Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 5: Eine Geschichte über Treppenhäuser --------------------------------------------- 14. September Sehr geehrte Frau Haruno, uns haben wiederholt Beschwerden wegen Lärmbelästigung erreicht, die uns leider dazu zwingen, Ihnen eine schriftliche Abmahnung zu erteilen. Bitte achten Sie in Zukunft darauf, dass Sie eine angemessene Lautstärke einhalten und beachten Sie auch die Ruhezeit, die ab 22 Uhr beginnt. Gegen diese Abmahnung können Sie innerhalb der nächsten 30 Tage Revision einlegen. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag, Ihre Vermieter Was für ein pseudo-förmlicher Text. Mehr fällt mir im ersten Moment nicht ein, während ich diesen Brief wieder und wieder lese. Ungläubig starre ich auf das Stück Papier in meiner Hand und versuche zu verarbeiten, was es damit auf sich hat. Ich lebe bereits seit über drei Jahren in diesem Wohnhaus und noch nie – wirklich noch nie! – hat sich jemand wegen meines angeblichen Lärmpegels bei den Vermietern beschwert. Wütend verpasse ich der kleinen Eisentür einen kräftigen Stoß und schließe damit lautstark meinen Briefkasten. Ich mache auf dem Absatz kehrt, marschiere zurück zu den Aufzügen und drücke ungefähr sechsmal auf den Knopf mit dem Pfeilsymbol nach oben. Natürlich lässt er sich genau heute mal wieder viel zu viel Zeit, was meiner Stimmung nicht zutuend ist. Blödes Mistding! Ungeduldig mit den Fußballen auf- und abwippend denke ich nach wie vor fieberhaft darüber nach, wer sich mit einer solch dreisten Lüge an die Vermieter gewandt haben könnte. Ich ging bisher immer davon aus, ich sei eine ruhige, höfliche Nachbarin, zu der man auf jeden Fall kommen kann, wenn einem etwas nicht passt. Scheint ja nicht so zu sein. Gleichzeitig überlege ich mir, was ich in die Antwort auf die Abmahnung schreiben könnte, um ihnen klar zu machen, wie ungerechtfertigt es ist, diese ohne genauere Nachforschungen auszusprechen. Sie können sich nicht informiert haben, sonst wüssten sie, dass ich mich nicht zu laut verhalte. Wie denn auch? Weder feiere ich großartig Partys zuhause, noch habe ich einen Freund oder Mitbewohner, mit dem ich mich streiten könnte. Die meiste Zeit bin ich nicht einmal in meiner Wohnung. Gut, Ino kommt hin und wieder vorbei, aber meistens schleppt sie mich ins nächste Café oder die neuste Bar, weshalb sie auch kein Grund sein kann. Zudem gehöre ich sicher nicht zu den Leuten, die gerne viel und laut Musik hören, noch mitten in der Nacht einen Horrorfilm auf voller Lautstärke anschauen. Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich die Stimmen hinter mir gar nicht mitbekomme, bis mir auf die Schulter getippt wird. Erschrocken fahre ich zusammen, bereit den Störenfried meine Meinung zu geigen – ich bin heute nicht gut drauf – als ich erkenne, dass es Naruto ist, der mich gut gelaunt angrinst. Wahrscheinlich hätte ich ihn dennoch rund gemacht, aber die junge Frau mit den hellen Augen und den dunklen, langen Haaren neben ihm zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und ich vergesse für einen Moment, dass ich eigentlich wütend bin. »Sakura, na wie gehts?« Ernsthaft? Diese Frage? Jetzt?! Naruto muss bemerken, dass es vielleicht ein schlechter Zeitpunkt ist, mich nach meinem Gemütszustand zu fragen, weshalb er mich lieber schnell seiner Begleiterin vorstellt. »F-freut mich. Ich bin Hinata Hyuuga.« Sie verneigt sich höflich vor mir. Mit ein paar Sekunden Verzögerung tue ich es ihr gleich und lächle sie anschließend höflich an. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du eine Freundin hast.« Hinatas Augen weiten sich und ihr Gesicht nimmt einen ungesunden Rotton an, während Naruto den Mund öffnet, wieder schließt und anschließend mit seinen Händen vor meinem Gesicht herumfuchtelt. »Was? Nein, wir sind nicht zusammen. Ha ha, nicht wahr Hinata?« Sie nickt eifrig, sagt aber nichts weiter. Gut, das wäre dann fast so unangenehm wie die Aufzugfahrt mit Sasuke vor zwei Tagen. Ich überlege fieberhaft, wie ich aus diesem Fettnäpfchen wieder heraus komme, aber mir fällt beim besten Willen nichts ein. Also stehen wir drei hier und warten. Der Aufzug, dessen Erscheinen meine Rettung bedeuten würde, kommt leider nicht und die Zeit schreitet unheimlich langsam voran. Naruto räuspert sich schließlich. »Ähm ... war schön dich zu sehen, aber wir müssen ... na ja ... auf jeden Fall weiter.« Sie verabschieden sich und gehen in Richtung Treppenhaus. Ungläubig starre ich ihnen hinterher und frage mich, warum sie nicht einfach warten bis der Aufzug kommt, selbst wenn er heute mal wieder etwas länger braucht. Ich meine, wer läuft bitte freiwillig sieben Stockwerke? (Ich kann mir kaum vorstellen, dass noch ein Freund von ihnen hier wohnt außer Sasuke.) Sasuke ... ich halte das Blatt vor meine Nase und ein unguter Verdacht breitet sich in meinem Inneren aus. Ohne weiter darüber nachzudenken, eile ich den beiden hinterher. Wieso bin ich nicht gleich auf den Gedanken gekommen? Ich kann sein Verhalten schließlich null einschätzen – habe mir aber natürlich längst eine Meinung über ihn gebildet. Er ist zwar unfreundlich, ein wenig Angst einflößend und kein sonderlich großer Menschenfreund, aber ich weiß nicht, ob er Nachbarn wegen Nichtigkeiten beim Vermieter anzeigen würde – und hierbei handelt es sich eindeutig um eine Nichtigkeit! »Wartet mal!» Naruto und Hinata sind bereits den ersten Absatz nach oben gegangen und drehen sich zu mir um. Ich nehme jeweils zwei Stufen auf einmal und komme mir selten dämlich vor, weil mir plötzlich klar wird, dass ich nicht einfach so mit der Tür ins Haus fallen kann. »Meine Vermieter haben mich abgemahnt.« An den verwirrten Gesichtsausdrücken sehe ich deutlich, wie unglaublich dumm dieser Gesprächseinstieg war. »Das wurde ich auch schon ein paar Mal«, sagt Naruto lachend, nachdem er sich wieder gefangen hat und klopft mir mitfühlend auf die Schulter. Wieso verwundert mich das jetzt nicht? Wir laufen weiter, während ich Hinata den Brief gebe, damit sie ihn durchlesen kann, und mich bei Naruto beschwere. Bei meiner Aussage, ich habe noch nie in meinem Leben eine Verwarnung, Abmahnung oder dergleichen erhalten, hebt er seinen Fuß nicht hoch genug und bleibt an einer Stufe hängen. In diesem Moment fällt mir auf, dass wir schon im zweiten Stock sind und ich, ohne es zu merken, mit den beiden das Treppenhaus benutze. Kein Wunder also, dass es von Stufe zu Stufe schwerer wird, Luft zu bekommen und meine Beine langsam anfangen schwer zu werden. Dämliche Kurzschlussreaktionen. »Und weißt du wer dich angeschwärzt hat?« Ich überlege kurz, ihn zu fragen, ob er es für möglich hält, dass Sasuke derjenige sein könnte. Entscheide mich aber schließlich dagegen und hoffe, eine andere Gelegenheit zu erhalten, um das herauszufinden. »Leider nicht. Könnte jeder gewesen sein.« Das klingt doch nach einer unverfänglichen Antwort. »Mhh. Ich kenne deine Nachbarn ja nicht. Was ich dir aber garantieren kann, ist, dass Sasuke viel zu wenig Interesse an seiner Umgebung hat, um ich wegen Kleinigkeiten beim Vermieter zu beschweren. Vielleicht weist er dich auf seine unnachahmlich, emphatisch charmante Art irgendwann darauf hin, wenn ihr euch zufällig vor dem Aufzug oder im Gang begegnet, solltest du ihn wirklich mal gestört haben. Aber das ist dann schon alles.« Schön, dass er direkt auf Sasuke eingeht, ohne dass ich ihn ansprechen muss. Naruto grinst mich wieder an, aber sein Gesicht zeigt deutlich, wie anstrengend er den Weg nach oben findet. Warum laufen sie dann überhaupt? Selbst schwer atmend nicke ich ihm zu und danke ihm innerlich für diesen kleinen Hinweis. Meinen Verdacht konnte er damit allerdings noch nicht ganz vertreiben. »Du könntest doch unter dem Vorwand, dich bei dem Melder entschuldigen zu wollen oder so, deine Nachbarn mal fragen. Vielleicht erfährst du ja dann, wer es war und worum es genau ging.« Nüchtern betrachtet ist das vielleicht gar keine so schlechte Idee. Allerdings sehe ich es nicht ein, mich für etwas zu entschuldigen, dass ich nicht getan habe. Mit sichtlicher Anstrengung gelangen wir schließlich in den fünften Stock. Ich kann nicht mehr länger laufen und frage mich, ob es alle sauberen Akten der Welt wert sind, mir diese Strecke weiter anzutun. Ich weiß nicht, ob ich die letzten beiden Stockwerke noch schaffen werde. »K-könnten wir ... kurz an-anhalten.« Ich dreh mich um und sehe, wie Hinata sich verkrampft am Geländer festhält. »Oh ja«, bringe ich zwischen zwei tiefen Atemzügen heraus und lehne mich gegen das Eisen der Stäbe. Schnell hebt und senkt sich mein Brustkorb und ich bemerke kaum, wie Naruto sich neben mir auf die Stufen fallen lässt. »Wäre nach dem zweiten Stock auch schon okay gewesen«, beschwert er sich bei niemand bestimmten. Wir müssen ein furchtbares Häufchen Elend abgeben, wie wir so dasitzen oder schlapp über dem Geländer hängen und verzweifelt nach Luft schnappen. Sterne tanzen vor meinen Augen und ich frage mich, seit wann ich so eine schlechte Kondition habe? Es ist nicht so, als ob ich regelmäßig an Marathonläufen teilnehme, aber unsportlich bin ich auch wieder nicht. »W-wieso seid ihr nicht einfach hochgefahren?« Hätte ich genügend Luft zur Verfügung, würde ich ihnen eine kleine Standpauke über unsere momentane Situation halten – und den Fakt ignorieren, dass ich an meinem Elend selbst schuld bin. Aber das schaffe ich jetzt beim besten Willen nicht. Es ist schrecklich warm in diesem engen Turm von einem Treppenhaus und ich weiß schon, warum ich ihn sonst meide. Die Luft steht und es riecht nach einer Mischung aus altem Fisch und benutzten Turnschuhen. »Hinata fährt nicht mit Aufzügen und sie hat mir zwar angeboten, allein hoch zu laufen, aber sowas mach ich nicht.« Ich werfe Hinata einen Blick zu und sehe, wie ihre vor Anstrengung geröteten Wangen noch einen Ton dunkler werden. »Wieso fährst du denn nicht mit dem Aufzug?«, frage ich, langsam wieder in der Lage eine halbwegs normale Atemfrequenz vorweisen zu können. »I-ich bin mal stecken geblieben.« Was noch lange kein Grund ist, andere dazu zu nötigen Treppen zu laufen. Den Gedanken behalte ich allerdings lieber für mich und nicke einfach. Naruto regt sich neben mir und stemmt sich mühevoll nach oben. Er fährt sich durch seine blonden Haare, atmet noch einmal tief durch und schaut uns abwartend an. »Dann wollen wir mal.« Mein Blick wandert zur Glastür ein paar Stufen über mir, die in den Flur des fünften Stocks führt, und ich überlege kurz, mich hier einfach zu verabschieden. Aber der Stolz weigert sich, den einfachen Weg zu nehmen, weshalb ich mich am Geländer hochziehe und mich aufrecht hinstelle. Wir müssen auf unserem Weg nach oben ausschauen wie die sieben Zwerge – nur eben zu dritt – so wie wir im Entenschritt hintereinander herlaufen. Ich merke, dass die Sauerstoffunterversorgung meiner Beine bereits auf dem Weg in die nächste Ebene wieder kommt und kann wirklich nicht sagen wie, aber am Ende schaffen wir es doch tatsächlich durch die Tür des siebten Stocks und lassen dieses furchtbare Treppenhaus endlich hinter uns. »Also«, beginne ich, bereits auf dem Weg zu meiner Wohnungstür. Man soll angeblich immer in Bewegung bleiben, wenn man nicht mehr kann. »Wir sehen uns.« »Viel Erfolg!«, ruft Naruto mir hinterher und Hinatas Stimme folgt mit einem freundliche 'auf Wiedersehen'. Ich hebe nur kurz meine Hand, um zu zeigen, dass ich sie verstanden habe und laufe weiter. Das Türaufschließen dauert eine gefühlte Ewigkeit und als ich mich endlich in den schmalen Gang meiner Wohnung schiebe, lasse ich einfach die Abmahnung auf den Boden fallen, streife schwerfällig meine Schuhe von den Füßen und laufe ins Wohnzimmer. Völlig erschöpft lasse ich mich auf mein Sofa fallen und muss erst einmal die Augen schließen. An dieser Stelle bleibt mir wirklich nur noch zu sagen: wer auch immer Treppenhäuser erfunden hat, gehört gelyncht. Meine Waden ziehen, die Oberschenkel schmerzen und jeder Atemzug tut schlicht und ergreifend nur noch weh. So etwas wäre mir in einem Aufzug sicher nicht passiert! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)