after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 15: Akt XV ------------------ Es dauerte Stunden, ehe Ran die Kraft fand, sich auf seine Arme zu stemmen. Sein Blick war auf die feuchten Stellen auf dem Kissen gerichtet. Wann hatte er das letzte mal so geweint? Nein, wann hatte er überhaupt das letzte Mal geweint? Er wusste es nicht mehr. Es muss als Kind gewesen sein. Irgendwann. In einer Zeit, in der er noch nicht so abgestumpft gewesen war. Und nun? Träge stand er auf, ging duschen und zog sich an. All das ging unglaublich langsam. Er fühlte sich alt, träge und ausgelaugt. Als er seinen Mantel anzog, fiel sein Blick auf den Umschlag. Doch das war es nicht, was ihn irritierte. Die kleine Karte, die sonst im Umschlag auf ihn wartete, lag darauf. Unsicher ging Ran darauf zu, befürchtete schon das Schlimmste. Was, wenn er den Vertrag auflöste? Was, wenn Ran ihn nie wieder sehen würde. „Tut mir leid“, laß Ran sich vor und spürte, wie seine Finger zitterten. Was tat ihm denn bitte leid? Dass Ran seinen verdammten Job gemacht hatte? Dass er das war, was er immer sein sollte - ein Kunde? Er atmete durch und sah noch einmal auf die Handschrift. Ja. Es war wieder handschriftlich. Die Schriftzeichen wirkten hektisch und ein wenig unsicher. Ganz anders als der Eindruck, den er von dem Mann hatte. Vielleicht tat es ihm wirklich leid, dass er so abrupt gegangen war. Ran schüttelte den Kopf, steckte Karte und Umschlag ein und verschwand aus dem Zimmer. Wie nebenher gab er die Karte ab und ging direkt nach Hause. Seine Kleidung wanderte in die Waschmaschine und er noch einmal unter die Dusche. Nichts war für ihn gerade schlimmer, als dieser betörende Geruch. Nach der Dusche nahm er sein Handy und rief Omi an. Das sonnige Gemüt ihres Kleinsten half ihm vielleicht über das Gefühl hinweg, nicht mehr atmen zu können. „Hey Kleiner“, begann er und sofort begann Omi zu erzählen. Das tat gut. Der kleine Weiß erzählte von einem neuen Kollegen, mit dem er sich gut verstand. Es war wohl endlich jemand in seinem Alter in der Firma. Einer, mit dem er über Musik und Hackerscherze reden konnte. Zu seinem Geburtstag, das ahnte Omi bereits, würde wohl ein kleiner Trojaner auf seinem Rechner warten und irgendetwas lustiges veranstalten. „Ich freue mich für dich, Omi“, meinte Ran und er meinte es ernst. Es tat ihm gut zu sehen, dass sein Team versorgt war. Dass es ihnen gut ging. Er konnte aushalten, ertragen. Wenn er zerbrach ... Wie schlimm würde das wohl wirklich sein? Er war nicht so wichtig. Aber sein Team, seine Freunde. Ihnen musste es gut gehen. Er konnte ... er würde ... Ran fasste sich an die Brust. Wo war seine Luft? Er musste sich setzen. „Ran?“ Oh je! Hörte Omi das etwa? „Schon ok. Ich hab mich verschluckt.“ Was für eine erbärmliche Lüge. „Hmm ... ok“, murmelte der Kleine misstrauisch. „Ich muss erst mal was trinken. Telefonieren wir einfach morgen noch mal?“ Eine kurze Verabschiedung, dann legte Ran auf, ließ das Telefon auf den Boden sinken und den Kopf hängen. Was zur Hölle war nur los? Sein Blick suchte seinen Mantel. Eine Ecke des Umschlags lugte hervor und, noch ehe Ran sich bewusst entscheiden konnte, stand er auf und trat auf den Mantel zu, holte den Umschlag heraus und zog die Karte hervor. Der Umschlag mit dem Scheck fand seinen Platz auf der Kommode. Die Karte jedoch bleib in Rans Hand. Es war eine dieser schönen Karten, die leicht changierten. Nur der einfarbige Kuli störte das Bild. Es wirkte nicht so clever durchdacht, nicht so überlegt geschrieben. Auch wenn die letzte Karte auch handschriftlich war, hatte sie mehr von einem gezielt platzierten Detail. Immer wieder kippte er das kleine Papier, beobachtete die Farbverläufe, die von der dunkelblauen Tinte unterbrochen worden. Sie war sehr bildhaft für diesen Morgen. Es war so schön wie diese Karte und wurde dann grob unterbrochen. Aber musste nicht alles mal ein Ende finden? Jedes Treffen war irgendwann einmal vorbei und Mister X musste auch irgendwann wieder auf Arbeit. Ran fühlte sich fast ein wenig lächerlich, als er sich ins Bett legte und mit der Karte, die er an sich drückte, noch einmal einschlief. Das Klingeln seines Handys holte ihn zurück und er ging blind an das Gespräch. Als er die Stimme seiner Chefin hörte, ging ein Ruck durch ihn und er saß schlagartig im Bett. Wie sollte er ihr nur erklären, was passiert war? Krampfhaft überlegte er, wie viele Entschuldigungen ihm ad hoc einfallen würden. „Danke.“ „Was?“ Ran war deutlich irritiert. „Ich habe gerade eine ungewöhnlich lange Email von unserem Kunden 379 bekommen.“ Ran wurde blass. Was passierte hier gerade? „Und?“, wollte er wissen und seine Chefin seufzte. War das jetzt gut oder schlecht? „Er hat sich bedankt für meinen Vorschlag und er ist sehr zufrieden und wird wohl seine Treffen engmaschiger legen.“ Ok. Das hatte Ran nicht vermutet. „Aber?“, fragte er nach. Es gab immer ein ‚aber‘. „Ich darf Ihnen keine anderen Treffen in dieser Kategorie vermitteln.“ „Oh.“ Mehr bekam Ran nicht raus. Zwar hatte er akustisch sehr wohl verstanden, was ihm gesagt wurde, doch verarbeiten konnte er es noch nicht. „Danke“, murmelte er dann und lauschte der Verabschiedung seiner Chefin, ehe er auflegte und ungläubig auf das Telefon starrte. Das konnte nicht der Realität entsprechen. Nicht nach dem Desaster des heutigen Morgens. Ganz unmöglich. Sein Handy klingelte erneut und er schnaufte genervt, ehe er ranging. „Was?“, fragte er. „Hast du Lust auf eine Mission?“ Rans Puls schoss in die Höhe. Ein jahrelang antrainierter Mechanismus wurde bei dieser Frage aktiviert. Er stand auf, ging zum Schrank und holte sein Katana hervor. Sein Blick wurde fokussiert und blieb an dem Ledermantel hängen. „Worum geht’s?“ Nur wenige Stunden später saß er bei Yoji im Büro und ließ sich erklären, was in den letzten Wochen passiert war. „Ich habe den Typen verfolgt, Beweisfotos geschossen und Tonaufnahmen von ihm besorgt, wie er Deals mit anderen Waffenhändlern abgeschlossen hat. Nichts davon wurde vor Gericht anerkannt. Der Drecksack ist grinsend aus dem Gerichtssaal spaziert.“ Yoji knurrte und zog seinen Mantel an. „Weiß gibt es vielleicht nicht mehr. Aber ich habe noch genug Gerechtigkeitssinn in mir, um den Typen von der Bildfläche zu wischen.“ Er überprüfte seine Ausrüstung, dann blickte er zu Ran, der die ganze Zeit still gewesen war. Nun erhob er sich, sah sein Schwert an. „Zehn Jahre war es unsere Aufgabe Richter und Henker für die zu sein, die Unschuldigen Leid zugefügt haben. Wir haben das Dunkel bekämpft und das Licht verteidigt. Wir waren Weiß.“ Sein Blick wanderte zu Yoji, der ihn mit derselben Überzeugung ansah, die auch er in sich spürte. „Wir sind Mörder, Yoji. Aber wir nahmen Leben, um so viele andere zu retten. Was wären wir für Menschen, wenn wir damit aufhören würden?“ Ran biss die Zähne aufeinander. Sein Blick, das wusste er, war der von Abyssinian. Er war voller Emotionen und was gab es da Besseres, als eine Mission, um sich wieder zu erden? „Dann lass uns gehen“, hörte er den Blonden, der seine Sonnenbrille aufsetzte. Ran fühlte die Anspannung, das Adrenalin. Schon als er seine Missionskleidung angezogen hatte, kam dieses vertraute Gefühl über ihn. Sein Körper bereitete sich auf den Kampf vor. Er würde heute Nacht töten. So viel stand fest. Mit dem Seven fuhren sie zu einem alten Industriegebiet. Runtergekommene Lagerhallen und ein stillgelegter Rangierbahnhof dominierten das Bild. Das Gelände war unübersichtlich und mit wenigen Blicken stimmten die beiden Assasine sich ab. „Hier. Das werden wir brauchen“, murmelte Yoji und reichte Ran einen winzigen Ohrhörer. „Nicht, was wir gewöhnt sind, aber es wird reichen.“ Ran nickte, besah sich kurz das fleischfarbene Gerät, dass mehr einen Voice-over-ip-headset glich, als einem Funksender und klemmte ihn an sein Ohr. „Dann los“, raunte Abyssinian und schlich voran, verschwand in den Schatten der Lagerhallen und umliegender Container. Er suchte seine Seite des Geländes ab, schielte vorsichtig um Ecken und duckte sich unter Fenstern entlang. „Balinese, hier ist nichts“, raunte er und wartet geduldig auf eine Antwort. An einem Lagerhaus fand er eine Leiter, stieg sie hinauf und lief geduckt über das Dach in Balineses Richtung. „Ich hab hier was. Lagerhaus 3.“ Er musste sich nur kurz orientieren, dann lief er zu dem Lager, sprang in einer fast lautlosen Bewegung erst auf ein paar Kisten und dann auf die Straße, verschaffte sich Zugang zum Gebäude und fand Balinese vor einem Haufen militärisch aussehender Kisten. Die Oberste war geöffnet. Abyssinian warf einen Blick hinein und presste die Zähne aufeinander. „Wenn alle diese Kisten so überladen sind, dann …“ Er brauchte es nicht aussprechen. Abyssinian verstand sehr wohl, was das hieß. Auf die Schnelle zählte er zwanzig dieser Monitionskisten. „Natürlich biete ich Ihnen erstklassige Wahre“, hörte er von außerhalb des Gebäudes. Schritte kamen näher. Mit Balinese versteckte er sich, lauerte seinem potenziellen Opfer auf. „Wie ich gehört habe, wurden Sie heute freigesprochen“, drang eine andere, tiefere Stimme an sein Ohr, ehe die Tür zum Lager geöffnet wurde und fünf Gestalten eintraten. Darunter auch der Mann, von dem Balinese berichtet hatte. „Das war ganz leicht. Der Richter hat eine wirklich süße Tochter. Ein wenig drohen hat da gereicht.“ Ein Lächeln legte sich auf die Züge des Mannes und Abyssinian wurde übel dabei. „Aber da gibt es noch diese selbst ernannten Rächer …“ „Alles längst Geschichte. Diese Typen haben sich ewig nicht blicken lassen. Keiner hat mehr Angst. Selbst die Bodyguards von dem alten Takatori sind aus der Branche verschwunden, weil niemand sich mehr sorgen um seinen Schutz machen muss“, erklärte der Mann und winkte das Ganze als Belanglosigkeit ab. „Zurück zum Geschäft…“ Balinese schob sich neben Abyssinian auf die Knie, holte aus und warf seinen Draht, dann sprang er von der Kiste, auf der sie sich versteckt hatten. Einer der Begleiter wurde durch den Ruck in die Höhe gezogen und zuckte röchelnd, bis ihm die Luft ausging. Das Ziel und sein Käufer sagen sich hektisch um und einer der verbliebenen Begleiter griff nach einer Waffe aus der Kiste. Nun bewegte sich auch Abyssinian. Er sprang von der Kiste, riss sein Katana in die Höhe und hieb auf den Mann ein. Dieser schrie auf, stierte auf die Stümpfe unter seinen Ellen. Abyssinian kam geschmeidig auf dem Boden auf und riss, als er aufstand, das Schwert mit sich. Der zweite Mann starb. Betont langsam ließ er das Schwert sinken, brachte Entspannung in seinen Körper und sah die drei verbleibenden Männer an. Von seiner Klinge tropfte das Blut und er spürte, wie ein Tropfen davon auch an seiner Wange entlangrann. Die Männer wollten in die andere Richtung fliehen, stoppten jedoch noch in der Bewegung. Balinese hatte sich ihnen in den Weg gestellt und demonstrierte seinen Draht. Worte waren nicht nötig, um allen Beteiligten klarzumachen, wie das hier enden würde. Abyssinian hörte das surrende Geräusch des scharfen Drahts, rannte los und hob sein Schwert zum tödlichen Hieb. Es dauerte nur Augenblicke, dann war der Tod über das Gebäude gestrichen, hatte nur zwei Leben verschont. „Gute Arbeit“, hörte Ran und wischte sich das Blut von der Wange. „Was machen wir damit?“ „Wir jagen es hoch.“ „Was? Aber sollten wir uns nicht lieber bedeckt halten? Immerhin gehören wir nicht mehr zu Kritiker“, gab Yoji zu bedenken und Ran nickte kurz. „Trotzdem. Diese Waffen dürfen niemanden in die Hände fallen.“ Yoji seufzte erst, dann zündete er sich eine Zigarette an. „Irgendwie wusste ich, dass du das sagst“, murmelte er mit dem Filter zwischen den Lippen. Minuten später saßen sie im Serven, Yoji löste den Fernzünder aus und hinter ihnen ging das Lagerhaus in Flammen auf. „Danke, dass du mit warst“, verkündete Yoji. Dabei schloss er die Tür zum Büro auf und trat ein. „Die Dusche ist da hinten. Ich hole uns nen Whisky.“ Ran reagierte nicht darauf. Warum auch? Er ging in das winzige Bad, stieg in die kleine Kabine und wusch sich Blut, Schweiß und Schuld von der Haut. Als er in der bereit gelegten Jogginghose und einem ausgewaschenem Shirt wieder ins Büro kann, stand Yoji umgezogen mit einer Flasche Whisky und zwei Gläsern vor ihm. „Das billigste, das ich habe“, gab er dabei zu verstehen und Ran bemühte sich um ein Lächeln. Der Detektiv setze sich auf das Sofa und füllte die Gläser bis zur Hälfte. Ran nahm eins der Gläser, prostete Yoji zu und stürzte den Inhalt in wenigen Schlucken hinter. Keuchend setzte er ab, verbat es sich aber, sich zu schütteln, als das Brennen in seiner Kehle einsetzte. Dennoch verzog er den Mund und griff nach der Flasche, kontrollierte das Etikett. Sicher. Sein Verhalten wäre in manchen Kreisen sträflich, glich vielleicht sogar einer Todsünde, doch hier ging es nicht um Edikte. Hier ging es um den Alkohol und das Brennen im Hals. Nach etlichen, vor allem aber nach emotional belastenden Missionen hatten sie sich zu viert in ihre Küche über dem Blumenladen gesetzt und den billigsten Fusel in sich hineingeschüttet, den sie hatten finden können. Jedem von ihnen war bewusst gewesen, das der Alkohol nichts an ihrer Schuld änderte. Es linderte jedoch das akute seelische Leiden, sorgte dafür, dass sie verdrängen konnten. Ein Vergessen war bei diesen Anblicken nicht möglich. „Noch einen?“, wurde er gefragt, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich muss ins Bett“, ließ er verlauten und stellte das Glas ab, griff nach seinen Sachen und verabschiedete sich mit einem Schulterklopfer von seinem Freund. Als er ging, zog er die Tür hinter sich ins Schloss und ging zu seinem Porsche, fuhr heim, warf die Kleidung in die Wäsche und kuschelte sich in das kalte Bett. Vorsichtig griff er auf den Nachttisch und besah sich die Karte im fahlen Mondlicht. Was Mister X wohl gerade tat? Ohne es bewusst zu wollen, glitt Ran in eine seiner Tagträume ab. Was der Mann wohl sagen würde, wenn er ihn so sehen würde. Was würde er wohl zu Abyssinian sagen, zu seiner Vergangenheit? Würde er überhaupt von den letzten Jahren wissen wollen? Rans Gedanken kreisten in seinem Kopf. Den übermächtigen Schlaf bekam er nur noch am Rande mit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)