after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 23: Akt XXIII --------------------- Träge öffnete er die Augen und murrte. Verdammt, was roch hier so nach Rauch? Hatte Yoji ihn etwa heimlich besucht und in seiner Wohnung geraucht? Nicht zu fassen! „Morgen. Wie fühlst du dich?“, wurde er gefragt und erkannte Yojis Stimme sofort. „Das möchtest du nicht wissen“, gab er zurück und stemmte sich langsam auf die Arme, um sich umzusehen. Mit wenigen Blicken erkannte er Yojis Büro. „Warum bin ich hier?“ „Weil du wie ein Findelkind vor meine Tür gelegt wurdest.“ Ran stockte. „Ich wurde was?“ Krampfhaft versuchte er, sich an etwas zu erinnern. Er hatte die Post geholt, eine Karte von dem Unbekannten gefunden und war überstürzt ins Hotel. Und dann? „Ich kann mich nicht mehr erinnern“, murmelte er und setzte sich richtig hin, schwang die Beine von der Couch und wischte sich durch das Gesicht. Sein Kopf schmerzte etwas. „Dachte ich. Du hast ein bisschen was erzählt, als du in deinem persönlichen Wunderland unterwegs warst.“ Ran brummte gefährlich. Er hatte sich das sicher nicht ausgesucht. Yoji zeigte sich unbeeindruckt und legte ihm seinen Notizblock vor, den Ran schnell überflog. Viel stand nicht darauf. Am Rand waren Notizen des Schnüfflers. Dann setzte dieser sich neben ihn. „Erklärst du mir jetzt, warum du doch wieder zu ihm bist? Muss er dich erst umbringen, damit du begreifst, dass der Typ dir nicht guttut?“ Er schwieg, wusste doch selbst keine Antwort darauf. Nie hatte er sich so unvorsichtig und wie ein protestierender Teenager benommen. Warum gerade jetzt? Etwa wegen Mister X? „Ich habe eine Adresse“, begann Yoji und hielt einen zusammengefalteten Zettel zwischen den Fingern. Ran griff danach, doch er wurde ihm entzogen. „Den gebe ich dir erst, wenn du wieder klar im Kopf bist und damit meine ich nicht nur, dass die Droge vollständig aus deinem Blut verschwunden ist.“ Ran nickte unwillig. Was sollte er sonst tun? „Beim nächsten Mal ist vielleicht keiner da, der dich bewachen kann. Du musst dir bitte bewusst machen, dass er dir nicht geben wird, was du möchtest. Ran, bitte. Ich verstehe dich. Du suchst einen Menschen, der dir deine Schuld vergibt, doch diesen Menschen gibt es nicht. Nicht für Leute wie uns. Such dir jemanden, der dich mit deiner Vergangenheit akzeptiert. Mehr wirst du in dieser Welt nicht finden und sollte es dir doch einer versprechen, sei unglaublich vorsichtig. Du bist unter deiner verdammt harten Schale ein blanker Nerv. Das weiß ich. Das wussten wir alle, auch wenn du es nie zeigen wolltest. Mit Aya als deine Panzerung konntest du eine Menge durchstehen. Aber das hier ist Ran. Und der packt es nicht, wenn man ihn immer wieder zu Boden tritt.“ Dabei tippte Yoji ihm auf die Schulter. Ein Nicken von Ran. Er wusste, dass der Blonde recht hatte. Aber was konnte er schon gegen die Sehnsucht tun? „Es wird schwer, ja. Aber nach ein paar Wochen ist es nicht mehr so schlimm und irgendwann findest du die richtige Person für dich. Dann kannst du diesen Mistkerl vergessen, der dich so schlecht behandelt. Das hast du nicht verdient.“ Erneut ein unbestimmtes Nicken, dann erhob Ran sich und griff seinen Mantel, steckte seine Schlüssel ein und ging, ohne ein weiteres Wort an seinen Freund zu richten. Er würde es verstehen. Wortlos stieg er ein und stutzte. Der Sitz war nach hinten verstellt worden. Wut kochte in ihm hoch. Er hatte ihn nicht nur betäubt. Nein. Er hatte auch noch seinen Porsche gefahren. Mit einem Handgriff war der Sitz wieder in der richtigen Position und er fuhr nach Hause. Für die Post interessierte er sich gerade nicht und er warf die Wohnungstür in ihr Schloss. Duschen! Das war alles, woran er noch denken konnte. Er musste dieses widerliche Gefühl von seiner Haut und seiner Seele waschen. Wie hatte ihr Gespräch nur so enden können? Mit dem Kopf unter dem heißen Wasser erinnerte er sich an seine Hektik, an das Zimmer und diese angenehme Wärme. Wie konnte eine so angenehme und beruhigende Wärme nur so trügerisch sein? Er verstand es nicht. Wo waren seine Instinkte, wenn er mit dem Mann in einem Raum war? Hart schlug er mit dem Ballen der Faust gegen die Fliesen. Alles in ihm wollte schreien. Diesen Schmerz, die Scham und die Enttäuschung heraus schreien und seiner verletzten Seele endlich etwas Platz schaffen. Yoji hatte recht! Er durfte sich einfach nicht mehr mit diesem Mann treffen, auch wenn das hieß, dass er sich immer an diese wenigen Treffen erinnern würde und wohl nie etwas finden würde, dass ihm so viel Ruhe und Frieden brachte. Die Tage wurden zu Wochen und diese zu Monaten. Der Sommer kam und ging und jeden Tag fiel es Ran etwas leichter, aufzustehen. Die Arbeit auf dem Bau half ihm, seinen Frust in körperlicher Arbeit abzubauen und die Treffen mit Miko ließen ihn sich weniger allein fühlen. Doch noch immer war da dieser schmerzende Punkt in ihm. Der Punkt, der ihn abhielt, jemanden neues kennenzulernen. Der Punkt, der verhinderte, dass er die Visitenkarten und den Brief von Mister X wegwarf, obwohl er es sich so oft vorgenommen hatte. Dieser eine Punkt, der ihn an manchem Tag reizte, sich einfach für ein Wochenende in ihre Suite einzuquartieren und in dem Geruch der Kissen von ihm zu träumen. Von all diesen Dingen sagte er seinen Freunden nichts. Es war nicht ihr Kampf und sie alle wirkten so glücklich, dass er nichts daran stören wollte. Yoji war noch immer glücklich mit Tammy. Ken hatte sich in eine Stammkundin verliebt und plante bereits seine Hochzeit und Omi hatte auch jemanden an seiner Seite. Zwar machte er ein kleines Geheimnis daraus, indem er nur sagte, dass er in der gleichen Abteilung arbeitete, aber das war für alle ok. Sollte der Kleine ruhig ein paar Geheimnisse haben. So lange er glücklich war, war alles ok. Ran schnaufte, als er endlich in seine bequeme Kleidung steigen konnte. Die Dusche nach der Arbeit hatte gutgetan. Nun konnte er sich seinem liebsten Hobby widmen. Er goss sich ein halbes Glas Rotwein ein und nahm sich das Buch, dass er gerade angefangen hatte. So ging er durch die Wohnung, schaltete alle Lichter aus, bis es gerade noch hell genug zum Lesen war und setzte sich auf das Fensterbrett. Hier saß er in letzter Zeit gern. Die ersten Herbststürme kamen und boten ein fantastisches Schauspiel, das man am besten von dieser Stelle seiner Wohnung beobachtete. Er nippte an seinem Glas und schlug die aktuelle Seite auf, begann zu lesen, als die ersten Tropfen an die Scheibe schlugen. Noch nichts, was Ran zum Aufsehen zwang, aber dennoch schürte es seine Vorfreude. Bald würden helle Blitze den Himmel zerreißen und der Donner die Scheibe vibrieren lassen. Diese Naturgewalt reizte Ran auf unbestimmte Art. In solchen Nächten war so viel Potenzial, so viel Energie, die es zu nutzen lohnte. Das Klopfen an seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Wer konnte das denn bitte sein? Noch einen kleinen Schluck aus dem Glas, dann ging er zur Tür und öffnete sie. Yoji stand vor ihm und blickte ihn zwischen Hut und Brille an. „Bist du über ihn hinweg?“, wurde er gefragt und Ran brauchte einen Moment, um die Frage einzuordnen. Für den Detektiv offenbar schon die richtige Antwort, denn er hielt einen Briefumschlag hoch. „Das lag vor deiner Tür.“ Ran trat einen Schritt heraus und sah in beide Richtungen des Flures. „Keiner da. Aber ich denke, wir beide wissen, was hier drin ist.“ Mit gemischten Gefühlen griff sich Ran den Brief und öffnete ihn. Die kleine Karte ließ sein Herz schneller schlagen, doch er wagte nicht, das vor Yoji zu zeigen. Äußerlich unbeeindruckt, holte er die kleine Karte hervor und sah sie sich an. Es war eine dieser Karten, die ganz leicht changierten. Das hatte er am liebsten gehabt, wenn er ehrlich war. Neugierig drehte er sie und fand nur einen einzigen Pin. Kein Datum. Ran wusste, was das hieß. Sein Blick huschte auf die Uhr. Bis halb neun hatte noch eine gute halbe Stunde. „Und?“, wurde er gefragt und atmete innerlich durch. Gespielt desinteressiert packte er die Karte wieder in den Briefumschlag und ließ ihn in den Papierkorb fallen. „Du hast es dir offenbar gemütlich gemacht“, meinte Yoji und deutete auf die Fensterbank, auf der Wein und Buch zu finden war. Ran zuckte mit der Schulter. Warum auch nicht. „Dann kann ich dir das hier ja jetzt geben“, meinte er und reichte Ran den zusammengefalteten Zettel, den dieser annahm und eine Weile ansah, ehe er ihn ebenfalls in den Papierkorb fallen ließ. „Wozu brauche ich noch seine Adresse? Ich hatte nicht vor auch nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln.“ Yoji nickte und klopfte ihm auf die Schulter. „Es freut mich, dass du es hinter dir lassen kannst“, murmelte Yoji und verabschiedete sich dann. Ran schloss hinter ihm die Tür und lehnte sich mit dem Rücken daran. Sein Blick haftete an dem Papierkorb. Darin befand sich, worauf er schon ein halbes Jahr gewartet hatte. Die Adresse, die er so dringend in den Fingern halten wollte. Sein angebliches Desinteresse? Seine scheinbare Ruhe? Alles Masche! Er hatte schon überlegt, bei Yoji ins Büro einzubrechen und sich den Zettel zu holen, doch er kannte den Schnüffler zu tun, um weiter darüber nachzudenken. Sicher hatte er ihn an einem Ort verwahrt, den Ran nicht kannte und zu dem es keine Hinweise zu finden gab. Man konnte dem Blonden jetzt unterstellen, er wäre dezent paranoid. Aber das war nicht wichtig. Langsam ging Ran auf den Papierkorb zu, holte den Zettel hervor, war sich ein Teil in ihm doch sicher, dass der Pin eine Ablenkung war. Irgendetwas in ihm wusste es einfach. Dort würde heute niemand sein. Und so wie er Yoji kannte, würde er wohl die ganze Nacht in dem Hotel verbringen und das Zimmer im Blick behalten. Armer Yoji. Auf eine so aussichtslose Mission geschickt zu werden. Einmal atmete er durch und faltete den Zettel auf. Was, wenn Yoji sich einen Spaß erlaubte? Wenn da die falsche Adresse drinstand? War das hier ein Test? Ran las die Adresse und lächelte. Sie war echt. Nie würde Yoji ihn in ein Gebäude schicken, von dem sowohl Ran als auch Yoji wussten, dass es ein halber Rohbau war. Sein nächster Blick galt seinem Wein. So verführerisch das Buch sich ihm auch anbot. Es hatte keine Chance. Nicht in dieser Nacht. Er zog sich um. Die Missionskleidung auf seiner Haut war wie seine Rüstung. Nichts anderes war das hier. Eine Mission und er würde sie erfüllen. Ran verließ die Wohnung und stieg in seinen Porsche. Das Katana fand seinen Platz im hinteren Fußraum, dann fuhr er los. Sein Blick war auf den ersten Metern mehr im Rückspiegel, als auf der Straße, für den Fall, dass Yoji auf ihn gewartet hatte und ihn nun verfolgte. Aber nichts! Er war allein. So schob er sich durch den Verkehr der Innenstadt und schnaufte, als er während einer Fahrbahnverengung hinter einem kleinen Wagen hinter her zuckelte. Da kam er ihm wieder, der Gedanke mit dem Vollbart und der Glatze. Als die Straße, kurz vor einer Ampel, endlich wieder zweispurig wurde, zog er neben das Auto und musterte den Fahrer. Na, den kannte er doch! Der alte Mann war vorgebeugt, hielt das Lenkrad eisern mit beiden Händen fest und starrte durch seine dicke Brille nach vorn. Kurz musste Ran lächeln. Erst machte dieser Alte ihm den Parkplatz frei, und jetzt auch noch die Fahrbahn. So etwas Nettes aber auch. Die Ampel schaltete um und Ran trat aufs Gas. Nun gab er das Tempo an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)