Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 7: Eine Geschichte über Überraschungen ---------------------------------------------- 24. September Wenn wir Menschen uns einmal eine Meinung über jemanden gebildet haben, ist man sich sicher nicht mehr überrascht werden zu können. Dass man genau weiß, wie welche Person in welcher Situation reagieren wird. Desto fester wir von etwas überzeugt sind, umso stärker trifft es uns, wenn wir dann doch falsch liegen. Kleine Abweichungen sind zu verschmerzen, aber ein Verhalten, dass absolut nicht in die Richtung passt, die wir uns eingebildet haben, lässt einen doch kurz an sich und seinen Menschenkenntnissen zweifeln. So wie mich gerade. Aber von Anfang an: Nachdem ich mit dem Aufzug wieder ins Erdgeschoss gefahren war, hatte Ino sich natürlich längst aus dem Staub gemacht und war irgendwo zwischen ihren Partygästen untergetaucht. Ich weiß nicht, was jetzt aus ihrem Versuch geworden war Sai anzurufen, das war mir ehrlich gesagt aber auch sehr gleichgültig, weil ich sauer auf sie war - und noch bin. Ich gab es auf jeden Fall recht schnell auf sie zu suchen und ging lieber zur U-Bahn um heim zufahren, bevor noch jemand Unschuldiges meine Wut zu spüren bekam. Außerdem hatte sich meine Begeisterung von Anfang an in Grenzen gehalten und war nun vollkommen verpufft. So gesehen, hätte ich ihr für diese Aktion also fast danken müssen - aber ich würde einen Teufel tun und ihr dafür auch noch danken. Der Nachhauseweg verlief bis auf einen Betrunkenen, der sich nur einen Meter vor meinen Füßen plötzlich übergab, ereignislos. Ich musste nicht lange auf meinen Anschluss warten, meine Schuhe drückten noch nicht und als ich endlich in mein Wohnhaus kam und vor den Aufzügen stand, war meine Wut auf ein normales Minimum geschrumpft. Ich fuhr nach oben und konnte die weiche Matratze unter meinem Körper schon fühlen. Freute ich mich auf das Bett. Blöd nur, dass ich beim Aussteigen mit meinem Absatz in der Türschiene stecken blieb. Frustriert zog ich mein Bein nach oben, aber es half nichts, er hatte sich komplett verkeilt. Danach versuchte ich es mithilfe meiner Hände, die ich fest um meine Wade geschlossen hatte, den Fuß samt Schuh herauszuziehen. Natürlich ebenfalls ohne den gewünschten Erfolg. Wie sollte es auch anders sein? Der Weg hierher war zu glücklich verlaufen. Also ließ ich von mir ab, kniete mich so gut es ging hin und öffnete die Schlaufe meines Schuhs, um herausschlüpfen zu können. Ich drehte mich mit dem Rücken zum Gang, nach wie vor auf meinen Knien, und zog endlich dieses blöde Teil heraus. Zufrieden ließ ich mich nach hinten fallen und schloss für einen Moment meine Augen, unentschlossen ob ich aus Frust heulen oder vor Erleichterung, dass ich den Hausmeister wegen so einer Lappalie nicht rufen musste, lachen sollte. Diese Überlegung wurde mir aber durch eine unschöne Begegnung abgenommen. Es war so, dass vom Treppenhaus her plötzlich Schritte in meine Richtung zu hören gewesen waren, die ich gar nicht wirklich wahrgenommen hatte, weil ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen war. Ich öffnete also seelenruhig meine Augen, beobachtete wie die Türen des Aufzuges sich schlossen und ignorierte die Person. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, ruhig sitzen geblieben zu sein und mich nicht gleich aufgerappelt zu haben. Ich saß noch da, den Schuh in meiner Hand, mein Blick auf die Eisentüren gerichtet und wartete, bis sie sich geschlossen hatten als etwas einen Schatten auf mich warf. Irritiert lehnte ich meinen Kopf in den Nacken und blickte in ein paar dunkelblauer, wütender Augen. Der Mann, zu denen sie gehörten, war sicher schon um die siebzig und sein zu großes Hemd und die abgetragenen Jogginghose hatten auch schon bessere Tage gesehen. »Ich wusste es. Als ich gesehen habe, in welchem Stock der Aufzug steckt, wusste ich es! Reicht es dir nicht schon, wenn du mich jede Nacht mit deinem Getrampel wach hältst? Oh nein, das vornehme junge Fräulein muss auch noch den Aufzug blockieren und einen alten, gebrechlichen Mann dazu zwingen die Treppen zu nehmen«, schrie er plötzlich mit wutverzerrtem Gesicht. Im ersten Moment war ich erst einmal vollkommen perplex und die einzige Frage, die sich in meinem Kopf bildete war: Was macht er überhaupt zu so einer Zeit noch (oder schon) wach? Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu erwidern, doch bevor ich überhaupt dazu im Stande war einen Satz zu bilden, blökte er auch schon weiter: »Ich bin zweiundsiebzig Jahre alt! Ich habe diesem Land viel gegeben und jedes Recht darauf nachts meine Ruhe zu haben. Und auch den Aufzug nutzen zu können, ohne dass du ihn wegen irgendwelcher Kleinigkeiten anhältst! Also was fällt dir überhaupt ein?« Was?! Meine Augen weiteten sich und ich versuchte verzweifelt mich daran zu erinnern, woher ich diesen Mann überhaupt kannte. Was fiel ihm eigentlich ein so mit mir zu reden?! Damit war die Starre, in der ich mich zunächst befunden hatte, gebrochen und ich sprang auf, drehte mich um und versuchte erneut etwas zu sagen. Dieses Mal kam mir allerdings jemand anderer dazwischen. Ich hatte gar nicht mitbekommen wie sich seine Wohnungstür geöffnet hatte und starrte umso irritierter in sein Gesicht als er plötzlich hinter diesem alten Vollidioten auftauchte. »Es ist drei Uhr morgens. Und Sie sind hier momentan der einzige, bei dem ich mich frage, was Ihnen einfällt.« Sasukes wütende Stimme ließ eine Gänsehaut auf meinen Armen erscheinen und ich war mir in diesem Augenblick sehr sicher ihn niemals, auf gar keinen Fall wütend machen zu wollen. Der Mann drehte sich abrupt um, bereit den Neuankömmling genauso zusammenzustauchen wie mich, hielt aber mitten in der Bewegung inne als er Sasukes genervte Miene sah. »Ich denke Sie sollten wieder in Ihre Wohnung gehen.« »Mir fällt gar nicht ein, warum ich ...« »Weil ich gerne schlafen würde.« Sasukes Stimme war schneidend und meine Gänsehaut wurde noch intensiver. Die beiden Männer fochten einen stillen Kampf mit ihren Augen aus. Nach einigen Momenten hob Sasuke spöttisch eine Augenbraue, die Arme verschränkte er vor seiner Brust und ich konnte richtig sehen wie die Schultern das Mannes nach unten sackten. Er murmelte etwas vor sich hin und ging dann mit schnellen Schritten (von wegen alter, gebrechlicher Mann) an Sasuke vorbei. Aber nicht, ohne uns noch einen wütenden Blick zuzuwerfen. »Sympathischer Mann«, flüsterte ich ironisch und sah ihm hinterher, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf Sasuke lenkte. Mir lag ein 'Danke' auf den Lippen, aber die Tatsache, dass ich selbst so kläglich an meiner eigenen Verteidigung gescheitert war, ließ mich zögern. Etwas, das Sasuke sicher nicht entgangen sein konnte, doch er ignorierte es seltsamerweise. »Er hat übrigens für deine Abmahnung gesorgt«, sagte er stattdessen wie aus dem Nichts und drehte sich plötzlich weg, um zurück in seine Wohnung zu gehen. Ich blinzelte ein paar Mal perplex und fragte mich woher er das wissen konnte. Also öffnete ich meinen Mund, um diese Frage auszusprechen, aber stattdessen kam das längst überfällige: »Danke« heraus. »Hn. Gute Nacht.« Und damit ging er in seine Wohnung hinein und schloss die Tür hinter sich. An dieser Stelle muss ich sagen, es ist für mich immer ein komisches Gefühl, wenn mich jemand positiv überrascht. Auf der einen Seite freut es mich, dass er oder sie vielleicht doch nicht so ein Arsch ist, allerdings heißt es natürlich auch, dass meine Menschenkenntnis, auf die ich ja eigentlich recht stolz bin, versagt hat - zumindest ein bisschen. Und das ist für mich furchtbar frustrierend, weil ich es nicht gewohnt bin unrecht zu haben. Darüber kann ich mir aber die halbe Nacht noch Gedanken machen. Momentan stehe ich einfach nur wie der größte Vollpfosten im Gang und starre dümmlich auf die geschlossene Wohnungstür. Ich meine, was fällt ihm auch ein mir erst so zur Seite zu stehen und dann einfach zu verschwinden? Er ist nicht Batman, verdammt noch mal! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)