after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 1: Akt I ---------------- Mit schweren Schritten betrat Aya das Koneko. Sein Arm schmerzte und aus der Wunde kurz unter der Schulter lief das Blut. Es war zwar wenig, aber stetig. Er hörte die gequälten Geräusche seiner Kollegen und schnaufte. Wie oft wollten sie alle denn noch grade so mit dem Leben davon kommen? Wann kam der Moment, in dem ihr Glück aufgebraucht war? Er wagte keine Prognose. Von Anfang an hatte er diesen Auftrag nicht gut gefunden, doch Auftrag war nun mal Auftrag. Und er war niemand, der sich seinem Vorgesetzten allzu sehr widersetzte. Gut. Er hatte seine Eigenheiten, doch das was Perser verlangte war irgendwo in ihm immer noch Gesetz. Zehn Jahre spielte er jetzt den Laufburschen. Er schnaufte erneut. Diesen Gedanken würde er jetzt nicht weiter ausführen. Er würde sich nur unnötig in Rage bringen. Ein entkräftetes Stöhnen und das Geräusch eines fallenden Körpers auf dem Sofa ließ ihn herumfahren. Yoji lag schlapp auf dem Polster und hatte die Augen geschlossen. Aya trat auf ihn zu. Er wollte kontrollieren, ob er es jetzt noch mit einem Ohnmächtigen zu tun bekam. Kurz vor dem Sofa öffnete Yoji ein Auge und schnaufte. „Mir tut alles weh!“, jammerte er und schloss gequält seine Augen. Aya nickte. Keine Ohnmacht. Ken half Omi die Stufen in die Wohnung hinauf und auch Aya wandte sich ab. Ohne ein weiteres Wort half er Omi bis zum oberen Flur und lief dann weiter um in sein Zimmer zu kommen. Mit dem Rücken drückte er die Tür ins Schloss und atmete tief durch. Er war in seinem Zimmer. Er war allein. Nach weiteren Atemzügen stieß er sich von der Tür ab und trat an seinen Schreibtisch heran. Er legte seinen Mantel ab und warf ihn über die Lehne seines Stuhls. Sein Blick blieb an dem Bild seiner Schwester hängen. Sie lag auf ihrem Krankenbett und mit schwarzem Edding war das Datum auf das Hochglanzbild geschrieben. Noch immer durchlief ihn ein kalter Schauer, wenn er an diesen Tag zurück dachte. Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Während Aya auf die Tür zuschritt zog er sich die Handschuhe von den Fingern und warf sie auf seinen Couchtisch. Er öffnete die Tür und blickte in Yojis Gesicht. Sein zweiter Blick galt dem Zigarettenstummel zwischen seinen Lippen. „Damit kommst du aber nicht hier rein!“, bestimmte Aya und Yoji schnaufte amüsiert. Hinter seinem Rücken holte er einen gläsernen Aschenbecher hervor und drückte die Kippe in ihm aus, bis kein Rauch mehr aufstieg. „Besser?“, fragte er mit einem seichten Ton und Aya nickte, ehe er zur Seite trat und Yoji in sein Zimmer ließ. Er schloss die Tür und beobachtete Yoji, wie er zielstrebig auf seinen Schreibtisch zutrat. Nun zog er seinen Mantel aus und warf ihn auf Ayas auf dem Stuhl. Aya fiel auf, wie sicher und fast gewohnt Yoji sich in diesem Zimmer bewegte. Als wäre es Routine öffnete Yoji das Fenster ein wenig und lehnte sich am Fensterbrett an. „Warum tust du dir das an, Ran?“ Yojis Stimme war warm und nur ein Flüstern, doch es reichte um ihm neue Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Er wusste, was er meinte. Das Bild seiner Schwester. „Ich weiß nicht“, gestand er wahrheitsgemäß. Nachdenklich strich er sich mit einer Hand über den Mund und die Wangen. „Vielleicht bin ich ja ein wenig masochistisch veranlagt?!“ Der Scherz ging in seiner ungewollt melancholischen Stimme unter und Yoji schnaufte. Er stieß sich vom Fenster ab und kam auf ihn zu. „Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Es hat sich nichts geändert. Ich bin für dich da, Ran. Wenn du etwas brauchst, bin ich für dich da“ Er nickte. Yojis Versprechen ließ ihn schmunzeln. „Wenn ich etwas brauche?“, fragte er lauernd und das schallende Lachen an seinem Ohr war ihm bereits eine Antwort. „Hey! Du warst es der an diesem Tag mit dem Alkohol begonnen hast!“, mahnte Yoji ihn und deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung des Schreibtisches. Ayas Laune sank sofort wieder. Es stimmte. An diesem Tag hatte er das erste Mal Alkohol zu sich genommen. In rauen Mengen. „Du hättest es ja nicht ausnutzen müssen“, stichelte er. Yojis Kichern erstarb und sein Mund blieb offen stehen. „Das hältst du mir jetzt aber nicht immer vor, oder?“, japste er. „Schließlich gab es auch Nächte, an denen du zu mir gekommen bist. Ohne Alkohol, wenn ich das mal bemerken darf!“ Er senkte den Kopf um sein dreckiger werdendes Lächeln zu verbergen. Die Erinnerungen an diese Nächte kamen ihm in den Sinn. Vor genau einem Jahr hatte es begonnen. Was auch immer das war. Schon vor Monaten war es immer weniger geworden, doch ihre Verbundenheit blieb. „Schon komisch, oder?“, gab er seinen Gedanken eine Stimme und spürte, wie Yoji sich neben ihn an die Tür lehnte. Er gab nur ein zustimmendes Brummen von sich. „Ich habe dafür gesorgt, dass du morgen frei hast“, murmelte Yoji nebensächlich an sein Ohr und Aya sah zu ihm auf. Seine Augen verengten sich. „Behandele mich ja nicht wie ein rohes Ei!“, drohte er und stieß sich von der Tür ab, um Yoji ins Gesicht blicken zu können. „Morgen ist ein ganz normaler Tag! Punkt und Ende!“, knurrte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist es nicht und das weißt du“, gab Yoji kühl zurück und stemmte sich von der Tür ab und trat an Aya vorbei an den Schreibtisch. „Es ist ihr erster Jahrestag. Da kann nichts normal sein. Und wenn doch … “ Er hielt inne und blickte Aya ernst über die Schulter an. Was sollte ihm dieser schmerzvolle Blick alles sagen? „Dann bist du kein Mensch mehr“, kam die Erklärung schneller, als er denken konnte. Sie drohte ihm die Füße wegzuziehen. Sein Atem wurde schwer und sein Blick sank auf den Boden. „Mein Angebot steht. Wenn etwas ist … Ich bin für dich da, Ran“ Wieder drängte sich diese verständnisvolle Stimme an sein Ohr, doch mehr als ein Nicken kam nicht über ihn. Er hörte, wie Yoji seinen Mantel nahm und an ihm vorbei das Zimmer verließ. Etliche Minuten stand er einfach unbeweglich da und dachte über die letzten Worte nach. Es gab jemanden, der ihm Hilfe anbot und ihm die Hand reichte. Ein schweres seufzten ging durch seine Kehle, als er überlegte, wie oft er diese Hilfe schon ausgeschlagen hatte. Seine Wangen begannen zu prickeln, als er weiter dachte und sich erinnerte, wie oft diese Hilfe in eine wilde Nacht übergegangen war. Bestimmt schüttelte er den Kopf um sich zu konzentrieren. Er nahm sich seine Schlafsachen und ging ins Bad um sich zu duschen und seine Wunde zu versorgen. Langsam glitten seine Gedanken zu seinem Auftrag zurück. Datenbeschaffung. Nichts, was sie nicht schon tausendfach gemacht hätten. Das Schema war immer das gleiche. Unauffällig rein, zur Not mit Tarnung. Omi an den Rechner schleusen. Wache stehen. Unauffällig wieder weg. Keine Spuren hinterlassen galt dabei wohl als schwerste Übung. Doch heute war es anders gewesen. Er rollte die Augen und schüttelte den Kopf, während er die Wundränder säuberte. Das Blut sickerte nur noch leicht aus der Wunde. Ein dicker Verband würde in dieser Nacht genügen und morgen wäre es schon fast wieder vergessen. Das Hämatom um die Wunde würde da wohl um einiges länger schmerzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto misstrauischer wurde er. Sie hatten seit gut einem halben Jahr keine großen Aufträge mehr und diese kleinen Missionen wurden auch weniger. Langsam drängte sich der Gedanke in ihm hoch, dass man sie vielleicht ausrangieren wollte. Es war ihm bewusst, dass sie nicht mehr die Jüngsten waren, mal von Omi abgesehen. Doch sie machten ihre Sache noch immer gut. Er blickte die Wunde durch den Badezimmerspiegel an und schnaufte. „Ok. Heute vielleicht nicht“, bestätigte er missmutig seinen Gedanken. Er zog das Shirt über und ging in sein Zimmer. Nur Augenblicke später ließ er sich erschöpft auf das Bett fallen. Er grub die Arme unter das Kissen und presste sein Gesicht hinein um den Duft tief in seine Lunge zu ziehen. Er hatte sein Bett vor der Mission frisch bezogen. Nun betörte ihn diese Mischung aus dem Weichspüler, seinem Kleiderschrank und einem ganze eigenen Geruch. Er konnte es nicht genau bestimmen und legte es unter dem typischen Geruch eines frisch bezogenen Bettes ab. Er liebte diesen Geruch. Schon in seiner Kindheit hatten die Kissen nach dem Wäschewechsel genauso gerochen. Träge hob er seinen Blick aus dem Kissen und sah auf seinen Schreibtisch. Seine Gedanken hefteten sich an seine kleine Schwester. Oft hatten sie gestritten, wegen dieses Duftes. Sie konnte ihn nicht leiden. Ihr war es lieber, das Bett roch nach ihr, als nach diesem, wie sie es nannte: „Schubladengeruch“. Erneut vergrub er seine Nase in dem Kissen und begann dem fliehenden Duft bereits jetzt nachzutrauern. Morgen früh würde sein Bett schon nicht mehr so riechen. Für andere mochte es abstrus klingen, doch für ihn war es ein Halt in seinem Leben. Ein Anker, der ihn vor dem Wahnsinn schützen sollte, den er so oft hatte sehen müssen. Rüde unterbrach er seine Gedanken und zog die Decke über seine Schultern. Er würde jetzt schlafen. Zur Not würde er sich auch zwingen. Sein Körper brauchte Ruhe. Der morgige Tag würde ihn genug abverlangen. Kapitel 2: Akt II ----------------- Der Wecker kreischte in seinen Ohren und wurde mit einer kraftvollen Handbewegung vom Nachtschrank gewischt. Seine Ruhestätte fand er am Fußende des Bettes auf dem Holzboden, auf dem er zerschellte. Träge schob sich Aya auf die Arme und hob seinen Körper etwas von der Matratze. Er schnaufte, als er sich an die Bettkante setze und die Beine aus dem Bett schwang. Missmutig musste er sich eingestehen, dass Yoji Recht hatte. Nichts war normal. Er fühlte sich miserabel. Sein Körper schmerzte und sein Herz schien aus dem Takt geraten zu sein. Minutenlang saß er unbeweglich da, ehe er sich aufraffte und sich erhob. Mit frischen Sachen lief er ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Es sollte seine letzte Müdigkeit vertreiben. Mit der Zahnbürste im Mund sah er sich durch den Spiegel an, musterte sich selbst. Leichte Schatten hatten sich unter seinen Augen gebildet und seine Haut wirkte eine Note blasser. „Kommt nur von der Mission“, urteilte er und schob die Zahnbürste in die andere Wange. Er wusste, dass er sich damit selbst belog, doch er wollte sich die Wahrheit einfach nicht gänzlich eingestehen. Gurgelnd beendete er seine Morgenwäsche und wischte sich den Mund ab. Er wickelte den Verband von seinem Arm und begutachtete die Wunde. Seine Vermutung vom Vorabend sollte sich bestätigen. Die Wunde war trocken. Zügig warf er sich das Shirt über den Körper und verließ das Bad. In einer flüssigen Bewegung öffnete er mit einer Hand seine Zimmertür und warf mit der Anderen seine Schlafsachen in sein Bett, ehe er die Tür wieder zuzog. Sein Weg führte ihn in die Küche. Er fasste einen Plan. „Tee, Frühstück und dann raus hier“, murmelte er und nickte bestätigend. Er schaltete den Wasserkocher an und griff nach einer Banane, die in einem Korb auf dem Tisch lag. Genüsslich biss er hinein und lauschte dem Wasser. Er wollte nur schnell einen Tee trinken, da durfte das Wasser nicht zu heiß werden. Als er die Schale der Banane in seiner Hand drehte, begann das Wasser dumpf zu rauschen. Aya schaltete den Wasserkocher ab und warf die Schale in den Müll. Mit einer Hand holte er sich eine Tasse auf dem Schrank über seinem Kopf, mit der Anderen angelte er sich das Tee-Ei mit seinem Lieblingstee, das er in die Tasse fallen ließ. Er goss das heiße Wasser darüber und zupfte an der kleinen Kette. Er beobachtete, wie das Wasser sich langsam verfärbte. Immer wieder ein hübscher Anblick, wie er fand. Nach einiger Zeit zog er das Ei aus dem Wasser, ehe es seinen Weg in die Spüle fand. Er setzte die Tasse an seine Lippen und blies über den Tee. Das Schlürfen kühlte den Tee weiter ab. Immer wieder nahm er kleine Schlucke zu sich, bis die Tasse halb leer war. Nun konnte er den Tee in der Tasse schwenken und sie dann in zwei großen Schlucken leeren. Die Tasse stellte er in das Abwaschbecken und verließ die Küche. Leise trat er die Treppe hinunter und griff sich im Vorbeigehen seine Jacke und seinen Schlüssel. Die Tür des Koneko schlug leise in ihr Schloss und er zog seine Jacke über seine Arme. Aya blickte in den Himmel. Strahlendes Blau und nur wenige, watteartige Wolken begleiteten den Sonnenschein. Es sah nach Sommer aus. Einzig die bunten, langsam kahler werdenden Bäume an den Straßen erinnerten ihn daran, dass der Hebst längst über das Land hereingebrochen war. Er zog den Reißverschluss der Jacke hoch und steckte seine Hände in die Taschen. Sein Blick heftete sich an die Fußgängerampel, die auf Grün umschaltete. Er beschleunigte seine Schritte. Er hatte keine Lust auf die nächste Grünphase zu warten. Mit langen Schritten joggte er über die Straße und wurde auf dem Fußweg wieder langsamer. Er folgte dem Weg zum Friedhof. An den Toren des Geländes überkam ihn ein Gefühl der Übelkeit und er verzog seine Mundwinkel. Noch einmal atmete er tief durch und betrat das Gelände. Aya trat an einen Rosenstrauch heran und sah sich um. Schnell brach er eine Knospe ab und lief auf dem Kiesweg weiter zu dem gesuchten Grab. Die Knospe legte er auf den glatten Stein. Er zog die zweite Hand aus der Jackentasche und hockte sich vor das Grab. Seine Finger verschränkten sich und seine Ellen lagen auf seinen Knien. Ein Mattes Lächeln zog sich über seine Lippen. „Ich habe es wieder nicht geschafft dir einen Blumenstrauß mitzubringen“, begann er und schnaufte amüsiert. „Und das als Florist“ Lange hockte er still vor dem Grab, las immer wieder den Namen seiner Schwester und neue Übelkeit überkam ihn. Er musste sich erheben und durchatmen. Seine Beine kribbelten unangenehm und sein Magen rumorte. Massierend rieb er sich über den Bauch, wollte wenigstens die Übelkeit etwas verdrängen. „Ich frage mich immer wieder, ob ich das Richtige getan habe“, flüsterte er und hoffe auf eine Bestätigung seiner Schwester. Er schüttelte den Kopf, wusste, dass er diese Bestätigung nicht erhalten würde. Immer wieder kreiste dieser Gedanke in seinem Kopf und er rief sich die Worte des Arztes ins Gedächtnis, seine Schwester sollte lieber in Würde gehen, solange es noch möglich war. Er schloss die Augen als er überlegte, wie viel Würde ein Mensch noch haben konnte, wenn er an Kabeln und Schläuchen hing und nicht mehr Herr über die lebenswichtigsten Körperfunktionen hatte. Eisige Schauer liefen über seine Haut. Das Bild von diesem Schlauch in ihrem Hals hatte sich für den Rest seines Lebens in seine Gedanken gebrannt. Das war der Moment gewesen, in dem er entschieden hatte, dass er ihr nicht mehr zumuten konnte. Sein Blick hob sich. Er hatte gar nicht bemerkt, wie er den Rückweg angetreten hatte. Nun stand er an der Ampel und wartete auf Grün. Mürrisch schnaufte er. Er hasste es zu warten. Oh, er war geduldig. Sehr sogar, doch er hasste es zu warten. In allen Lebenslagen. Drohend blickte er das rote Licht an und gab sich er Fantasie hin, die Ampel mit seinem Blick einschüchtern zu können. Ein Kind trat neben ihn und sah seine Mutter erwartend an. Aus dem Augenwinkel beobachtete Aya das Treiben neben sich, beendete seinen Einschüchterungsversuch jedoch nicht. Er sah, wie die Mutter sich neben ihr Kind hockte und sie zusammen zu der Ampel auf der gegenüberliegenden Seite pusteten. Seine Brauen hoben sich und er blickte neugierig auf die Zwei hinab. „Noch einmal! Ganz doll!“, spornte die Mutter an und beide pusteten voller Kraft. Augenblicklich ertönte das freudige Lachen des Kindes und Aya blickte auf die Ampel. Grün. Ein überraschter Laut entkam seiner Kehle und er blinzelte einmal, ehe er seinen Weg über die Straße antrat. Vielleicht war diese Ampel einfach nur kinderfreundlich. Dennoch verbot er es sich nicht, nahe an dem Ampelmast vorbei zulaufen und ihm einen leichten Tritt zu verpassen. Immerhin hatte sie nicht nach seiner Pfeife getanzt. Ein amüsiertes Lächeln zog sich über seine Lippen. Etwas kindliches schien noch immer in ihm zu sein. Ein beruhigender Gedanke. Seine gehobene Stimmung sank in sich zusammen, als er den Laden betrat und das feurige Haar erspähte. „Manx“, machte er sich bemerkbar und die Frau drehte sich zu ihm um. Sie war noch immer so schön, wie vor zehn Jahren und mit einem einzigen Blick erkannte er, dass Yoji noch immer genauso verrückt nach ihr war. Ruhig hängte er seine Jacke auf und legte seinen Schlüssel an seinen Platz. Sie hatten bis jetzt auf ihn gewartet, da würden sie die 30 Sekunden auch noch überstehen. Gemeinsam gingen sie in den Keller. Eine seltsame Stimmung legte sich über Aya. Etwas war anders und es schien nichts Gutes zu sein. „Das hier wird euer letzter Auftrag!“, drängte sich ihm Manx' Stimme auf und er presste die Kiefer zusammen. Er hatte es gewusst. „Was soll das heißen?“, fragte Ken lauernd und spannte seinen Körper an. Ein schneller Blick über den Rest des Teams bestätigte Aya, dass es sie alle traf. „Und dann?“, schob Ken nach. Yoji machte einen Schritt auf die Frau zu. Die Wut in seinem Blick wechselte sich mit Enttäuschung ab. „Sollen wir dann etwa alle gebündelt zum Arbeitsamt gehen?“, rief er und seine Stimme nahm einen hysterischen Unterton an. Manx blieb still und Yoji schnappte nach Luft. „Und? Was sind ihre Vorzüge gegenüber den anderen Bewerbern? … Och naja … ich kann gut Leute töten“, äffte er ein imaginäres Bewerbungsgespräch nach und Aya konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ihr könnt eure Sachen bis Ende des Monats hier lassen“, fand nun Manx ihre Stimme wieder. Sie reichte ihnen die Akten von ihrem Arm. Aya sah hinein und stutze. Datenbeschaffung. Was sonst? „Wir dürfen nicht mal mit einem Knall gehen“, murmelte Omi beleidigt und Aya hob seinen Blick. Das Entsetzen war deutlich in dem jungen Gesicht zu sehen. Er wusste, dass keiner seines Teams gerne tötete, doch mit einem solch popeligen Auftrag abgeschoben zu werden, glich einer Beleidigung. „Das Geld für diesen Auftrag bekommt ihr wie üblich“, gab Manx von sich und für einen Moment hatte Aya den Eindruck, dass es auch ihr leid tat. Sie verabschiedete sich kurz und verließ den Keller. „Mehr als zehn verdammte Jahre und das ist alles?“, rief Yoji wütend und warf die Akte an die Wand. Viele Informationen enthielt sie sowieso nicht. Aya ließ seine Akte auf das Sofa vor ihm fallen. Seine Wut war dem Entsetzen gewichen. Er hatte all seine Ersparnisse erst in die Gesundheit und Pflege seiner Schwester gesteckt und nur zurückbehalten, was er zum Leben brauchte und nun zahlte er die Beerdigung ab. Er spürte, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. Er hatte keinen müden Yen auf der hohen Kante und musste bis Ende des Monats umziehen. Mit einem Gefühl der Angst sah er zu der Uhr an der Wand und schluckte trocken. Sie hatten bereits den 18. des Monats erreicht. Er würde das Geld dieses Auftrags komplett in eine neue Wohnung und Möbel stecken müssen. „Na kommt! Wir müssen los!“, riss ihn Kens Worte aus seinen Gedanken. Er blickte auf sein Team, das sich langsam in Bewegung setzte. Yojis Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufsehen. „Wird schon“, war alles und er nickte. Was hatte er schon für eine Wahl? Kapitel 3: Akt III ------------------ Still hockte er auf dem Dach im Schutze der Klimaanlage und beobachtete den Vordereingang des zweistöckigen Gebäudes. Sein Schwert zog er eng an seinen Körper, war es doch bis auf ein paar wenige Habseligkeiten sein einziges Eigentum. Seine Gedanken hingen an dem bevorstehenden Umzug. Wie sollte er nur in weniger als zwei Wochen eine neue Wohnung finden? In den Randbezirken könnte er Glück haben, doch da wollte niemand wirklich wohnen. Vielleicht konnte er sich bei verschiedenen Blumenläden vorstellen, immerhin hatte er ein Jahrzehnt Erfahrung in diesem Beruf, auch wenn er keine Ausbildung hatte. Wenn er damit Erfolg hatte, konnte er sich eine Wohnung in der Nähe suchen. Bestätigend nickte er. Das klang nach einem guten Plan. „Hab' alles!“, ließ Omi durch das Headset und Aya erhob sich. Der kalte Wind zog an seinem Mantel und sein Blick schweifte über die Lichter der Stadt. Für einen Moment wünschte er sich wenigstens noch einmal auf Schwarz zu treffen. Ein letzter Kampf klang für diesen Moment sehr verlockend. Er riss sich los und begab sich die Treppe hinunter. Seine Gedanken glitten zu den vier Männern ab. Es war schon über drei Monate her, dass sie das letzte Mal aufeinander getroffen waren. Ob sie überhaupt noch lebten? Kurz zuckte er mit den Achseln. Am Ende sollte es ihm gleich sein. Er war jetzt immerhin Pensionär. An Yojis Seven wurde er schon erwartet. Omi wackelte mit der externen Festplatte und Yoji zündete sich eine Zigarette an. Aya blieb stehen. Dieses Bild wollte er sich bewahren. Seine drei besten Freunde und Kollegen zusammen. Er atmete durch und schritt auf sie zu. „Das war's“, bemerkte er und erntete trauriger werdende Gesichter. „Wer will was trinken gehen?“, fragte Yoji mit der Zigarette zwischen den Lippen und einem geschafften Unterton. Vier Hände reckten sich stumm in die Höhe. Es war beschlossen. Sie stiegen in den Wagen, fuhren zum Laden um sich umzuziehen und die Festplatte sicher zu verstauen und trafen sich nur wenige Minuten später in ihrer Alltagskleidung wieder am Auto. „Ich kenne einen guten Laden“, meinte Yoji und winkte seine Kollegen mit sich. Stille beherrschte die Fahrt über den Wagen, doch Aya konnte nicht sagen, dass sie unangenehm war. An der Bar angekommen stiegen sie aus und traten zusammen ein. Schnell wurde ihnen ein Tisch angeboten und Aya sah sich in dem überfüllten Laden um. „Vier Kurze!“, hörte er Yoji bestellen. Kurze Zeit später stand das Tablett mit der Bestellung zwischen ihnen. „Also dann. Auf das Ende!“, rief Yoji und griff sein Glas. In einem Zug leerte er es und stellte es geräuschvoll auf den Tisch. Er schüttelte sich. Kurz verzog Aya die Lippen, doch er würde nicht meckern. Mit Ken und Omi schüttete er sich die farblose Flüssigkeit synchron in den Rachen, stellte sein Glas ab und schüttelte sich. Es war eiskalt in seinem Hals und brannte. Genau was er brauchte. Kurz blickte er in die Runde, ehe er schnaufte. „Ich heiße übrigens Ran“, meinte er, wie nebensächlich und spürte die ungläubigen Blicke auf sich. Erneut schnaufte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Yojis ungläubiger Blick allerdings amüsierte ihn. „Ich dachte mir, nun ist es auch egal, also …“, schob er nach und hob gleichgültig die Schultern. „Darauf noch eine Runde!“, hörte er Yoji und schmunzelte. Die Stunden vergingen und sie tranken. Yoji zahlte und sie bemühten sich einigermaßen geradlinig zum Auto zu kommen. Schwer ließ Ran sich in das Polster fallen. Sein Kopf war wunderbar leicht und sein Körper warm und schwer. Er hatte den richtigen Moment gefunden um aufzuhören. So konnte er ins Bett gehen und würde fantastisch schlafen ohne am nächsten Morgen Kopfschmerzen zu fürchten. „Ich glaub mir ist schlecht“, hörte er Omis verzweifelte Stimme. Er hatte jedoch nicht die Muße sich ihm zuzuwenden. „Dann fährst du aber mit dem Bus! Da kannst du dich gern übergeben.“, bestimmte Yoji hektisch. Sein Auto war ihm eben heilig. „Aber du kannst ihn doch nicht allein mit dem Bus fahren lassen!“, protestierte Ken. Ran schloss entspannt die Augen. Diese Streitereien würden ihm fehlen. Es würde verdammt ruhig in seinem Leben werden. Mit einem Lächeln auf den Lippen sank er unbemerkt in einen leichten Schlaf. Erst die warmen Finger an seinem Hals lockten ihn aus dem Schlaf zurück. Er sah zur Seite und erblickte Yojis unheilvoll lächelndes Gesicht. „Ich bin zu betrunken um noch irgendwo hin zugehen, bin aber scharf“, erklärte er knapp seinen Zustand und seine Finger strichen weiter über Rans Hals, wanderten zu seinem Schlüsselbein. Ran seufzte angetan. „Aber wenn du mich jetzt schubst, muss ich auch mit dem Bus fahren“, ließ er verlauten und hörte Yojis Lachen. „Das wäre blöd, oder?“, kicherte er und Ran nickte mit geschlossenen Augen. „Dann schubs du doch“, kam es amüsiert an sein Ohr und Ran schlug die Augen auf. Hatte er sich verhört? Skeptisch sah er zu Yoji hinüber. Dieser schien seinen Blick deuten zu können und winkte ab. „Ich bin so betrunken, mir ist grade alles egal, solange ich … Erleichterung erfahre“ Misstrauisch zog Ran eine Braue nach oben. „Dann wird aber immer noch geschubst“, gab er zu verstehen und rieb sich leicht über den Magen. Er hörte Yojis schweres Seufzen. „Dann lenk mich wenigstens etwas ab, bis ich weiter fahren kann“, hörte er ihn murmeln. „Was fängst du mit deinem neuen Leben an?“ Ran schluckte trocken. „Keine Ahnung“, begann er und die Freuden des Alkohols schienen wie weggewischt. Er wusste nicht, was er nach Weiß tun sollte. Er hatte nicht mal einen „alten Beruf“ in den er zurückkehren konnte. „Und du?“, fragte er um von sich abzulenken. „Ich gehe zurück, denke ich. Schnüffler werden schließlich immer gebraucht“ Das Kichern neben ihn ließ Ran noch tiefer in seiner beginnenden Verzweiflung versinken, aus der ihn erst das Klingeln von Yojis Handy riss. „Wo verdammt noch mal seit ihr?“, dröhnte Kens wütende Stimme durch die Dunkelheit. „Omi ist eingeschlafen. Er hätte ruhig mit dir mitfahren können. Er hat sich nicht mal übergeben … Gut, ok. Einmal. Aber einmal ist bekanntlich keinmal. Also wo seid ihr? Es ist schweinekalt und ich habe keinen Schlüssel“ Yoji unterbrach Kens Schimpftirade indem er auflegte. „Also ab nach Hause“, murmelte er und atmete tief durch um sich zu konzentrieren. „Und du bist sicher, dass du fahren kannst?“, fragte Ran skeptisch und Yoji schüttelte den Kopf. „Nö“, war die knappe Antwort und Yoji trat aufs Gas. Ran japste. Zu gern hätte er geschrien. Wahlweise gerne auch wie ein Mädchen, doch ihm fehlte vor lauter Anspannung die Luft um seiner Angst eine Stimme zu geben. Yoji heizte mit einer Geschwindigkeit durch die Straßen, die mit viel Wohlwollen als wahnsinnig bezeichnet werden konnte. Erst am Koneko fand Ran wieder die Luft zum Reden. „Bist du bescheuert?“, wimmerte er, als er seine Finger aus dem Polster löste. „Willst du uns umbringen?“ Yoji lachte melodisch und schwang sich aus dem Wagen. Starr vor Schreck sah Ran ihm noch etwas nach, ehe er sich selbst aus dem Auto bewegte. „Wir wollen den Kleinen doch nicht warten lassen. Nicht dass er noch krank wird“, scherzte Yoji beschwingt und öffnete die Tür des Ladens. Kens ungläubiger Blick traf Ran. „Du hast ihn so fahren lassen?“, fragte er tonlos und Ran schluckte. „Ich wusste nicht, dass er so fahren kann“, gab er ebenso zurück und betrat den Laden. Sein Körper und sein Geist brauchten jetzt wirklich Ruhe. Er wollte nur noch in sein Bett. Ab morgen würde alles anders werden. Kapitel 4: Akt IV ----------------- Erschöpft ließ Ran sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick wanderte über die Pappkisten, die er mit seinen wenigen Habseligkeiten gefüllt hatte. Seit vier Tagen suchte er nun intensiv nach einer neuen Wohnung. Den Laden hatten sie seit ihrem letzten Auftrag geschlossen. Sie alle hatten wichtigeres zu tun, als sich um den Laden zu kümmern. Ran fand das nur fair. Sollten sich seine ehemaligen Chefs doch einen Kopf machen, was aus dem Laden wurde. Er seufzte. Natürlich tat es ihm um den Laden leid. Immerhin hatte er zehn Jahre hier verbracht und er hatte seinen Job wirklich gern gemacht. Das Klingeln eines Handys riss ihn in die Realität zurück. Er nahm das Handy, das Yoji ihm für die Wohnungssuche geliehen hatte und nahm das Telefonat an. „Hallo?“, begann er und lauschte der geschäftigen Stimme der Frau am anderen Ende. „Herr Fujimiya? Ich kann Ihnen die Wohnung schon heute zeigen, an der Sie Interesse hatten. Ich weiß, es ist sehr spontan, aber ... Können Sie in den nächsten zwei Stunden vorbeikommen?“ Ran bestätigte den Termin und legte auf. Ohne weitere Zeit verstreichen zu lassen nahm er sich seine Jacke und das Handy und verließ das Zimmer. Omi kam ihm schnaufend auf der Treppe entgegen und Ran sah ihn nur fragend an. „Ich habe ein Jobangebot bei einer Computerfirma erhalten. Aber sie wollen, dass ich zu ihnen in die Nähe ziehe“, gab er keuchend Auskunft und stützte seine Hände auf seine Knie. „Ist dein Auszug dann nicht übereilt?“, wollte Ran wissen und Omi schüttelte den Kopf. „Musste alles ganz schnell gehen. Ich soll schon übermorgen dort anfangen“ Überrumpelt nickte Ran und trat langsam an Omi vorbei. Das musste er erstmal verarbeiten. In dieser Geschwindigkeit hätte er auch gerne einen Job in der Tasche, dennoch freute er sich für den Kleinen. Nun war schon mal einer von ihnen einen Schritt weiter gekommen. Sein Weg führte ihn zu dem Gebäude, in dem die Wohnung seines Interesses lag. Es war eine der vielen alten Lagerhalle gewesen, die vor etlichen Jahren zu großen und kleinen Wohnungen umgebaut wurden. Die Wohnung, die er wollte lag in der oberen der zwei Etagen. Ein Zimmer, offene Küche, Bad mit Wanne und Fenster. Alles zusammen auf 40 Quadratmetern. Perfekt. Der Preis war unschlagbar. Ein wenig lächelte Ran. Omi hatte für ihn ein paar Gerüchte über diese Wohnung im Internet gestreut, die ihren Wert schmälerten und all zu neugierige Interessenten fernhalten sollten. Er atmete durch und trat auf die Frau zu, die sich suchend umsah. „Herr Fujimiya?“, fragte sie nach und er nickte knapp. Sie lächelte und strich sich einige Haare hinter ihr Ohr. Sie war offensichtlich von ihm begeistert. Ein schmales Lächeln zog sich über seine Lippen. Ohne ein weiteres Wort folgte er ihr in die Wohnung und gab sich unbeeindruckt. Dabei reizten ihn die bis zu drei Meter hohen Decken mit ihren Stahlträgern und großen Fenstern. Er nickte nur und verzog keine Miene. Still ließ er sich das quadratische Bad mit Wanne und Anschluss für die Waschmaschine zeigen. Erneut nickte er. Die Frau wurde langsam nervös. Das konnte er ihr ansehen. Sie schien noch nicht sehr erfahren in ihrem Beruf zu sein. Seine Chance! „Ich habe da einiges über diese Wohnung gehört“, warf er ein und sah sich noch einmal in dem Wohn – und Essbereich um. Die Frau lächelte nervös. „Alles Gerüchte!“, verteidigte sie ihre Immobilie und Ran sah sie durchdringend an. Er wusste genau, wie er mit diesem Blick wirken konnte. Kurz erstarrte die Frau und strich sich nervös die Haare hinter das Ohr. „Ich muss mal kurz telefonieren“, gab sie von sich und trat von ihm weg um ihr Handy zu ziehen und eine Nummer zu wählen. Ran konnte das Gespräch nicht verfolgen, doch er hatte eine Ahnung, worum es darin ging. Sein Blick wanderte über die schlichte Einbauküche. Sie war ausreichend. Er brauchte nicht viel für den Anfang. Ein Bett, eine Couch und ein paar Kleinigkeiten würden für den Start in dieses neue Leben genügen. „Zehn Prozent kann ich noch mit dem Preis herunter gehen“, erklärte die zarte Stimme hinter ihm hoffnungsvoll. Kurz zuckte Rans Mundwinkel, ehe er sich mit ausdruckslosem Gesicht umsah. Schnell rechnete er im Kopf. „Zwei Kaltmieten Kaution?“, vergewisserte er sich und sie nickte. Er kam zu ihr, stellte sich dicht neben sie und sah auf die Papiere auf ihrem Klemmbrett. „Schreiben Sie es auf!“, bestimmte er und legte seinen Finger auf das Papier. Zittrig kam sie seinem Wunsch nach und sah ihn erwartend an. Er griff in die Tasche seiner Jacke. Ein kleines Bündel Scheine legte er auf ihr Klemmbrett und entzog ihren schlanken Fingern den Schlüsselbund für diese Wohnung. „Dann wäre ja alles geklärt“, meinte er, während er die Quittung ausfüllte und auf der hintersten Seite des angehefteten Mietvertrags unterschrieb. „Einfach die Tür zuziehen“, gab er von sich, ehe er die Frau in der Wohnung zurückließ. Das Handy klingelte und er nahm ab. „Hey, wie sieht es aus?“, fragte Yoji neugierig. „Alles erledigt. Ich ziehe dann morgen um“, gab er als kurze Antwort zurück und legte auf. Alles Weitere konnte er später erzählen. Jetzt musste er sich erst mal um ein Bett kümmern. „Nicht weinen“, bat Ken Omi zum x-ten Mal an diesem Abend. Die blauen Augen ihres Jüngsten waren gerötet und er zog immer mal verdächtig die Nase hoch. „Aber ich gehe jetzt und Ran zieht morgen auch aus. Wir müssen unbedingt in Verbindung bleiben!“, bestimmte er und widerstand dem Drang nicht sich Ken in die Arme zu werfen. „Auf jeden Fall!“, gab Ken zurück. Ran hob irritiert eine Augenbraue. Klang Kens Stimme etwa gerade genauso zittrig? Ken löste sich, schniefte kurz und räusperte sich dann. „Komm! Sonst verpasst du deinen Flug!“, rief Yoji aus dem Seven und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Omi sah zu Ran und ein schweres Schlucken ging durch seine Kehle. Er hatte den Kleinen erwachsen werden gesehen. Eine seltsam melancholische Stimmung legte sich über ihn und er schnaufte ergeben. „Na komm schon her!“, gab er sich geschlagen und spürte nur Sekunden später Omis Körper an seinem. Fest krallten sich Omis Finger in sein Shirt und seine Schultern begannen zu beben. „Nicht weinen!“, bat Ran und fühlte sich im selben Moment überfordert mit der Situation. Er konnte nicht gut trösten. „Wir sind ja nicht aus der Welt und wir sehen uns sicher schneller wieder, als du uns vermissen kannst“, zählte er alle tröstenden Worte auf, die er kannte. Es schien zu helfen. Omi löste sich ein wenig, schniefte leise und nickte. Rüde rieb er sich über die Augen und löste sich gänzlich um zu Yoji in den Seven zu steigen. Tief atmete Ran durch und ging in den Laden zurück. „Es wird still werden“, hörte er Ken sinnieren und nickte nur. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Diese Stille würde wohl am meisten an ihm nagen. Jetzt, wo er sich endlich an die Geräusche der anderen gewöhnt hatte, wurde es wieder still um ihn. Ran ging in sein Zimmer und sah auf die wenigen, gestapelten Kisten. Er würde wohl nur einmal fahren müssen. Die Bauteile für sein Bett hatte er bereits in seiner neuen Wohnung. Morgen war also nichts anderes zu tun, als sein Bett aufzubauen und sich einzurichten. Sein Blick wanderte auf seinen Wecker. Kurz vor 20 Uhr. Jede Menge Zeit zum Nachdenken. Er musste sich ablenken. Entschlossen trat er auf den Flur hinaus und fing Ken ab. „Hilfst du mir meine Sachen rüber zu bringen?“, fragte er und Kens Miene hellte sich auf. Offensichtlich war auch er froh nicht trübsinnig in seinem Zimmer sitzen zu müssen. Schnell nickte er noch zur Bestätigung und Ran öffnete seine Tür weiter, um Ken einzuladen. Schneller, als gedacht hatten sie die Kisten erst in Rans Porsche und dann in seine neue Wohnung getragen. „Schick“, bemerkte Ken und nahm Ran die Flasche ab, die er ihm reichte. Mit einem zischen öffnete Ran sein Bier stellte sich neben Ken und sah in seinen Wohnraum, ehe er ihm den Flaschenöffner reichte. Ein weiteres Zischen erklang und gemeinsam setzten sie die Flaschen an ihre Lippen. „Das ist ja warm!“, schnaubte Ken und sah angewidert auf die Flasche. „Hab dich nicht so. Ich bin grade erst eingezogen“, konterte Ran unberührt und trank noch einen Schluck. Dabei wanderte sein Blick auf die Wanduhr, die er mitgenommen hatte. Viertel elf. Na es ging doch! Er war erfreut. Jetzt zurück, heiß duschen, ins Bett und der Tag wäre geschafft. „Lass uns zurück. Yoji sollte auch schon wieder da sein. Dann essen wir noch was zusammen“ meinte Ken und trat den Rückzug aus der Wohnung an. Seine Flasche leerte er im Gehen und stellte das leere Behältnis auf das Fensterbrett neben der Eingangstür. Ran schenkte ihm einen mürrischen Blick. „Ist doch dein Pfand“, war die Antwort und Ken zuckte mit den Schultern. Ran folgte ihm unter einem leisen Knurren. Er würde das alles sehr vermissen. Kapitel 5: Akt V ---------------- Genüsslich streckte Ran sich in seinem Bett aus und gähnte herzhaft. Ein schneller Blick auf seinen Wecker verriet ihm, dass es kurz vor acht Uhr war und er streckte sich zufrieden erneut auf. Sein zweiter Blick heftete sich auf die Stahlträger unter seiner Decke. Seit einer Woche erwachte er in dieser Wohnung und hatte sich bereits eingelebt. Gut, er suchte in der Nacht noch häufig den richtigen Lichtschalter, doch das würde sich sicher noch geben. Er schwang die Beine aus dem Bett und lief in Shorts in die Küche. Etwas, dass er zuvor nicht gewagt hätte. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Das Alleinwohnen hatte eindeutig auch seine Vorteile. So oft, wie er in der letzten Woche nackt oder in Shorts durch diese Wohnung gelaufen war, war er wohl bis dahin in seinem ganzen Leben nicht gewesen. Beim Vorbeigehen schaltete er den Wasserkocher ein und warf einen Teebeutel in die bereitstehende Tasse. Heute Nacht hatte er nur einen Schluck Wasser daraus getrunken. Vom Kühlschrank nahm er die Fernbedienung für die Minianlage und schaltete sie ein. Musik schallte durch die ganze Wohnung. Die Wände waren dick und seine Nachbarn hatten sich bis jetzt noch nicht bei ihm beschwert. Er hatte gefallen an Musik in seiner Wohnung gefunden. Diese Anlage hatte einen tollen Sound. Ein Einzugsgeschenk von Omi. Er hatte ein großes Paket geschickt. „Damit du dich erst gar nicht an die Stille gewöhnst! (Ich bin da günstig dran gekommen, also keine Sorge ;-))“, stand auf dem beigelegten Zettel. Amüsiert schüttelte Ran den Kopf und goss das Wasser auf den Teebeutel. Er zupfte an der Schnur und die Farbe des Tees verteilte sich im Wasser, färbte es dunkel. Das Handy klingelte und er ging ran, ohne auf das Display zu sehen. Es gab nicht viele Menschen, die seine Nummer hatten und von diesen riefen noch weniger an. „Jupp?“, fragte er und hörte wie der Anrufer Luft holte. „Alter, du bist echt schon wieder vor um Acht wach?“, japste Yoji und Ran konnte sich vorstellen, wie er sich an die Stirn griff. „Du doch auch“, konterte er und klemmte sich das Handy zwischen Schulter und Wange um den Teebeutel ausdrücken zu können. „Nein. Ich bin immer noch wach und in deiner Nähe. Frühstück, bevor ich scheintot ins Bett falle?“ Ran zog die Brauen nach oben und sah an sich herunter. „Ähm...“, begann er und spürte, wie seine Wangen zu brennen begannen. Auch wenn Yoji ihn schon ganz anders gesehen hatte, wollte er nicht halbnackt die Tür öffnen. Mit rasender Geschwindigkeit überlegte er, was er noch anzuziehen hatte. Gestern hatte er gewaschen. Seine Kleidung hing im Bad und trocknete. Er schluckte hart, als ihm einfiel, dass nur noch ein schwarzes, viel zu großes Achselshirt in seinem Schrank auf ihn wartete. Besser als nichts. „Du besorgst noch Brötchen!“, bestimmte er und legte hektisch auf. Den Teebeutel warf er in den Müll, das Handy auf die Arbeitsplatte. Mit langen Schritten lief er ins Bad und griff nach seinen Hosen. Alle noch mehr als klamm. Nichts, was er auf der Haut spüren wollte. Er schnaufte resignierend und massierte sich die Nasenwurzel. Dann musste es eben ohne Hosen gehen. Für ein Frühstück mit Yoji würde es schon reichen. Das Klingeln an der Tür rief ihn zurück. Schnell ging er zu seinem Schrank und holte das letzte Stück Stoff hervor. Im Gehen warf er es sich über und öffnete die Tür. Yoji musterte ihn erst überrascht, dann schlich sich ein dreckiges Grinsen auf seine Lippen. „Drohung oder Angebot?“, schnurrte er und trat an Ran vorbei in die Wohnung. „Wenn du weiter so grinst werfe ich dich gleich wieder raus!“, grollte Ran und schloss die Tür. „Kaffee?“, überging Yoji Rans Grollen und trat in die Küche um sich umzusehen. „Kein Kaffee, nur Tee“, enttäuschte Ran ihn. Yoji schnaufte. „Gut. Dann eben nur ein Wasser“, begnügte er sich und ging ins Wohnzimmer um sich auf die Couch fallen zu lassen. „Bitte schnell, Herr Ober, sonst schlafe ich auf Ihrer Couch ein!“, neckte Yoji und Ran ließ sich dieses Spiel gefallen. Er nahm ein Glas und füllte es mit Wasser, ehe er sich ein Küchentuch über den Unterarm warf und mit dem Glas zu Yoji ging. Ran stellte das Glas ab und verbeugte sich dabei höflich. „Bitte der Herr. Das macht dann 12000 Yen“ Er hörte wie Yoji nach Luft schnappte. „So viel habe ich nicht bei mir!“ Ran lächelte diabolisch, als er sich erhob. „Dann werden Sie es wohl abarbeiten müssen. Die Fenster müssen geputzt, der Boden gesaugt und Staub gewischt werden“, ordnete Ran an und sah, wie Yojis Gesicht immer mehr Züge verlor. „Ich habe Frühstück mitgebracht“, versuchte Yoji ihn zu beschwichtigen und hielt ihm eine Tüte entgegen. Ran stürzte nachdenklich die Lippen und zog die Brauen zusammen. Dann entspannte er seine Züge und nickte. „Na gut!“, gab er von sich und setzte sich neben Yoji. Zusammen begannen sie zu essen. „Wie läuft die Jobsuche?“, fragte Yoji mit vollem Mund, als er sich das letzte Stück seines Frühstücks hineingestopft hatte. „Nicht gut“, gab Ran als Antwort und biss von dem Brötchen ab. Er wischte sich beim Kauen die Krümel von den Lippen und schluckte. „Ich komme noch über den nächsten Monat, danach muss ich mir überlegen, wie ich meinem Vermieter aus dem Weg gehe“ Ran lachte leise. Dass seine Worte gelogen waren, war sicher auch Yoji klar, denn er schnaufte und stützte sich mit den Ellen auf die Knie. „Ich kann dir helfen, Ran“, wurde er ernst und Ran legte das Brötchen weg. „Ich weiß, aber ich kann dir doch nicht so auf der Tasche liegen. Ich bekomme das schon hin.“, wehrte Ran ab, spiegelte Yojis Haltung und sah auf seinen Teller. „Glaub mir! Ich weiß was so eine Beerdigung kostet. Bis auf deinen letzten Lohn bist du völlig blank, oder?“, mutmaßte er und Ran schluckte trocken. Sein letzter Lohn war fast aufgebraucht. Er würde gerade noch für die nächste Miete reichen, wenn Ran keinen Yen mehr ausgab. Einmal mehr, war er froh darüber, die Miete so heftig hatte drücken zu können. Günstiger hätte er nicht mal am Stadtrand wohnen können. Innerlich schickte er einen Dank an Omi. „Was hältst du davon, wenn ich mich einfach mal etwas umhöre, ob irgendwer jemanden sucht?“, bot Yoji an und Ran spürte seinen eindringlichen Blick auf seiner Schulter. Er dachte an die letzten Tage, in denen er jedes Blumengeschäft der Stadt abgeklappert hatte. Entweder waren sie voll besetzt, oder sie wollten den Nachweis einer Ausbildung. Auch im Sicherheitsbereich hatte er keinen Erfolg gehabt. Ran glaubte, dass in dieser Branche Kritiker die Finger im Spiel hatten. Einen so gefährlichen Mann wie Ran wollten sie sicher nicht in diesem Bereich außerhalb ihrer Hierarchie haben. Aber das war nur eine Vermutung. Ergeben nickte er. „Das wäre nett. Danke“, kam es leise über seine Lippen und sofort legte sich ein unangenehm pelziges Gefühl auf seine Zunge Yoji zur Last zu fallen. Unzufrieden mit sich aß er auf und unterhielt sich mit Yoji über Gott und die Welt. „Es gibt da wen“, begann Yoji unvermittelt und begann zu lächeln. Ran hob neugierig eine Augenbraue. Er wusste sehr wohl, dass Yoji auf der Suche war. Auf der Suche nach etwas Festem, auch wenn er sich als den unnahbaren Frauenhelden gab. Es erinnerte sich an den Anfang ihrer seltsamen Verbindung. Yoji hatte eine Freundin. Ganz heimlich. Nur einen Tag, vor Rans schmerzhafter Entscheidung seine Schwester gehen zu lassen hatte Yojis Freundin ihn verlassen. Die Kombination aus zwei verzweifelten Männer und Unmengen an Alkohol konnte nicht gut enden. Sie hatten beide jemanden gebraucht, der sie tröstete. Aus dem Augenwinkel sah er zu Yoji, der von dieser wunderbaren Frau sprach und ein Lächeln huschte über seine Lippen. Sie brauchten niemanden mehr, der sie tröstete. Diese Phase war vorbei. So sehr vorbei, wie diese besondere Freundschaft zwischen ihnen. Nun war diese Schnüffler mit den tiefen Augenringen nur noch einer seiner besten Freunde, wenn nicht gar der beste Freund. Und Ran war froh darüber. Seine Angst diese Freundschaft aufs Spiel gesetzt zu haben verblasste immer mehr. „Und?“, wollte Yoji neugierig wissen. Ran hatte nicht alles verstanden, doch der Ausdruck in Yojis Gesicht ließ für ihn nur eine Antwort zu. „Ich freue mich für dich. Du hast es verdient. Genieße es einfach!“, gab er von sich und Yojis Gesicht hellte sich noch mehr auf. „Nun werde ich aber heimgehen Ich bin völlig erledigt.“, erklärte er und erhob sich, ging auf die Wohnungstür zu. „Wir hören die Tage von einander!“, versprach er und zog die Tür ins Schloss. Ran seufzte und stützte die Hände in die Hüften. Ihn beschlich das Gefühl, dass es von nun an besser werden würde. Kapitel 6: Akt VI ----------------- Zitternd zog Ran den Schal um seinen Hals fester. Er war immer noch entsetzt, wie kalt es in nur drei Wochen werden konnte. Gut. Sie hatten mittlerweile Mitte Oktober. Da waren Temperatureinbrüche nichts Ungewöhnliches. Doch nur noch fünf Grad waren ihm einfach zu wenig. Ungeduldig stemmte er sich von einem Bein auf das andere, während er an der Ampel auf Grün wartete. Sein Atem schlug kleine Nebelwolken vor seinem Gesicht und er schnaufte. Wie kam Omi eigentlich dazu, ihn früh um sechs Uhr zu einem Treffen zu bitten. Jetlag hin oder her. Das war einfach keine Zeit für ein Treffen unter Freunden. Aber der Kleine verstand es hervorragend, ihn um den Finger zu wickeln. Ganz lieb „Bitte, bitte!“ sagen und ein wenig darauf herumreiten, dass sein Flieger nun mal um vier Uhr dreißig landete. Endlich schaltete die Ampel um und Ran lief mit langen Schritten über die Kreuzung. Er wollte nicht länger als nötig in der Kälte verweilen. Er öffnete die Tür des Cafés und stockte. Da saßen sie und lachten. Die ganze Bagage. Ran schmunzelte. Ken und Yoji scherzten und Omi aß. Ran blinzelte. Omi aß Abendbrot. Leicht massierte Ran sich die Nasenwurzel. Wenn er schon früher nicht wegen diesem irren Haufen in die Anstalt eingewiesen wurde, würde er dieses Treffen sicher auch überstehen, obwohl er noch keine Prognose über die Spätfolgen machen wollte. Noch einmal atmete er durch und trat auf die fröhliche Gruppe zu. „Guten Morgen“, begann er und wurde hektisch von Omi zum Sitzen gebeten. Er konnte nur wild gestikulieren, da er den Mund voll hatte. Dabei erhob er sich ein wenig von seinem Platz. Ran stutzte. Omi trug einen Anzug. Dunkel, modern, mit Nadelstreifen. Dieses Bild war grotesk. Nein. Es war falsch! So sollte ein Junge wie Omi nicht aussehen. Er sollte Shorts tragen und das kindliche in ihm bewahren. Er schüttelte den Gedanken ab und setzte sich. Augenblicklich kam eine Kellnerin und stellte ihm eine dampfende Tasse vor die Nase. Ran sah verwirrt hinein. „Grüner Tee, stimmt's?“, wollte Omi wissen und Ran nickte dankbar. Der Kleine war wirklich aufmerksam. Schon immer gewesen. Genüsslich schlang er seine Finger um die warme Tasse und wärmte sich. „Nun sind wir alle da. Los! Erzähl, wie es dir ergangen ist, bis jetzt!“, forderte Ken ungeduldig, und Omi begann zu erzählen. Er schwärmte von seinem Büro und seinen Kollegen, unter ihnen wohl auch ein paar ehemalige Hacker. Omis Freude war fast körperlich zu spüren und Ran war zufrieden. Wenigsten zwei von ihnen waren in ihrem neuen Leben angekommen. Sein Blick wanderte zu Ken. Von Yoji wusste Ran, dass er noch immer sehr mit der Umstellung kämpfte. Einzig das Fußballspiel gab ihm wohl etwas Halt. Ran schluckte kräftig. Mit Ken im Hinterkopf kam ihm seine Situation gar nicht mehr so schlimm vor. Die Zeit strich voran und schon bald verabschiedete sich Omi mit einem versteckten Gähnen. „Tu mir leid. Aber ich muss ins Bett. Wir sehen uns vor meinem Rückflug übermorgen sicher noch einmal“, entschuldigte Omi sich und Ran nickte ihm zu. Er sollte sich ausruhen. Ken bot ihm an, ihn zu seinem Hotel zu bringen und zusammen verließen sie das Café. „Ein ganz schöner Überflieger, unser Kleiner“, begann Yoji und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ganz schön dumm von denen, einen wie Omi gehen zu lassen“ Ran nickte. Er wusste, wen Yoji meinte. Auch ihm entzog sich, warum Kritiker den Jungen hatte gehen lassen. Omi war jung und hochspezialisiert. So jemanden ließ man nicht einfach gehen. Schnaufend schüttelte er den Gedanken ab. Das war nichts mehr, was ihn etwas anging. Das Räuspern von Yoji ließ ihm Rans ganze Aufmerksamkeit zu Teil werden. „Was ist los?“, fragte Ran und Yoji rieb sich nervös über den Hinterkopf. Diese Reaktion ließ ihn den Kopf skeptisch zurückziehen. Schnell winkte Yoji ab. „Vergiss es!“, meinte er schnell und trank an seinem Kaffee. Ran schnaufte. „Los! Rede!“, grollte er leise und sah, wie Yoji sich aufrechter hinsetzte. Was wollte dieser Mann ihm sagen? Hatte er eine unheilbare Krankheit? Würde er für immer fortgehen? Hatte er seine Freundin geschwängert? „Ich hätte einen Job für dich“, kam es unwillig von Yoji und Ran entfuhr ein überraschter Laut. Damit hatte er nun nicht gerechnet. „Ok“, gab er seine Aufmerksamkeit bekannt und sah Yoji weiter skeptisch an. Dieser wand sich wie ein Aal im Netz. Was konnte das nur für ein Job sein? Drogendealer? Samenspender? „So eine Art Begleitservice“, warf Yoji ihm hin. Naja, fast, dachte Ran sich und trank an seinem Tee. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er die Tragweite von Yojis hingeworfenem Wort begriff. „Ich soll was?“, platze es nach dem Begreifen aus ihm heraus. Yoji hob beschwichtigend die Hände. „Nicht so, wie du denkst!“, verteidigte Yoji sich und rückte mit dem Stuhl etwas vom Tisch ab. Offensichtlich hatte er Rans Schnelligkeit und seine langen Arme nicht vergessen. Dunkel knurrte er Yoji an, schenkte ihm einen seiner finstersten Blicke. „Das kann nicht dein Ernst sein.“, schnaubte er. Yoji schüttelte den Kopf. „Das ist anders. Sehr viel besser, als du dir das jetzt vorstellst. Gib mir etwas Zeit um es dir zu erklären“, bat Yoji und Ran musterte ihn argwöhnisch. Er nahm sich vor, Yoji dir Freundschaft zu kündigen, wenn dieser ihn an den Bürgersteig stellen wollte um Männer aufzureißen. „Ich höre!“, zischte er bedrohlich und sah Yoji mahnend an. Ein weiteres Mal atmete Yoji tief durch. Es schien ihm wirklich unangenehm zu sein. Wie sollte das ein guter Job sein, wenn der Überbringer sich schon unwohl fühlte? Rans Brauen zogen sich weiter zusammen. „Es ist eine Agentur. Kein Bordell oder so etwas in der Richtung. Sehr seriös, streng kontrolliert. Da kommt auch nicht jeder hin. Sie bewegen sich in der gehobenen Gesellschaft. Meist sind es Leute, die nicht allein zu einer Veranstaltung gehen wollen und dich in dieser Agentur jemanden „ausleihen“. Meist ganz harmlos und es bringt gutes Geld“, gab Yoji ihm zu verstehen und Rans Brauen entspannten sich, ehe sie sich zum Haaransatz hochzogen. „Escort, also?“, fragte er nach. Er hatte versprochen Yoji Zeit zu geben, sich zu erklären. Dieser wankte jedoch mit dem Kopf hin und her. „Naja … Escort Plus?“ Yoji zog scharf die Luft ein und versuchte sich an einem verzeihenden Gesichtsausdruck. Ran entglitten die Gesichtszüge. Das konnte Yoji nicht ernst meinen. Schnell trank er seinen Tee aus und stellte die Tasse ab. Dann erhob er sich ohne ein weiteres Wort, griff gleichzeitig die Jacke, die über seiner Lehne hing und zog sie an. Er würde Yoji jetzt keines Wortes mehr würdigen. „Denk einfach drüber nach. Es würde dir Zeit verschaffen!“, hörte er Yoji ihm noch nachrufen, als er das Café verließ. Wütend schob er die Hände in seine Jackentaschen. Sein Weg führte ihn geradewegs nach Hause. Er wusste, dass er in der Klemme steckte. Er wusste, dass er einen Job brauchte. Dringend. Sehr dringend. Doch sich für Geld mit einem Fremden durch die Kissen wälzen? Das kam nicht in Frage! Nicht für Geld. „Was weiß ich denn, wen man mir da vorsetzt?“, knurrte er unwillig und schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht!“ Er drückte die Wohnungstür ins Schloss und lehnte sich an sie an. Geräuschvoll schnaufte er und schloss die Augen. War seine Situation so schlimm, dass ihm ein solcher Job angeboten werden musste? Träge zog er seine Jacke und die Schuhe aus und ließ sich, wie er war, auf sein Bett fallen. Der Morgen war einfach zu viel für ihn. Augenblicklich sank er in einen tiefen Schlaf. Kapitel 7: Akt VII ------------------ Das Klingeln seines Weckers riss ihn aus seinem Schlaf. Träge tastete er nach dem Störenfried und schaltete den Alarm aus. Für einen Moment überlegte er sich, ob er nicht einfach weiter schlafen wollte, doch dann fiel ihm sein heutiger Termin ein. Mürrisch erhob er sich und schlürfte in die Küche um sich einen Tee zu machen und die Musik anzuschalten. Blind bediente er die Anlage und warf gleichzeitig einen Teebeutel in die Tasse. Normalerweise bevorzugte er losen, edlen Tee, aber den konnte er sich im Moment nicht leisten. Nachdem der Wasserkocher seinen Dienst getan hatte, goss Ran sich den Tee auf und zupfte an der Schnur des Teebeutels. Lustlos sah er zu, wie sich das Wasser verfärbte. Er war es gewohnt sparsam zu leben, doch das er sich nun nicht mal mehr seinen Tee leisten konnte, ließ ihn sich bettelarm vorkommen. Die paar Yen, die der Tee kostete … Aber nein! Ran verbot sich jeden weiten Gedanken an diesen Luxus. Die sanfte Musik beruhigte seine Gedanken und er machte sich ein kleines Frühstück. Ein bisschen Obst, seinen Tee und die Zeitung, die er neuerdings von deiner Nachbarin bekam. Sah man ihm etwa an, dass er dringend einen Job brauchte? Jedenfalls sah die alte Dame ihn immer etwas mitleidig an, wenn er von ihr die Zeitung bekam. In solchen Momenten wünschte Ran es sich, hin und wieder Gedanken lesen zu können. Ein freudloses Lachen kam über seine Lippen, als er an den einen Telepaten dachte, den er kannte. Ob er vielleicht noch lebte? Mit einem Blick von den Stellenanzeigen zur Uhr, verwarf er alle Überlegungen in diese Richtung und erhob sich. Schnell zog er sich an und verließ die Wohnung. „Hallo. Sie sind sehr pünktlich. Das ist schon mal gut“, wurde er eine knappe halbe Stunde später in dem kleinen Laden begrüßt und nickte der jungen Frau zu. „Guten Morgen.“ Damit zog Ran sich die Jacke aus und kam auf sie zu. „Sie können ihre Sachen im Büro ablegen. Dort liegt auch schon eine Schürze für Sie bereit.“ Dabei deutete sie auf den hinteren Bereich des Ladens, der für die Kundschaft unzugänglich war. Erneut nickte Ran und brachte seine Jacke hinter, zog die Schürze an und kam wieder zum Tresen. Als die Türglocke des Ladens ging, wurde er am Arm angestupst. „Dann lagen Sie mal los.“ Mit einem höflichen Gruß ging er auf den Kunden zu, während die junge Frau ihn beobachtete. Die Stunden gingen ins Land und als Ran den Laden nach dem letzten Kunden schloss hörte er einen überlegen Laut hinter sich. „Sie haben sich heute wirklich gut gemacht und sie wären eine wirkliche Hilfe hier im Laden.“ Ran bemühte sich, nicht zu streng zu gucken. „Aber?“ „Aber obwohl Sie schon zehn Jahre Erfahrung haben ... Sie haben keine Ausbildung und ich kann Ihnen nur einen winzigen Lohn zahlen. Das fände ich nicht gerecht, für die Arbeit, die Sie hier leisten sollen.“ Ran nickte. Er hatte diesen Satz schon so oft gehört. So oft scheiterte es an der fehlenden Ausbildung. Dennoch vermied er es, unwillig zu schnaufen. Er ging in das Büro, legte die Schürze ab und zog seine Jacke an. „Sein Sie bitte nicht zu sehr enttäuscht“, meinte die Frau hinter ihm gutmütig und Ran hörte sich eine beschwichtigende, höfliche Floskel sagen, ehe er mit einem Gruß den Laden verließ und nach Hause lief. Schöner Mist. Nun gingen ihm wirklich die Optionen aus. Als Kellner wollte man den ‚böse dreinblickenden‘ Mann nicht und als Florist ... Na ja. Am Ende war jede Probearbeit gleich. „Sie sind nett, aber ...“ „Sicher würden Sie gut in unser Team passen, aber ...“ „Ihre Erfahrung reizt uns, aber ...“ Immer wieder diese ‚aber‘. Ran konnte es nicht mehr hören. Er schloss die Tür zum Wohnhaus auf und stieg die Treppen hinauf. Er war missmutig. Das würde er zwar nie zeigen, aber er war es. Missmutig und mit dem Latein am Ende. Er war seit Wochen arbeitslos, war sich aber gleichzeitig sehr sicher, dass die Bösen genug Aufträge hatten. Crawford und seine Spinnertruppe lachten sich unter Garantie gerade ins Fäustchen oder kamen vor Schadenfreude nicht mehr in den Schlaf. Sollten sie doch! Dann starben sie wenigstens irgendwann an ihren Lachkämpfen oder wegen Schlafmangels. Gerade so konnte er sich ein Schnaufen verkneifen, als er stockte. In wenigen Schritten war er an seiner Wohnungstür und riss den auffällig roten Zettel ab, sah sich hektisch um und ging schnell in die Wohnung. Licht blieb erst mal aus! Er ging ins Bad und griff nach der Taschenlampe unter seinem Waschbecken, um den Zettel zu lesen. Eigentlich ahnte er schon, was darauf stand, doch es zu lesen brachte auch den kühlen Japaner aus der Ruhe. Es war eine Räumungsandrohung. Verdammt! Und nun? Sollte er sich jetzt noch vor seinem Vermieter verstecken? Vielleicht sogar nur noch übers Fenster in seine Wohnung einsteigen, wie ein Dieb? Schwerfällig rutschte Ran an der Fliesenwand herunter, holte sein Handy aus der Tasche und starrte ungläubig über sich selbst auf Yojis Telefonnummer. Trotz des gewaltigen Widerwillens in ihm, rief er an und ihm zog sich der Magen zusammen, als er Yojis Stimme hörte. „Wie genau soll das mit dem Job laufen?“, hörte er sich selbst sagen und ließ den roten Zettel kraftlos zu Boden sinken. „Hast du einen Anzug?“ Er nickte, ehe ihm bewusst wurde, dass sein Freund diese Geste nicht sehen konnte, und antwortete dann knapp. Sein Hals wurde eng, doch er ließ sich nichts anmerken. Das wäre ja noch schöner. „Gut. Dann zieh ihn an und komm in vier Stunden zu der Adresse, die ich dir gleich schicke. Dann hast du den Job“, hörte er Yoji fast schon freudig erzählen, dann legte er auf. Wie konnte dieser Mensch sich nur so darüber freuen, dass er sich prostituierte? Ok. Ja. Es war ein Begleitservice, doch was war es anderes als ein Job als Callboy? Und wozu sollte er sich in einen Anzug zwängen? Die Kleidung wurde er sicher gleich wieder los, warum also diesen Aufwand betreiben? Ran schnaufte, als er sich erhob und aus dem Bad ins Schlafzimmer ging. In seinem Schrank hing ein schwarzer Anzug mit rotem Kummerbund und schneeweißem Hemd. Den Kummerbund würde er einfach ignorieren. Das war nun wirklich zuviel. Das Hemd bügelte er sorgfältig und aus der Hose des Anzuges dampfte er alle ungewollten Falten. Danach ging er ausgiebig duschen und gönnte sich eine gründliche Rasur. Als er sich abtrocknete, fiel sein Blick nachdenklich erst auf den Anzug, dann auf die Uhr und er sprach sich Mut zu. Es war doch auch nichts anderes, als eine Mission. Ein Auftrag, der erledigt werden musste. Die letzten Wochen in dieser trügerischen Freiheit hatten Ran weich gemacht. Weich und schwach. Das musste ein Ende haben. Er hatte seine Schwester, seinen Job und seine Bestimmung verloren. Er durfte nicht auch noch sich selbst verlieren. Nicht schon wieder. Leise und sehr konzentriert, zog er sich an. So hatte er es auch vor jeder Mission getan. Konzentration, den Blick auf das Ziel gerichtet. Er zog die Schuhe an, putzte noch einmal über das schwarze Leder und ging los. Sein Handy gab einen Ton von sich und Ran las sich die Adresse durch. Sie war nicht weit von seiner Wohnung. So konnte er laufen und sich sein letztes Geld für danach aufheben, wenn er sich entweder schnellstens mit dem Taxi heimbringen ließ, oder sich in irgendeiner Bar besoff. Nicht die besten Optionen, das wusste er, aber momentan waren es wohl seine einzigen Optionen. Als er an der Adresse ankam, atmete er tief durch. Er war jetzt Dienstleister. Sein Kunde war König. Bestimmt drückte er auf den einzigen Klingelknopf an dem doch recht vornehmen Haus und Augenblicke später öffnete ihm ein älterer Mann die Tür. Ran versuchte sich an einem Lächeln. Der Herr passte überhaupt nicht in sein eigenes Beuteschema, doch er würde es ertragen. „Meine Schwester kommt sofort. Möchten Sie vielleicht drinnen warten?“, wurde er gefragt und nickte, dankte höflich und trat ein. Wie irritiert er über diese Aussage war, zeigte er nicht. Der Mann verschwand und Ran gönnte sich einen kurzen Moment, in dem er sich etwas umsah. Die Bewohner dieses Hauses hatten Geld, dass sah man. Es war nicht alles luxuriös, aber sie hatten definitiv keine Geldsorgen. „Ah, Sie müssen Aya sein“, hörte er und blickte zur Treppe hinauf. Eine elegante Dame stand mitten auf der Treppe. Sie hatte die fünfzig bestimmt schon hinter sich gelassen, dennoch hatte sie die Ausstrahlung einer toughen Frau. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, dass nur knapp über dem Boden endete. „Ja“, gab er zurück und verbeugte sich höflich. Nun war er doch neugierig. Yoji hatte alles eingefädelt, ihm aber kaum eine Info zukommen lassen. Dennoch. Ran wusste zu improvisieren. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Miko.“ Nun richtete Ran sich wieder auf. Die Frau kam auf ihn zu und deutete mit einer kleinen Bewegung auf einen Mantel, der an der Garderobe bereit hing. Wortlos griff Ran danach und half Miko in den Mantel. „Mein Bruder wird uns fahren.“ Erneut nickte Ran und sah, wie der Mann wieder kam, wortlos an ihnen vorbei ging und die Haustür öffnete. Auch Miko setzte sich in Bewegung und Ran hielt ihr die Tür auf, ehe er sie hinter sich ins Schloss zog. Auch als der Wagen vorfuhr zeigte er Anstand, hielt der Frau die Tür auf und ging ums Auto, um sich zu ihr auf die Rückbank zu setzen. So schlecht hatte der Abend gar nicht angefangen. Er musste sich nicht gleich wieder ausziehen und offenbar hatte die Dame neben ihm noch etwas anderes vor. Ihm sollte es recht sein. „Mein Mann ist vor mehr als zehn Jahren gestorben“, begann die Frau leise, lächelte seicht und sah weiter nach vorn. „Wir haben die Oper geliebt und sind jeden Monat zusammen hingegangen. Auch als wir kaum Geld hatten, hat er es immer irgendwie möglich gemacht, dass wir es uns leisten konnten. Jeden Monat, seit wir uns das erste Mal begegnet sind.“ Ran hörte aufmerksam zu. Dann sah Miko ihn an. Trauer stand in ihren Augen, doch auf ihren geschwungenen Lippen lag weiterhin dieses leichte Lächeln. „Für mich allein würde ich nicht hingehen und meinen Bruder interessiert die Oper nicht.“ Ein verstehendes Nicken. „Sicher haben Sie spannendere Kundschaft, als mit einer alten Frau in die Oper zu gehen ...“ Sie lachte leise und auch Ran lächelte ein wenig. „Ich habe meine Mutter früher ein paar Mal mit in die Oper begleitet und fand es gar nicht so langweilig“, gestand er und das Lächeln auf Mikos Lippen wurde weicher. „Warum gehen Sie nicht mehr mit Ihrer Mutter hin?“ „Sie kam ums Leben. Danach hat mich nicht mehr viel dazu getrieben. Vielleicht ein wenig, wie bei Ihnen“, sinnte er und Miko nickte, ehe der Wagen hielt und Ran ausstieg, um Miko die Tür aufzuhalten und ihr die Hand zu reichen. Sie bedankte sich und als der Wagen abfuhr sah Rand auf das Opernhaus, dann hielt er Miko den Arm hin und geleitete sie hinein. Wenn der Abend so weiterging, hatte Ran nichts gegen diesen Job. Ganz und gar nicht. Kapitel 8: Akt VIII ------------------- „Es war ein sehr schöner Abend, Aya“, hörte Ran Mikos Stimme, als sie ihm vor ihrem Haus die Hand reichte. „Das fand ich auch“, erwiderte er und war um ein Lächeln bemüht. Dabei taten ihm fast schon die Wangen weh, so oft hatte er es in den letzten vier Stunden getan. Gelächelt. Die Dame erwiderte die Geste und ging dann ins Haus. Nun war Ran doch etwas unsicher. Er wuusste, dass es sich eigentlich verbot, jemanden nach Geld zu fragen, aber ... „Hier.“ Ran sah erst auf den Mann, der neben ihn getreten war und dann auf den Briefumschlag, den dieser ihm reichte. „Danke.“ Mehr sagte er nicht und der Mann ging ins Haus. Ungesehen steckte Ran den dicken Briefumschlag ein und ging um die nächste Ecke. Das Geld noch vor dem Haus zu zählen war einfach unhöflich und er konnte sich gut genug verteidigen, dass er im Licht der Laterne einen Blick hineinwerfen konnte. Ran stockte. Also das ... war definitiv mehr, als er sich für vier Stunden Oper zahlen würde. Noch dazu hatte Miko die Karten bereits bestellt und bezahlt, als sie in die Oper traten. So wusste er nicht genau, wie viel die Karten gekostet hatten, doch er hatte eine grobe Ahnung und das musste er jetzt im Kopf auf seinen ‚Lohn‘ drauf rechnen. Gott! So viel hatte er für manchen Auftrag von Kritiker bekommen. Schnell zückte er sein Handy und schrieb Yoji eine Nachricht. So hatten sie es sich angewöhnt, seit der Schnüffler wieder voll in seinen Beruf, inklusive Undercover-Geschichten, eingetaucht war. Er würde sich dann melden, wenn er Zeit hatte. Langsam lief Ran weiter, verstaute den Brief in der Innentasche seiner Jacke und schlug die Richtung seiner Wohnung ein. Natürlich könnte er sich ein Taxi leisten, doch es war nicht weit und er wollte sein erstes Geld nicht für unnötigen Luxus verplempern. Erst musste er seine Schulden begleichen. Bei Yoji und seiner Hausverwaltung. Mit Letzterem würde er gleich morgen früh beginnen. Dann war wenigstens seine Wohnung sicher. Sein Handy klingelte und Ran nahm den Anruf entgegen. „Hey! Wie lief’s?“, wurde er gefragt und Ran war von den möglichen Antworten ein wenig überfordert. „Gut“, sagte er daher und lauschte, dem ungläubigen Geräusch aus dem Hörer. „Nur gut? Veralber mich nicht. Dabei heißt es, die alte Dame sei großzügig.“ „Sie heißt Miko. Bitte etwas mehr Respekt. Und ja. Sie war großzügig und eine nette Person.“ Nun schien auch Yoji erleichtert. „Dann ist dir erst mal eine Sorge genommen?“ Ran nickte und murmelte eine Bestätigung, ehe er den Schlüssel aus seiner Hosentasche zog und die Haustür aufschloss. Die letzten Stunden und der Stress der vorherigen Wochen, krochen ihm allmählich in die Knochen. „Sehr schön. Dann kommst du morgen zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages?“ Gerade fiel die Wohnungstür hinter ihm zu und er lehnte sich mit dem Rücken daran. „Eigentlich dachte ich, dass ich das heute tun sollte. Hast mich ganz schön ins kalte Wasser geschmissen.“ Ein drohendes Knurren entkam ihm, doch Yoji lachte nur. Sicher aufgrund der Entfernung zwischen ihnen und der Tatsache, dass Ran kaum durchs Telefon greifen würde. „Manchmal brauchst du das“, hörte er Yoji feixen und knurrte lauter. „Das mag ich nicht, das weißt du.“ „Stimmt. Aber manchmal ist das, was du brauchst, um dich zu motivieren, etwas zu tun, nicht unbedingt das, was du gern magst.“ Stumm musste Ran ihm zustimmen. Er wusste ja, dass er hin und wieder ... naja ... nicht ganz einfach und handzahm war. „Nun ab mit dir ins Bett und gib nicht gleich das ganze Geld auf einmal aus.“ „Ja, Mama!“, murrte er und verabschiedete sich dann von seinem Freund. Im Laufe des Gespräches hatte Yojis Stimme sich aufgehellt und Ran war sich fast sicher zu wissen, wem das zu verdanken war. Er schnaufte anerkennend und zog sich noch auf dem Weg ins Bad aus. Nur noch duschen und ins Bett. Sein Körper verlangte Ruhe, sein Geist Zeit, um den heutigen Tag zu verarbeiten. Ab morgen währe er Mitarbeiter in einem Begleitservice. Die Tage wuchsen zu Wochen und Ran merkte schnell, dass er weit weg von dem Leben eines gut bezahlten Begleiters war. Zwar konnte er sich mit den Treffen mit Miko seine Miete leisten, doch darüber hinaus wurde es hin und wieder wirklich knapp. Nun saß er auf der alten Ledercouch in Yojis Büro und drehte die leere Bierflasche nachdenklich in der Hand. „Vielleicht solltest du mal nach höherpreisigen Dates fragen“, sinnte der blonde Mann und ließ sich neben Ran auf das Polster fallen. „Hmmm“, machte er, sah weiter auf die Falsche. Er wusste, was das führ ihn hieß, denn die Agentur, für die er unterwegs war, hatte Kategorien, in denen sich die Mitarbeiter bewegten. Auf der billigsten Stufe, Kategorie A, standen die reinen Begleiter. A1 waren die normalen Männer und Frauen, die man in eine Bar oder ins Kino mitnahm. A2 dagegen war schon ein wenig teurer und bot Begleitung für gehobene Events oder Veranstaltungen an. In dieser Kategorie befand Ran sich zur Zeit. Danach wurde es intimer. Kategorie B1 bis B3 beinhalteten schon diversen Körperkontakt. Vom Kuss vor der Haustür zum Abschied, bis zur Knutscherei auf dem Sofa des Kunden. In Kategorie C ging man dann einen großen Schritt weiter. Sie war die teuerste aber auch die lukrativste Kategorie. „Ich weiß, wo ich hinmuss, um alles bezahlen zu können. Momentan stopfe ich ein Loch mit einem anderen“, gab er preis und Yoji nickte nur verstehend. Er kannte Rans finanzielle Lage und wusste genauso gut, dass ein einziger Fehltag Ran das Genick brechen konnte. „Ich gebe es ungern zu, aber dir bleibt nicht viel. Ja! Gerade schaffst du es, dich irgendwie über Wasser zu halten. Aber das schaffst du keine Monate mehr. Du bist jetzt jeden Tag bei einem kleinen Date und krebst vor dich hin.“ Er schnaufte und stellte seine frisch angefangene Flasche auf den Tisch vor ihnen. „Du musst erst mal wieder auf die Beine kommen. Ich weiß, dass dir dieser Gedanke überhaupt nicht gefällt. Und ehrlich: mir auch nicht ganz. Aber ...“ Er brach ab. Was sollte er noch sagen? Sie beide wussten, wie es um Ran bestellt war. Sagte nur ein Kunde spontan ab, fiel sein Kartenhaus in sich zusammen. „Also mindestens einen Kategorie C-Deal.“ Fast unauffällig sanken Rans Schultern ab. „So ein Scheiß!“, fluchte er leise und Yoji starrte ihn entsetzt an. So hatte er ihn noch nie gehört, das wusste Ran, dennoch. Es musste mal gesagt werden. Gute Kinderstube hin oder her. „Du weißt, dass du bei denen nichts vorgesetzt bekommst. Es geht immer im beidseitigen Einverständnis. Gut Miko war eine Ausnahme, aber da musste es auch echt schnell gehen. Denk einfach darüber nach, ja?“ Ran nickte, als er sich erhob und heimging. Dabei dachte er über Yojis Worte nach. Zwar hatte er in dem Punkt recht, dass er keinen Auftrag vorgesetzt bekam, aber es gab auch keine Details zu den Kunden. Keine Fotos. Nichts. Die ältere Dame war ein Glücksgriff gewesen, das stimmte. Aber würde Ran noch einmal so viel Glück haben? Er war sich da überhaupt nicht sicher. Gleich am nächsten Morgen machte er sich auf zur Agentur. Zum einen musste er seine Abrechnung vorbei bringen. Zum Anderen hatte er über Nacht genug Mut angesammelt, um seine Chefin unverbindlich zu fragen, wie es gerade in der Kategorie C aussah. Sein Blick fiel, als er an das große Gebäude in der Innenstadt ankam, auf das dezente, polierte Schild. Kein Außenstehender würde erahnen können, was sich hinter dem klangvollen Namen ‚Serviceagentur‘ verbarg. In kleinerer Schrift standen die Nachnamen der beiden Besitzer darunter. Mehr nicht. Diskretion wurde hier großgeschrieben. Noch einmal atmete er durch und ging in das Gebäude, fuhr mit dem Fahrstuhl ein paar Etagen und wurde, als die Türen sich öffneten, freundlich von der Empfangsdame begrüßt. „Aya. Wie schön sie zu sehen“, gab die Dame lächelnd von sich. Es klang gleichermaßen vertraut und geschäftlich distanziert. „Guten Morgen“, meinte er und ging an ihr vorbei, in Richtung Büro. Hinter der Glasfront konnte er seine Chefin telefonieren sehen. Davor war ein Großraumbüro mit Mitarbeitern, welche die einzelnen Dates terminierten. Still wartete Ran, bis die schlanke Frau ihn vor der Glaswand sah, ihm winkte und dabei war, ihr Gespräch zu beenden. Sie war gerade erst zwanzig, wenn Ran sie schätzen müsste, und hatte sich ihre fröhliche Art bewahrt. Dabei konnte sie eine genauso toughe Geschäftsfrau sein. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an Omi. Er mochte sie. „So jetzt zu Ihnen“, sagte sie freundlich, als sie Ran die Tür öffnete und ihn mit einer einladenden Geste hereinbat. „Danke. Ich habe meine Abrechnung dabei“, erklärte er und setze sich auf einen der weichen Sessel vor dem Schreibtisch. Seine Chefin nahm dahinter Platz. „Sie sind einer von den Guten, Aya. Auf Sie ist wirklich Verlass“, lobte sie ihn und nahm die Papiere entgegen, um sie gleich durchzusehen. „Sagen Sie ...“, fing Ran an und sah betont entspannt aus dem Fenster. „Wie sieht es denn gerade in den höheren Kategorien aus?“ Das plötzliche Seufzen ließ ihn überrascht aufsehen. Die junge Frau wirkte mit einem Mal gut zehn Jahre älter und schob enttäuscht die Blätter vor sich her. „Sie wissen es wohl schon?“, fragte sie und Ran schüttelte nur den Kopf. „Wir haben einen treuen Kunden. Sehr treu und sehr ...“ Sie überlegte offenbar, welche Formulierung passend war. „Gewinnbringend?“, half Ran aus, ohne eine Wertung in der Stimme. Seine Chefin wiegte leicht den Kopf, nickte dann aber. „Er ist unglaublich pflegeleicht gewesen. Unsere Mitarbeiter waren stets zufrieden mit der Bezahlung und der Behandlung.“ „Aber jetzt?“, wollte er von den Schwärmereien für den Kunden auf das aktuelle Problem kommen. „Es ist schwer zu sagen. Er weißt unsere Mitarbeiter ab. Einen nach dem Anderen. Egal ob groß oder klein. Mann oder Frau. Einfach jeden und das ganz plötzlich und ohne eine Erklärung. Und nun gehen mir die Mitarbeiter aus.“ Erneut seufzte sie. Etwas in Ran witterte seine Chance. Er war neugierig geworden. „Was ist das denn für ein Kunde?“, fragte er und hoffte, vermitteln zu können, dass er zwar Interesse hatte, aber nicht an einen Verrückten geraten wollte. „Oh, er ist wirklich höflich. Vielleicht ein wenig seltsam, was seine Kommunikation angeht.“ Ran hochte auf. Was war das denn für einer? „Er telefoniert nicht, schreibt nur Emails oder mal ein Fax.“ Gerade, als Ran nachhaken wollte, klopfte es an der Tür und ein Mann steckte seinen Kopf ins Büro. „Ah! Jay! Bloß gut, dass Sie gerade da sind. Können Sie Aya über unseren Kunden 379 aufklären?“ Der Mann mit dem gepflegten braunen Haar, trat irritiert ein und nickte dabei. Nur kurz musterte Ran ihn. Gepflegtes, sportliches Äußeres, schulterlange Haare, die in einem Zopf zusammengefasst waren. Einzig die Aktentasche störte das Bild des jungen Mannes irgendwie. „Er ist sehr höflich und keinesfalls egoistisch.“ Das folgende Lächeln bescherte Ran eine Gänsehaut. Ok. Es war schön, dass dieser Mann nicht an seinen Dates bediente. Dass es aber dabei um bezahlten Sex ging, störte Ran enorm. „Meißt läd er sich jemanden in ein Hotelzimmer ein, da er nicht aus der Stadt ist.“ „Und dann?“, platze es aus Ran heraus und Jay sah ihn offen an. „Ganz ehrlich? Er redet. Also eigentlich ist es sogar eine sehr ausgeglichene Unterhaltung. Über Stunden sitzt man mit ihm zusammen und redet. Manchmal isst man was zusammen, manchmal trinkt man zusammen. Kommt etwas auf die Tageszeit an.“ Jay zuckte mit den Schultern. Dann bekam er einen leichten Glanz in die Augen. „Bei mir hat es gut vier Treffen zu je drei Stunden gedauert, bis wir uns näher gekommen sind. Es war ganz entspannt und ich bin mir sicher, es wäre nichts passiert, wenn ich nicht gewollt hätte. Mein Vorgänger Hat über ein halbes Jahr nur mit ihm geredet. Von meinem Nachfolger weiß ich, dass es in den beiden Dates jeweils recht heiß herging.“ Erneut zuckte er mit den Schultern, dann sah er seine Chefin an. „Ist er etwa wieder frei?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe Sie ihm schon angeboten, aber er scheint gerade nicht in der Stimmung zu sein. Und da er ein Premiumkunde ist, darf er sich so einige Launen erlauben. Immerhin ist er Ion der Preisklasse tatsächlich als Kunde König. Tut mir leid“, sagte sie und er nickte enttäuscht. Offenbar schien dieser Kunde 379 eine wirklich gute Partie zu sein. Der junge Mann legte seine Abrechnungen vor und verschwand, als die junge Frau seine Unterlagen abnickte. Als sie wieder allein waren, atmete Ran unbemerkt durch. Er brauchte dringend dieses Geld und der Kunde schien keinen so großen Sprung in der Schüssel zu haben, wie er befürchtet hatte. „Wegen diesem Kunden“, fing Ran an und erhaschte sofort die volle Aufmerksamkeit seiner Chefin. „Denken Sie, sie könnten ihm vielleicht mein Portfolio anbieten?“ Erleichterung trat in ihr Gesicht. Hatte sie etwa darauf spekuliert? Wie dreist! Aber es zeigte einmal mehr, wie gut sie in ihrem Geschäft war. Schnell warf sie einen Blick auf die Uhr und nickte. „Wenn wir es jetzt gleich machen, könnten wir sofort eine Antwort bekommen.“ Unsicher nickte Ran. Er hatte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde und allmählich verließ ihn der Mut. Das war nichts, was er nach außen hin zeigen würde, dennoch. Sein Herz klopfte deutlich schneller an seine Rippen, als die Frau eine Email schickte und nur eine Minute später, kündigte ein Geräusch eine Antwort an. Die Frau laß sich den Text durch, der kaum mehr als eine Zeile betragen konnte, wenn Ran die Augenbewegung seines Gegenübers richtig deutete, dann drehte sie den Bildschirm. Das Hotel, dass in der Email genannt wurde, war kaum zwei Straßen weiter und unglaublich nobel. Dazu stand nur: ‚20:30 Uhr, in zwei Tagen‘ Kurz, prägnant. Das mochte Ran. Kein langes Drumherum oder höfliche Floskeln. Keine Anrede, keine Unterschrift. Ran spürte, wie er nickte und war ab diesem Moment ungewohnt aufgeregt. Kapitel 9: Akt IX ----------------- Ran war ein wenig unsicher, als er aus dem Büro seiner Chefin trat. Sie hatte ihm noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig dieser Kunde war und dass er lieber rechtzeitig absagen sollte, wenn er Zweifel hatte. Doch seltsamer weise hatte er das nicht. Er war neugierig geworden. An der Anmeldung traf er auf Jay, der mit ihm in den Fahrstuhl stieg und ihn mit einem amüsierten Seitenblick bedachte, als die Türen sich schlossen. „Sie haben wirklich einen guten Griff getan“, begann er und erhaschte Rans Aufmerksamkeit. „Er mag auf den ersten Blick ein wenig verrückt wirken, aber er ist ein sehr angenehmer Mensch, der, glaube ich, nur etwas Abstand von seinem Job haben möchte. Also sein Sie nicht zu nervös. Er ist ein Mensch wie jeder andere auch.“ „Was waren das denn für Gespräche?“, wollte er wissen und empfing einen mahnenden Blick. Alle Inhalte der Gespräche unterlagen einer Schweigepflicht, das hatte Ran im Arbeitsvertrag unterschrieben. Dennoch reizten ihn Details. „Es waren allgemeine Gespräche. Einmal haben wir kaum geredet. Er hatte wohl etwas zu feiern und wir haben mit kleinen Flaschen Türme gebaut.“ Dabei zeigte Jay einen wenige Zentimeter großen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger. „Wir waren danach heillos betrunken.“ Ein leises Lachen erhellte den Raum. „Ein anderes Mal haben wir auf der Dachterrasse eines Hotels gesessen und über die Menschheit und die Lichter der Stadt philosophiert.“ Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich und beide Männer setzten sich in Bewegung. Ran ließ den Abstand zwischen ihm und Jay immer größer werden. Eine alte Angewohnheit. Niemand sollte eine Verbindung zwischen ihnen herstellen können. Als er das Gebäude verließ, richtete sich sein Blick zum Himmel. Einsame weiße Flocken schwebten lautlos auf die Straße. Eine setzte sich todesmutig auf seine Wange und schmolz sofort. Ran seufzte und folgte den Straßen bis zur letzten Ruhestätte seiner Schwester. Das Grab sah friedlich aus. Letztes Grün und ein Strauß Blumen bedeckten die Erde und Ran ging in die Knie. Er wusste, dass Yoji hin und wieder her kam. Sicher war der Strauß von ihm. Verlegen lächelte Ran und strich mit den Fingerspitzen über den kalten Stein. „Wieder bin ich ohne Blumen da“, entschuldigte er sich und hoffte auf Verständnis. „Das nächste Mal, das verspreche ich dir, bekommst du einen ganz großen Strauß. Mit all deinen Lieblingsblumen darin.“ Dann erzählte er ihr in Gedanken, was in der letzten Zeit alles passiert war. So hatte er es auch immer im Krankenhaus getan. Niemand hörte ihn und doch konnte er sich alles von der Seele sprechen. Dabei konnte er sich noch immer gut vorstellen, wie sie auf die eine oder andere Neuigkeit reagiert hätte. Lange Minuten vergingen und nach einer knappen Stunde erhob Ran sich. Sein Körper war kalt und ein wenig ungelenk, als er aus dem Tor des Friedhofes trat und heimging. Heute Abend würde er mit Mieko in die Oper gehen und morgen hatte er am Nachmittag noch einen Termin mit einer jungen Frau, die unbedingt für einen Film ins Kino wollte. Jedoch nicht allein. Einmal mehr war Ran erstaunt, was für Gründe es gab, sich eine Begleitung zu mieten, und so langsam fielen seine Vorurteile über diesen Beruf von ihm ab. Dann kam der Tag und Ran stand bereits seit einer viertel Stunde in der Lobby des Hotels. Er war aufgeregt. Gestern hatte er von der Agentur eine kleine Karte von seinem Auftraggeber bekommen. Punkt 20 Uhr sollte er sich an der Rezeption die Schlüsselkarte fürs Zimmer geben lassen. Das waren jetzt noch vier Minuten. Ran versuchte, nicht zu sehr aufzufallen, und blätterte in der Zeitung, die auf seinem Schoß lag. Dabei huschte sein Blick immer wieder auf die Uhr über der Rezeption. Gleichzeitig beobachtete er die Menschen in der Lobby. Ob er den Mann bereits jetzt erkennen würde? Innerlich schnaufte er. Wie sollte er ihn erkennen? Er würde wohl kaum ein Schild mit seiner Kundennummer um den Hals tragen. 379. Er musste einer der ersten Kunden gewesen sein. Mittlerweile waren die Kundennummern fünfstellig. Wie kam er jetzt darauf? Er stand auf, als der Sekundenzeiger ihm noch dreißig Sekunden gab und ging zur Rezeption. „Guten Tag. Ich hätte gern die Schlüsselkarte für mein Zimmer.“, begann er und erhaschte damit die Aufmerksamkeit des Hotelangestellten. Der warf einen schnellen Blick auf Ran und in das Buch vor ihm, dann legte er ihm eine goldfarbene Plastekarte auf den Tresen. „Aufzug vier, bitte. Einen schönen Aufenthalt.“ Ran nickte knapp und ging. Er nahm den vierten Aufzug und wählte die oberste Etage. Mit weichen Knien stand er vor der Tür des Hotelzimmers und fragte sich, wann er das letzte Mal so nervös war. Es musste Jahre her sein. Noch ein letztes Mal atmete er tief durch und klopfte an. Als er nach einigen Augenblicken keine Reaktion bekam, klopfte er erneut. Diesmal etwas lauter. Doch auch daraufhin bat ihn niemand herein oder öffnete ihm die Tür. Kurz überlegte Ran, ob er nicht vielleicht doch einfach wieder gehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Entschlossen zog er die Karte durch das Schloss, drückte er die Klinke herunter und betrat das Zimmer. Auf den ersten Blick war niemand zusehen. „Guten Abend. Wir haben einen Termin“, erklärte er, für sich selbst recht plump, sein Eindringen und lauschte auf eine Antwort, während er weiter eintrat und die Tür sich hinter ihm leise von selbst schloss. Dabei verschaffte er sich einen groben Überblick, sah sich flüchtig um. Er stand offensichtlich im Wohnzimmer. Ein Glastisch mit einer Obstschale und zwei bequem aussehende schwarze Sessel standen vor der großen Fensterfront. Durch eine geöffnete Tür erspähte er die Ecke des Bettes. In dieser Richtung vermutete er auch das Bad. Es war eine teure Suite. Das Interieur wirkte sehr exklusiv. Auf dem kleinen Glastisch vor ihm entdeckte er eine Karte. Auf einer ähnlichen Karte standen die Daten für das heutige Treffen. War er also doch richtig? Warum war dann niemand da? „Nicht erschrecken?“, las er sich irritiert vor. Nur Bruchteile einer Sekunde später verdeckte jemand seine Augen. Ran zog scharf die Luft ein und griff nach dem Tuch. Eine warme Hand legte sich auf seine, hielt ihn sanft, doch bestimmt von dem Versuch ab, sich das weiche Tuch wieder von den Augen zu ziehen. Rans Körper war auf das Äußerste angespannt. Er hatte niemanden kommen hören und versuchte krampfhaft nicht in Panik zu verfallen. Er wollte den Kunden nicht unüberlegt angreifen, doch er würde sich mit allem wehren, was er hatte, wenn dieser Typ komische Dinge mit ihm anstellen wollte. Worauf hatte er sich hier nur eingelassen? Er spürte, wie ein doppelter Knoten in das Tuch gemacht wurde. Seine Hände wurden von seinem Gesicht gezogen und fremde Finger strichen beruhigend über seine Arme. Nur langsam ließ Ran seine Arme sinken. Dabei ballte er die Hände zu festen Fäusten. Sicher traten seine Fingerknöchel bereits weiß unter seiner Haut hervor. Alles in ihm bereitete sich instinktiv auf einen Kampf vor. Er lauschte auf jeden Schritt und auf jeden Atemzug des anderen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er den fremden Körper an seinem Rücken spürte. Ran war um Ruhe bemüht, doch der heiße Atem in seinem Nacken machten es ihm schwer sich zu konzentrieren. Sanft legten sich Lippen in seinem Nacken, schienen ihn weiter beruhigen zu wollen, während die Finger weiter zart über seine Arme strichen und er musste sich eingestehen, dass er sich fürchtete. Blind, in einem unbekannten Raum einem potenziellen Gegner ausgeliefert, den er nicht richtig einschätzen konnte. Und doch löste diese Unwissenheit ein seltsames Prickeln in ihm aus. Es reizte ihn. Die fremden Hände strichen etwas fester über seine Arme und Ran spürte, wie der Mann um ihn herumging. Die Berührungen brachen dabei nicht ab. Mit den restlichen Sinnen versuchte Ran, sich ein grobes Bild seines Gegenübers zu machen. Die Hände auf seinen Schultern waren groß. Sicher war auch der Mann ein gutes Stück größer, als er selbst. Automatisch hob Ran den Kopf. Diese großen Hände glitten über seinen Hals in seinen Nacken, streichelten ihn. Ein heißer Schauer lief über seine Haut. Er mochte es, wenn er so berührt wurde. So ließ er sich gern in Besitz nehmen, auch wenn er das nicht vielen in seinem Leben erlaubt hatte. Er hatte die Kontrolle. Immer. Er bestimmte das Spiel. Zu jeder Zeit. Normalerweise. Doch heute war das nicht der Fall. Er würde folgen müssen. Ein Gedanke, der ihn mehr und mehr in Spannung geraten ließ. Er fühlte sich ausgeliefert. Gierig legten sich die warmen Lippen auf seine, die er gerade noch beruhigend in seinem Nacken gespürt hatte. Tief atmete er ein. Seine Gedanken an Flucht und Kampf sanken immer tiefer in sein Unterbewusstsein. Die fordernde Zunge strich über seine Lippen, drängte sich hindurch, streichelte seine Zunge und hinterließ einen milden Geschmack von Kaugummi. Die Begierde dieses Kusses jagte ihm heiße Schauer durch den Körper und ließ das Adrenalin in seine Adern schießen. Er griff nach den Handgelenken des Fremden, hielt sich daran fest und schnaufte leise in den Kuss. Es fühlte sich fantastisch an. Ran drängte sich der fremden Zunge entgegen, begann einen energischen Kampf um sein Territorium und drängte den Eindringling zurück, folgte ihr, um weiter zu kämpfen. Die großen Hände glitten über seinen Hals, seine Schultern und seine Brust auf seinen Rücken. Mit Nachdruck wurde er an den warmen Körper gezogen. Mitgerissen von dieser Leidenschaft hob Ran seine Hände, wollte sie in den Nacken und die Haare des anderen Mannes legen, sich daran festhalten, doch der Fremde griff schnell zu und trat einen Schritt zurück. Ran unterdrückte ein Murren und wartete ab. Gleichzeitig war er von den Reflexen des Mannes angenehm überrascht. Ein überlegenes Lächeln huschte über seine Lippen. Der Mann hielt seine Hände noch immer fest. Nach einiger Zeit schluckte er trocken. Hatte er jetzt doch einen entscheidenden Fehler gemacht? Aus irgendeinem Grund, der überhaupt nichts mehr mit seinem Job zu tun hatte, wollte er nicht, dass es nun zu Ende war. Zärtlich wurden seine Handinnenflächen geküsst und anschließend unter den Stoff über dem fremden Bauch geschoben. Ran konnte die warme, weiche Haut spüren, die feste Muskulatur und die feinen Härchen spüren. Was er ertasten konnte, gefiel ihm ausgesprochen gut. Erneut wallte die Leidenschaft in ihm auf, doch er bemühte sich um ein wenig Professionalität. Am Ende bestimmte der Kunde. Und dieser Kunde wollte keine Hände in seinem Nacken. Das würde er sich merken. Sanft strich er über die weiche Haut und musste zugeben, dass es spannend war einen fremden Körper zu erkunden, wenn man nichts sehen konnte. Die fremden Hände ließen von seinen ab und wanderten über seine Arme zu seiner Brust, öffneten den Mantel und schoben ihn von seinen Schultern. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, als er darüber nachdachte, dass er nun von einem völlig Fremden entkleidet wurde. Dieser Gedanke wurde durch warme, gierige Lippen verdrängt. Er ließ sich in den Kuss fallen und seine Arme aus dem Mantel glitten. Augenblicklich griff er wieder nach diesem warmen Bauch, wollte den gut trainierten Körper weiter unter seinen Fingerspitzen erfahren. So plötzlich, wie der Kuss kam, endete er und Ran hörte das Geräusch von Kleidung, spürte, wie die Bauchmuskeln sich geschmeidig bewegten. Der Fremde zog sich aus. Heiß kroch die Gänsehaut über Rans Rücken. Er spürte flinke Finger unter seinem Shirt und seufzte angetan. Dieses Spiel aus Sanftheit und Begierde gefiel ihm. Willig ließ er sich das Shirt über den Kopf schieben und wurde mit einem weiteren gierigen Kuss belohnt. Ran unterdrückte den Impuls erneut nach dem fremden Nacken zu greifen. Er wollte mehr. Er griff nach der Hüfte des fremden Mannes und fuhr über die Haut über dem Hosenbund. Warme Arme umfingen seine Schultern, zogen ihn fest an den starken Körper. Der Kuss wurde leidenschaftlicher. Dieser Mann war ganz nach seinem Geschmack. Groß, dominant und kräftemäßig auf Augenhöhe. Wären sie nicht wegen eines Geschäftes hier, würden sie vermutlich um ihre Positionen kämpfen müssen. Ein Lächeln huschte über Rans Lippen bei diesem Gedanken. Doch sie waren nicht ebenbürtig. Dieser Fremde war sein Kunde und er würde die Position einnehmen, die von seinem Kunden bestimmt wurde. Für einen Moment hoffte er auf die Frage nach seinen Vorlieben und verwarf den Gedanken gleich wieder. Wenn er an die Karten dachte, befürchtete er, dass dieser Mann stumm war und ihm eine solche Frage nicht stellen konnte. Die fremden Lippen trennten sich und der warme Körper folgte. Ran unterdrückte es enttäuscht zu seufzen. Finger glitten über seine Arme und eine Hand legte sich in seine. Er erschauderte. Diese Geste hatte etwas Vertrautes. Etwas Intimes. Händchenhalten war eigentlich nicht seine Art, aber das hier fühlte sich gut an. Er folgte dem leichten Zug an seiner Hand und ließ sich durch die Suite führen. Ein Teil in ihm konnte kaum glauben, wie schnell sie zur Sache kamen. Gleichzeitig war da diese Gelassenheit. Anders konnte Ran es nicht beschreiben. Es war ganz und gar einvernehmlich und allmählich verstand er die Aussagen von Jay. Dieser Mann wusste sehr genau, was er wann wollte und doch zwang er seinen Willen nicht auf. Kapitel 10: Akt X ----------------- Ein Schauer lief über seinen Rücken, als er an die Kante des Bettes anstieß. Nun würde es also ernst werden. Ein wenig unwohl wurde Ran dann doch, als ihm bewusst wurde, dass er sich gleich einem fremden Mann hingeben würde. Einem Mann, den er nie zuvor gesehen oder gesprochen hatte. Er wusste so gut wie nichts von ihm und doch würden sie gleich das Bett teilen. Sein Verstand ermahnte ihn, dass dies die letzte Gelegenheit sein würde alles abzubrechen und zu gehen. Doch mit dieser einen Nacht würde er das Darlehn von Yoji vollkommen zurückzahlen können. Und er hatte vier weitere Wochen um sich vielleicht einen anderen Job zu suchen. Ran schluckte. Er würde nicht gehen. Schon bei Weiß hatte er Dinge tun müssen, die ihm nicht gefallen hatten. So würde er es jetzt auch tun. Dies hier war einfach ein Auftrag, eine Mission, die erfolgreich beendet werden musste. Persönliche Interessen und Vorlieben blieben außen vor. Er spürte, wie die Hand sich aus seiner löste und über seinen Arm auf seine Hüfte wanderte. Er schluckte trocken. Seine Hose wurde geöffnet. Gierige Lippen legten sich auf seine, während die letzten schützenden Hüllen seinen Körper verließen. Nun stand er hier. Nackt und voller Zweifel. Wenigstens die wurden ein wenig vertrieben, als die Finger über seinen Körper strichen und ihn an den Schultern deuteten sich auf die Matratze zu setzen. Ran lockerte seine Kiefer. Er wusste, was jetzt kommen würde und sein Herz schlug einen unbestimmten Takt an. Eigentlich war das nichts, was er sonst tat. Die warmen Hände strichen von seinen Schultern zu seinen Händen und legten sie auf die Matratze, in die sie sich sofort verkrallten. Dann spürte er sanfte Küsse an seinem Hals und seufzte ein wenig entspannter. Wenigstens begann der Mann mit Zärtlichkeiten. Sanft wurden immer neue Küsse auf seinen Körper gesetzt und er begann das Ganze zu genießen. Es stimmte. Bei Weiß verkörperte er den pragmatischen, gefühlskalten Killer. Das musste so sein, denn sein Inneres hätte diese Zeit sonst nicht überstanden. Doch wenn es um Intimitäten ging, wollte er keine Kälte. Dann wollte er viel Gefühl und Zeit zum Genießen. Unter dem weichen Tuch schloss er die Augen, begann zu vertrauen. Es war seltsam. Sonst ging es nicht so schnell. Erschrocken japste Ran, als die warmen Lippen seine Spitze umfingen. Damit hatte er nun gar nicht gerechnet. Er war ganz hin und hergerissen, zwischen sich die Hände vor den Mund schlagen, um die Geräusche zu dämpfen, und doch in den Schopf greifen und die Lippen von sich zu ziehen. Er konnte sich einfach nicht entscheiden und biss sich auf die Lippe, schnaufte und unterdrückte so ein all zu lautes Stöhnen. Damit vernahm er die lüsternen Geräusche seines Gegenübers nur all zu deutlich. Sie unterstrichen die Aussage der begierigen Lippen und der emsigen Zunge und schneller als vermutet überrollte Ran sein Höhepunkt. Für eine Vorwarnung war es bereits zu spät und Ran ließ sich kraftlos auf die kalte Matratze sinken, legte seine Arme über die Augen und schwamm für ein paar Augenblicke in den Wellen, die seinen Körper die Welt vergessen ließen. Dabei spürte er, wie der Mann über ihn kam und seinen sanften Kuss auf seine Lippen hauchte. Der herbe Geschmack holte ihn in die Realität zurück. Scham kroch kalt sein Rückrad hinauf. „Entschuldige“, murmelte er und kam sich wie ein kleiner Schuljunge vor, der eine Aufgabe falsch gelöst hatte. „Schon gut“, drang die raue Stimme an sein Ohr. Sie war belegt und von Lust verzerrt. Dennoch jagte sie Ran Schauer über den Körper. Sein Verstand jagte seine Gedanken durch den Kopf. Der Mann war offenbar doch nicht stumm. Natürlich war er das nicht, immerhin hatte Jay ja von Gesprächen berichtet. Dennoch. Unfällen konnten passieren. Die seltsamen Karten sprachen dafür, dass er womöglich seine Stimme verloren hatte. Aber nun redete er ja doch. War das vielleicht ein Fetisch? Nun gut. Solange es nur das und dieses seltsame Tuch war, sollte es Ran recht sein. Solange er ihn nicht anfing zu fesseln oder anderen Quatsch mit ihm zu machen, war alles gut. Solange er die Möglichkeit hatte, sich zu wehren, wenn es ihm zu viel wurde, war alles ok. Der Fremde griff sanft nach seinen Armen, legte sein Gesicht frei. Auch diese Geste hatte etwas unglaublich Zärtliches. Was war das nur für ein Typ? Ein neuer Kuss wischte Rans Kopf leer. Gier und neue Kraft waren darin und zeigten, dass hier noch lange nicht Schluss war. Ran war regelrecht überfordert. Da waren warme Finger die ihn vorbereiteten, das kurze Geräusch einer Kondomverpackung, das ihm das Blut schneller durch die Adern hatte rauschen lassen. Dann war da diese zärtliche Leidenschaft, die ihn einnahm und so viel Wärme und Sanftheit, dass es ihn fast den Verstand raubte. Die Geräusche des Fremden lockten seine und bald glaubte Ran, sie wären ein einziges heißes Knäuel. Seine Finger glitten über den breiten Rücken, spürten Schweiß und jede einzelne Bewegung. Die großen Hände ließen nicht von ihm ab, strichen mal sanft, mal begehrend über ihn und jagten ihn in hektischen Atemzügen über neue Klippen. Als er wach wurde, blendete ihn die Sonne und er vergrub sein Gesicht in dem Kissen, dass sein Murren nur widerwillig aufnahm. Dann stockte er und sah sich um. Das Tuch war verschwunden und die Sonne stand bereits am Himmel. Träge stemmte Ran sich auf die Arme, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Auf dem Nachtschrank lag eine kleine Karte. „Das Zimmer ist noch bis heute Nachmittag gebucht. Genieß es“, las er sich vor und sah sich suchend um. Die Suite schien verwaist und Ran stand mit wackligen Beinen auf, ging, wie er war, durch alle Räume und stellte enttäuscht fest, dass er wirklich allein war. Mit einem stummen Seufzen ging er ins Schlafzimmer zurück, fand seine Sachen zusammengelegt auf einem Stuhl vor und legte die Karte dazu. Er würde tun, was auf der Karte angeboten wurde und trat in das geräumige Bad ein. Auch hier fehlte es nicht an Luxus. Eine in den Boden eingelassene Wanne, die auf den ersten Blick auch eine Whirlfunktion hatte, eine große, ebenerdige Dusche in der locker zwei Personen Platz hatten, edele Fliesen und ganz oben auf Rans persönlicher Hitliste: eine Fußbodenheizung. Angenehme Gänsehaut überfiel ihn und ein schelmisches Lächeln gesellte sich dazu, als er in die Dusche trat und ihm ein bekannter Geruch entgegenschlug. Ein Geruch, der ihn die ganze Nacht über umweht hatte. Offenbar war der Mann nicht gleich, nach dem Ran sein ohnmächtiger Schlaf überfallen hatte, gegangen. Er hatte erst vor Kurzem hier geduscht. Das bestätigte auch die Tatsache, dass noch immer warmes Wasser in der Leitung war, als Ran sie jetzt anschaltete. Wie sanfter Regen prasselte das Wasser aus dem großen Duschkopf an der Decke auf ihn nieder und sein Körper entspannte sich sofort. Je wacher er wurde, desto mehr Erinnerungen an die Nacht kamen zu ihm zurück. Er erinnerte sich an unzählige Berührungen und wie er nach seinem zweiten Höhepunkt an den warmen Körper gezogen wurde. Unter seinem Ohr hatte er den schnellen Herzschlag gehört, bis er schließlich ganz und gar eingeschlafen war. Sie hatten also nicht nur miteinander, sondern auch beieinander geschlafen. Wieder war da dieses intime Gefühl. Als würde sie etwas verbinden. Ran schüttelte abrupt den Kopf. „So ein Blödsinn“, murrte er. Das mussten die Hormone sein. Immerhin war er schon eine ganze Zeit lang abstinent, da konnte man sich nach einer berauschenden Nacht schon mal seltsames Zeug einbilden. Schnell duschte er zu Ende, und trocknete sich auf dem Weg ins Schlafzimmer ab, ehe er sich anzog. Einmal strich er sich durch die Haare, als es an der Tür klopfte. Irritiert öffnete Ran und ließ sich von dem Mann in Hemd und Weste zurückbitten. „Ihr Frühstück, wie bestellt“, erklärte der Mann dabei und schob den schmalen Wagen zu dem Glastisch. „Soll ich hier oder an der Couch auftragen?“ Ran runzelte die Stirn. „Couch?“ Der Mann richtete sich auf und deutete auf den Teil hinter Ran, den dieser bis jetzt völlig ignoriert hatte. Nach zwei dreistufigen Treppen breitete sich der Wohnbereich aus. Die Couch stand zwischen den Treppen und schloss perfekt mit dem Fußboden ab. Davor stand der niedrige Tisch und an der Wand hing ein Fernseher. Minimalistische Eleganz. Der Designer hatte wirklich Geschmack. „Bitte“, meinte er und der Mann trug viele kleine Teller auf den Couchtisch auf. Während er das tat, spürte Ran, wie er langsam blass wurde. „Die Rechnung ist bereits beglichen. Ihr Gastgeber hat hier noch etwas für Sie“, meinte der Mann und klang nicht so, als ob er ahnte, was hier in der letzten Nacht passiert war, als er einen Briefumschlag darreichte. „Guten Appetit“, wurde gewünscht, dann war Ran wieder allein. Er sah auf den weißen Umschlag und fühlte vorsichtig seine Dicke. Geld war da auf keinen Fall drin. Einmal mehr war Ran ein wenig verunsichert. Gleichzeitig befand er das Vorgehen als sehr einfallsreich. Der Fremde wollte, dass Ran das Zimmer ausnutzt, sah es vielleicht sogar als einen Teil des Auftrages an, den er zu erfüllen hatte. Neugierig und mit einer gewissen Ahnung öffnete Ran den Brief und fand einen Scheck vor. Ein anerkennendes Lächeln zog sich auf sein Gesicht. Der Mann war wirklich clever und hatte alles sehr genau geplant. Wäre Ran nicht geblieben, hätte er wohl auch kein Geld gesehen. Es bestätigte ihn in seiner Überlegung, dass der Mann wusste, wie er seinen Willen bekam, ohne jemanden wirklich zu zwingen. Sein nächster Blick galt der Summe und er atmete entspannt durch. Damit konnte er Yoji auszahlen und ganz entspannt seinen Kühlschrank auffüllen. Auch sein Lieblingstee war nun wieder machbar. Hinter dem Scheck stecke eine weitere Karte. Kurz schüttelte Ran den Kopf. Was hatte der Kerl nur mit diesen kleinen Karten? Sie hatten etwas Persönliches, obwohl keine von ihnen mit der Hand geschrieben war. „Lass es dir schmecken und guten Heimweg“, las er sich vor und wandte seine Aufmerksamkeit dem Essen zu. Jay hatte recht. Egoistisch war er ganz bestimmt nicht. Mit einem wohligen Ziehen in der Magengegend setzte Ran sich und begann, zu essen. Dabei genoss er den Luxus und schaltete über den Fernseher das Radio ein. Digital und ohne Rauschen. Er konnte hören, dass überall in dem Zimmer Boxen versteckt sein mussten. Ein teures Soundsystem. Auch das Essen war hervorragend. Anschließend zog er sich seinen Mantel über und stockte an der Tür. Etwas in ihm riet ihn, die kleinen Karten mitzunehmen. Man wusste ja nie, wer hier sauber machte. Also sammelte er alle Kärtchen ein und verließ anschließend das Zimmer, fuhr in die Lobby und gab seine Karte ab. „Danke für ihren Besuch. Wir hoffen, es hat ihnen bei uns gefallen“, hörte er und schmunzelte. „Sehr“, gab er schelmisch von sich und verließ das Hotel, ging direkt zur Bank und dann nach Hause. Seine Chefin würde noch früh genug das Gespräch suchen. In seinen eigenen vier Wänden überwies er Yoji das geliehene Geld und beschloss, dass er am Nachmittag einkaufen würde. Den Rest des Geldes würde er auf die hohe Kante legen, denn wer wusste schon, wann er wieder auf den Fremden treffen würde? Gleich am nächsten Morgen hatte er einen Anruf von seiner Chefin bekommen, die ihm glücklich mitteilte, dass sie bereits eine neue Anfrage vom Kunden 379 erhalten hatte. Rans Herz setzte für einen Schlag aus. Der Mann wollte ihn wirklich wiedersehen. Zwar erst in drei Wochen, aber was machte das für einen Unterschied? Sofort sagte Ran zu. Kapitel 11: AktXI ----------------- Energisches Klopfen an der Tür. Dazu penetrantes Klingeln. „Mach auf!“, rief der Mann hinter der Tür und klopfte noch eine Spur lauter. Träge ging Ran an die Tür und öffnete sie. Vor ihm stand die Inquisition in Form von Yoji Kudo. „Sag mal, was geht mit dir nicht richtig?“ Er stockte. „Und seit wann trägst du Pullis mit Kapuze?“ Ja, seit wann eigentlich? Ran dachte angestrengt nach und erinnerte sich an einige kalte Winterabende, an denen er, um Geld zu sparen, die Heizung ausgelassen und sich in den einen Hoodie gekuschelt hatte, den er besaß, um nicht zu sehr zu frieren. Da muss es irgendwann angefangen haben, dass er das Ding anzog, wenn er sich mit einem Buch irgendwo hinsetzte. Am liebsten mit Kopfhörern und klassischer Musik. Kurz zuckte er mit einer Schulter und ließ Yoji hinein. Er war zu müde, um sich zu streiten, und wollte den Dialog mit dem blonden Mann schnell hinter sich bringen. „Du überweist mir ein Haufen Geld und sagst nichts dazu?“ Ran lehnte sich unbeeindruckt an ein Fensterbrett und beobachtete wie Yoji auf und abging. Er hatte sich wohl so sehr an seine Rolle als Unterstützer gewöhnt, dass es ihm jetzt schwerfiel, dass Ran seine Hilfe wortlos zurückzahlte. Das war ganz offensichtlich und Ran wartete nur auf die ersten sorgenvollen Worte. „Kommst du wirklich zurecht?“ Er musste lächeln. Da waren sie ja schon. Schneller als erwartet. Knapp nickte er. „Nutz dein Geld jetzt lieber für deine Freundin.“ „Tammy.“ „Was?“ „Meine Freundin heißt Tammy. Hast du das etwa vergessen?“ Ein schelmisches Lächeln schlich sich auf die geschwungenen Lippen des Dedektivs und er richtete sich selbstbewusst auf. Eilig wandte Ran den Blick ab und Yoji schnaufte. „Du hast gar nicht zugehört“, stellte er fest und Ran schob sich die Kapuze vom Kopf. „Hör‘ mal. Ich habe dir zugehört. Ich weiß, dass sie die Eine ist und du dich endlich wieder richtig verliebt hast. Ich weiß, dass du mit ihr glücklich bist und sie dir guttut. Was muss ich da mehr wissen?“, fragte er leise und der Blonde lächelte schief. „Erst hatte ich Sorge, dass es komplett an dir vorbei geht. Danke, dass du mir trotzdem zugehört hast.“ Ran nickte gutmütig. „Und wie war’s?“, wurde er plötzlich aus seinen abschweifenden Gedanken gerissen. Starr überlegte er, was er wirklich erzählen sollte. „Gut“, murmelte er dann und hoffte, nicht zu viel Farbe auf seinen Wangen zu bekommen, wenn er an die Nacht dachte. Wenn er daran dachte, wie gut sie zusammen harmoniert hatten, wie gut es sich angefühlt hatte und wie einfach ihre Kommunikation war. „Wow! So gut?“ Ran schnappte innerlich nach Luft, gönnte seinem Freund nur einen finsteren Blick, der ihm verbot, auch nur noch eine einzige Frage in diese Richtung zu stellen. „Sehr ihr euch wieder?“ Er überlegte. Sehen war definitiv das falsche Wort. „Wir haben einen neuen Termin ausgemacht, ja“, korrigierte er und Yoji nickte anerkennend. „Und das, wo du dich erst so sehr dagegen gewehrt hast.“ Das stimmte. Es war ihm einem Pakt mit dem Teufel gleich gekommen, als man ihm die Kategorie C angeboten hatte. Allerdings hatte er sich auch gewehrt, weitere Jobs in der Kategorie anzunehmen. Zwar wollte Jay ihm den Mund wässrig machen, in dem er ihm immer wieder erzählte, was für Urlaube er buchen konnte, wie entspannt er lebte und dass er wieder eine kleine Spielerei für seine Wohnung gefunden hatte. Rans Blick huschte durch seinen Wohnraum. Er mochte es hier und war kein Freund von opulenten Dingen. Was machte er da Spielereien? Er lebte gern sparsam, hatte es immer. Ihn reizte es nicht, im Geld zu schwimmen. Warum auch? So verfiel er wenigstens nicht sinnlosem Kaufrausch und überlegte sich jede Investition sehr genau. Natürlich sparte auch er für schlechte Zeiten oder irgendwelche Notfälle. Doch was schon auf ihn zukommen? Er war allein. Keine Familie, die abgesichert werden musste. Kein Freund, den man mit Kleinigkeiten erheitern musste. Gut. In wenigen Tagen hatte Ken Geburtstag. Doch das Geschenk hatte er schon gekauft. „Ach“, meinte er dann und ging ins Schlafzimmer. Von dort holte er das Geschenk und reichte es an den verdutzten Yoji weiter. „Ich kann zu Kens Geburtstag nicht. Bitte gib ihm das“, sagte er und Yoji nickte geistesabwesend. „Nimm es mir nicht übel, aber ich muss dann ins Bett.“ Für einen Moment sah Yoji ihn kritisch an. „Verkriech dich nicht wieder in deinem Schneckenhaus. Das hast du früher gern gemacht, wenn du einsam warst. Lass zu, dass es dir gut gehen kann“, meinte er und seiner Stimme schwang die Sorge offen mit. Ran nickte nur und wenige Augenblicke später hörte er, wie die Tür ins Schloss gezogen wurde. Ran verschränkte die Arme und lehnte sich an die Wand hinter ihm. Wie sollte es ihm jemals wirklich gut gehen? Mit seiner Vergangenheit war er doch nie in der Lage sich einem Menschen ganz und gar anzuvertrauen. Welcher Mann würde sich schon auf einen Ex-Killer ohne Familie und einem Job, wie seinem, einlassen? Keiner. Da war er sicher. Er müsste immer ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit machen, und daran würde letztlich jede Beziehung scheitern. Er wollte seinen Partner nicht anlügen, das hatte er schon zu oft getan. Zu viele Lügen und Halbwahrheiten lagen auf ihm und würden niemals bereinigt werden können. Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken und er nahm das Gespräch an. Vielleicht hatte Yoji etwas vergessen oder wollte ihm weiter ins Gewissen reden. „Gut, dass ich Sie noch erreiche. 379 hat den Termin für morgen etwas nach hinten geschoben. Wenn es für Sie in Ordnung ist, wäre das Treffen um 22 Uhr. Der Treffpunkt bleibt derselbe.“ Ran gab eine kurze Zusage von sich. Was machten schon zwei Stunden? Wohlweislich hatte er sich für diesen und den nächsten Tag keine Termine eingeplant. Da war es egal, wann ihr Treffen stattfand. „Sehr gut. Dann sprechen wir uns übermorgen?“ Auch das bestätigte Ran, und versuchte nicht mit den Augen zu rollen. Dieser Hype um diesen einen Mann verstand er einfach nicht. Vielleicht war sie bei anderen Premiumkunden auch so, doch das wollte er sich gar nicht vorstellen, und hoffte gleichzeitig, dass die Kundschaft das nicht mitbekam. Umsorgt werden, schön und gut. Aber wenn man ihm ständig hinterherlaufen würde, fände er das enorm albern. Sie beendeten das Gespräch und Ran ging ins Bett. Er war müde und hoffte, dass er schnell einschlafen konnte. Die Nervosität in ihm durfte ihn einfach nicht davon abhalten, sich auszuruhen. Als er am nächsten Abend vor dem angegebenen Hotel stand, schluckte er. Es hatte zwar einen Stern weniger, war dennoch ebenfalls nobel und Ran begann sich zu fragen, wie dieser Mann sich diese Kategorie Hotels nur jedes Mal leisten konnte. Vielleicht war er ja nicht der Einzige, den er bestellte. Wenn er dann doch an die Vergütung dachte, schwirrte ihm der Kopf. Vielleicht würden sie sich heute nur in der Lobby treffen. Dann konnte Ran sich den Mann einmal ansehen, der ihn so aus dem Konzept brachte. Mit einem Blick auf die Uhr, betrat er das Haus und ging an die Rezeption. Dieses Mal fiel es ihm schon wesentlich einfacher, nach der Keycard zu fragen. Dabei nannte er seinen Decknamen und bekam die kleine Karte über den Tresen geschoben. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt“, sagte die Frau und deutete eine Verbeugung an. Ran nickte ihr zu und ging zu den Fahrstühlen. Wieder war das Zimmer in der obersten Etage und Ran drückte den Knopf, der mit einem kurzen Geräusch aufleuchtete. Der Flur war mit dickem, roten Teppich ausgelegt. Das Licht war sehr angenehm. Hier fühlte er sich seltsam wohl. An der Tür des Zimmers klebte eine kleine Karte und ein Lächeln huschte über Rans Lippen. Diese kleinen Dinger waren vertraut. Immer wieder hatte er sich die Karten angesehen, die er erhalten hatte. Vielleicht aus dem Bedürfnis und der Neugier heraus, mehr über den Mann zu erfahren. Doch Fehlanzeige. Die Texte waren zu kurz, um irgendwelche Vermutungen anzustellen. Dennoch reichten sie, um ihn heute weniger nervös zuzugreifen. „Lass das Licht aus und komm auf den Balkon“, las er sich vor und trat in das Zimmer ein. Finsternis umfing ihn und er vermutete, dass die Lichter der Stadt kaum bis zum Balkon kommen würden. Also würde er ihn auch heute nicht sehen. „Meinst du nicht, dass es auf Balkon etwas kalt ist?“, fragte er mutig in die Dunkelheit und legte die Schlüsselkarte auf den kleinen Tisch, dessen Umrisse er gerade noch erkennen konnte. „Das Essen wird dich wärmen“, hörte er eine kratzige Stimme und Ran zog die Augenbrauen zusammen. Das folgende, unterdrückte Husten bestätigte Rans Vermutung, dass der Mann wohl erkältet war. Sicher klang er sonst anders. So war seine Stimme ganz schwach und glich eher einem Reibeisen, als einer menschlichen Stimme. Für eine Sekunde fand er die Stimme passend für einen Drohanruf, doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Ran trat auf den Balkon und warf einen neugierigen Blick auf die Person, die am Tisch saß. Sie war in eine dicke Jacke gewickelt und die Kapuze verdeckte jeden Blick in sein Gesicht. Der Mann schob mit kurzen Bewegungen des Kopfes den Schal höher. Ran musste schmunzeln. „Du bist verrückt. Komm. Wir essen drinnen“, meinte er und erhaschte eine kurze Bewegung, die er als stille Skepsis deutete. Jetzt musste Ran vorsichtig sein. „Wir machen eine Kerze an, damit wir uns nicht in die Finger schneiden, und lassen sonst alles dunkel. Aber dann holst du dir hier draußen nicht den Tod.“ Der Mann wandte seinen Blick über die Stadt und Ran war der Meinung etwas sehnsüchtiges in der Geste zu erkennen. Er folgte dem Blick, wagte sich an das Geländer und begann, zu verstehen. Unter ihnen glitzerte die Stadt, und der sanft beginnende Schneefall, versprach Ruhe und Abstand von der Welt. Wir essen drinnen und dann setzen wir uns mit Decken wieder hinaus. Oder?“, bot er an. Schließlich erhob sich der Mann und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Etwas in Ran sprang darauf an. Seine Vermutungen bestätigten sich. Der Mann war groß. Trotz der dicken Jacke konnte er erkennen, dass er sportlich war. Ran ging zu ihm und wartete auf eine Entscheidung. Als es an der Tür klopfte, ging Ran vor. Er sah es als seine Aufgabe an, das Essen aufzutragen. So nahm er es an der Tür entgegen und gab dem Portier ein Trinkgeld. Als er sich umdrehte, stand der Mann mitten im Raum und hielt zwei dicke Kissen hoch. Ein Nicken, dann landeten die Kissen auf dem Boden und der Mann ließ sich auf eins nieder. Einmal mehr musste Ran feststellen, dass es angenehm war mit dem Fremden. Es war einfach mit ihm und kam ihm sehr entgegen. So nahm er die Teller und das Besteck und ließ sich im Schneidersitz auf das zweite Kissen nieder, reichte einen Teller weiter und setzte sich seinen auf den Schoß. Still aßen sie. Die Kerze wurde einfach vergessen. Hin und wieder unterdrückte der Fremde ein Husten. Warum tat er sich das an? Warum hatte er nicht einfach abgesagt, als er bemerkte, dass er erkältet war? Der Japaner verstand es nicht. Gleichzeitig war er froh, dass er nicht abgesagt hatte. Nicht wegen des Geldes. Das war nicht vorrangig. Nein. Es war diese Stimmung zwischen ihnen. Obwohl sie schwiegen, war da keine Kälte zwischen ihnen. Ran fühlte sich wohl. Ein Räuspern sollte ein neues Husten verdecken und Ran stellte seinen Teller weg und stand auf. Er spürte den Blick auf sich, sagte jedoch nichts. Leise suchte er nach der winzigen Küchenzeile und brühte, im Halbdunkel einer winzigen Lampe, einen Tee auf. Zu seiner Freude, fand er Honig und rührte einen Löffel davon in das Heißgetränk, ehe er das Licht abschaltete und um einiges langsamer wieder zurückging. Seine Augen brauchten etliche Momente, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Das minimalistische Licht der Stadt half ihm dabei überhaupt nicht. Als eine warme Hand über sein Schienbein strich, hielt er an, ging in die Hocke und tastete sich den Arm entlang bis zur Schulter des Mannes. Dann reichte er die Tasse weiter. Er musste nichts sagen, das gefiel ihm. Dennoch ließ der Mann ihn nicht los. Seine Hand strich über sein Knie zum Ellenbogen und weiter über Rans Schulter zu seinem Nacken. Zärtlich und dankbar begannen die Finger ihn zu kraulen. Ran war zufrieden. Sie brauchten keine Worte, verstanden sich auch so. Er wurde mutiger, ließ sich neben dem Mann nieder, der vorsichtig an seinem Nacken zog, ihm deutete, seinen Kopf an die fremde Schulter zu lehnen. Ran folgte, hörte, wie der Mann an dem Tee nippte und dann seine warme Wange an seine Haare schmiegte. Der warme Atem trug eine Note Tee und Honig mit sich und Ran konnte nicht widerstehen, die Augen zu schließen. Zu lange hatte er sich diese Schwäche verboten. Bei Weiß hätte er sich niemandem öffnen können. Er hätte nie eine zärtliche oder gar liebevolle Beziehung eingehen können. Sex war einfach. Ein Onenightstand fragte nicht, wer man war und was man außerhalb der wenigen Stunden machte. Es war sehr einfach, an jemanden zu kommen, wenn man seinen Trieben folgen wollte. Einfach, aber nicht schön. Was auch der Grund war, warum er es nur sehr selten getan hatte. „Du riechst heute gar nicht nach Kaugummi“, murmelte er und schloss die Augen, ließ sich den Nacken streicheln und lauschte zufrieden, wie der Mann den Tee in kleinen Schlucken trank. Dann wurde die Tasse abgestellt und Bewegung kam in den Mann. Es raschelte, doch Ran wollte vertrauen, ließ die Augen geschlossen und seine Stirn an der Schulter. Erneut schmiegte sich eine Wange an sein Haar und ein Lächeln zog sich über das fremde Gesicht. Ran spürte, die leichten Kaubewegungen und erhaschte den Geruch nach Kaugummi. Es war alber, das wusste Ran, aber dieser Geruch in Verbindung mit dem Duft des Mannes in dieser vertrauensvollen Dunkelheit entspannten ihn. Als Dank ließ er seine Finger unter die Jacke schlüpfen und streichelte über die erhitzte Haut. Hatte der Mann etwa Fieber? Dann sollte er das Treffen hier vielleicht abbrechen? Andererseits war der Mann an seiner Seite erwachsen. Wie zur Bestätigung wurde er enger an den Mann gezogen und streichelte sanft weiter. Kapitel 12: Akt XII ------------------- Als Ran die Tür zu seiner Wohnung schloss, überkam ihn eine seltsame Mischung aus Neugier und Müdigkeit. Die letzten Stunden hatte er neben einem Mann gesessen, über den er so viel erfahren wollte. Doch es war kein weiteres Wort zwischen ihnen gesagt worden. Nach dem Essen hatten sie sich mit dicken Decken aus dem Bett und heißem Tee auf die gepolsterten Sonnenliegen gelegt und hatten im Schutze des kleinen Sonnendaches die feinen Schneeflocken beobachtet. Dabei war eine Ruhe entstanden, in der Ran beinahe eingeschlafen wäre. Das war ihm das bis jetzt nur einmal passiert - Bei seinem ersten Date mit diesem Mann. Nicht einmal bei Yoji hatte er sich so sehr fallen lassen können, war nach dem Sex nur wenige Minuten liegen geblieben und dann gegangen. Damals hatte er gesagt, dass er nur in seinem Bett gut schlafen konnte. Der Schnüffler hatte ihn aber schnell durchschaut und hatte sich, falls sie mal in Rans Bett gelandet waren, danach wieder zurückgezogen. Erst dann konnte Ran sich entspannen. Dabei kannte er Yoji so viel länger. Es war verrückt, aber dieser Mann, wer auch immer er war, schaffte es mit seiner bloßen Anwesenheit, ein seltsames Urvertrauen in Ran zu wecken, dass er die Welt loslassen konnte. Heute hatte er wirklich vergessen, dass er nicht neben dem Mann saß, mit dem er ein persönliches Date hatte. Sondern neben einem Kunden. Es hatte sich nicht wie Arbeit angefühlt. Ganz und gar nicht. Vielleicht sollte er Yoji davon erzählen? Er schüttelte amüsiert den Kopf. Kudo würde ihn nur aufziehen und ihn in wilde Theorien einbinden, die er einfach nicht hören wollte. Nicht jetzt und vielleicht nie. Ein kurzer Blick auf die Uhr und er überlegte, ob es vielleicht Sinn machte, noch wach zu bleiben, all seine Aufgaben, insbesondere das Telefonat mit seiner Chefin, zu erledigen und dann sehr zeitig ins Bett zu gehen. Das klang verführerisch. So ging Ran in die Küche und kochte Kaffee. Eigentlich hielt er nicht viel von dem Gebräu. Es war bitter und es schmeckte für ihn grauenvoll. Aber das ungewohnte Koffein würde ihn lange genug pushen, dass er das Telefonat überstand. Alles andere ... Erst jetzt zog er seinen Mantel aus und stutzte. In seiner Innentasche fand er einen Umschlag, den er ganz vorsichtig hervorzog und noch vorsichtiger einen Blick hineinwarf. Zum Vorschein kam jedoch nur ein Scheck. Ran verkniff sich einen überraschten Laut. Hatte er seinen Job schon wieder vergessen. Sein zweiter Gedanke galt dem ‚wie?‘. Fieberhaft überlegte er, wann dieser Umschlag in seinen Mantel gekommen war, doch ihm fiel nur eine Situation ein, indem der Fremde - er musste sich langsam einen Namen für den Mann ausdenken oder ihm beim nächsten Mal nach einem Namen fragen - und er nicht zusammen waren. Als Ran die Decken geholt hatte. Dann war Mister X aber sehr schnell gewesen. Erneut schüttelte Ran den Kopf. Er sollte ihn beim nächsten Mal einfach nach dem Namen fragen, ehe er sich in lachhafte Titel spinnen konnte. Geistesabwesend sah Ran noch einmal in den Umschlag und erkannte die kleine Karte sofort. Neugierig zog er sie heraus und stockte. Sie war handschriftlich. Ein Datum in fünf Wochen und eine Uhrzeit. Dazu ein kleiner Pin, wie er ihn von Maps im Internet kannte. Es dauerte lange Sekunden, bis er seinen Atem wieder aus den Lungen ließ, erst da bemerkte, dass er sie überhaupt angehalten hatte. So etwas Verrücktes. Wo kam nur dieses pubertäre Verhalten her? Er warf den Umschlag und die Karte auf die Kommode und ging mit seinem Kaffee auf seine Couch, nippte hin und wieder an dem bitteren Getränk, während er sich durch das frühmorgendliche Fernsehprogramm zappte. Gott! Wie konnte man sich so etwas nur antun? Warum hatte er gleich noch einmal einen Fernseher? Er wusste es nicht mehr, vermutete aber, dass er damit einen Platz schaffen wollte, auf dem der Staub sich sammeln konnte. Schnaufend stellte er die Tasse ab und zog sein Handy hervor. Unwirsch sah er auf die drei eingespeicherten Nummern ohne Namen. Er wusste, wer zu welcher Nummer gehörte und hatte darum keine Namen eingetragen. Vielleicht sollte er Omi mal anrufen? Er hatte lange nichts mehr von dem Kleinen gehört. Ran stutzte. Der ‚Kleine‘ war schon längst erwachsen. Und war Ran es nicht, der ihn immer ermutigt hatte, dass er kein Kind mehr war? Vielleicht sollte er sich auch mal nach Ken erkundigen? Bei ihrem letzten Treffen hatte der Brünette nicht besonders gut ausgesehen. Ran zögerte. Er wusste es nicht, blieb irgendwie immer wieder bei Yojis Nummer hängen. Aber warum? Hatte er etwa ein so gesteigertes Bedürfnis mit dem Mann zu reden, mit dem er geschlafen hatte? Über den Mann, mit dem er gerade erst geschlafen hatte? „So ein Blödsinn“, murrte er zu sich selbst und legte das Telefon ab, faltete die Hände und stützte sich auf seine Knie. Was war nur los mit ihm? Seit wann war er so furchtbar sentimental? Im nächsten Moment schaltete er die Anlage von Omi an und lehnte sich zurück, beobachtete, wie der Tag vor seinem Fenster langsam grau wurde. Hin und wieder huschte sein Blick auf die Kommode und wieder zurück, bis er es irgendwann nicht mehr aushielt und die Karte holte. Sie faszinierte ihn. Es waren nur Zahlen, kaum wirklich für eine aussagekräftige Schriftprobe geeignet. Eventuell wusste sein Unbekannter von diesem Umstand und hatte es deswegen gewagt. Sein Mundwinkel zuckte. Möglicherweise war das auch ein Spiel? Spielte der Fremde hier mit ihm Räuber und Garndarme? Die Idee gefiel Ran auf eine seltsame Weise. Dann war der Mann vielleicht gar nicht schüchtern, sondern verspielt. Okay. Er konnte auch fürchterlich paranoid sein, aber das hoffte er nicht. Hätte er es sonst riskiert, ihn ohne Augenbinde zu treffen? Eher nicht. „Es war ein Test“, murmelte er. Ein Test, um sein Vertrauen zu stärken oder diese Liaison sofort zu beenden. Hätte Ran das Licht betätigt, wäre wohl alles aus gewesen. Bei dem Gedanken liefen Ran kalte Schauer über den Rücken. Vor lauter Zärtlichkeiten hatte er den Ernst der Lage völlig ignoriert. Warum musste der Mann ihm auch so zart und beruhigend den Nacken streicheln? Da war er so furchtbar empfindlich. Auch der Kuss bei ihrem ersten Treffen hatte ihn davor bewahrt, auszuflippen. Alles hatte sich so natürlich zusammengefügt. Fast als wären sie für einander ... Ruckartig stand Ran auf und griff nach dem Telefon. Er schrieb Yoji eine Nachricht, wagte nicht, anzurufen. Sicher war seine Stimme in diesem Moment nur ein Schatten ihrer Selbst und Yoji kannte ihn zu lange und zu gut, um das zu überhören. Und dann? Dann musste Ran Dinge erklären, die vollkommen lächerlich waren. Dafür kannte er Yoji zu gut. Er würde sich damit selbst lächerlich machen. Auf gar keinen Fall. Etwas Ehre hatte er noch im Leib, auch wenn er von seinem Freund Almosen hatte annehmen müssen. Aber auf gar keinen Fall würde er den Detektiv tiefer in die Geschichte einweihen. Er wusste ja jetzt schon viel zu viel, und Ran konnte sich vorstellen, wie der Blonde reagieren würde. Die Karte landete auf dem Couchtisch und Ran schnappte sich den Scheck und seinen Mantel und verschwand aus der Wohnung. Sein erster Halt war die Agentur, damit er seiner Chefin Bericht erstatten und sie gleichzeitig beruhigen konnte. Kunde 379 war bei ihm gut aufgehoben. Er wusste, was er tat und was von ihm erwartet wurde. Und ja! Er wusste, auf was er sich da einließ. Anschließend besuchte er das Geldinstitut, ließ den Scheck einbuchen und holte ein wenig Geld. Immerhin musste er noch ein Versprechen einlösen. Das Blumengeschäft seiner Wahl war das, in dem er seine letzte Probearbeit absolviert hatte. Er kam in das Geschäft und stockte. Ein nur allzubekannter brauner Schopf war hinter dem Tresen beschäftigt und Ran konnte nicht anders, als zu lächeln. „Ken“, meinte er leise und genoss den erschrockenen Blick, der ihm entgegengeworfen wurde. Zu gern wäre er zum Spaß in seine alte Rolle gegangen und hätte den Kalten gemimt, aber dafür freute er sich zu sehr, wie gut der Jüngere aussah. „Du bist Florist“, stellte er unnötiger weise fest und Ken war noch immer ganz starr, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte. „Erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen? Da kam ich auch in zivil und du standest im Laden“, wollte er wissen und sah sich zwischen den ganzen gut duftenden Blumen um. Ein Lachen erklang. „Ich hab dir ordentlich eine reingehauen“, kam es amüsiert und auch ein wenig stolz von dem Brünetten und Ran nickte leicht. „Ich weiß, das ist eher Omis Ding aber ...“ Damit fand sich Ran in einer festen Umarmung wieder, die er vor lauter Schreck nicht einmal erwiderte. „Es tut so gut dich zu sehen Ay ... ähm ... Ich meine Ran.“ „Ich bin überrascht dich hier zu sehen. Wie kommts?“, fragte er, als die Besitzerin den Laden betrat und überrascht auf die zwei Männer sah. „Schön Sie zu sehen, Herr Fujimiya“, meinte sie und lächelte leicht. Ran erwiderte den Gruß und wandte sich dann wieder Ken zu. „Schön, dass du wieder als Florist arbeiten kannst.“ Ken nickte eifrig. Ganz offensichtlich ging es ihm schon viel besser. „Herr Hidaka macht eine Umschulung bei mir und ich hoffe, er bleibt danach“, wurde Ran aufgeklärt, dann bestellte er einen großen Strauß. „Für Aya-chan?“, hörte er Ken flüstern und lächelte nur knapp als Antwort. „Es ist ein Versprechen, dass ich einlösen muss.“ Damit war alles gesagt und Ran bezahlte den Strauß, ehe er ging und seinen letzten und schwersten Weg für heute antrat. „Hallo Schwesterchen“, wisperte er, ehe er die Blumen niederlegte. Wie so oft hockte er sich vor den Stein und strich sacht darüber. So oft hatte er ihr mit dieser Geste eine Strähne aus dem Gesicht gestrichen. Etwas, dass er wohl für immer vermissen würde. Jetzt konnte er ihr in Gedanken endlich alles erzählen. Endlich war er soweit, ihr seine Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit über ihn. Die Wahrheit darüber, was aus ihrem lieben, unschuldigen Bruder geworden war. Mit allem was er war, hoffte er, sie würde ihm vergeben. Auf Verständnis hatte er nie zu hoffen gewagt. So oft hatte er sich selbst nicht verstanden. Die letzten zehn Jahre konnte niemand je wieder von seiner Seele wischen. Sie waren ein wunder Punkt, der wohl niemals heilen würde. Wie konnte er auch? Wer sollte ihn schon in den Arm nehmen, um ihm zu vergeben? Wer sollte etwas tun, dass Ran nicht bereit war für sich selbst zu tun? „Ich konnte dir nicht einmal ein paar schöne Jahre geben. Du hast das alles gar nicht erleben können. Keinen Sommer, keinen weißen Winter. Ich habe mich so sehr an dich geklammert.“ Es war das Einzige, was er unbedingt aussprechen musste. Er musste hören, wie er es sagte, um es sich selbst zu erklären. Er war besessen gewesen von seiner Rache. Da hatte nichts anderes Platz gehabt. Doch auch, als er bekommen hatte, was er wollte, konnte er nicht loslassen. Er hatte sich verschlossen und wenn er ehrlich war, wollte er es auch bleiben. Die Trauer, der Schmerz. Das alles sollte kein Teil von ihm werden. Doch nach ihrem Tod hatte sich für ihn alles geändert. Er war leer und dieses dunkle Nichts war umhüllt von Wut, Schmerz, Trauer und Hass. Wäre er sich selbst begegnet, er hätte sich nicht wiedererkannt. Das war nicht er. Nicht mehr. Das war nicht seine Natur. Er war zu etwas geworden, dass er niemals sein wollte, und wäre Yoji nicht gewesen ... Er wollte es sich gar nicht ausmalen. Langsam erhob er sich und ging nach Hause. Sein Körper war träge und kalt. Er wollte nur noch ins Bett und morgen würde er weiter sehen. Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, brauchte er ein paar Augenblicke, um zu begreifen, dass sein Handy ihn geweckt hatte. „Hallo?“, fragte er lahm und rieb sich müde über die Augen. „Was ist das denn für ne Nachricht?“, hörte er Yoji und setzte sich auf. So kurz nach dem geweckt werden konnte er noch gar nicht klar denken. „Was?“, fragte er daher und hörte ein Schnaufen. „Ran, warst du besoffen oder was? Schreibst mir hier eine Nachricht, dass wir ganz dringend reden müssen, dann eine mit ‚vergiss es‘ darin und ich soll jetzt daraus schlau werden? Ich bin wirklich gut in meinem Job, aber das begreife ich nicht. Junge ich mach mir wirklich langsam Sorgen. Ist was mit dem Typen passiert?“ Nun war Ran wirklich wach und erinnerte sich an seine dringlich geschriebene Nachricht und wie er sie revidieren wollte. „Nein. Es ist alles gut. Ich war ...“ Ja, was war er denn? Verwirrt. Bestimmt. Nervös? Auf jeden Fall! Verunsichert und fühlte sich zu dem Mann, den er gar nicht kannte hingezogen? Er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen kroch. Verdammter Mist. „Ich habe mich einfach noch nicht an diesen Job gewöhnt“, log er unterkühlt und ging sich durch die Haare. „Ok. Das kann ich verstehen.“ Yoji war gleich ruhiger geworden. „Aber wenn der Typ irgendein linkes Ding dreht ...“ Er sprach seine Drohung nicht aus, aber Ran verstand und schnaufte ergeben. „Danke. Aber ich bin schon groß. Ich kann mich selbst verteidigen. In einem Kampf eins gegen eins, hat mich noch kaum einer wirklich schlagen können“, gab Ran zu verstehen und legte sich zurück. „Er ist wirklich nett und vielleicht ist mir das einfach nicht mehr vertraut und ich suche krampfhaft einen Hacken, der nicht da ist.“ „Tust du das?“ „Ja. Irgendwie schon. Er schickt Emails oder kleine Karten mit den Terminen und ich habe überlegt, ob er irre, gestört oder einfach nur stumm ist. Wer weiß denn, was das für ein Psychopath ist, der mich am Ende des Treffens in eine Tiefkühltruhe packen will. Oder er hatte einen Unfall und kann nicht mehr sprechen. Oder aber das Zimmer ist verwanzt und er ist ein gesuchter Krimineller.“ „Wir waren echt zu lange bei Kritiker. Wenn du ein harmloses und abgesichertes Treffen schon so durchleuchtest.“ Ran gab nur einen verstehenden Laut von sich. „Yoji. Ich habe echt keine Ahnung, wie lange das noch gut geht“, murmelte er und war froh, dass der Detektiv es als allgemeingültig ansah. Sie waren schon ein ganz schön verkorkster Haufen. Kapitel 13: Akt XIII -------------------- „Du bist heute nicht ganz bei mir, oder?“, hörte er Mikos Stimme leise neben sich und sah die Frau mit einem verzeihenden Lächeln an. Irgendwann hatte sie ihm das Du angeboten und Ran hatte es dankbar angenommen. „Es tut mir leid. Es liegt nicht an dir“, sagte er und sah auf die Bühne. „Diese Oper habe ich das letzte mal mit meiner Mutter gesehen. Einige Wochen vor ihrem Tod.“ „Und jetzt denkst du gerade an sie?“ Ran nickte und tätschelte die Hand der Frau. „Aber ich bin gerne hier und ich weiß, dass sie sich freuen würde, wenn sie wüsste, dass ich ihre Lieblingsoper mit einer ganz reizenden Frau ansehe.“ Miko kicherte und winkte verlegen ab. „Du musst mich nicht um den Finger wickeln. Ich mag dich auch so. Du könntest der Sohn sein, den ich nie hatte und das genieße ich sehr.“ Ein Lächeln zuckte über Rans Mundwinkel, wenn er daran dachte, dass seine Mutter jetzt im, selben Alter wäre. Es hatte etwas Tröstliches. „Aya. Ich weiß, dass du nur eine Begleitung bist, aber auch du bist ein Mensch und auch du hast Dinge, die dich in deinem Leben beschäftigen. Ich möchte nicht mit einer Puppe ausgehen, die nur das tut, was mir gefallen könnte. Es würde mich freuen, wenn du mich vielleicht irgendwann als Freundin sehen kannst, mit der du einen schönen Abend in der Oper verbringst“, meinte sie und tätschelte nun ihrerseits seine Hand. Ran nickte und als der letzte Vorhang fiel, stand er auf und funkelte Miko schelmisch an. „Dann komm mal mit“, raunte er geheimnisvoll und Miko folgte ihm. Sie sagten Mikos Bruder ab und Ran führte sie zu einem Imbiss in der Nähe. Mit ihrem feinen Zwirn waren so zwar mehr als overdressed, aber das kümmerte keinen von beiden, als sie an dem runden Tisch standen und ihre Fertignudeln schlürften. Vor ihrem Haus verabschiedete Ran die Frau und nahm den Briefumschlag von ihrem Bruder entgegen, den er einfach in seine Jacke steckte und nach Hause lief. Dort zog er seine Jacke aus und ging sie über die Garderobe,. Der Brief fand seinen Platz auf der Kommode. Er musste nicht hineinsehen. Es hatte nie Diskrepanzen in der Summe gegeben. Und wollte Ran nicht sowieso versuchen, mehr zu vertrauen? Er setzte sich auf die Couch und ließ den doch recht lang gewordenen Abend noch einmal an sich vorbei ziehen. Sein Blick wanderte dabei auf seine Kommode. Die dicke des Briefes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Mikos Bruder war es wichtig, kleine Scheine hineinzutun. Warum auch immer. Dabei tat es doch auch ein Scheck ... und eine kleine Karte. Ran schnaufte, erhob sich und ging zu seinem Bett, setzte sich auf die Ecke und zog eine kleine Schuhschachtel hervor. Er wusste, wie albern das war, immerhin handelte es sich um Papier. Aber irgendetwas in ihm weigerte sich, auch nur eine dieser kleinen Stücke zu entsorgen. Beinahe andächtig hob er den Deckel ab und besah sich den ungewöhnlichen Inhalt. Jede der Karten, die er von dem Unbekannten zugestellt bekommen hatte, war hier drin. Es waren wenige und doch ... Es waren die Feinheiten, die Ran so sehr interessierten. Die Karten vom ersten Abend waren schlicht, weiß und ohne irgendeine Verzierung. Die von ihrem zweiten Abend hatten einen feingeprägten Rand und die Letzte. Ran nahm sie in die Finger und kippte sie gegen das Licht. Sowohl die Tinte, mit der die Karte geschrieben wurde, als auch die Oberfläche der Karte selbst, changierten ganz dezent in kühlen Blautönen. Ob das seine Lieblingsfarbe war? Energisch schüttelte er den Gedanken ab. Dieser Mann war ein Kunde. Mehr nicht! Dass er diese albernen Karten aufhob, okay. Aber sich über die Vorlieben des Mannes weitere Gedanken zu machen, war einfach kindisch. So setzte er entschlossen den Deckel auf die Kiste und schob sie wieder unters Bett. Aus den Augen, aus dem Sinn, wie es so schön hieß. Dennoch. Sein Herz pumpte das Adrenalin durch seinen Körper und schickte ihm immer wieder Bilder von ihren zwei Treffen. Gott, verdammt! Es waren zwei Treffen. Miko hatte er schon viel öfter gesehen und da drehte er auch nicht so durch. Na gut. Miko hätte, vom Alter her, auch seine Mutter sein können und dazu war sie noch eine Frau, passte somit überhaupt nicht in Rans Beuteschema. Stöhnend legte er sich zurück, legte beide Arme über das Gesicht und atmete tief durch. Das konnte doch alles nicht wahr sein. „Du machst dich nur lächerlich damit. Wenn er genug von dir hat, wird er sich jemand anderen suchen. Dann bist du abgeschrieben und musst auch damit klar kommen. Reiß dich einfach zusammen!“, mahnte er sich in hartem Ton und griff nach der Ecke der Decke, rollte sich auf die Seite und hüllte sich so in eine Art Kokon, der ihn vor der Welt verstecken sollte. Wie rührselig er sich dabei vorkam. Vielleicht sollte er am nächsten freien Abend selbst wieder um die Häuser und durch die Clubs der Stadt ziehen und sich selbst etwas für die Nacht suchen. Früher war er auch heimlich aus dem Elternhaus geschlichen, um seinen Hunger nach einem warmen und anschmiegsamen Körper zu stillen. Seine Mutter hatte ihn irgendwann mal im Garten mit einem Jungen entdeckt. Eng umschlungen und knutschend. Gesagt hatte sie nichts. Auch Rans Vater nicht, immerhin war Ran früh bewusst geworden, dass er bisexuell war. Zwar zogen ihn die Männer mehr an, aber hin und wieder hatte er auch eine Freundin, die er dann auch seinem Vater vorführen konnte. Unwillig schnaufte er bei der Erinnerung. Was seine Eltern wohl sagen würden, wenn sie ihn so sahen? Er wusste es nicht und würde es nie erfahren. Sie waren tot. Genau wie seine Schwester. Seine ganze Familie war tot. Nur noch er war da. Er war allein. Vielleicht kam dieses merkwürdige Verhalten daher? Immerhin waren die letzten zehn Jahre belastend gewesen. Für Körper und Seele. Sicher war seine Psyche da nicht schadlos durchgegangen. Er war ein Freak. Nicht so sehr wie die Irren von Schwarz, aber ganz normal war er auch nicht mehr. Wen wunderte es da, dass er sich nach etwas wie Normalität sehnte? Nach Geborgenheit. Einem Platz, wo er mit seiner Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Zustand sein konnte. Ohne Versteckspiel, ohne Lügen. Bei diesem Mann konnte er Ran sein, er selbst. Dieser Mann fragte nicht, verlangte nichts von ihm. Er gab ihm ehrliche Ruhe, mitleidlose Zärtlichkeiten und ein Gefühl von Nähe, dass er bisher nie gespürt hatte. „Das ist es wohl“, murmelte er für sich selbst und spürte, wie schwer seine Zunge bereits war. Der Schlaf kam über ihn und Ran gab sich hin. „Danke für den schönen Abend. Der Film war gut, oder?“ Ran nickte höflich. Er hatte nichts für diese Liebesschnulzen übrig, aber das spielte keine Rolle. „Das freut mich. Ich war mir nicht sicher, ob du noch mal mit mir hingehen würdest“, druckste sie herum und spielte mit ihrem langen, dunklen Haar. „Ich gehe immer wieder gerne mit dir ins Kino“, sagte er und lächelte, als ihr die Röte in die Wangen stieg und sie noch verlegener an ihrem Haar spielte. „Das ist lieb, dass du das sagst“, flüsterte sie und war offensichtlich so nervös, dass sie alle weiteren Worte vergaß, sich hastig verabschiedete und ging. Ran sah ihr einige Zeit nach. Er hatte wirklich gemeint, was er sagte. Im Kino war es dunkel und er hatte genug Zeit, um seinen Gedanken nachzuhängen. Wie es wohl wäre, wenn er mit dem Unbekannten ins Kino ging. In seiner Fantasie schlich sich irgendwann seine Hand auf den warmen, festen Rücken. Vielleicht würde der Fremde auch seinen Nacken kraulen. In Gedanken blickte Ran zu ihm und jedes Mal endete sein Tagtraum in dem, von Schal und Mütze, verdeckten Gesicht. Dieses Mal hatte er noch einen Blick in dunkle, braune Augen geworfen. In dem Traum davor, in grüne und davor in blaue. Seufzend drehte Ran sich um, steckte die mittlerweile kalten Hände in die Jackentaschen und erfühlte das Geld, dass er für diesen Abend bekommen hatte. Das Mädchen hatte es vorgezogen, das Geschäftliche vor dem Vergnügen zu regeln. Ihm sollte es recht sein. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr an der Bushaltestelle. Es war gerade kurz nach acht. Was sollte er mit dem Abend anfangen? Erneut fühlte er die Geldscheine und zog nachdenklich die Brauen zusammen. Das hier war doch eigentlich die Gelegenheit. Sein nächster Job war erst am nächsten Abend und er war seit Tagen in Stimmung. Eigentlich seit dem zweiten Date mit Mister X. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er änderte die Richtung. Heute würde er den Takt angeben. Heute würde er sehen, wie sich der andere Körper dabei bewegte. In einer der einschlägigen Clubs angekommen, gab Ran seine Jacke ab und ging zielstrebig zur Bar, wo er einen Drink orderte und sich dann neugierig umsah. Die Musik an seinen Ohren war laut aber gut und trotz der schlechten Lichtverhältnisse, konnte er erkennen, dass er hier viel Auswahl hatte. Von schlank und fast etwas schmal bis breit gebaut und groß. Es war alles vertreten. Wie konnte es an einem Samstagabend auch anders sein? „Hey Süßer“, wurde er angesprochen und taxierte den jungen Mann neben sich, ehe er sich ein kurzes Lächeln gönnte. „Ich glaube, ich weiß was du suchst“, raunte der Mann ihm zu, als er näher kam. Ran blieb ruhig. Nicht zuletzt wegen des Messers in seinem Stiefel. Hin und wieder gab es Ran ein vertrautes Gefühl, auch wenn er es vielleicht nie benutzen musste. Sein Katana wäre ihm ohnehin viel lieber. „Ach. Und was könnte das deiner Meinung nach sein?“, schnurrte er beinahe und der Mann lächelte verschwörerisch, ehe er sich noch näher beugte und ihm etwas ins Ohr raunte, dass Ran eine Gänsehaut verschaffte. Oh ja! Das klang gut. Er drehte sich zur Bar zurück, stellte sein fast leeres Glas ab und griff nach der Hand des Mannes, der ihm willig folgte. An der Garderobe holten sie ihre Jacken und ließen den Club hinter sich. Nun ließ Ran die kühle fremde Hand los und folgte dem Mann die Straße entlang. Mit zu sich würde er ihn garantiert nicht nehmen. Plötzlich wurde er am Arm gepackt und in eine Gasse gezogen. Wirklich überraschend kam es für ihn nicht, hatte er doch die Blicke des Mannes bereits deuten können. Er wurde an die Wand gepresst und gierige Lippen legten sich auf seine. Sofort erwiderte Ran den Kuss, griff nach der Taille des Mannes und drängte ihn fester an sich, fuhr mit der Zungenspitze über die rauen Lippen. Der Mann griff seine Hände und schob sie sich ins Haar. Das war gut … oder? Der Geschmack von Alkohol drängte sich Ran auf, als er die fremde Mundhöhle eroberte. Da war keine Süße, keine fruchtige Note. Er presste die Augenlider fest zusammen, zwang sich, sich zu entspannen und es zu genießen. Mit Yoji war das doch auch gegangen. Warum jetzt nicht? Ran löste sich und sah in die irritiert dreinblickenden Augen. „Was is?“, wurde er gefragt und diese Worte ruinierten den letzten Funken Lust in ihm. „Tut mir leid“, hörte Ran sich murmeln, bevor er sich zwischen Wand und Mann hervordrängte und ging. Die Hände wanderten tief in die Taschen seiner Jacke. Die nachgerufenen Worte hörte er nur noch wie durch Watte. Verstehen konnte er sie nicht. Als er endlich zuhause war, zog er sich unwirsch die Kleider vom Leib, ging duschen und legte sich dann ins Bett. Das war ja super gelaufen. Nichts fürs Bett und noch frustrierter als vorher. Ran zog die Schachtel unter dem Bett vor und nahm die letzte Karte heraus. Diese Handschrift. Sie könnte wohl jedem gehören, doch sie gehörte zu diesem Mann, der Ran sicher noch in den Wahnsinn trieb. „Noch zwei Wochen“, murmelte er und wischte sich mit der freien Hand durch das Gesicht, dann besah er sich seine Fingerspitzen. Sie hatten weiches Haar getastet. Das war doch etwas, was er immer mochte – seine Finger durch die Haare seines Partners gleiten lassen. Immer und immer wieder. Langsam schloss er die Augen, ließ seine Hände auf seine Brust sinken und schnaufte. Was war nur los mit ihm? Die nächsten Tage verfolgte ihn der Mann nicht nur in seine Tagträume, nein auch nachts suchte er ihn heim, strich mit warmen Fingerspitzen über seine erregte Haut und ließ ihn die Welt um sich vergessen. Mehr als einmal musste Ran sich danach zwischen kalter Dusche und seiner eigenen Hand entscheiden und, für seinen Geschmack zu oft, entschied er sich gegen die Dusche. Kapitel 14: Akt XIV ------------------- Immer wieder kippte er die kleine Karte in seiner Hand gegen das Licht, als er in der Lobby des Hotels saß und den Zeigern auf der Uhr dabei zusah, wie sie ihre Runden drehten. Eine Stunde saß er schon hier und kam sich seltsamer weise nicht einmal albern dabei vor. Der Tee vor ihm war bereits abgekühlt, als er die Tasse das erste Mal in die Hand genommen hatte. Adrenalin und Testosteron pulsierten in seinen Adern und machten ihn zittrig, nervös und ungeduldig. Hier zu sitzen war pure Folter, aber er konnte ja schlecht, wie ein Tiger im Käfig umherwandern. Zuhause warten konnte er jedoch auch nicht mehr. Die Wände seiner Wohnung schienen auf ihn zuzukommen und er brauchte Luft und Bewegung. Ein Grund, warum er bis hier her gelaufen war. Dazu kam, dass der Winter ein wenig milder geworden war. Für Anfang Februar nicht ungewöhnlich, dass die Temperaturen hin und wieder über null Grad kletterten. Ran hatte seinen Weg hierher genossen, doch nun saß er hier und starrte die Uhr an, versuchte, sie mit drohenden Blicken dazu anzutreiben, schneller zu ticken. Die Uhr blieb unbeeindruckt. Oder tickte sie sogar langsamer, um ich zu ärgern? Heute war nicht sein Tag gewesen und er sehnte sich nach ein wenig Ruhe, nach diesem Mann und nach dem dunklen Zimmer, indem nur sie beide wichtig waren. Ran lehnte sich in dem weichen Sessel zurück und wartete ungeduldig seine Zeit ab, ehe er die Karte einsteckte, sich erhob und die Schlüsselkarte zum Zimmer holte. Im Fahrstuhl warf er einen Blick darauf und ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. Es war das gemütliche Zimmer mit der schönen Dachterrasse, auf der sie das letzte mal schweigend in den Himmel gesehen hatten. Ob sie das heute wiederholten? Ein Teil in Ran hoffte, das nicht. Er ging zu der Tür und öffnete sie. Das Licht der Stadt drang kaum bis zu ihm nach oben und seine Augen brauchten eine ganze Weile, bis sie sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sofort erfasste ihn die Ruhe und Gelassenheit, die er so vermisst hatte. Hier war er richtig. Hier war sein Platz. Es klang albern in seinem Kopf, doch es fühlte sich so gut, so richtig an. Dann erkannte er den kleinen Tisch und ging auf ihn zu. Ein Tuch lag darauf und Ran nahm es mit einem Lächeln auf. „Du bist ein ganz schöner Spinner“, meinte er und nahm mit Amüsement in der Stimme den Worten die Härte. „Hilfst du mir?“ Er legte sich das Tuch über die Augen, hielt die Enden nach hinten und lauschte den bedächtigen Schritten hinter ihm. Es klang, als liefen nackte Füße über den weichen Teppich. Oh! Er wusste, wie weich der Teppich war, hatte es bei ihrem Abendessen auf dem Boden ein paar mal bemerkt. Warme Finger ergriffen seine, nahmen ihm das Tuch ab und knoteten es sicher und dennoch vorsichtig zusammen. Dann wanderten sie über seinen Hals. Rans Puls stieg, als sie sich um ihn legten und er sog die Luft schärfer ein. Vertrauen. Immer wieder dachte er an dieses Wort. Er musste, er wollte vertrauen. Allmählich entspannte sein Körper sich und die Hände wanderten über seine Schultern, seine Arme und wieder hinauf. Dabei spürte er den warmen Atem in seinem Nacken und widerstand dem Drang nicht, seinen Kopf ein wenig vor zu neigen, so seinen Nacken anzubieten. Nur ein einziger sanfter Kuss. Mehr wollte er gar nicht. Nur einmal diese weichen, warmen Lippen in seinem Nacken spüren, wie sie ihn beruhigend küssten. Doch statt der Lippen wanderte eine freche Zungenspitze über den Teil der Wirbelsäule und jagte Ran heiße und kalte Schauer durch den Körper. Die fremden Finger verflochten sich mit seinen. Was für ein ungewohntes Gefühl. Dann hielt der Mann seine Hände fest, und zog Ran so in eine Umarmung, aus der er sich kaum würde herauswinden können. Aber wozu auch? Er wollte es gar nicht. Nicht jetzt, da er den starken Körper an seinem Rücken und die Wärme an seinem Hals spüren konnte. Zarte Küsse wurden ihm auf Wange, Hals und Ohr gehaucht und Ran ließ seinen Kopf entspannt auf die Schulter hinter ihm sinken. Etliche Minuten vergingen, ehe Ran sich ins Gedächtnis rufen konnte, warum er hier war. Nicht, damit er Zärtlichkeiten empfing. Sein Kunde war wichtig. Ganz langsam löste er die Umarmung auf, hielt die Hände erst locker in seinen und strich dann neugierig bis zu den Oberarmen, wanderte über das Shirt. Er spürte den gut trainierten Körper darunter, die breite Brust, den flachen Bauch. Dieser Körper war seinem so ähnlich und doch war so vieles anders. Es reizte Ran. Noch langsamer und ganz vorsichtig glitten seine Fingerspitzen von dem verdeckten Nabel hinauf, über die Brust, zwischen den Schlüsselbeinen entlang, über den ausgeprägten Kehlkopf, der sich unter seinen Fingern bewegte, als der Fremde schluckte. Der Mann legte den Kopf in den Nacken und Ran leckte sich leicht über die Lippen. Das hier war einfach zu gut. Mutig strich er weiter. Er erreichte das hochgereckte Kinn, ertastete die kleinen Stoppeln. Vielleicht hatte der Mann es heute nicht geschafft, sich zu rasieren, denn nach einem Dreitagebart fühlte sich das ganz sicher nicht an. Nur noch ein Stück. Nur noch wenige Zentimeter. Endlich erreichte er die weichen Lippen, fuhr ihren Schwung nach, als wieder Leben in den Anderen kam. Schneller, als Ran es erwartet hatte, schnappten Zähne nach seinem Finger, hielten ihn fest. Ran hielt für einen Augenblick die Luft an. Diese Zähne waren scharf. Sehr scharf! Er spürte den warmen Atem an seiner Fingerspitze, gefolgte von einer Zunge, die ihn mit winzigen Berührungen reizte. Um ein Keuchen zu unterdrücken, reckte sich Ran etwas hoch, legte seine Lippen auf den fremden Hals, küsste den Kehlkopf, spürte die rauen Stoppeln unter seinen Lippen und sog den Geruch des Mannes in seine Lungen. Da war eine Note Schweiß. War er etwa direkt von der Arbeit hierher gekommen? Der Gedanke gefiel Ran. Vielleicht hatte er das Treffen ebenso wenig abwarten können. Die Finger der freien Hand, strichen über die Seite des Fremden und glitten unter das Shirt. Die Spannung zwischen ihnen war so hoch, dass Ran es bereits auf seiner Haut prickeln spürte. Das konnte der Andere ruhig wissen. Dieser ließ seinen Finger frei, umgriff Rans Kinn und zog ihn in einen gierigen Kuss. Sofort erwiderte er den Kuss. Es war so anders, als mit dem Mann in der Gasse. Die große Hand wanderte in seinen Nacken und fuhr in seine Haare. Ran strich mit zwei Händen über den warmen Körper, zerrte an dem Shirt. Nur kurz wurde der Kuss gelöst und der Mann zog sich das Shirt aus. Auch Rans Shirt wurde ausgezogen und landete irgendwo. Ihr Kuss wurde wilder. Ihre Finger neugieriger. Unstet streichelten sie sich gegenseitig, blieben nie lange an einem Ort, zogen feine Spuren über die Haut des anderen und strichen auch die letzten Stoffen von sich, als der Fremde an Ran zog. Ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass er ihm folgen sollte. Es war fantastisch, wie wenig Worte es brauchte, um zu kommunizieren. Ran kannte den Weg ins Schlafzimmer und freudige Anspannung durchzog seinen Körper. Seine Hände wurden festgehalten. Sanft und doch bestimmt. Er spürte, wie der Mann sich setzte, und senkte den Kopf. Auch wenn er ihn nicht sehen konnte, wollte er seinen Blick in diese Richtung lenken. Das Rascheln des Bettzeugs und der wachsende Zug an seinen Händen holten ihn aus seiner Anspannung und er kroch zu dem Fremden aufs Bett, bis eine große Hand sich auf seine Hüfte legten, ihn über dem anderen Mann dirigierten. Dann das typische Geräusch von hauchzarter Folie. Erneut versanken sie in feuchten Küssen, während sie sich verbanden. Ran bewegte sich auf dem anderen, strich mit breiten Fingern immer wieder über den bebenden Bauch und die Brust, genoss die dunklen, rauen Geräusche des Mannes und ließ seinen freien Lauf, bis der Fremde sich aufsetze, seine Schultern mit dem Armen umfing und ihn fast schon hart küsste. Ran griff um die Taille und ließ sich mit einem letzten Stöhnen in die Wogen seines Höhepunktes fallen. Der andere Körper war ihm dabei so nahe, dass der Genuss nur noch in die Länge gezogen wurde. Es war fantastisch. Als er am nächsten Morgen wach wurde, blendete ihn die Sonne bereits durch die Augenlider und er schmiegte sich murrend an die Wärmequelle hinter ihm. Stopp! Wärme? Ganz vorsichtig öffnete Ran die Augen und sah auf den Unterarm und die Hand, die auf seinem Kissen lagen. War sein Herz gerade stehen geblieben? Seine Gedanken waren es, um nun in doppelter Geschwindigkeit durch seinen Kopf zu rasen. Was war passiert? Sie hatten mit einander geschlafen. Es war super und dann? Er erinnerte sich, dass er sich auf den anderen Körper gelegt hatte und seinen Höhenflug genoss, bis Mister X sich mit ihm gedreht und zugedeckt hatte. Dazu der lange und sanfte Kuss und die zarten Berührungen der Fingerspitzen. Irgendwann war er unter den Liebkosungen eingeschlafen und nun lag er hier und stierte auf die große Hand, die ganz offenbar nicht seine war. Seine Hand zitterte, als er sie nach der anderen ausstreckte und prüfend über die Innenseite des Ellenbogens strich, der unter seiner Wange lag. Echt! Echte Haut und viel Wärme. Dann der Unterarm. Auch keine Illusion. Die Finger. Vorsichtig strich Ran mit seiner Hand in die des Fremden. Ihre Hände waren beide sehnig, auch wenn Rans Hand ein wenig kleiner war. Der Mann hinter ihm, der ihm so ruhig in den Nacken atmete, war größer als er. Aber nicht viel. Aus einem Impuls heraus drängte Ran seine Finger zwischen die des Fremden. So ähnlich hatte der Mann seine Hände gestern auch genommen und ihn dann in diese unglaublich intime Umarmung gezogen. Lange starrte Ran auf ihre Hände, wagte kaum, zu blinzeln. Jede Sekunde wollte er genießen. Wie sehr hatte er sich genau so eine Situation gewünscht? Nicht zwangsläufig mit diesem Mann aber er wollte mit so viel Ruhe und Wärme umfangen aufwachen. Nun hatte er es und er wusste, dass es nicht anhalten würde. Morgen früh wachte er wieder in seinem eigenen Bett auf. Allein. Dieser Moment, der sich wie eine wunderbare Ewigkeit anfühlte, war dann nur noch eine Erinnerung, ein weiterer brennender Punkt in seinem Inneren. Als die Finger des Fremden sich regte, zuckte Ran zusammen. Zu weit war er in seinen Gedanken gefangen gewesen. Er durfte jetzt nicht einfach aufstehen. Das hier sollte noch nicht vorbei sein doch der Mann hinter ihm regte sich. Eine Hand legte sich über seine Augen und Ran zog erschrocken die Luft ein. Was passierte jetzt? Da war er wieder, der beruhigende Kuss in seinem Nacken. Gott! Er war so leicht zu durchschauen. Noch ein Kuss. Und noch einer. Bis ran sich wieder ganz entspannt hatte. Das war doch Wahnsinn. Jetzt wallte die Lust wieder in ihm auf. Nur wegen dieser hauchzarten Küsse? Wegen des dezenten Geruches des Mannes? Gut, dann war es jetzt offiziell. Er wurde verrückt. Seine Psyche hatte es nicht mehr ausgehalten und war nun endgültig zersprungen. Der Mann drängte sich nahe an ihn und Ran schauderte. Der nackte Körper an seinem ließ ihn irrwitzige Gedanken spinnen. Er schloss die Augen und gab sich in die Hände des anderen, hatte Vertrauen darin, dass ihm nicht widerfahren würde. Der Mann küsste seine Schulter, strich über seinen Körper und auch er schien Vertrauen zu haben, denn er nahm die Hand von Rans Augen. Alles lag nun in Rans Händen. Ein Gedanke, der dem Japaner eisige und heiße Schauer über den Rücken trieb. Der Fremde drängte sich weiter an ihn, drehte ihn so auf den Bauch und Rans Körper stand sofort wieder in Flammen, sodass er seine Arme unter das Kissen schob und seine Stirn darauf hin und her bewegte. Das Reiben des Stoffes an seiner Haut hielt ihn in der Realität. Andernfalls, das wusste er nur zu gut, hätte er sich verloren. Mister X strich so zart und gleichzeitig so verlangend über ihn, dass er kaum noch richtig atmen konnte. Was machte dieser Mensch nur mit ihm? Seine Wirbel wurden geküsst. Jeder Einzelne. Von Haaransatz an nach unten und Ran wölbte sich den weichen Lippen entgegen. Er spürte die Lippen, die Nase, die Stirn des Mannes ... und ... Haare. Ran schnappte lautlos nach Luft. Da waren weiche Haare, die der Stirn folgte. Der Mann hatte einen Pony und der reizte die aufgeladene Haut zusätzlich. Heiser stöhnte Ran ins Kissen. Dann ging alles wunderbar schnell. Schnell aber nicht gehetzt. Das Geräusch der Kondompackung jagte ihm wie jedes Mal einen Adrenalinschub durch den Körper. Der Moment als er vereinnahmt wurde, raubte ihm den Atem. Danach durchströmte ihn pure Lust. Seine Geräusche drängten sich aus seiner Kehle und er hörte die lustvollen Laute des Mannes, den er noch nie gesehen hatte, des Mannes, der ihn fast verrückt machte. Da waren sanfte Küsse, zärtliche Berührungen, kraftvolle Bewegungen und scharfe Zähne. Es war perfekt! Völlig erschöpft sank Ran in die Wellen seines Höhepunktes und auf die Matratze. Sein Atem war hektisch und flach. Neue Küsse senkten sich beruhigend auf seine Schulter und er war froh, dass seine Augen geschlossen waren. Sicher drehte sich das Hotelzimmer um seine eigene Achse. Ein Kuss, dann zog sich der Mann zurück. Noch einer, dann stand er auf und Ran hörte das Geraschel von Kleidung. Oh nein! Jetzt zog er sich an und ging. Ran versteckte sein Gesicht im Kissen, wollte nicht, dass sein Kunde die beschämte Röte auf seinen Wangen sah. So musste man sich als Prostituierter fühlen. Es war vorbei und der Kunde ging. Genau! Der Mann war ein Kunde. Kunde 379. Deser Gedanke fraß sich unangenehm heiß in Rans Gedanken. Ein furchtbarer Gedanke. Unsicher zog er sich die Decke über den Körper. Er fühlte sich widerlich nackt und irgendwie beschmutzt. Doch was war das? Hörte er da etwa das Klicken eines Kulis? Was sollte das? Konnte er nicht endlich verschwinden, dass Ran seiner Enttäuschung endlich Luft machen konnte? Eine so tiefe Enttäuschung, dass sie wie Säure in seinen Augen brannte. Da! Erneutes Klicken eines Kulis. Und dann? Die Matratze bewegte sich und eine Hand strich zärtlich, fast verzeihend durch sein Haar. Verdammt noch mal. Wie konnte eine solch liebevolle Geste so beängstigend wehtun? Noch ein Kuss. Lang und zärtlich auf sein Haar gehaucht. Dann stand der Mann auf und Ran hörte die Schritte, wie sie sich entfernten. Das Geräusch der sich öffnenden Tür. Ein erster lautloser und fast noch unterdrückter Schluchzer zuckte durch Rans Körper. Dann schlug dir Tür zu aber die Schritte wurden wieder lauter. Noch ein Kuss auf die Schulter und die Decke wurde beschützend weiter über ihn gezogen. Langsam wurden die Schritte leiser. Sehr langsam. Fiel es dem Mann etwa wirklich schwer, zu gehen? Kaum zu glauben. Die Tür schlug in ihr Schloss und Ran lauschte mit angehaltenem Atem nach den Schritten. Doch da war nur Stille. Eine grausame Ewigkeit herrschte Stille, bis Ran die Geräusche nicht mehr unterdrücken konnte. Es ging nicht. Alles an ihm schien zu schmerzen. Nach keiner noch so katastrophal verlaufenen Mission hatte er sich so schrecklich gefühlt, hatte sein Körper so wenig Kraft und so viel Schmerz. Kapitel 15: Akt XV ------------------ Es dauerte Stunden, ehe Ran die Kraft fand, sich auf seine Arme zu stemmen. Sein Blick war auf die feuchten Stellen auf dem Kissen gerichtet. Wann hatte er das letzte mal so geweint? Nein, wann hatte er überhaupt das letzte Mal geweint? Er wusste es nicht mehr. Es muss als Kind gewesen sein. Irgendwann. In einer Zeit, in der er noch nicht so abgestumpft gewesen war. Und nun? Träge stand er auf, ging duschen und zog sich an. All das ging unglaublich langsam. Er fühlte sich alt, träge und ausgelaugt. Als er seinen Mantel anzog, fiel sein Blick auf den Umschlag. Doch das war es nicht, was ihn irritierte. Die kleine Karte, die sonst im Umschlag auf ihn wartete, lag darauf. Unsicher ging Ran darauf zu, befürchtete schon das Schlimmste. Was, wenn er den Vertrag auflöste? Was, wenn Ran ihn nie wieder sehen würde. „Tut mir leid“, laß Ran sich vor und spürte, wie seine Finger zitterten. Was tat ihm denn bitte leid? Dass Ran seinen verdammten Job gemacht hatte? Dass er das war, was er immer sein sollte - ein Kunde? Er atmete durch und sah noch einmal auf die Handschrift. Ja. Es war wieder handschriftlich. Die Schriftzeichen wirkten hektisch und ein wenig unsicher. Ganz anders als der Eindruck, den er von dem Mann hatte. Vielleicht tat es ihm wirklich leid, dass er so abrupt gegangen war. Ran schüttelte den Kopf, steckte Karte und Umschlag ein und verschwand aus dem Zimmer. Wie nebenher gab er die Karte ab und ging direkt nach Hause. Seine Kleidung wanderte in die Waschmaschine und er noch einmal unter die Dusche. Nichts war für ihn gerade schlimmer, als dieser betörende Geruch. Nach der Dusche nahm er sein Handy und rief Omi an. Das sonnige Gemüt ihres Kleinsten half ihm vielleicht über das Gefühl hinweg, nicht mehr atmen zu können. „Hey Kleiner“, begann er und sofort begann Omi zu erzählen. Das tat gut. Der kleine Weiß erzählte von einem neuen Kollegen, mit dem er sich gut verstand. Es war wohl endlich jemand in seinem Alter in der Firma. Einer, mit dem er über Musik und Hackerscherze reden konnte. Zu seinem Geburtstag, das ahnte Omi bereits, würde wohl ein kleiner Trojaner auf seinem Rechner warten und irgendetwas lustiges veranstalten. „Ich freue mich für dich, Omi“, meinte Ran und er meinte es ernst. Es tat ihm gut zu sehen, dass sein Team versorgt war. Dass es ihnen gut ging. Er konnte aushalten, ertragen. Wenn er zerbrach ... Wie schlimm würde das wohl wirklich sein? Er war nicht so wichtig. Aber sein Team, seine Freunde. Ihnen musste es gut gehen. Er konnte ... er würde ... Ran fasste sich an die Brust. Wo war seine Luft? Er musste sich setzen. „Ran?“ Oh je! Hörte Omi das etwa? „Schon ok. Ich hab mich verschluckt.“ Was für eine erbärmliche Lüge. „Hmm ... ok“, murmelte der Kleine misstrauisch. „Ich muss erst mal was trinken. Telefonieren wir einfach morgen noch mal?“ Eine kurze Verabschiedung, dann legte Ran auf, ließ das Telefon auf den Boden sinken und den Kopf hängen. Was zur Hölle war nur los? Sein Blick suchte seinen Mantel. Eine Ecke des Umschlags lugte hervor und, noch ehe Ran sich bewusst entscheiden konnte, stand er auf und trat auf den Mantel zu, holte den Umschlag heraus und zog die Karte hervor. Der Umschlag mit dem Scheck fand seinen Platz auf der Kommode. Die Karte jedoch bleib in Rans Hand. Es war eine dieser schönen Karten, die leicht changierten. Nur der einfarbige Kuli störte das Bild. Es wirkte nicht so clever durchdacht, nicht so überlegt geschrieben. Auch wenn die letzte Karte auch handschriftlich war, hatte sie mehr von einem gezielt platzierten Detail. Immer wieder kippte er das kleine Papier, beobachtete die Farbverläufe, die von der dunkelblauen Tinte unterbrochen worden. Sie war sehr bildhaft für diesen Morgen. Es war so schön wie diese Karte und wurde dann grob unterbrochen. Aber musste nicht alles mal ein Ende finden? Jedes Treffen war irgendwann einmal vorbei und Mister X musste auch irgendwann wieder auf Arbeit. Ran fühlte sich fast ein wenig lächerlich, als er sich ins Bett legte und mit der Karte, die er an sich drückte, noch einmal einschlief. Das Klingeln seines Handys holte ihn zurück und er ging blind an das Gespräch. Als er die Stimme seiner Chefin hörte, ging ein Ruck durch ihn und er saß schlagartig im Bett. Wie sollte er ihr nur erklären, was passiert war? Krampfhaft überlegte er, wie viele Entschuldigungen ihm ad hoc einfallen würden. „Danke.“ „Was?“ Ran war deutlich irritiert. „Ich habe gerade eine ungewöhnlich lange Email von unserem Kunden 379 bekommen.“ Ran wurde blass. Was passierte hier gerade? „Und?“, wollte er wissen und seine Chefin seufzte. War das jetzt gut oder schlecht? „Er hat sich bedankt für meinen Vorschlag und er ist sehr zufrieden und wird wohl seine Treffen engmaschiger legen.“ Ok. Das hatte Ran nicht vermutet. „Aber?“, fragte er nach. Es gab immer ein ‚aber‘. „Ich darf Ihnen keine anderen Treffen in dieser Kategorie vermitteln.“ „Oh.“ Mehr bekam Ran nicht raus. Zwar hatte er akustisch sehr wohl verstanden, was ihm gesagt wurde, doch verarbeiten konnte er es noch nicht. „Danke“, murmelte er dann und lauschte der Verabschiedung seiner Chefin, ehe er auflegte und ungläubig auf das Telefon starrte. Das konnte nicht der Realität entsprechen. Nicht nach dem Desaster des heutigen Morgens. Ganz unmöglich. Sein Handy klingelte erneut und er schnaufte genervt, ehe er ranging. „Was?“, fragte er. „Hast du Lust auf eine Mission?“ Rans Puls schoss in die Höhe. Ein jahrelang antrainierter Mechanismus wurde bei dieser Frage aktiviert. Er stand auf, ging zum Schrank und holte sein Katana hervor. Sein Blick wurde fokussiert und blieb an dem Ledermantel hängen. „Worum geht’s?“ Nur wenige Stunden später saß er bei Yoji im Büro und ließ sich erklären, was in den letzten Wochen passiert war. „Ich habe den Typen verfolgt, Beweisfotos geschossen und Tonaufnahmen von ihm besorgt, wie er Deals mit anderen Waffenhändlern abgeschlossen hat. Nichts davon wurde vor Gericht anerkannt. Der Drecksack ist grinsend aus dem Gerichtssaal spaziert.“ Yoji knurrte und zog seinen Mantel an. „Weiß gibt es vielleicht nicht mehr. Aber ich habe noch genug Gerechtigkeitssinn in mir, um den Typen von der Bildfläche zu wischen.“ Er überprüfte seine Ausrüstung, dann blickte er zu Ran, der die ganze Zeit still gewesen war. Nun erhob er sich, sah sein Schwert an. „Zehn Jahre war es unsere Aufgabe Richter und Henker für die zu sein, die Unschuldigen Leid zugefügt haben. Wir haben das Dunkel bekämpft und das Licht verteidigt. Wir waren Weiß.“ Sein Blick wanderte zu Yoji, der ihn mit derselben Überzeugung ansah, die auch er in sich spürte. „Wir sind Mörder, Yoji. Aber wir nahmen Leben, um so viele andere zu retten. Was wären wir für Menschen, wenn wir damit aufhören würden?“ Ran biss die Zähne aufeinander. Sein Blick, das wusste er, war der von Abyssinian. Er war voller Emotionen und was gab es da Besseres, als eine Mission, um sich wieder zu erden? „Dann lass uns gehen“, hörte er den Blonden, der seine Sonnenbrille aufsetzte. Ran fühlte die Anspannung, das Adrenalin. Schon als er seine Missionskleidung angezogen hatte, kam dieses vertraute Gefühl über ihn. Sein Körper bereitete sich auf den Kampf vor. Er würde heute Nacht töten. So viel stand fest. Mit dem Seven fuhren sie zu einem alten Industriegebiet. Runtergekommene Lagerhallen und ein stillgelegter Rangierbahnhof dominierten das Bild. Das Gelände war unübersichtlich und mit wenigen Blicken stimmten die beiden Assasine sich ab. „Hier. Das werden wir brauchen“, murmelte Yoji und reichte Ran einen winzigen Ohrhörer. „Nicht, was wir gewöhnt sind, aber es wird reichen.“ Ran nickte, besah sich kurz das fleischfarbene Gerät, dass mehr einen Voice-over-ip-headset glich, als einem Funksender und klemmte ihn an sein Ohr. „Dann los“, raunte Abyssinian und schlich voran, verschwand in den Schatten der Lagerhallen und umliegender Container. Er suchte seine Seite des Geländes ab, schielte vorsichtig um Ecken und duckte sich unter Fenstern entlang. „Balinese, hier ist nichts“, raunte er und wartet geduldig auf eine Antwort. An einem Lagerhaus fand er eine Leiter, stieg sie hinauf und lief geduckt über das Dach in Balineses Richtung. „Ich hab hier was. Lagerhaus 3.“ Er musste sich nur kurz orientieren, dann lief er zu dem Lager, sprang in einer fast lautlosen Bewegung erst auf ein paar Kisten und dann auf die Straße, verschaffte sich Zugang zum Gebäude und fand Balinese vor einem Haufen militärisch aussehender Kisten. Die Oberste war geöffnet. Abyssinian warf einen Blick hinein und presste die Zähne aufeinander. „Wenn alle diese Kisten so überladen sind, dann …“ Er brauchte es nicht aussprechen. Abyssinian verstand sehr wohl, was das hieß. Auf die Schnelle zählte er zwanzig dieser Monitionskisten. „Natürlich biete ich Ihnen erstklassige Wahre“, hörte er von außerhalb des Gebäudes. Schritte kamen näher. Mit Balinese versteckte er sich, lauerte seinem potenziellen Opfer auf. „Wie ich gehört habe, wurden Sie heute freigesprochen“, drang eine andere, tiefere Stimme an sein Ohr, ehe die Tür zum Lager geöffnet wurde und fünf Gestalten eintraten. Darunter auch der Mann, von dem Balinese berichtet hatte. „Das war ganz leicht. Der Richter hat eine wirklich süße Tochter. Ein wenig drohen hat da gereicht.“ Ein Lächeln legte sich auf die Züge des Mannes und Abyssinian wurde übel dabei. „Aber da gibt es noch diese selbst ernannten Rächer …“ „Alles längst Geschichte. Diese Typen haben sich ewig nicht blicken lassen. Keiner hat mehr Angst. Selbst die Bodyguards von dem alten Takatori sind aus der Branche verschwunden, weil niemand sich mehr sorgen um seinen Schutz machen muss“, erklärte der Mann und winkte das Ganze als Belanglosigkeit ab. „Zurück zum Geschäft…“ Balinese schob sich neben Abyssinian auf die Knie, holte aus und warf seinen Draht, dann sprang er von der Kiste, auf der sie sich versteckt hatten. Einer der Begleiter wurde durch den Ruck in die Höhe gezogen und zuckte röchelnd, bis ihm die Luft ausging. Das Ziel und sein Käufer sagen sich hektisch um und einer der verbliebenen Begleiter griff nach einer Waffe aus der Kiste. Nun bewegte sich auch Abyssinian. Er sprang von der Kiste, riss sein Katana in die Höhe und hieb auf den Mann ein. Dieser schrie auf, stierte auf die Stümpfe unter seinen Ellen. Abyssinian kam geschmeidig auf dem Boden auf und riss, als er aufstand, das Schwert mit sich. Der zweite Mann starb. Betont langsam ließ er das Schwert sinken, brachte Entspannung in seinen Körper und sah die drei verbleibenden Männer an. Von seiner Klinge tropfte das Blut und er spürte, wie ein Tropfen davon auch an seiner Wange entlangrann. Die Männer wollten in die andere Richtung fliehen, stoppten jedoch noch in der Bewegung. Balinese hatte sich ihnen in den Weg gestellt und demonstrierte seinen Draht. Worte waren nicht nötig, um allen Beteiligten klarzumachen, wie das hier enden würde. Abyssinian hörte das surrende Geräusch des scharfen Drahts, rannte los und hob sein Schwert zum tödlichen Hieb. Es dauerte nur Augenblicke, dann war der Tod über das Gebäude gestrichen, hatte nur zwei Leben verschont. „Gute Arbeit“, hörte Ran und wischte sich das Blut von der Wange. „Was machen wir damit?“ „Wir jagen es hoch.“ „Was? Aber sollten wir uns nicht lieber bedeckt halten? Immerhin gehören wir nicht mehr zu Kritiker“, gab Yoji zu bedenken und Ran nickte kurz. „Trotzdem. Diese Waffen dürfen niemanden in die Hände fallen.“ Yoji seufzte erst, dann zündete er sich eine Zigarette an. „Irgendwie wusste ich, dass du das sagst“, murmelte er mit dem Filter zwischen den Lippen. Minuten später saßen sie im Serven, Yoji löste den Fernzünder aus und hinter ihnen ging das Lagerhaus in Flammen auf. „Danke, dass du mit warst“, verkündete Yoji. Dabei schloss er die Tür zum Büro auf und trat ein. „Die Dusche ist da hinten. Ich hole uns nen Whisky.“ Ran reagierte nicht darauf. Warum auch? Er ging in das winzige Bad, stieg in die kleine Kabine und wusch sich Blut, Schweiß und Schuld von der Haut. Als er in der bereit gelegten Jogginghose und einem ausgewaschenem Shirt wieder ins Büro kann, stand Yoji umgezogen mit einer Flasche Whisky und zwei Gläsern vor ihm. „Das billigste, das ich habe“, gab er dabei zu verstehen und Ran bemühte sich um ein Lächeln. Der Detektiv setze sich auf das Sofa und füllte die Gläser bis zur Hälfte. Ran nahm eins der Gläser, prostete Yoji zu und stürzte den Inhalt in wenigen Schlucken hinter. Keuchend setzte er ab, verbat es sich aber, sich zu schütteln, als das Brennen in seiner Kehle einsetzte. Dennoch verzog er den Mund und griff nach der Flasche, kontrollierte das Etikett. Sicher. Sein Verhalten wäre in manchen Kreisen sträflich, glich vielleicht sogar einer Todsünde, doch hier ging es nicht um Edikte. Hier ging es um den Alkohol und das Brennen im Hals. Nach etlichen, vor allem aber nach emotional belastenden Missionen hatten sie sich zu viert in ihre Küche über dem Blumenladen gesetzt und den billigsten Fusel in sich hineingeschüttet, den sie hatten finden können. Jedem von ihnen war bewusst gewesen, das der Alkohol nichts an ihrer Schuld änderte. Es linderte jedoch das akute seelische Leiden, sorgte dafür, dass sie verdrängen konnten. Ein Vergessen war bei diesen Anblicken nicht möglich. „Noch einen?“, wurde er gefragt, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich muss ins Bett“, ließ er verlauten und stellte das Glas ab, griff nach seinen Sachen und verabschiedete sich mit einem Schulterklopfer von seinem Freund. Als er ging, zog er die Tür hinter sich ins Schloss und ging zu seinem Porsche, fuhr heim, warf die Kleidung in die Wäsche und kuschelte sich in das kalte Bett. Vorsichtig griff er auf den Nachttisch und besah sich die Karte im fahlen Mondlicht. Was Mister X wohl gerade tat? Ohne es bewusst zu wollen, glitt Ran in eine seiner Tagträume ab. Was der Mann wohl sagen würde, wenn er ihn so sehen würde. Was würde er wohl zu Abyssinian sagen, zu seiner Vergangenheit? Würde er überhaupt von den letzten Jahren wissen wollen? Rans Gedanken kreisten in seinem Kopf. Den übermächtigen Schlaf bekam er nur noch am Rande mit. Kapitel 16: XVI --------------- Es war so schön. Beinahe hatte Ran nicht mehr daran geglaubt. Starke Arme schlossen sich um seinen Körper und sanfte Fingerspitzen strichen über seine Haut und durch sein Haar. Alles war so ruhig, so vertraut. Es tat so gut diese Zärtlichkeiten wieder zu spüren, hatte er doch befürchtet, dass es nach dem letzten Treffen nicht mehr dazu kommen würde. Doch nun war er hier, hatte vertrauensvoll die Augen geschlossen und genoss die Leidenschaft. Seine Finger strichen über die kühle Haut. Moment! Ran öffnete die Augen und starrte entsetzt auf sein Gegenüber. „Hallo Hübscher“, hörte er die freche Stimme, doch er konnte kaum reagieren. Das hier musste ein falscher Film sein. Das konnte gar nicht echt sein. Der Mann unter ihm grinste ihn breit an, kaute Kaugummi und schlug eine Blase damit. Erst als diese zerplatzte, kam wieder Leben in den Japaner. Er sprang auf und sah ungläubig auf den Mann. Schütteres Haar war von einer auf die andere Seite gekämmt und mit unnötig viel Gel zum Halten gezwungen worden. Der offenbar hagere Mann steckte in einem Anzug, in dem die Muskeln ausgestopft waren. Ran erschauderte und der Fremde stand auf, kam zu ihm und wollte ihn küssen. Entsetzt riss Ran die Augen auf, starrte an die Decke seiner Wohnung und lauschte seinem fliegenden Atem. Was für ein entsetzlicher Traum. Ein Albtraum sonders gleichen. War er jetzt endgültig verrückt geworden? Warum gerade jetzt und nicht in den vergangenen Jahren? Überhaupt. Konnte es wirklich so überraschend passieren? Streng griff er sich in die Haare und dachte nach. Was, wenn er jetzt wirklich verrückt geworden war? Vielleicht sollte er ein Buch schreiben - „Wie werde ich verrück – Ihr 10 Wochenproramm“. In Kapitel eins ginge es dann darum, mit einem Fremden zu schlafen, der offenbar ganz schlecht für die Psyche war. Damit hätten sich alle finanziellen Sorgen erledigt, er würde in Fernsehshows auftreten und den Leuten mit motivierendem Unterton zu verstehen geben, wie simpel es war, wahnsinnig zu werden. Der Literaturnobelpreis war ihm damit aber so was von sicher! Er konnte das amüsierte Glucksen nicht mehr unterdrücken und lachte haltlos. Tränen rannen dabei über sein Gesicht und schon bald begannen sein Bauch und die Seiten zu schmerzen. Und trotzdem konnte er nicht aufhören. Alles in ihm brannte, schmerzte und es war gut so. Er lebte. Er war am Leben. Auch nach dem tot seiner Eltern und seiner Schwester, nach Kritiker und Weiß, nach der fast aussichtslosen Suche nach einem Job und auch nach diesem verdammten Fremden! Er war am Leben, hatte all das und noch viel mehr überlebt. Es würde wohl kaum etwas geben, woran er, Ran Fujimiya zerbrechen würde. Er war Aya. Er war Abyssinian. Er war der Mann gewesen, der den tot brachte, nicht der, der ihn empfing. Weder physisch noch psychisch. Mit etwas wiedererlangter Kraft schwang er die Beine aus dem Bett und ging in die Küche. Er brauchte einen Tee, um sich auf den Tag vorzubereiten. Denn heute Abend ging er mit Miko in die Oper und diese Frau, Ran konnte es gar nicht recht glauben, war unglaublich aufmerksam. Und wenn er ihr nicht erzählen wollte, warum er gerade so neben der Spur war, musste er sich vier Stunden lang ganz und gar konzentrieren. So setzte er sich mit einer heißen Tasse seines Lieblingstees vor die Couch und versuchte, Ruhe in der Meditation zu finden. Bei Weiß hatte es vor einer Mission auch immer gut funktioniert, Allerding polierte er zu dieser Zeit sein Katana und dachte darüber nach, wie er seinem Ziel am besten ... Ran schüttelte den Kopf. „Denk an die Oper! Sonst ist dein Blutdruck gleich wieder ganz oben“, murmelte er sich selbst mahnend zu und atmete dann bewusst in den Bauch. Als der Abend kam, war er wieder ganz bei sich und freute sich sogar ein wenig drauf Anatevka mit Miko zu sehen. Eine der wenigen Opern, die er noch nie wirklich bewusst gesehen hatte, denn als Jugendlicher war Oper für ihn das Langweiligste der Welt. Nur seiner Mutter zu Liebe ist er jedes Mal wieder mitgekommen. Dabei hatte er sich oft einen Kassettenrekorder oder CD-Player mitgenommen und einen Ohrhörer geschickt versteckt, sodass er lieber in der Musik vom Band untergetaucht war, als den Schauspielern auf der Bühne zu huldigen. „Du bist schon da? Komm doch rein!“, hörte er eine Stimme und sah zum ersten Stockwerk hoch, wo Miko grade am Fenster stand. Was machte sie denn da? „Es ist nicht kalt“, gab Ran lahm zu verstehen, doch sie winkte ab. Ein Lächeln huschte über seinen Mundwinkel. So elegant ihre Kleider und so vornehm ihr Bruder Saiichi auch waren, ließ sie ihn doch spüren, dass auch sie nur Menschen waren. Die Tür vor ihm ging und er richtete seine Aufmerksamkeit auf Miko, die ihn mütterlich hereinwinkte. Wie ein kleiner Junge, der endlich vom Spielen zu Tisch kommen soll, dachte er dabei und trat in das Haus ein. „Vier Grad sind sehr wohl kalt“, hörte er sie schimpfen und lächelte sie verlegen an. „Es tut mir leid.“ Damit war sie wohl zufrieden, denn sie nickte und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Schnell trat Ran sich die Schuhe aus und folgte ihn in den gemütlichen Raum. Unter geduldigen Blicken der beiden Geschwister, nahm er sich Zeit, sich umzusehen. Viele Bücher waren an den Wänden in verzierten Regalen verstaut und er fragte sich, ob jedes davon gelesen wurde. Zwei große und gemütlich aussehende Ohrensessel standen zu beiden Seiten eines Wandkamins und der Lüster, der von der Decke hing, konnte wohl so manche Putzfrau mit seinen tausenden Einzelteilen in den Wahnsinn treiben. „Komm. Es ist noch Tee da“, hörte er und sah, wie Miko sich in einen der Sessel setzte und Ran den zweiten anbot. Nur einen Moment war er unentschlossen, dann setzte er sich zu der Dame und spürte sofort die Wärme des Kamins im Rücken. Das war schön. Daran konnte er sich gewöhnen. Wenn seine Wohnung nur größer wäre. Ran war für etliche Minuten in seinen Fantasien versunken, ehe er auf die Tasse reagierte, die plötzlich neben ihm stand. Miko musste sie irgendwann dahin gestellt haben. Hatte er sich anständig bedankt? „Danke“, flüsterte er und nahm die Tasse an sich. „Schon gut. Es ist nur ein kleiner Ersatz für die ausfallende Oper.“ Miko seufzte und sah betrübt in den Flur, durch den Saiichi mit Gehhilfen humpelte. „Was ist passiert?“, wollte er schnell wissen und sie schüttelte den Kopf. „Er ist ausgerutscht. Jetzt wo das Eis schon fast weggetaut ist, tritt er auf eine Eisplatte und prellt sich den ... Du weißt schon.“ Mehr musste sie gar nicht sagen. Entschlossen stellte Ran den Tee weg, sah auf die Uhr und erhob sich. „Ich hole dich in einer viertel Stunde ab. Bitte zieh dich an“, meinte er und ließ die verwirrte Dame zurück, als er das Haus verließ. Seine Füße trugen ihn schnell zu dem Parkplatz seines Hauses. Unter einer Wetterschutzfolie erahnte man bereits die Silhouette seines Porsches, die er nun mit einem beherzten Zug an der Folie freilegte. Da stand sie. Seine Prinzessin. Sein Baby. Vierzehn Minuten später stand er mit der röhrenden Stute vor Mikos Haus, die irritiert aussah, als sie auf den Absatz trat und Ran aus dem Auto steigen sah. Er hingegen ging entspannt um das Auto und hielt ihr die Tür auf. „Das ist ...“ Ihr fehlten die Worte und sie keuchte überrascht, als sie in den tiefen Sportsitz rutschte. Ran, ganz Gentleman, verkniff sich ein amüsiertes Schnauben, schloss die Tür und ging um den Wagen, um Miko und sich zur Oper zu fahren. Vor dem Haus angekommen schnallte Ran sich bereits ab, als eine Hand sich auf seine legte. „Können wir noch etwas fahren?“, fragte Miko und Ran nickte, ohne groß nachzudenken, schnallte sich wieder an und fuhr los. „Wo möchtest du hin?“, hörte er sich fragen und sah aus dem Augenwinkel den neugierigen Blick. „Das ist mir gleich. Fahr hin, wo du hin möchtest.“ Das ließ Ran sich nicht zweimal sagen. Ohne Umwege fuhr er auf die Schnellstraße und fuhr in die Innenstadt. Dort angekommen, suchte er einen Platz für seinen Porsche und führte Miko in ein kleines, verstecktes Café. „Hier habe ich vor Ewigkeiten gekellnert. Schön, dass es noch offen hat“, murmelte er und hielt Miko die Tür auf. In Anzug und Abendkleid waren sie so auffällig, dass sich alle Blicke auf sie hefteten, doch Ran ignorierte das. Mit seiner Begleitung setzte er sich an einen Tisch am Fenster und sie bestellten eine Kleinigkeit zu Essen und Tee. Als der Kellner ging, sah Ran durch das Glas auf den Rohbau eines Hochhauses. Würden sie also noch so einen unpersönlichen Koloss aus Stahl und Beton hier aufstellen. Vor zehn Jahren da ... Ach er mochte gar nicht daran denken, was vor Zehn Jahren alles anders war. Wie anders er damals war. Und wieder glitten seine Gedanken über die Jahre mit seinem Team und zu dem Unbekannten. „Wer ist es?“ Ran zuckte zusammen und sah Miko irritiert an. „Ich habe zwar keine Kinder aber viele Neffen und Nichten. Mein jüngerer Bruder hat früh angefangen mit Kindern und spät damit aufgehört.“ Sie lächelte verschämt und Ran konnte nicht anders, als milde zu Lächeln. „Jedenfalls weiß ich, wie Liebeskummer aussieht, Aya.“ Der Mann schluckte hart. Sollte er ihr davon erzählen? Ging das nicht zu weit? Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Ran sich durchrang und ergeben seufzte. „Es ist total albern“, begann er und widerstand nur schwer dem Drang sich die Haare zu raufen. Es war so verzwickt. „Dabei habe ich ihn nur drei Mal getroffen. Ich habe ihn nicht gesehen und kaum ein Wort von ihm gehört“, kam es leichter als erwartet aus seiner Kehle, dann sah er Miko erwartend an. Was würde die alte Dame wohl sagen? Würde sie ihn jetzt darüber aufklären, wie falsch es war, als Mann mit einem anderen ins Bett zu steigen? Würde sie ihm Vorträge halten, dass er sich lieber ein nettes Mädchen suchen und Kinder bekommen sollte? „Ich verstehe. Da hat es dich gleich richtig erwischt, oder?“ Ran senkte den Kopf. Was sollte er nun sagen? Ja verdammt. Er wollte es nicht wahrhaben, aber er wusste es. Er hatte sich in diesen Typen verliebt. Irgendwie und auf irgendeine verschrobene Weise, immerhin stand er nicht auf Fesselspiele oder Ähnliches. Die Augenbinde wäre ihm im privaten Bereich schon viel zu viel gewesen. Bis zu diesem verfluchten Moment. Das erste Mal hatte er es noch ertragen und war eigentlich ganz froh, dass er das Ding am zweiten Abend nicht wieder umlegen musste. Dennoch. Wenn er nur damit die Gelegenheit bekam, Mister X nahe zu kommen, würde er es akzeptieren. Unter Garantie würde er es niemals mögen. Aber er würde es akzeptieren, bis der Mann ihm so sehr vertraute, dass er sich ihm ohne diesen Stoff zeigen wollte. „Eigentlich sollte ich mich gerade jetzt nicht mehr mit ihm treffen. Er ist immerhin ein Kunde.“ So. Nun hatte Ran sich einen weiteren Schritt vorgewagt und war gespannt, was sein Gegenüber dazu zusagen hatte. „Das klingt kompliziert.“ Ran nickte. „Aber willst ihn doch wiedersehen, oder?“ Erneut ein Nicken. Jedoch eins, das schwerfiel. „Dann musst du ihn wiedersehen und ihm sagen, was los ist.“ Nun sah er die Frau entgeistert an. Wie stellte sie sich das vor? Beim nächsten Date die Augenbinde anlegen und sagen ‚Übrigens, ich mag dich mehr, als ich darf‘? Das war absurd! „Aya! Er hat ein Recht darauf, zu wissen, woran er bei dir ist. Es weiter zu verschweigen wäre ungerecht ihm gegenüber. Vielleicht empfindet er nicht so und dann muss er die Gelegenheit haben, das auch kundzutun. Aber wie soll er das können, wenn er vielleicht nicht einmal ahnt, dass es diese Schwierigkeit gibt?“ Ran schnaufte amüsiert. Schwierigkeit. Was für ein ungeeignetes Wort für seine Situation. Das war sicher alles, aber keine Schwierigkeit, keine Lappalie, die er mal eben schnell mit einem Memo aus der Welt schaffen konnte. Und trotzdem musste er zugeben, dass sie recht hatte. Er musste Mister X irgendwie klar machen, dass sie hier vermutlich auf unterschiedlichen Ebenen unterwegs waren. Einmal mehr war er dankbar für den Abend mit dieser klugen Frau. Und einmal mehr fühlte er sich so unwohl in seiner Position Mister X gegenüber. Kapitel 17: Akt XVII -------------------- Nachdenklich und fast ein wenig zu konzentriert drehte Ran seit gut einer Stunde die kleine Karte in den Fingern, machte kleine Tricks damit und sah die sich in unregelmäßigen Abständen einfach nur an. Die Karte war gestern mit der Post gekommen. Es stand nur ein Datum darauf. Gold auf Schwarz gedruckt. Sehr edel. Auf der Rückseite war ein ebenfalls goldener Pin gemalt. Eine dieser Nadeln von Internetkarten. Ein umgedrehter Tropfen mit einem Kreis. Ran verstand die Information, doch er wusste nicht, ob er sich freuen oder doch lieber nervös sein sollte. Zwar hatte Miko recht, dass er dem Fremden sagen musste, was los war, doch zweifelte er an seinem eigenen Schneid. Nicht das er Angst vor seinen Gefühlen hätte. Nein! Aber was wäre, wenn der Mann damit nicht umgehen konnte? Dann war es das letzte Treffen und das wollte er auf keinen Fall. Schnaufend drehte er sich auf die Seite, starrte die Karte an und hoffte insgeheim, dass sie ihm die vielen Fragen in seinem Kopf beantworten mochte. Es war albern, das wusste er. Andererseits, hoffen konnte man bekanntlich immer. Das Klingeln seines Handys riss Ran aus seinen Gedanken und er nahm den Anruf mit freudiger Anspannung an. „Ich brauch dich“, hörte er Yojis feste Stimme und griff unter sein Bett. Neben der kleinen Schachtel für die Karten lag sein Schwert und wartete nur auf ihn. Ran zog es hervor und ließ einen schnellen Blick über die matt schwarze Scheide gleiten. „Ich bin auf dem Weg.“ Mehr brauchte es nicht. Ran legte auf, zog sich an und verschwand aus seiner Wohnung und in die Nacht. „Das war heftig“, keuchte Yoji und schloss die Tür zu seinem Büro auf. Ran stützte seinen Freund, bis dieser sich schnaufend auf die Couch fallen lassen konnte. „Sei froh, dass das Ziel so ein schlechter schütze war“, knurrte Ran und beobachtete skeptisch, wie Yoji sein Handy hervorzog und eine SMS schrieb. „Hasenpfötchen?“, fragte er unwillig. „Meinst du nicht, dass du gerade größere Probleme hast, als deiner Freundin Kosenamen zu schreiben?“ Yoji grinste nur und sah auf die Wunde an seiner Schulter, auf die er noch immer ein Tuch drückte. „Du musst den Mantel ausziehen. Das muss desinfiziert werden“, bestimmte Aya und zog den Bloden grob auf die Beine. Der stöhnte vor Schmerz und seine Beine wurden weich. „Hey! Hier geblieben! Mach gefälligst die Augen wieder auf!“, schrie Ran ihn an und Yoji blinzelte. Sein Gesicht wurde blass. „Sicher nur das Adrenalin“, nuschelte der Detektiv und ließ sich von Ran helfen, den Mantel auszuziehen. Ran platzierte ihn wieder auf die Couch und sah unter das Tuch. „Sieht aus, als ob die Kugel noch steckt. Scheiße, Yoji! Du musst in ein Krankenhaus.“ „Muss er nicht.“ Entsetzt richtete Ran sich auf und starrte die Frau an, die mit einer unübersehbaren Gelassenheit die Tür in ihr Schloss drückte, ehe sie um die Couch ging und sich vor Yoji kniete. Dabei fiel Ran siedendheiß ein, dass sie beide noch in Missionskleidern und voller Blut waren. „Hi, Tammy“, murmelte Yoji und lächelte die Frau verliebt, aber schief an. „Was machst du nur?“, kam der Tadel, doch er wurde von einem Lächeln gemildert. Sie strich ihm über die Stirn und Ran konnte nur neidvoll zusehen. „Abyssinian. Das ist Tammy. Tammy. Das ist Mein großer Anführer Ran alias Abyssinian“, kam es amüsiert von Yoji, ehe er sich Ran zuwandte. „Tammy ist Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus.“ Ran nickte nur, versuchte dennoch, sein Schwert vor ihr zu verstecken. „Warst du nicht schnell genug, Balinese?“, riss ihn Tammys Stimme aus seinen Gedanken und er beobachtete, wie Tammy Yoji einen Zugang legte und ihn versuchte, wach zu halten. Das fehlende Adrenalin, die Schmerzen und der Blutverlust zerrten an Yojis Bewusstsein. „Wohl nicht“, keuchte dieser und Ran fasste sich ein Herz. Er legte sein Schwert auf den Tisch und empfing einen prüfenden Blick der Krankenschwester, ehe sie schnell über das Katana und dann wieder zu ihm sah. „Halt das“, bestimmte sie und drückte Ran einen Beutel mit klarer Flüssigkeit in die Hand. „Immer höher als Yojis Körper.“ Ran nickte und beobachtete die Frau bei der Arbeit, dazu verdammt als Tropfständer zu dienen. Sie zog sich neue Handschuhe und einen Mundschutz an und sog eine Spritze auf, die sie ungefragt in die Verwundete Schulter rammte. Yoji stöhnte und biss die Zähne zusammen. Dann griff sie nach einer Pinzette und sah ihren Freund kurz an. „Das wird trotz des Morphiums jetzt richtig wehtun“, mahnte sie und Yoji nahm sich ein Sofakissen, biss hinein und nickte. Seine Schreie wurden gedämpft und er war bemüht, sich nicht zu bewegen. Dennoch zuckte der Arm und Tammy schüttelte angespannt den Kopf. Leben kam in Ran und er knite sich auf die Couch, fixierte Yojis Ellenbogen mit seinem Knie und griff in den kalten, verschwitzten Nacken, schob den Oberkörper so zur Seite und verhinderte jede Bewegung der Schulter. Yoji biss hart ins Kissen. Diese Fixierung war sicher fast genauso schmerzhaft, wie die Kugel in der Schulter, doch nur so, konnte Tammy in ruhe Arbeiten. Mit ihr tauschte Ran einen kurzen Blick aus und sie nickte, ehe sie weiterarbeitete. Routiniert und mit beneidenswert ruhigen Fingern. Weder die unbequeme Haltung, die Nähe zu Ran, einem Fremden noch Yojis Schmerzlaute schienen sie abzulenken. Und schließlich zog sie den Störenfried aus dem Fleisch ihres Freundes. „Danke“, sagte sie leise, als Ran aus dem Bad kam. Nachdem Yoji ohnmächtig geworden war, hatte Ran sich gelöst und Tammy in Ruhe ihre Arbeit machen lassen. Er wollte nur noch duschen. Nun stand er in Jogginghose, Shirt und mit einem Handtuch um die Schultern vor der Badezimmertür und sah auf die zierliche Frau. Es war das erste Mal, dass er sie so bewusst wahrnahm. Sie war klein und so ganz anders, als Yoji Asuka beschrieben hatte. Lange schwarze Haare, lagen um ihre Schultern. Ihre Augen hatten ein sattes Braun und sie wirkte in sich ruhend. Ein Mal mehr war Ran neidisch auf seinen Freund. „Wie geht es ihm?“, wollte er wissen und Tammy sah auf den Rücken der Couch. „Er schläft. Das Morphium wirkt und die Wunde ist verbunden. Wie es aussieht, ist der Knochen verschont geblieben und die Blutung hat noch beim Nähen nachgelassen.“ „Das ist gut“, sagte er, dabei hätte er ihr zu gern ein paar Fragen gestellt. „Ich habe uns Tee angesetzt. Es wird wohl noch ein paar Stunden dauern, aber er würde sich sicher freuen dich zu sehen, wenn er wach wird.“ Ein schweres Schlucken quälte sich durch Rans Kehle. Wie viel wusste sie? Mit ihrem Tee setzten sie sich auf den Boden vor den Tisch und Tammy lächelte, strich dem Bewusstlosen die Haare aus dem Gesicht. „Er hat mir von euch erzählt. Von Weiß.“ Aufmerksam beobachte Ran sie. „Meine Schwester wurde von entführt und sollte für eine Menschenjagt als Opfer dienen. Ihr habt sie gerettet. Niemand wollte ihr glauben und auch ich war einfach nur froh, als ich sie endlich wieder in die Arme schließen konnte. Dann fiel mir dein Freund vor die Füße.“ Sie lachte leise und schenkte Yoji noch einen liebevollen Blick. Wir kamen uns schnell näher und ... Ich bin dich blöd. Ich erkannte die vielen Wunden und irgendwann hat er sich mir anvertraut. Erst war ich geschockt. Ich war mit einem Mörder zusammen. Ich wollte ihn verlassen, doch ich konnte nicht, denn auch wenn er Leben nahm ... Ihr rettet damit so viele Leben. Und er hat mir versprochen, sich nur die Leute vorzunehmen, die durch das Netz des Gesetzes rutschen. Die, die nicht verurteilt werden, weil sie Richter und Zeugen bestechen oder bedrohen. Diesen Abschaum.“ Sie schüttelte den Kopf und sah Ran an. „Ich glaube nicht, dass er dich verraten wollte. Aber ich wusste es, seit du das erste Mal hier saßt und diesen Blick hattest.“ „Blick?“, fragte Ran und Tammy nickte. „Diesen schuldbewussten Blick. Yoji hat ihn auch manchmal. Eine belastete Seele, die sich am liebsten reinwaschen würde, es aber nicht mehr kann.“ Lange sah Ran sein Gegenüber an, beneidete die aufrichtige Liebe und das pure Vertrauen, das zwischen den beiden Menschen lag. Yoji hatte sie mit der SMS, mit einem Codewort zu Hilfe gerufen, hatte sich ihr völlig in die Hände gegeben und vertraute ihr so sehr, dass er seinen bewusstlosen Rausch neben ihr ausschlief. Und das, obwohl er wusste, wozu Menschen fähig waren. Als die Sonne aufging, bewegte sich der Detektiv und öffnete schwach die Augen. Sein Blick fiel erst auf Tammy, dann auf Ran und ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. Seine Augen waren glasig. Sicher vom Morphium. „Meine beiden Liebsten“, lallte er und hob die Hand zum Gruß. „Hallo mein Freund“, flüsterte Ran und hoffte, dass Yoji schon klar genug zum Lippenlesen war. Das Grinsen wurde breiter und Ran lächelte kurz, ehe er seinen Tee austrank und sich erhob. „Ihr kommt zurecht.“ Das war keine Frage, dennoch nickte Tammy. Ran spürte, wie sie ihm nachsah, als er seine Sachen packte und das Büro verließ. Im letzten schützenden Dämmerlicht huschte er nach Hause und ging ins Bett. Der Anblick der Beiden beschäftigte ihn noch immer. Yoji hatte den Menschen gefunden, dem er sich anvertrauen konnte, der ihn mit seiner ganzen Vergangenheit in den Arm nahm und ihm vergab. Yoji hatte Ruhe gefunden. Vielleicht sogar Frieden. Schnaufend griff er auf seinen Nachttisch und hob die schwarze Karte hoch, sah sie an, bis der Schlaf ihn zu sich holte. In seinem Traum hatte er dieses weiche Tuch vor den Augen und spürte den fremden Mann ganz nahe bei sich. Er wurde zärtlich gestreichelt, liebevoll geküsst und von starken Armen umfangen. Es war eine versichernde Geste. Dieser Mann würde bleiben, egal, was Ran ihm sagte. Dieser Mann würde ihn verstehen und dann hätte auch er endlich den Menschen gefunden, der ihm seine Schuld vergab. Den einen Menschen, der ihm half, seine schmutzige Seele allmählich zu säubern. Der Wecker riss ihn aus dem wohligen Traum und Ran zuckte zusammen. Das hatte er noch nicht erlebt. Seit wann war er denn bitte so schreckhaft? Murrend schwang er die Beine aus dem Bett und hörte, wie etwas auf den Boden fiel. Sein Blick folgte dem Geräusch und als Ran die Karte aufhob, fiel sein Blick erst auf das Datum auf der Karte und dann auf seinen Kalender. Heute! Eine seltsame Vorfreude machte sich in ihm breite und hob sogar seinen Mundwinkel etwas an. Er stand auf und machte sich einen Tee, während die Freude in ihm stieg. Seine nächste Bewegung galt der Fernbedienung der Anlage. Er hatte so gute Laute, dass er die CD anstellte, die Omi ihm geschickt hatte. Nur Sekundenbruchteile später tönte Bananaramas ‚Walking on sunshine‘ durch seine Wohnung. Sofort stellte Ran das Radio aus und starrte auf das Gerät. Deutlich unsicher sah er sich in seiner Wohnung um. Niemand war hier. Niemand würde ihn sehen. Mit zusammengepressten Lippen sah er auf die Fernbedienung in seiner Hand und auf den Repeat Knopf. Ob er wirklich sollte? Aber es war so furchtbar albern. Hatte er nicht Lust, sich mal gehen zu lassen? Aber das war so gar nicht seine Art. Und wenn es eine Ausnahme blieb? Augenblicklich wurde die Anlage wieder hell und Bananarama wanderte weiter im Sonnenschein. Das Repeatzeichen blickte und versprach etliche Wiederholungen. Dann legte Ran die Fernbedienung weg, als hätte er sich daran verbrannt und starrte sie finster an. Es würde ihr beider Geheimnis bleiben, bis sie beide starben. Mit den ersten neuen Beats stieg Ran unter die Dusche, schaltete das Wasser an und genoss das heiße Nass auf seinem Gesicht. Die Musik Drang bis zu ihm und irgendwann konnte er sich nicht mehr wehren. Mit Schaum und seinen Fingern in den Haaren, sang er mit. Frisch geduscht und mit einem Handtuch um die Hüfte tänzelte er wieder in die Küche, machte sich Frühstück und kochte noch einen Tee. Dann zog er sich um, legte sich die Musik auf die kabellosen Kopfhöhrer und putzte seine Wohnung. Mittlerweile hatte er den Text ganz gut drauf und sang das ganze Lied mit. Ob er wirklich jeden Ton traf, wagte er ernsthaft zu bezweifeln und er hoffte inständig, dass niemand hiervon erfahren würde. Aber das hier machte zu viel Spaß. Seiner Schwester hatte er früher mal einen Vogel gezeigt, als sie durch ihr Haus getanzt war, die Kopfhörer auf den Ohren und die Musik so laut, das sie die Einzige war, die ihren Gesang nicht hören musste. Heute musste er darüber lächeln. Kapitel 18: Akt XVIII --------------------- Nachdem er seine ganze Wohnung geputzt hatte, musste Ran erneut duschen, denn wer ging schon zu einem Date, ohne sich zu duschen? Äußerlich ruhig wartete er in der Lobby und holte sich, wie so oft schon, seine Schlüsselkarte. Einmal mehr wunderte es ihn, dass die Bedienung ihn weder nach seinem Namen noch nach irgendetwas anderem fragten. Vielleicht wollte er auch gar nicht wissen, warum es so war. Wer wusste schon, was in den Köpfen der Leute vorging? Kurz zuckte sein Mundwinkel. Wie kam er denn jetzt auf Schwarz? Ganz offensichtlich hatte der Morgen ihn etliche Hirnzellen gekostet, dass er jetzt an diese Bande dachte. Vor dem Zimmer besann er sich, was er heute zu tun hatte. Er musste dem Fremden sagen, dass er für ihn nicht nur ein Auftrag war, dass da mehr war, als der Wunsch Geld zu verdienen. Es musste sein. Mit allen Konsequenzen. Noch einmal atmete er durch und trat in das Zimmer ein. Wie immer war das Zimmer nur spärlich beleuchtet und sofort fühlte Ran sich wohl. Leise, klassische Musik spielte, war mehr ein unterschwelliges Geräusch, als echte Musik. Er schloss vertrauensvoll die Augen, als er das Geräusch von nackten Füßen auf dem Teppich hörte. Das gewohnte Tuch wurde ihm über die Augen gelegt, gleichzeitig wurde sein Kopf nach hinten gezogen. Ran spürte den warmen Körper an sich und entspannte sich immer weiter. Eine Nase strich durch sein Haar und der kühle Luftzug verriet, dass Mister X tief einatmete. Dann ein entspanntes, fast schon sehnsüchtiges Seufzen. Hatte er ihn etwa ähnlich schmerzlich vermisst? Rans Überzeugung schwankte und kippte über die Klippe. Er würde ihm nichts einfach vor den Latz knallen. Nicht diesem Mann. Mit geschlossenen Augen griff er nach den großen Händen. Ob der Mann ihm auch vertraute? Einen Versuch war es Ran wert. Ganz vorsichtig lockerte er den Zug der Hände und stellte sich wieder aufrecht hin. Der Mann ließ ihn gewähren, aber noch hatte er ja auch das Tuch vor Augen. Ganz langsam drehte Ran sich um. Er konnte nicht widerstehen. Seine Hände tasteten nach den Seiten des Fremden und wanderten auf seinen Rücken. Nun hieß es für Ran alles oder nichts. Sanft schmiegte er sich an den Mann, umarmte ihn von sich aus und lehnte seinen Kopf an die Schulter, hörte den schnellen Herzschlag in der Brust. Nun hatte er sich offenbart und konnte nur noch hoffen, nicht weggestoßen zu werden. Starke Arme legten sich verspätet um seine Schultern. Damit hatte der Mann ganz offensichtlich nicht gerechnet. Doch nun zog er ihn fest an sich, legte seine Nase wieder in Rans Haare und schien ihn in sich vergraben zu wollen. Zufrieden seufzte Ran. Der stetige Druck auf seine Lungen machten ihm das Atmen schwer, jedoch war das etwas, dass er gern hinnahm. Er roch den Mann, die leichte Note Kaugummi, spürte die Wärme und den offenen Wunsch, ihm nahe sein zu wollen. Gott! Das hier war so gut. Fast perfekt. In seinem Kopf flüsterte eine Stimme nach Vergebung. Er war ein Mörder, ein schlechter Mensch. Hatte er diese Nähe überhaupt verdient? Die letzten Jahre hatte er sie sich versagt. Wichtig war nur die nächste Mission. Und stand er hier und wollte nichts mehr, als diesem Mann sagen, was er war und hoffen, dass er einen Blick bekam, wie Tammy sie Yoji schenkte. Er wurde noch enger an den starken Körper gezogen und der jahrelang angestaute Schmerz wollte sich nur zu gern lösen. Nein! Das durfte nicht sein. Das hier war keiner seiner Träume, in denen er jetzt die Augen öffnen, den Mann seiner Träume sehen und ihm gestehen würde, was er die letzten Jahre getan hatte, nur um dann in den Arm genommen zu werden. Er würde keine Vergebung von ihm erfahren. So sehr Ran es sich auch wünschte, würde dieser Fremde ihm nicht helfen können, seine blutbeschmierten Hände wieder reinzuwaschen. Eine große Hand wanderte in seine Haare, zogen seinen Kopf vorsichtig, doch bestimmt nach hinten. Kurz darauf legten sich weiche Lippen auf seine. Sie Küsten sich, ganz ohne Augenbinde. Ob der Mann wohl dabei seine Augen schloss? Oder beobachtete er ihn? Hatte er neben dieser Augenbinde und dem Schnüffeln noch einen anderen Fetisch? E war egal. Er wollte es gar nicht wissen. Ohnehin würde er die Augen jetzt nicht öffnen. Zu sehr genoss er das Spiel ihrer Zungen, das Gefühl bedingungsloser Zärtlichkeit. Seine eigenen Hände wanderten unter die Jacke des Fremden und unter dessen Hemd. Oh das mochte er. Hemden, bei denen er einen Knopf nach dem anderen öffnen und immer wieder neu entdecken konnte, was sich darunter befand. Sollte der andere doch ruhig spüren, was Ran wollte. Das hier war schon lange kein normales Treffen mehr. Selbst, wenn der Mann Sex wollte, war Ran sich sicher, dass es sich bei seinen Vorgängern nicht so ereignet hatte. Scheinbar war mit ihm alles anders. Diese Augenbinde und das angenehme Schweigen hatte es vorher nicht gegeben. Ein Teil in ihm hoffte, dass es auch die Leidenschaft so vorher nicht gegeben hatte. Eine Hand löste sich von ihm, ehe er mit dem Fremden mitgezogen wurde. Ein Lichtschalter wurde betätigt, das konnte Ran am Geräusch erkennen. Dann ging alles ganz schnell. Eine ungestüme Leidenschaft erfasste sie und sie rissen sich regelrecht die Kleider vom Leib. Er war aufgeregt. Das hier fühlte sich so richtig, so echt an, dass er an der Realität zweifeln wollte. Auf einmal konnte er der Mann sein, der er schon immer war. Da waren keine Grenzen mehr zwischen ihnen. Nicht mal eine Augenbinde. Hier, zwischen ihnen war so viel Vertrauen. Schnaufend drängte er sich an den anderen, wollte austesten, wie weit dieser mit gehen würde. Eigentlich ein kindischer Gedanke, aber Ran wollte beweisen, dass er auch eine gewisse Dominanz mitbrachte. Der Mann führte ihn zum Bett und löste sich von ihm. Ran spürte, wie er sich einen Schritt entfernte, dann wieder auf ihn zu kam und ihn erneut küsste. Dann trennte er sich wieder und schnaufte unwillig, ehe er seine Hände in Rans Nacken legte und ihn wieder gierig küsste. So fanden sie ungelenk den Weg aufs Bett und er stützte sich über dem Fremden ab. Ihre Beine waren verschränkt und für einen Moment zögerte er. Sollte er sich seinem Kunden wirklich aufdrängen? Plötzlich bewegte sich der andere Körper, schien etwas greifen zu wollen, das ein Stück weiter lag, als die Arme lang waren und Ran schmunzelte. Zu gern hätte er den Mann mit einem Spruch geneckt. Hätte er, wenn dieser Mann sein Partner war. Innerlich seufzte Ran. Da war er wieder, der schale Geschmack der Lieblosigkeit. So viel Spaß sie hier auch zu zweit hatten. Sie waren keine Partner, keine Liebenden. Der Mann hielt inne, schien ihn einen Moment lang zu beobachten und das war etwas, dass Ran unendlich peinlich war. Sicher konnte man ihm seinen Gedanken ansehen und er lehnte seine Stirn auf die breite Brust. Mister X durfte sein Gesicht jetzt nicht sehen. Die Lust war mit einem Schlag dahin. Ganz vorsichtig fuhren Finger durch seine Haare, streichelten beruhigend seinen Nacken. Verdammt! Jetzt hatte er dem Mann sicher den Abend ruiniert. An seinem Nacken wurde gezogen und sein Gesicht wurde an den gut duftenden Hals des Fremden gebettet, ehe sich der zweite Arm um Ran legte und ihn umarmte. Kraftlos ließ Ran sich sinken. Es war eh schon offensichtlich. Rans Erregung war vollkommen abgeklungen und er schämte sich. „Entschuldige“, nuschelte er, hörte selbst, wie brüchig seine Stimme klang. Klasse! Fehlte nur noch, dass er anfing zu heulen, während er auf seinem Kunden lag. Shit. Das hier war gründlich daneben gegangen. Um so dankbarer war er, als der Mann den Kopf schüttelte, seinen Schopf küsste und langsam über seinen Rücken strich. Was sollte er jetzt sagen? Sollte er überhaupt etwas sagen? Dabei war die Stille gerade so schön. Er legte seinen Kopf bequemer auf der Schulter ab, spürte noch immer die Lippen, die nun von seinem Haar auf seine Stirn gerutscht waren und wagte es, die Augen zu öffnen. Er sah nur einen Teil der trainierten Brust und die andere Schulter. Alles war beinahe nur zu erahnen und Ran schloss mit einem Lächeln die Augen. Sollte der Mann doch seine Geheimnisse haben. Ihm war es egal. Jetzt, in diesem Moment, wollte er nur hier liegen und gehalten werden, bis seine trüben Gedanken wieder von ihm wichen. Die streichelnde Hand und die kleinen Küsse auf seiner Stirn halfen ihm dabei und bald schob Ran seinen Kopf hoch, tauschte seine Stirn gegen seine Lippen. Sie versanken in einen immer leidenschaftlicher werdenderen Kuss. Starke Arme legten sich um ihn und der Mann drehte sich auf ihn. Ok. Er wollte offenbar den dominanten Part innehaben, obwohl Ran sich sehr sicher war, dass er ihn vor wenigen Minuten hätte gewähren lassen. Neugierige Hände strichen über ihn, ehe er auf den Bauch gedreht wurde. Massierend fuhr der Fremde immer wieder über seinen Rücken, setzte sanfte Küsse auf seine Haut, bis Ran nicht mehr an sich halten konnte. Gerade, als die Hände wieder an seinem Rücken hoch glitten, bäumte er sich auf, drängte seinen Rücken an den flachen Bauch. Ein lustvolles Knurren entkam dem Mann, der eine Hand über seine Seite streichen ließ. Mit sanften Küssen und geschickten Fingern wurde er vorbereitet, bis er stöhnend die Stirn ins Kissen drängte. Sein Herz raste vor Aufregung und Vorfreude. Die trüben Minuten waren schon fast aus seinem Gedächtnis verschwunden. Jetzt und hier wollte er es nur noch genießen, sich hingeben und vergessen, dass das hier sein Job und der Mann hinter ihm sein Kunde war. Im nächsten Moment spürte er, wie er vereinnahmt wurde. Ein Stöhnen fiel über seine Lippen und er wand sich genüsslich, je tiefer er ihn in sich spürte. Er spürte ihn so deutlich. So … Ran stockte und riss die Augen auf, starrte auf die Matratze. Er spürte ihn pur, kein Kondom zwischen ihnen. Panik trieb durch seinen Körper. Er wollte sich aus der Situation herauswinden, doch diese großen Hände legten sich auf seine Hände und verschränkte ihre Finger. Ran spürte einen beruhigenden Kuss in seinem Nacken, reagierte jedoch nicht darauf. Wie sollte er sich denn bitte beruhigen? Er wurde genommen. Von einem Fremden. Ohne irgendeinen Schutz. Ein Teil in ihm redete gebetsmühlenartig auf ihn ein, dass alle Kunden genauestens geprüft wurden, doch ein anderer, immer größer werdender Teil, hatte Angst. So große Angst, dass es ihm sogar die Sprache verschlug. Am Liebsten hätte er geflucht, geschrienen und geschimpft, doch nichts davon verließ seine Kehle. Die warmen Lippen, die sich federleicht auf seinen Schultergürtel setzten, konnten daran auch nichts ändern. Ihm kamen die Tränen. So durfte das nicht sein! „Schhhhhh“, raunte es in seinem Ohr und er stockte. Diese angestrengte, erregte Stimme hatte etwas unglaublich Beruhigendes. Sein Körper begann sich zu entspannen. Er begann ruhiger zu werden. Dieses leise Zischen hatte ihn tatsächlich aus seiner Panik geholt. Noch ehe er ernsthaft anfangen konnte nach einem Grund dafür zu suchen, begannen die Bewegungen und Rans Denken schaltete sich ab. Nie hatte er etwas so Intensives erlebt. Er hatte all seine Hemmungen verloren. Nie zuvor hatte er sich so gehen lassen. Träge öffnete Ran über diesen Gedanken die Augen. Das rötliche Licht des neuen Tages blendete ihn und er vergrub sein Gesicht murrend in dem Kissen. Tief inhalierte er den Geruch, der ihm so seltsam vertraut vorkam. Sofort ruckte sein Kopf in die Höhe. Er hatte das fehlende Kondom vollkommen vergessen. Doch nun tropfte dieser Gedanken wie glühendes Metall in seinen Kopf. Eilig erhob er sich und ging mit wackligen Beine zu der Tür, hinter der er das Bad vermutete. Mit einem hastigen Blick hatte er erkannt, dass die Suite verwaist war. Er schenkte der teuren Keramik nur flüchtige Blicke und stieg unter die Dusche, um sich gründlich zu waschen. Wütend über sich selbst, fragte er sich immer wieder, wie er nur so dumm und leichtsinnig hatte sein können. Es dauerte, bis seine Haut vom heißen Wasser bereits ganz rot war, ehe er die Dusche ausschaltete und zurück ins Zimmer ging. Hektisch zog er sich an und verließ das ihm so vertraute Zimmer. Innerlich um Ruhe ringend, ging er zur Rezeption, an dem er die Karte gegen einen Umschlag tauschte. Noch auf dem Weg aus dem Gebäude war er einen Blick hinein. Doch diesmal war da keine Karte. Nur ein eindeutig fieberhaft ausgefüllter Scheck. Das machte das Ganze nur noch realistischer. Ran war entsetzt. Sein Verstand wusste nur einen Ort, an den er jetzt gehen konnte und eine gefühlte Ewigkeit später hörte er sich selbst an die Tür des Büros hämmern. „Yoji!“, rief er und wusste nur zu gut, wie verzweifelt er klang. Am liebsten hätte er den panischen Tränen Raum gegeben, die in ihm hochkrochen, doch er wollte nicht vor dem Büro des Detektivs zusammenbrechen. Das konnte er sich für Zuhause aufheben. Hinter der Tür hörte er Gepolter, dann wurde die Tür aufgerissen und Yoji starrte ihn mit weiten Augen an. Ran musterte ihn schnell. Die Haare zerwühlt, die Hose zwar an, aber nicht geschlossen, der Atem hektisch. „Verdammt“, murmelte Ran, als er begriff, wo er gerade reingeplatzt war. Doch ebenso erkannte er das Verstehen in Yojis Blick. „Gib mir nur eine Minute. Ok? Bleib hier und gib mir nur eine einzige Minute“, sagte er und hob vorsichtig die Hände, als könnte er ein Reh verschrecken. Sah er wirklich so furchtbar aus? Die Tür wurde nicht einmal ganz angelehnt, und Ran hörte Stimmen, die ihm die Hitze in die Wangen trieb. Das wollte er nicht. Er wollte diese Stimmen nicht hören, wollte sich nicht an diese Nacht erinnern, an dieses ungewohnte Gefühl. Wie hatte er das nur zulassen können? Wie? Ran wollte sein brennendes Gesicht in seinen Händen vergraben, doch er war starr. Ein Teil in ihm sah die Situation ganz nüchtern. Er hatte Mist gemacht und nun musste er damit klar kommen. Es war der Teil, der ohne Zögern töten konnte. Der Teil, den er in den letzten Wochen sträflich vernachlässigt hatte. Der andere Teil in ihm schrie nach Zuwendung, nach Verständnis und murmelte etwas von bitterer Enttäuschung. Ja, Ran war enttäuscht. Von dem Mann und von sich. Er hätte es stoppen müssen, als er es bemerkt hatte. Er hätte ihn von sich schieben und sich ihm noch willig anbieten sollen. Und er? Dieser Typ hätte ihn warnen können, hätte es auf der professionellen Ebene halten können. Ran stockte. Das war es! Es ist in dieser Nacht persönlich geworden und diese Nähe, riss seine alten Wunden auf. „So. Komm rein“, hörte er Yoji sagen und folgte. Für Tammy hatte er kaum einen Blick übrig. Er wusste, wie unhöflich das war, doch er konnte nicht. Konnte sie nicht ansehen. Was, wenn sie seine Verfehlung erkennen konnte? „Ruf mich an“, raunte sie hinter ihm und dann hörte er die Tür. „Okay. Was ist passiert?“ Yoji platzierte ihn vorsichtig auf dem Sofa. Eine Geste, die Ran sich noch schwächer fühlen ließ und das machte ihn wütend. Leise knurrte er und sah Yoji ernst an. „Ein Glück! Etwas Feuer scheint noch in dir zu stecken“, lächelte der Blonde matt und hockte sich vor ihn. „Und jetzt sagst du mir, was passiert ist. Hat er dir was angetan?“ Ran hörte die ehrliche Sorge deutlich aus der leisen Stimme, doch er konnte weder nicken noch den Kopf schütteln. Hatte man ihm etwas angetan? Eigentlich nicht. „Ich habe einen großen Fehler gemacht, Yoji“, sagte er und war über die Ruhe in seiner Stimme selbst erstaunt. „Einen Fehler?“ Er nickte, war froh, dass sein Gegenüber ein Profi war und jetzt keinen kameradschaftlichen Witz über ihn riss. „Einen großen“, gab er zu verstehen und beobachtete, wie Yojis Miene sich mich Schrecken füllte. „Verdammt! Ran! Bist du irre?“ Leise und voller entsetzen kamen die Worte an sein Ohr, doch er erlaubte sich nicht, den Blick beschämt zu senken. Er musste zu dem stehen, was er getan hatte. „Ich bring dich ins Krankenhaus. Das ...“ Der Detektiv war aufgesprungen. Vorbei war die Professionalität. Jetzt herrschte der entsetzte Freund vor. Und selbst dafür war Ran dankbar. „Er hat mir nichts angetan. Ich ... habe es zugelassen“, meinte er und Yoji erstarrte. „Du hast was?“ Ihre Blicke hielten sich gegenseitig fest. „Hast du den Verstand verloren? Du weißt gar nichts über den Typen und dann machst du so etwas? Du weißt genau, dass du nicht der Erste bist, und hast keine Ahnung, was er sich sonst noch ins Bett holt. Mein Gott, Ran!“ Das reichte! Nun erhob sich der Japaner und stand bedrohlich dicht vor Yoji. Er wollte ihm etwas demonstrieren. Was genau, wusste er selbst nicht, aber er musste es demonstrieren. Da war Abyssinian wieder. Dunkel und drohend schob sich dieser Teil seiner Persönlichkeit hervor. Reiner Schutz, das wusste Ran, doch er konnte es nicht ändern. Auch Yojis Blick änderte sich, als er sich eine Zigarette anzündete und den Kopf fast eine Spur zu arrogant schräg in den Nacken legte. Oh ja! So kannten sie sich. Sie wussten, wer sie waren, was sie waren. Sie kannten ihre Fähigkeiten aus den letzten Jahren und sie wussten beide, dass ein einziger Funke entstehen musste, um das selbst gebaute Pulverfass bersten zu lassen. „Ich mache dir einen Tee“, nuschelte Yoji mit der Zigarette zwischen den Lippen, ehe er sie zwischen die Finger nahm und ungesehen ausdrückte. Nur wenige Millimeter drehte er den Kopf und blies den Rauch aus, dem Blick weiter standhaltend. Er schien auf irgendeine Entscheidung zu warten, doch schließlich wandte er den Blick ab und ging zu der kleinen Küche. Ran blieb stehen und sah seinem Freund nach. Eigentlich war er ihm dankbar. Kaum ein anderer hätte ihm standgehalten und es gewagt sein Temperament zu heizen. „Du musst trotzdem untersucht werden“, hörte er eine Erklärung und war geneigt, milde zu reagieren. Er knurrte nur und senkte das Kinn, als der Blonde mit zwei Tassen Tee zurückkam und sie auf den kleinen Tisch vor der verwühlten Couch stellte. Dann ging Yoji in das angrenzende Bad und kam nach einigen Momenten mit einer ganzen Handvoll medizinischer Dinge wieder. „Ich nehme dir jetzt Blut ab und lasse es Tammy untersuchen. In ihrem Krankenhaus werden auch Obdachlose behandelt. Wir machen das anonym. Sie hat da Erfahrung und hat für mich schon ein bisschen was gedreht“, erklärte Yoji und legte alles auf den kleinen Tisch, ehe er sein Handy zückte und eine kurze Nachricht schrieb. „Los! Arm freimachen!“, bestimmte er dann und Ran schenkte ihm erst noch einen bösen Blick. „Ich bin kein Opfer. Behandel mich ja nicht wie eins!“, verlangte er, ehe er den Mantel auszog, sich setzte und den Ärmel des Pullovers hochschob. Yoji band seinen Arm ab, desinfizierte die Stelle und nahm Ran geübt drei Röhrchen Blut ab, die er jedes mal etwas schüttelte und den Kolben abbrach. Dann drückte er einen Tupfer auf die Stelle und packte die Röhrchen in eine Tüte ein. In dem Moment klopfte es an der Tür. Yoji öffnete und ließ Tammy herein, die sich zu Ran gesellte. Ihr offener Blick und ihre kraftvolle Ausstrahlung ließen ihn einmal mehr ahnen, was Yoji an ihr fand. Keiner der beiden sagte etwas und den Detektiv schien das nicht im Geringsten zu stören. „Du musst das Blut für mich untersuchen.“ „Auf was?“ Ein schneller Blick zu Ran, der diesen nur dunkel erwiderte. „Auf alles, was du finden kannst. Es ist wichtig.“ Ein Lächeln zuckte über den Mundwinkel der Frau und sie Küste Yojis Wange. „Bei dir ist immer alles wichtig“, raunte sie und verstaute die Röhrchen sicher. Dann verließ sie die Männer mit dem Versprechen, sich gleich ranzusetzen. Nun endlich konnte auch Ran sich entspannen und etwas zurücklehnen. Ehrlich gesagt war er Tammy sehr dankbar. Erst hatte sie Yoji eine Kugel aus dem Arm geholt und nun untersuchte sie sein Blut. Beides Gefälligkeiten, die sie durchaus auch ihren Job kosten konnte, das wusste auch Ran. „Soll ich jetzt ‚dieser Mistkerl‘ oder ‚du Vollidiot‘ sagen?“ Darüber musste Ran sogar etwas schmunzeln. „Ich weiß es nicht. Vielleicht einfach beides.“ Yoji ging seinem Willen nach, schimpfte auf Ran und diesen Fremden. Dann tranken sie Tee und Ran kam langsam zur Ruhe. Die nächsten Wochen würden anstrengend genug werden. Kapitel 19: Akt XIX ------------------- „Wie immer einer der ersten“, kam es Ran bereits entgegen, als er ins Büro seiner Chefin trat, um seine Abrechnung abzugeben. „Auf sie ist wirklich Verlass.“ Schwärmte sie etwa auch vor anderen so von ihm? Das war doch peinlich. Sie war eine Geschäftsfrau. Er erwiderte nichts, setzte sich auf einen der Stühle und reichte seine Papiere weiter. „Das mit 379 tut mir leid“, sagte sie plötzlich und Ran schluckte hart. Wie viel wusste sie? „Dass er für längere Zeit ins Ausland muss. Wirklich schade.“ Das war auch gut so, dachte Ran düster. In den letzten zwei Wochen hatte er bei jedem einzelnen Brief Herzrasen bekommen. Was sollte er tun, wenn er wieder so eine karte im Briefkasten hatte? „Ich steige aus“, hörte er sich selbst sagen und der Blick seiner Chefin wurde ungläubig. „Wie bitte?“ Ran wiederholte seine Entscheidung und holte einen Brief aus seinem Mantel und legte ihn der Frau vor. Auf Yojis Geburtstagsfeier hatte er es entschieden. Das hier konnte er nicht mehr. Nicht einen einzigen Tag lang mehr. Die Frau sah sich den Zettel an und dann enttäuscht zu Ran. „Ist etwas vorgefallen?“ Oh sie war wirklich klug. Ein mattes Lächeln war seine Antwort, ehe er sich erhob und sich mit einem letzten Blick verabschiedete. Als er das Gebäude verließ, fühlte er sich seltsam erleichtert. Er würde 379 nicht wieder sehen. Es tat weh, aber so war es besser. Für sie beide. Ran konnte ihm nicht geben, was er wollte und dieser Mann konnte Ran nicht geben, was er sich wünschte. „Na?“ Ran sah auf Tammy, die mit dem Seven vor dem Gebäude auf ihn wartete. Sie waren sich in den letzten Tagen näher gekommen und allmählich glaubte Ran, in ihr eine echte Freundin gefunden zu haben. Sie war eine von ihnen. Zusammen stiegen sie in den Wagen und fuhren los. Der März lockte bereits mit warmen Tagen. Der Fahrtwind schnitt jedoch noch immer im Gesicht. Er sah auf den Fußweg, der an ihm vorbeizog. Die Menschen und ihre Geschäftigkeit waren für Ran so weit weg. Er fühlte sich wie ein Außenseiter, war es wahrscheinlich auch. An Yojis Büro angekommen stieg er aus dem Wagen und wartete auf Tammy, damit sie zusammen das Gebäude betreten konnte. Yoji saß an seinem Schreibtisch, hatte tiefe Augenringe und war offenbar bemüht ein Überwachungsvideo zu sichten. „Der Typ ist gut“, murmelte er und wischte sich schnaufend über die Augen. „Vielleicht solltest du einfach mal eine Pause machen“, meinte Tammy und ging in die Küche, um Tee zu brühen. „Vielleicht hats du recht. Ich muss mich dann auch unbedingt noch mal hinlegen, sonst schaffe ich die Observation heute Nacht nicht.“ „Dann lass mich gehen“, meinte Ran und sah seinen Freund ernst an. „Im Gegensatz zu dir bin ich ausgeschlafen und außerdem brauche ich einen Job.“ „Du hast es also wirklich durchgezogen?“ Er nickte und bedankte sich, als er den Tee bekam. „Würde ja gerne mal wissen, wer dieser Kerl war.“ Ran biss die Zähne aufeinander. Er wollte es eigentlich gar nicht wissen, wollte lieber in sein einsames Leben zurück, als so einem in die Finger zu fallen. „Denkst du bitte nächste Woche an unseren Termin“, hörte er Tammy und sah auf den Kalender. Nächsten Mittwoch würde sie ihm noch einmal Blut abnehmen und nach Antikörpern suchen. Ran war angespannt. Zwar hatte Yoji ihm versichert, dass er ihr nichts erzählt hatte, doch wenn sie die Ergebnisse bekam und etwas fand, würde sie es ohnehin wissen. „Ich bin pünktlich hier“, murmelte er und nippte an dem Tee. „Gut. Wo wir das jetzt geklärt haben und ich gleich im Stehen einschlafe. Ich gebe dir mal ein paar Infos“, erhob Yoji die Stimme und winkte Ran müde zu sich, um ihn auf seine Observation vorzubereiten. Kaum zehn Stunden später saß Ran in seiner dunklen Missionskleidung auf dem Dach gegenüber der Spielhalle, im Schutz des abgebrochenen Schornsteins, und wartete auf sein Ziel. Dabei war nicht einmal klar, ob der Mann heute wirklich kommen würde. In Gedanken ging Ran alles noch einmal durch. Der Mann, auf den er wartete war ein Stammspieler in der Spielothek. Seit drei Wochen jedoch räumte er bei verschieden Spielen ab. Ein Gerät zur Manipulation der Automaten waren aber weder bei ihm noch an den Automaten gefunden worden. Das legte die Vermutung nahe, dass es noch eine weitere Person gab, die in die Sache verwickelt war. Vielleicht sogar der Drahtzieher. Auf den Überwachungsvideos sah es so aus, als würde der Mann mit jemandem außerhalb des Bildausschnittes reden. Wenn das stimmte, wusste die andere Person sehr genau, wo die Kameras hingen und wo ihre toten Winkel waren. Vielleicht sogar ein Insider. Aufmerksam sah er auf die Straße, suchte mit den Blicken die Ecken der Gasse ab, die die Kameras nicht erfassten. Eine Person sah sich um, als sie in die Gasse trat und weckte Rans Neugier. Er beugte sich weiter über das Dach, erkannte sein Ziel. Der Mann wirkte nervös, die Kapuze seiner Jacke versteckte zwar einen Teil seines Gesichtes, aber nicht seine Angst. Er holte etwas aus seiner Jacke, sah es kurz an und steckte es wieder ein. Es war zu klein, als das Ran es hätte erkennen konnte. Dann ging der Mann in die Spielhalle. Ran verließ seinen Posten, kletterte vom Dach und schob sich außerhalb der Kameras durch die Schatten an ein präpariertes Fenster. So konnte er in das Innere des Gebäudes sehen und den Mann weiter beobachten. Dieser setzte sich an einen Automaten, warf Geld ein und spielte. Das Etwas in seiner Tasche blieb unberührt. Die Stunden zogen sich in die Länge und der Mann wechselte zwischen den Automaten, ohne dass Ran ein Muster erkennen konnte. Dann ging er wieder und Ran folgte ihm ungesehen ein Stück. An der Wohnung des Ziels brach er seine Verfolgung ab und kletterte auf das nächste Dach, um den Mann in seiner Wohnung zu beobachten. Zumindest in seinem Wohn- und Schlafzimmer. Doch auch hier tat sich nichts Auffälliges und als der Mann gegen sechs Uhr früh ins Bett ging beendete auch Ran seine Nacht. Er fuhr zu Yoji und erstattete ihm Bericht. Tammy, die neben Yoji saß, störte ihn schon nicht mehr. Während er sprach, sog er diverse Messer aus seinen Stiefeln und den Mantelinnenseiten. Sein Katana wäre einfach zu auffällig gewesen. „Vielleicht trägt er auch ein Gerät bei sich, dass per Funk die Rhythmen der Automaten ausließt“, überlegte Yoji und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Dann ruf doch mal bei Omi an, der wird dir da sicher weiterhelfen können. Außerdem wollte er dir eh noch nachträglich zum Geburtstag gratulieren“, meinte Ran, als sich ein Gähnen verkneifen musste und sich dann verabschiedete. Fast war er der Meinung, dass er sein Bett bis zu Yojis Büro rufen hören konnte. Aber nun war er ja auf dem Weg. Zuhause angekommen holte er seine Post und ging in die Wohnung. Die Post landete ungesehen auf der Kommode neben der Tür, ebenso sein Schlüssel. Nur noch waschen und unter die Decke. Das war ein guter Plan. Gesagt, getan. Wenige Minuten später ließ er sich tief in die Matratze sinken und schnaufte angetan, als es langsam warm unter der Decke wurde. Eigentlich war er niemand, der gern warm schlief, doch in letzter Zeit konnte er nur noch so einschlafen. Warum auch immer. Ran verschob alle Grübeleien auf nach dem Aufstehen und zog die Decke bis zu den Ohren hoch, rollte sich darunter ein und sank in einen erschöpften Schlaf. Irgendwann wurde er wieder wach. Es war dunkel in seiner Wohnung, also musste es bereits spät sein. Da klingelte es an seiner Tür. Mürrisch stand er auf, zog sich etwas über und öffnete die Tür, gewillt, sie gleich wieder zuzuschmeißen, wenn ihm der Besuch nicht gefiel. „Ken!“, entfuhr es ihm und der Brünette grüßte lächelnd. „Hi. Tut mir leid, wenn ich so unangemeldet komme, aber ich hatte heute eher Schluss und dachte, ich versuch mal mein Glück.“ Ran wurde ruhiger. Das war wirklich eine schöne Überraschung und er bat Ken hinein. „Schön hast du es dir gemacht. Ich kenn die Wohnung ja nur mit Kisten und sonst leer“, scherzte der Fußballer und Ran schnaufte. Nie hätte er geglaubt, wie sehr er seine Chaotentruppe mal vermissen würde. Vor einigen Monaten noch war er froh gewesen, wenn das Haus mal leer war und er seine Ruhe hatte. Jetzt begann er es zu vermissen. Alles! Selbst die Streitereien. Vielleicht konnten wenigstens sie drei sich wieder zusammen finden, auch auf die jagt nach dem Abschaum der Menschheit begeben und ... Ran schüttelte den Kopf. Das würde keinem von ihnen gut tun. Ken war nach Weiß so labil, dass Ran sich angefangen hatte, ernsthaft Sorgen zu machen. Yoji hatte jetzt Tammy und auch, wenn sie es verstehen würde, wusste sie doch nicht, ob ihr Freund jedes Mal wieder heil zurückkam. Diese Angst sollte sie nicht durchstehen müssen. Und er selbst? Er stand wieder bei Null. Kein Job, keinen Partner, keine Familie. Nur eine beschmutzte Seele in einem ebenso beschmutzten Körper. „Du bekommst ja seltsame Post.“ Ran stutzte. War er gerade wieder so tief in seinen Gedanken verschwunden? Er wandte sich zu Ken um, der eine kleine Karte in den Fingern hielt. Sein Atem stockte. Nein! Das durfte nicht sein! „Wo hast du das her?“, fragte er und war um eine ruhige und wenig zittrige Stimme bemüht. Langsamer, als er es wollte, trat er an Ken heran und nahm ihm die kleine Karte aus den Fingern. „Schuldige. Ich wollte nicht spionieren, aber das lag hier auf dem Boden und ich dachte, vielleicht ist es aus dem Poststapel gefallen.“ Er nickte verstehend und sah auf die Karte. Sie war schlicht. Pastellenes Beige mit einem schwarzen Pin. Rans Herz raste und das Atmen fiel ihm schwer. Zitterte er etwa? „Ist alles ok, Ran?“, hörte er Kens Stimme wie aus weiter Ferne und drehte die Karte um. Ein Datum. Rans Blick huschte auf seinen Kalender und auf das rot eingekreiste Datum. Nächsten Mittwoch. Sein Blick huschte auf die Karte und wieder auf den Kalender. Der Mann wurde ihm unheimlich. Das Datum lag genau zehn Tage nach seinem nächsten Test. Bis dahin würde er auch das Ergebnis haben. Wusste der Fremde etwa, dass er sich untersuchen ließ? Ahnte er es? Oder hatte er selbst schon genug Erfahrung mit diesen Tests? Wenn ja, was sagte das dann über Mister X aus? „Ran?“ Er sah zu Ken, der ihn irritiert ansah. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Oh ja. Das hatte er. Hieß es nicht, 379 wäre für etliche Monate im Ausland? Wie konnte er ihm dann eine solche Karte zukommen lassen? War sie vielleicht gefälscht? Ran schwirrte der Kopf. „Ich hole dir erst mal ein Wasser“, holte ihn die Stimme zurück und er sah Ken nach, wie dieser in seine Küche ging. „Nein!“, hielt er ihn auf und erntete Kens volle Aufmerksamkeit. „Im unteren Schrank. Bring gleich die ganze Flasche mit“, meinte er und Gin zu seiner Couch, holte noch zwei Whiskeygläser aus der Vitrine und setzte sich in das weiche Polster. In seiner Hand hielt er noch immer diese schlichte Karte. Sie wirkte so anders. Die Karten davor hatten etwas Extravagantes. Sie changierten oder waren mit Gold geschrieben. Nur die ersten Karten waren ebenso schlicht. Fast etwas schüchtern, wenn Ran so darüber nachdachte. Sollte diese Karte etwa Mister Xs Reue ausdrücken? Tat es ihm leid? „Bist du sicher?“, fragte Ken, als er sich mit der halbvollen Flasche neben ihn setzte. „Ganz sicher“, gab er als Antwort und nahm seinem Freund die Flasche ab, schraubte sie auf und goss ihnen ein. Sein Glas füllte er mehr als üblich und kippe den ganzen Inhalt hinunter. Es brannte in seiner Kehle und Ran schüttelte sich. Dann wieder ein Blick auf die Karte. Und noch ein Glas. „Sag nicht, die ist wegen dir allein halbleer.“ Ran schwieg. Was sollte er schon sagen? Nachdem er von Yoji und Tammy nach Hause gegangen war, hatte sein Weg ihn noch durch das kleine Geschäft an der Ecke geführt. Besser, er verriet Ken nicht, dass er zwei Flaschen gekauft hatte. „Und das nur wegen einer Visitenkarte?“ Er nickte. Wozu sollte er Ken mit den unschönen Einzelheiten belasten. „Ein Stalker?“ Ein Kopfschütteln und noch ein Glas. „Ein unliebsamer Verehrer?“ Erneut eine Verneinung und ein neues Glas. „Mann, Ran! Machs nicht so spannend.“ Ran sah das Glas in seiner Hand an. Das Wievielte war das jetzt? Das Dritte? Das Vierte? Es spielte keine Rolle. Das drückende Gefühl in ihm würde auch der ganze Alkohol nicht wegspülen. „Ein Unfall? Ein Verrat? Ich weiß es nicht“, gab er schließlich zu verstehen, sah Ken an und erkannte dessen Sorge. „Sonst war es immer Yoji, der sich wegen irgendwelcher Frauen betrunken hat. Und jetzt bist du es?“, wollte er wissen, doch Ran wusste keine Antwort. Betrank er sich, weil er abgewiesen wurde? Der Blick auf die Karte sagte ihm etwas anderes. War er etwa wirklich unglücklich verliebt? „Ich habe es bald durchgestanden“, sagte er kryptisch, leerte sein Glas, stellte es weg und sah noch einmal auf die Karte, drehte sie und starrte auf den kleinen Pin. Mit einer schnellen Bewegung hatte er die dünne Kartonage in zwei Teile gerissen und warf diese nun auf den Tisch. War das seine Antwort? Er wusste es nicht, aber es tat gut. „Du solltest dich vielleicht ausruhen“, meinte Ken, als er sich erhob. „Und lass den Alkohol weg. Der bringt dir gar nichts!“ Wie, um seine Worte zu unterstreichen, nahm er die Flasche an sich, schraubte sie zu und verstaute sie wieder im Schrank. Ran beobachtete alles schweigend. Offenbar hatte Ken nicht den Mut, ihm die Flasche ganz zu entziehen. Oder er hoffte auf Rans Verantwortungsgefühl. Er schnaufte und stand auf. Hätte er Verantwortungsgefühl, hätte er nicht in wenigen Tagen seinen nächsten Bluttest. „Tut mir leid, dass es so gelaufen ist“, meinte er, als Ken seine Jacke überwarf und ihn matt anlächelte. „Wir haben alle unsere Probleme, Ran. Auch du. Pass einfach etwas auf dich auf.“ Er nickte und hielt die Tür, bis Ken gegangen war. Dann ging er wieder zu dem Schrank und holte sich die Flasche zurück, setzte sich auf die Couch und goss sich ein. Na, solange er noch nicht aus der Flasche trank, konnte es doch nicht so schlimm um ihn stehen, oder? Sein Blick fiel auf die zerrissene Karte. Lange starrte er ihre Überreste an und schnaufte dann ergeben, griff nach ihnen und hielt sie aneinander, sodass er das Datum lesen konnte. Kapitel 20: Akt XX ------------------ „Hallo Ran? Deine Ergebnisse sind da.“ Diesen Satz von Tammy hatte er gefürchtet. „Und?“, würgte er heraus, während er die Luft anhielt. „Da ist gar nichts. Nicht mal ein Antikörper gegen eine Erkältung.“ Ran nahm das Telefon vom Ohr und schnaufte erleichtert. „Danke dir“, meinte er dann wieder ins Handy und legte nach einer Verabschiedung auf. Sein Blick ruhte auf der kleinen Karte, die mit einem Klebestreifen umwickelt war. Warum hatte er sie nicht einfach weggeworfen? Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken und er öffnete die Tür, ließ Yoji herein und roch bereits die frischen Brötchen. „Nachtschicht?“, fragte er salopp und erntete ein Grinsen. „Wir haben den Typen, der die Automaten manipuliert. Also eigentlich hat Omi ihn gefunden. Wir sind echt noch ein gutes Team“, lachte der Schnüffler und ging Richtung Couch. Ran folgte ihm, hielt jedoch inne, als er Yojis Blick auf die Karte sah. Das Datum war nach oben gedreht und Ran sah, wie Yoji die Zähne aufeinanderbiss. „Du willst doch da nicht wirklich hin.“ „Natürlich nicht.“ „Warum liegt das Ding dann hier?“ Dabei deutete er auf das unschuldige Papier und knurrte. „Nur so.“ „Ran! Du machst nichts nur so. Hat dir der eine Schreck nicht gereicht?“ Ran knurrte und machte sich breit. „Ich dank dir für deine Sorge, Yoji. Aber ich bin erwachsen und treffe meine eigenen Entscheidungen. Außerdem hat mir Tammy gerade gesagt, dass alles ok ist.“ „Ach! Und wie sollen diese Entscheidungen aussehen? Willst du dich dem Mann, der dich durchaus mit einer potenziell tödlichen Krankheit hätte anstecken können um den Hals fallen und ihm danken, dass ihr beide Glück hattet?“ Yoji schnaufte und ging sich durch die Haare, ehe er sich eine Zigarette ansteckte. Erneut knurrte Ran und öffnete ein Fenster, an das der Detektiv sich lehnte. „Du kannst doch nicht mehr klar denken, wenn es um diesen Typen geht“, murmelte er und sah Ran an, der ihn jedoch nur mit einem finsteren Blick strafte. Dass der Blonde recht hatte, wusste er doch selbst. Er war nicht mehr objektiv oder rational, wenn es um Mister X ging. „Bitte versprich mir, dass du dich von ihm fernhältst. Versprich, dass du da morgen nicht hingehst“, bat er leise und Ran seufzte ergeben. Vielleicht hatte Yoji ja eine bessere Sicht auf die Dinge. Er war ein Außenstehender, mit einer anderen Sicht. Außerdem war er emotional nicht so involviert. „Gut“, meinte er dann und sah auf die Brötchen auf dem Wohnzimmertisch. „Können wir dann was essen? Ich habe den ganzen Morgen noch nichts hinterbekommen.“ Nun schmunzelte Yoji und rauchte auf. Zusammen gingen sie zurück und frühstückten. Dabei erzählte Yoji, was Omi alles herausgefunden hatte und wie sie den Drahtzieher am Ende entlarven konnten. „Das hat sich sicher gelohnt für dich“, sagte er, als er das letzte Stück hintergekaut hatte. „Na ja. Knapp über Mindestlohn. Aber! ... Ich habe ihm deine Stunden mit in Rechnung gestellt.“ Damit griff Yoji in seine Tasche und holte einen Umschlag hervor, den er Ran reichte. „Was ist das?“, fragte er lahm und Yoji schob sich den Rest seines Brötchens in den Mund. „Sicher keine Almosen“, nuschelte er mit vollem Mund und kaute weiter, als Ran den Umschlag öffnete. Viel war es nicht, das konnte Ran gleich sehen. Jedoch würde es ihm den nächsten Einkauf finanzieren. „Danke“, meinte er und der Detektiv schüttelte den Kopf. „Nicht doch. Du hast es dir verdient und vielleicht kannst du mir mal wieder helfen, wenn es nötig wird.“ Zwar kam dieser Satz als Aussage daher, trotzdem verstand Ran die Frage dahinter. „Immer“, gab er gleich zu verstehen und freute sich eigentlich schon auf seinen nächsten Auftrag. So verstaubte seine Ausrüstung nicht in seinem Schrank und seine Fähigkeiten wurden noch ein wenig genutzt. „Sehr schön. Dann freu dich jetzt noch ein bisschen und ...“ Yoji erhob sich und griff die kleine Karte. „Die hier nehme ich mit, damit du nicht auf blöde Gedanken kommst.“ Damit verließ ihn der Blonde und Ran lehnte sich im Polster zurück. Es dauerte lange Minuten, bis er sich aufraffte, das Geschirr abräumte und aufwusch und sich um seine Wäsche kümmerte. Er hatte sonst nichts weiter zu tun. Nun, da er ohne Arbeit war, konnte er jeden Tag seine kleine Wohnung putzen. Absolut unnötig, da er so wie so ein reinlicher Mensch war. „Sicher sterbe ich irgendwann noch mal an der Hausarbeit“, murmelte er, als er seine Socken aufhängte. Dabei konnte er sich den Zeitungsartikel schon vorstellen. ‚Junger Mann in eigener Wohnung an Langeweile und Hausarbeit gestorben‘ Wie tragisch. Er seufzte und sah auf den Kalender. Als ob Yoji mit der Karte auch seine Zweifel mitgenommen hätte. So ein Quatsch! Er hatte nur ein Stück Papier mitgenommen. Sowohl die sichtbaren, als auch die unsichtbaren Informationen hatte er bereits tief in seinem Kopf verankert. Je länger er auf die Zahl am Kalender blickte, desto sicherer wurde er sich in seiner Entscheidung. Er würde morgen Abend zu diesem Mann gehen. Jedoch nicht, um ihm um den Hals zu fallen. Er würde ihn zur Rede stellen, würde seinen Standpunkt klarmachen und dann wieder gehen. Immerhin arbeitete er nicht mehr für die Serviceagentur und wäre somit nicht genötigt, bei ihm zu bleiben. So verbrachte er seinen restlichen Tag damit, sich auszumalen, wie es bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen wohl laufen würde, was er Mister X alles vorwerfen und sagen wollte. Danach, da war sich Ran ganz sicher, wäre er frei. Frei von diesem Mann, der ihm ganz eindeutig nicht guttat und auch frei von diesem Gefühl, dass ihm die Brust zuschnüren wollte. Selbst der Schlaf schien ihn in dieser Nacht zu meiden und seine Träume drehten sich immer wieder um den Fremden. Sodass er auch den nächsten Tag nutzte um irgendwie auf seinen benötigten Schlaf zu kommen. Am heutigen Abend musste er wach und klar sein, musste reagieren können und durfte sich auf keinen Fall emotional einwickeln lassen. Das sagte er sich noch einmal laut vor, als er am Abend vor dem Spiegel stand, seinen Mantel überwarf und die Wohnung verließ. Er würde nicht einfach nachgeben. Egal wie zärtlich der Andere sein würde, er würde sich nicht einwickeln lassen. Als er in der Lobby ihres üblichen Hotels ankam, sah er auf die große Uhr über der Rezeption. Er war pünktlich. Was auch sonst? Zwar hatte er sich für den Weg viel Zeit gelassen, um nicht unnötig lange in der Lobby zu sitzen und vielleicht zu viel Zeit zum nachdenken zu haben, aber unpünktlich wollte er auf gar keinen Fall sein. Er ging zur Rezeption und bekam unkompliziert wie immer seine Keycard, fuhr mit dem Aufzug nach oben und ging auf die Zimmertür zu, die er schon so oft gesehen hatte. Es hatte etwas von ‚ihrem Zimmer‘. Ran schallte sich einen Dummkopf und öffnete die Tür. Mit festem Schritt trat er in das Zimmer und wurde von diesem wohligen Halbdunkel empfangen. Sofort war Ran entspannter, milder gestimmt. „Wir müssen da ein paar Dinge klären“, meinte er mit Druck in der Stimme, der keine Widersprüche duldete, doch eine Antwort blieb aus. Vorsichtig sah Ran sich um, wagte auch einen Blick hinter sich. Sonst hörte er die Geräusche des Mannes aus dieser Richtung. Niemand schien hier zu sein. Mit zusammengezogenen Brauen und in höchster Alarmbereitschaft schritt er auf den kleinen Tisch zu, erkannte den Umschlag und nahm ihn auf. Er war weder adressiert noch verschlossen und Ran zog das innen liegende Papier hervor, faltete es auf. „Ein Brief?“ Er war irrtiert und sah sich noch einmal um. Tatsächlich! Er schien allein in der Suite zu sein. Sein nächster Blick galt dem Brief. Er war handschriftlich und sehr sauber geschrieben. Da hatte sich jemand wirklich Mühe gemacht. Er laß die wenigen Zeilen, die ehrlich klingende Entschuldigung und das Versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommen würde. „Ich bin zur Zeit im Ausland und kann nur hoffen, dass du meine Entschuldigung annimmst. Das Wasser müsste jetzt auch soweit sein.“ Ran stutzte. Wasser? Was für Wasser? Mit dem Brief in der Hand ging er ins Bad und sah, wie die Wanne sich füllte. Schaum bäumte sich auf und mit wenigen Schritten war Ran an der Wanne, schaltete das Wasser ab und sah auf den knisternden Schaum. Es war so kitschig. Das Klopfen an der Tür ließ ihn umdenken. Er stand auf und öffnete die Tür. Ein Mitarbeiter des Hotels brachte einen Speisewagen und wünschte guten Appetit, ehe er wieder ging und die Tür leise schloss. Neugierig und doch etwas irritiert hob Ran die Abdeckung an und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es war das Essen, was sie an ihrem zweiten Abend hier zusammen auf dem Boden zu sich genommen hatten. Dazu eine kleine Schale Obst. Rans Blick fiel auf den Brief in seiner Hand. Er war unschlüssig. Wollte der andere ihn wirklich mit so einer übertrieben kitschigen und kostspieligen um Verzeihung bitten? Oder wollte er ihn damit um den Finger wickeln? Aber was hatte er davon? Er konnte nicht sicher sein, ob Ran es annahm, ob er überhaupt gekommen wäre. Andererseits ... Ran zuckte mit den Schultern. Nur weil er sich eine Traube nahm und sie ganz köstlich schmeckte, hieß das ja nicht, dass sie sich nicht noch aussprechen mussten. Er würde Mister X schon noch sagen, was er von solchen Aktionen hielt und dass er definitiv nicht bestechlich war. Trotzdem war eine solche Entschuldigung schon schön. Wortlos faltete er den Brief zusammen, legte ihn auf den Tisch zurück und zog seinen Mantel und die Schuhe aus. Mit dem Essen ging er ins Bad und stellte alles auf den breiten Wannenrand. So eine im Boden eingelassene Wanne hatte schon etwas für sich. Dann holte er ein paar Kerzen, die er in einer kommode fand, zündete sie an und schaltete überall das Licht aus. Still zog er sich aus und stieg in das wohltemperierte Wasser. Das tat gut! Seufzend lehnte er seinen Kopf auf den Rand und schloss die Augen. Die Wanne war groß, hatte bestimmt Platz für zwei Personen und war wunderbar tief. So tief, dass selbst Rans Schultern von dem warmen Nass umspült wurden. Wenn er so einen Luxus zu Hause hätte, dann würde er sicher so lange baden, bis ihm Schwimmhäute gewachsen waren. Über diesen Gedanken musste er schmunzeln. Ran öffnete die Augen und setzte sich auf. Essen in der Wanne. So etwas Verrücktes. Es passte zu diesem verrückten Typen. Wer sonst würde sich mit einer Nacht in einem Hotel entschuldigen? Eine Karte, na klar! Ein Entschuldigungsschreiben, natürlich! Vielleicht auch eine Einladung zu einem guten Essen oder ein großer Blumenstrauß. Letzteres hatte er selbst schon hunderte Male gebunden und verkauft. Aber ganz sicher nicht eine Übernachtung in einer Suite in einem teuren Hotel, wenn man nicht einmal wusste, ob der Andere überhaupt auftauchen würde. Als das Wasser langsam kühl wurde, stieg Ran aus der Wanne, trocknete sich ab und hüllte sich in den warmen und kuschligen Bademantel. Die Reste seines üppigen Mahles stellte er auf den Wagen zurück und nahm sich die Freiheit ihn einfach auf den Gang zu schieben. Ganz sicher wollte er heute nicht mehr gestört werden. Dann trat er auf die Dachterrasse raus. Er war barfuß, doch der kühle Stein unter seinen Füßen störten ihn kaum. Mit einem Blick auf die Stadt lehnte er sich auf das Geländer und sah auf die vielen Lichter unter ihm. Der Straßenlärm war hier oben nur noch ganz leise zu vernehmen und der Himmel über ihm war klar. Es würde eine kalte Nacht werden und Ran holte sich die dicke Decke aus dem Schlafzimmer. Über Stunden saß er auf einer der Liegen und sah in den Himmel, hing seinen Gedanken nach und kam allmählich zur Ruhe. Als ihm immer wieder die Augen zufielen, stand er auf, brachte die Decke ins Bett, sog sich aus, kuschelte sich gleich wieder unter die noch warme Decke und schlief langsam ein. Es war schön, wenn auch einsam. In der Nacht wurde er von einer Bewegung neben sich wach. Sein Körper war träge und es fiel ihm schwer, die Augen zu öffnen. „Schlaf weiter“, raunte ihm eine Stimme entgegen und er schloss die Augen wieder. Diese Stimme. Sie war so vertraut, so bekannt. Sie versprach so viel und Ran fühlte sich wohl, als fremde Arme sich um ihn legten und er an den warmen Körper gezogen wurde. „Wo warst du?“, nuschelte er schlaftrunken und lehnte sich in die Umarmung, zog den bekannten Duft tief ein und lächelte, als er den Kaugummi erkannte. „Ich hab’s nicht mehr ausgehalten. Es tut mir leid“, war alles, was Ran hörte, ehe er wieder tief in den Schlaf sank. Kapitel 21: Akt XXI ------------------- Der Morgen weckte ihn und Ran setzte sich, sich die Augen reibend, auf. Hatte er gestern Nacht geträumt? Prüfend legte er eine Hand auf die andere Seite des Bettes und zog sie erschrocken zurück. Das Lacken war noch warm. Irgendjemand hatte neben ihm geschlafen. Ran schauderte. Das war ihm unheimlich und er gab sich einen Moment, um über das Gestrige nachzudenken. Diese Stimme. Er wusste, er kannte sie von irgendwoher. Aber außer Ken und Yoji wusste nur noch Mister X, dass er vielleicht hier war. Seine Teammitglieder, da war er sich ganz sicher, hätte er auch in dem Dämmerschlaf, indem er gestern war, sofort erkannt. Sollte dann wirklich Mister X zu ihm gekommen sein? Das war unmöglich, immerhin war der im Ausland. Schnaufend raufte Ran sich die Haare. Er wusste doch selbst, wie einfach man seine Spuren verwischen konnte. Erst recht bei einer Agentur, bei der man Kunde war. Vielleicht hatte der Mann gelogen und hatte ihm hier doch irgendwo aufgelauert. Das war doch alles absurd. Wie aber dann? Um seinen Grübelein zu entkommen, stieg er aus dem Bett und ging ins Bad. Auch hier waren Anzeichen, dass noch eine andere Person im Zimmer gewesen war. Ein benutztes Handtuch lag auf dem Boden, damit der Roomservice es mitnahm. Ran presste die Lippen zusammen. Er war sich unsicher, wie er jetzt reagieren sollte. Sollte er an dem Handtuch nach Spuren suchen oder sollte er es einfach liegenlassen und darüber hinweg sehen? Innerlich lachte er über sich. Seit wann ließ er Dinge einfach auf sich beruhen, die ihn störten? Also hob er das Handtuch auf und sah es sich an. Vielleicht fand er ja ein Haar? Dann könnte er zumindest schon mal ein paar Aussagen über die Herkunft des Mannes geben. Aus etlichen Dokus hatte er gelernt, dass der Haarquerschnitt etwas über die Ethnie verriet. So hatten Asiaten einen fast kreisförmigen Haarquerschnitt, Europäer und Amerikaner einen etwas ovaleren und Menschen afrikanischer Herkunft einen eliptischen. Enttäuscht musste er nach Minuten feststellen, dass seine Suche ohne Erfolg blieb. Kein einziges Haar war an dem Handtuch zu finden. „Vielleicht ...“, überlegte er, ließ das Handtuch achtlos fallen und trat in die Dusche ein. Sein Blick war starr auf das Sieb im Boden gerichtet und er bereitete sich schon einmal darauf vor, darin herrumstochern zu müssen. Langsam hockte sich hin und versuchte etwas zu erkennen. Das Einzige, was er fand, war Sauberkeit. Vielleicht sollte er dem Hotel eine gute Bewertung im Internet geben, so sauber, wie hier selbst die Duschabflüsse waren. Weiter half ihm das jedoch nicht und Ran entschied, jetzt erst einmal zu duschen und dann nach Hause zu gehen. Als er aus dem Hotel trat, schien ihm die Sonne warm ins Gesicht. Das tat gut. Der Frühling kam. Er entschied sich um. Zuhause würde er sich doch nur langweilen, also ging er durch die Stadt, beobachtete die Hektik und Geschäftigkeit der Menschen. Mit einem kleinen Umweg über einen Blumenladen ging er auf den Friedhof. Dieser Gang fiel ihm immer noch schwer und war noch sehr weit von so etwas wie ‚Normalität‘ entfernt, aber es bäumte sich nicht mehr alles in ihm auf, wenn er an das Grab seiner Schwester trat und ihr Blumen hinlegte. In Gedanken erzählte Ran ihr alles, was in den letzten Wochen passiert war, ließ dabei kaum etwas aus. Wer sollte es schon erfahren? Hier war nur er. Nur er und der kalte Stein eines Grabes. Bewusst versuchte er, sich die Stimme seiner Schwester ins Gedächtnis zu rufen, wie sie wohl reagiert hätte, wie sie ihn getadelt und getröstet hätte. Sie war so ein guter Mensch gewesen und nun lag sie hier. Und er? Ran schnaufte wütend. Er strich über den Stein und stand auf. Wenn er sich weiter vor ihrem Grab zerfleischte, suchte sie ihn womöglich noch heim. Das konnte er nicht riskieren. Lieber ging er wieder und suchte sich einen neuen Job. Jetzt, wo die Erde auftaute und die Temperaturen konstant über dem Gefrierpunkt lagen, sollte sich eine Arbeit auf dem Bau finden lassen. Da wurde jedes Jahr gesucht. An der nächsten Baustelle bog er ab und klopfte an die Tür des Büros. Nachdem er Reingebeten und etwas überrascht angesehen wurde, ging alles ganz schnell. Der Vorarbeiter war sichtlich froh, dass jemand freiwillig eine Arbeit auf einer Baustelle übernehmen wollte und bot Ran an, dass er erst mal ein paar Tage arbeiten sollte, damit der Vorarbeiter sehen konnte, ob er zu etwas taugte. Wenn ja, wäre der Arbeitsvertrag schnell geschrieben. Ran nickte nur und versprach am nächsten Tag pünktlich an der Baustelle zu sein. Nun führte ihn sein Weg nach Hause. Er musste etwas essen. Sein Magen begann bereits sich zu winden. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es bereits Nachmittag war und er nun wirklich etwas essen sollte, wenn er morgen eine körperlich schwere Arbeit beginnen wollte. Die Tage strichen ins Land und wurden zu Wochen und ganz langsam kam Ran wieder im Leben an. Seine Arbeit auf der Baustelle lief gut, der Vertrag war wirklich schnell unterzeichnet und der Lohn konnte sich sehen lassen. Geldsorgen ade! Dennoch traf er sich einmal im Monat mit Miko, ging mit ihr in die Oper oder ging mit ihr in das kleine Café neben dem Hochhaus, dass langsam immer mehr Form annahm. „Wusstest du, dass sie da unzählige Büros einquartieren wollen?“, fragte Miko und nahm sich eine Pommes. „Nein. Was für eine Verschwendung. So hoch, wie das Haus ist, hätte man vom Wohnzimmer aus sicher eine gute Sicht über die Stadt.“ Ran nahm sich sein Wasser und trank. „Deine Hände sehen schlimm aus, Ran“, meinte sie, griff nach einer und strich über die rau gewordenen Innenseiten. Irgendwann hatte er sich ihr mit seinem richtigen Namen vorgestellt, immerhin arbeitete er nicht mehr für die Agentur und brauchte keinen Decknamen mehr. Über diese Entscheidung war er wirklich froh. „Das bringt die Arbeit mit sich. Es ist ok“, murmelte er, lächelte und entzog seine Hand der fast schon mütterlichen Begutachtung. „Pass aber auf dich auf. So eine Arbeit kann gefährlich sein.“ Ran nickte. Er wollte die alte Dame nicht unnötig belasten. „Ich will doch mit dir noch mal in die Oper“, schob er galant nach und erntete ein Lachen. Klar und rein. Das mochte er an ihr. Sie aßen zusammen, dann brachte Ran sie nach Hause und wie schon die letzten Male schob sie ihm heimlich einen Umschlag zu. Den fand Ran erst, als er sich wieder in seinen Porsche setzte. Schnaufend nahm er ihn auf und sah hinein. Ein Zettelchen befand sich darin. Nimm es einfach an, stand darauf und Ran seufzte. Miko sah es als kleine Unterstützung. Und jetzt, wo sie niemanden mehr buchen musste, um einmal im Monat auszugehen, hatte sie ein bisschen Geld übrig. Es war bei Weitem nicht so viel, wie zu der Zeit, als er sie beruflich ausgeführt hatte, aber das störte Ran überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ihm wäre es lieber gewesen, die alte Dame würde das Geld für sich behalten, für schlechtere Zeiten. Aber das war wohl nicht Mikos Wille. Vielleicht, und der Gedanke kam Ran immer häufiger, war er für sie mittlerweile so etwas wie ein Kinderersatz und sie wollte ihn einfach etwas unterstützen und verwöhnen. Ran schüttelte amüsiert den Kopf und fuhr nach Hause. Er war in guter Stimmung. Sein Job lief gut, dein Privatleben war genau das - ein Leben und hin und wieder konnte er Yoji dabei helfen, gesuchte Verbrecher zu erledigen. Es war nicht so, dass er Spaß am Töten hatte. Das garantiert nicht. Aber er wollte helfen, diese Stadt sicherer zu machen und unschuldige Leben zu beschützen. Bei Weiß hatte er die Abgründe der menschlichen Seele oft genug gesehen. Nur gab es leider kaum Behörden, die außerhalb des Gesetzes agieren konnten. Und diese Behörden kümmerten sich nicht sonderlich um die Art von Verbrechen, die Ran und sein Team am Hals hatten. Eilig schüttelte er den Gedanken ab, wollte sich seine gute Stimmung nicht durch alte Erinnerungen verderben lassen und holte seine Post. Ein Knurren fiel über seine Lippen. Da hatte er nun schon eine Notiz angebracht, dass er keine Werbung erhalten wollte und dennoch fand er wieder eine Handvoll Flyer. Das waren wohl die Strapazen eines normalen Lebens. Würde er die Notiz eben größer schreiben. Die Post von der Werbung trennend, schloss er seine Wohnung auf und trat ein. Blind hing er seinen Mantel an die Garderobe und trat sich die Schuhe aus, die er mit dem Fuß gerade schob. Die Werbung fand ihren Weg in den Papierkorb, mit der Post setzte er sich auf sein Sofa. „Rechnung, Rechnung, Rechnung“, murmelte er beim Durchsehen und stutzte dann. Die gesichteten Briefe legte er auf den Tisch. Den letzten Brief hielt er angespannt in der Hand. Dieser unadressierte Brief ließ ihn vorsichtig werden. Er drehte ihn und prüfte die Lasche. Verschlossen. Da wollte also jemand, dass nur er den Inhalt erfuhr. Sein ganzer Körper geriet in Anspannung. Mit angehaltenem Atem und ganz vorsichtig öffnete er erst die Lasche, dann den Brief und sah hinein. „Oh“, entfloh es ihm und er beäugte die kleine Karte. Der Kerl hatte ja Nerven! Ok, die Entschuldigung war schon nett. Und dass er sich offenbar in der Nacht noch an ihn geschmiegt hatte, hatte auch gutgetan. Nichtsdestotrotz mussten ein paar Sachen geklärt werden, aber Ran war sich nicht sicher, ob er das schaffte, wenn er dem Mann wieder gegenüber stand. Was, wenn er ihn wieder so zärtlich umarmte? Mit einigem Unwohlsein griff er nach der Karte und holte sie heraus. Auf der Vorderseite war der Pin. Ein Schmunzeln zog sich über seine Lippen. War dieses kleine Zeichen etwa schon in ihre spärliche Geheimsprache eingeflossen? Amüsiert schüttelte er den Kopf und drehte die Karte. „Heute?“ Er stockte und sah auf die Uhr. Der Termin war schon längst ran und er wusste, dass er es nicht ohne saftige Verspätung schaffen würde. Dennoch! Ran ließ alles fallen, hastete zu seinen Schuhen und griff beim Gehen seinen Mantel. Mit dem Porsche würde die Verspätung nicht ganz so groß sein. Für alles andere war keine Zeit mehr. Warum setzte ihn der Typ so unter Druck? Nein! Warum setzte er sich selbst so unter Druck? Der Brief war erst heute angekommen und da musste Mister X eben damit rechen, dass Ran zu spät oder gar nicht aufkreuzte. Da hatte er keine Aktie dran. Andererseits. Er wollte ihn sehen, wollte sich endlich aussprechen und ... Ja, verdammt! Er wollte ihm um den Hals fallen und die Nähe haben, die er nur bei ihm bekam. Es war, als herrschte zwischen ihnen ein so tiefes Verstehen, dass Rans Herz raste, als er in die Tiefgarage des Hotels fuhr. Jetzt nur noch einen Parkplatz finden. Verflucht, das kann doch nicht so schwer sein! Ein einziger Parkplatz würde doch wohl noch zu finden sein. Wo war der, wenn man ihn dringend brauchte? Und außerdem ... Konnte hier denn keiner richtig parken? Einer stand mitten auf dem Trennstrich. Tolle Leistung, Vollidiot! Einer stand schief auf dem Parkplatz, sodass recht und links niemand mehr parken konnte. Wo hast du denn deinen Führerschein her? Vom Rummel? Ran fluchte, fuhr mit zittrigen Fingern in die nächste Etage und sondierte seine Lage. Es war mittlerweile nach neun, er war verschwitzt und auf 180. Vielleicht war es besser, er fuhr wieder nach Hause. So konnte er doch nicht mehr vernünftig... Da! Ein Kleinwagen parkte aus. Endlich! Doch seine Freude verflog, als er die ungeübten Bewegungen der Karosserie beobachtete. Das Auto wurde mehrmals abgewürgt und als es endlich so weit war, dass man den Fahrer erkennen konnte, hätte Ran am liebsten ins Lenkrad gebissten. „Mach hin, Opa“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Dabei war er der Meinung, ihm wuchs in der Zwischenzeit ein Vollbart, während seine Kopfhaare allmählich ausfielen. Wenn das so weiter ging, mumifizierte er noch hinterm Steuer. Endlich war der Parkplatz frei und Ran zog in zwei Zügen rückwärts in die Lücke, stieg mit ungerührtem Gesichtsausdruck aus und hob großspurig das Kinn, als er den Blick des gefühlt Hundertjährigen erhaschte. Mach dieser Genugtuung fuhr Ran mit dem Fahrstuhl in die Lobby und fragte an der Rezeption nach der Karte. Der Mitarbeiter sah ihn irritiert an, hatte wohl schon nicht mehr mit ihm gerechnet und verrenkte sich ein wenig, um auf die Uhr über seinem Kopf zu blicken. „Sie sind spät heute“, murmelte er abwesend und entschuldigte sich sofort für seinen vorlauten Ausspruch. „Der Verkehr“, knirschte Ran hervor und erhielt die Karte. „Ihr Partner ist bereits oben.“ Kurz hielt er die Luft an. Hatte er jetzt einen Herzinfarkt erlitten? Bei dem Stress würde es ihn nicht wundern. „Partner?“, fragte er nach und der Mann in Hemd und Weste nickte. „Ihr Geschäftspartner. Sie treffen sich doch immer hier für ihre Meetings.“ Ein Nicken, dann ging Ran lieber, stieg in den Aufzug und fuhr nach oben. Auf dem ganz zog er seinen Mantel aus und roch an sich. Noch roch er nicht unangenehm und selbst wenn, konnte er das jetzt nicht mehr ändern. Noch einmal durchatmen! Dann zog er die Karte durch das Schloss und betrat das Zimmer. Kapitel 22: Akt XXII -------------------- Gewohntes Halbdunkel empfing ihn und Ran entspannte sich. Es kam ihm entgegen, dass er die Suite kannte. Hier konnte man ihn kaum überraschen. „Bist du da?“, fragte er in den Raum und hörte Schritte hinter sich. Das war gut. Oder auch nicht, denn nun spürte er die Wärme des anderen Körpers hinter sich. Jetzt musste er an seinem Plan festhalten. „Was du getan hast, ... was wir getan haben, war nicht in Ordnung“, flüsterte er, wusste er doch, dass der Andere ihn hören konnte. „Ich weiß.“ Gott! Diese Stimme begann ihn bereits mit zwei Worten einzulullen. Das durfte doch nicht wahr sein. Er musste hart bleiben. „Ich hatte eine Scheißangst“, platzte es aus ihm heraus. Das geräuschvolle Atmen hinter ihm, sorgte für eine kalte Gänsehaut. „Ich auch.“ Ran schloss die Augen, um die aufkommende Wut zu kontrollieren. „Hast du nicht mehr, als das, dazu zu sagen?“ Halt! Stopp! Mit solchen Fragen kam er nicht weiter. Vorwürfe halfen ihm hier nichts und jede Schuld, die er Mister X gab, musste er auch sich geben. „Tut mir leid.“ Oh wow! Eine Entschuldigung. Noch dazu mit drei Worten. Der Mann war offenbar steigerungsfähig. Er schüttelte den Kopf. So konnte er einfach nicht klar denken. Die Wut und diese verdammte Nähe vernebelten seinen Verstand. „Du bist mir wichtig.“ Rans Kopf ruckte hoch. Wichtig? Wie wichtig konnte er diesem Fremden schon sein? Es war doch nicht möglich, dass sie beide ... Er wagte kaum, weiter darüber nachzudenken. Vorsichtige Finger angelten nach seinen und eine schwere Stirn lehnte sich an seinen Hinterkopf. Das war gefährlich nahe. Zu nahe! Er musste die Augen schließen, war ganz hin und hergerissen. Ein riesiger Teil in ihm sehnte sich mach diesem Mann, nach seiner Wärme und dem Gedanken für einen Menschen wichtig zu sein. Der andere Teil wollte diese ganzen Gefühle nicht. Wie sollte das hier dann weiter gehen? ‚Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende‘ schien doch eher unwahrscheinlich. Schade eigentlich. Dabei stand er überhaupt nicht auf diese schnulzigen Kindermärchen, in denen am Ende alle glücklich und die Bösen geläutert waren. „Bitte ... Ran.“ Ran zuckte zurück. Er konnte nicht so schnell denken, wie er reagierte. Mit zwei Schritten hatte er Abstand zwischen sie gebracht und sich umgedreht. Ohne es verhindern zu können, entglitten ihm alle Gesichtszüge. Das konnte doch nicht ... Das durfte nicht ... Seine Gedanken überschlugen sich und rasten dennoch auf einen siedend heißen Punkt zu. „Du.“ Er wusste selbst nicht, ob es eine Frage oder eine Aussage werden sollte, und trat noch einen Schritt von diesem Mann weg. „Tut mir leid, Ran“, hörte er, ehe sein Gegenüber ihm etwas ins Gesicht blies. Ran hustete. Das Zeug war staubig und ... Sein Blick trübte sich und sein Kopf begann zu schwirren. „Was ist das?“, wollte er wissen, ehe seine Knie nachgaben. Doch er schlug nicht auf dem Boden auf, stattdessen wurde er aufgefangen und an den anderen Körper gezogen. „Warum?“, brachte er einen letzten klaren Gedanken zum Ausdruck und blickte zu dem Mann hoch. Woher kannte er ihn gleich noch mal? Wer war das? Ach ja, da war was! „Es war nötig“, hörte er und nickte einfach. „Jetzt beruhigst du dich etwas und dann bringe ich dich nach Hause.“ Erneut ein Nicken, dann wurde er auf dem Boden abgesetzt und sah sich irritiert um. Irgendwie entglitten ihm die Erinnerungen. Was war das hier doch gleich für ein Zimmer? „Warum bin ich hier?“, wollte er wissen und sah zu dem Mann auf, der ihn nachdenklich ansah. „Das war wohl etwas viel“, murmelte er, ehe er Ran unter die Arme griff. „Steh auf.“ Ran folgte, stand auf und versuchte, sich tapfer auf den Beinen zu halten. Der Boden fühlte sich weich an und die Wände schienen sich zu bewegen. War er etwa betrunken? „Zieh das an“, hörte er und nahm seinen Mantel entgegen. Mit großer Mühe schaffte er es, sich anzuziehen und sah erwartend zu dem Anderen, der sich bei ihm unterhakte und ihn zur Tür führte. Rans Schritte waren wie auf einem Wasserbett. Er schwankte und musste sich an dem Arm neben ihm festhalten. Warum war da ein Arm? Neugierig blickte er auf, sah ihn das angestrengte Gesicht. Ach genau! Er war das gewesen. „Gib mir deinen Schlüssel“, wurde er aufgefordert und suchte in seiner Tasche, fand etwas, holte es heraus und reichte es weiter. „Deinen Schlüssel, nicht die Schlüsselkarte.“ „Ach so!“ Erneut kramte er in den Taschen seines Mantels und reichte einen Schlüssel weiter. „Für dein Auto, nicht deinen Wohnungsschlüssel.“ Wurde der Mann etwas ungeduldig? Ran verzog das Gesicht. „Nicht frech werden!“, drohte er halbherzig, doch dem Anderen schien die Geduld zu fehlen. Er lehnte Ran an sich und griff nun selbst in die Taschen. Das war gut! So wankte die Welt um ihn herum nicht mehr so sehr. „Du riechst gut“, flüsterte er und schloss die Augen, lehnte sich weiter an den warmen Körper. Das war schön. So konnte es noch eine Weile bleiben. „Hey! Nicht einschlafen!“ Ran riss die Augen auf und wäre fast gestürzt. Was war hier los? Sein Blick heftete sich an sein Gegenüber und er runzelte die Stirn. „Dich kenn ich doch!“ „Ja ja. Und jetzt steig ein! Ich bringe dich nach Hause.“ Ergeben nickte Ran und ließ sich in den Sitz fallen, schnallte sich an und lehnte sich zurück. Er hörte die Autotür klappen und dann bewegte sich der Wagen. Nach einiger Zeit öffnete Ran die Augen. Nicht gut! Ihm wurde sofort schlecht. „Stopp!“, japste er und als der Wagen hielt, stieß er die Tür auf und übergab sich neben das Auto. Anschließend nahm er das dargereichte Wasser, spülte den Mund aus und trank einen Schluck, nicht ohne sich zu verschlucken. Dann wurde ihm komisch. Sein Blick konnte sich nicht mehr fokussieren und ihm brach der Schweiß aus. Hatte er sich etwa betrunken? Die Ohnmacht kam so schnell, dass er gerade noch das Wasser ganz zuschrauben konnte, ehe es ihm aus der Hand fiel. „Ran?“, fragte er und sah auf den Bewusstlosen. „Ran! Hey, Ran!“, rief er und schlug dem anderen kontrolliert auf die Wange. Nichts. Verdammter Mist! Wie hatte das nur so ausarten können? Es hatte sich angebahnt, wenn er so darüber nachdachte. Er war unvorsichtig geworden. Wollte er etwa, dass er ihn erkannte? Unwillig knurrte er. Das war jetzt nicht wichtig! Ein schneller Blick auf die Straßenschilder, dann wendete er einfach und mit lautstarker Protesthuperei auf der nächsten Kreuzung. So konnte er ihn einfach nicht allein lassen. Mit einer Überdosierung hatte er bei ihm nun wirklich nicht gerechnet. Gleichzeitig wollte er nicht da sein, wenn Ran aufwachte. „Verdammter Mist!“, fluchte er, schlug auf das Lenkrad und sah immer wieder nach der flachen Atmung des Japaners. Seit wann war er nur so verdammt nervös? Diese Antwort war schnell gefunden. Seit er ihn das erste mal in diesem Hotel getroffen hatte. Wer hätte auch ahnen können, dass ausgerechnet er durch die Tür trat? Aber einfach abhauen war nun mal auch nicht seine Art. Endlich fand er die gesuchte Straße und fuhr hinein, stieg aus und holte den Bewusstlosen aus dem Auto. Gott! Der konnte ja richtig schwer sein! Er war erstaunt, trug Ran dennoch bis zu dem Haus. „Deine Haare“, nuschelte es an seiner Schulter und er sah in getrübtes Violett. Rans Augen funkelten in einer dunklen Note und trieben den Puls des Trägers in die Höhe. Wie konnte dieser Mann nur so heiß sein? Das war nicht fair. Nicht jetzt! Klamme Finger angelten nach seinen Strähnen, spielten mit ihnen, wie eine Katze mit der Gardine. „Autsch!“ Genauso verfingen sie sich auch darin. Da war kein Feingefühl mehr in dem schlappen Körper. Er schnaufte und schleppte den Mann auf seinen Armen die Treppe hinauf, setzte ihn vor der Tür ab und lehnte ihn an die Wand, damit er nicht umfiel. Die kalten Finger strichen über seine Wange und er erhaschte einen Blick, wie man ihn wohl nur unter Drogen hinbekam. „Ich liebe dich“, kam es so leise, dass er es fast nicht gehört hätte. Gleichzeitig war es so laut in seinen Gedanken, dass er nicht anders konnte, als Rans Kinn zu umfassen und ihm einen festen Kuss auf zu drücken. Er hatte nicht viel Zeit für Zärtlichkeiten. Ran auch nicht, das wusste er. Er löste sich und strich mit dem Daumen über die Wange. „Du wirst dich an nichts mehr erinnern. Aber mir gehts genauso.“ Damit klopfte er lautstark an die Tür, hielt Rans Blick noch für einen Moment stand, und zog sich dann schnellstmöglich zurück. Hier war er in guten Händen. „Was soll denn das?“, murrte Yoji, als er die Tür aufriss. Es war mitten in der Nacht! Wer wagte es, jetzt so an seine Tür zu hämmern? Er war gerade erst ins Bett oder eher auf die ausziehbare Couch gekommen. „Yoji?“, wurde er gefragt und sah nach unten. „Wen haben wir denn da?“, fragte er grinsend und hockte sich zu Ran. „Na? Wir hatten wohl eine Barsoljanka?“, fragte er schelmisch, erntete jedoch nur einen irritierten Blick. „Was hatte ich? Soljanka? Was soll das sein?“ Ran sah sich unsicher um und Yoji beschlich ein ungutes Gefühl. „Sieh mich mal an“, forderte er und Ran folgte widerstandslos. Seine Pupillen waren unnatürlich geweitet. „Mach den Mund auf.“ Erneut wurde Folge geleistet. „Wackel mit der Nase.“ Ran begann zu schielen, was Yoji doch etwas schmunzeln ließ, und versuchte, mit der Nase zu wackeln. Irgendwie. „Geht nicht“, war die Antwort und Yoji strich ihm über die Stirn. „Tammy. Ich habe hier einen Patienten für dich!“, rief er in sein Büro und griff nach Ran, um ihm aufzuhelfen und dem wankenden Mann eine Stütze zu sein. „Alkohol?“, fragte seine Freundin und kam auf ihn zu, hob Rans Kopf und sah ihm in die Augen. Dieser ließ alles mit sich machen, ohne ein einziges Widerwort zu geben. „Schlimmer, befürchte ich“, war ihr Urteil und sie deutete ihm, den willenlosen Mann auf die Couch zu legen. Das ging leichter, als Yoji vermutet hatte. Ran murmelte nur zusammenhangloses Zeug und fiel wie ein nasser Sack auf das Nachtlager, blieb da einfach liegen. „Das macht mir echt Angst. So kenne ich ihn nicht“, flüsterte er und war erleichtert, dass seine Freundin in solchen Situationen an seiner Seite war. „Sollte es auch. Dein Freund hat eine ordentliche Dosis ‚Devil’s Breath‘ abbekommen.“ „Devil’s ... Was?“ Tammy tastete nach Rans Halsschlagader und fühlte seine Temperatur. „Das ist Scopolamin. Ein Pulver aus den Samen der Engelstrompete und echt fieses Zeug. Die Opfer werden damit zu regelrechten Zombies, machen alles, was man ihnen sagt und erinnern sich hinterher an nichts mehr.“ Yoji stockte der Atem. Wo war Ran nur mit dem Zeug in Kontakt gekommen? „Es gab schon Opfer, die den Tätern geholfen haben, ihre Wohnungen auszuräumen. Als sie wieder klar wurden, saßen sie praktisch mit nichts da. Ran scheint aber etwas viel abbekommen zu haben oder er reagiert heftiger darauf. Das kann ich jetzt noch nicht sagen.“ In der Zwischenzeit hatte Tammy Ran von seinem Mantel befreit und nahm ihm Blut ab. „Hiermit sollten wir es nachweisen können. So schnell, wie es vom Körper aufgenommen wird, so schnell baut es sich auch wieder ab. Darum muss man flink sein, wenn der Verdacht aufkommt.“ „Was passiert jetzt mit ihm?“, wollte Yoji wissen. Er machte sich Sorgen um seinen ehemaligen Leader und was er von Tammy hörte, verstärkte das Gefühl nur noch. Gleichzeitig arbeitete sein Kopf bereits auf Hochtouren. Wer auch immer dafür verantwortlich war, hatte soeben sein Leben verwirkt. „Er wird sich ausschlafen. Möglicherweise wird er wie ein Betrunkener reagieren, dir zusammenhanglose Dinge erzählen, weinen, lachen, sich übergeben. Das weiß keiner so genau“, sagte sie und schloss ihre Hose, griff nach ihrer Jacke. „Stell ihm einen Eimer hin und sei einfach eine Weile für ihn da.“ Yoji biss die Zähne zusammen und sah starr auf Ran. „Yoji“, holte sie ihn zurück, zog sein Gesicht in ihre Richtung und sah ihn ernst an. „Ich weiß, dass du wütend bist und ich weiß, dass du am liebsten gleich loswillst, um den Verantwortlichen zur Rede zu stellen. Aber bitte lass ihn jetzt nicht allein. Er wird orientierungslos sein, wenn er wach wird, und braucht ein vertrautes Gesicht. Ich bin so schnell zurück, wie es geht.“ Sie küsste ihn und ließ ihn dann zurück. Erneut sah Yoji auf Ran, der auf der Seite lag, vor sich hin murmelte und immer wieder schwer schnaufte. Der Detektiv folgte dem Rat seiner Freundin und stellte einen Eimer vor die Couch, dann schob er den Couchtisch weg und setzte sich auf den Boden, hielt Ran weiter im Blick. „Wer auch immer das war. Ich finde ihn, verlass dich darauf! Und wenn ich ihn gefunden habe, reiße ich ihm den A ...“, schwor er, als Ran die Augen öffnete. Yoji setzte sich aufrecht hin. „Hallo mein Freund. Wie geht es dir?“, fragte er vorsichtig. Der unkonzentrierte Blick, den er bekam, schmerzte ihn. „Yoji ... Er roch so gut.“ Er stutzte. „Er?“, fragte er nach und bekam ein Nicken. Vielleicht konnte er Ran ja befragen? „Wer war das?“ „Wer?“, war die Antwort. Yoji atmete durch. „Wer hat dir die Droge gegeben?“ „Welche Droge? Ich habe Drogen?“ Ran sah irritiert an sich herab und Yoji merkte, dass er so nicht weiter kam. „Hast du nicht. Wo warst du?“, fing er erneut an. „Zuhause.“ „Dir ist das zu Hause passiert?“ „Nein ... Es roch nach Kaugummi.“ Die müden Augen schlossen sich und binnen Sekunden war Ran wieder weggetreten. Der Detektiv war frustriert. Dennoch würde er jetzt nicht aufgeben. Er nahm sich einen Zettel und schrieb die Wortfetzen von Ran auf. Dann griff er sich den Mantel und leerte die Taschen. Zwei Schlüssel und eine Karte fielen heraus. „Wohnungsschlüssel, Autoschlüssel ... Bist du etwa selbst hierhergefahren?“, fragte er den Schlafenden, erwartete jedoch keine Antwort und hoffte jetzt einfach auf ein ‚nein‘. Seine Aufmerksamkeit fiel auf die Karte. Sie war schlicht und messing- oder goldfarben. Ein Zeichen war in eine Ecke gestanzt. „Eine Schlüsselkarte“, murmelte er für sich und setzte sich an seinen PC, drehte den Bildschirm so, dass er Ran immer im Blick hatte und suchte das Zeichen im Internet. Das konnte ja heiter werden. „Yoji?“, hörte er nach einer Ewigkeit und ließ alles, wie es war, ging zu Ran und hockte sich vor ihn. „Hey. Wie gehts dir?“, wollte er wissen und fühlte Rans kalte Stirn. „Lass das“, murmelte dieser und versuchte die Hand von sich zu schieben. „Na offenbar gehts dir besser. Brauchst du was?“, fragte er und sah zu, wie Ran sich in der Decke, die er ihm vor ein paar Stunden übergelegt hatte, zusammenrollte. Der Anblick schmerzte ihn. Gleichzeitig konnte er seinen Freund irgendwie verstehen. „Ich stauche dich später zusammen, ok?“ Ran nickte und zog sich die Decke über die Ohren. Wie ein Betrunkener mit Kater, dachte er sich bei der Szenerie, die sich ihm hier bot. „Ich weiß, dass du dich mies fühlst, aber du musst mir bitte ein paar Fragen beantworten, wenn du dich erinnerst“, versuchte Yoji sich an einem ruhigen Unterton, obwohl er innerlich kochte. Neben seiner Suche nach dem Zeichen auf der Karte, hatte er sich über diese Droge, dieses ‚Devil’s Breath‘ informiert. Was er gelesen hatte, war erschreckend gewesen. „Wo warst du, bevor das passiert ist?“, fragte er vorsichtig und wartete geduldig auf eine Antwort. „In unserem Hotel“, kam es ganz leise und mit schwerer Zunge. Yoji zog die Brauen zusammen, lüftete die Decke und lauschte dem ruhigen Atem. Das würde wohl noch etwas dauern. Aber immerhin hatte er jetzt einen Anhaltspunkt und war sich sicher, dass er diesen Mistkerl bald zwischen die Finger bekam. „Aber dann!“, drohte er unbestimmt und stand wieder auf, ging an den PC und suchte nach Hotels in der Stadt. Schnell hatte er das passende gefunden und atmete tief durch, ehe er zum Handy griff und anrief. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte Yoji eine Kontonummer vom Hotelbesitzer bekommen. Ein kurzes Gespräch mit Omi, dann hatte er eine Adresse. Kapitel 23: Akt XXIII --------------------- Träge öffnete er die Augen und murrte. Verdammt, was roch hier so nach Rauch? Hatte Yoji ihn etwa heimlich besucht und in seiner Wohnung geraucht? Nicht zu fassen! „Morgen. Wie fühlst du dich?“, wurde er gefragt und erkannte Yojis Stimme sofort. „Das möchtest du nicht wissen“, gab er zurück und stemmte sich langsam auf die Arme, um sich umzusehen. Mit wenigen Blicken erkannte er Yojis Büro. „Warum bin ich hier?“ „Weil du wie ein Findelkind vor meine Tür gelegt wurdest.“ Ran stockte. „Ich wurde was?“ Krampfhaft versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Er hatte die Post geholt, eine Karte von dem Unbekannten gefunden und war überstürzt ins Hotel. Und dann? „Ich kann mich nicht mehr erinnern“, murmelte er und setzte sich richtig hin, schwang die Beine von der Couch und wischte sich durch das Gesicht. Sein Kopf schmerzte etwas. „Dachte ich. Du hast ein bisschen was erzählt, als du in deinem persönlichen Wunderland unterwegs warst.“ Ran brummte gefährlich. Er hatte sich das sicher nicht ausgesucht. Yoji zeigte sich unbeeindruckt und legte ihm seinen Notizblock vor, den Ran schnell überflog. Viel stand nicht darauf. Am Rand waren Notizen des Schnüfflers. Dann setzte dieser sich neben ihn. „Erklärst du mir jetzt, warum du doch wieder zu ihm bist? Muss er dich erst umbringen, damit du begreifst, dass der Typ dir nicht guttut?“ Er schwieg, wusste doch selbst keine Antwort darauf. Nie hatte er sich so unvorsichtig und wie ein protestierender Teenager benommen. Warum gerade jetzt? Etwa wegen Mister X? „Ich habe eine Adresse“, begann Yoji und hielt einen zusammengefalteten Zettel zwischen den Fingern. Ran griff danach, doch er wurde ihm entzogen. „Den gebe ich dir erst, wenn du wieder klar im Kopf bist und damit meine ich nicht nur, dass die Droge vollständig aus deinem Blut verschwunden ist.“ Ran nickte unwillig. Was sollte er sonst tun? „Beim nächsten Mal ist vielleicht keiner da, der dich bewachen kann. Du musst dir bitte bewusst machen, dass er dir nicht geben wird, was du möchtest. Ran, bitte. Ich verstehe dich. Du suchst einen Menschen, der dir deine Schuld vergibt, doch diesen Menschen gibt es nicht. Nicht für Leute wie uns. Such dir jemanden, der dich mit deiner Vergangenheit akzeptiert. Mehr wirst du in dieser Welt nicht finden und sollte es dir doch einer versprechen, sei unglaublich vorsichtig. Du bist unter deiner verdammt harten Schale ein blanker Nerv. Das weiß ich. Das wussten wir alle, auch wenn du es nie zeigen wolltest. Mit Aya als deine Panzerung konntest du eine Menge durchstehen. Aber das hier ist Ran. Und der packt es nicht, wenn man ihn immer wieder zu Boden tritt.“ Dabei tippte Yoji ihm auf die Schulter. Ein Nicken von Ran. Er wusste, dass der Blonde recht hatte. Aber was konnte er schon gegen die Sehnsucht tun? „Es wird schwer, ja. Aber nach ein paar Wochen ist es nicht mehr so schlimm und irgendwann findest du die richtige Person für dich. Dann kannst du diesen Mistkerl vergessen, der dich so schlecht behandelt. Das hast du nicht verdient.“ Erneut ein unbestimmtes Nicken, dann erhob Ran sich und griff seinen Mantel, steckte seine Schlüssel ein und ging, ohne ein weiteres Wort an seinen Freund zu richten. Er würde es verstehen. Wortlos stieg er ein und stutzte. Der Sitz war nach hinten verstellt worden. Wut kochte in ihm hoch. Er hatte ihn nicht nur betäubt. Nein. Er hatte auch noch seinen Porsche gefahren. Mit einem Handgriff war der Sitz wieder in der richtigen Position und er fuhr nach Hause. Für die Post interessierte er sich gerade nicht und er warf die Wohnungstür in ihr Schloss. Duschen! Das war alles, woran er noch denken konnte. Er musste dieses widerliche Gefühl von seiner Haut und seiner Seele waschen. Wie hatte ihr Gespräch nur so enden können? Mit dem Kopf unter dem heißen Wasser erinnerte er sich an seine Hektik, an das Zimmer und diese angenehme Wärme. Wie konnte eine so angenehme und beruhigende Wärme nur so trügerisch sein? Er verstand es nicht. Wo waren seine Instinkte, wenn er mit dem Mann in einem Raum war? Hart schlug er mit dem Ballen der Faust gegen die Fliesen. Alles in ihm wollte schreien. Diesen Schmerz, die Scham und die Enttäuschung heraus schreien und seiner verletzten Seele endlich etwas Platz schaffen. Yoji hatte recht! Er durfte sich einfach nicht mehr mit diesem Mann treffen, auch wenn das hieß, dass er sich immer an diese wenigen Treffen erinnern würde und wohl nie etwas finden würde, dass ihm so viel Ruhe und Frieden brachte. Die Tage wurden zu Wochen und diese zu Monaten. Der Sommer kam und ging und jeden Tag fiel es Ran etwas leichter, aufzustehen. Die Arbeit auf dem Bau half ihm, seinen Frust in körperlicher Arbeit abzubauen und die Treffen mit Miko ließen ihn sich weniger allein fühlen. Doch noch immer war da dieser schmerzende Punkt in ihm. Der Punkt, der ihn abhielt, jemanden neues kennenzulernen. Der Punkt, der verhinderte, dass er die Visitenkarten und den Brief von Mister X wegwarf, obwohl er es sich so oft vorgenommen hatte. Dieser eine Punkt, der ihn an manchem Tag reizte, sich einfach für ein Wochenende in ihre Suite einzuquartieren und in dem Geruch der Kissen von ihm zu träumen. Von all diesen Dingen sagte er seinen Freunden nichts. Es war nicht ihr Kampf und sie alle wirkten so glücklich, dass er nichts daran stören wollte. Yoji war noch immer glücklich mit Tammy. Ken hatte sich in eine Stammkundin verliebt und plante bereits seine Hochzeit und Omi hatte auch jemanden an seiner Seite. Zwar machte er ein kleines Geheimnis daraus, indem er nur sagte, dass er in der gleichen Abteilung arbeitete, aber das war für alle ok. Sollte der Kleine ruhig ein paar Geheimnisse haben. So lange er glücklich war, war alles ok. Ran schnaufte, als er endlich in seine bequeme Kleidung steigen konnte. Die Dusche nach der Arbeit hatte gutgetan. Nun konnte er sich seinem liebsten Hobby widmen. Er goss sich ein halbes Glas Rotwein ein und nahm sich das Buch, dass er gerade angefangen hatte. So ging er durch die Wohnung, schaltete alle Lichter aus, bis es gerade noch hell genug zum Lesen war und setzte sich auf das Fensterbrett. Hier saß er in letzter Zeit gern. Die ersten Herbststürme kamen und boten ein fantastisches Schauspiel, das man am besten von dieser Stelle seiner Wohnung beobachtete. Er nippte an seinem Glas und schlug die aktuelle Seite auf, begann zu lesen, als die ersten Tropfen an die Scheibe schlugen. Noch nichts, was Ran zum Aufsehen zwang, aber dennoch schürte es seine Vorfreude. Bald würden helle Blitze den Himmel zerreißen und der Donner die Scheibe vibrieren lassen. Diese Naturgewalt reizte Ran auf unbestimmte Art. In solchen Nächten war so viel Potenzial, so viel Energie, die es zu nutzen lohnte. Das Klopfen an seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Wer konnte das denn bitte sein? Noch einen kleinen Schluck aus dem Glas, dann ging er zur Tür und öffnete sie. Yoji stand vor ihm und blickte ihn zwischen Hut und Brille an. „Bist du über ihn hinweg?“, wurde er gefragt und Ran brauchte einen Moment, um die Frage einzuordnen. Für den Detektiv offenbar schon die richtige Antwort, denn er hielt einen Briefumschlag hoch. „Das lag vor deiner Tür.“ Ran trat einen Schritt heraus und sah in beide Richtungen des Flures. „Keiner da. Aber ich denke, wir beide wissen, was hier drin ist.“ Mit gemischten Gefühlen griff sich Ran den Brief und öffnete ihn. Die kleine Karte ließ sein Herz schneller schlagen, doch er wagte nicht, das vor Yoji zu zeigen. Äußerlich unbeeindruckt, holte er die kleine Karte hervor und sah sie sich an. Es war eine dieser Karten, die ganz leicht changierten. Das hatte er am liebsten gehabt, wenn er ehrlich war. Neugierig drehte er sie und fand nur einen einzigen Pin. Kein Datum. Ran wusste, was das hieß. Sein Blick huschte auf die Uhr. Bis halb neun hatte noch eine gute halbe Stunde. „Und?“, wurde er gefragt und atmete innerlich durch. Gespielt desinteressiert packte er die Karte wieder in den Briefumschlag und ließ ihn in den Papierkorb fallen. „Du hast es dir offenbar gemütlich gemacht“, meinte Yoji und deutete auf die Fensterbank, auf der Wein und Buch zu finden war. Ran zuckte mit der Schulter. Warum auch nicht. „Dann kann ich dir das hier ja jetzt geben“, meinte er und reichte Ran den zusammengefalteten Zettel, den dieser annahm und eine Weile ansah, ehe er ihn ebenfalls in den Papierkorb fallen ließ. „Wozu brauche ich noch seine Adresse? Ich hatte nicht vor auch nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln.“ Yoji nickte und klopfte ihm auf die Schulter. „Es freut mich, dass du es hinter dir lassen kannst“, murmelte Yoji und verabschiedete sich dann. Ran schloss hinter ihm die Tür und lehnte sich mit dem Rücken daran. Sein Blick haftete an dem Papierkorb. Darin befand sich, worauf er schon ein halbes Jahr gewartet hatte. Die Adresse, die er so dringend in den Fingern halten wollte. Sein angebliches Desinteresse? Seine scheinbare Ruhe? Alles Masche! Er hatte schon überlegt, bei Yoji ins Büro einzubrechen und sich den Zettel zu holen, doch er kannte den Schnüffler zu tun, um weiter darüber nachzudenken. Sicher hatte er ihn an einem Ort verwahrt, den Ran nicht kannte und zu dem es keine Hinweise zu finden gab. Man konnte dem Blonden jetzt unterstellen, er wäre dezent paranoid. Aber das war nicht wichtig. Langsam ging Ran auf den Papierkorb zu, holte den Zettel hervor, war sich ein Teil in ihm doch sicher, dass der Pin eine Ablenkung war. Irgendetwas in ihm wusste es einfach. Dort würde heute niemand sein. Und so wie er Yoji kannte, würde er wohl die ganze Nacht in dem Hotel verbringen und das Zimmer im Blick behalten. Armer Yoji. Auf eine so aussichtslose Mission geschickt zu werden. Einmal atmete er durch und faltete den Zettel auf. Was, wenn Yoji sich einen Spaß erlaubte? Wenn da die falsche Adresse drinstand? War das hier ein Test? Ran las die Adresse und lächelte. Sie war echt. Nie würde Yoji ihn in ein Gebäude schicken, von dem sowohl Ran als auch Yoji wussten, dass es ein halber Rohbau war. Sein nächster Blick galt seinem Wein. So verführerisch das Buch sich ihm auch anbot. Es hatte keine Chance. Nicht in dieser Nacht. Er zog sich um. Die Missionskleidung auf seiner Haut war wie seine Rüstung. Nichts anderes war das hier. Eine Mission und er würde sie erfüllen. Ran verließ die Wohnung und stieg in seinen Porsche. Das Katana fand seinen Platz im hinteren Fußraum, dann fuhr er los. Sein Blick war auf den ersten Metern mehr im Rückspiegel, als auf der Straße, für den Fall, dass Yoji auf ihn gewartet hatte und ihn nun verfolgte. Aber nichts! Er war allein. So schob er sich durch den Verkehr der Innenstadt und schnaufte, als er während einer Fahrbahnverengung hinter einem kleinen Wagen hinter her zuckelte. Da kam er ihm wieder, der Gedanke mit dem Vollbart und der Glatze. Als die Straße, kurz vor einer Ampel, endlich wieder zweispurig wurde, zog er neben das Auto und musterte den Fahrer. Na, den kannte er doch! Der alte Mann war vorgebeugt, hielt das Lenkrad eisern mit beiden Händen fest und starrte durch seine dicke Brille nach vorn. Kurz musste Ran lächeln. Erst machte dieser Alte ihm den Parkplatz frei, und jetzt auch noch die Fahrbahn. So etwas Nettes aber auch. Die Ampel schaltete um und Ran trat aufs Gas. Nun gab er das Tempo an. Kapitel 24: XXIV ---------------- Langsam trat er in das verlassene Bürogebäude ein. Sein Porsche stand versteckt auf der fast fertigen Baustelle. Sein Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb. Er wusste, dieser Mann war hier. Er würde ihn hier finden und ihn zur Rede stellen. Was auch immer für ein Spiel mit ihm gespielt wurde, es würde jetzt und hier sein Ende finden. Das schwor er sich. Alte Folien hingen wie Spinnenweben von den Decken und Fenstern. Früher war es mal ein Schutz gegen die Witterungen, doch seit die Fenster eingesetzt waren, waren sie unnötig und vergessen worden. Einmal mehr fragte Ran sich, was für ein Mensch sich hier versteckte. Hier auf einer Baustelle, auf der hunderte Leute ein und aus gingen. Mit einem Blick aus einem Fenster erkannte er das kleine Café, in das er Miko ausgeführt hatte. Gott! Waren sie sich wirklich so nahe gewesen? Von draußen grollte der erste Donner heran und vereinzelte Blitze zerrissen den Himmel. Das Gewitter war noch weit weg, doch es drohte bereits mit seiner Naturgewalt. Es war so passend für seine Situation. Diese Energie würde er nicht ungenutzt lassen. Er würde seiner Wut freien Lauf lassen und sich für die letzten Monate Genugtuung verschaffen. In der obersten Etage angekommen lief er auf die einzige geschlossene Tür zu. Im Gegensatz zu den Anderen Türen wirkte sie fast wie eine Wohnungstür. Fest umgriff er sein Schwert. Seine Kiefer spannten sich an. Zögerlich griff er nach der Klinke. Nun war der Moment der Entscheidungen gekommen. Dieser Fremde konnte sich nicht mehr verstecken. Wenn Ran ehrlich mit sich war, konnte auch er sich nicht mehr verstecken. Nicht vor sich selbst, seinen Gefühlen oder diesem Drang in ihm. Das mit Mister X würde heute enden. So oder so. Er öffnete die Tür, so leise es ihm möglich war, und trat ein. Er stutzte. Dieser vermeintliche Büroraum war ein Loft. Hier wohnte jemand. Fenster waren eingesetzt, zogen sich wie ein gläsernes Band an der Fassade entlang. Auf einen Blick erkannte er einen Wohn- und einen Schlafbereich. Ein Blitz erhellte den Raum. Rans Körper geriet in Anspannung. An einer der Glasscheiben stand ein Mann. Er hatte nur den Rücken gesehen, doch es reichte ihm um ihn als den Fremden zu identifizieren, der mit ihm dieses Spiel gespielt hatte. „Dabei war ich am Anfang so vorsichtig“, drang die Stimme fast bedauernd zu ihm. „Aber ich wurde unvorsichtig, nicht wahr?“ Alle Anspannung löste sich von Ran, als die Erkenntnis ihn wie einen Hammerschlag traf und er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Schuldig“, fiel es ihm über die Lippen. Neue Blitze zerrissen den Himmel und Schuldig drehte sich zu ihm um. Er konnte es nicht fassen. „Du?“, begann er und umgriff sein Schwert fest. Im Bruchteil einer Sekunde liefen all ihre Treffen vor seinem inneren Auge ab. Nur diesmal war die zweite Hauptperson bekannt. „Du!“, zischte er und ging auf den Deutschen los. Er war wütend und enttäuscht. All die Zärtlichkeiten nur gespielt, um ihn zu demütigen, ihn zu verhöhnen. Er konnte es nicht fassen. Und er hatte alles mitgemacht, hatte sich blind in seine Hände begeben und sich von ihm vorführen lassen. Schuldig wich seinem Angriff aus und Ran setzte ihm nach, musste seine Energie loswerden. Was hatte er auch erwartet? Alles! Alles, außer Schuldig. War er deswegen enttäuscht? Er stockte in der Bewegung, als er sich diese Frage verneinen musste. Vorsichtig richtete er sich auf. Die Wut wich der Ratlosigkeit. „Warum?“, fragte er und erntete einen Blick, der mitgenommener nicht sein konnte. Hatte er die Frage jetzt wirklich Schuldig gestellt, oder doch eher sich? Warum hatte Schuldig das mit ihm getan? Warum hatte er den Deutschen nicht eher erkannt? Warum fühlte es sich nach dieser Erkenntnis nicht schlechter an? Warum sehnte er sich dann jetzt noch immer nach dieser Wärme und dem Geruch von Kaugummi? Schuldig schwieg sich aus, trat auf ihn zu und nahm seine Hände aus den Hosentaschen. Ran lehnte einzig seine Schultern weiter nach hinten. Die Anspannung verließ ihn, dennoch war da eine Spur Skepsis. Er ließ sein Schwert sinken, sah keine Gefahr für sein Leben. Der Blick, mit dem Schuldig ihn ansah, versprach ihm tausend Dinge, doch gewiss nicht seinen Tod. Große Hände fuhren in seinen Nacken und Ran spürte, wie er sich sofort entspannte. Als sich die warmen Lippen auf seine legten, schloss er die Augen. Sein Schwert fiel klingend auf den Boden, ließ einen, schon so lange festgezogenen Knoten bersten. Endlich! Endlich konnte er seine Hände in den fremden Nacken legen. Gierig griff er danach, vergrub seine Finger in dem weichen Haar, zog Schuldig enger an sich und presste ihm seine Lippen fester auf. Einladend teilten sich die Lippen und Ran drang vor, erkundete den Mundraum, schmeckte diesen herben Geschmack mit der unverwechselbaren Note Kaugummi. Sein Herz schien zu stolpern, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzurasen. Er war es! Dessen war Ran sich ganz sicher. Der Donner knallte und die Blitze zuckten über den Himmel. Schuldig zog ihn mit sich und er folgte widerstandslos. Er wusste, was passieren würde und er wollte es. Er wollte ihn. Seine Wut und Enttäuschung machten der Lust und der Sehnsucht platz. Zum Streiten war auch morgen noch Zeit. Schuldig löste seine Arme um seinen Körper, einzig der Kuss wurde gehalten. Ein Lächeln zuckte über Rans Lippen. So war es schon immer zwischen ihnen gewesen. Dieser Mann ließ ihn nicht los. Sie brauchten keine Worte, um sich zu verstehen. Irgendwie beruhigend. Er spürte, wie Schuldig niederging, und öffnete seine Augen, beobachtet, wie er sich auf die Bettkante setzte. Endlich konnte er ihn ansehen, die Blicke deuten, das lockende Lächeln erwidern. Er sah die Begierde, die sein Herz schneller schlagen ließ. Doch nun war es an ihm, dieses Spiel zu beherrschen. Und er hatte andere Regeln, ein anderes Tempo für diese Nacht beschlossen. Er löste sich von Schuldig, trat einen Schritt zurück und musterte den Deutschen. Warum war er nicht eher darauf gekommen? Es spielte keine Rolle. Ran senkte seinen Blick, öffnete langsam seinen Mantel. Er war sich sicher, dass sie beide wussten, wie das hier weiter gehen würde. Als er wieder aufsah, ließ er seinen Mantel von seinen Armen gleiten. Auch Schuldig erhob sich, öffnete das Hemd und zog es demonstrativ aus, ließ es achtlos neben sich fallen. Auffordernd hob er das Kinn und ein dunkles Lächeln zog sich über seine Lippen, das Ran nur erwidern konnte. Mit nur einem Schritt war er bei Schuldig und griff grob nach dessen Hosenbund. Da war er. Der spielerische Kampf um die Dominanz. Er hielt dem Blick des Deutschen stand und öffnete dessen Hose. Der Deutsche strich im sanft in den Nacken und küsste ihn. Da war so viel Gefühl, so viel Zärtlichkeit, wie an jedem Abend in dem Hotel. Samt Shorts schob Ran ihm den Stoff von der Hüfte. Das kurze Zucken an Schuldigs Mundwinkel war ihm ein deutliches Zeichen. Da wollte jemand mehr. Er stieß ihn auf das Bett, zog ihm den letzten Stoff von den Füßen, ließ ihn einfach irgendwo fallen und öffnete dann betont langsam seine eigene Hose. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und Donner und Blitz wechselten in schneller Abfolge. Es war die perfekte Nacht dafür. Für sie. Noch einmal atmete er durch, schob sich die Hose und seine Shorts von den Beinen und stieg aus ihnen heraus. Je näher er an das Bett herantrat, desto weiter rutschte Schuldig zurück, stützte sich entspannt mit seinen Händen ab und lockte ihn mit Blicken. Ran kroch auf seinen Knien auf das Bett stützte sich über Schuldig ab, sah auf ihn nieder. Dessen dunkles Lächeln und sein fester Blick trieben ihm heiße Schauer über den Rücken. Gott! Wenn er das nur vorher gewusst hätte. Bedächtig schob sich der Deutsche nach oben, griff nach Rans Nacken und zog ihn in einen Kuss, der sie beide schnaufen ließ. Dieser Kuss war so anders. So viel tiefer als alle anderen zuvor. Nun wusste er, warum Schuldig dieses Spiel gespielt hatte. Warum er auf diese blöde Augenbinde bestanen und ihm so wenige Worte geschenkt hatte. Erneut griff er in das Haar des Deutschen, der seine Hände über die Seiten an seine Hüfte gleiten ließ. Sanft aber bestimmt platzierte er Ran auf sich. Dieser Mann wusste wirklich, wie er bekam, was er wollte. Über ihnen wütete das Gewitter, schlug mit kaltem Regen gegen die Scheiben, grollte mit lautem Donner und gleißend hellen Blitzen. Doch die Natur wurde ignoriert. Immer leidenschaftlicher küssten sie sich, rieben ihre erhitzten Körper an einander. Sie wollten mehr. Sie wollten sich. Flinke Finger bereiteten seinen Körper vor, entlockten Ran ein leises Keuchen. Die Bewegungen an und in seinem Körper waren so wunderbar vertraut und doch prickelnd neu. Fest griff er nach dem straffen Rücken, zog Spuren mit den Nägeln, wollte mehr. Schuldigs Geräusche trieben ihm immer neue Schauer durch den Körper, als dieser sich mit aufsetzte und ihn festhielt. Stöhnend legte Ran den Kopf in den Nacken. Endlich spürte er ihn wieder. Dieses Mal brach keine Panik bei dem Gedanken an fehlenden Schutz aus. Zwischen ihnen herrschte ein Vertrauen, dass er wohl nie wirklich beschreiben konnte. Eine heißt Zunge glitt über seine Kehle, hinterließ nur einen hauchzarten Film. Es war genauso, wie er es mochte, wie es schon die ganze Zeit mit ihm, mit Schuldig war. Tief ließ er sich auf den Mann sinken, entlockte ihm ein tiefes Stöhnen. Schuldig klang befreit. Seine Hände stricken über Rans Rücken, seine Nägel gruben sich in seine Haut, je tiefer er sank. Als nichts mehr ging, öffnete er seine Augen, ließ seinen Kopf sinken, sah Schuldig in die Augen. Ihr beider Atem ging flach und schnell. Ein Blitz zuckte vor dem Fenster, erhellte das Zimmer für den Bruchteil eines Augenblickes, zeigte Ran in diesem Moment, in Schuldigs Blick, alles, was er sehen musste. Sie fühlten das Gleiche. Gierig küsste er Schuldig, der diesen Kuss sofort erwiderte. Ran hob sich langsam, spürte, wie Schuldig seine Arme eng um seinen Körper schlang, ihn fest an sich zog und ihn bei jeder Bewegung unterstützte. Der zusätzliche Körperkontakt intensivierte das lange vermisste, lodernde Gefühl in ihm. Es war fantastisch! Ihre Bewegungen wurden fahriger, schneller, ihre Küsse von lustvollen Lauten unterbrochen und sie umklammerten sich, als sie sich gemeinsam dem freien Fall hingaben. Ran verweilte mit geschlossenen Augen an dem warmen Körper, bis er das Gefühl in seinen Körper zurückkam. Langsam schob er seinen Oberkörper etwas zurück, sah Schuldig an. Dessen fliehender Atem und die erregte Röte auf seinen Wangen in Kombination mit den verschwitzten Haaren ließen Ran lächeln. Er sah fertig aus. Schuldig hob den Kopf und sah ihn an. Sein Lächeln wurde weicher, als eine Hand sich in seinen Nacken schob, ihn dort zärtlich streichelte. Die Leidenschaft war vergangen, doch das warme Gefühl in seinem Magen war geblieben. Mit Bedacht legten sich Schuldigs Lippen auf seine. Für ihn eine alles sagende Geste. Schuldig lehnte sich zurück und Ran folgte widerstandslos. Langsam öffnete Ran die Augen, sah auf den Arm, auf dem sein Kopf lag. Dieses Bild war ihm seltsam vertraut. Die Sonne strich ihm sanft über das Gesicht und lockte ihn immer weiter aus seinem Schlaf. Tief atmete er durch und wandte sein Gesicht zur anderen Seite. Er war es wirklich! Schuldig lag neben ihm und atmete ruhig. Sicher schlief er noch. Ein seichtes Lächeln huschte über Rans Gesicht. Bis zum Morgengrauen hatten sie sich geküsst und Zärtlichkeiten ausgetauscht und waren dann zusammen eingeschlafen. Das Gewitter war vorbeigezogen und machte nun dem frischen, gereinigten Morgen Platz. So fühlte sich Ran. Gereinigt. Von etwas durchwaschen, dass er immer vermisst und ausgerechnet in den Armen des ehemaligen Feindes gefunden hatte. Der Gedanke brachte ihm Ruhe und so schlief er noch einmal ein. Als er das nächste Mal wach wurde, war Schuldig weg. Ran setzte sich auf und sah in den Wohnraum, nahm sich Zeit, die Einrichtung bei Tageslicht wirken zu lassen. Direkt hinter dem Kopfteil war eine Glasfront, ebenso wie zu seiner Rechten. Das Bett stand, mit einem Abstand von gut drei Metern, mittig zwischen poliertem Beton und Glas. Vor ihm erstreckte sich das Wohnzimmer. Rechts ein kleiner, runter Tisch mit zwei Sesseln, von denen man Abend sicher einen fantstischen Blick über die Stadt hat. Sehr zentral stand ein Holztisch mit sechs Stühlen. Dahinter konnte er eine Couch und einen Fernseher auf mindestens zwei Kommoden erahnen. Und auf der linken Seite, hinter der Wohnungstür erstreckte sich eine Theke mit vier Hockern. Dahinter ging es weiter, aber Ran konnte es nicht erkennen. Sicher war da die Küche. Seine Aufmerksamkeit huschte zurück zur Theke, hinter der Schuldig hervorkam. Die Haare hochgebunden, in legerer Kleidung und mit kabellosen Kopfhörern auf den Ohren. Still beobachtete Ran, wie der Telepath eine Schale Obst auf den großen Tisch stellte und ihn dann ansah. „Morgen. Frühstück?“ Ran nickte etwas perplex. War das hier real? Schuldigs wissender Blick und sein Grinsen auf jeden Fall! Aber der Rest? Diese Wohnung und dieser Mann, der sich ganz lässig die Kopfhörer in den Nacken schob? „Bad?“, fragte er und Schuldig deutete auf die Betonwand, die Ran zu Beginn seiner Besichtigung nur als einfache Wand wahrgenommen hatte. Bei genauerem Hinsehen erkannte er nun die graue Tür. Wie raffiniert. Ein festes Schlucken ging durch seine Kehle, denn Schuldig ließ ihn nicht aus den Augen, hatte noch immer dieses überlegene Lächeln auf den Lippen. Ran schnaufte, raffte das Laken, dass ihn bedecke zusammen und schob sich vom Bett, ehe er bemüht war, das Bad zu erreichen, ohne zu stolpern. Schuldigs Lächeln wurde breiter, das sah er aus dem Augenwinkel heraus. Im Bad zog er die Tür hinter sich zu und sah sich um. Eine ebenerdige Dusche, eine freistehende Wanne, eine Palme im Topf und eine kleine Holzbank, auf der Kleidung und zwei Handtücher auf ihn warteten. Er ließ das Laken falle und stellte sich unter die Dusche. Das Wasser in der Leitung war noch warm. Schuldig war also auch noch nicht all zu lange wach. Ran wusch sich und trocknete sich mit den weichen Handtüchern ab. Doch, so konnten die Tage durchaus öfter beginnen. In seinem Kopf hörte er ein Kichern und stockte. Shit! Das hatte er vollkommen verdrängt. Er musste aufpassen, was er dachte. Eilig zog Ran sich an und kam ins Wohnzimmer zurück. In der Zwischenzeit hatte Schuldig den Tisch gedeckt, saß an der Stirnseite und schien nur auf ihn zu warten. Ran presste seine Lippen aufeinander. Das mit ihnen musste anders beginnen. „Bitte ließ nicht meine Gedanken“, meinte er und erhaschte Schuldigs Neugier. „Ich fühle mich sonst eingeengt“, schob er als Erklärung nach und Schuldig musterte ihn für einen Moment. „Gut. Ich lese deine Gedanken nicht, wenn es nicht sein muss.“ Das war ein Anfang. Aber ... „Versprich es!“ Warum er darauf einen solchen Wert legte? Das war fast etwas kindisch. „Ich verspreche es dir. Möchtest du jetzt mit mir frühstücken?“ Er nickte und kam zu Schuldig, setzte sich an den Platz an der langen Seite neben Schuldig ein, den dieser ihm zugeteilt hatte. Sie waren sich nahe. Und so seltsam diese Situation auch war, es war nicht unangenehm. Kapitel 25: Akt XXV ------------------- Akt XXV Nervös stand er neben Schuldig vor der Tür des Detektivs, an die er gerade geklopft hatte. Nervös war er auch schon in Schuldigs Auto gewesen, nachdem er ihn überredet hatte, mit ihm hier herzufahren. Die letzten 36 Stunden hatte es für ihn gar keine Außenwelt gegeben. Er hatte die ganze Zeit mit Schuldig in seiner Wohnung verbracht und zu seiner eigene Überraschung nicht nur im Bett. Sie hatten viel geredet, zusammen fern gesehen, Ran hatte für sie gekocht und dann hatten sie es sich am Abend mit einer Flasche Rotwein in den beiden Sesseln bequem gemacht und schweigend auf die Stadt gesehen. Es war unglaublich kitschig gewesen und er war noch immer aufgekratzt von den hunderten Zärtlichkeiten die sie, wie nebenbei ausgetauscht hatten. „Und du willst das wirklich tun? Jetzt?“, hörte er die Stimme des Deutschen neben sich. Sie war leise und klang für einen Moment unentschlossen. Ran nickte nur. Er war sich sicher. Es musste jetzt sein. Wenn Yoji es durch einen Zufall herausbekam ... Oh daran wollte er gar nicht denken. Ran hörte Schritte, dann wurde die Tür geöffnet und seine Anspannung kehrte zurück. „Tammy“, murmelte Ran und sah über ihre Schulter, wie Yoji in den Raum kam. Ein Blick genügte, dann war der Detektiv in wenigen Schritten an der Tür, schob seine Freundin grob hinter sich und trat mit ihr vorsichtig ein paar Schritte zurück. Sein Blick huschte zwischen Schuldig und Ran hin und her. Ganz offensichtlich war bereit zu kämpfen. Aus dem Augenwinkel heraus sah Ran, wie Schuldig nach seiner Hand angelte. Ob er wohl genauso nervös war? Ohne den Blick von Yoji zu nehmen, der alles misstrauisch beäugte, griff Ran versichernd nach der Hand, verschränkte ihre Finger und schluckte kräftig, um seiner Stimme die nötige Festigkeit zu geben. „Können wir reinkommen?“ Yoji schien ehrlich erschüttert. Fast so als hätte Ran ihn gefragt, ob er ihm die Hand abschneiden dürfte. „Er wird sich benehmen“, schob Ran nach und nun war es an Tammy, die Stimme zu erheben. Sie drängte sich hinter Yoji vor, unterband jeden Protest mit einem Blick und nickte. „Kommt rein. Wir haben gerade Tee aufgesetzt.“ Dankbar lächelte Ran und trat ein. Schuldig nur einen halben Schritt hinter ihm. Zusammen setzten sie sich auf die Couch und erst jetzt ließ Ran die warme Hand wieder los. Yoji stellte sich ihnen gegenüber, lehnte sich an den Schreibtisch und musterte den Deutschen eindringlich, während Tammy Tee auftrug. „Was hast du Hirnverdreher mit Ran gemacht?“, zischte er. Tammy schlug ihn an den Arm und mahnte ihn mit einem Blick. Der Blonde schnappte nach Luft, deutete fragend auf sich und dann beschuldigend auf den Deutschen. Diese Geste war wohl eindeutig. „Er ist der Verrückte“, schob er nach und erntete ein Schnauben. „Ich bin nicht verrückt. Ich bin talentiert“, konterte Schuldig, hob sein Kinn und begann zu grinsen, als Ran ihm den Ellenbogen in die Rippen stieß. Nun war es an Schuldig, Yojis Geste zu spiegeln. „Er provoziert mich.“, beschwerte er sich und Ran schüttelte den Kopf, erinnerte ihn so an sein Versprechen, umgänglich zu sein, wenn sie auf Yoji trafen, das er ihm am Morgen noch abgerungen hatte. „Ihn verteidigst du also?“, knurrte der Deutsche, verschränkte beleidigt die Arme und sah in eine andere Richtung. Ran schluckte. So sollte das nicht laufen. Er wollte die ganze Sache bereinigen und nicht noch weiter verkomplizieren. Sanft legte er eine Hand auf Schuldigs Oberarm und war froh, dass sie nicht grob abgeschüttelt wurde. Der Deutsche atmete ein paar mal tief durch, das konnte Ran sehen, dann sah Schuldig nachdenklich auf die Hand auf seinem Arm und blickte anschließend Ran an. Noch einmal atmete er seinen Frust weg, ehe er sich an Yoji richtete. Rans Hand blieb, wo sie war. „Ich habe nichts mit Ran gemacht und habe ihn nicht beeinflusst, wenn es das ist, was du wissen willst.“ „Was dann?“, wollte Yoji wissen und jetzt wurde auch Ran aufmerksam. Wie war das mit ihnen? Sollte ihr Treffen ein Zufall gewesen sein? Doch bereits beim ersten Date hätte Schuldig ihn doch erkennen müssen. Warum hatte er da nicht reagiert? Warum hatte er ihn dann weiter zu sich bestellt. Und warum hatte er bis jetzt nicht mehr daran gedacht? „Ich habe dir versprochen, dass ich nicht in deinen Kopf gucke, wenn es nicht nötig ist, aber wenn du weiter so heftig nachdenkst, drängt es sich mir zwangsläufig auf“, murmelte es neben Ran und er sah in blaue Augen, die ihn belehrend ansahen. „Es war kein Zufall“, gestand Schuldig, hielt seinen Blick mit Rans verschränkt. Wollte er etwa seine Reaktion beobachten? „Am Anfang schon. Ich wusste nicht, wer sich hinter ‚Aya‘ verbarg, auch wenn ich bereits da eine irrwitzige Vermutung hatte. Als er ... als du dann in das Hotel kamst, musste ich meinen Plan umwerfen. Das Ding mit der Augenbinde war nur eine Kurzschlussreaktion. Sonst wäre einer von uns in dieser Nacht gestorben. Das weißt du.“ Ran schluckte hart und nickte. Schuldig hatte recht. Er hätte ihn angegriffen und auf diesem beengten Raum, wäre einer von ihnen zu Tode kommen. Vermutlich sogar er selbst, da er völlig unbewaffnet war. „Aber du hast ... Wir haben ...“ Schuldigs Nicken unterbrach ihn. „Das kann ich dir nicht erklären. An diesem Abend wollte ich mich eigentlich einfach mit jemandem zusammensetzen und über was anderes als den Job sprechen. Ich wollte nur Abstand von der Arbeit.“ Ein sanftes Lächeln huschte über seine Lippen. „Mit dir und dem was passiert ist, hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich war nicht auf dich vorbereitet gewesen“, raunte er ganz leise, dass Ran glaubte, nur er könne es hören. „Was hast du denn für nen Job? Du ziehst doch sicher mit Schwarz weiterhin Leute über den Tisch oder spielst den Wachhund für einen reichen Kriminellen“, kam es unterkühlt von Yoji und Ran sah seinen Freund an. Den hatte er gerade ganz vergessen. Wie peinlich! „Schwarz gibt es nicht mehr, falls es dir entgangen sein sollte. Ich bin mittlerweile Unternehmensberater.“ Yoji brach in heftiges Lachen aus und auch Ran blickte ungläubig auf den Deutschen. „Du wirst es kaum für möglich halten, aber auch ich brauche einen Job, um meine Rechnungen zu bezahlen. Und nach dem Schwarz nicht mehr ist, helfe ich jetzt Firmen, ihre Konkurrenz aufzukaufen, Diebstähle am Arbeitsplatz aufzuklären und Vorstände zu säubern.“ Tammy mahnte Yoji, doch der musste sich bereits auf den Knien aufstützen und hatte keine Chance mehr gegen das Lachen anzukommen. Verzeihend sah die junge Frau auf die beiden Männer auf ihrer Couch. Schuldig schnaufte, legte seine Hand auf Rans und küsste seine Wange. Das erregte Yojis Aufmerksamkeit. „Mir wird die Luft hier zu dick. Mach dir eine schöne Zeit. Sehen wir uns zuhause?“, flüsterte der Deutsche und Ran neigte seinen Kopf, um ihn ansehen zu können. „Ich komme zu dir?“, wollte er wissen und Schuldig nickte. „Gern, dann bestell ich Pizza.“ Das so typische Grinsen des Deutschen zeigte sich, ehe er sich einen Kuss von Rans Lippen stahl, über die Hand unter seiner strich und aufstand. Schweigend, die Hände in den Hosentaschen ging er um die Couch und hielt kurz vor der Tür inne, drehte sich zurück und legte seinen finstersten Blick auf. „Ein Kratzer, ein blauer Fleck oder ein einziges gekrümmtes Haar, Balinese und ich bring dich um!“ Diese Drohung wurde so ruhig, so dunkel ausgesprochen, dass keiner der Anwesenden an ihrer Ernsthaftigkeit zweifelte, als Schuldig das Büro verließ. Fast eine viertel Stunde verging, bis wieder Leben in Yoji kam. Womöglich wollte er sicher sein, dass der Telepath nicht mehr in der Nähe war. „Bist du bescheuert? Er? Ein Schwarz? Schuldig? Ernsthaft?“, platzte es aus Yoji, ehe er die Hände über den Kopf schlug und begann vor seinem Schreibtisch auf und abzulaufen. „Ran! Bitte! Es gibt so viele Männer auf der Welt. Bitte! Such dir irgendeinen anderen. Jeden nur nicht ihn!“ Mit einer großen Geste deutete Yoji auf die Tür. Rans Blick wurde kühl. Jetzt war es wohl an ihm, Stellung zu beziehen. Aber deswegen war er ja hier, oder? „Ich will aber keinen anderen“, meinte er und stand auf. „Du erinnerst dich aber, was er getan hat? Er hat dich Krankheiten ausgesetzt, hat dich mit einer Droge betäubt, die willenlos macht. Mensch! Dir hätte sonst was passieren können.“ Ran nickte. Diese Momente hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt. „Ich erinnere mich. Aber er hat mich auch vor deiner Tür abgesetzt und hat mir nie Gewalt angetan.“ Er seufzte und sah seinen Freund ernst an. Er konnte ihn ja verstehen, aber ... „Das mit uns musst du nicht verstehen, Yoji. Aber du musst es akzeptieren. Keiner von uns weiß, wie lange das gut geht und ob wir uns nicht schon in einer Woche an die Kehle gehen. Aber jetzt. Heute. In diesem Moment, in dem ich hier vor dir stehe, fühlt es sich richtig an.“ Gott! So viele Worte! Und es mussten noch mehr gesagt werden, das wusste Ran. Er musste seinem Freund etwas Sicherheit geben und ihm gleichzeitig klar machen, dass es an dieser Entscheidung nichts zu rütteln gab. „Jetzt weiß ich, was du an Tammy hast und was sie für dich ist. Du bist mein bester Freund, Yoji und ich weiß, wie schwer es dir fällt, mich jetzt gehen zu lassen, wenn du weißt, dass ich zu Schuldig gehe. Gerne schreibe ich dir auch pausenlos irgendwelche Nachrichten oder mache Selfis mit der Tageszeitung, wenn du das brauchst, um zu wissen, dass es mir mit ihm gut geht.“ Yoji senkte den Blick und schüttelte nach einigen Augenblicken den Kopf. „Ich fasse es nicht. Da ist der Schwarz wohl doch auch nur ein Mensch“, murmelte er und sah erst zu seiner Freundin, dann wieder zu Ran. „Pass bloß auf dich auf! Okay?“ Ein Nicken. „Wir wollten übermorgen bei mir kochen. Warum kommt ihr beide nicht dazu und wir versuchen es noch einmal?“, warf Tammy ein und Yoji küsste sie dankbar auf die Schläfe. Wahrscheinlich hätte er dieses Angebot gern gemacht, es aber nie herausbekommen. „Ich frage ihn.“ Damit gab Tammy sich zufrieden und Ran verabschiedete sich, verließ die beiden und machte sich auf den Weg zu Schuldigs Wohnung. Es dauerte eine gute Stunde, selbst mit Bus und Bahn, ehe er ankam, doch das war gut so. So hatte Schuldig Zeit für sich und auch Ran konnte das geschehene Sacken lassen. Ihr erstes Aufeinandertreffen war also ein Zufall gewesen. Aber die Küsse waren so sanft, so liebevoll. Ging man so mit einem Feind um? In der Wohnung angekommen, rief er vorsorglich nach Schuldig, wollte den Telepathen, der es gewohnt war, allein zu wohnen, nicht erschrecken und damit vielleicht einen Angriff auf sich auslösen. Eine Antwort erhielt er jedoch nicht, also rief er lauter und erinnerte sich dann, dass Schuldig am Morgen, wie auch gestern, Kopfhörer aufhatte. Vielleicht hörte er ihn einfach nicht. Ran trat die Schuhe aus und drückte die Tür in ihr Schloss. Dann warf er einen Blick tiefer in das Loft. Weder im Wohnraum, noch im Schlafbereich war etwas zu sehen. Ein schneller Blick um die Ecke, aber auch die Küche war leer. Blieb nur noch das Bad. Er klopfte höflich und machte die Tür einen Spalt weit auf. Gerade weit genug, um den Kopf hineinzustecken. Schuldig lag in der freistehenden Wanne, die Arme hingen über den Rand, der Kopf lag entspannt zurück und Musik drang bis zu Ran. Der Schaum knisterte leise und bildete eine weiße Decke über dem Wasser. Ran schnaufte verhalten und trat ein, stellte sich hinter Schuldig und sah auf ihn herab. Die Wohnungstür war offen und er schlief hier in der Wanne mit Musik auf den Ohren? Entweder war Schuldig sehr leichtsinnig oder aber echt von sich überzeugt. Spontan würde er auf Zweiteres tippen. Er griff nach den Kopfhörern und zog sie dem Deutsch vom Kopf. Dieser verzog das Gesicht und Ran beugte sich zu ihm, küsste ihn verzeihend. „Nicht dass du mir noch absäufst“, flüsterte er und sah in blitzendes Blau. Oha! Da freute sich aber jemand, ihn zusehen. „Komm zu mir“, schnurrte Schuldig, griff nach Rans Hinterkopf und küsste ihn gieriger. Der Japaner löste sich und neigte gespielt den Kopf. „Was bekomme ich dafür?“, fragte er und Schuldig strich ihm zärtlich über die Wange. „Was immer du willst.“ Heiße und kalte Schauer gingen durch seinen Rücken und er richtete sich auf, legte die Kopfhörer auf die Bank, die frische Kleidung und ein Handtuch für Schuldig bereit hielt, und zog sich aus. Vorsichtig stieg er zu dem Deutschen in die große Wanne, hoffte, dass er nicht zu viel Wasser verdrängte und es am Ende vielleicht noch überschwappte. Der Überlauf gurgelte hilflos, das Wasser blieb aber, wo es hingehörte. Schuldigs Blick lockte ihn zu sich und Ran folgte, legte sich auf den Mann und lehnte seinen Kopf an seine Schulter. Das warme Wasser, der dezente Geruch von Kaugummi und die sichere Umarmung ließen Ran entspannen. „Ich habe mich weiter mit dir getroffen, weil du mir gutgetan hast. Außerdem passen wir doch ganz gut zusammen“, begann Schuldig flüsternd, küsste seine Haare und strich den Schaum auf seiner Haut breit. „Beim zweiten Treffen habe ich es, glaube ich, etwas darauf angelegt. Würdest du mich erkennen, trotz Erkältung?“ „Du warst also wirklich erkältet?“ Ein Lachen erhellte den Raum. „Und wie. Ich dachte, es geht mit mir zu Ende. So erkältet war ich seit Jahren nicht mehr.“ „Und die ganzen Extras?“ Ran war grüblerisch, dachte an die Nacht im Hotel, die ihm als Entschuldigung spendiert wurde, an das Frühstück und das reichliche Trinkgeld. „Ich wollte dich nicht um den Finger wickeln. Also ja schon. Aber nie mit so etwas. Ich weiß, dass du dich nicht bestechen lässt. Das Hotelzimmer war wirklich bezahlt und es wäre schade gewesen, es verkommen zu lassen. Alles andere war mehr, um dir etwas Gutes zu tun“, erklärte er und zog Ran ein wenig enger an sich. „Nach unserer ersten Nacht bin ich neben dir wach geworden und hab mich ehrlich erschreckt. Zwar ist es mir erst in der Dusche richtig bewusst geworden. Denn ich bin morgens echt spät dran mit klaren Gedanken, aber dann bin ich überstürzt aus dem Zimmer und konnte erst in der Lobby wieder klar denken. Bestimmt ist eine Stunde vergangen, in der ich in dieser Lobby saß und überlegt habe, was ich jetzt mache. Sollte ich einfach abhauen und dir das Geld irgendwie zukommen lassen oder sollte ich mich dir stellen? Aber dann wären wir sicher wieder dabei gewesen, dass es einer von uns nicht überlebt hätte. Also dachte ich mir, ich besänftige dich mit Frühstück und kann dir so auch den Scheck zukommen lassen. Was mich dazu getrieben hat, dir einen Pin zuzustecken ... Ich hab keine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich das wieder haben wollte.“ „Den Sex?“, murmelte Ran und spürte, wie etwas saures seine Kehle hochkroch. „Nein. Ja auch aber ich wollte in erster Linie dich. Du bist so anders als die paar Male, die wir uns früher begegnet sind und ich wollte genau diesen Mann wieder sehen. Je öfter ich dich getroffen habe, je länger wir zusammen waren, desto mehr wurde mir klar, dass wir gar nicht so verschieden sind. Du bist in deinem Innersten gar nicht der rachsüchtige, verbitterte Kerl, der über Leichen gegangen wäre, um seine Schwester wieder zu sich zu holen, das ist wohl nur deine Schale, und ich bin kein ... Ok! Doch, ich bin ein manipulativer Mistsack und habe auch noch Spaß daran. Stimmt schon. Aber auch ich habe meine guten Seiten ... Irgendwo.“ Schuldig wurde immer leiser und setzte einen Kuss auf Rans Haare. „Hättest du es mir je gesagt, wenn es nicht so rausgekommen wäre?“ Die Umarmung wurde inniger und für Ran war es Antwort genug. Schuldig wusste es selbst nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)