Kleine Augenblicke von Goetterspeise (Eine Geschichte über Aufzüge) ================================================================================ Kapitel 2: Eine Geschichte über Nachbarn ---------------------------------------- 02. September Naruto begegnet mir bis heute noch zwei Mal im Aufzug. Zum Glück nicht in einer so peinlichen Situation, wie bei unserem ersten Aufeinandertreffen. Aber solche Momente sind im Leben wohl sowieso eher einzigartig. Durch diese Begegnungen kamen wir ein wenig mehr ins Gespräch und ich stellte fest, dass er lustig, immer gut gelaunt und sehr unterhaltungsfreudig ist. Außerdem hat er ein Faible für schlechte Witze, über die nur er lachen kann. Aber genau das macht ihn für mich noch sympathischer, weshalb ich angefangen habe ihn irgendwie ganz gern zu haben. Als ich schließlich an diesem Abend nachhause komme, steht er mit einer anderen Person vor dem Fahrstuhl und redet angeregt auf ihn ein, während sie warten. Wer dieser schwarzhaarige Mann ist, weiß ich nicht, aber das ist ein Detail, das ich wahrscheinlich gleich herausfinden werde. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass es sich hierbei nur um meinen ominösen Nachbarn handeln kann, den ich bisher noch kein einziges Mal gesehen habe. Einmal hörte ich die Tür zugehen als ich gerade aus dem Fahrstuhl stieg, aber das war auch schon der einzige Beweis dafür, dass dort wirklich jemand lebt. Schließlich ist er nicht laut, hat keine große Einweihungsparty geschmissen oder – wie der Vormieter beim Auszug – seine Kartons mitten in den Flur gestellt, sodass man einen Art Hindernis- und Hürdenlauf hinter sich bringen musste, wenn man aus dem Haus wollte. Also kann ich nicht einschätzen, was mich erwarten wird. So weiß ich nur, dass er der beste Freund von Naruto ist. Und das müsste bedeuten, er ist nett. Oder? »Hey ihr«, sage ich, als ich mich neben Naruto stelle. Dieser dreht sich grinsend zu mir um und erwidert die Begrüßung. Meine Aufmerksamkeit ist allerdings auf die zweite Person gerichtet. Ich weiß nicht, wie ich ihn beschreiben soll, aber alles in allem ist er einfach nur verdammt heiß. Ino würde in begeistertes Gequietsche ausbrechen, wenn sie ihn jetzt sehen könnte. Nur seine Haut ist meiner Meinung nach ein wenig zu weiß – als würde er den ganzen Tag in seiner Wohnung verbringen. Und seine dunklen Augen wirken nicht annähernd so freundlich, wie die von Naruto. Ehrlich gesagt lässt sich gar keine Sympathie in ihnen finden und ich muss wegschauen, weil mir der Blickkontakt furchtbar unangenehm wird. »Darf ich dir meinen besten Freund vorstellen?« Naruto scheint das alles überhaupt nicht mitbekommen zu haben - aber das ist immerhin der Beweis für meine Vermutung. Nur nach diesem kurzen Blick bin ich mir sehr unsicher, was ich von ihm halten soll. Er wirkt so … kalt. So ganz anders als Naruto. Wie sein Gegenteil. Was für ein klischeehafter Gedanke. »Freut mich. Ich bin Sakura Haruno.« Ich deute eine Verneigung an, die er mit einem knappen Nicken kommentiert und ich weiß irgendwie, dass es schwieriger ist, sich mit ihm anzufreunden als mit Naruto. Fraglich ist aber natürlich auch, ob ich das überhaupt möchte, nachdem er so abweisend zu mir ist. Und wer ist in einer Großstadt schon mit seinen Nachbarn befreundet? Das mit Naruto war ein reiner Zufall innerhalb eines Aufzuges. Wären wir dort nicht ineinander geknallt, hätte ich ihn wohl heute nicht einmal wirklich gegrüßt, geschweige denn sie überhaupt angeschaut. Ich meine, ich bin ja schon froh, wenn ich die Gesichter der Bewohner meines Stockwerkes kenne und mir sicher sein kann, dass sie zurecht hier sind, aber mehr ist da meistens wirklich nicht. Von Gesprächen in Fahrstühlen mal abgesehen. »Wo kommst du denn her?« Naruto unterbricht meinen Gedankengang mit seiner Frage und mustert mich viel zu offensichtlich. Ich werde rot und schaue an mir herab. Zu weiter, grauer Pulli und dazu eine farblich passende Jogginghose. Meine Haare dürften im Moment auch nicht sonderlich zurecht gemacht aussehen, weil ich sie nach meiner Schicht nur schnell zusammengebunden habe. Und meine Umhängetasche, in der lose Lernunterlagen stecken, hat sicher auch schon bessere Tage gesehen. »Ich bin die letzten zwölf Stunden Rettungsdienst gefahren.« Bei diesen Worten streiche ich mir verlegen eine lose Strähne hinters Ohr, weil jeder immer auf die gleiche Weise darauf reagiert. Drei, zwei, eins … »Krass! Du fährst Rettungsdienst? Finde ich total cool, dass es solche Menschen gibt. Für mich wäre das Blut und sowas absolut nichts. Will mir gar nicht vorstellen einen Toten zu sehen.« Tada. Genau davon habe ich gesprochen. Wirklich alle antworten so. Was auf der einen Seite ganz schön ist, da zumindest diese Personen einen nicht beleidigen, aber peinlich ist es trotzdem irgendwie. Gerade auch, weil meine Beweggründe nur bedingt lobenswert sind. In erster Linie brauche ich schlicht und ergreifend das Geld. Eine Wohnung außerhalb des Wohnheims zu mieten ist teuer und die Gebühren für das Studium sind auch nicht gerade gering. »Da ich Medizin studiere wäre das ziemlich ungünstig, wenn ich kein Blut sehen könnte.« Womit wir den zweiten Grund hätten. Natürlich will ich Menschen helfen (Klischeesatz Nummer eins aller Medizinstudenten), aber Rettungsdienst ist einfach für Erfahrungen gut. Vor allem, da man im Studium bei weitem nicht so viel Praxis sammelt wie man bräuchte. Die ersten zwei Studienjahre sind absolut sinnlos, weil einem gefühlt gar nichts über Medizin beigebracht wird. Was ich zum Glück hinter mir habe. »Alter!« Narutos Augen weiten sich und seine Kinnlade kippt nach unten, während er mich anstarrt. Vielleicht hätte ich das bei den letzten Malen schon mit einfließen lassen sollen. »Naruto.« Ich kenne diese Stimme nicht, aber sie ist rau, monoton und sehr tief. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper. Ich weiß, dass es Sasuke ist, der Naruto gerade aus seiner Starre geholt hat und schaue wieder zu meinem Nachbarn. Dieser steht mittlerweile auf der Schwelle des Aufzuges und wartet ungeduldig darauf, dass wir mit einsteigen. Das künstliche Licht der schwachen Neonröhre leuchtet von hinten auf ihn, wodurch er mir ein wenig unheimlich wird. Dieser Kontrast von schwarzen Haaren und Augen zu heller Haut hat etwas Eigenwilliges. »Ah, sorry, Sasuke.« Ich folge Naruto kopfschüttelnd und finde mich schließlich zwischen ihnen wieder. Der Raum ist einfach zu klein für drei Personen, weshalb wir ungewollt auf Kuschelkurs gehen und ich wünsche mir, ganz schnell oben anzukommen. Wir reden nicht länger miteinander. Vor allem deshalb, weil ich höre, wie Naruto eifrig auf seinem Smartphone herumtippt und er der einzige von uns ist, der dazu in der Lage wäre, ein Gespräch in Gang zu bringen. Was soll ich einen Menschen fragen, der sich ganz offensichtlich nicht im Geringsten für andere interessiert? Und was soll mich auch schon an ihm interessieren? Man grüßt sich höflich im Gang, hält einem die Türen auf und beschwert sich, wenn aus der Wohnung laute Stimmen oder Musik kommen. Mehr auch nicht. Mit einem Surren kommt der Aufzug schließlich zum Stehen und wir steigen nacheinander aus. Wäre Naruto allein, würde ich mich vielleicht noch kurz hinstellen und ein wenig mit ihm reden. Aber Sasuke ist mir suspekt und auch, wenn er wirklich verdammt gut aussieht, will ich nicht länger als nötig in einem Raum – oder demselben Flur – mit ihm sein. »Also, wir sehen uns dann.« Ich winke dämlich zum Abschied. Ich kann Sasuke nicht mehr direkt anschauen, also konzentriere ich mich auf Narutos blaue Augen. »Da bin ich mir sicher.« Er lacht mich an, was ich mit einem schiefen Grinsen erwidere. Ich habe ihn hier drei Mal getroffen und bin mir durchaus bewusst, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein wird. Sasuke dreht sich nur wortlos um und schließt seine Tür auf, bevor er die Wohnung betritt. Er lässt sie offen, damit Naruto ihm folgen kann. »Bis dann.« Und damit ist auch er verschwunden. Ein leiser Knall und ich stehe alleine im Flur. Wie auch immer Naruto jemanden wie Sasuke als besten Freund gewinnen konnte, weiß ich nicht, aber als seine Nachbarin, werde ich hoffentlich nicht so viel mit ihm zu tun haben. Es mag voreilig sein, aber ich glaube kaum, dass er ein geselliger Mensch ist. Darum wird mir in Zukunft ganz sicher ein reines Nachbarverhältnis reichen. Das Problem mit den Nachbarn ist nur, dass du noch so wenig Kontakt haben kannst. Sobald du mit ihnen auf den Aufzug wartest oder darin fährst, kommt es dennoch zu Gesprächen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)