after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 20: Akt XX ------------------ „Hallo Ran? Deine Ergebnisse sind da.“ Diesen Satz von Tammy hatte er gefürchtet. „Und?“, würgte er heraus, während er die Luft anhielt. „Da ist gar nichts. Nicht mal ein Antikörper gegen eine Erkältung.“ Ran nahm das Telefon vom Ohr und schnaufte erleichtert. „Danke dir“, meinte er dann wieder ins Handy und legte nach einer Verabschiedung auf. Sein Blick ruhte auf der kleinen Karte, die mit einem Klebestreifen umwickelt war. Warum hatte er sie nicht einfach weggeworfen? Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken und er öffnete die Tür, ließ Yoji herein und roch bereits die frischen Brötchen. „Nachtschicht?“, fragte er salopp und erntete ein Grinsen. „Wir haben den Typen, der die Automaten manipuliert. Also eigentlich hat Omi ihn gefunden. Wir sind echt noch ein gutes Team“, lachte der Schnüffler und ging Richtung Couch. Ran folgte ihm, hielt jedoch inne, als er Yojis Blick auf die Karte sah. Das Datum war nach oben gedreht und Ran sah, wie Yoji die Zähne aufeinanderbiss. „Du willst doch da nicht wirklich hin.“ „Natürlich nicht.“ „Warum liegt das Ding dann hier?“ Dabei deutete er auf das unschuldige Papier und knurrte. „Nur so.“ „Ran! Du machst nichts nur so. Hat dir der eine Schreck nicht gereicht?“ Ran knurrte und machte sich breit. „Ich dank dir für deine Sorge, Yoji. Aber ich bin erwachsen und treffe meine eigenen Entscheidungen. Außerdem hat mir Tammy gerade gesagt, dass alles ok ist.“ „Ach! Und wie sollen diese Entscheidungen aussehen? Willst du dich dem Mann, der dich durchaus mit einer potenziell tödlichen Krankheit hätte anstecken können um den Hals fallen und ihm danken, dass ihr beide Glück hattet?“ Yoji schnaufte und ging sich durch die Haare, ehe er sich eine Zigarette ansteckte. Erneut knurrte Ran und öffnete ein Fenster, an das der Detektiv sich lehnte. „Du kannst doch nicht mehr klar denken, wenn es um diesen Typen geht“, murmelte er und sah Ran an, der ihn jedoch nur mit einem finsteren Blick strafte. Dass der Blonde recht hatte, wusste er doch selbst. Er war nicht mehr objektiv oder rational, wenn es um Mister X ging. „Bitte versprich mir, dass du dich von ihm fernhältst. Versprich, dass du da morgen nicht hingehst“, bat er leise und Ran seufzte ergeben. Vielleicht hatte Yoji ja eine bessere Sicht auf die Dinge. Er war ein Außenstehender, mit einer anderen Sicht. Außerdem war er emotional nicht so involviert. „Gut“, meinte er dann und sah auf die Brötchen auf dem Wohnzimmertisch. „Können wir dann was essen? Ich habe den ganzen Morgen noch nichts hinterbekommen.“ Nun schmunzelte Yoji und rauchte auf. Zusammen gingen sie zurück und frühstückten. Dabei erzählte Yoji, was Omi alles herausgefunden hatte und wie sie den Drahtzieher am Ende entlarven konnten. „Das hat sich sicher gelohnt für dich“, sagte er, als er das letzte Stück hintergekaut hatte. „Na ja. Knapp über Mindestlohn. Aber! ... Ich habe ihm deine Stunden mit in Rechnung gestellt.“ Damit griff Yoji in seine Tasche und holte einen Umschlag hervor, den er Ran reichte. „Was ist das?“, fragte er lahm und Yoji schob sich den Rest seines Brötchens in den Mund. „Sicher keine Almosen“, nuschelte er mit vollem Mund und kaute weiter, als Ran den Umschlag öffnete. Viel war es nicht, das konnte Ran gleich sehen. Jedoch würde es ihm den nächsten Einkauf finanzieren. „Danke“, meinte er und der Detektiv schüttelte den Kopf. „Nicht doch. Du hast es dir verdient und vielleicht kannst du mir mal wieder helfen, wenn es nötig wird.“ Zwar kam dieser Satz als Aussage daher, trotzdem verstand Ran die Frage dahinter. „Immer“, gab er gleich zu verstehen und freute sich eigentlich schon auf seinen nächsten Auftrag. So verstaubte seine Ausrüstung nicht in seinem Schrank und seine Fähigkeiten wurden noch ein wenig genutzt. „Sehr schön. Dann freu dich jetzt noch ein bisschen und ...“ Yoji erhob sich und griff die kleine Karte. „Die hier nehme ich mit, damit du nicht auf blöde Gedanken kommst.“ Damit verließ ihn der Blonde und Ran lehnte sich im Polster zurück. Es dauerte lange Minuten, bis er sich aufraffte, das Geschirr abräumte und aufwusch und sich um seine Wäsche kümmerte. Er hatte sonst nichts weiter zu tun. Nun, da er ohne Arbeit war, konnte er jeden Tag seine kleine Wohnung putzen. Absolut unnötig, da er so wie so ein reinlicher Mensch war. „Sicher sterbe ich irgendwann noch mal an der Hausarbeit“, murmelte er, als er seine Socken aufhängte. Dabei konnte er sich den Zeitungsartikel schon vorstellen. ‚Junger Mann in eigener Wohnung an Langeweile und Hausarbeit gestorben‘ Wie tragisch. Er seufzte und sah auf den Kalender. Als ob Yoji mit der Karte auch seine Zweifel mitgenommen hätte. So ein Quatsch! Er hatte nur ein Stück Papier mitgenommen. Sowohl die sichtbaren, als auch die unsichtbaren Informationen hatte er bereits tief in seinem Kopf verankert. Je länger er auf die Zahl am Kalender blickte, desto sicherer wurde er sich in seiner Entscheidung. Er würde morgen Abend zu diesem Mann gehen. Jedoch nicht, um ihm um den Hals zu fallen. Er würde ihn zur Rede stellen, würde seinen Standpunkt klarmachen und dann wieder gehen. Immerhin arbeitete er nicht mehr für die Serviceagentur und wäre somit nicht genötigt, bei ihm zu bleiben. So verbrachte er seinen restlichen Tag damit, sich auszumalen, wie es bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen wohl laufen würde, was er Mister X alles vorwerfen und sagen wollte. Danach, da war sich Ran ganz sicher, wäre er frei. Frei von diesem Mann, der ihm ganz eindeutig nicht guttat und auch frei von diesem Gefühl, dass ihm die Brust zuschnüren wollte. Selbst der Schlaf schien ihn in dieser Nacht zu meiden und seine Träume drehten sich immer wieder um den Fremden. Sodass er auch den nächsten Tag nutzte um irgendwie auf seinen benötigten Schlaf zu kommen. Am heutigen Abend musste er wach und klar sein, musste reagieren können und durfte sich auf keinen Fall emotional einwickeln lassen. Das sagte er sich noch einmal laut vor, als er am Abend vor dem Spiegel stand, seinen Mantel überwarf und die Wohnung verließ. Er würde nicht einfach nachgeben. Egal wie zärtlich der Andere sein würde, er würde sich nicht einwickeln lassen. Als er in der Lobby ihres üblichen Hotels ankam, sah er auf die große Uhr über der Rezeption. Er war pünktlich. Was auch sonst? Zwar hatte er sich für den Weg viel Zeit gelassen, um nicht unnötig lange in der Lobby zu sitzen und vielleicht zu viel Zeit zum nachdenken zu haben, aber unpünktlich wollte er auf gar keinen Fall sein. Er ging zur Rezeption und bekam unkompliziert wie immer seine Keycard, fuhr mit dem Aufzug nach oben und ging auf die Zimmertür zu, die er schon so oft gesehen hatte. Es hatte etwas von ‚ihrem Zimmer‘. Ran schallte sich einen Dummkopf und öffnete die Tür. Mit festem Schritt trat er in das Zimmer und wurde von diesem wohligen Halbdunkel empfangen. Sofort war Ran entspannter, milder gestimmt. „Wir müssen da ein paar Dinge klären“, meinte er mit Druck in der Stimme, der keine Widersprüche duldete, doch eine Antwort blieb aus. Vorsichtig sah Ran sich um, wagte auch einen Blick hinter sich. Sonst hörte er die Geräusche des Mannes aus dieser Richtung. Niemand schien hier zu sein. Mit zusammengezogenen Brauen und in höchster Alarmbereitschaft schritt er auf den kleinen Tisch zu, erkannte den Umschlag und nahm ihn auf. Er war weder adressiert noch verschlossen und Ran zog das innen liegende Papier hervor, faltete es auf. „Ein Brief?“ Er war irrtiert und sah sich noch einmal um. Tatsächlich! Er schien allein in der Suite zu sein. Sein nächster Blick galt dem Brief. Er war handschriftlich und sehr sauber geschrieben. Da hatte sich jemand wirklich Mühe gemacht. Er laß die wenigen Zeilen, die ehrlich klingende Entschuldigung und das Versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommen würde. „Ich bin zur Zeit im Ausland und kann nur hoffen, dass du meine Entschuldigung annimmst. Das Wasser müsste jetzt auch soweit sein.“ Ran stutzte. Wasser? Was für Wasser? Mit dem Brief in der Hand ging er ins Bad und sah, wie die Wanne sich füllte. Schaum bäumte sich auf und mit wenigen Schritten war Ran an der Wanne, schaltete das Wasser ab und sah auf den knisternden Schaum. Es war so kitschig. Das Klopfen an der Tür ließ ihn umdenken. Er stand auf und öffnete die Tür. Ein Mitarbeiter des Hotels brachte einen Speisewagen und wünschte guten Appetit, ehe er wieder ging und die Tür leise schloss. Neugierig und doch etwas irritiert hob Ran die Abdeckung an und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es war das Essen, was sie an ihrem zweiten Abend hier zusammen auf dem Boden zu sich genommen hatten. Dazu eine kleine Schale Obst. Rans Blick fiel auf den Brief in seiner Hand. Er war unschlüssig. Wollte der andere ihn wirklich mit so einer übertrieben kitschigen und kostspieligen um Verzeihung bitten? Oder wollte er ihn damit um den Finger wickeln? Aber was hatte er davon? Er konnte nicht sicher sein, ob Ran es annahm, ob er überhaupt gekommen wäre. Andererseits ... Ran zuckte mit den Schultern. Nur weil er sich eine Traube nahm und sie ganz köstlich schmeckte, hieß das ja nicht, dass sie sich nicht noch aussprechen mussten. Er würde Mister X schon noch sagen, was er von solchen Aktionen hielt und dass er definitiv nicht bestechlich war. Trotzdem war eine solche Entschuldigung schon schön. Wortlos faltete er den Brief zusammen, legte ihn auf den Tisch zurück und zog seinen Mantel und die Schuhe aus. Mit dem Essen ging er ins Bad und stellte alles auf den breiten Wannenrand. So eine im Boden eingelassene Wanne hatte schon etwas für sich. Dann holte er ein paar Kerzen, die er in einer kommode fand, zündete sie an und schaltete überall das Licht aus. Still zog er sich aus und stieg in das wohltemperierte Wasser. Das tat gut! Seufzend lehnte er seinen Kopf auf den Rand und schloss die Augen. Die Wanne war groß, hatte bestimmt Platz für zwei Personen und war wunderbar tief. So tief, dass selbst Rans Schultern von dem warmen Nass umspült wurden. Wenn er so einen Luxus zu Hause hätte, dann würde er sicher so lange baden, bis ihm Schwimmhäute gewachsen waren. Über diesen Gedanken musste er schmunzeln. Ran öffnete die Augen und setzte sich auf. Essen in der Wanne. So etwas Verrücktes. Es passte zu diesem verrückten Typen. Wer sonst würde sich mit einer Nacht in einem Hotel entschuldigen? Eine Karte, na klar! Ein Entschuldigungsschreiben, natürlich! Vielleicht auch eine Einladung zu einem guten Essen oder ein großer Blumenstrauß. Letzteres hatte er selbst schon hunderte Male gebunden und verkauft. Aber ganz sicher nicht eine Übernachtung in einer Suite in einem teuren Hotel, wenn man nicht einmal wusste, ob der Andere überhaupt auftauchen würde. Als das Wasser langsam kühl wurde, stieg Ran aus der Wanne, trocknete sich ab und hüllte sich in den warmen und kuschligen Bademantel. Die Reste seines üppigen Mahles stellte er auf den Wagen zurück und nahm sich die Freiheit ihn einfach auf den Gang zu schieben. Ganz sicher wollte er heute nicht mehr gestört werden. Dann trat er auf die Dachterrasse raus. Er war barfuß, doch der kühle Stein unter seinen Füßen störten ihn kaum. Mit einem Blick auf die Stadt lehnte er sich auf das Geländer und sah auf die vielen Lichter unter ihm. Der Straßenlärm war hier oben nur noch ganz leise zu vernehmen und der Himmel über ihm war klar. Es würde eine kalte Nacht werden und Ran holte sich die dicke Decke aus dem Schlafzimmer. Über Stunden saß er auf einer der Liegen und sah in den Himmel, hing seinen Gedanken nach und kam allmählich zur Ruhe. Als ihm immer wieder die Augen zufielen, stand er auf, brachte die Decke ins Bett, sog sich aus, kuschelte sich gleich wieder unter die noch warme Decke und schlief langsam ein. Es war schön, wenn auch einsam. In der Nacht wurde er von einer Bewegung neben sich wach. Sein Körper war träge und es fiel ihm schwer, die Augen zu öffnen. „Schlaf weiter“, raunte ihm eine Stimme entgegen und er schloss die Augen wieder. Diese Stimme. Sie war so vertraut, so bekannt. Sie versprach so viel und Ran fühlte sich wohl, als fremde Arme sich um ihn legten und er an den warmen Körper gezogen wurde. „Wo warst du?“, nuschelte er schlaftrunken und lehnte sich in die Umarmung, zog den bekannten Duft tief ein und lächelte, als er den Kaugummi erkannte. „Ich hab’s nicht mehr ausgehalten. Es tut mir leid“, war alles, was Ran hörte, ehe er wieder tief in den Schlaf sank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)