after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 13: Akt XIII -------------------- „Du bist heute nicht ganz bei mir, oder?“, hörte er Mikos Stimme leise neben sich und sah die Frau mit einem verzeihenden Lächeln an. Irgendwann hatte sie ihm das Du angeboten und Ran hatte es dankbar angenommen. „Es tut mir leid. Es liegt nicht an dir“, sagte er und sah auf die Bühne. „Diese Oper habe ich das letzte mal mit meiner Mutter gesehen. Einige Wochen vor ihrem Tod.“ „Und jetzt denkst du gerade an sie?“ Ran nickte und tätschelte die Hand der Frau. „Aber ich bin gerne hier und ich weiß, dass sie sich freuen würde, wenn sie wüsste, dass ich ihre Lieblingsoper mit einer ganz reizenden Frau ansehe.“ Miko kicherte und winkte verlegen ab. „Du musst mich nicht um den Finger wickeln. Ich mag dich auch so. Du könntest der Sohn sein, den ich nie hatte und das genieße ich sehr.“ Ein Lächeln zuckte über Rans Mundwinkel, wenn er daran dachte, dass seine Mutter jetzt im, selben Alter wäre. Es hatte etwas Tröstliches. „Aya. Ich weiß, dass du nur eine Begleitung bist, aber auch du bist ein Mensch und auch du hast Dinge, die dich in deinem Leben beschäftigen. Ich möchte nicht mit einer Puppe ausgehen, die nur das tut, was mir gefallen könnte. Es würde mich freuen, wenn du mich vielleicht irgendwann als Freundin sehen kannst, mit der du einen schönen Abend in der Oper verbringst“, meinte sie und tätschelte nun ihrerseits seine Hand. Ran nickte und als der letzte Vorhang fiel, stand er auf und funkelte Miko schelmisch an. „Dann komm mal mit“, raunte er geheimnisvoll und Miko folgte ihm. Sie sagten Mikos Bruder ab und Ran führte sie zu einem Imbiss in der Nähe. Mit ihrem feinen Zwirn waren so zwar mehr als overdressed, aber das kümmerte keinen von beiden, als sie an dem runden Tisch standen und ihre Fertignudeln schlürften. Vor ihrem Haus verabschiedete Ran die Frau und nahm den Briefumschlag von ihrem Bruder entgegen, den er einfach in seine Jacke steckte und nach Hause lief. Dort zog er seine Jacke aus und ging sie über die Garderobe,. Der Brief fand seinen Platz auf der Kommode. Er musste nicht hineinsehen. Es hatte nie Diskrepanzen in der Summe gegeben. Und wollte Ran nicht sowieso versuchen, mehr zu vertrauen? Er setzte sich auf die Couch und ließ den doch recht lang gewordenen Abend noch einmal an sich vorbei ziehen. Sein Blick wanderte dabei auf seine Kommode. Die dicke des Briefes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Mikos Bruder war es wichtig, kleine Scheine hineinzutun. Warum auch immer. Dabei tat es doch auch ein Scheck ... und eine kleine Karte. Ran schnaufte, erhob sich und ging zu seinem Bett, setzte sich auf die Ecke und zog eine kleine Schuhschachtel hervor. Er wusste, wie albern das war, immerhin handelte es sich um Papier. Aber irgendetwas in ihm weigerte sich, auch nur eine dieser kleinen Stücke zu entsorgen. Beinahe andächtig hob er den Deckel ab und besah sich den ungewöhnlichen Inhalt. Jede der Karten, die er von dem Unbekannten zugestellt bekommen hatte, war hier drin. Es waren wenige und doch ... Es waren die Feinheiten, die Ran so sehr interessierten. Die Karten vom ersten Abend waren schlicht, weiß und ohne irgendeine Verzierung. Die von ihrem zweiten Abend hatten einen feingeprägten Rand und die Letzte. Ran nahm sie in die Finger und kippte sie gegen das Licht. Sowohl die Tinte, mit der die Karte geschrieben wurde, als auch die Oberfläche der Karte selbst, changierten ganz dezent in kühlen Blautönen. Ob das seine Lieblingsfarbe war? Energisch schüttelte er den Gedanken ab. Dieser Mann war ein Kunde. Mehr nicht! Dass er diese albernen Karten aufhob, okay. Aber sich über die Vorlieben des Mannes weitere Gedanken zu machen, war einfach kindisch. So setzte er entschlossen den Deckel auf die Kiste und schob sie wieder unters Bett. Aus den Augen, aus dem Sinn, wie es so schön hieß. Dennoch. Sein Herz pumpte das Adrenalin durch seinen Körper und schickte ihm immer wieder Bilder von ihren zwei Treffen. Gott, verdammt! Es waren zwei Treffen. Miko hatte er schon viel öfter gesehen und da drehte er auch nicht so durch. Na gut. Miko hätte, vom Alter her, auch seine Mutter sein können und dazu war sie noch eine Frau, passte somit überhaupt nicht in Rans Beuteschema. Stöhnend legte er sich zurück, legte beide Arme über das Gesicht und atmete tief durch. Das konnte doch alles nicht wahr sein. „Du machst dich nur lächerlich damit. Wenn er genug von dir hat, wird er sich jemand anderen suchen. Dann bist du abgeschrieben und musst auch damit klar kommen. Reiß dich einfach zusammen!“, mahnte er sich in hartem Ton und griff nach der Ecke der Decke, rollte sich auf die Seite und hüllte sich so in eine Art Kokon, der ihn vor der Welt verstecken sollte. Wie rührselig er sich dabei vorkam. Vielleicht sollte er am nächsten freien Abend selbst wieder um die Häuser und durch die Clubs der Stadt ziehen und sich selbst etwas für die Nacht suchen. Früher war er auch heimlich aus dem Elternhaus geschlichen, um seinen Hunger nach einem warmen und anschmiegsamen Körper zu stillen. Seine Mutter hatte ihn irgendwann mal im Garten mit einem Jungen entdeckt. Eng umschlungen und knutschend. Gesagt hatte sie nichts. Auch Rans Vater nicht, immerhin war Ran früh bewusst geworden, dass er bisexuell war. Zwar zogen ihn die Männer mehr an, aber hin und wieder hatte er auch eine Freundin, die er dann auch seinem Vater vorführen konnte. Unwillig schnaufte er bei der Erinnerung. Was seine Eltern wohl sagen würden, wenn sie ihn so sahen? Er wusste es nicht und würde es nie erfahren. Sie waren tot. Genau wie seine Schwester. Seine ganze Familie war tot. Nur noch er war da. Er war allein. Vielleicht kam dieses merkwürdige Verhalten daher? Immerhin waren die letzten zehn Jahre belastend gewesen. Für Körper und Seele. Sicher war seine Psyche da nicht schadlos durchgegangen. Er war ein Freak. Nicht so sehr wie die Irren von Schwarz, aber ganz normal war er auch nicht mehr. Wen wunderte es da, dass er sich nach etwas wie Normalität sehnte? Nach Geborgenheit. Einem Platz, wo er mit seiner Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Zustand sein konnte. Ohne Versteckspiel, ohne Lügen. Bei diesem Mann konnte er Ran sein, er selbst. Dieser Mann fragte nicht, verlangte nichts von ihm. Er gab ihm ehrliche Ruhe, mitleidlose Zärtlichkeiten und ein Gefühl von Nähe, dass er bisher nie gespürt hatte. „Das ist es wohl“, murmelte er für sich selbst und spürte, wie schwer seine Zunge bereits war. Der Schlaf kam über ihn und Ran gab sich hin. „Danke für den schönen Abend. Der Film war gut, oder?“ Ran nickte höflich. Er hatte nichts für diese Liebesschnulzen übrig, aber das spielte keine Rolle. „Das freut mich. Ich war mir nicht sicher, ob du noch mal mit mir hingehen würdest“, druckste sie herum und spielte mit ihrem langen, dunklen Haar. „Ich gehe immer wieder gerne mit dir ins Kino“, sagte er und lächelte, als ihr die Röte in die Wangen stieg und sie noch verlegener an ihrem Haar spielte. „Das ist lieb, dass du das sagst“, flüsterte sie und war offensichtlich so nervös, dass sie alle weiteren Worte vergaß, sich hastig verabschiedete und ging. Ran sah ihr einige Zeit nach. Er hatte wirklich gemeint, was er sagte. Im Kino war es dunkel und er hatte genug Zeit, um seinen Gedanken nachzuhängen. Wie es wohl wäre, wenn er mit dem Unbekannten ins Kino ging. In seiner Fantasie schlich sich irgendwann seine Hand auf den warmen, festen Rücken. Vielleicht würde der Fremde auch seinen Nacken kraulen. In Gedanken blickte Ran zu ihm und jedes Mal endete sein Tagtraum in dem, von Schal und Mütze, verdeckten Gesicht. Dieses Mal hatte er noch einen Blick in dunkle, braune Augen geworfen. In dem Traum davor, in grüne und davor in blaue. Seufzend drehte Ran sich um, steckte die mittlerweile kalten Hände in die Jackentaschen und erfühlte das Geld, dass er für diesen Abend bekommen hatte. Das Mädchen hatte es vorgezogen, das Geschäftliche vor dem Vergnügen zu regeln. Ihm sollte es recht sein. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr an der Bushaltestelle. Es war gerade kurz nach acht. Was sollte er mit dem Abend anfangen? Erneut fühlte er die Geldscheine und zog nachdenklich die Brauen zusammen. Das hier war doch eigentlich die Gelegenheit. Sein nächster Job war erst am nächsten Abend und er war seit Tagen in Stimmung. Eigentlich seit dem zweiten Date mit Mister X. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er änderte die Richtung. Heute würde er den Takt angeben. Heute würde er sehen, wie sich der andere Körper dabei bewegte. In einer der einschlägigen Clubs angekommen, gab Ran seine Jacke ab und ging zielstrebig zur Bar, wo er einen Drink orderte und sich dann neugierig umsah. Die Musik an seinen Ohren war laut aber gut und trotz der schlechten Lichtverhältnisse, konnte er erkennen, dass er hier viel Auswahl hatte. Von schlank und fast etwas schmal bis breit gebaut und groß. Es war alles vertreten. Wie konnte es an einem Samstagabend auch anders sein? „Hey Süßer“, wurde er angesprochen und taxierte den jungen Mann neben sich, ehe er sich ein kurzes Lächeln gönnte. „Ich glaube, ich weiß was du suchst“, raunte der Mann ihm zu, als er näher kam. Ran blieb ruhig. Nicht zuletzt wegen des Messers in seinem Stiefel. Hin und wieder gab es Ran ein vertrautes Gefühl, auch wenn er es vielleicht nie benutzen musste. Sein Katana wäre ihm ohnehin viel lieber. „Ach. Und was könnte das deiner Meinung nach sein?“, schnurrte er beinahe und der Mann lächelte verschwörerisch, ehe er sich noch näher beugte und ihm etwas ins Ohr raunte, dass Ran eine Gänsehaut verschaffte. Oh ja! Das klang gut. Er drehte sich zur Bar zurück, stellte sein fast leeres Glas ab und griff nach der Hand des Mannes, der ihm willig folgte. An der Garderobe holten sie ihre Jacken und ließen den Club hinter sich. Nun ließ Ran die kühle fremde Hand los und folgte dem Mann die Straße entlang. Mit zu sich würde er ihn garantiert nicht nehmen. Plötzlich wurde er am Arm gepackt und in eine Gasse gezogen. Wirklich überraschend kam es für ihn nicht, hatte er doch die Blicke des Mannes bereits deuten können. Er wurde an die Wand gepresst und gierige Lippen legten sich auf seine. Sofort erwiderte Ran den Kuss, griff nach der Taille des Mannes und drängte ihn fester an sich, fuhr mit der Zungenspitze über die rauen Lippen. Der Mann griff seine Hände und schob sie sich ins Haar. Das war gut … oder? Der Geschmack von Alkohol drängte sich Ran auf, als er die fremde Mundhöhle eroberte. Da war keine Süße, keine fruchtige Note. Er presste die Augenlider fest zusammen, zwang sich, sich zu entspannen und es zu genießen. Mit Yoji war das doch auch gegangen. Warum jetzt nicht? Ran löste sich und sah in die irritiert dreinblickenden Augen. „Was is?“, wurde er gefragt und diese Worte ruinierten den letzten Funken Lust in ihm. „Tut mir leid“, hörte Ran sich murmeln, bevor er sich zwischen Wand und Mann hervordrängte und ging. Die Hände wanderten tief in die Taschen seiner Jacke. Die nachgerufenen Worte hörte er nur noch wie durch Watte. Verstehen konnte er sie nicht. Als er endlich zuhause war, zog er sich unwirsch die Kleider vom Leib, ging duschen und legte sich dann ins Bett. Das war ja super gelaufen. Nichts fürs Bett und noch frustrierter als vorher. Ran zog die Schachtel unter dem Bett vor und nahm die letzte Karte heraus. Diese Handschrift. Sie könnte wohl jedem gehören, doch sie gehörte zu diesem Mann, der Ran sicher noch in den Wahnsinn trieb. „Noch zwei Wochen“, murmelte er und wischte sich mit der freien Hand durch das Gesicht, dann besah er sich seine Fingerspitzen. Sie hatten weiches Haar getastet. Das war doch etwas, was er immer mochte – seine Finger durch die Haare seines Partners gleiten lassen. Immer und immer wieder. Langsam schloss er die Augen, ließ seine Hände auf seine Brust sinken und schnaufte. Was war nur los mit ihm? Die nächsten Tage verfolgte ihn der Mann nicht nur in seine Tagträume, nein auch nachts suchte er ihn heim, strich mit warmen Fingerspitzen über seine erregte Haut und ließ ihn die Welt um sich vergessen. Mehr als einmal musste Ran sich danach zwischen kalter Dusche und seiner eigenen Hand entscheiden und, für seinen Geschmack zu oft, entschied er sich gegen die Dusche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)