after Weiß von KarliHempel ================================================================================ Kapitel 1: Akt I ---------------- Mit schweren Schritten betrat Aya das Koneko. Sein Arm schmerzte und aus der Wunde kurz unter der Schulter lief das Blut. Es war zwar wenig, aber stetig. Er hörte die gequälten Geräusche seiner Kollegen und schnaufte. Wie oft wollten sie alle denn noch grade so mit dem Leben davon kommen? Wann kam der Moment, in dem ihr Glück aufgebraucht war? Er wagte keine Prognose. Von Anfang an hatte er diesen Auftrag nicht gut gefunden, doch Auftrag war nun mal Auftrag. Und er war niemand, der sich seinem Vorgesetzten allzu sehr widersetzte. Gut. Er hatte seine Eigenheiten, doch das was Perser verlangte war irgendwo in ihm immer noch Gesetz. Zehn Jahre spielte er jetzt den Laufburschen. Er schnaufte erneut. Diesen Gedanken würde er jetzt nicht weiter ausführen. Er würde sich nur unnötig in Rage bringen. Ein entkräftetes Stöhnen und das Geräusch eines fallenden Körpers auf dem Sofa ließ ihn herumfahren. Yoji lag schlapp auf dem Polster und hatte die Augen geschlossen. Aya trat auf ihn zu. Er wollte kontrollieren, ob er es jetzt noch mit einem Ohnmächtigen zu tun bekam. Kurz vor dem Sofa öffnete Yoji ein Auge und schnaufte. „Mir tut alles weh!“, jammerte er und schloss gequält seine Augen. Aya nickte. Keine Ohnmacht. Ken half Omi die Stufen in die Wohnung hinauf und auch Aya wandte sich ab. Ohne ein weiteres Wort half er Omi bis zum oberen Flur und lief dann weiter um in sein Zimmer zu kommen. Mit dem Rücken drückte er die Tür ins Schloss und atmete tief durch. Er war in seinem Zimmer. Er war allein. Nach weiteren Atemzügen stieß er sich von der Tür ab und trat an seinen Schreibtisch heran. Er legte seinen Mantel ab und warf ihn über die Lehne seines Stuhls. Sein Blick blieb an dem Bild seiner Schwester hängen. Sie lag auf ihrem Krankenbett und mit schwarzem Edding war das Datum auf das Hochglanzbild geschrieben. Noch immer durchlief ihn ein kalter Schauer, wenn er an diesen Tag zurück dachte. Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Während Aya auf die Tür zuschritt zog er sich die Handschuhe von den Fingern und warf sie auf seinen Couchtisch. Er öffnete die Tür und blickte in Yojis Gesicht. Sein zweiter Blick galt dem Zigarettenstummel zwischen seinen Lippen. „Damit kommst du aber nicht hier rein!“, bestimmte Aya und Yoji schnaufte amüsiert. Hinter seinem Rücken holte er einen gläsernen Aschenbecher hervor und drückte die Kippe in ihm aus, bis kein Rauch mehr aufstieg. „Besser?“, fragte er mit einem seichten Ton und Aya nickte, ehe er zur Seite trat und Yoji in sein Zimmer ließ. Er schloss die Tür und beobachtete Yoji, wie er zielstrebig auf seinen Schreibtisch zutrat. Nun zog er seinen Mantel aus und warf ihn auf Ayas auf dem Stuhl. Aya fiel auf, wie sicher und fast gewohnt Yoji sich in diesem Zimmer bewegte. Als wäre es Routine öffnete Yoji das Fenster ein wenig und lehnte sich am Fensterbrett an. „Warum tust du dir das an, Ran?“ Yojis Stimme war warm und nur ein Flüstern, doch es reichte um ihm neue Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Er wusste, was er meinte. Das Bild seiner Schwester. „Ich weiß nicht“, gestand er wahrheitsgemäß. Nachdenklich strich er sich mit einer Hand über den Mund und die Wangen. „Vielleicht bin ich ja ein wenig masochistisch veranlagt?!“ Der Scherz ging in seiner ungewollt melancholischen Stimme unter und Yoji schnaufte. Er stieß sich vom Fenster ab und kam auf ihn zu. „Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Es hat sich nichts geändert. Ich bin für dich da, Ran. Wenn du etwas brauchst, bin ich für dich da“ Er nickte. Yojis Versprechen ließ ihn schmunzeln. „Wenn ich etwas brauche?“, fragte er lauernd und das schallende Lachen an seinem Ohr war ihm bereits eine Antwort. „Hey! Du warst es der an diesem Tag mit dem Alkohol begonnen hast!“, mahnte Yoji ihn und deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung des Schreibtisches. Ayas Laune sank sofort wieder. Es stimmte. An diesem Tag hatte er das erste Mal Alkohol zu sich genommen. In rauen Mengen. „Du hättest es ja nicht ausnutzen müssen“, stichelte er. Yojis Kichern erstarb und sein Mund blieb offen stehen. „Das hältst du mir jetzt aber nicht immer vor, oder?“, japste er. „Schließlich gab es auch Nächte, an denen du zu mir gekommen bist. Ohne Alkohol, wenn ich das mal bemerken darf!“ Er senkte den Kopf um sein dreckiger werdendes Lächeln zu verbergen. Die Erinnerungen an diese Nächte kamen ihm in den Sinn. Vor genau einem Jahr hatte es begonnen. Was auch immer das war. Schon vor Monaten war es immer weniger geworden, doch ihre Verbundenheit blieb. „Schon komisch, oder?“, gab er seinen Gedanken eine Stimme und spürte, wie Yoji sich neben ihn an die Tür lehnte. Er gab nur ein zustimmendes Brummen von sich. „Ich habe dafür gesorgt, dass du morgen frei hast“, murmelte Yoji nebensächlich an sein Ohr und Aya sah zu ihm auf. Seine Augen verengten sich. „Behandele mich ja nicht wie ein rohes Ei!“, drohte er und stieß sich von der Tür ab, um Yoji ins Gesicht blicken zu können. „Morgen ist ein ganz normaler Tag! Punkt und Ende!“, knurrte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ist es nicht und das weißt du“, gab Yoji kühl zurück und stemmte sich von der Tür ab und trat an Aya vorbei an den Schreibtisch. „Es ist ihr erster Jahrestag. Da kann nichts normal sein. Und wenn doch … “ Er hielt inne und blickte Aya ernst über die Schulter an. Was sollte ihm dieser schmerzvolle Blick alles sagen? „Dann bist du kein Mensch mehr“, kam die Erklärung schneller, als er denken konnte. Sie drohte ihm die Füße wegzuziehen. Sein Atem wurde schwer und sein Blick sank auf den Boden. „Mein Angebot steht. Wenn etwas ist … Ich bin für dich da, Ran“ Wieder drängte sich diese verständnisvolle Stimme an sein Ohr, doch mehr als ein Nicken kam nicht über ihn. Er hörte, wie Yoji seinen Mantel nahm und an ihm vorbei das Zimmer verließ. Etliche Minuten stand er einfach unbeweglich da und dachte über die letzten Worte nach. Es gab jemanden, der ihm Hilfe anbot und ihm die Hand reichte. Ein schweres seufzten ging durch seine Kehle, als er überlegte, wie oft er diese Hilfe schon ausgeschlagen hatte. Seine Wangen begannen zu prickeln, als er weiter dachte und sich erinnerte, wie oft diese Hilfe in eine wilde Nacht übergegangen war. Bestimmt schüttelte er den Kopf um sich zu konzentrieren. Er nahm sich seine Schlafsachen und ging ins Bad um sich zu duschen und seine Wunde zu versorgen. Langsam glitten seine Gedanken zu seinem Auftrag zurück. Datenbeschaffung. Nichts, was sie nicht schon tausendfach gemacht hätten. Das Schema war immer das gleiche. Unauffällig rein, zur Not mit Tarnung. Omi an den Rechner schleusen. Wache stehen. Unauffällig wieder weg. Keine Spuren hinterlassen galt dabei wohl als schwerste Übung. Doch heute war es anders gewesen. Er rollte die Augen und schüttelte den Kopf, während er die Wundränder säuberte. Das Blut sickerte nur noch leicht aus der Wunde. Ein dicker Verband würde in dieser Nacht genügen und morgen wäre es schon fast wieder vergessen. Das Hämatom um die Wunde würde da wohl um einiges länger schmerzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto misstrauischer wurde er. Sie hatten seit gut einem halben Jahr keine großen Aufträge mehr und diese kleinen Missionen wurden auch weniger. Langsam drängte sich der Gedanke in ihm hoch, dass man sie vielleicht ausrangieren wollte. Es war ihm bewusst, dass sie nicht mehr die Jüngsten waren, mal von Omi abgesehen. Doch sie machten ihre Sache noch immer gut. Er blickte die Wunde durch den Badezimmerspiegel an und schnaufte. „Ok. Heute vielleicht nicht“, bestätigte er missmutig seinen Gedanken. Er zog das Shirt über und ging in sein Zimmer. Nur Augenblicke später ließ er sich erschöpft auf das Bett fallen. Er grub die Arme unter das Kissen und presste sein Gesicht hinein um den Duft tief in seine Lunge zu ziehen. Er hatte sein Bett vor der Mission frisch bezogen. Nun betörte ihn diese Mischung aus dem Weichspüler, seinem Kleiderschrank und einem ganze eigenen Geruch. Er konnte es nicht genau bestimmen und legte es unter dem typischen Geruch eines frisch bezogenen Bettes ab. Er liebte diesen Geruch. Schon in seiner Kindheit hatten die Kissen nach dem Wäschewechsel genauso gerochen. Träge hob er seinen Blick aus dem Kissen und sah auf seinen Schreibtisch. Seine Gedanken hefteten sich an seine kleine Schwester. Oft hatten sie gestritten, wegen dieses Duftes. Sie konnte ihn nicht leiden. Ihr war es lieber, das Bett roch nach ihr, als nach diesem, wie sie es nannte: „Schubladengeruch“. Erneut vergrub er seine Nase in dem Kissen und begann dem fliehenden Duft bereits jetzt nachzutrauern. Morgen früh würde sein Bett schon nicht mehr so riechen. Für andere mochte es abstrus klingen, doch für ihn war es ein Halt in seinem Leben. Ein Anker, der ihn vor dem Wahnsinn schützen sollte, den er so oft hatte sehen müssen. Rüde unterbrach er seine Gedanken und zog die Decke über seine Schultern. Er würde jetzt schlafen. Zur Not würde er sich auch zwingen. Sein Körper brauchte Ruhe. Der morgige Tag würde ihn genug abverlangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)