Liebe führt, auch in Russland, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 2: Willkommen --------------------- Hallo Kai,   ich war heute kurz in der neuen Schule und muss sagen, dass ich beeindruckt bin. Volkov-san, der Leiter der Schule, hat mich ein wenig herum geführt und mir einiges erklärt. Die Schule war, bis er es übernommen hat, ein katholisches Waisenhaus. Doch es wurden so wenige Kinder adoptiert, dass er eine Lösung suchte, wie er die 18 jährigen da behalten konnte, ohne die Unterstützung vom Staat zu verlieren. Deshalb gründete er die Schule, ein Internat. Mittlerweile dürfen auch Schüler dort hin, die keine Waisenkinder sind. Die werden aber nicht auf das Internat aufgenommen, sondern gehen dort ganz normal zur Schule. Es kommen wohl nicht allzu viele Außenstehende dort hin, weshalb mich Volkov-san schon gewarnt hat, dass die anderen mich meiden könnten. Aber das macht mir nichts, du kennst mich ja.   Ich bin ziemlich beeindruckt von der Idee. Sie sind momentan sogar am überlegen, ob sie nicht sogar eine Universität in diesem Stil aufbauen, aber das trifft wohl auf ziemlich viel Gegenwind, weil man befürchtet, dass die Waisenkinder dann nicht mehr mit der Außenwelt wirklich in Kontakt treten werden. Weil sie dann ja ihr halbes Leben, zumindest gefühlt, in ihrem Waisenhaus verbringen würden und zu wenig über das echte Leben lernen würden. Nun ja, ich halte mich da raus.   Weißt du was auch toll ist? Das Internat hat ein spezielles Sportförderprogramm, an dem ich teilnehmen kann! Das ist so toll! Die Teams hier sind so gut, dass sie mit den Preisgeldern, die sie gewinnen, einen großen Teil zum Erhalt des Internats beitragen! Ich bin hier mit der Weltelite zusammen und ich freue mich so darauf! Es gibt verschiedene Kurse von Anfänger bis Profi, ich bin gespannt, wo ich rein komme. Zumindest über den Anfängerkurs sollte ich ja drüber kommen. Wäre schon peinlich, wenn ich das nach all den Jahren Training nicht schaffen würde, oder?   Nun ja.. weg vom Enthusiasmus, ich muss jetzt den Kram durcharbeiten, den mir Volkov-san mit gegeben hat. Das wird einiges an Arbeit. Ich bin dann am Samstag trotzdem online, dann eben nur nicht in einem Park, sondern in meinem Zimmer. Ich freue mich schon!   Bis dann!   Rei   ~*~   Kai: Hallo Rei. Wie läuft das Lernen?   WeißerTiger: Hey Kai. Ganz gut. Ich bin ziemlich aufgeregt, am Montag geht es los.   Kai: Du schaffst das schon. Wann ist die Aufnahmeprüfung für den Kampfkurs?   WeißerTiger: Am Mittwochnachmittag. Drück mir die Daumen, es wäre echt cool, wenn ich es in den Fortgeschrittenen Kurs schaffen würde.   Kai: Selbst wenn nicht, ist das kein Weltuntergang. Dann arbeitest du dich eben hoch.   Kai: Weißt du schon, wie viele andere 'Außenseiter' mit an die Schule gehen?   WeißerTiger: Nicht so viele. Ich hab was von 10 oder 20 gehört. So um den Dreh. Ich werde es am Montag sehen, wir haben so was wie eine kleine Begrüßungszeremonie. Ansonsten habe ich keine Ahnung, wer da so alles aufkreuzt.   Kai: Kommst du denn wenigstens mit der Sprache zurecht?   WeißerTiger: Ja, das klappt mittlerweile ganz gut. Wenn ich erst einmal ein paar Wochen an der Schule bin, sollte das kein Problem mehr sein. Lesen kann ich die Schrift mittlerweile auch ganz gut. Also alles im Grünen Bereich, denke ich.   Kai: Gut. Dann ist das schon einmal keine Hürde, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.   WeißerTiger: Als wäre mir das so wichtig. Ich bin nur ein Jahr hier, mache meinen Abschluss und dann ist gut. Ich werde es überleben, egal was kommt.   Kai: Hm.   WeißerTiger: Wie auch immer. Wie läuft es bei dir? Die Ferienzeit gut überstanden?   Kai: Ja, natürlich. Meine Lehrer sind alle sehr zufrieden mit mir und so auch mein Großvater. Ich kann nicht klagen.   WeißerTiger: Der Vorentscheid für die Meisterschaften im Kickboxen stehen an. Hast du dich entschieden ob du mit machen willst?   Kai: Ich weiß es noch immer nicht. Die Anmeldefrist läuft noch bis Ende nächster Woche. Ich tendiere aber eher zu nein. Solche Veranstaltungen bringen mir nichts. Ich weiß nicht, warum Großvater immer wieder so sehr darauf drängt.   WeißerTiger: Ich würde es einfach mal versuchen. Oder nein, lieber doch nicht. Dein Ego ist schon groß genug.   Kai: Ha ha.   Kai: Aber vielleicht mache ich es wirklich. Einfach um mal zu schauen wie es läuft. Ich weiß es noch nicht.   WeißerTiger: Überleg es dir einfach. Und wenn du drüber reden willst gib Bescheid, ich bin da. Jetzt aber setze ich mich erst mal wieder ans Lernen, es sei denn, es gibt noch irgendwas zu reden.   Kai: Nein, alles in Ordnung. Lern weiter.   WeißerTiger: Ich vermisse dich. Bis dann.   Kai: Bis dann.   *   Natürlich würde Kai niemals offen sagen, dass er ihn vermisste. Die erste E-Mail die er von ihm bekommen hatte, war schon enorm emotional, das würde er nicht noch einmal zu hören bekommen. Aber das war in Ordnung, das erwartete er nicht. Nur manchmal fragte er sich doch, ob er es gerne hätte, denn er sagte sich erstaunlich oft, dass es in Ordnung war und er Kai so mochte wie er war. Es war wirklich alles gut, aber er verwirrte sich selbst damit, dass er sich das ständig selbst sagte. Wie auch immer, er musste noch lernen.   ~*~   "Wir freuen uns auch dieses Jahr wieder neue Gesichter hier begrüßen zu dürfen..." Volkov begrüßte wie jedes Jahr die Neuen in der großen Aula. Um die große Halle herum führten Treppen und breite Wege, die an der Seite zur Halle hin mit Geländern abgesichert waren, zu weiteren Gängen und Räumen. Hier stand er, und sah auf die dummen Kinder hinab, die freiwillig hier her kamen. Keiner von ihnen würde ein Jahr lang bleiben, das hatte noch niemand geschafft. Das verschwieg der Leiter des Internats nur gerne, um weiterhin staatliche Zuschüsse zu erhalten. Nicht, dass sie sie absichtlich vertrieben...   Sie waren angewiesen, mit den Außenseitern nicht zu reden oder wenn überhaupt, dann nur das nötigste. Niemand der hier her kam, ertrug diese kalte Atmosphäre und so gingen sie bald schon auf eine andere Schule. Sie hatten mehr als genug Auswahl. Was sie dann letztendlich vertrieben hatte, konnte keiner wirklich wiedergeben. 'Es hat sich komisch da angefühlt' war die genauste Aussage die alle treffen konnten, mehr nicht.   Sie nannten sie 'Lichtkinder', was mehrere Bedeutungen hatte. Hauptsächlich war es der Neid darauf, dass sie ein normales Leben hatten, dass sie Eltern hatten und dass sie frei waren. Nicht, dass irgendwer gezwungen war hier zu sein, aber für viele war das hier einfach die letzte Hoffnung. Diese Kinder da unten waren behütet aufgewachsen. Sie hatten noch nie Kämpfen, noch nie um ihr Leben bangen müssen. Diese Kinder waren schwach und weich. Sie waren wie das Licht einer Flamme das drohte zu erlöschen, sobald man das brennende Material weg nahm. Dunkelheit existierte immer, auch ohne Energie zu benötigen und sie alle hatten nichts, was sie verbrennen konnten. Die Lichtkinder bekamen Zuwendung, Liebe, Geborgenheit und Schutz. Alles Dinge, die viele von ihnen hier auch einmal gehabt hatten und man hatte es ihnen weg genommen. Jetzt blieb ihnen nur noch die Dunkelheit.   Sein Blick glitt langsam über die Traube von neuen Schülern und blieb etwas verwirrt an einer Person hängen. Für einen Moment hatte er tatsächlich geglaubt, dass ein Mädchen dort unten stand, doch bei genauerem hinsehen bemerkte er, dass die Statur nicht weiblich war. Die Figur war ein wenig zierlicher, geschmeidiger als die von den meisten Kerlen, aber sie war sicherlich nicht weiblich. Muskulöse Arme zeichneten sich unter dem Oberteil ab und allein seine Haltung sagte ihm, dass er in der Lage war zu kämpfen. Nein, das war ganz sicher kein Mädchen, konnte es gar nicht sein, denn sie waren hier in dem Flügel, in dem nur Jungen lebten. Sie hatten strenge Geschlechtertrennung und es war aufs schärfste verboten die Gebäude der Schülerinnen zu betreten. Hier würde sich kein weibliches Wesen her verirren, dennoch hatten die langen Haare ihn kurz irritiert. Die Haare waren in einem langen Band zusammengefasst, reichten aber dennoch bis fast zum Boden. Interessant... nun, in einem Kampf würden die unpraktisch werden, egal ob sie zusammengebunden waren oder nicht. Im Allgemeinen war dieser Kerl also keinerlei Bedrohung. Schade eigentlich. Schon lange konnte es kaum noch jemand mit ihm aufnehmen. Eine neue Herausforderung hätte ihm gefallen. Vielleicht ließe sich das ja ändern.   Die neuen Schüler applaudierten verhalten. Volkov hatte seine kleine Rede also beendet. Es kam jetzt noch eine kurze rede von einem ihrer Vorzeigeschüler. Das waren Kinder, die man hier nicht gebrauchen konnte, die aber herrlich zum herumzeigen waren, weil sie gut reden konnten und hübsch aussahen. Pressekinder. Man musste sie in Ruhe lassen, doch als Schoßhunde der Schulleitung hatte auch niemand Interesse daran sich weiter mit ihnen zu befassen. Im Gegensatz zu ihm selbst und den anderen seines Ranges, wussten diese Kinder nicht, was es bedeutete, für das eigene Überleben kämpfen zu müssen. Auch sie waren schwach, aber man brauchte sie. Dieser merkwürdige Ausländer mit den langen Haaren hätte definitiv auch Potential dazu, aber dafür müsste er im Internat leben und da kamen Lichtkinder nicht herein.   Er selbst wartete ungeduldig darauf, dass der Tag endlich herum ging. Die Begrüßungszeremonie half nicht gerade dabei, dass die Zeit schneller verging. Es war langweilig, langwierig und uninteressant. Keine interessanten neuen Gesichter, nichts, was erwähnenswert war. Er wollte eigentlich nicht hier sein, aber nichts zu tun, kam für ihn auch nicht in Frage und trainieren durfte er heute nicht. Gestern hatte er sich bei einem Kampf die Schulter ausgekugelt. Natürlich hatte er dennoch gewonnen, aber der Arzt hatte ihm verboten den Arm bis heute Abend zu bewegen, da die Gefahr von bleibenden Schäden zu groß war. Und sein Körper durfte keinen bleibenden Schaden nehmen, das wäre sein Untergang. Die meisten Gegner würde er zwar noch in einem Rollstuhl mit zwei gebrochenen Armen besiegen können, aber in diesem Haus war alles, was nicht absolut perfekt war, absolut verboten. Für den Auftritt gestern, für die Verletzung die er sich zugezogen hatte, würde er auch noch eine Strafe erhalten, sobald er wieder gesundet war. Ein nicht perfekter Sieg, war kein Sieg und erst recht nichts, was geduldet wurde. Aber das war gut so. Nur so konnten sie die Weltspitze bleiben. Nur so konnten sie diese Schule weiterhin am Leben erhalten, nur so hatten sie alle einen Ort, an dem sie leben konnten. Es war notwendig und das wussten sie alle. Es gab keine Alternative und wenn sie alle ehrlich mit sich selbst waren, dann wollten sie auch keine. Hier war ihr zu Hause und sie würden dafür sorgen, dass es das bleiben würde.   Nur Außenstehende würden das niemals verstehen, denn sie waren schwach und weich. Jedes Jahr wieder schwemmte ein Ausblick auf das herein, was sie leben könnten. Es kam Gedankengut hier herein, das eigentlich giftig sein müsste für jeden von ihnen. Gedankengut von Freiheit und Wohlstand, doch mit den Jahren hatten sie gelernt, dass Freiheit und Wohlstand nur eine Illusion war. Sie hatten diese Dinge zu fürchten gelernt. Er wusste nicht wie, aber irgendwie war das Gift nur zu normalem Wasser geworden. Es berührte sie nicht mehr. Es war nichts Faszinierendes oder Erstrebenswertes für sie. Es war nichts, was sie wollten, denn sie gehörten nicht nach draußen. Sie gehörten hier her. Alle miteinander. Nur die Lichtkinder nicht und das würden die früh genug bemerken.   Willkommen, dachte er bei sich, Herzlich willkommen im Nichts.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)