Trugbilder von nyma (Facetten einer Feindschaft) ================================================================================ Kapitel 1: Der Herr der Liebesqualen ------------------------------------ „...und vor mir stand der Herr der Liebesqualen, sein Blick entsetzte mich bis tief zum Grunde.“ (Dante Alighieri – La vita nuova) Halloween 1995 In dem hohlwangigen Gesicht des dunkelhaarigen Hexers wirkte dessen Hakennase überaus imposant. Seit dem Sommer hatte Severus Snape etwas von seiner Substanz verloren, dachte Lucius Malfoy, doch änderte dieser Umstand nichts an dessen eindrucksvoller Ausstrahlung. Er lehnte im Türrahmen zu den privaten Räumlichkeiten Snape's und musterte diesen still. Lucius wusste, dass Severus ihn längst bemerkt hatte und lächelte stumm. Er wurde nur sehr selten so stumpf ignoriert. Doch diese Dreistigkeit war ein Teil der Charakterzüge seines Gegenübers. Und genau diese Unverfrorenheit war es gewesen, die überhaupt dafür gesorgt hatte, dass er diesen schlaksigen Jungen in der heruntergekommenen Kleidung beachtet hatte. Dieses spitze Gesicht mit dem viel zu großen Riechorgan, versunken in tiefster Konzentration über dem angelaufenen Zinnkessel... „Was braust du da zusammen, Kleiner? Plappertrunk? Oder Amortentia? Wie man hört hast du ein Auge auf das Schlammblut Evans geworfen?“ Malfoy und seine Schatten Rabastan und Rodolphus Lestrange lachten amüsiert. Der jüngere Zauberschüler überging die spitze Bemerkung ungerührt. „Es ist eine Kombination aus Verwirrungselixier und Vergesslichkeitstrank – sofern Euch Eure ZAG's am Herzen liegen, solltet Ihr mich einfach in Ruhe lassen.“ Ein gehässiges Schmunzeln verzerrte das Gesicht des Snape-Jungen. „Dein Grinsen geht mir auf die Nerven, Malfoy. Ich habe dich nicht her gebeten!“, knurrte der Meister der Zaubertränke grimmig und griff, ohne von dem Pergament aufzusehen, das er gerade zu bewerten versuchte, nach einem Glas rauchigem Feuerwhisky. „Und dennoch bin ich da.“ Lucius stieß sich von der Tür ab und durchquerte das Zimmer, bis er vor dem eleganten Schreibtisch stand. Mit schräg gelegtem Kopf versuchte er den Text auf der Schriftrolle zu entziffern. „Oh weh... Aufsätze über Mondgestein. Draco's Jahrgang?“ Der Blonde umrundete den Schreibtisch und trat hinter Severus. Mit ungeahnter Sanftheit strich er mit seinen Fingerspitzen das strähnige, schwarze Haar zur Seite und ließ seine Finger über den bloßen Nacken seines Geliebten gleiten. „Leg die Feder zur Seite und entspanne für einen Moment deine Augen“, flüsterte Lucius und ließ seinen warmen Atem bewusst über die empfindliche Haut des anderen fließen. Doch Severus fügte sich nicht, sondern versteifte seine ohnehin schon angespannte Muskulatur nur noch mehr. „Nimm dir einen Drink und ein Buch – lass mich einfach arbeiten.“ Snapes Stimme klang erschöpft und rau. „Oder geh wieder.“ Lucius seufzte leise und drückte seine Lippen flüchtig auf Severus' Scheitel. „Nein, ich weiß was heute für ein Tag ist. Du solltest nicht alleine sein. Das hat dir noch nie gut getan.“ Der Professor stöhnte leise auf, schwieg jedoch und nahm einen weiteren Schluck aus dem edlen kristallenen Glas. Mit einem Schulterzucken wandte Lucius sich ab und trat an das ausladende Bücherregal heran. Seine Fingerspitzen glitten über diverse Buchrücken, bis er eine ansprechende Lektüre gefunden hatte. Wie angeboten, nahm er sich einen Drink – wählte jedoch einen blumigen Cognac, verschmähte den kräftigen Feuerwhisky – und setzte sich auf einen Sessel vor den Kamin. Die Wärme des Feuers traf wohlig auf Lucius Wangen. Der Blonde genoss die ungewohnte Untätigkeit und ließ seine Gedanken schweifen. Seine Eifersucht auf das Schlammblut-Mädchen war bereits vor Jahren verklungen und für gewöhnlich beanspruchte die Erinnerung an sie auch keinen Raum in ihrer geheimen Liason. Auch wenn Lucius sich durchaus bewusst war, dass die Reue seinen Geliebten noch immer fest in ihren Klauen hielt – Severus verschloss diese Gefühle hinter dicken Mauern tief in seinem Inneren. Doch allem Anschein nach, fühlte er sich dazu verpflichtet an Lily Evans Todestag, noch einmal alle Seelenqualen zu durchleiden und diese in reichlich Alkohol zu ertränken. Lucius wandte den Kopf, sodass er Severus Gesicht erkennen konnte. Er sah die kleine, steile Falte zwischen dessen Augenbrauen, die angespannten Züge um dessen Mund und wusste, dass der Dunkelhaarige sich im inneren Kampf selbst geißelte. „Es war zur Nacht und schon die vierte Stunde, da sah ich plötzlich Alles um mich strahlen und vor mir stand der Herr der Liebesqualen, sein Blick entsetzte mich bis tief zum Grunde. Erst schien er fröhlich. In der Hand, der einen, hielt er mein Herz; auf seinem Arm indessen schlief meine Herrin, blaß, in rotem Leinen. Er weckte sie, und ließ sie von dem kleinen und völlig glühenden Herzen schüchtern essen. Darauf entwich er mir mit lautem Weinen.“ Mit tadelnd hochgezogener Augenbraue blickte Severus auf. Seine Lippen zu einem verächtlichen Ausdruck gekräuselt. „Du beschäftigst dich mit Dante's La vita nuova. Wie tiefsinnig.“ Lucius schnalzte leise mit der Zunge. „Und so passend, findest du nicht?“ Der Blonde hätte sich besser auf die Zunge beißen sollen. An einem Tag wie diesem, lag die Toleranzgrenze seines Gegenübers im unterirdischen Bereich. So sehr er auch die kleinen verbalen Schlagabtäusche mit Severus liebte, so unangebracht war ein solcher in dieser Stunde. „Es tut mir leid, Severus. Es war nicht meine Absicht dich zu necken.“ Mit verkniffenem Gesichtsausdruck reinigte Snape seine Feder und ordnete die Unterlagen. Seine sonst so geschmeidigen Bewegungen waren eigentümlich eckig und ungeschickt. Was Lucius verriet, dass er schon einige Gläser Hochprozentigen intus hatte. Severus trank niemals über den Durst. Die kindlichen Erfahrungen mit einem alkoholsüchtigen Vater hatten ihn geprägt. Umso verheerender war dieses wiederkehrende Verhalten am Halloween-Abend. Langsam stemmte Severus sich von seinem Platz am Schreibtisch hoch und schritt mit unsicherem Gang hinüber zur Sitzecke. Bevor er Platz nahm, füllte er erneut sein Glas. Minutenlang saßen die beiden Männer schweigend dar und blickten in einträchtigem Schweigen in die tänzelnden Flammen. „Ich muss mit dir über deinen Sohn sprechen.“ Severus Stimme war äußerst leise und ernst. Lucius runzelte die Stirn und machte eine auffordernde Handbewegung. „Er scheint in deine Fußstapfen zu treten“, fuhr er mit einem grimmigen Lächeln fort und suchte Lucius Blick. „Ich halte es allerdings für ein kleineres Strohfeuer, das kontrolliert niederbrennen sollte.“ „Der Alkohol lässt dich philosophieren. Wie unterhaltsam. Doch womöglich könntest du deine Ausführungen noch ein wenig konkretisieren, mein Lieber? Inwiefern tritt Draco in meine Fußstapfen? Organisiert er ausschweifende Slytherin-Feste mit mit reichlich Feuerwhisky und Veritaserum?“ Snape schaubte. „Dann würde ich nicht mit dir darüber sprechen, sondern ihn beim ersten Frost ausschicken, um für mich nach Beinwell zu graben.“ Lucius nickte. „Eine sehr gut durchdachte Schikane. Aus dir wird also doch noch ein annehmbarer Pädagoge“, witzelte er mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Severus ging nicht darauf ein. „Draco hat am vergangenen Wochenende eine Nacht außerhalb des Schlafsaales verbracht.“ Ein süffisantes Grinsen stahl sich auf Lucius Gesicht. „Na sowas...“ „Spar dir dein Grinsen, Lucius. Es wird dir gleich vergehen. Es gibt nur einen weiteren Schüler, der in besagter Nacht ebenfalls nicht in seinem Bett gelegen hat und...“ „Oh, maskulin – jetzt verstehe ich, was genau du mit meinen Fußstapfen gemeint hast.“ Severus seufzte ungeduldig auf. „Wenn du mich noch einmal unterbrichst, wirst du die Beinwellwurzel für mich ausgraben, Lucius!“ Der Blonde grinste breit. „Ein Stell-dich-ein im Mondschein, Severus?! Wie romantisch.“ „Ich habe Draco erst im Morgengrauen auffinden können. Er hat den Raum der Wünsche verlassen – gemeinsam mit Potter.“ Lucius fühlte die Erkenntnis wie winzig kleine Eiswassertröpfchen in sein Bewusstsein perlen. „Welcher... Potter?“ Severus schnaubte erneut mürrisch und verdrehte die Augen. „Ich schlage vor, wir ignorieren dieses... kindische Verhalten fürs erste und...“ „Hast du völlig den Verstand verloren?“ Lucius war aufgesprungen und bebte vor Zorn. Severus hielt es nicht für nötig es ihm gleich zu tun. Er musterte den Blonden mit kühlem, aber bestimmendem Blick, sodass dieser sich schließlich genötigt fühlte sich wieder zu setzen. „Dürfte ich fortfahren, solange es die Wirkung des Alkohols noch erlaubt?“ Lucius machte eine zornige Handbewegung und presste die Kiefer fest aufeinander. „Ich behalte das im Auge. Sollte der Dunkle Lord nach Draco verlangen, werden wir Maßnahmen ergreifen müssen. In die Grundlagen der Okklumentik ist der Junge eingeführt?“, wollte Severus wissen, woraufhin Lucius nur knapp nickte. „Potter?“ Severus zuckte mit den Schultern. „Die Jugendliebe ist ein unschuldiges, aber sehr wider-spenstiges Ding, Lucius. Wir sollten ihm diese Erfahrung nicht nehmen. Draco hat ein Recht darauf – auch wenn seine Wahl geradezu töricht und nicht nachvollziehbar ist.“ „Merlin...“, hauchte Lucius nur leise und schüttelte den Kopf. „Hab ein Auge auf ihn, bitte, Severus.“ Zum ersten Mal an diesem Abend erkannt er den liebevollen Ausdruck in Severus Miene, die ihm allein vorbehalten war, und er seufzte tief, während er nach der Hand des anderen griff. Doch es waren nur Sekundenbruchteile gewesen, in denen Severus sich ihm offenbart hatte. Nur Wimpernschläge später, hatte der Meister der Zaubertränke seine Empfindungen wieder hinter dicken Mauern verborgen. „Hoffen wir für deinen Jungen, dass diese Erfahrung ihm mehr bringt, als tiefer, lebenslanger Schmerz.“ Lucius positive Stimmung war gekippt. In Gedanken malte er sich die schrecklichsten Szenarien aus. Sollte der Dunkle Lord tatsächlich etwas von Dracos Liason erfahren, dann würden die Konsequenzen weitaus schrecklicher ausfallen, als es vor Jahren für Lucius der Fall gewesen war. Abraxas Malfoy hatte seinen Sohn inflagranti in den Armen des mittellosen Halbblutes Snape erwischt und ihn windelweich geprügelt – tagelang hatte Lucius im Bett gelegen und kaum einen Finger rühren können. Einzig Severus' liebevolle, tröstende Zeilen, die ihn auf einem Pergament für magische Fernkommunikation erreicht hatten, brachten etwas Licht in diese finsteren Tage. Ein Malfoy verlustierte sich nicht unter seinem Stand – und schon gar nicht gleichgeschlechtlich. Doch die größere Sorge des Alten war es gewesen, dass die Familie Black davon Wind bekommen könnte und vom Heiratsvertrag zwischen Narzissa und Lucius zurücktreten würden. Zwar war dieser magische Vertrag bindend, doch es gab immer wieder Fälle, in denen triftige Gründe gefunden worden waren, diese geplanten Zusammenkünfte zu annullieren. Beinahe fünf Jahrelang hatte Lucius, nach dem handgreiflichen Tadel seines Vaters, auf Severus' Nähe verzichtet und war daran beinahe zu Grunde gegangen. Er schätzte Narzissa über alle Maßen und trug sie auf Händen, doch Severus Snape hatte ihn entsetzlich tief in seiner Seele berührt. Die alten Erinnerungen hatten Lucius Wohlbefinden betrübt. Mit einem schweren Seufzen wandte er sich Severus zu, wollte für einen Augenblick einfach seine Hand halten. Doch hatte der ungewohnte Alkoholkonsum in einem unbemerkten Moment seinen Tribut gefordert. Der dunkelhaarige Zauberer saß leicht nach vorne gebeugt da, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und hielt die Augen geschlossen. Ein winziges Lächeln huschte über Lucius Gesicht, als er von seinem Platz am Feuer aufstand, um sich um Severus zu bemühen. Er strich ihm durch das strähnige Haar, welches sein hageres Gesicht wie ein Vorhang verdeckte. „Es ist Zeit für Dich, Severus.“ „Hmm?“,blinzelnd schaute der Angesprochene auf, kaum in der Lage die Augen offen zu halten. „Dein Bett ruft, mein Freund.“ Mit einem schiefen Grinsen versuchte Lucius Severus' Blick zu fesseln – mit wenig Erfolg. „Einen Neutralisierungstrank und einen für den traumlosen Schlaf?“ „Verträgt sich nicht...“, nuschelte Severus angestrengt. „Also einen Eimer ans Bett und den traumlosen-Schlaf-Trunk und morgen Früh etwas gegen die Vergiftungserscheinungen?“ „Mir geht es gut -der Eimer ist unnötig“, keuchte Severus, während er sich von Lucius auf die Beine helfen ließ. Der Blonde lachte leise. „Ja, noch...“ Es war kein ganz einfaches Unterfangen, den alkoholisierten Professor in sein Schlafgemach zu buxieren, doch es gelang ohne weitere Zwischenfälle. Dem Entkleiden eines alkoholisierten, beinahe besinnungslosen Mannes, fehlte jede Erotik – dennoch konnte Lucius sich einem gewissen Unterhaltungswert nicht verwehren. In Gedanken malte er sich aus, wie wohl die Schüler reagieren würden, wenn sich ihr Zaubertranklehrer, jemals vor ihren Augen so gehen lassen würde. Fürsorglich deckte Lucius seinen Geliebten zu und strich noch einmal mit seinen Fingerkuppen über dessen Unterarm. Morgen würden sie noch einmal über Draco sprechen müssen. Lucius war sich sicher, dass Severus Wege finden würde, um seine Sorgen zu zerstreuen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)