Liebe führt, auch in Russland, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 7: Ankunft ------------------ Yuriy   "Hiwatari ist also wieder da.", kam es als Feststellung von Sergei. "Ja." Mehr würden sie von ihm nicht hören. Sie saßen gerade in einem kleinen Besprechungsraum und warteten auf Volkov, um mit ihm die Trainingspläne des nächsten Monats zu besprechen. Außerdem rückte Weihnachten immer näher und dafür mussten ebenfalls Vorbereitungen getroffen werden. Das Spektakel musste vor der Außenwelt eben wie immer Eindruck schinden. "Wer ist dieser Hiwatari? Der Name kommt mir bekannt vor." Das war Boris gewesen. Natürlich kannte der Kai nicht, schließlich war er erst nach dessen Adoption zu ihnen gestoßen. Er hatte sich erstaunlich schnell hochgearbeitet. Innerhalb eines Jahres war er zum Eliteteam aufgestiegen, aber vielleicht war das auch kein Wunder. Es gingen Gerüchte um, dass er vorher an illegalen Boxkämpfen teilgenommen hatte, die Disziplin, in der er heute Weltmeister war. "Natürlich sollte dir der Name bekannt vor kommen.", erklärte Yuriy kühl und mit deutlichem Tadel in der Stimme. "Hast du im Unterricht nicht aufgepasst?", kam es dann auch gleich von Ivan. Der kleine Besserwisser konnte die Klappe natürlich nicht halten, aber das war dem Anführer der vier nur Recht. So brauchte er nicht zu reden. "Sein Großvater ist Mitbegründer des Internats. Er hat die Gebäude hier gestiftet." Kurz flog so etwas wie Verwunderung über die sonst so stoischen Züge ihres neusten Teammitgliedes. "Sein Großvater? Was macht der Schnösel dann hier?" Sergei und Ivan lachten beide ob dieser Aussage, was ihnen einen wütenden Blick von Boris einbrachte. Da die beiden so bald nicht damit aufhören würden, sprang Yuriy für sie ein: "Red nicht von etwas, wovon du keine Ahnung hast." Das war schärfer gekommen als beabsichtigt und brachte die anderen beiden sofort zum Schweigen. Boris verstand allerdings immer noch nicht, weshalb der Anführer der Gruppe fortfuhr: "Er mag mittlerweile ein Lichtkind und ein reicher Schnösel sein, aber glaub bloß nicht, dass er mit dir nicht den Boden wischen könnte, wenn er wollte. Unterschätz' ihn nicht." "Als er noch hier war, war er der Gruppenführer. Er hat uns in all unseren Disziplinen schlagen können.", kam es von Ivan. Wieder kurze Verwunderung und ein ungläubiger Blick, der an den Teamcaptain gerichtet war. Eine stumme Frage, die Yuriy ihm mit stoischer Miene beantwortete: "Wir waren die härtesten Konkurrenten, aber ja, auch mich hat er geschlagen. In allen Disziplinen. Er hat in den letzten Jahren wahrscheinlich mehr verlernt, als wir je konnten." "Der Tod seiner Eltern hat ihn traumatisiert. Er hat jede freie Sekunde trainiert, bis er der Beste war. Er konnte es noch nie leiden, irgendwas nicht zu können. Liegt ihm im Blut.", kam es von Sergei. "Er hat trainiert wie ein Irrer.", schnaubte Ivan. Doch Boris schien das nicht wirklich zu beeindrucken. Natürlich nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwen gab, der ihn in seiner Meisterdisziplin schlagen konnte. Yuriy konnte auch nicht wirklich sagen, ob Kai das heute immer noch konnte. Er wusste nicht, wie weich er geworden war, wie verwöhnt. "Aber wenn er der Enkel von Hiwatari ist, warum war er dann hier? Und dann auch noch so lange, dass er sich an die Spitze arbeiten konnte?" "Tja...", entkam es Yuriy. "Das ist das große Mysterium." Weiter konnten sie darüber nicht diskutieren, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür und Volkov trat herein.   ~*~   Kai   Langsam stellte er seine Tasche ab und sah sich um. Es war ein kleiner Raum mit zwei Betten, zwei Schreibtischen und einem Schrank, in dem normalerweise nicht einmal seine Jacken Platz gefunden hätten. Er hatte nur das nötigste mit genommen, schließlich hatte er es eilig gehabt, nach der Nachricht, dass Rei im Krankenhaus lag. Aber er befürchtete dennoch, dass die Sachen, die er dabei hatte, zu schick waren. Er würde hier wahrscheinlich auffallen, wie ein bunter Hund. Er war sich nicht sicher, warum ihn das interessierte, aber das tat es definitiv. Ihm gefiel das nicht, aber er konnte es kaum ändern.   Dieses Zimmer war merkwürdig und nach kurzer Zeit fiel ihm auch auf, was es war: Es fehlten jegliche persönlichen Dinge. Bilder, Poster.. ja sogar Kleidung. Hatte dieser Volkov ihm nicht gesagt, es gäbe kein Einzelzimmer mehr? Neugierig ging er zum Schrank und schob eine Tür auf. Da hing Kleidung. Säuberlich zusammengefaltet und aufgehängt. Es war nicht viel, aber definitiv vorhanden. Kurz legte er die Stirn in Falten. Dieser Ort wurde ihm immer unsympathischer und das lag nicht daran, dass ihn das alles an die strenge Disziplin seines Großvaters erinnerte. Er hatte trotz allem immer auch persönliche Dinge besitzen dürfen. Zumindest ein paar. Wer das wohl war, mit dem er zusammen lebte? Nun, nerviger als Kinomiya würde sein Mitbewohner kaum werden können. Er würde es wohl oder übel abwarten müssen, denn aus diesem Zimmer, konnte er rein gar nichts, über seinen Mitbewohner herausfinden. Nun, es wurde Zeit sich hier einzurichten. Für die nächsten Monate, würde das hier sein zu Hause sein. Ein Schauer lief seinen Rücken herab bei diesem Gedanken, aber er ignorierte ihn. Genau wie das nagende Gefühl, dass ihm ständig im Nacken saß. Er ignorierte es alles und das ohne, dass er es wirklich aktiv bemerkte. Nur die kleine Stimme nicht, die ihm ständig zuflüsterte, dass irgendetwas merkwürdig war, aber das bezog er nicht auf sich. Es ging hier schließlich um Rei und nur um den. Worum auch sonst?   ~*~   Rei   Gemeinsam mit Kai saß er am Mittagstisch und aß. Es war wie letztes Jahr in Japan und es machte ihn glücklich. Er musste noch immer auf sich achten, hatte aber nach zweiwöchigem Aufenthalt im Krankenhaus darauf bestanden, wenigstens den normalen Unterricht wieder zu besuchen. Auf den Kampfsport würde er noch einen ganzen Monat verzichten müssen, was ihm zusetzte. Die Anwesenheit seines Freundes machte das aber zum größten Teil wieder wett. Heute war der erste Tag, an dem Kai das Internat besuchte. Erst ab morgen ging für ihn der Unterricht los, so hatte er Zeit, sich in Ruhe umzusehen und sich etwas einzuleben. "Du hattest recht, als du in deinen Briefen geschrieben hast, die Stimmung hier sei merkwürdig. Du hast allerdings noch untertrieben." Und irgendwie hatte Kai damit schon recht. Es war aber auch enorm schwer zu beschreiben. Die Kinder und jugendlichen in der großen Mensa schienen sich aufgeregt und ganz normal zu unterhalten. Wenn man aber genauer hinsah, bemerkte man bald, dass sich einzelne immer wieder hektisch umsahen und viele zusammengekauert über ihrem Essen hingen und so aussahen, als wollten sie die Nahrung im Notfall mit ihrem Leben verteidigen. Das war gruselig, aber vielleicht ja normal für ein Heim. Er hatte oft gehört, dass es in solchen Kinderheimen rau zu ging. Aber den Eindruck hatte er ehrlich gesagt eher nicht. Es sah nicht so aus, als wären die Kinder untereinander das Problem, aber die Lehrer taten auch nichts Verdächtiges. Es war enorm schwer einzuordnen was genau hier nicht richtig war. "Ich wusste nicht, wie ich es beschreiben sollte.", antwortete Rei deshalb wahrheitsgemäß. Noch einmal ließ er den Blick kurz über den Raum schweifen, ehe er sich seinem Gegenüber voll zuwandte.   "Ich bin dir ehrlich dankbar, dass du extra wegen mir hergekommen bist, aber du weißt, dass du das nicht machen musst. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen." Sie hatten diese Diskussion schon einige Male geführt und er hoffte, dass Kai endlich einsah, dass er ganz und gar nicht schwach war. Doch der andere war genauso stur wie er selbst und so wussten sie beide, dass niemand von ihnen nachgeben würde. "Hör auf dich darüber aufzuregen. Ich bin hier und ich gehe sicherlich nicht mehr. Oder willst du etwa, dass ich verschwinde und dich hier wieder alleine lasse?" "Nein! So habe ich das sicherlich nicht gemeint. Ich freue mich, dass du hier bist." Ein siegessicheres grinsen breitete sich auf dem Gesicht seines Freundes aus und zeigte ihm, dass er sich hatte austricksen lassen. "Siehst du? Und deshalb bleibe ich." Arroganter Idiot, dachte Rei nur bei sich, musste aber dennoch schmunzeln. Wie sehr er ihn doch vermisst hatte. "Tu, was du nicht lassen kannst. Aufhalten kann ich dich ja doch nicht. Aber wehe du ziehst hier eine Solonummer durch! Wir sind schließlich ein Team." Kurz versteifte sich die Linie um Kais Kiefer deutlich, was Rei irritierte, denn das war eigentlich ein Zeichen von Ärger. Hatte er etwa tatsächlich vor gehabt, das ganze auf eigene Faust zu machen? Einerseits wäre es typisch, aber andererseits musste er doch gewusst haben, dass Rei das nicht einfach so zulassen würde, oder? Nein, Kai war zu intelligent um so naiv zu sein, zu glauben, dass er selbst sich nicht an seine Fersen heften würde. Aber was war es dann? Kai nickte allerdings zustimmend und aß sein Essen weiter, als wäre nichts gewesen. Merkwürdig. "Was denkst du, wie werde ich am schnellsten in die Gemeinschaft hier aufgenommen?", fragte sein Gesprächspartner dann. Rei war sich nicht sicher, ob er das machte um das Gesprächsthema zu wechseln oder ob keine tiefere Absicht dahinter steckte. Er musste wohl später mal vorsichtig nachhaken, ob alles in Ordnung war, aber gerade war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. "Ich denke, das wird am Besten über deinen Mitbewohner gehen. Du hast ein Doppelzimmer, nicht? Ist perfekt um dem anderen etwas näher zu kommen. Sobald du dich mit ihm angefreundet hast, wird er dich anderen vorstellen und du wirst hier Anschluss finden." Ganz im Gegensatz zu ihm selbst und das wussten sie beide. Kai sprach es nicht an, aber obwohl er jetzt hier war, würden sie sich, wenn alles nach Plan liefe, nicht wirklich viel sehen. Sie hatten noch nicht darüber gesprochen, wie sie das managen wollten, aber es würde eine Herausforderung werden. Rei war ein Außenseiter. Wenn Kai sich weiterhin so offensichtlich mit ihm treffen würde, würde er nie in die Gemeinschaft der anderen Heimkinder aufgenommen werden. Das war frustrierend. "Wer ist überhaupt dein Mitbewohner?", fragte Rei, um sich selbst abzulenken. "Ich habe ihn noch nicht gesehen. Aber du hast recht, über den wird es sicherlich am Besten gehen." "Wahrscheinlich siehst du ihn heute nach dem Unterricht." Bevor die Mittagspause zu Ende gehen konnte, wollte Rei seinen Freund aber noch etwas fragen. Es war nur ein wenig heikel und er war sich nicht ganz sicher, ob er das wirklich ansprechen sollte. Es war dennoch notwendig und so nahm er etwas Mut zusammen: "Was... ist eigentlich mit deinem Großvater?" Halb erwartete er einen Wutausbruch, wenn er ehrlich war, aber die logischere Variante war, was Kai jetzt auch tat: Er sah ihn mit ein wenig Verwunderung, aber ansonsten keinerlei Gefühlsregung an. "Was sollte mit ihm sein?" Beinahe hätte Rei geseufzt. "Tu nicht so, als würdest du dir nicht selbst Sorgen darum machen. So wie das klang, bist du einfach abgehauen, ohne ihm Bescheid zu geben. Er wird wütend sein, wenn er das raus findet." Doch er bekam nur ein Schulterzucken als Antwort: "Er denkt ich wäre auf einem Symposium oder so etwas." Das war keine zufriedenstellende Antwort, wenn er ehrlich war. Und wenn er sich damit schon nicht abspeisen ließ, würde es der Alte auch nicht tun: "Was normalerweise wie lange dauert? Ein paar Tage? Ihm wird wohl auffallen, wenn du einfach nicht mehr zurück kommst. Solltest du ihm nicht irgendwie Bescheid geben? Ich weiß ja nicht, wie das bei euch läuft, aber du wirst Volkov ziemlich viel Geld in den Rachen geworfen haben, damit er dich hier wohnen lässt, nicht? Dein Großvater kann doch sicherlich deine Bankkonten einsehen." Ein Schnauben war für eine Weile alles, was er hörte, weil Kai sich, wahrscheinlich absichtlich, ein zu großes Stück von seinem Essen in den Mund schob. Daraus resultierte, dass er gar nicht in der Lage war zu antworten. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sein 'Opfer' abwarten, aber finster anzustarren, bis es wieder in der Lage war zu reden. "Ich regle das schon, also reg dich ab. Das geht dich auch absolut nichts an." "Natürlich geht es mich was an! Ich bin dein..." Und er brach ab. Nicht nur, weil Kais Augen ihn plötzlich stechend durchbohrten und eindeutig davor warnten, jetzt weiter zu reden, sondern auch, weil ihm plötzlich sehr bewusst wurde, wo sie hier eigentlich waren. Das war kein ruhiger, sicherer Ort, an dem sie ungestört über alles reden konnten. Nein, sie saßen hier mitten in der Mensa, mit hunderten von anderen Menschen um sie herum. Und er hätte sich beinahe verquatscht... Aus neuer Gewohnheit heraus, hatte er mit Kai auf russisch gesprochen, was bedeutete, dass wirklich alle ihn hätten verstehen können. Das war knapp gewesen. So nahm er sich etwas zurück, nahm den Druck aus der Stimme und ließ die eben noch angespannten Schultern fallen. "Ich mache mir nur Sorgen. Tut mir leid." "Das ist mein Leben, Rei. Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen." Diesmal war es sein Kiefer, der sich versteifte. Aber hier war definitiv nicht der richtige Ort, um sich zu streiten. Allerdings würde er Kai irgendwann sicherlich einmal fragen, warum er eigentlich glaubte, dass ein Lebenspartner nichts mit dem Leben seines Partners zu tun hatte.   ~*~   Kai   Er war immer noch ein wenig aufgekratzt von dem Gespräch mit Rei, als er am Abend zurück in sein Zimmer kam. Sein Zimmer... diese Worte fühlten sich komisch an, als er genauer darüber nachdachte. Es war eigenartig, wie schnell sich dieser Begriff in seinem Bewusstsein manifestiert hatte. Sein Zimmer... Dabei war es doch gar nicht seines. Es war im Prinzip gemietet. Wenn er das Geld bedachte, was er dafür bezahlt hatte, war es wahrscheinlich das ganze Gebäude, was er gemietet hatte... oder vielleicht auch gleich gekauft. Eine absurd hohe Summe, die er da investiert hatte, aber das war es ihm wert gewesen. Er hatte das Geld sowieso. Er brauchte sich darum keine Gedanken zu machen. Worum er sich Gedanken machte, war sein Großvater. Er hatte es vor Rei nicht zeigen wollen, um ihm keine Sorgen zu machen, aber auch, weil er einfach nicht darüber reden wollte. Wenn er so darüber nachdachte, war es vielleicht nicht sehr intelligent gewesen, sein Bankkonto zu drei Vierteln leer zu räumen. Er musste nämlich befürchten, dass das eventuell das letzte Geld gewesen war, was er je von seinem Großvater bekommen hatte. Allerdings... war das vielleicht bald kein Problem mehr. Darüber würde er sich aber morgen erst wieder Gedanken machen, denn heute Abend galt es, seinen Mitbewohner um den kleinen Finger zu wickeln. Er mochte sozial nicht wirklich geschickt sein, aber er war nicht schlecht darin, andere zu manipulieren. Mit etwas Glück bekam er einen Zimmergenossen, bei dem er einfaches Spiel haben würde. Bei jedem anderen war es nur eine Frage der Zeit, bis er ihn knackte. Und wenn nicht, dann suchte er sich eben ein anderes Opfer. Irgendein Kind, das labil genug war, um ihm leicht zu vertrauen, würde er schon finden. Und wenn alle Stricke rissen, musste er eben jemanden bezahlen, damit der ihn in die Gemeinschaft hier einführte. Denn, wenn er eines in seinem bisherigen Leben gelernt hatte, dann, dass man mit Geld so ziemlich jeden kriegen konnte, man musste nur genug anbieten. Und wie hoch konnte der Preis eines Heimkindes schon sein? Für die waren 12000 Yen die Welt. Für ihn war das fast nichts. Er würde das schon hinbekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)