Mädchen und Takeru. Ich hörte lediglich einige Beleidigungen, als sich die drei aus der Küche scherten und ich alleine mit meinem alten Schulfreund zurück blieb. „Sag mal, warum suchst du nicht das Gespräch zu Hikari? Stört es dich, dass ich sie mitgebracht habe?“ fragte ich etwas betrunken und versuchte mich zusammen zu reißen. „Nein, es stört mich nicht. Also »stören« ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich weiß nicht was ich ihr sagen soll. Sie hat sich sehr verändert.“ Ich schluckte und verschränkte die Arme vor meiner Brust. „Haben sich deine Gefühle für sie verändert?“ als ich diesen Satz ausgesprochen hatte, konnte ich selbst nicht glauben, dass ich schon wieder wie eine Blinde durchs Mienenfeld rannte. „Das spielt doch keine Rolle…“ sagte er leise und sein Blick schweifte zu Boden. Sachte zog ich die Luft durch meine Lippen und musterte diesen jungen Mann, der so unsicher und irgendwie unglücklich vor mir stand. Ich legte meine Hand auf seine Wange. Meine Finger glitten hinab zu seinem Kinn und sachte schob ich seinen Kopf rauf. Ich lächelte ihn an. „Warum sollten wir das Vertraute verlassen? Warum sollten wir uns aus unserem sicheren Unterschlupf heraus bewegen und riskieren zu scheitern?“ meine Hand glitt hinab zu seiner Brust. Dort wo ich sein Herz schlagen spürte stoppte ich und presste meine Finger mit Nachdruck gegen sein dunkelblaues Hemd. „Vielleicht ist ein Leben voller verpasster Chancen und der ewigen Frage: »Was wäre gewesen wenn?« ein furchtbares Leben. Das Fallen gehört nun mal zum Fliegen.“ Seine blauen Augen sahen mich fragend an und kurz glaubte ich, ein Lächeln auf seinen Lippen gesehen zu haben. Ich bekam keine Antwort, lediglich ein stummes Nicken und Takeru drehte mir den Rücken zu. Schweigend folgte ich ihm und sah, wie er zu Hikari ins Wohnzimmer ging. Im ohrenbetäubenden Dröhnen der Musik flüsterte er ihr etwas ins Ohr und nahm sie sachte an der Hand. Wohin er sie mitnahm konnte ich nicht sehen, da im gleichen Moment jemand von hinten meine Schulter berührte. „Warum tanzt du nicht?“ raunte mir eine vertraute Stimme ins Ohr und ich kam nicht umhin zu lachen. „Was machst du denn hier?“ fragte ich erstaunt und drehte mich zu Taichi um. Er war tatsächlich hier auf der Geburtstagsfeier erschienen. Er zuckte mit den Schultern und setzte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf. „Man sollte keine Gelegenheit auslassen umsonst zu trinken!“ war seine Antwort. Er legte seine Hände um meine Hüften und schob mich zu all den anderen tanzenden Partygästen. Im Takt der Musik schmiegte er sich an mich. Ich musste wirklich laut lachen und legte meine Arme um seinen Nacken. Was war nur mit diesem Typen los? Aber vielleicht war auch Taichi Yagami erwachsen geworden und konnte allmählich mit der Vergangenheit abschließen. Sanft legte ich meinen Kopf an seine Schulter. Meine Lippen berührten sein Ohrläppchen. „Es ist schön, dass du doch noch gekommen bist.“ sagte ich und schloss meine Augen. Ich liebte seine Hände auf meinem Körper, seinen Duft in meiner Nase und das Gefühl seiner durchtrainierten harten Brust unter meinen Fingern. Wir tanzten noch eine ganze Weile miteinander, doch eine Antwort blieb mir Tai schuldig. Es war weit nach Mitternacht, als die meisten Gäste völlig besoffen die Feier verließen. Auch ich stand im Hausflur und versuchte zum dritten Mal in meine Pumps zu schlüpfen. Schließlich war es Koushiro der mich an der Hüfte festhielt und mit seinem Fuß die Schuhe so platzierte, dass ich sie schließlich treffen konnte. „Alles in Ordnung?“ fragte er mich, als ich wie verrückt anfing zu lachen. „Ja!“ grölte ich und fuhr ihm durchs Haar. „Du hast so schöne Haare! Ich würde dir so gerne mal Schleifen rein binden….“ ich kicherte und kringelte seine Haarsträhnen um meine Finger. Koushiro versuchte meine Finger aus seinem Haar zu lösen, während Taichi sich ebenfalls die Schuhe anzog und mit Takeru noch an der Wohnungstür stand. „Danke, dass du zu meinem Geburtstag gekommen bist Tai. Das hat mir wirklich sehr viel bedeutet und ich habe mich auch sehr über den Besuch deiner Schwester gefreut.“ Takeru neigte höflich seinen Kopf. Tais Blick schweifte an dem Blondschopf vorbei zu seiner Schwester. Hikari saß noch mit einigen Mädchen aus ihrer ehemaligen Klasse im Wohnzimmer und unterhielt sich mit ihnen. „Offenbar tut es meiner Schwester ganz gut über alte Zeiten zu sprechen.“ sein Blick fixierte wieder Takeru. „Wieso ist dein Bruder nicht hier gewesen?“ „Taichi….ich….ich habe mit meinem Bruder schon sehr lange nicht mehr gesprochen. Eigentlich hatten wir seitdem keinen Kontakt mehr.“ er fuhr sich fahrig durch sein blondes Haar und wich den Blicken von Tai aus. Ich sah nur, dass sich Tai bückte um seine Schuhe zuzubinden und dabei etwas sagte, was ich nie wieder vergessen werde. „Takeru, du bist ein guter Kerl. Ein viel besserer als dein Bruder. Ich würde mir so einen ehrlichen, aufrichtigen und starken Mann für meine Schwester wünschen.“ Mit einem Schlag war meine Trunkenheit verflogen. Hatte ich da richtig gehört? Tai ging an mir und Koushiro vorbei. Die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Im Vorbeigehen konnte ich ein sanftmütiges Lächeln in seinem Gesicht erkennen. So musste es wohl aussehen, wenn man jemandem vergeben hatte. Ich lächelte glücklich. Ein letztes Mal sah ich zu Takeru, der völlig perplex an der Tür stand und Taichi hinterher blickte. Kurz trafen sich unsere Blicke und ich nickte nur ermutigend. Koushiro legte seinen Arm um mich und gab mir einen Kuss an die Schläfe. „Das hast du gut gemacht…“ flüsterte er leise und zog mich mit sich. Ja, das hatte ich wohl dieses Mal nicht vermasselt. Ich hatte Hikari und Takeru einander näher gebracht und gleichzeitig irgendwie dazu beigetragen, dass Taichi seinen tiefen Groll gegen Takeru und seinen Bruder für einen Moment vergessen konnte. Vielmehr schien es, dass Taichi dem Glück seiner Schwester nicht länger im Weg stehen und irgendwas aus der Vergangenheit wieder gut machen wollte. Noch während ich darüber nachdachte fiel mir ein, dass ich meine Handtasche in der Wohnung vergessen hatte. „Moment…“ sagte ich und löste mich aus den Armen meines rothaarigen Freundes. „Wartet unten auf mich, ich habe etwas vergessen…“ ich eilte zurück zur Treppe. Die letzten Gäste kamen mir entgegen und verabschiedeten sich. Ein Mädchen aus Hikaris Klasse hielt mir die Tür auf, damit ich nochmal in die Wohnung konnte. Als ich meine Handtasche schließlich gefunden hatte, sah ich Takeru mit Hikari in der Küche stehen. Beide schienen miteinander zu sprechen und hatten mich nicht bemerkt. Ich weiß, eigentlich lauscht man nicht, aber meine Neugier übermannte mich einfach. Leise drückte ich mich gegen die Wand im Flur und hörte ihrem Gespräch aufmerksam zu. „Ich wusste einfach nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Ich konnte meinen Bruder in seinem Zustand nicht alleine lassen und wusste, du würdest niemals ohne mich gehen. Ich wollte aber nicht der Grund dafür sein, dass du deinen Traum hättest aufgeben müssen. Vielleicht hättest du mich irgendwann angesehen und die Schuld daran gegeben, dass dein Leben nicht so gelaufen ist, wie du es dir gewünscht hast.“ ihre Stimme klang so zerbrechlich wie Glas. „Ein Leben mit dir wäre immer so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte.“ antwortete er leise. „Aber ich kann dich verstehen. Ich hätte dasselbe für meinen Bruder getan, um ihm das Leben zu retten.“ Wie bitte? Um ihm das Leben zu retten? Was war denn damals los mit Tai? War er schwer krank? Nein, davon hätte mir Koushiro sicherlich erzählt. Doch noch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte was damals mit Taichi geschehen war, sah ich, wie Takeru Hikari sachte zu sich zog und sie umarmte. „Ich würde so gerne die Zeit zurück drehen. Alles ungeschehen machen. Alles besser machen….“ ich hörte deutlich, wie ihre Stimme unter dem Schluchzen brach. „….aber es geht nicht. Es wird niemals so sein wie früher.“ Takeru drückte sie fest an sich. „Es muss auch nicht so werden wie früher. Alles was wir haben ist hier und jetzt. Vielleicht sollten wir von vorne anfangen und sehen, wer wir heute sind. Wo wir stehen und was wir wollen. Ich will nicht länger zurück blicken. Ich will nach vorne schauen, ich will endlich wieder leben und lachen, lieben und leiden. Alles ist besser als das, was ich jetzt habe.“ Ich drückte meine Handtasche an meine Brust und seufzte leise. Was für wundervolle Worte. Ich hätte glatt mit heulen können. Aber ich wollte nicht länger lauschen, außerdem warteten meine Jungs unten auf mich. Leise schlich ich aus der Wohnung und zog die Tür hinter mir zu. Es war unfassbar, dass sich beide nach all den Jahren doch wieder einander annäherten und sich eine neue Chance gaben. Als ich draußen ankam sah ich, wie Taichi mit einer Zigarette im Mund einen Fußball zu Koushiro schoss. Dieser kickte den Ball lässig zurück und lachte laut über einen Witz den Tai gerade gemacht haben musste. Manchmal sahen die beiden so vertraut miteinander aus, dass man sie problemlos für Brüder gehalten hätte. Aber dann gab es wieder diese merkwürdige Spannung zwischen ihnen. Alles in allem war es eine wirklich seltsame Dreiecksbeziehung die wir miteinander hatten und irgendwie wurde mir das heute wieder einmal bewusst. „Wo ist meine Schwester?“ fragte mich Tai schließlich und ich zuckte kurz zusammen. „Äh, noch oben….“ murmelte ich und sah sofort, wie sich der schnaufende Brünette aufmachte, um seine Schwester zu holen. Ich packte ihn hart am Arm und zog ihn zurück. „Jetzt hör doch mal auf damit, den großen Bruder zu spielen. Deine kleine Schwester kommt ganz gut alleine klar.“ Kurz überlegte ich zu fragen, warum seine kleine Schwester damals auf ihn aufpassen und bei ihm bleiben musste. Aber irgendwas sagte mir, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für ein solches Gespräch war. „Naja, besser bei ihm, als bei einem Anderen.“ seine Antwort verblüffte mich. Taichi nahm meine Hand und zog mich unter seinen Arm. Gemeinsam gingen wir zu Koushiro, der bereits den Fußball wieder in den Kofferraum von Taichis Auto legte. Die beiden Männer sprachen miteinander, doch ich hörte gar nicht richtig zu. Viel zu sehr war ich mit meinen Gedanken beschäftigt. Mein Blick blieb irgendwie in Tais Gesicht hängen. Im neonfarbenen Schein der Laternen wirkte er noch viel größer als gewöhnlich. Sein Lächeln fesselte mich und ich spürte mit einem Mal dieses Kribbeln im Bauch. Was war nur los mit mir? In Kyoto hatte ich mir doch fest vorgenommen, dass dieses Kapitel mit Tai ein für alle Mal geschlossen ist. Aber woher kamen nur immer wieder diese Gefühle? Wonach suchten wir beide? Es wird nur wieder darauf hinaus laufen, dass wir uns oder den Menschen um uns herum weh tun würden. Aber vielleicht waren wir auch nur feige. Takeru und Hikari hatten zumindest den Mut sich noch einmal eine Chance zu geben. Hatte ich nicht selbst gesagt, dass das Fallen nun mal zum Fliegen dazu gehört? Ich sah zu Tai hinauf und musterte seine Augen. Diese tapferen, starken und schier unverwundbaren Augen. Kaum vorzustellen, dass dieser Mann an einem Punkt in seinem Leben war, an dem er nicht mehr weiter wusste. Hikari sprach sogar davon, dass sie sein Leben retten musste. Langsam senkte ich meinen Blick wieder und legte meine Hand auf meine Schulter. Ich traf dabei seine Hand. Sofort griff er nach meinen Fingern und drückte mich etwas fester an sich. Ich sah zu ihm rauf und unsere Blicke trafen sich. Er schenkte mir ein zärtliches Lächeln und es schien, als würde ich in seinen Augen finden was ich so lange suchte. Geborgenheit. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ich diese Gefühle für ihn - tief in meinem Herzen - nicht wegschließen konnte. Manchmal ist zwischen uns ein schier unüberwindbarer Ozean, doch wenn wir nicht irgendwann anfangen eine Brücke zu bauen, werden wir es niemals schaffen einen Weg zueinander zu finden. Um dieses Leben zu überleben müssen wir aufhören an der Vergangenheit zu klammern und versuchen von vorne anzufangen. Vielleicht sollten wir es wirklich probieren, denn aller Anfang ist schwer. Kapitel 6: Ein schmaler Grat (Tai) ---------------------------------- Ich habe es wirklich versucht, aber ich konnte diese brennende, alles verzehrende Wut einfach nicht mehr empfinden. Als ich meine Schwester mit ihm zusammen sah, wurde mir bewusst, wie unglücklich sie in den letzten Monaten gewesen sein musste. Wie blind ich doch gewesen bin. Blind vor Wut. In seiner Nähe glänzten ihre Augen und dieses Lächeln auf ihren Lippen war echt. Selbst wenn ich oftmals ziemlich begriffsstutzig im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen war, so wurde selbst mir an diesem Abend bewusst, dass meine kleine Schwester diesen Mann liebte. Ein Gefühl von Übelkeit machte sich in mir breit, denn wahrscheinlich war es auch Takeru, der meine Schwester aufrichtig liebte und ich bin es gewesen, der die beiden voneinander trennte. Mein Blick blieb an meinem Spiegelbild hängen und ich beobachtete mein müdes Gesicht. In meinen eigenen Augen konnte ich sooft meine Schwester wiedererkennen. Ich lächelte kurz und mein Augenmerk fiel auf ein Foto von Izzy, Mimi und mir, welches an meinem Spiegel hing. Nein, es war nicht allein meine Schuld, dass meine Schwester und Takeru keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Dass ihre Liebe zerbrach. Dass meine Liebe zerbrach. Da war es wieder. Ich konnte in meinen Augen dieses verschwunden geglaubte Gefühl von Wut erkennen. Schnell griff ich nach meinem Motorradhelm und verließ meine Wohnung. Ich musste diese Gedanken endlich hinter mir lassen. Diese Mischung aus Schuld und Wut würde mich noch irgendwann auffressen. Ich stieg auf meine Maschine und fuhr so schnell, dass ich nicht länger die Möglichkeit hatte über alles nachzudenken. Der Himmel war klar an diesem Samstagvormittag, als ich das Camp oberhalb von Hinohara erreichte. Die zerklüfteten Spitzen des weitläufigen Gebirges und der Gipfel des Sengenrei zerschnitten den blauen Horizont, während der kühle Wind den Abschied des Sommers unweigerlich ankündigte. Ich ließ meinen Rucksack von der Schulter gleiten und fuhr mir durchs Haar. Einige Eltern verabschiedeten sich bereits von ihren Kindern und machten sich zurück auf den Weg ins Tal. Hier stand ich nun, alleine mit 8 Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren die jeweils ein krankes Elternteil zu Hause hatten. Ein ängstliches Seufzen konnte ich mir nicht verkneifen. Wie sollte ich das heute schaffen? Wollte mich nicht jemand unterstützen? Wo steckte denn Mimi? Hatte sie nicht noch groß herumgetönt, dass sie mir zur Seite stehen wolle? Doch anscheinend hatte die verwöhnte Göre keine Lust auf eine kalte Nacht im Dreck der Berge. Bei dem Gedanken, dass sie hier mit unzähligem Gepäck und einem Luxuswohnmobil aufschlagen könnte, musste ich laut lachen. Doch all mein Jammern würde mir jetzt auch nicht helfen. Also machte ich mich mit den Kindern an die Arbeit, die Zelte aufzubauen. Trotz der anstrengenden Tätigkeit war es deutlich zu spüren, dass die Kinder glücklich darüber waren einen Tag und eine Nacht hier draußen sein zu können. Weit entfernt von ihrer Verantwortung zu Hause und der schweren Last für ihre Eltern stark sein zu müssen. „So einen Blick habe ich noch nie in deinen Augen gesehen. Was ist das? Mitgefühl?“ Eine vertraute Stimme riss mich aus meinen Gedanken und etwas erschrocken drehte ich mich um. Mimi warf ihren großen Rucksack über die Schulter zu Boden und grinste mich frech an. „Wieso muss ich hier einen halben Kilometer bergauf laufen? Warum gibt es hier oben keine Bushaltestelle? Ich glaube, dass ich vom Tragen Blasen auf der Schulter habe!“ sagte sie empört und musterte die Kinder. Ich war völlig erstaunt, dass Mimi tatsächlich doch noch gekommen war und zwar ganz ohne die vermuteten 10 Koffer und dem Luxuswohnmobil. „In meinem Blick spiegelt sich lediglich das Mitgefühl für dein erbrachtes Opfer, deine 15 Paar Schuhe den weiten Weg hierauf zu tragen…“, ich lächelte sie an und hob ihren Rucksack auf. Einige der Kinder reihten sich neugierig um uns und starrten die hübsche junge Frau an. Mimi stellte sich höflich vor und startete sofort mit jedem einzelnen Kind ein Gespräch. Ich hätte nichts anderes von ihr erwartet, Mimi war schon immer gut im Umgang mit Kindern. Ohne Bedenken wendete ich mich von ihnen ab und trug Mimis Rucksack in unser Zelt. „Mit wem teile ich mir diese Hundehütte?“ „Ja, mit wem teilt sich Mimi-oneechan die Hundehütte?“, fragte die kleine sechsjährige Atsuko, deren Vater vor wenigen Wochen an einem Lungenkarzinom erkrankt ist. Mimi und die Kinder hatten ihre Köpfe durch den Eingang des Zeltes geschoben und beobachteten mich argwöhnisch. „Ich habe hier oben noch keine Hundehütte entdeckt, aber bis wir eine gefunden haben, darf Mimi gerne bei mir im Zelt übernachten.“ „Warum? Ich will, dass das hübsche Mädchen bei mir schläft!“, sagte Kato, ein zehnjähriger Junge dessen Mutter Brustkrebs hatte. „Weißt du Kato, ich möchte auch gerne bei einem so mutigen Jungen wie dir übernachten. Aber ich fürchte, dass du die anderen vor den wilden Spinnen und Mücken beschützen musst.“ Mimi tätschelte liebevoll seinen Kopf aber ich grinste zynisch. „Wer muss hier tatsächlich vor Spinnen und Mücken beschützt werden?“, grummelte ich und bekam prompt von Mimi einen Klaps gegen die Stirn. „Pass bloß auf, sonst suchen wir gleich eine Hundehütte für dich!“, konterte Mimi giftig, während sie ihre langen Haare in einem Zopf bändigte. „Jeder Ort mit dir, ist wie eine Hundehütte für mich.“, antwortete ich grinsend und zog ihr am Pferdeschwanz. „Und wenn du jetzt weiter so frech zu mir bist, werde ich dir in der Nacht tausende Spinnen in den Schlafsack stopfen. Also sei jetzt ein braves Mädchen.“ Ihre goldbraunen Augen spiegelten plötzlich eine gewisse Panik. „Schon gut, du hast gewonnen…“, murmelte sie leise und kam etwas näher an mich heran. „…aber es wäre neu für mich, dass du dir ein braves Mädchen wünscht.“ Ihre zweideutige Bemerkung ließ mich tatsächlich rot werden. Was war denn jetzt mit mir los? Plötzlich quälte mich der Gedanke, was da wohl nachts zwischen uns im Zelt laufen könnte. Schnell schüttelte ich meinen Kopf und verdrängte die Idee, dass sich diese seit Wochen zwischen uns bestehende hitzige Spannung heute Nacht entladen könnte. „Können wir zu dem Wasserfall gehen?“, fragte Riku ein achtjähriges Mädchen dessen Vater an Schilddrüsenkrebs erkrankt war. „Natürlich können wir das.“, antwortete ich freundlich und sah zu Mimi. „Möchtest du zuvor noch dein Outfit wechseln?“ „Ich dachte wir wollen brav zueinander sein?“, entgegnete sie mit einem herausfordernden Grinsen. „Ob du es glaubst oder nicht, ich habe nur dieses eine Outfit mit. Ansonsten nur Schlafzeug, Essen und Kosmetik im Rucksack.“ „Du hast recht, ich glaube dir nicht!“, entgegnete ich zweifelnd und beobachtete sie dabei, wie sie etwas aus ihrem riesigen Rucksack heraus kramte. Mimi warf mir eine Brotbox entgegen und streckte mir ihre rosafarbene Zunge heraus. „Ich habe uns Bentos zum Mittag gemacht. Denn sicherlich gibt es bei dir nur Instant-Nudelsuppen.“ Verdammt, woher wusste sie, dass ich wirklich nur Instant-Nudelsuppen dabei hatte? Mimi verteilte die bunten Boxen an die Kinder und diese packten sie pflichtbewusst in ihren Rucksack. Ich konnte es kaum fassen. Sollte das bedeuten, dass Mimi gekocht hatte? Ungläubig zog ich meine rechte Augenbraue rauf und überprüfte, ob die Kinder auch alles für unsere Wanderung dabei hatten. Ich selbst trug den Proviant für meine Freundin und mich. Der Weg verlief steil den Berg hinauf und die Luft wurde immer kühler. Immerhin befanden wir uns jetzt auf einer Höhe von knapp 800 Metern. Mimi lief neben mir und fröstelte etwas. Sie hatte eine kurze dunkelblaue Stoffhose an und ein weißes Shirt mit dreiviertel langen Ärmeln. Ich musste lächeln, denn der Gedanke daran, wie verrückt sich Mimi wegen dieser Nacht in den Bergen sicherlich im Vorfeld gemacht haben musste gefiel mir. Bestimmt hatte sie seit Tagen ein Outfit zusammengestellt. Ich war mir absolut sicher, dass es im Kleiderschrank der Modejournalistin gewiss keine Wanderschuhe gab. Doch jetzt hatte sie welche an den Füßen. Ebenso ein Schlafsack oder Trekkingrucksack gehörten mit Gewissheit nicht zu Mimis Freizeitgrundausstattung. Mir wurde bewusst, dass sie sich verdammt viel Mühe gegeben hatte, nur um mich zu unterstützen. Denn Mimi würde einen solchen Ausflug niemals freiwillig machen. In ihrem Gesicht konnte man bei jedem Grashalm, der ihr an der Wade kitzelte oder jedem Käfer, der ihr in die Haare flog sehen, wie sehr sie es hasste. Und doch konnte man ihre Freundlichkeit gegenüber den Kindern überall spüren. Ich zog meinen Pullover aus und stülpte ihn Mimi über den Kopf. „Danke, dass du hier bist.“ sagte ich leise. Mit großen Augen sah sie mich an und schlüpfte durch meinen wahnsinnig teuren Hugo Boss Pullover aus ägyptischer Baumwolle. Das laute Rauschen des Wasserfalls drang in unser Gehör, als Mimi plötzlich meine Hand ergriff. „Ich danke dir, so etwas Schönes habe ich noch nie gesehen…“, sie schmiegte sich an meine Schulter und schon wieder war es dieses merkwürdige Kribbeln im Bauch, das mich rot werden ließ. Die Kinder stürmten zu dem kleinen See, der sich unterhalb des Wasserfalls gebildet hatte. Das Wasser schimmerte abwechselnd blau und grün. Über die nassen Felsen schlängelten sich saftige Pflanzen und dünne Ahornbäume säumten die Spitzen der Felsen. Einige Blätter hatten sich bereits golden verfärbt und segelten wie kleine Schiffchen auf der unruhigen Wasseroberfläche. „Du bist ein guter Mensch, weil du diesen Kindern die Möglichkeit gibst für einen Moment frei von ihren Sorgen zu sein.“, Mimi löste sich von mir und beobachtete die Kinder, die am Wasser spielten. „Du fängst etwas Sinnvolles mit deiner Zeit und deinem Geld an. Ich selbst fühle mich oft völlig verloren, ohne Ziel und Aufgabe in meinem Leben.“ Das was sie mir sagte, kam mir so vertraut vor. Denn auch ich hatte diese Phase im Leben, zu der ich nichts mit mir und meiner Zeit anzufangen wusste. Ich seufzte leise und legte meinen Arm um sie. „Es ist nie zu spät für uns, etwas zu verändern. Du musst nur auf dein Herz hören, es sagt dir schon was du zutun hast.“, ich unterbrach meinen Satz und blickte betroffen auf den Boden, der bereits voller goldfarbener Blätter war. „Auch wenn es schwer fällt und wir uns sehr verbiegen müssen, am Ende werden wir nicht zerbrechen. Letztlich bestimmen wir über unser Schicksal und sind dabei stärker als wir denken.“ Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, zu sehr fürchtete ich, dass ich sie mit meinen Worten verletzt haben könnte. „Die Vergangenheit ist alles was wir waren, sie muss uns aber nicht zu dem machen, was wir heute sind.“, ihre Worte trafen mich unverhofft mitten ins Herz und ergriffen sah ich zu ihr. „Mimi…“, flüsterte ich, außerstande auch nur irgendetwas zu sagen. Wenn sie nur wüsste, wie meine Vergangenheit aussah und dass ich gewiss nicht dieser zutiefst gute Mensch gewesen bin, für den sie mich hielt. Diese Zeit in meinem Leben, zu der einfach alles am seidenen Faden hing. Eine Zeit in der ich verloren und hoffnungslos auf die Scherben vor meinen Füßen starrte, unfähig auch nur einen Schritt vorwärts zu machen ohne mich zu schneiden. „Können wir etwas essen?“, die Stimme von Kato holte mich prompt zurück in die Gegenwart. „Ja klar, lasst uns hier eine Pause machen.“, antwortete Mimi und setzte sich mit den Kindern auf einen kleinen Felsvorsprung. Die Sonne verschwand allmählich hinter den Bergen im Westen. Nur noch wenige Touristen teilten sich den Platz am Wasserfall mit uns, als wir unser Mittagessen auspackten. Die Kinder lachten über die merkwürdig unsymmetrischen Formen der Onigiri, aber es schmeckte hervorragend. Der Rückweg zum Camp führte uns an einigen atemberaubenden Aussichtspunkten vorbei. Auf einer kleinen Lichtung forderten mich die Jungs zum Fußballspiel heraus. Die Mädchen wollten lieber mit Mimi einige Blumen pflücken. Ich selbst unterdrückte immer wieder mein Verlangen nach einer Zigarette. Es wäre wohl sehr unpassend gewesen in der Gesellschaft von Kindern, mit krebskranken Eltern, zu rauchen. „Ich möchte aber auch Blumen pflücken…“ sagte Hiroki, ein achtjähriger Junge, dessen Vater zum zweiten Mal an Krebs erkrankt war. Die anderen Jungs zogen ihn natürlich damit auf und machten dumme Witze. „Auch echte Männer müssen Blumen pflücken können. Denn so ein hübsches Mädchen wie Mimi gibt sich nur mit einem Mann ab, der ihr wunderschöne Blumen schenkt.“, ich zwinkerte den Jungs zu und schoss den Fußball gekonnt über meine Schulter. Plötzlich traf mich der Ball am Kopf. Er musste irgendwo abgeprallt sein und hatte mich nun selbst erwischt. Kleine tanzende Sterne vernebelten mein Sichtfeld. „Oh Gott, alles in Ordnung?“, fragte mich Mimi und kam sofort zu mir gelaufen. Vorsichtig tastete sie mir über den Hinterkopf und ich hörte deutlich, wie sie sich ein lautes Lachen verkneifen musste. „Schon gut…“ knurrte ich und beobachtete besorgt den Himmel. Einige dunkle Wolken zogen sich gefährlich schnell an den Spitzen der Berge zusammen. „Es sieht nach Regen aus…“, sagte Mimi und just in diesem Moment dröhnte das laute Grollen eines Donners in der Ferne. „Oh Scheiße!“, entfuhr es mir besorgt. „Scheiße sagt man nicht!“, kreischte Harumi, als der Zehnjährigen die ersten Regentropfen aufs Haar prasselten. Es war zu spät, wir gerieten mitten in das Gewitter und kamen letztlich pitschnass im Camp an. Obwohl ich gedacht hätte, dass die Stimmung kippen würde, lachten die Kinder mit Mimi über ihre verrückten Sturmfrisuren. Ich ging mit den Jungs in deren Zelt und Mimi kümmerte sich um die Mädchen. Der Regen trommelte ohrenbetäubend auf die Zeltwand, während ich mit einem Handtuch versuchte die Haare von Hiroki zu trocknen. Nachdenklich musterte ich den kleinen Menschen vor mir und ein beklemmendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Kaum vorzustellen, aber ich hätte jetzt auch ein Vater sein können. Der Vater eines achtjährigen Sohnes. Wie ungerecht diese Welt doch war. Warum schenkte sie Hiroki keinen gesunden Vater? Einen Vater, mit dem er hätte Fußball spielen können? Einen Vater, der ihn in seinen Armen halten und vor dem Gewitter beschützen könnte? Meine Hände ruhten auf seinem Haar und ich schluckte hart. So wie diese Welt Hiroki keinen gesunden Vater schenkte, hatten wir einem kleinen unschuldigen Wesen ein Leben in dieser Welt verwehrt. Mir wurde übel bei dem Gedanken, was wohl meine gerechte Strafe dafür sein würde. Denn letztlich hätte ich es wohl verdient so krank zu sein und nicht Hirokis Vater. „Der Regen hat aufgehört, wollen wir ein kleines Lagerfeuer machen und zu Abend essen?“, fragte Mimi und riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Hiroki kroch unter meinen Händen hervor und folgte den anderen Kindern nach draußen. Mimi kniete sich hin und betrachtete mich besorgt. „Alles in Ordnung Tai?“ Ich legte das Handtuch beiseite. „Ja, alles in Ordnung.“, sanft lächelte ich sie an und kümmerte mich schließlich um das Feuer. Zum Abendessen gab es lediglich eine Instant-Nudelsuppe, aber das kleine Feuer vor unseren Zelten war das absolute Highlight für die Kinder. Die Luft hatte sich nach dem Regen deutlich abgekühlt. Die Sonne war inzwischen verschwunden und der Tag wich allmählich der Nacht. Mimi ging schließlich mit den Mädchen ins Waschhaus und machte die kleinen Gören für das Schlafen fertig. Ich selbst begleitete die Jungs. Ich zeigte ihnen wie sich richtige Männer duschten. Ein echter Mann kannte seine Schmutzstellen und wusch sich effizient – das bedeutet: hohe Wirksamkeit mit verhältnismäßig wenig Aufwand. Nach bereits 15 Minuten lagen die Jungs schlafend in ihrem Zelt. Ich saß völlig erschöpft am Lagerfeuer, als Mimi zu mir kam und grinste. „Ein Pullover von Hugo Boss zum Wandern? Ich frage mich, wer inzwischen die Prinzessin von uns beiden ist.“, sie warf mir meinen Pullover entgegen. Ich glaubte ich hörte nicht richtig. Augenblicklich holte ich aus und schlug ihr mit einem breiten Grinsen auf den Hintern. „Was fällt dir ein?“, zischte Mimi entrüstet und sprang auf meinen Schoß. „Ich glaube du hast den Verstand verloren, nachdem dir der Ball dein kleines Hirn durch die Schädeldecke geschleudert hat!“, fuhr sie fort und versuchte mir gegen die Brust und den Oberarm zu boxen. Ohne Probleme hielt ich ihren Attacken stand. Ich packte schließlich beide Hände von ihr und presste sie hinter ihrem Rücken zusammen. Außer Atem hielt Mimi inne und sah mich an. Als sich unsere Blicke im flackernden Schein des Feuers trafen, kam eine seltsame Stille zwischen uns auf. Ich konnte nicht davon ablassen in ihre goldenen Augen zu sehen. Diese Frau auf meinem Schoß war einfach perfekt. Ihre langen mahagonifarbenen Haarsträhnen, die sich in der Spitze lockten. Ihre tiefschwarzen Wimpern, welche den Kranz ihres Augenlides säumten. Ihre kirschroten Lippen, die meinen so verdammt nahe waren. Es war nur ein schmaler Grat, der unsere Lippen voneinander trennte. Ich spürte, wie sich Mimis Körperspannung löste und ihre Finger in meiner Hand nachgaben. In meinem Kopf brüllte diese Stimme die mir sagte, wir müssten damit aufhören. Mein Herz das schrie, ich dürfte diese Gefühle für Mimi auf keinen Fall zu lassen und doch kam ich nicht dagegen an. Ich schloss meine Augen, dazu bereit sie endlich an mich zu drücken und zu küssen. „Tai, wir sollten das nicht tun.“ Das Beben in ihrer Stimme brachte mich ins Stocken. Ich öffnete vorsichtig meine Augen, unfähig ihr ins Gesicht zu sehen. Mimi löste sich von mir und setzte sich mit dem Rücken vor mich hin. Ihre Beine zog sie dicht an ihren Körper und beobachtete die unruhig tanzenden Flammen des Feuers. Die Finsternis der Nacht hüllte uns in unbehagliche Stille und ich wusste, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ein Kuss zwischen uns hätte zu nichts geführt. Er hätte womöglich nur alte Narben aufgerissen. „Es tut mir leid.“, sagte ich leise und beugte mich nach vorne, damit ich ihre Schulter berühren konnte. Sie schmiegte ihren Kopf an meine Hand. „Lass uns schlafen gehen. Der Tag war ziemlich anstrengend…“, ihre Antwort stimmte mich nicht glücklich. Aber wahrscheinlich war es besser, jetzt nicht über diese Situation zwischen uns zu sprechen. Wir löschten das Feuer und schlüpften in mein Zelt. Ich legte mich auf den Rücken und Mimi platzierte sich neben mir. In der Dunkelheit schwiegen wir und wussten doch, dass keiner von uns Schlaf finden würde. Das Schicksal ereilt uns oft auf den Wegen, die wir eingeschlagen haben, um ihm zu entgehen. (Jean de La Fontaine) Ich bemerkte plötzlich ihre Hand auf meiner Wange. Mimi hatte sich zu mir gedreht und stützte sich auf ihrem Unterarm ab. Ihre zarten Finger fuhren von meinem Gesicht hinab zu meinem Hals. Bis sie sich schließlich gänzlich über mich beugte und ich ihren heißen Atem auf meinen zitternden Lippen spüren konnte. Sie küsste mich. Es war ein vorsichtiger Kuss und doch spürte ich ihre Sehnsucht. Ich zögerte keine einzige Sekunde und erwiderte ihre liebevolle Geste. Ich schloss meine Augen und legte beide Hände auf ihren Hinterkopf. Hingebungsvoll zog ich sie dicht zu mir, was Mimi dazu zwang auf mich zu klettern. Ihre Beine platzierte sie neben meiner Hüfte und der leichte Druck ihres Gewichtes gab mir Gewissheit, dass ich nicht träumte. Mein Herz raste und ich konnte dieses unbeschreibliche Gefühl kaum aushalten. Ich fühlte mich, als würde ich ertrinken. Unter ihren Lippen flammte etwas in mir auf, was ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gespürt habe. Unser Kuss wurde wilder. Ich rang zwischendurch immer wieder nach Atem. Meine Hände glitten langsam nach unten und schoben sich unter ihre Strickjacke. Ich konnte ihre Gänsehaut unter meinen Fingerspitzen spüren. Kurz zögerte ich und löste meine Lippen von ihr. „Du sagtest, wir sollten das lassen…“, keuchte ich mit dem letzten Verstand, der mir noch geblieben war. „Sag mir, dass du es nicht willst. Dann werde ich sofort….“, doch ich ließ sie nicht ausreden. „Alles was ich will bist du!“, hastig zog ich sie zu mir und raunte ihr diese letzten Worte ins Ohr, bevor ich ihr die Strickjacke samt Shirt vom Oberkörper streifte. Mimi ließ es bereitwillig geschehen und tat es mir gleich. Unsere Lippen trafen sich gierig, während ihre weichen Handflächen über meine angespannte Brust tasteten. So kannte ich mich überhaupt nicht, völlig nervös und ängstlich irrten meine Hände über ihren nackten Rücken. Ich wagte es nicht, sie woanders zu berühren. Ich konnte Mimi kaum erkennen in dieser Dunkelheit. Die Nacht schien nicht nur unsere Augen erblinden zu lassen. Ich wollte nicht länger vernünftig und stark sein. Es war mir egal, ob wir nach dieser Nacht erneut ins Verderben stürzen würden. Einzig und allein dieser Moment mit ihr zählte. Meine Sehnsucht nach ihr war so überwältigend, dass ich nicht länger standhalten konnte. Meine Hände glitten unter ihre Pyjamahose und schoben diese sachte nach unten. Mimi öffnete ebenfalls den Saum meiner Jogginghose und half mir dabei, mich davon zu befreien. Unsere Körper schmiegten sich hitzig aneinander und ich konnte ihren bebenden Herzschlag tief in meinem Bauch spüren. Meine Hände zitterten aufgeregt, als wäre dies unser erstes Mal. Zärtlich streichelte ich über ihren nackten Rücken, hinab zu ihrem Po und an der Seite ihres Oberschenkels wieder hinauf zu ihrem Bauch. Meine Hand ruhte kurz auf ihrem Nabel, um dann zielstrebig weiter hinauf zu wandern. Sanft umschlossen meine Finger ihre Brüste und ich löste keuchend unseren Kuss. Alles passierte so schnell, dass ich es gar nicht fassen konnte, dass wir wirklich drauf und dran waren, miteinander zu schlafen. Ich tastete in der Dunkelheit nach meinem Rucksack, um hoffentlich ein paar Kondome zu finden. Während meiner Suche stieg Mimi von mir ab und legte sich auf ihren Rücken. Stumm zog sie mein Gesicht zu sich und küsste behutsam meinen Hals. Ihre Schenkel schlang sie um mich und begann ihre heiße Mitte gegen meinen Bauch zu drücken. Ich keuchte erregt und kniff meine Augen zusammen. Diese Frau machte mich vollkommen willenlos. Es war beinahe eine Erlösung, als ich den glatten Blister zwischen meinen Fingern spürte und mir das Kondom endlich überstreifen konnte. Mit Kraft stemmte ich meinen Körper gegen ihren und drückte sie somit zurück auf den Rücken. Meine Hände fuhren unter ihren Hinter und hoben ihr Becken etwas an. Ich zögerte. Um Gotteswillen ich zögerte wie ein unerfahrener Schuljunge. Fahrig griffen ihre Finger in meinen Nacken und zogen meinen Kopf etwas nach hinten. Mimi presste ihre Lippen an meinen Hals und ich spürte ihre Zähne auf meiner Haut. Nach und nach kam sie meinem Ohr immer näher. Zärtlich liebkoste ihre Zunge mein Ohrläppchen während sie mir mit ihrer süßlichen Stimme etwas ins Ohr hauchte. „Hör auf zu denken…ich will dich.“ Ohne weiter einen Gedanken zu verschwenden ließ ich es geschehen. Ich nahm einen tiefen Atemzug und drang in sie ein. Mimi nach all den Jahren so intensiv zu spüren übermannte mich regelrecht und ich stöhnte erstickt auf. Ihre Finger krallten sich sofort in meinen Nacken. Ich hörte ihren unruhigen Atem unter jeder meiner Bewegungen erzittern. Meine Arme schlang ich um ihren Oberkörper. Daraufhin schmiegte sie sich dichter gegen meinen. Ihre Füße kreuzten sich hinter meinem Rücken und drückten mich tiefer in sie. Mein Puls raste und ich konnte kaum noch an mich halten. Was geschah hier nur mit mir? Mein Atem wurde immer schwerer und der Geruch ihres Schweißes, der sich mit meinem vermischte erregte mich nur noch mehr. „Oh Gott Tai…“, raunte Mimi und besiegelte damit ihr Schicksal. Ich konnte es beim besten Willen nicht länger aushalten. Diese Frau steckte mich lichterloh in Flammen und mein Höhepunkt überwältigte mich viel zu früh für meine Verhältnisse. Jeder Muskel, jede Sehne, jede Faser in meinem Körper zog sich rhythmisch zusammen und mit einem erlösenden Stöhnen ließ ich mich auf sie sinken. Meine beiden Hände legte ich auf ihre und glitt mit meinen Fingern zwischen die von Mimi. In meinem Kopf war alles wirr durcheinander. Ich konnte kein einziges Wort sagen oder einen klaren Gedanken fassen. Ich konnte mich lediglich in diesem Moment treiben lassen. Ihre Nähe und dieses vollkommene Gefühl von Glückseligkeit genießen. Nach einigen Minuten richtete ich mich auf und streichelte ihr einige Haare aus dem Gesicht. Was hätte ich jetzt darum gegeben sie zu sehen? Einen flüchtigen Blick auf ihre Augen zu erhaschen. Doch es war einfach zu dunkel im Zelt. Ich würde wohl nie erfahren, ob sich Mimi auch nur ansatzweise so glücklich fühlte wie ich. Als ich mich neben sie legte und Mimi sofort in meine Arme gekuschelt kam wurde mir bewusst, dass jeder Mensch nur einmal dem Menschen seines Lebens begegnet, aber nur wenige erkennen diesen Menschen rechtzeitig. Ob wir beide und irgendwann erkennen würden? Mit einem zufriedenen Lächeln küsste ich ihre Stirn und legte meine Hand auf ihre Schulter. „Hugo Boss und Kondome auf einem Wanderausflug? Ich glaube, dass wir uns morgen dringend unterhalten müssen…“, ihre zarte Stimme durchbrach die angenehme Stille zwischen uns. Ich hatte meine Augen bereits geschlossen und musste über ihre Anmerkung lachen. „Und wenn wir schon dabei sind, sollten wir auch darüber sprechen, was für ein ungezogenes Mädchen du bist obwohl du versprochen hattest brav zu sein.“ „Gute Nacht Tai…“, flüsterte Mimi kichernd und küsste mich zärtlich auf die Lippen. „Es wird die beste meines Lebens mit dir in meinen Armen, Prinzessin.“ Sie in meinen Armen zu halten, ihren Körper dicht bei mir zu spüren, ihren Atem gleichmäßig zu hören gab mir so viel Sicherheit, dass ich sofort einschlafen konnte. Diese Zeit mit ihr war bereits so lange her und doch fühlte es sich genauso intensiv wie damals an. Als wäre kein einziger Tag vergangen, als wären wir nicht älter geworden. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten meine Haut und ich schlug langsam meine Augen auf. Etwas benommen rieb ich mir über das Gesicht. Hatte ich das alles nur geträumt, oder war das letzte Nacht tatsächlich passiert? Ich schlug meinen Schlafsack zur Seite und erblickte meine makellose nackte Schönheit. Ein breites Grinsen machte sich auf meinen Lippen breit. Es war also kein Traum. Doch wo steckte die Frau, die mich letzte Nacht so hinterrücks überfallen hatte? Mimi war nicht mehr im Zelt. Panik schnürte mir den Hals zu. Vielleicht war es Mimi doch klar geworden, dass es ein großer Fehler war. Ich zog mir etwas an und ging nach draußen. Der frühe Morgen hüllte alles in andächtige Stille. Die Kinder schliefen noch und andere Menschen waren auch weit und breit noch nicht zu sehen. Ich fühlte mich furchtbar. Sicherlich war Mimi Hals über Kopf aufgebrochen. Was hatte ich auch erwartet? Nach allem was zwischen uns passiert war, wie hätte ich da denken können, dass wir jemals wieder hätten zueinander finden können? In einem schwachen Moment haben wir uns unseren Gefühlen ergeben, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. „Suchst du etwas?“, ihre Stimme hallte in meinem Ohr wieder. Ich konnte es überhaupt nicht fassen, dass sie plötzlich hinter mir stand. Meine Augen müssen mein Entsetzen wohl sofort gespiegelt haben, denn Mimi legte mir besorgt ihre Hand auf die Wange. „Es ist alles in Ordnung zwischen uns….keine Sorge.“, flüsterte sie sanft und sah mich ängstlich an. Ich griff sofort ihre Hand und zog sie fest in meine Arme. Der Gedanke, dass ich sie schon wieder verloren haben könnte lähmte mich. Sehnsüchtig presste ich meine Lippen gegen ihre. Ich schloss meine Augen und hoffte so sehr, dass dies keine Einbildung war. „Bitte bleib…“, hauchte ich gegen ihre Lippen. „Ja, dieses Mal bleibe ich…versprochen.“, antwortete sie irgendwie traurig und küsste mich erneut. Die Kinder unterbrachen schließlich unser inniges Beisammensein und forderten ihr Frühstück. Mimi und ich mussten uns den restlichen Nachmittag anhören, wie dämlich wir beim Knutschen aussahen. Aber solange die Kinder ihren Spaß hatten, stimmte es mich zufrieden. Nach dem Frühstück bauten wir die Zelte ab und packten alle Sachen zusammen. Nach und nach trafen die Eltern ein und holten ihre Kinder ab. Sie waren sehr dankbar dafür, dass wir etwas Zeit mit ihren Kindern verbracht hatten und die strahlenden Augen der kleinen Quälgeister zeigten, das sich unsere Mühe gelohnt hatte. Am Nachmittag hatten auch Mimi und ich alles zusammen gepackt und machten uns auf den Heimweg. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte ich und legte meinen Rucksack auf mein Motorrad. „Schon gut, du hast doch keinen zweiten Helm dabei…“, Mimi winkte lächelnd ab. Ich klappte die Sitzbank hoch und drückte ihr meinen zweiten Helm in die Hand. „Also jetzt müssen wir wirklich reden. Hugo Boss, Kondome und einen Ersatzhelm der auf den zierlichen Kopf einer Frau passt?“, strafend fixierten mich ihre goldenen Augen. Ich lächelte peinlich berührt, denn sie hatte mich wohl ertappt. „Also gegen meinen Klamottenstil gibt es nichts einzuwenden. Kondome hatte ich dabei weil ich, um ehrlich zu sein, vielleicht ein kleines bisschen damit gerechnet hatte, dass du in der Romantik der Berge, des Zeltes und meines atemberaubenden Körpers schwach werden und mich vernaschen könntest. Und den Helm habe ich mitgenommen, weil ich dich sowieso nach Hause gefahren hätte.“ Mimi lachte laut. „Du hast also damit gerechnet? Es war alles von langer Hand geplant? Wer von uns beiden ist hier nicht brav gewesen?“ Ihre glücklichen Augen strahlten mir ins Gesicht. Mein gesamter Körper kribbelte von den Füßen bis in die Nasenspitze. Sie tat mir gut. Egal was da noch kommen würde, aber im Moment war Mimi gut für mich. Ich versuchte Mimi und unser Gepäck auf meinem Motorrad unter zu kriegen. Irgendwie schaffte ich es tatsächlich und wir fuhren gemeinsam zurück nach Tokyo. Auf dem Heimweg hielt ich mit ihr auf einer kleinen Aussichtsplattform, von der aus man ins Tal und fast bis nach Tokyo blicken konnte. Die Sonne schien zwar, aber der Wind hatte etwas aufgefrischt und unzählige Blätter flogen uns um die Ohren. Mimi war bereits vor gelaufen und lehnte sich über das Geländer. Ich sah auf meine Füße und wischte das Laub etwas beiseite. Dabei fiel mir auf, dass sich eine dünne Linie gebildet hatte, auf der kein einziges Laubblatt lag. Ich verfolgte mit meinen Augen den Verlauf und sah, dass Mimi am Ende stand. Es war ein schmaler Grat zwischen uns. Wenn ich diese tiefen Gefühle für dich wieder zulasse und es nicht klappen sollte, werde ich durchdrehen. Ich könnte das alles nicht noch einmal durchstehen. Sooft bewegen wir uns auf einem schmalen Grat zwischen Kämpfen und Verlieren, Liebe und Freundschaft, Hoffen und Aufgeben. Wir beide haben letzte Nacht diesen schmalen Grat, der uns noch voneinander trennte endgültig überschritten. Wir haben etwas entfesselt, von dem ich mir nicht sicher bin, ob wir beide das überstehen können. Wer hätte gedacht, dass du – meine Prinzessin – sehr bald die Einzige sein würdest, die mich auf diesem schmalen Grat zwischen Leben und Tod begleiten wird? Diejenige, die mich mit aller Kraft auf diesem schmalen Drahtseil aufrecht hält? Kapitel 7: Schatten der Vergangenheit (Mimi) -------------------------------------------- Was ist das, was uns ständig über Wasser hält? Warum geben wir nicht einfach auf und ertrinken in unserer Verzweiflung? Du und ich kämpfen so verbissen gegeneinander an, obwohl wir genau wissen, dass sich unsere Wege immer wieder kreuzen werden. Selbst wenn ich es versuche, ich kann das Meer zwischen uns nicht teilen. Ich kann aber auch das Ufer nicht erreichen und dich einfach hinter mir lassen. Gestern Nacht habe ich mich treiben lassen, in diesem unendlichen Ozean aus Sehnsucht und Furcht. Ungeachtet der Konsequenzen gab ich auf, gegen die Strömung anzukämpfen. Stattdessen habe ich mich dir hingegeben. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, wir beide wissen das. Ich hoffe inständig, dass es mir dieses Mal gelingt den Kopf über Wasser zu halten und nicht zu ertrinken. Ich schmiegte meinen Kopf gegen seinen Rücken und der Fahrtwind peitschte mir durchs Haar. Meine Hände vergruben sich zwischen den harten Brustmuskeln von Tai und ich konnte seinen Herzschlag durch die Lederjacke spüren. Unbeirrt verweilte sein Blick konzentriert auf der Straße. Der Tacho bewegte sich ähnlich wie sein Puls, stets zwischen 180 und 200. Doch ich spürte zu keinem Zeitpunkt Angst. In seiner Nähe fühlte ich mich sicher. Ich wusste, dass er mich unbeschadet nach Hause bringen würde. „Hey Prinzessin, wir sind da…“, seine raue Stimme erstickte unter dem Visier seines Helms und holte mich zurück in die Realität. Ich nahm meine unbequeme Kopfbedeckung ab und glitt mit den Fingern durch meine langen Strähnen. „Danke…“, sagte ich verlegen und wusste nicht so richtig, wie wir uns voneinander verabschieden sollten. Die letzte Nacht hatte es zwischen uns nicht leichter gemacht. Wie sollten wir von nun an miteinander umgehen? Wir standen uns wie zwei ahnungslose Kinder gegenüber. So vieles war ungesagt und wir wussten weder vor noch zurück. „Soll ich vielleicht mit hoch kommen?“, fragte er und ich hörte deutlich eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme. Tai saß noch auf seinem Motorrad und hatte ein Bein auf der Straße abgesetzt. Sachte lehnte ich mich gegen ihn und die Maschine, während er seinen Helm absetzte. „Was würde denn passieren, wenn du mit hoch kommst? Ich muss morgen ziemlich früh raus, weil ich auf Dienstreise nach Osaka muss.“, sagte ich und grinste süffisant während mich seine dunkelbraunen Augen auf eine ungewohnt begehrende Weise ansahen. „Wenn ich mit rauf käme, würdest du definitiv nicht früh aufstehen. Wahrscheinlich könntest du morgen überhaupt nicht mehr aufstehen, wenn ich mit dir fertig bin….“, antwortete er unverschämt und mir stockte der Atem bei seiner eindeutigen Ansage. Dieses Kribbeln machte sich schon wieder in meiner Magengrube breit und plötzlich spürte ich seinen heißen Atem überall auf meinem Körper. Genauso wie letzte Nacht. Seine Fingerspitzen die sich in meine Haut einbrannten und ich hätte nichts lieber getan, als dort weiter zu machen, wo wir gestern aufgehört hatten. Ich sehnte mich so sehr nach seinem Körper, seinen alles verzehrenden Küssen und seinem sinnlichen Duft. Eine Mischung aus Vanille und Bergamotte. Tai fuhr mir zärtlich über die Wange und küsste genüsslich meine Schläfe. „Du wirst rot…“, flüsterte er mir ins Ohr. Beschämt blickte ich zu Boden und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich muss morgen wirklich fit sein….“, stotterte ich wie ein kleines Mädchen. „Schon gut. Wann bist du wieder zurück?“, fragte er mit einem freundlichen Lächeln. „Mittwoch…“, antwortete ich unüberlegt. „Dann sehen wir uns wie gewohnt zum Essen? Wie jeden Mittwoch? Wir und Izzy?“ Völlig berauscht von den lebendigen Erinnerungen an die letzte Nacht nickte ich nur stumm auf seine Fragen. Taichi beugte sich zu mir und hauchte mir einen heißblütigen Kuss auf die Lippen. Seine Finger fuhren unter mein Kinn und zogen mich etwas näher zu sich. Seine Zunge drang fordernd in mich ein und ich konnte nicht anders als sofort meine Arme um seinen Nacken zu legen. Genüsslich schloss ich meine Augen und seufzte sehnsüchtig in unseren Kuss. „Soll ich wirklich nicht mit hoch kommen?“, keuchte er und löste sich langsam von mir. Ich schüttelte lächelnd meinen Kopf und leckte mir den süßen Rest seines Kusses von den Lippen. „Okay. Melde dich, wenn du gut in Osaka angekommen bist Prinzessin.“, sagte er und setzte seinen Helm auf. Ich nickte und Taichi startete den Motor. Mit einem lässigen Zwinkern verabschiedete er sich und fuhr an mir vorbei. Ich stand noch einen kurzen Moment auf der Straße vor meinem Appartement, und sah ihm hinterher. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Meine Finger tasteten vorsichtig über meine noch immer brennenden Lippen. Der Wind fuhr mir durchs Haar und ich fing an zu zittern. Ein zögerliches Lächeln zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Der Sommer war vielleicht vorbei, aber etwas Neues hatte gerade erst begonnen Selbstverständlich konnte ich mich die nächsten Tage überhaupt nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Wir besuchten ein aufstrebendes Modelabel und wollten eine größere Serie über die kommende Kollektion in unser Magazin bringen. Meine Gedanken hingen ständig an dieser Nacht mit Taichi. Eigentlich ist es nichts Besonderes gewesen. Der Sex war eher mittelmäßig und überhaupt nicht das, was ich von ihm - dem Weiberhelden - erwartet hätte. Ich schämte mich dafür, dass ich ihn irgendwie verführt habe. Selbst heute konnte ich nicht in Worte fassen, was da über mich kam. Dieser Mann, der mir einst so nah war schien plötzlich so fern. Er war ein eiskalt kalkulierter Rechtsanwalt geworden, der wohlwissend straffällige Verbrecher freikaufte, damit sie ihm etwas schuldig waren. Auch wenn er diesen Vorteil für etwas Wohltätiges nutzte fiel es mir schwer, seinen unbändigen Sinn nach Gerechtigkeit zu erkennen. Denn genau dieses unvergleichbare Streben nach Gerechtigkeit war es, was Taichi für mich zu einem so wertvollen Menschen machte. An diesem Wasserfall sagte er mir, dass es nie zu spät sei sich zu ändern. Mich ließ dieser Gedanke nicht los, dass es etwas in Taichis Vergangenheit gab, von dem ich nichts wusste. Ein tiefschwarzes Kapitel, was er gekonnt vor mir zu verbergen versuchte. Ich kannte ihn als starken, leidenschaftlichen, mutigen und kämpferischen Mann. Was ist passiert, dass nur so wenig davon übrig geblieben ist? Egal was irgendwann einmal zwischen Taichi und mir geschehen ist, ich möchte nicht, dass es ihn heute immer noch so sehr quält. Denn ich fühlte mich nach dieser gemeinsamen Nacht mit ihm glücklich. Seit Monaten hatte ich wieder Appetit und konnte richtig essen. Ich schlief die Nächte durch, ohne Alpträume. Stattdessen begleiteten mich die Erinnerungen an ihn mit ins Bett. Seine Hände auf meinem nackten Rücken, seine Lippen auf meiner Haut, sein Atmen in meinem Nacken und dieses Gefühl in seinen Armen zu liegen. Taichi schrieb mir mehrmals am Tag eine Nachricht und abends telefonierten wir wie zwei verliebte Teenager. Keiner von uns sprach auch nur ansatzweise an, was da im Zelt zwischen uns gelaufen ist. Vielleicht wäre es am Telefon auch kein sonderlich gutes Thema gewesen. Aber ich hatte momentan nicht das Bedürfnis, irgendetwas zu definieren. So wie es war fühlte es sich gut an und über mehr wollte ich überhaupt nicht nachdenken. Doch die Realität war gnadenlos und bereits auf dem Heimweg am Mittwochabend wurde mir schlagartig bewusst, dass ich mich sehr wohl früher oder später damit auseinandersetzen musste, was das zwischen mir und Tai werden sollte. Denn es gab noch jemanden in meinem Leben. Während ich erstarrt aus dem Fenster des fahrenden Zuges sah, zog die friedvolle Landschaft an mir vorbei. In der Ferne konnte ich die aufziehenden Regenwolken erkennen, welche sich im schwindenden Sonnenlicht zinoberrot färbten. Es sah so aus, als würde dieser spätsommerliche Abend unter einer gigantische Feuerwalze begraben. Plötzlich fielen winzig kleine Schneeflocken vom Himmel. Irritiert schüttelte ich den Kopf und rieb mir die Augen. Was war nur mit mir los? Woher kamen diese Erinnerungen an diese Nacht in den Bergen? Weshalb sah ich jetzt sein Gesicht vor mir. ❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈ An diesen eiskalten Tag vor fünf Jahren, konnte ich mich nur allzu gut erinnern. Es war Mitte Februar und die winzigen Schneeflocken verfingen sich in der rauen Baumwolle meines Strickschals. Meine Hände drückte ich ineinander gefaltet gegen meine Oberschenkel, während ich stetig versuchte das Gesicht tiefer im Kragen meines Mantels zu verstecken. Noch vor ein paar Tagen hatten wir den Geburtstag meines besten Freundes gefeiert und jetzt trug er die Urne seiner leiblichen Mutter zu Grabe. Der Schnee ließ bereits die ersten Schriftzeichen auf dem schmalen Granitsockel verschwinden. Koushiro hockte direkt davor und wischte mit seinen bloßen Händen immer wieder die weiße Schicht vom Grabstein. Ich war vor wenigen Stunden am Flughafen Chitose bei Sapporo gelandet. Koushiro erwartete mich dort bereits. Nach dem Tod seiner Mutter hatte man ihn als einzigen Hinterbliebenen ausfindig gemacht und damit beauftrag, die Beisetzung zu organisieren als auch den Nachlass zu verwalten. Wie sich schließlich herausstellte, gab es keine weiteren Angehörigen. Diese Frau hatte Koushiro damals zur Adoption freigeben, da sie wohl kein sonderlich gutes Leben führte. Zumindest war es das, was die Nachbarn und Bekannten seiner Mutter ihm bei der Totenwache erzählten. Sie sprachen von Alkoholproblemen, Arbeitslosigkeit und schlechten Männern, die ihre Schwächen nur ausnutzten, weshalb sich ihr Leben nur weiter in Richtung Abgrund bewegte. Ich konnte nicht verstehen, warum mein bester Freund diese Reise antrat und sich dieser Wahrheit aussetzte. Waren denn das wirklich Informationen, die man über seine leibliche Mutter haben wollte? Wie schmerzhaft musste es gewesen sein zu erfahren, dass die eigene Mutter ein bedauernswertes Dasein fristete und schließlich einsam starb? Ich war darüber erschüttert, schließlich hatte ihn diese fremde Frau vor mehr als 20 Jahren zur Adoption freigegeben und sich nie wieder bei ihm gemeldet. Wie sollte er denn da plötzlich ein anständiges Begräbnis auf die Beine stellen? Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich lediglich Verachtung, Wut und Hass für diese Person übrig gehabt. Ich glaube, dass Koushiro während der gesamten Trauerfeier kein einziges Wort mit mir gesprochen hatte. Dennoch suchte er meine Nähe und ich gewährte sie ihm. Für mich war es nicht die erste japanische Beisetzung und somit war ich mit den zahlreichen Riten vertraut. Bei dem Blick in den offenen Sarg überkam mich dann aber doch ein beklemmendes Gefühl. Diese fremde Frau hatte unfassbar viel Ähnlichkeit zu ihrem Sohn und es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Wer wenn nicht ich, hätte besser verstehen müssen, wie unerträglich ein Leben mit der Gewissheit war, sein eigenes Kind weg gegeben zu haben? Egal wie viele Jahre vergingen, diese Schuld würde einen irgendwann auffressen. Jeden Tag stellte man sich die Frage, wo das eigene Kind gerade war und wie es ihm erging. Plötzlich tropften mir heiße Tränen vom Kinn und landeten direkt zwischen ihren schwarzen Haarsträhnen. Ihr bleiches Gesicht wirkte zerbrechlich wie Porzellan und dennoch konnte ich im Schwung ihrer Wimpern, der Form ihrer Nase und Stirn das Gesicht meines besten Freundes erkennen. Jemand nahm mich bei der Hand und zog mich vom Sarg weg. Es war Koushiro, der mir seine Hand auf die Wange legte und mich in eine innige Umarmung zog. Ich weinte stumm gegen seine Brust und fühlte nichts als brennende Reue in meinem Herzen. Er schmiegte seine Lippen gegen meine rechte Schläfe. „Es tut mir so leid, dass ich dir das antue. Verzeih mir, aber ohne dich schaffe ich das nicht.“, flüsterte er mit zitternder Stimme. Wieso entschuldigte er sich bei mir? Dieser Kerl war unfassbar und ich würde mich jetzt verdammt nochmal zusammen reißen und für ihn da sein. Genauso wie er es für mich gewesen ist, in den schwersten Stunden meines Lebens. Die Totenwache dauerte nicht sonderlich lange und bereits am Nachmittag waren wir im Krematorium. Ich hätte eine solche Stärke nicht aufbringen und diese Frau, die mich verlassen hatte, auf eine dermaßen hochachtungsvolle Weise bestatten können. Aber Koushiro ließ nichts aus und führte selbst das traditionelle »Kotsuage« Aufsammeln der Knochen aus den Ascheresten selbst durch. Jetzt standen wir hier. Irgendwo in der Arktis Japans, auf einem Friedhof mitten im Nirgendwo. Unter seinen Schuhen knirschte der Schnee, als er langsam auf mich zukam. Die Urne seiner Mutter stand auf einem kleinen Schrein, direkt unter dem Grabstein und einige Räucherstäbchen glühten beharrlich in der eisigen Kälte dieses Abends. „Lass uns ins Hotel gehen, du bist doch schon angefroren…“, sagte er mit einem wenig überzeugenden Lächeln. Ich hielt mir die Hände vor den Mund und sah, wie mein heißer Atem kleine Wölkchen bildete. „Wir gehen erst, wenn du Abschied genommen hast.“, antwortete ich meinem Freund. Er nahm sich seine Mütze vom Kopf und setzte sie mir auf. Seine roten Haare schimmerten im Schein der Friedhofslaternen wie buntes Herbstlaub. Sein Blick wirkte leer aber nicht wirklich traurig. „Von was sollte ich mich verabschieden? Es gibt keine Erinnerungen an diesen Menschen. Nur die Gewissheit, dass sie ihre Entscheidung mich zu verlassen, vielleicht tatsächlich zu meinem Wohle getroffen hat.“, sagte er gefasst und doch verletzten mich seine Worte irgendwie. Das Atmen fiel mir plötzlich schwer, während ich ihm weiter zuhörte. „Auch solche Entscheidungen treffen die Menschen aus Liebe. Ich habe immer voller Zorn auf meine leiblichen Eltern geblickt. Ich dachte, sie hätten mich verlassen um ein besseres Leben zu führen. Das es aber genau anders herum sein könnte, dass meine Mutter mich weg gab, damit ich es einmal besser habe, kam mir niemals in den Sinn.“, sagte er leise und sprach mit fester Stimme weiter. „Mimi, deine Schuld wird niemals aufhören dich zu quälen wenn du nicht anfängst, dir selbst zu verzeihen. Auch wenn wir freie Menschen sind, haben wir nicht immer eine Wahl.“ Koushiro wich meinem Blick aus und sah hinauf in den nachtschwarzen Himmel. „Das was wirklich von Bedeutung ist, sind doch die Spuren der Liebe die wir hinterlassen wenn wir gehen.“, nachdem er diesen Satz beendet hatte sah er mich wieder an und lächelte. Dieses Mal war es ein aufrichtiges und hoffnungsvolles Lächeln. Ich zitterte am ganzen Körper. Nicht wegen des eisigen Frostes um uns herum, sondern weil die Wahrheit die er aussprach, wie ein Messer durch alte Wunden schnitt. Zärtlich fuhren seine eiskalten Hände über meine Wangen und wischten mir die Tränen aus dem Gesicht. Verzweifelt griff ich nach seinen Handflächen und versuchte diese bitterliche Kälte, die immer weiter in mir empor kroch, nicht zu spüren. Jene Nacht mit Koushiro in diesem Hotelzimmer, irgendwo in den Bergen, werde ich niemals vergessen. Wir lagen stundenlang schweigend nebeneinander auf der Seite und sahen uns voller Schwermut an. Genauso wie in den wenigen Sekunden vor dem allersten Kuss mit einem geliebten Menschen, mischten sich Aufregung und Sehnsucht in meiner Brust. In dieser Nacht spürte ich diese unaussprechliche Spannung zwischen uns so stark und präsent wie niemals zuvor. Seine Hand berührte mich abwechselnd an meinem Oberarm, meiner Hüfte, meiner Wange und streichelte mir immer wieder zärtlich durchs Haar. Irgendwann lagen wir innig einander verschlungen beieinander. Unsere Hände waren längst unter unseren Pullovern verschwunden und ruhten auf dem nackten Rücken des jeweils anderen. Neugierig erkundete er mit seinen Fingerspitzen die frischen Konturen meiner Tätowierung. In diesem Moment wo er seine Stirn schließlich gegen meine lehnte, ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte und seine Hand, die sich in meinem Nacken vergrub, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er mich küsste. Doch er tat es nicht. ❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈-❈ Einzelne Regentropfen krümmten sich wie kleine Rinnsale an der Scheibe entlang, als ich gedankenverloren mein Schlafzimmer betrat. Der Stoff meiner Bettwäsche knitterte unter dem harten Leder der Reisetasche, welche ich gerade abstellte. Mit einem lauten Seufzen setzte ich mich daneben aufs Bett und starrte das blinkende Display meines Telefons an. Koushiro versuchte mich zum gefühlten tausendsten Mal in dieser Woche anzurufen. Was war ich nur für eine feige, verlogene Scheißkuh? Ich wich ihm aus, lief vor ihm davon. Wie töricht ich doch sein konnte. Zwischen uns gab es keine Liebesbeziehung und doch fühlte es sich so an, als hätte ich Koushiro betrogen. Wütend schob ich mein Telefon auf die andere Seite des Bettes und ließ mich nach hinten fallen. Gleißende Blitze durchschnitten die aufziehende Dunkelheit des Abends. Vielleicht saß ich bereits in der Hölle fest, denn anders hätte ich mir diese zerreißenden Schmerzen in meiner Brust nicht erklären können. Eigentlich hätten wir drei uns bereits vor einer Stunde zum gemeinsamen Abendessen getroffen, aber ich kam absichtlich mit dem späteren Zug. Wie eine giftige Schlange verkroch ich mich unter einem Stein und hoffte, dass es keinem der Beiden auffallen würde, dass ich unsere Verabredung platzen ließ. Aber das unerbittliche Vibrieren meines Handys zeigte mir, dass es Koushiro ernst war und er nicht locker lassen würde. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass er wenige Minuten später direkt vor meiner Tür stand. „Das ist doch unmöglich…“, murmelte ich nachdem das schrille Läuten der Klingel mich wachrüttelte. Langsam stützte ich mich auf meine Unterarme ab und richtete meinen Oberkörper auf. Es läutete erneut, dieses Mal untermauert mit festen Schlägen gegen die Wohnungstür. „Mimi, alles in Ordnung? Warum gehst du nicht an dein Telefon?“, die Stimme meines rothaarigen Freundes durchdrang mich bis in Mark und zähneknirschend erhob ich mich vom Bett. Vorsichtig öffnete ich die Tür und sah ihn entschuldigend an. Seine schwarzbraunen Augen wirkten besorgt und doch spiegelte sich Zorn in seinem Gesicht. Noch bevor ich auch nur ein einziges Wort hätte sagen können, sprach er unbeirrt weiter. „Was ist mit dir los? Ich kann dich die gesamte Woche nicht erreichen und heute lässt du uns einfach warten, ohne dich zu melden? Ich habe mir Sorgen gemacht!“, allmählich entspannte sich sein zuvor harscher Tonfall und auch seine Mimik wurde weicher. „Es tut mir leid…“, stammelte ich schuldbewusst und bat ihn mit einer freundlichen Geste herein. Koushiro trug eine schwarze Jeans und ein schlichtes weißes Hemd. Die ersten Knöpfe waren geöffnet und die dunkelblaue Krawatte hing unordentlich von seinem Hals herab. Er hatte seine dünne graue Windjacke über die Schulter gelegt. Von seinen Haarspitzen fielen kleine Tropfen zu Boden. Offenbar war er durch den Regen bis zu mir gelaufen, denn auch seine Schuhe waren pitschnass. „Ist irgendwas vorgefallen?“, fragte er tonlos. Ich drückte gerade die Tür ins Schloss und stand mit dem Rücken zu meinem Freund, als seine Frage in mein Gehör drang. Aufgewühlt starrte ich ins Leere und spürte, wie meine Kehle trocken wurde. „Was meinst du?“, fragte ich leise und wagte nicht, mich zu ihm umzudrehen. „Zwischen dir und Tai…bei eurem Ausflug. Er sagte heute, dass du sicherlich nicht gekommen seist, weil du von ihm genug hast.“ Ein beißendes Gefühl von Wut stieg in mir auf. Nervös ballte ich meine beiden Hände zu Fäusten und presste sie gegen meine Oberschenkel. Wie konnte Taichi es fertig bringen, und mit Koushiro hinter meinem Rücken über unseren Campingausflug sprechen? Ich wollte selbst entscheiden wann und wie viel ich meinem besten Freund davon erzählen würde. Doch Tai hatte mal wieder alleine die Entscheidungen für uns getroffen. Ohne auch nur eine Minute daran zu denken, welche Konsequenzen das haben und ob er mit seinem rücksichtslosen Verhalten eventuell die Menschen um ihn herum verletzen könnte. „Mimi?“, vorsichtig legte er seine Hand auf meine Schulter und unterbrach damit meine Gedanken. Mein Blick glitt dumpf über meine Schulter, doch als sich unsere Augen trafen, wich ich Koushiro sofort wieder aus. „Ich kann mit dir nicht darüber sprechen…“, sagte ich schließlich mit bebender Stimme und schob seine Hand von meinem Körper. „Mimi….du kannst mir alles sagen….“, verwirrt sah er mich an und ging einen Schritt zurück, als ich mich endlich zu ihm wandte. Ihn so unsicher vor mir stehen zu sehen erfüllte mich mit Traurigkeit. Er schien wirklich besorgt zu sein und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Ich spürte, dass er mich gerne berührt hätte und doch konnte ich diese Nähe nicht zulassen. Seine tapferen Augen suchten etwas in meinem Gesicht, aber ich konnte es ihm nicht geben. Wie konnte Taichi mich nur derart hintergehen? Wie konnte er meine Freundschaft zu Koushiro riskieren? Bei diesem Gedanken schreckte ich zusammen. Wenn es lediglich Freundschaft ist, warum konnte ich Koushiro dann nicht sagen, dass ich wieder etwas mit Tai angefangen habe? Warum konnte ich meinem besten Freund nicht sagen, dass es endlich einen Mann in meinem Leben gab, mit dem ich glücklich bin? „Schon gut, du bist mir zu keiner Rechenschaft verpflichtet….“, sagte er mit einem sanften Lächeln und ging langsam an mir vorbei, um die Wohnung wieder zu verlassen. „Aber ich bin immer für dich da…“, fügte er hinzu und zog sich seine Jacke an. „Schlaf gut…“, sagte er schließlich. Ich blickte ihm völlig erstarrt hinterher, während er den schmalen Gang zurück zum Aufzug lief. Keine Ahnung was mich davon abhielt meinem besten Freund nachzulaufen und alles zu offenbaren. Völlig besessen von dem Gedanken, dass Taichi ihm von unserer gemeinsamen Nacht erzählt haben könnte, kam mir überhaupt nichts anderes in den Sinn, als dieses Großmaul endlich zur Rede zu stellen. Es sollte niemand davon wissen. Niemand! Vor allem sollte es Koushiro nicht wissen. Nachdem ich einigen Minuten unruhig durch die Wohnung irrte, machte ich mich wutentbrannt auf den Weg nach Shibuya. Ich trug noch immer mein Businessoutfit und hatte mir nicht einmal die Zeit genommen, mir eine Jacke anzuziehen. Der Regen durchnässte meine weiße Bluse und der kurze Bleistiftrock klebte an meinen Schenkeln. Einige Jugendliche feierten sich in der U-Bahn über mein etwas laszives Erscheinungsbild, schließlich zeichnete sich mein BH unter der inzwischen transparenten Bluse ab. Um diese Uhrzeit sah ich mehr nach Escort-Service als Business aus. Doch im Moment kümmerte mich das reichlich wenig. Ich wollte endlich erfahren, was die Beiden hinter meinem Rücken miteinander besprochen hatten. An der Gegensprechanlage flötete mir Taichi amüsiert entgegen und schien überrascht zu sein, dass ich plötzlich vor seiner Tür stand. Auf dem Weg in sein Stockwerk musterte ich im Aufzug mein jämmerliches Spiegelbild. Die Haare hingen tropfnass von meinen Schultern, mein Gesicht wirkte müde und abgeschlagen. Nichts desto trotz glänzten meine goldbraunen Augen vor Zorn und nur wenige Sekunden später sah ich mit genau diesem Blick meinen Gegenüber an. Taichi stand lässig im Türrahmen und hatte nichts weiter als eine Jogginghose an. Leider lenkte mich seine konturierte Bauchmuskulatur immer wieder vom Wesentlichen ab. „Na schau mal einer an. Was machst du denn hier?“, fragte er frech grinsend und nahm seine Zigarette mit Zeige- und Mittelfinger aus dem Mund. „Du besuchst mich in so einem freizügigen Outfit? Ich bin hocherfreut.“, ergänzte er und nahm erneut einen Zug. Als wäre ich nicht sowieso schon kurz davor zu explodieren, trieb er es mit seinen dämlichen Sprüchen selbstverständlich noch auf die Spitze. Ohne darüber nachzudenken schlug ich ihm die Zigarette aus der Hand und trat sie auf den Fliesen im Hausflur aus. „Hör endlich auf zu rauchen!“, fauchte ich. „Um mir das zu sagen, bist du extra durch den Regen hierhergekommen?“, fragte er und sah mich weiterhin belustigt grinsend an. Am liebsten wäre ich sofort an die Decke gegangen und geplatzt, aber sein nackter Oberkörper lenkte meine Aufmerksamkeit immer wieder auf völlig andere Gedanken. Ich sammelte mich kurz, schluckte hart und richtete mein Augenmerk auf alles oberhalb seines Halses. Tai hatte einen Dreitagebart und sein Haar stand etwas unsortiert von seinem Kopf ab. Es irritierte mich, dass er seinen Blick nicht von mir abwendete und mit seinen haselnussbraunen Augen versuchte aus meinem zornigen Gesicht zu lesen. „Was fällt dir ein, Koushiro von uns zu erzählen?“, platzte es völlig ungefiltert aus mir heraus. „Es geht niemanden etwas an, was zwischen uns gelaufen ist. Wie kannst du wieder einmal alles im Alleingang entscheiden?“ Ich kam gerade richtig in Fahrt und dachte gar nicht daran eine Pause zu machen, doch mit einem Mal dröhnte seine tiefe Stimme durch mich hindurch. „Was ist dein Problem? Es war nur Sex. Ich habe keine Ahnung was du von mir willst.“, sagte er ungewohnt ruhig. Sein Blick verweilte unbeirrt auf meinem Gesicht. Ich konnte kaum glauben was ich da hörte und wurde nur noch wütender. „Ich habe kein Problem. Ich weiß, dass es lediglich Sex gewesen ist und deshalb kann ich nicht verstehen, warum du es sofort unserem besten Freund erzählen musst.“, zischte ich inzwischen ziemlich gereizt. „Offensichtlich hast du sehr wohl ein Problem, denn du willst nicht, dass Izzy etwas von uns weiß. Was läuft da zwischen dir und ihm?“, sagte er. „Liebst du ihn?“, fügte er plötzlich hinzu. Taichi klang noch immer völlig unberührt. Dennoch erkannte ich, dass seine lässige Körperhaltung allmählich wich. Er stand inzwischen ziemlich angespannt mir gegenüber und umfasste seine beiden Oberarme vor der Brust. Nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, brach ein Sturm über mich herein. Als würden meine Gefühle im Moment nicht ohne hin schon Achterbahn fahren, machte Tai jetzt diesen Nebenschauplatz auf. Eine Frage, der ich mich selbst noch nie gestellt habe und der ich mich auch zukünftig nicht stellen wollte. Jegliche Selbstbeherrschung schwand aus meinen Gliedern und zwischen Verzweiflung und Angst fiel mir nichts weiter ein, als auszuholen und ihm eine kräftige Ohrfeige zu verpassen. Entsetzt über mein eigenes Verhalten riss ich meine Augen auf und starrte ihn fassungslos an. „Wow…“, sagte er lächelnd und fuhr sich mit der rechten Hand von der rot glühenden Wange hinab zu seinem Kinn. „…das könnte eindeutiger nicht sein.“ Ich rang zitternd nach Atem. Was wollte Taichi mir damit sagen? Weshalb war meine Reaktion eindeutig? Vollkommen außer Stande auch nur ansatzweise in Worte zu fassen was in mir vorging, blieb ich perplex stehen. „Ich habe ihm überhaupt nichts von uns erzählt. Ich sagte lediglich, dass ich dich auf dem Ausflug genervt habe und du vielleicht deswegen keinen Bock auf ein gemeinsames Essen hast. Er wollte heute noch bei dir vorbei gehen, um nach dem Rechten zu schauen. Du hast ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Du verhältst dich so, als hättest du ihn mit mir betrogen.“, sagte er und stockte kurz. „Hast du ihn mit mir betrogen?“, diese Frage quälte sich schmerzhaft langsam über die Lippen des sonst so selbstsicheren Taichi Yagami und ich konnte hören, dass es ihm nicht leicht fiel sie zu formulieren. Nun hatte Tai das ausgesprochen, was mich die gesamten letzten Tage beschäftigt hatte. Mein Brustkorb fühlte sich so an, als würden mir jemand die Rippen zusammen schnüren. Ich musste diese bescheuerte Vorstellung endlich los lassen, dass Koushiro mehr in mir sah als nur eine gute Freundin. Es war doch vollkommener Schwachsinn. Wir waren Freunde und sicherlich würde er sich über mein Glück freuen. Aber es machte zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn, dieser Sache zwischen mir und Tai einen Namen zu geben. Die Vergangenheit hatte uns schließlich gelehrt, dass die Liebe so zart wie ein Schmetterling war. Schloss man seine Hände zu kräftig, drohte sie zu zerbrechen. Hielt man die Liebe nicht fest genug, würde sie davon fliegen. Ich hob meinen Kopf etwas, damit ich Tai ansehen konnte. Er wirkte unsicher und vielleicht sogar ein bisschen wütend zugleich. Was war nur mit mir los? Von der ersten Minute an, als wir uns am Flughafen nach acht Jahren endlich wieder sahen, herrschte diese unbeschreibliche Spannung zwischen uns. Alles in mir sehnt sich nach diesem Mann. In jeder wachen Minute meines Daseins denke ich an ihn und doch gibt es diese Zweifel in meiner Brust. Vielleicht war es nicht Koushiro den ich betrogen hatte. Vielmehr machte ich wohl mir selbst etwas vor und versuchte nicht nur meine Vergangenheit, sondern auch meine gesamte Gefühlswelt auszublenden. Langsam trat ich vom Treppenaufgang in die Wohnung herein, entledigte mich meiner Schuhe und schloss die Tür hinter mir. Ich wollte nicht, dass sämtliche Nachbarn an unserer persönlichen Seifenoper teilhaben konnten. Ein kräftiger Atemzug ließ mich etwas zur Ruhe kommen. „Es ist nichts zwischen mir und Koushiro. Ich will nicht, dass du so etwas denkst.“, sagte ich zögerlich. „Aber es wird nicht auf Begeisterung stoßen, dass du und ich wieder irgendwas miteinander haben. Es wird bei niemandem unserer Freunde erfreuen….nicht nach allem, was damals zwischen uns gelaufen ist.“, sagte ich völlig aufgelöst und suchte irgendwas in seinem Blick, dass mir Sicherheit gab. Doch Taichi gab mir nichts dergleichen. Angepisst stand er an die Wand gelehnt und biss sich böse zischend auf die Unterlippe. „Was ist denn damals zwischen uns gelaufen?“, fragte er provokativ. Verzweifelt starrte ich an die Zimmerdecke und kämpfte mit meinen Tränen. Ich wollte dieses Gespräch nicht führen. Nicht hier, nicht jetzt. Ich war noch nicht dazu bereit, mich mit unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es war womöglich eine Kurzschlussreaktion, aber ich hätte nicht gewusst, wie ich anders aus dieser Situation hätte entfliehen können. Mit wenigen Schritten kam ich auf ihn zu, stieß ihn bestimmend gegen die Wand und legte meine Hände harsch in seinen Nacken. Ich zog ihn in einen stürmischen Kuss. Zunächst löste er sich entsetzt und versuchte mich von sich zu drücken. „Hör auf damit…“, keuchte er angespannt. Doch ich ließ nicht von ihm ab und fing erneut an, ihn leidenschaftlich zu küssen. Ich wehrte mich mit jeder Faser meines Körpers dagegen, mich mit diesen Fragen auseinandersetzen zu müssen. Keine Ahnung was Tai und ich irgendwann mal waren. Keine Ahnung wie Koushiro und ich zueinander standen. Keine Ahnung wie das alles hier weiter gehen sollte. Einzig und allein wusste ich, dass mich irgendetwas immer wieder zurück zu diesem Punkt trieb. Zurück in seine Arme. Das was zwischen mir und Tai war, riss uns beiden jedes Mal den Boden unter den Füßen weg und selbst nach all den Jahren waren wir nicht dazu im Stande, uns dem zu widersetzen. „Mimi…“, flüsterte er ein paar Mal hoffnungslos und versuchte mir zu widerstehen. Doch es half alles nichts. Als sich der großgewachsene Brünette schließlich seinem Schicksal hingab, packte er mich hart an den Hüften und stemmte mich gegen die Kommode. Seine Lippen legten sich geschmeidig auf meine und sofort spürte ich seine Zunge in meinem Mund. Etwas unbeholfen rutschte ich mit meinem nassen Hintern auf das spröde Holz, während er sich zwischen meine Beine drängte. Ich spürte seine Erektion an meiner Mitte und lächelte amüsiert gegen seine Lippen. Dieser beschissene enge Rock rutschte mir bis zum Bauchnabel rauf, was diesen heißblütigen Mann zwischen meinen zitternden Schenkeln natürlich wenig kümmerte. Außer Atem keuchte ich in unseren Kuss und schlang beide Beine um seine Taille. Gierig schob ich mit meinen Füßen seine locker sitzende Jogginghose hinab. Er trug nichts weiter darunter. Gekonnt wendete er sich aus dem Kleidungsstück und nahm dies sofort zum Anlass, um seine Hände unter meine Pobacken zu schieben. Ohne Probleme trug er mich auf seinen Händen ins Schlafzimmer. Ich kam nicht umhin meine Augen zu öffnen und sein Bett anzustarren. Unbewusst löste ich den Kuss mit ihm. Die Frage, mit wie vielen Frauen er hier bereits gelegen hatte, trieb mich in den Wahnsinn. Eifersucht ist etwas, das unserem Verstand die Freiheit nimmt, die Dinge so zu sehen wie sie sind. Und verdammt nochmal ich war scheiß eifersüchtig. Außerdem hasste ich es, wenn ich mit anderen Frauen verglichen wurde. Ich wollte etwas Besonderes für ihn sein und keine von Vielen. „Mir hat erst vor kurzem jemand gesagt, dass ich endlich aufhören soll nachzudenken…“, sagte er zärtlich flüsternd, während er die Stelle zwischen meinem Ohr und Hals küsste. Ich schloss genüsslich meine Augen und schmiegte mich seinen Lippen entgegen. Tai hatte recht, ich selbst sagte zu ihm, er solle nicht so viel nachdenken. Wahrscheinlich hätte mich eine ehrliche Antwort nur weiter verunsichert und weiß Gott, ich wollte jetzt nicht zweifeln. Ich lechzte nach seinen Lippen, nach seinem eindringlichen Blick, seinem heißen Atem in meinem Nacken. Ich wollte einfach alles von ihm und zwar jetzt. Etwas unsanft landete ich in seinen Laken. Der Regen prasselte gegen die Fenster, doch inzwischen nahm ich dieses Geräusch überhaupt nicht mehr wahr. Es verschmolz mit der Stille der Nacht und hielt uns Beide in diesem Moment gefangen. Meine langen Haarsträhnen kitzelten auf meiner nackten Haut, als Tai sich über mich beugte und meine Bluse langsam aufknöpfte. Nach all der Aufregung der letzten Stunden, dieser verzweifelten Furcht vor meiner Vergangenheit und der damit verbundenen Leere in meinem Herzen überkam mich plötzlich dieses tiefe Gefühle von Verbundenheit und Sehnsucht in seinen Armen. Genauso wie vor drei Nächten. Er berührte beinahe schon zurückhaltend meine Brüste. Ich löste unseren Kuss und streichelte ihm liebevoll durchs Haar. Einen Atemzug später glitt ich aus meinem Oberteil und Tai öffnete gekonnt den Verschluss meines weißen Spitzenbalconette. Er betrachtete neugierig meinen entblößten Oberkörper. Seine warmen Fingerspitzen bewegten sich zaghaft über meine Rundungen. Seine Augen wendeten sich von meinem Körper ab und blickten in mein Gesicht. Schweigend beugte er sich hinunter und fing zärtlich an mich zu küssen. Mit einem zufriedenen Seufzen kostete ich von seiner Zunge in meinem Mund. Danach nahm ich seine Hand und führte sie zwischen meine Beine. Er ließ es bereitwillig geschehen und schob achtlos den Stoff meines Höschens beiseite. Ich zog meine Beine an, schloss meine Augen und stemmte ihm mein Becken entgegen. Ohne weitere Worte drang er schließlich mit seinem Finger tief in mich ein. Kurz zuckte ich unter seiner Berührung zusammen, bevor ich letztlich erstickt aufstöhnte. Jedes Mal wenn er seinen Finger so verboten langsam in mir bewegte, verlangte ich nach mehr. Und Tai gab mir mehr. Er löste unseren innigen Kuss und verwöhnte meine fröstelnde Haut mit seinen wohlig warmen Lippen. Sie wanderten allmählich von meinen Brüsten hinab zu meinem Bauchnabel. Ich spürte wie meine Knie anfingen zu zittern, als seine Zunge neugierig an meiner Körpermitte vorbei, hinab zu meinem bebenden Venushügel glitt. Mein Herz raste. Mein Atem ging schnell und flach, beinahe hätte ich komplett vergessen nach Luft zu schnappen. Was geschah hier mit mir? Was stellte dieser Mann bloß mit mir an? Liebestrunken blickte ich in sein Gesicht, als er ein letztes Mal zu mir aufsah. Sein Finger glitt aus mir heraus und gleichzeitig hob er mit beiden Händen meine Hüften etwas an. Alles was er mit mir anstellen wollte, würde ich geschehen lassen. Seine Hände legte er um meine Brüste und noch während ich genussvoll stöhnte, versank sein Gesicht in meinem Schoß. Seine heiße Zunge berührte mich an meiner empfindlichsten Stelle. Meine Finger krallten sich kraftvoll in sein wildes Haar und im selben Moment bäumte sich mein Körper voller Lust unter seinen heftigen Zungenschlägen auf. Gierig zog ich an seinem Schopf, denn ich hielt es nicht länger aus. Ich wollte seinen nackten Körper auf meiner Haut, ich wollte ihn in mir, dass er mich voll und ganz einnimmt. Ich wollte, dass er mich besitzt. Unter meinem unerbittlichen Zerren an seinem Kopf, löste er sich von meiner pulsierenden Mitte. Tai sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Was suchte er in meinen Augen? Eine Einverständniserklärung? Ich schlang meine Schenkel um seine Hüfte und drückte ihn dicht an meinen Körper. Er lehnte sich zu mir und suchte flehentlich meine Lippen. Sofort stürzten wir uns in einen heißen Kuss. Sein Bart kratzte auf meiner Haut, doch es interessierte mich nicht. Seine harte Erektion stimulierte meine Klitoris. Mein Geist war völlig weggetreten. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass er neben meinem Kopf in eine Schublade seines Nachttisches griff und etwas suchte. Plötzlich kam es über mich und ich öffnete meine Augen. „Wie viele?“, fragte ich. Es war wie ein bedrohlicher Schatten, der mich einfach nicht los lassen wollte. Wie viele Frauen hatte er vor mir in diesem Bett? Sein Blick war auf die Schublade gerichtete, deshalb bekam ich wohl eher eine beiläufige Antwort, die mich zutiefst erschütterte. „Keine Ahnung…so um die 30?“ „Was? Dreißig?“, schrie ich beinahe schon völlig hysterisch. Ziemlich verblüfft über meine Reaktion sah mich Tai verunsichert an. „Ja, sie sind im Dutzend billiger…“ Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf und löste sofort meine Beine von seinen Hüften, „Wie bitte? Sie sind im Dutzend billiger?“ „Ich weiß es doch auch nicht. Wie viele sind denn in einer Packung?“, antwortete er auf meine entsetzten Fragen. „In einer Packung?“, stammelte ich weiter. Dieser Mann schien nicht ganz zu verstehen wovon ich sprach. Oder ich hatte nicht mitbekommen, dass man Prostituierte mittlerweile in einer Großpackung kaufen konnte. „Ja, ich denke 24 oder 30 Kondome sind in einer Verpackung. Warum machst du jetzt so einen Aufstand? Es wird schon für heute Nacht reichen.“ Mir blieb sofort der Spucke im Hals stecken. Ich musste nicht in den Spiegel sehen um zu wissen, dass sich mein Gesicht feuerrot färbte. Peinlich berührt schluckte ich hart und Tai schien zu begreifen, dass ich offenbar nicht wissen wollte, wie viele Kondome her hatte, sondern wie viele Frauen es waren. „Oh, wie viele! Also 30 waren es nicht.“, sagte er hämisch kichernd. „Spielt die Anzahl denn eine Rolle? Jetzt bist du hier und du bist alles, woran ich denken kann. Keine Frau kann dir das Wasser reichen. Du bist etwas ganz Besonderes für mich.“, sprach er mit einem ungewohnt zärtlichen Gesichtsausdruck und streichelte mir einige Strähnen aus dem Gesicht. Das, was er zu mir sagte ging mir tiefer unter die Haut, als ich für möglich gehalten hätte. Meine Hände vergruben sich in seinem Haar und behutsam zog ich Tai zu mir herunter. Dieses Mal folgte kein wildes, leidenschaftliches Zungenspiel, sondern ein vorsichtig sehnsüchtiger Kuss. Seine Hände ließen mich spüren, dass seine Worte ernst gemeint waren. Zärtlich schlang er seine Arme um mich und zog mich zu sich rauf. In einer raffinierten Bewegung setzte er mich auf seinen Schoß, dabei löste er sich von meinen Lippen und blickte mich hingebungsvoll an. Taichi musste kein einziges Wort sagen, ich verstand ihn. Diese Angst, Unsicherheit und dennoch tiefe Begierde in seinen dunkelbraunen Augen. Mir ging es genauso. Ich wollte diesen Mann so sehr und selbst nach all den Jahren, hatte sich daran nichts geändert. In einer rhythmischen Bewegung ließ ich ihn schließlich in mich gleiten. Ich keuchte erstickt und legte meine Arme um seinen Nacken. Seine Hände griffen meine Pobacken und dirigierten die Geschwindigkeit meiner Bewegungen. Dieses Mal fühlte es sich anders an, als vor drei Nächten. Tai war dominant und schien genau zu wissen, wie er mich berühren oder bewegen musste, damit ich meinem Höhepunkt immer näher kam. Immer kräftiger und tiefer spürte ich seine Stöße in mir. Erschöpft lehnte ich meine Stirn gegen seine. Sofort küsste er mich und schlang seine kräftigen Arme um meinen Rücken. In meinem Körper bebte jedes Molekül, alles fing an zu kribbeln und ich wusste, dass ich nicht länger an mich halten konnte. Mein Atem wurde flach und völlig außer Stande auch nur noch einen klaren Gedanken zu fassen, löste ich mich aus seinem Kuss und öffnete meine Augen. Als sich unsere Blicke trafen, überkam mich ein Gefühl, das ich so intensiv noch nie zuvor erlebt hatte. Meine Fingernägel krallten sich in seine Schulterblätter, während mein Körper derart verkrampfte, dass ich nicht einmal einen Ton heraus bekam. Was geschah hier mit mir? Sein Blick warf mich völlig aus der Bahn und bescherte mir einen überirdischen Orgasmus. Schweißnass ließ ich mich von ihm gleiten und legte mich schlaftrunken auf die Seite. Mit einem genüsslichen Lächeln streckte ich meine Beine aus und vergrub meinen Kopf in seinem Kissen. Ich hörte, wie er langsam aufstand, das Licht einschaltete und sich des Kondoms entledigte. Danach kam er zurück und legte sich zu mir ins Bett. Seine Finger streichelten über meinen Rücken und es fühlte sich beinahe so an, als würde er ein Bild malen. Meine Sinne schärften sich und nachdenklich verfolgte ich im Geiste seine Bewegungen auf meinem Rücken. Eine Kirschblüte? Entsetzt riss ich meine Augen auf. Mein Herzschlag setzte für einige Sekunden aus und mir wurde mit eiskalter Panik bewusst, dass er mit seinen Fingern meine Tätowierung nachzog. Ich hatte völlig vergessen, die Bettdecke über mich zu ziehen. Er sollte es nicht sehen. Noch nicht. „Es sind acht Kirschblüten…“, seine raue Stimme klang ruhig und dennoch zerrissen seine Worte mich innerlich. „…wir müssen darüber sprechen, Mimi.“, beendete er schließlich seinen Satz. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht erwartet, dass er die Bedeutung meiner Tätowierung tatsächlich so schnell kapieren würde. Aber offenbar schien er nicht umsonst ein guter Jurist zu sein. Ich erhob mich eilig und griff nach meinen Klamotten. Noch bevor ich aus seinem Schlafzimmer raus war, hatte ich mich wieder anzogen und wollte nur noch weg hier. Weg von ihm. Doch plötzlich packte er mich an meinem Handgelenk und zog mich unsanft zu sich zurück. „Du kannst dir jedes Jahr eine neue Blüte stechen, aber es wird nichts an der Vergangenheit ändern. Du kannst für immer davon laufen, aber dieses unendliche Gefühl von Schuld und Selbsthass in deinem Herzen wird nicht verstummen.“, seine Worte klangen gequält. Ich schwieg, riss mich los und versuchte mich von seinem Gerede nicht beeindrucken zu lassen, stattdessen zog ich meine Schuhe an und wollte nur noch verschwinden. „Mimi, wenn das zwischen uns endlich eine stabile Beziehung werden soll, dann müssen wir über unsere Vergangenheit sprechen….ich weiß bis heute nicht, was es mit dir gemacht hat…“, Tai stand hilflos hinter mir und schien irgendwas von mir hören zu wollen. Wahrscheinlich wie ich mich gefühlt habe, nachdem ich mit allem alleine dastand. Nachdem mich meine Eltern ins Ausland geschleppt hatten. Nachdem mich der Vater meines Kindes wie ein kleiner Feigling im Stich gelassen hatte. Wollte er tatsächlich wissen, was ich über seine Rolle in diesem theatralischen Theaterstück meines Lebens dachte? Mit einem bittersüßen Lächeln richtete ich mich auf und drehte mich zu ihm um. „Nein, ich will nicht darüber sprechen.“, antwortete ich kurz und knapp. „Aber…“, versuchte er einzulenken doch ich ließ ihn überhaupt nicht zu Wort kommen. „Ich will nicht mit dir über unsere Vergangenheit oder eine Beziehung sprechen. Denn dann müsste ich mich entscheiden, ob ich dir verzeihen kann oder nicht. Und ich befürchte, dass ich dir nicht verzeihen kann, dass du mir mein Herz gebrochen hast.“ Ich weiß nicht, ob ihn meine Worte oder das freundliche Lächeln derart fassungslos machten. Denn er starrte mich nur mit einem schmerzerfüllten Blick an. „Tai, ich kann und will mich nicht festlegen, was das zwischen uns ist. Ob ich lediglich nach etwas suche, was in der Vergangenheit mal von Bedeutung für mich gewesen ist. Etwas das sich gut anfühlt, weil ich es kenne oder ob….“, ich zögerte und wendete mich von ihm ab. Liebe war ein sehr tiefes Gefühl. Vielleicht sogar das stärkste Gefühl, was ein Mensch für einen anderen empfinden konnte. Doch war das zwischen mir und Tai tatsächlich Liebe? „Ich möchte dir gerne etwas zeigen und dann kannst du gehen…“, sagte er leise. Verwundert sah ich ihm nach, als er zurück ins Schlafzimmer ging. Langsam glitt ich aus meinen Schuhen und folgte ihm schließlich. Taichi hockte vor seinem großen Kleiderschrank und hatte einen gelben Karton heraus gezogen. Der Deckel lag daneben und im Inneren konnte ich einige verschlossene Briefumschläge und kleine Plüschtiere erkennen. In mir kroch pure Verzweiflung empor. Tränen sammelten sich in meinen Augen und wohlwissend, was mich nun erwarten würde, setzte ich mich auf die Bettkante. Mit zittrigen Händen vor den Lippen versuchte ich mein Schluchzen zu verbergen. Tai stand auf, drehte sich zu mir um und legte mir die Briefe auf den Schoß. „Ich habe jedes Jahr einen Brief geschrieben. Du hast jedes Jahr eine neue Kirschblüte unter deiner Haut stechen lassen. Wir beide haben acht Jahre versucht, auf unsere Weise damit zu leben und den Schmerz zu ertragen. Ich möchte, dass du diese Briefe irgendwann liest. Vielleicht hilft es dir dabei eine Entscheidung zu treffen, ob du mich hassen solltest oder mir verzeihen kannst.“, Tai kniete vor mir nieder, er berührte mich jedoch nicht. „Mimi, wenn du nicht mit mir darüber sprechen kannst, dann werde ich das akzeptieren. Aber ich werde es nicht hinnehmen, dass wir das zwischen uns nicht definieren.“, er lächelte und berührte mich vorsichtig am Kinn. „Entweder ganz oder gar nicht….“, flüsterte er erstickt und es schien, als würde er gegen seine Emotionen ankämpfen. Ist es nicht bemerkenswert wie erfolgreich wir es schaffen, uns jeden Tag selbst zu belügen? Ich bin 25 Jahre alt, habe einen perfekten Job und bin eine erwachsene Frau. In meiner Realität bestand absolut nicht die Möglichkeit, dass ich mich überhaupt noch einmal damit auseinandersetzen müsste, inwieweit meine Vergangenheit einen Schatten auf mein jetziges Dasein warf. Doch herzlich Willkommen in der erbarmungslosen Gegenwart. Hinter der glänzenden Fassade zeigte sich schließlich doch noch mein zersplittertes Ich. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass es nicht nur Taichi war, der sich voll und ganz in seinem Wesen verändert hatte. Nein, auch ich hatte mich zu einem Menschen entwickelt, der mir im Spiegelbild fremd erschien. Das, was ich an mir am meisten schätzte, war meine Aufrichtigkeit. Ich war nie ein Mensch der betrog, log oder sich aus unbequemen Situationen heraus manövrierte wie eine hinterhältige Schlange. Doch letztlich war alles in meinem Leben eine Maskerade. Ich belog mich selbst, meinen besten Freund und wahrscheinlich auch diesen Mann, der vor mir kniete und nach Vergebung ersuchte. Er zeigte immensen Mut und Zuversicht indem er mich tatsächlich darum bat, es noch einmal zu probieren. Taichi hatte keine Angst vor den Schatten unserer Vergangenheit und somit fürchtete er auch nicht die Zukunft. Aber was war mit mir? Umso länger ich vor meiner Vergangenheit davon lief, desto weiter schien sich auch meine Zukunft von mir zu entfernen. „Es gibt nichts mehr worum man kämpfen kann. Es ist viel zu viel für mich. Mein Herz hat solche Angst mehr zu wollen. Der Schmerz der Vergangenheit wiegt zu schwer.“, sagte ich mit tränenerstickter Stimme und schob seine Hand von mir weg. Ich stand hastig auf, umklammerte seine Briefe jedoch mit meinen Fingern, während ich stürmisch das Zimmer verließ und meine Schuhe anzog. „Man kann nur gewinnen, wenn man nicht aufgibt. Denn die Liebe ist immer wieder das Schwanken zwischen Krieg und Frieden. Zwischen Fliegen und Fallen. Hoffen und Verzweifeln.“, sagte Tai mit fester Stimme. Seine Worte trafen mich unvermittelt ins Herz und regungslos blieb ich im Türrahmen stehen. Ohne mich noch einmal umzudrehen, lächelte ich in die Dunkelheit und erkannte unsere beiden Schatten auf der gegenüberliegenden Wand im Hausflur. „Mit der Zeit wird sich zeigen, ob wir fliegen oder fallen, hoffen oder verzweifeln, kämpfen oder lieben. Wo keine Sonne scheint, fällt auch kein Schatten. Das Eine existiert nicht ohne das andere. Wir beide wissen, dass wir nicht gut füreinander sind und doch können wir nicht voneinander lassen.“, sagte ich und drehte mich nun doch wieder zu ihm um. Nun wurde es mir bewusst. Der Grund weshalb wir die Schatten unserer Vergangenheit nicht hinter uns ließen war, dass Tai und ich uns nicht aufgeben konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)