after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 6: Akt VI ----------------- Zitternd zog Ran den Schal um seinen Hals fester. Er war immer noch entsetzt, wie kalt es in nur drei Wochen werden konnte. Gut. Sie hatten mittlerweile Mitte Oktober. Da waren Temperatureinbrüche nichts Ungewöhnliches. Doch nur noch fünf Grad waren ihm einfach zu wenig. Ungeduldig stemmte er sich von einem Bein auf das andere, während er an der Ampel auf Grün wartete. Sein Atem schlug kleine Nebelwolken vor seinem Gesicht und er schnaufte. Wie kam Omi eigentlich dazu, ihn früh um sechs Uhr zu einem Treffen zu bitten. Jetlag hin oder her. Das war einfach keine Zeit für ein Treffen unter Freunden. Aber der Kleine verstand es hervorragend, ihn um den Finger zu wickeln. Ganz lieb „Bitte, bitte!“ sagen und ein wenig darauf herumreiten, dass sein Flieger nun mal um vier Uhr dreißig landete. Endlich schaltete die Ampel um und Ran lief mit langen Schritten über die Kreuzung. Er wollte nicht länger als nötig in der Kälte verweilen. Er öffnete die Tür des Cafés und stockte. Da saßen sie und lachten. Die ganze Bagage. Ran schmunzelte. Ken und Yoji scherzten und Omi aß. Ran blinzelte. Omi aß Abendbrot. Leicht massierte Ran sich die Nasenwurzel. Wenn er schon früher nicht wegen diesem irren Haufen in die Anstalt eingewiesen wurde, würde er dieses Treffen sicher auch überstehen, obwohl er noch keine Prognose über die Spätfolgen machen wollte. Noch einmal atmete er durch und trat auf die fröhliche Gruppe zu. „Guten Morgen“, begann er und wurde hektisch von Omi zum Sitzen gebeten. Er konnte nur wild gestikulieren, da er den Mund voll hatte. Dabei erhob er sich ein wenig von seinem Platz. Ran stutzte. Omi trug einen Anzug. Dunkel, modern, mit Nadelstreifen. Dieses Bild war grotesk. Nein. Es war falsch! So sollte ein Junge wie Omi nicht aussehen. Er sollte Shorts tragen und das kindliche in ihm bewahren. Er schüttelte den Gedanken ab und setzte sich. Augenblicklich kam eine Kellnerin und stellte ihm eine dampfende Tasse vor die Nase. Ran sah verwirrt hinein. „Grüner Tee, stimmt's?“, wollte Omi wissen und Ran nickte dankbar. Der Kleine war wirklich aufmerksam. Schon immer gewesen. Genüsslich schlang er seine Finger um die warme Tasse und wärmte sich. „Nun sind wir alle da. Los! Erzähl, wie es dir ergangen ist, bis jetzt!“, forderte Ken ungeduldig, und Omi begann zu erzählen. Er schwärmte von seinem Büro und seinen Kollegen, unter ihnen wohl auch ein paar ehemalige Hacker. Omis Freude war fast körperlich zu spüren und Ran war zufrieden. Wenigsten zwei von ihnen waren in ihrem neuen Leben angekommen. Sein Blick wanderte zu Ken. Von Yoji wusste Ran, dass er noch immer sehr mit der Umstellung kämpfte. Einzig das Fußballspiel gab ihm wohl etwas Halt. Ran schluckte kräftig. Mit Ken im Hinterkopf kam ihm seine Situation gar nicht mehr so schlimm vor. Die Zeit strich voran und schon bald verabschiedete sich Omi mit einem versteckten Gähnen. „Tu mir leid. Aber ich muss ins Bett. Wir sehen uns vor meinem Rückflug übermorgen sicher noch einmal“, entschuldigte Omi sich und Ran nickte ihm zu. Er sollte sich ausruhen. Ken bot ihm an, ihn zu seinem Hotel zu bringen und zusammen verließen sie das Café. „Ein ganz schöner Überflieger, unser Kleiner“, begann Yoji und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ganz schön dumm von denen, einen wie Omi gehen zu lassen“ Ran nickte. Er wusste, wen Yoji meinte. Auch ihm entzog sich, warum Kritiker den Jungen hatte gehen lassen. Omi war jung und hochspezialisiert. So jemanden ließ man nicht einfach gehen. Schnaufend schüttelte er den Gedanken ab. Das war nichts mehr, was ihn etwas anging. Das Räuspern von Yoji ließ ihm Rans ganze Aufmerksamkeit zu Teil werden. „Was ist los?“, fragte Ran und Yoji rieb sich nervös über den Hinterkopf. Diese Reaktion ließ ihn den Kopf skeptisch zurückziehen. Schnell winkte Yoji ab. „Vergiss es!“, meinte er schnell und trank an seinem Kaffee. Ran schnaufte. „Los! Rede!“, grollte er leise und sah, wie Yoji sich aufrechter hinsetzte. Was wollte dieser Mann ihm sagen? Hatte er eine unheilbare Krankheit? Würde er für immer fortgehen? Hatte er seine Freundin geschwängert? „Ich hätte einen Job für dich“, kam es unwillig von Yoji und Ran entfuhr ein überraschter Laut. Damit hatte er nun nicht gerechnet. „Ok“, gab er seine Aufmerksamkeit bekannt und sah Yoji weiter skeptisch an. Dieser wand sich wie ein Aal im Netz. Was konnte das nur für ein Job sein? Drogendealer? Samenspender? „So eine Art Begleitservice“, warf Yoji ihm hin. Naja, fast, dachte Ran sich und trank an seinem Tee. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er die Tragweite von Yojis hingeworfenem Wort begriff. „Ich soll was?“, platze es nach dem Begreifen aus ihm heraus. Yoji hob beschwichtigend die Hände. „Nicht so, wie du denkst!“, verteidigte Yoji sich und rückte mit dem Stuhl etwas vom Tisch ab. Offensichtlich hatte er Rans Schnelligkeit und seine langen Arme nicht vergessen. Dunkel knurrte er Yoji an, schenkte ihm einen seiner finstersten Blicke. „Das kann nicht dein Ernst sein.“, schnaubte er. Yoji schüttelte den Kopf. „Das ist anders. Sehr viel besser, als du dir das jetzt vorstellst. Gib mir etwas Zeit um es dir zu erklären“, bat Yoji und Ran musterte ihn argwöhnisch. Er nahm sich vor, Yoji dir Freundschaft zu kündigen, wenn dieser ihn an den Bürgersteig stellen wollte um Männer aufzureißen. „Ich höre!“, zischte er bedrohlich und sah Yoji mahnend an. Ein weiteres Mal atmete Yoji tief durch. Es schien ihm wirklich unangenehm zu sein. Wie sollte das ein guter Job sein, wenn der Überbringer sich schon unwohl fühlte? Rans Brauen zogen sich weiter zusammen. „Es ist eine Agentur. Kein Bordell oder so etwas in der Richtung. Sehr seriös, streng kontrolliert. Da kommt auch nicht jeder hin. Sie bewegen sich in der gehobenen Gesellschaft. Meist sind es Leute, die nicht allein zu einer Veranstaltung gehen wollen und dich in dieser Agentur jemanden „ausleihen“. Meist ganz harmlos und es bringt gutes Geld“, gab Yoji ihm zu verstehen und Rans Brauen entspannten sich, ehe sie sich zum Haaransatz hochzogen. „Escort, also?“, fragte er nach. Er hatte versprochen Yoji Zeit zu geben, sich zu erklären. Dieser wankte jedoch mit dem Kopf hin und her. „Naja … Escort Plus?“ Yoji zog scharf die Luft ein und versuchte sich an einem verzeihenden Gesichtsausdruck. Ran entglitten die Gesichtszüge. Das konnte Yoji nicht ernst meinen. Schnell trank er seinen Tee aus und stellte die Tasse ab. Dann erhob er sich ohne ein weiteres Wort, griff gleichzeitig die Jacke, die über seiner Lehne hing und zog sie an. Er würde Yoji jetzt keines Wortes mehr würdigen. „Denk einfach drüber nach. Es würde dir Zeit verschaffen!“, hörte er Yoji ihm noch nachrufen, als er das Café verließ. Wütend schob er die Hände in seine Jackentaschen. Sein Weg führte ihn geradewegs nach Hause. Er wusste, dass er in der Klemme steckte. Er wusste, dass er einen Job brauchte. Dringend. Sehr dringend. Doch sich für Geld mit einem Fremden durch die Kissen wälzen? Das kam nicht in Frage! Nicht für Geld. „Was weiß ich denn, wen man mir da vorsetzt?“, knurrte er unwillig und schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht!“ Er drückte die Wohnungstür ins Schloss und lehnte sich an sie an. Geräuschvoll schnaufte er und schloss die Augen. War seine Situation so schlimm, dass ihm ein solcher Job angeboten werden musste? Träge zog er seine Jacke und die Schuhe aus und ließ sich, wie er war, auf sein Bett fallen. Der Morgen war einfach zu viel für ihn. Augenblicklich sank er in einen tiefen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)