Not with Haste von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 6: Erinnerungen ----------------------- Es war dunkel. Nur ein kümmerlicher Lichtschein ermöglichte es ihm, etwas zu sehen. Yamato musste allerdings auch nicht viel sehen, denn er wusste immer genau, wo er war, wenn das Licht so schwach war. Orochimarus unterirdisches Versteck. „Es ist nicht gerecht“, hörte er eine Jungenstimme sagen. „Du durftest als einziger hier heraus“, sagte eine weitere Stimme - dieses Mal klang es nach einem Mädchen - vorwurfsvoll. „Warum durften wir nicht mitkommen?“ „Tut mir leid“, antwortete Yamato betrübt. „Es tut mir so leid, dass ihr nicht mitkommen konntet.“ Er blickte erschrocken auf die 59 Kinder, die aus der Dunkelheit vor ihm erschienen. „Ich wünschte auch, es wäre anders gewesen.“ „Du hältst dich bestimmt für etwas Besseres“, ertönte eine Stimme aus der Gruppe. „Nur weil du überlebt hast.“ „Nein! Nein! Das stimmt nicht!“, entgegnete Yamato lautstark. „Das müsst ihr mir glauben!“ „Du hast nur Unheil angerichtet! Wir hätten so etwas nicht getan!“ „Unheil?“, fragte Yamato eingeschüchtert nach, doch seine Stimme ging im empörten Lärm der riesigen Gruppe unter. „Du weißt, was wir meinen!“ „Nein, ich ...“ Yamato brach mitten im Satz entsetzt ab, denn die Kinder verwandelten sich in Zetsus. „Bitte nicht“, flüsterte er atemlos. Doch die Zetsus kamen bereits auf ihn zu. „Du bist nicht besser als wir! Du bist einer von uns!“ „Nein! Bitte nicht! Bitte nicht!“, schrie er voller Verzweiflung, als die Zetsus sich auf ihn stürzten.   Plötzlich schlug Yamato die Augen auf. Sein Atem ging schwer und sein Herz schlug so stark, dass es ihm im Kopf dröhnte. Es dauerte einen langen Moment, ehe er sich bewusst wurde, dass dies ein Traum gewesen war. Es brauchte einen weiteren Moment, bis er bemerkte, dass er aufrecht saß, sein Kopf an jemandes Schulter lag und dieser Jemand ihn im Arm hielt. „Bist du endlich wach?“, fragte Kakashi leise und hörbar beunruhigt. „J-ja“, antwortete Yamato mit brüchiger Stimme. „Was …?“ Zu seinem Missfallen löste Kakashi die Umarmung, hielt ihn jedoch weiterhin sanft fest, als würde er umfallen, wenn er dies nicht täte. „Du hattest offensichtlich einen Albtraum. Du hast ziemlich heftig geschrien und gestrampelt und ich habe dich nicht wach bekommen.“ Selbst im eher faden Licht der nächtlichen Wohnung konnte Yamato die Besorgnis im Auge des Älteren erkennen. „Du hast mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt.“ „Entschuldige“, sagte Yamato bedrückt. „Zum hundertsten Mal, Tenzou. Du musst dich dafür nicht entschuldigen.“ Zum hundertsten Mal, es heißt Yamato, wollte er erwidern, aber im Moment fehlte ihm dafür die Kraft. Kakashi sah ihn noch einen Augenblick lang besorgt musternd an, dann machte er Anstalten, aufzustehen. „Du hast deine Sachen komplett durchgeschwitzt. Du solltest dich umziehen.“ „Ja“, erwiderte der Jüngere und stellte beim Versuch aufzustehen verstimmt fest, dass sowohl seine Arme, als auch seine Beine erheblich zitterten. „Ich helfe dir“, bot Kakashi an und half ihm sogleich beim Aufstehen, ehe er, während Yamato sich an der Wand abstützte, für ihn ein neues Oberteil samt Hose aus der Kommode holte. Yamato bedankte sich leise, nahm die Sachen und ging auf wackeligen Beinen ins Bad. Kakashi wartete neben der Tür. So schlimm war es noch nie gewesen. Schon zu Anbu-Zeiten hatte er die Albträume seines Kohai mitbekommen, doch waren sie damals seltener gewesen. Und von geringerem Ausmaß. Seitdem Yamato aus seinem Koma erwacht war, traten sie häufiger und in unterschiedlicher Intensität auf. Er hatte zwar gesagt, dass sie weniger wurden, seit er bei Kakashi wohnte, doch trotzdem kam es oft vor. Zu oft. Kakashi hatte hin und wieder ebenso Albträume, die Yamato mitbekam und er hatte irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft er schon nach dem Erwachen aus diesen in die besorgten Augen den Jüngeren geblickt hatte. Seine eigenen kamen ihm jedoch weniger furchtbar vor. Er fühlte sich schuldig, denn er wusste, warum sich die Albträume seines Kohai so verschlimmert hatten. Kummervoll drehte er seinen Kopf in Richtung des Teamfotos, welches neben dem Bild seiner eigenen Schützlinge, auf einem Regalbrett oberhalb seines Bettes stand. Nicht Obito war schuld daran. Die Verantwortung für Tenzou hatte bei ihm selbst gelegen. Und er hatte auf ganzer Linie versagt. Er wollte nicht, dass Yamato leiden musste. Er wollte ihn beschützen und ihn glücklich sehen. Kakashi wusste, dass er sich in beiden Punkten mehr anstrengen musste. In der Zwischenzeit hatte Yamato sich umgezogen und sich eine Ladung Wasser ins Gesicht geworfen. Der Anblick, wie die anderen Kinder sich in Zetsus verwandelt hatten, ließ ihn nicht los. Das war nicht real, wiederholte er immer und immer wieder. Nicht real. Unsicher verließ er das Bad und stutzte, als er Kakashi neben der Tür erblickte. „Hast du auf mich gewartet?“ „Geht es wieder?“, entgegnete der Ältere, ohne die an ihn gerichtete Frage zu beantworten. „Naja, schon.“ Yamato hatte nicht einmal sich selbst mit dieser Antwort überzeugen können. „Willst du darüber reden?“, fragte Kakashi. „Ich will dich nicht vom Schlafen abhalten.“ Yamato versuchte zu lächeln. „Jedenfalls nicht noch mehr.“ Auch wenn es ihm ein Grauen war, auch nur an das erneute Einschlafen zu denken. „Ich bin wach. Es ist also kein Problem.“ Kakashi legte sich auf sein Bett, lehnte sich mit dem Kopf gegen die Wand und bedeutete dem Anderen, neben ihm auf der anderen Seite Platz zu nehmen. Etwas unschlüssig sah Yamato noch einen Moment auf die freie Stelle neben Kakashi, ehe er langsam um das Bett herum ging und sich am Rand zaghaft niederließ. „Das hält uns schon beide aus“, scherzte der Hokage. „Wenn du meinst“, erwiderte Yamato und nahm zögerlich die gleiche Position wie Kakashi ein. Er hatte keine Zweifel daran, dass das Möbelstück sie aushalten würde. Es war nur … ungewohnt, so nah an seinem Sempai zu sein. Ungewohnt und … irgendwie beruhigend. Er spürte überdeutlich die einlullende Wärme, die von dem Älteren ausging. „Also ...“, forderte Kakashi ihn zum Reden auf, während er sich ihm zuwandte. „Also …“, Yamato richtete seinen Blick hinab auf seine Hände, die ihn seinem Schoß lagen und darauf bedacht waren, den Anderen nicht zu berühren (was fast unmöglich war auf dem engen Raum, auf dem sie nun zusammensaßen). Kakashi gab einen leisen Seufzer von sich. „Sag es einfach.“ „Wenn ich dich nach deinen Albträumen frage, sagst du auch immer, dass du nicht darüber sprechen willst“, entgegnete Yamato und sah zu dem Älteren. „Das ist nicht wahr“, konterte Kakashi. „Ich habe dir gesagt, es geht darin meistens um Menschen, die ich verloren habe.“ „Eine spezifische Angabe sieht anders aus.“ „Du weißt, wer diese Menschen sind. Obito, Rin, Minato, Kushina, mein Vater ...“ Kakashi wollte seine Aufzählung so beiläufig wie möglich klingen lassen, um das Gespräch schnell von ihm wegzubringen. „Dein Vater?“, hakte Yamato überrascht nach. Von diesem war bisher noch nie die Rede gewesen. Mist, durchfuhr es Kakashi. Soviel zum angestrebten Themenwechsel. „Er … starb, als ich noch ein Kind war.“ Die knappe Antwort sollte dem Jüngeren signalisieren, dass er nicht darüber reden wollte, jedoch merkte er bei einem Blick in Yamatos aufmerksam gewordene Augen, dass er das Gegenteil erreicht hatte. „Du hast noch nie über deinen Vater gesprochen.“ Zugegeben, Kakashi hatte noch nie viel über irgendetwas Persönliches gesprochen. „Er war ein Shinobi. Er hat das Wohl seiner Kameraden über den Missionserfolg gestellt und ...“ Es verwunderte ihn nicht, dass Yamato nichts über seinen Vater wusste und Kakashi war sich uneins darüber, ob er wollte, dass sein Kohai diese Geschichte kannte. „Und?“ Yamatos Augen blinzelten ihn neugierig an. „Ah, dann hast du deine Einstellung von ihm überno-“ „Nein. Nein, leider nicht“, fiel Kakashi ihm ins Wort. „Dafür hatte es dann Obito gebraucht. Ich war lange Zeit nicht stolz auf das, was mein Vater getan hat.“ Einmal atmete er tief ein und aus, dann (er wusste selbst nicht, woher dieses Gefühl kam, es dem Anderen erzählen zu können) ergänzte er: „Mein Vater hat sich umgebracht. Weil das restliche Dorf ihn wegen seiner Entscheidung geächtet hat. Er wollte … für mich seine Ehre wiederherstellen.“ „Oh“, erwiderte Yamato bedrückt. „Das tut mir leid.“ „Schon gut. Es ist lange her und inzwischen bin ich mit ihm im Reinen.“ Kakashi warf ihm ein ehrliches Lächeln zu. Er wollte es nicht zugeben, aber es tat gut, ihm dies erzählt zu haben. „Und deine Mutter?“, fragte Yamato zu Kakashis Erstaunen. Nach seiner Mutter war er schon lange nicht mehr gefragt worden. War er es überhaupt schon einmal? „Sie war da schon lange tot. Sie ist so früh gestorben, dass ich nur wenige Erinnerungen an sie habe.“ „Das … tut mir schon wieder leid.“ „Sonst hat mich noch nie jemand nach ihr gefragt.“ „Noch nie?“, hakte Yamato erstaunt nach. „An was kannst du dich erinnern?“ „Hmm“, Kakashi starrte kurz an die Decke, während er überlegte. „Sie war wunderschön. Und hatte ein ganz sanftes, aber unglaublich bezauberndes Lächeln.“ Der Gedanke daran ließ ihn erneut lächeln. Dann sah er wieder zu seinem Kohai, der ebenfalls einen erfreuten Ausdruck im Gesicht zeigte und gleichzeitig erkennen ließ, dass Kakashi seine volle Aufmerksamkeit besaß. „Wieso interessierst du dich für meine Eltern?“ „Naja“, antwortete Yamato. „Ich kann mich an meine Eltern überhaupt nicht erinnern. Manchmal frage ich mich, wie sie wohl so sind.“ Kakashi fühlte einen imaginären Schlag in seine Magengrube. Wie hatte er das nur vergessen können? Selbst Naruto hatte seine Eltern inzwischen getroffen, nur Yamato hatte immer noch keine Ahnung (nicht einmal einen Anhaltspunkt), was seine Herkunft betraf. Trotzdem wirkte er nicht allzu traurig darüber. „Ich habe schon oft versucht, sie mir vorzustellen“, fuhr der Jüngere ein wenig verträumt klingend fort. „Vermutlich liege ich vollkommen daneben. Ich frage mich, ob sie wohl hin und wieder noch an mich denken. Ob sie überhaupt noch leben?“ „Tenzou“, sagte Kakashi trübsinnig. „Es tut mir leid, dass du deine Eltern nie kennen gelernt hast.“ Yamato – von Kakashis Empathie zugleich überrascht und gerührt - schüttelte den Kopf. „Es ist nicht zu ändern. Um Naruto zu zitieren: Dafür habe ich ja nun eine andere Familie, nicht wahr?“ „Verrätst du einem Teil dieser Familie dann auch, was du geträumt hast?“ Kakashi bereute es nicht, nachgefragt zu haben, auch wenn es die Zuversicht aus Yamatos Gesicht vertrieben hatte. Er wollte, dass der Andere sich besser fühlte und (auch wenn er diese Methode für sich vehement ablehnte) angeblich half es manchen, über ihre Probleme zu reden. „Nichts … naja … es war nur …“, stammelte Yamato, die Augen abwendend und nicht wissend, wie er seinen Albtraum in Worte fassen sollte. Als er wieder zu dem Älteren sah und in Kakashis eindringlichen, aufmerksamen und irgendwie gefühlvollen Blick schaute, konnte er endlich antworten: „Da waren … die anderen Kinder aus Orochimarus Labor. Sie kamen schon öfter in meinen Träumen vor, allerdings hatten sie mir zuvor noch nie Vorwürfe gemacht. Und sich nicht in Zetsus verwandelt.“ Kakashi atmete hörbar aus, als Yamato zu Ende gesprochen hatte. „Du weißt, dass du dir nichts vorzuwerfen hast. Ich wünschte nur, es gebe einen Weg, das deinem Unterbewusstsein klar zu machen.“ „Das wünschte ich auch“, erwiderte Yamato leise. „Sempai?“, fügte er nach einem längeren Moment der Stille hinzu. „Ja?“ „Danke.“ „Es gibt nichts, wofür du dich bedanken müsstest.“ „Doch. Eine ganze Menge.“ Nach einigen Minuten bemerkte Kakashi, wie der Kopf des Anderen auf seine Schulter rutschte. Yamato war friedlich eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)