after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 21: Akt XXI ------------------- Der Morgen weckte ihn und Ran setzte sich, sich die Augen reibend, auf. Hatte er gestern Nacht geträumt? Prüfend legte er eine Hand auf die andere Seite des Bettes und zog sie erschrocken zurück. Das Lacken war noch warm. Irgendjemand hatte neben ihm geschlafen. Ran schauderte. Das war ihm unheimlich und er gab sich einen Moment, um über das Gestrige nachzudenken. Diese Stimme. Er wusste, er kannte sie von irgendwoher. Aber außer Ken und Yoji wusste nur noch Mister X, dass er vielleicht hier war. Seine Teammitglieder, da war er sich ganz sicher, hätte er auch in dem Dämmerschlaf, indem er gestern war, sofort erkannt. Sollte dann wirklich Mister X zu ihm gekommen sein? Das war unmöglich, immerhin war der im Ausland. Schnaufend raufte Ran sich die Haare. Er wusste doch selbst, wie einfach man seine Spuren verwischen konnte. Erst recht bei einer Agentur, bei der man Kunde war. Vielleicht hatte der Mann gelogen und hatte ihm hier doch irgendwo aufgelauert. Das war doch alles absurd. Wie aber dann? Um seinen Grübelein zu entkommen, stieg er aus dem Bett und ging ins Bad. Auch hier waren Anzeichen, dass noch eine andere Person im Zimmer gewesen war. Ein benutztes Handtuch lag auf dem Boden, damit der Roomservice es mitnahm. Ran presste die Lippen zusammen. Er war sich unsicher, wie er jetzt reagieren sollte. Sollte er an dem Handtuch nach Spuren suchen oder sollte er es einfach liegenlassen und darüber hinweg sehen? Innerlich lachte er über sich. Seit wann ließ er Dinge einfach auf sich beruhen, die ihn störten? Also hob er das Handtuch auf und sah es sich an. Vielleicht fand er ja ein Haar? Dann könnte er zumindest schon mal ein paar Aussagen über die Herkunft des Mannes geben. Aus etlichen Dokus hatte er gelernt, dass der Haarquerschnitt etwas über die Ethnie verriet. So hatten Asiaten einen fast kreisförmigen Haarquerschnitt, Europäer und Amerikaner einen etwas ovaleren und Menschen afrikanischer Herkunft einen eliptischen. Enttäuscht musste er nach Minuten feststellen, dass seine Suche ohne Erfolg blieb. Kein einziges Haar war an dem Handtuch zu finden. „Vielleicht ...“, überlegte er, ließ das Handtuch achtlos fallen und trat in die Dusche ein. Sein Blick war starr auf das Sieb im Boden gerichtet und er bereitete sich schon einmal darauf vor, darin herrumstochern zu müssen. Langsam hockte sich hin und versuchte etwas zu erkennen. Das Einzige, was er fand, war Sauberkeit. Vielleicht sollte er dem Hotel eine gute Bewertung im Internet geben, so sauber, wie hier selbst die Duschabflüsse waren. Weiter half ihm das jedoch nicht und Ran entschied, jetzt erst einmal zu duschen und dann nach Hause zu gehen. Als er aus dem Hotel trat, schien ihm die Sonne warm ins Gesicht. Das tat gut. Der Frühling kam. Er entschied sich um. Zuhause würde er sich doch nur langweilen, also ging er durch die Stadt, beobachtete die Hektik und Geschäftigkeit der Menschen. Mit einem kleinen Umweg über einen Blumenladen ging er auf den Friedhof. Dieser Gang fiel ihm immer noch schwer und war noch sehr weit von so etwas wie ‚Normalität‘ entfernt, aber es bäumte sich nicht mehr alles in ihm auf, wenn er an das Grab seiner Schwester trat und ihr Blumen hinlegte. In Gedanken erzählte Ran ihr alles, was in den letzten Wochen passiert war, ließ dabei kaum etwas aus. Wer sollte es schon erfahren? Hier war nur er. Nur er und der kalte Stein eines Grabes. Bewusst versuchte er, sich die Stimme seiner Schwester ins Gedächtnis zu rufen, wie sie wohl reagiert hätte, wie sie ihn getadelt und getröstet hätte. Sie war so ein guter Mensch gewesen und nun lag sie hier. Und er? Ran schnaufte wütend. Er strich über den Stein und stand auf. Wenn er sich weiter vor ihrem Grab zerfleischte, suchte sie ihn womöglich noch heim. Das konnte er nicht riskieren. Lieber ging er wieder und suchte sich einen neuen Job. Jetzt, wo die Erde auftaute und die Temperaturen konstant über dem Gefrierpunkt lagen, sollte sich eine Arbeit auf dem Bau finden lassen. Da wurde jedes Jahr gesucht. An der nächsten Baustelle bog er ab und klopfte an die Tür des Büros. Nachdem er Reingebeten und etwas überrascht angesehen wurde, ging alles ganz schnell. Der Vorarbeiter war sichtlich froh, dass jemand freiwillig eine Arbeit auf einer Baustelle übernehmen wollte und bot Ran an, dass er erst mal ein paar Tage arbeiten sollte, damit der Vorarbeiter sehen konnte, ob er zu etwas taugte. Wenn ja, wäre der Arbeitsvertrag schnell geschrieben. Ran nickte nur und versprach am nächsten Tag pünktlich an der Baustelle zu sein. Nun führte ihn sein Weg nach Hause. Er musste etwas essen. Sein Magen begann bereits sich zu winden. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es bereits Nachmittag war und er nun wirklich etwas essen sollte, wenn er morgen eine körperlich schwere Arbeit beginnen wollte. Die Tage strichen ins Land und wurden zu Wochen und ganz langsam kam Ran wieder im Leben an. Seine Arbeit auf der Baustelle lief gut, der Vertrag war wirklich schnell unterzeichnet und der Lohn konnte sich sehen lassen. Geldsorgen ade! Dennoch traf er sich einmal im Monat mit Miko, ging mit ihr in die Oper oder ging mit ihr in das kleine Café neben dem Hochhaus, dass langsam immer mehr Form annahm. „Wusstest du, dass sie da unzählige Büros einquartieren wollen?“, fragte Miko und nahm sich eine Pommes. „Nein. Was für eine Verschwendung. So hoch, wie das Haus ist, hätte man vom Wohnzimmer aus sicher eine gute Sicht über die Stadt.“ Ran nahm sich sein Wasser und trank. „Deine Hände sehen schlimm aus, Ran“, meinte sie, griff nach einer und strich über die rau gewordenen Innenseiten. Irgendwann hatte er sich ihr mit seinem richtigen Namen vorgestellt, immerhin arbeitete er nicht mehr für die Agentur und brauchte keinen Decknamen mehr. Über diese Entscheidung war er wirklich froh. „Das bringt die Arbeit mit sich. Es ist ok“, murmelte er, lächelte und entzog seine Hand der fast schon mütterlichen Begutachtung. „Pass aber auf dich auf. So eine Arbeit kann gefährlich sein.“ Ran nickte. Er wollte die alte Dame nicht unnötig belasten. „Ich will doch mit dir noch mal in die Oper“, schob er galant nach und erntete ein Lachen. Klar und rein. Das mochte er an ihr. Sie aßen zusammen, dann brachte Ran sie nach Hause und wie schon die letzten Male schob sie ihm heimlich einen Umschlag zu. Den fand Ran erst, als er sich wieder in seinen Porsche setzte. Schnaufend nahm er ihn auf und sah hinein. Ein Zettelchen befand sich darin. Nimm es einfach an, stand darauf und Ran seufzte. Miko sah es als kleine Unterstützung. Und jetzt, wo sie niemanden mehr buchen musste, um einmal im Monat auszugehen, hatte sie ein bisschen Geld übrig. Es war bei Weitem nicht so viel, wie zu der Zeit, als er sie beruflich ausgeführt hatte, aber das störte Ran überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ihm wäre es lieber gewesen, die alte Dame würde das Geld für sich behalten, für schlechtere Zeiten. Aber das war wohl nicht Mikos Wille. Vielleicht, und der Gedanke kam Ran immer häufiger, war er für sie mittlerweile so etwas wie ein Kinderersatz und sie wollte ihn einfach etwas unterstützen und verwöhnen. Ran schüttelte amüsiert den Kopf und fuhr nach Hause. Er war in guter Stimmung. Sein Job lief gut, dein Privatleben war genau das - ein Leben und hin und wieder konnte er Yoji dabei helfen, gesuchte Verbrecher zu erledigen. Es war nicht so, dass er Spaß am Töten hatte. Das garantiert nicht. Aber er wollte helfen, diese Stadt sicherer zu machen und unschuldige Leben zu beschützen. Bei Weiß hatte er die Abgründe der menschlichen Seele oft genug gesehen. Nur gab es leider kaum Behörden, die außerhalb des Gesetzes agieren konnten. Und diese Behörden kümmerten sich nicht sonderlich um die Art von Verbrechen, die Ran und sein Team am Hals hatten. Eilig schüttelte er den Gedanken ab, wollte sich seine gute Stimmung nicht durch alte Erinnerungen verderben lassen und holte seine Post. Ein Knurren fiel über seine Lippen. Da hatte er nun schon eine Notiz angebracht, dass er keine Werbung erhalten wollte und dennoch fand er wieder eine Handvoll Flyer. Das waren wohl die Strapazen eines normalen Lebens. Würde er die Notiz eben größer schreiben. Die Post von der Werbung trennend, schloss er seine Wohnung auf und trat ein. Blind hing er seinen Mantel an die Garderobe und trat sich die Schuhe aus, die er mit dem Fuß gerade schob. Die Werbung fand ihren Weg in den Papierkorb, mit der Post setzte er sich auf sein Sofa. „Rechnung, Rechnung, Rechnung“, murmelte er beim Durchsehen und stutzte dann. Die gesichteten Briefe legte er auf den Tisch. Den letzten Brief hielt er angespannt in der Hand. Dieser unadressierte Brief ließ ihn vorsichtig werden. Er drehte ihn und prüfte die Lasche. Verschlossen. Da wollte also jemand, dass nur er den Inhalt erfuhr. Sein ganzer Körper geriet in Anspannung. Mit angehaltenem Atem und ganz vorsichtig öffnete er erst die Lasche, dann den Brief und sah hinein. „Oh“, entfloh es ihm und er beäugte die kleine Karte. Der Kerl hatte ja Nerven! Ok, die Entschuldigung war schon nett. Und dass er sich offenbar in der Nacht noch an ihn geschmiegt hatte, hatte auch gutgetan. Nichtsdestotrotz mussten ein paar Sachen geklärt werden, aber Ran war sich nicht sicher, ob er das schaffte, wenn er dem Mann wieder gegenüber stand. Was, wenn er ihn wieder so zärtlich umarmte? Mit einigem Unwohlsein griff er nach der Karte und holte sie heraus. Auf der Vorderseite war der Pin. Ein Schmunzeln zog sich über seine Lippen. War dieses kleine Zeichen etwa schon in ihre spärliche Geheimsprache eingeflossen? Amüsiert schüttelte er den Kopf und drehte die Karte. „Heute?“ Er stockte und sah auf die Uhr. Der Termin war schon längst ran und er wusste, dass er es nicht ohne saftige Verspätung schaffen würde. Dennoch! Ran ließ alles fallen, hastete zu seinen Schuhen und griff beim Gehen seinen Mantel. Mit dem Porsche würde die Verspätung nicht ganz so groß sein. Für alles andere war keine Zeit mehr. Warum setzte ihn der Typ so unter Druck? Nein! Warum setzte er sich selbst so unter Druck? Der Brief war erst heute angekommen und da musste Mister X eben damit rechen, dass Ran zu spät oder gar nicht aufkreuzte. Da hatte er keine Aktie dran. Andererseits. Er wollte ihn sehen, wollte sich endlich aussprechen und ... Ja, verdammt! Er wollte ihm um den Hals fallen und die Nähe haben, die er nur bei ihm bekam. Es war, als herrschte zwischen ihnen ein so tiefes Verstehen, dass Rans Herz raste, als er in die Tiefgarage des Hotels fuhr. Jetzt nur noch einen Parkplatz finden. Verflucht, das kann doch nicht so schwer sein! Ein einziger Parkplatz würde doch wohl noch zu finden sein. Wo war der, wenn man ihn dringend brauchte? Und außerdem ... Konnte hier denn keiner richtig parken? Einer stand mitten auf dem Trennstrich. Tolle Leistung, Vollidiot! Einer stand schief auf dem Parkplatz, sodass recht und links niemand mehr parken konnte. Wo hast du denn deinen Führerschein her? Vom Rummel? Ran fluchte, fuhr mit zittrigen Fingern in die nächste Etage und sondierte seine Lage. Es war mittlerweile nach neun, er war verschwitzt und auf 180. Vielleicht war es besser, er fuhr wieder nach Hause. So konnte er doch nicht mehr vernünftig... Da! Ein Kleinwagen parkte aus. Endlich! Doch seine Freude verflog, als er die ungeübten Bewegungen der Karosserie beobachtete. Das Auto wurde mehrmals abgewürgt und als es endlich so weit war, dass man den Fahrer erkennen konnte, hätte Ran am liebsten ins Lenkrad gebissten. „Mach hin, Opa“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Dabei war er der Meinung, ihm wuchs in der Zwischenzeit ein Vollbart, während seine Kopfhaare allmählich ausfielen. Wenn das so weiter ging, mumifizierte er noch hinterm Steuer. Endlich war der Parkplatz frei und Ran zog in zwei Zügen rückwärts in die Lücke, stieg mit ungerührtem Gesichtsausdruck aus und hob großspurig das Kinn, als er den Blick des gefühlt Hundertjährigen erhaschte. Mach dieser Genugtuung fuhr Ran mit dem Fahrstuhl in die Lobby und fragte an der Rezeption nach der Karte. Der Mitarbeiter sah ihn irritiert an, hatte wohl schon nicht mehr mit ihm gerechnet und verrenkte sich ein wenig, um auf die Uhr über seinem Kopf zu blicken. „Sie sind spät heute“, murmelte er abwesend und entschuldigte sich sofort für seinen vorlauten Ausspruch. „Der Verkehr“, knirschte Ran hervor und erhielt die Karte. „Ihr Partner ist bereits oben.“ Kurz hielt er die Luft an. Hatte er jetzt einen Herzinfarkt erlitten? Bei dem Stress würde es ihn nicht wundern. „Partner?“, fragte er nach und der Mann in Hemd und Weste nickte. „Ihr Geschäftspartner. Sie treffen sich doch immer hier für ihre Meetings.“ Ein Nicken, dann ging Ran lieber, stieg in den Aufzug und fuhr nach oben. Auf dem ganz zog er seinen Mantel aus und roch an sich. Noch roch er nicht unangenehm und selbst wenn, konnte er das jetzt nicht mehr ändern. Noch einmal durchatmen! Dann zog er die Karte durch das Schloss und betrat das Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)