Tiefrote Herbsttänze von ZockerCat ================================================================================ Kapitel 1: Tiefrote Herbsttänze ------------------------------- Ein kühler Windstoß pfiff durch die Höhle, verleitete das kleine Feuer der Öllampe, welches nicht viel mehr vermochte, als wild zuckende Schwärze an die unebenen, schartigen Wände zu werfen, zu noch heftigerem Flackern. Stundenlang lag er hier, tat nichts, denn die Flammen anzustarren, ließ sich hypnotisieren von den wirren Tänzen, welche die Dunkelheit um ihn herum aufführte. Undurchschaubare Muster, zügellos und wirr schwammen sie dahin. Nie klar oder vollständig, nie verständlich. Nie wirklich. So boten sie meist nur einen stetig bewegten Hintergrund für all die Erinnerungen, die sich vor seinem inneren Auge abspielten. Wenn er sich hinwegträumte in seine Vergangenheit oder fort in eine Zukunft, die es niemals geben konnte. Weit fort, nur hinaus aus dieser Höhle, die er wohl nie wieder verlassen würde. Wieder einmal wandte er den Blick ab von den flackernden Schatten und suchte mit den Augen den Eingang zu seiner Schlafstatt und seinem Gefängnis. Gedämpftes, halb ergrautes Licht fiel von dort aus in die Höhle. Wolken mussten den Himmel verhängen, doch von seiner Position aus konnte er sie nicht sehen, konnte niemals weiter sehen als bis zu dem kleinen Ahornbaum, welcher den Rest seiner Aussicht tilgte. Nun, da die Wolken schwerer und die Winde frischer wurden, strahlten dessen Blätter in einem satten Rot, segelten im Herbstwind umher und fanden Pirouetten drehend ihren Weg zu dessen Wurzeln. Von Winden geschaukelt tanzten sie durch die Luft, vor dem ewig bewegungslosen Stamm entlang, bis sie letztlich die steinige Erde erreichten. Man könnte meinen, sie wollten den starren Baum und ihn mit ihrer Wendigkeit vorführen und verlachen. Um den Ahorn war der Untergrund bereits tiefrot eingefärbt durch das viele Laub, welches dieser bereits verloren hatte - ein kräftiges, klares Rot, wie er selbst es früher in all den Dörfern zurückgelassen hatte. Eine rote Spur des Blutes und des Feuers. Es gab auf dieser Welt keine schönere Farbe, keinen erfüllenderen Anblick, als dieses klare Leuchten, dieses Kunstwerk aus Licht und Tod. Er hatte es gern getan, oh ja... Sein Schwert mit frischem Schmerz benetzt, die Hütten verbrannt, die Schätze, die Frauen und den Wein genommen. Manche behaupteten, sie täten es des Geldes wegen, raubten andere aus, weil sie selbst nichts hatten - doch seiner Meinung nach war dies nur eine nebensächliche Nichtigkeit. Würde er sich denn sonst so nach diesen Zeiten zurücksehnen? Geld konnte man auch anders beschaffen. Wen interessierte schon die Beute, wenn man dieses schmerzverzerrte, strahlende Rot haben konnte? Er wollte Blut, Schreie und Feuer. Das erfüllende Gefühl, das ihn durchlief, wenn wieder ein Raubzug erfolgreich verlief und die Bauern vor ihm zitterten und um ihre geschändeten Töchter weinten. Dies war das wahre Leben gewesen, wahre Freiheit. Die Ahnung eines Lächelns legte sich auf sein zerstörtes Gesicht. So entstellt es auch war, verbarg es jedoch kaum, wie grausam und verdorben dieser Ausdruck anmaßte. Nur gab es dieser Tage keine angsterfüllten Dorfbewohner oder brennenden Häuser mehr für ihn – das Einzige, was er noch zu Gesicht bekam, war der sanfte Blick der Miko, die ihn jeden Tag versorgte. Seine Kikyo. Denn wie üblich wartete er auch in diesem Moment im Grunde nur darauf, dass sie zu ihm kam, wartete darauf, die rote und weiße Seide ihres Kimonos hinter dem Ahornbaum aufblitzen zu sehen. Auch sie würde tanzen. Nicht wild wie das Feuer. Nicht orientierungslos wie das gefallene Laub in dieser kühlen Herbstbrise. Nein, nicht seine Kikyo. Elegant, aufreizend wie eh und je würde sie unter das blutverschmierte Blätterdach treten, während ihr Kimono, ergriffen vom frischen Wind, ihre schlanken Beine umschmeicheln würde. Ihr Haar würde sich diesem hinreißenden Tanz anschließen, ihre stets sanften Züge umspielen und ihrem tadellosen Antlitz diesen Hauch von Unvollkommenheit verleihen, der sie noch reizender erscheinen ließ. Ein schmales Schmunzeln verzerrte erneut seine verbrannten Lippen. Auch trotz Kikyos perfekter Erscheinung blitzte manchmal ein Schimmer von Makelhaftigkeit auf, immer nur für einen winzigen Augenblick, kaum fassbar. Wie sehr wünschte er sich, sie würde diese kleinen Abgründe ihrer selbst offen zeigen, nur ein einziges Mal. Nur einmal wollte er diese beherrschte Fassade fallen sehen, Gier in ihrem Blick finden oder Lust. Sein Lächeln wurde eine Spur dreckiger. So ein kleiner Ausfall würde seiner hübschen Miko wirklich vorzüglich stehen. Er würde es ihr beibringen... Er würde sie Kikyo zeigen, seine Freiheit. Er würde sie mit sich nehmen, ihr die schönsten Kunstwerke zeichnen aus Klagen und Flammen, bis dieses liebliche Rot auch auf ihre Reinheit abfärben würde. „Du gehörst mir, Kikyo...“ Seine verrußte Stimme, nicht mehr als ein Krächzen, schabte schwach über die kalten Steinwände, bevor sie in sich zusammenfiel - doch daran störte er sich im Moment nicht, war er doch viel zu tief in seinen Gedanken versunken. Irgendwann... Irgendwann würde er seine Miko mit sich nehmen und diesen stillen Ort verlassen, der ihn festhielt. Irgendwann würde er wieder durch die Dörfer ziehen, die verängstigten Bewohner rennen und schreien sehen, kopflose Tänze aufführend in der Hoffnung, seiner Klinge zu entgehen. Irgendwann würde er sein geliebtes Rot wiedersehen, das wahre Rot. Diesen einzigen, euphorischen Ton, den er fast noch mehr liebte als seine Kikyo. Eine weitere kühle Windbö fegte durch die in zuckendes Zwielicht getauchte Höhle. Verzweifelt wand sich die kleine Flamme, wehrte sich mit aller Kraft dagegen zu erlöschen. Ein kleines, abgestorbenes Blatt des Ahornbaumes wirbelte mit hinein, ein winziger Fleck des Rotes, welches ihn so sehr an sein vergangenes Glück erinnerte. Kaum eine Handbreit neben seinen Fingerspitzen blieb es, sich ein letztes Mal im Windhauch wiegend, liegen, ein winziger, blutiger Spritzer in der Trostlosigkeit des eintönig grauen Steins. Aus dem Augenwinkel konnte er gerade noch eine der gezackten, feurigen Ecken erkennen. So greifbar nah und doch – ganz gleich, wie sehr er sich auch anstrengen würde – für ihn unerreichbar weit entfernt. Mit einem rauen Ton, der in jeder anderen Kehle wohl ein Seufzen dargestellt hätte, schloss Onigumo die Augen wieder. Irgendwann, Kikyo, irgendwann würde auch er wieder tanzen, mit seiner Klinge, umgeben von seinem Rot, an der Seite seiner Miko... Irgendwann... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)