ALIEN von Schattenläufer (Sole Survivor) ================================================================================ Kapitel 1: Jonathan ------------------- In jedem Menschen steckt etwas Einmaliges. Selbst jene die einander so ähnlich scheinen, sind doch komplett verschieden, wenn man sich nur die Zeit nimmt genau hinzusehen. Für jede Gemeinsamkeit gibt es dutzende Unterschiede. Jede noch so winzige Eigenschaft die ein Mensch an den Tag legt, sei es die Häufigkeit mit der wir blinzeln, die Art wie wir uns bewegen, oder die Bewegung der Lippen beim Sprechen. Diese und unzählige weitere Details, auf die kaum jemand achtet, zeichnen das beeindruckende Bild einer Person, das unmöglich zu kopieren ist. Und hinter jedem dieser Bilder findet sich eine Geschichte, eine Aneinanderreihung von Ereignissen und Erfahrungen, in verworrenen Netzen miteinander verbunden. Etwas das in frühen Kindertagen geschah, kann eine Wahl in der Gegenwart beeinflussen, durch deren Ergebnis man eine Erinnerung, die scheinbar nichts mit alledem zu tun hat, in einem völlig neuen Licht sehen und dadurch zukünftige Entscheidungen auf wieder andere Weise treffen wird. Immer und immer wieder verflechten sich die Knotenpunkte dieses Netzes völlig neu und lassen es in jeder Inkarnation seiner selbst nur komplizierter werden. Selbst im Schlaf finden sich diese Unterschiede. Manche Menschen befassen sich in ihren Träumen mit den Problemen des vergangenen Tages und suchen mit angespannter Mine weiter nach deren Lösungen, während andere angenehmen Träume nachgehen und all die im Alltag aufgebauten Spannungen einfach von sich gleiten lassen. Weniger glückliche werden von Alpträumen geplagt und werfen sich im vergeblichen Versuch diesen zu entfliehen von einer Seite auf die andere, bis sie erschöpft und schweißgebadet aus den quälenden Träumen entlassen werden. Nur in einem sind alle Menschen gleich. Denn egal wie hell dieses Netz auch im Leben erstrahlt; Wenn sich die ewige Nacht des Todes darüber legt, verschwinden all die Erinnerungen, all die Entscheidungen, alles was eine Person zum Individuum macht für immer in der Dunkelheit und der Mensch mit allem was er einst war ist nur noch ein lebloser Körper, kaum vom anderen zu unterscheiden. Die Gestalten in diesen sechs Särgen waren tatsächlich dem Tode näher gewesen, als einem normalen Schlaf. Ihre Züge schlaff und ausdruckslos, die Haut bei allen in einem ähnlichen Grauton. Erst als das Leben in die Körper Einzug hielt, kehrte auch die Einzigartigkeit zurück. Jeder ging auf seine eigene Weise mit der Situation um. Während in den meisten dieser verräterisch Schlafkammern genannten Kapseln langsam Bewegung einkehrte und sich eine gedämpfte Geräuschkulisse im Raum ausbreitete, blieb einer der Körper noch lange Augenblicke ohne jegliche Regung. Verzweifelt kämpfte der müde Verstand dagegen an, konnte sich aber schlussendlich der Erkenntnis wach zu sein nicht länger erwehren. Und trotz geschlossener Augen, drängte bereits der erste Eindruck auf ihn ein. „Kalt...“ Langsam öffneten sich die schweren Lider nur um festzustellen, dass der Atem vor seinem Gesicht gefror. „John?“ Der Captain war hörbar bemüht die klirrende Kälte nicht in seine Stimme fließen zu lassen. „Bin bei.“ Jeder Gedanke an Schlaf war vergessen, als sein Verstand mit einer neuen Aufgabe betraut wurde. Mit einer fließenden Bewegung schwang er seinen nackten Körper aus der Schlafkammer, drohte jedoch zu stolpern, als seine viel zu lang untätig gewesenen Muskeln nur allzu plötzlich wieder in Anspruch genommen wurden. Wenig elegant watschelte er, den Blick über die fünf verbliebenen Kammern schweifen lassend, zur Bedientafel an der Wand um diese genauer in Augenschein zu nehmen. Captain Jacob Foster, meist einfach nur J genannt, war bereits auf den Beinen, wenn auch nicht weniger wackelig, als John selbst. Mit erwartungsvoller Miene fixierte der Captain ihn. Kommunikationsoffizier Nathan Perry bemühte sich in eine sitzende Position zu kommen und rieb sich schnell mit den Handflächen über die Beine um wieder Gefühl in diese zu zwingen und die Kälte aus ihnen zu vertreiben. Er war der einzige der seine Kammer nicht für sich allein hatte. Ihm zu Füßen lag, noch immer mehr schlafend als wach, das Bordmaskottchen Old Chap. Eine Promenadenmischung mit struppig schwarzbraunem Fell, die eines Tages in einem der Hangars auftauchte. Schon damals hatte das schwarze Fell um seine Schnauze herum graue Spitzen. Da einem alten Streuner ohne Rasse selten ein besseres Schicksal blühte als eingeschläfert zu werden, entschied Nate sich dazu ihn zu behalten. Es gab keine offizielle Anfrage. Genauso wie es auch keine offizielle Genehmigung gab, doch war allgemein bekannt, dass man Raumfahrern, besonders jene die in den Tiefenraum flogen und die Erde manchmal über Jahre nicht zu sehen bekamen sehr viel durchgehen gelassen wurde. So wurde Old Chap zu Nates treuem Begleiter auf den verschiedenen Schiffen und war inzwischen vermutlich der älteste Hund der Welt. Allein das hätte ihm das Einschläfern erspart und ihm ein schönes Zuhause beschert, doch inzwischen war der Kommunikationsoffizier so an den Hund gewöhnt, dass er ihn nicht mehr hergeben wollte. Neben ihm beugte sich Ted Lebbon noch halb liegend über den Rand seiner Ruhestätte und gab ein Gemisch aus würgen und husten von sich, so als würde er jeden Augenblick auf den Boden erbrechen. Nach der Hyperschlafphase war dem Navigator stets übel. Seine reaktivierten Sinne hatten Probleme sich gegen die vielen Eindrücke die plötzlich auf ihn einbrandeten zur Wehr zu setzen. Sein gesamter Körper kribbelte unangenehm, was sich in seiner Magengegend konzentrierte. Der bittere Geschmack im Mund gab ihm den Rest. Trotzdem hatte er sich noch nie nach dem Aufwachen übergeben müssen. Eine Tatsache der er wohl verdankte, dass er nicht aus dem Raumfahrtprogramm genommen wurde. Ein lautes Niesen übertönte alle anderen Geräusche im Raum. Arthur Sheckley, der Bordarzt, sah fürchterlich aus. Die tränenden Augen und die laufende Nase zeigten ein eindeutiges Bild. Irgendwie hatte er es geschafft, sich während der Hyperschlafphase eine böse Erkältung einzufangen. Der Techniker in John versuchte sofort herauszufinden, wie das hatte geschehen können, doch lenkte er seinen Verstand wieder auf das dringendere Problem. Was auch immer Sheckleys Erkältung verursacht haben mochte, sie würde nicht einfach verschwinden, wenn er den Schaden reparierte. Die Temperatur jedoch, war eine Sache der er vermutlich Herr werden konnte. Das letzte Besatzungsmitglied an Bord war der wissenschaftliche Offizier David. Ebenso nackt wie die anderen auch, stand er die Arme locker baumeln lassend neben seiner Kammer und war so munter, als wäre er schon seit Stunden auf den Beinen. Der Kälteschlaf hatte auf ihn den geringsten Effekt. Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung und Desorientierung nach dem Aufwachen, war er immer voll Einsatzbereit. Nun wartete er einfach ab und machte einen Gesichtsausdruck, als würde er sich fragen, ob er von der klirrenden Kälte Notiz nehmen sollte. John warf einen Blick auf die Bedientafel und traute seinen Augen kaum, als die dort eingeblendeten Informationen in seinen Verstand sickerten. -13°C Allein die Zahl zu lesen lies die Umgebung sich noch kälter anfühlen. Während er das Panel öffnete um den Schaden zu begutachten, sprang die Zahl auf -12°C. Die Primärsysteme hatten sich offensichtlich eingeschaltet und begannen das gesamte Schiff mit Atmosphäre zu füllen und diese auf eine für Menschen freundliche Temperatur zu erwärmen. Bei der Größe der Daedalus konnte das allerdings eine ganze Weile dauern. Und auch wenn er den Unterschied nicht spürte, so war der Techniker doch für jeden noch so winzigen Temperaturanstieg dankbar. Der Rest der Besatzung begab sich zu den Duschen, was angesichts der Umstände die bestmögliche Entscheidung war. Die Wasserversorgung lief über einen separaten Stromkreis, der sofort mit dem Wecken der Mannschaft aktiviert wurde. Inzwischen müssten sie angenehm warmes Wasser haben. Das nützte jedoch alles nichts, wenn sie nach der Dusche zurück in diese Lebensfeindliche Umgebung kamen. Als er alleine war, ging er zurück zu seiner Hyperschlafkammer und hob die eigentlich fest damit verbundene lamellenförmige Matratze ein winziges Stück an um einen Flachmann unter dieser hervor zu zaubern. Echter Alkohol war an Bord zwar strengstens verboten, doch hatte John wie schon Nathan vor ihm gelernt, dass ein strenges Verbot mehr eine grobe Richtlinie für Raumfahrer war. Sicher gab es zu jedem Abflug Kontrollen. Diese wurden jedoch sehr oberflächlich durchgeführt und wurden über inoffizielle Kanäle angekündigt. Noch vor dem Abflug wusste jedes Besatzungsmitglied, welche Verstecke sicher waren. Hin und wieder wurde etwas an zu offensichtlichen Verstecken verstaut um sicher zu gehen, dass es gefunden wurde. Es würde auffallen, wenn keine der Kontrollen je zu einem Ergebnis führen würde. Die Firma war zufrieden und konfiszierte wertlosen Plunder, während sich die wertvolleren Sachen an ausgeklügelten Verstecken befanden. Nach einem kräftigen Schluck machte er sich wieder an die Arbeit. Jonathan war nicht die Sorte Mensch, die bereits nach dem Aufstehen trank, doch in dieser Situation könnte es ihm niemand vorwerfen, dass er sich von innen wärmen wollte. Mehrere Minuten suchte er erfolglos nach einem Fehler, während die Temperatur quälend langsam stieg. Eigentlich sollte er sich glücklich schätzen, dass der Notfallstromkreis nicht betroffen war. Wann immer die Temperatur im Wohnbereich auf -20° fiel, aktivierte er sich und heizte bis zum Gefrierpunkt. Das war zwar sicher nicht angenehm, konnte aber kurzzeitig Leben erhalten. Als die Anzeige -8 erreichte gab er seine Suche auf und entschloss sich nach einer kurzen Überprüfung von Arthurs Kapsel ebenfalls eine heiße Dusche zu nehmen. Zitternd widmete er sich der Maschinerie und seine Suche sollte nicht lange dauern. In der Verkabelung der Gasflaschen gab es einen Bruch, der verhinderte, dass die Temperatur im Inneren gleichmäßig gesenkt wurde. Somit dauerte das einfrieren länger als vorgesehen und obwohl bewusstlos, waren Arthurs Körperfunktionen noch so weit aktiv, dass er sich eine Erkältung zuziehen konnte. Dabei hatte er schier unglaubliches Glück gehabt. In den meisten Fällen, erfroren die schlafenden einfach. Nach einem weiteren großzügigen Schluck verstaute er den Flachmann wieder und beschloss sich zu einer anderen Zeit und vor allem in angemessenerer Bekleidung um das Problem zu kümmern. Die Müdigkeit noch immer in den Knochen, ging er dennoch zügigen Schrittes in Richtung der Duschen. Unterwegs kam ihm Old Chap fröhlich mit dem Schwanz wedelnd entgegen gelaufen. John ging auf ein Knie und streichelte dem Hund durch das nasse Fell. „Na Kläfftüte, haben sie dir auch ne Dusche verpasst?“ Chap legte sich auf den Rücken und winkelte die Pfoten an, ganz klar eine Aufforderung ihm den Bauch zu kraulen. John jedoch schnaubte nur und stand wieder auf. „Du spinnst wohl Kamerad. Das kannst du in ein paar Stunden nochmal versuchen.“ Als er weiter ging sprang der Hund wieder auf und tappste ein paar Schritte neben ihm her, bis er merkte in welche Richtung es ging und mit eingekniffenem Schwanz davon schlich. Müde lächelnd sah John ihm hinterher. Chap konnte Duschen noch nie sonderlich leiden und hatte sicher besseres zu tun, als eine zweite über sich ergehen zu lassen. Wenige Augenblicke später tauchte auch Jacob im Gang auf. Inzwischen war er angezogen und rubbelte sich mit einem halb auf den Schultern liegenden Handtuch über das Haar. Seine Kluft bestand aus einem grauen Overall, den er meist nur zur Hälfte trug, die Ärmel um die Hüfte geknotet. Diesmal jedoch trug er ihn komplett, den Reißverschluss bis zum Hals zugezogen. Dazu ein paar abgetragene Turnschuhe und ein weiße Shirt mit Firmenlogo und Schiffsnamen. In seiner freien Hand baumelte die zur Aufmachung gehörende Schirmmütze. „Hast du was für mich?“ Der Techniker sah dem Captain nicht in die Augen, als er antwortete. „Ich fürchte nichts erfreuliches. Der Fehler war nicht in der Bedientafel. Hätte ja sein können, dass einfach nur ein falscher Befehl gesendet wurde. Auch in der Verkabelung hab ich keinen Defekt entdecken können. Das Problem muss also tiefer in den Schiffsystemen liegen. Das werd ich auf die Schnelle nicht beheben können. Muss Ich nach unserer Rückkehr an die Wartung weitergeben, viel mehr ist nich drin. Dafür hat das Schiff seinen Standardbetrieb aufgenommen und angefangen zu heizen. In nicht ganz einer Stunde müssten wir es angenehm warm haben.“ Nachdenklich strich der Captain sich über den Bart. Die Antwort war zu erwarten gewesen. Die Daedalus war ein neues Schiff und jedes einzelne hatte seine ganz eigene Palette an Kinderkrankheiten. Und auch wenn John gut in dem war was er tat, konnte er doch nicht zaubern. Auf die meisten Untersysteme hatte er nicht einmal Zugriff. Im Grunde war alles was er tun konnte, die wichtigsten Maschinen am Laufen zu halten. Nach einem Augenblick zuckte der Ranghöhere mit den Schultern und sagte nach einem geräuschvollen Seufzen: „Hilft alles nichts. Müssen wir uns halt bis dahin warme Gedanken machen. In einer Stunde ist im Versammlungsraum Besprechung. Sieh zu, dass du bis dahin etwas zum anziehen gefunden hast.“ Ein sacht hochgezogener Mundwinkel und ein knappes Nicken waren die ganze Antwort, bevor John seinen Weg fortsetzte. Das war keine Respektlosigkeit seinerseits. Jeder an Bord wusste, wer das Kommando hatte. Trotzdem waren die Männer stets bemüht die gemeinsame Zeit so wenig formell wie möglich zu gestalten. Sie waren fernab der Heimat und dieses Raumschiff machte ihre gesamte Welt aus. Nirgendwo sonst konnten sie hin. Es hatte keinen Sinn sich zusätzlich einzugrenzen, wenn nicht zwingend notwendig. Auch Jacob war sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst, weswegen er die Geste ebenfalls mit einem stummen Nicken quittierte und seinen Weg fortsetzte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)