Urlaubsreif^2 von flower_in_sunlight (auch ein Chef braucht mal Urlaub) ================================================================================ Kapitel 16: Mittwoch 25.3. -------------------------- Er wachte auf und war glücklich. Dieser Urlaub fing wirklich an Spaß zu machen. Am Abend hatte er mit Martine Berge von Fisch zu zweit vertilgt, da die dritte, eingeplante Person nicht hatte kommen können. Dazu hatten sie einen wunderbar fruchtigen Weißwein getrunken und sich danach ein Dessert in einer neu eröffneten Kneipe drei Blocks weiter ausgesucht. Als er dann endlich aufgehört hatte zu schmollen, weil er von seiner Tante überlistet worden war, war der Abend ein voller Erfolg geworden. Martine hatte alle anderen Gäste mit ihrem Team beim Pub Quiz abgezogen, da sie als Muttersprachlerin als einzige wirklich verstand, was der Inhaber von ihnen auf Englisch wissen wollte, gegen dessen Akzent selbst Cian wohl Oxford English sprach. Ihr Preis hatte darin bestanden, dass sämtliche Drinks des Abends aufs Haus gingen, und so waren sie beide ziemlich beschwipst um zwei Uhr früh Arm in Arm nach Hause gelaufen. Er konnte sich noch nicht einmal mehr entsinnen, welche Lieder sie auf dem Rückweg gesungen oder wahrscheinlich eher gegrölt hatten. Auf jeden Fall zog er den Hut vor Martines Fundus an Trinkliedern aus aller Welt. Eine Weile kuschelte er sich noch ins Bett und sah nach draußen, wo die Menschen durch die Straßen wuselten. Vom Stand der Sonne schätzte er die Uhrzeit auf irgendwann mittags. Viele trugen Anzüge oder schicke Kostüme und strömten in die Restaurants, dabei nicht selten noch ein Handy am Ohr und heftig diskutierend. Zum Glück hatte er einen Weg eingeschlagen, bei dem sein Alltag nicht immer nur so aussah. Natürlich saß er fast ausschließlich im Büro, seitdem Yuki für ihn arbeitete, doch oft blieb das Telefon ganz lange still und seine Essenspausen gehörten ihm und seinem Team. Mit Blick auf seine Zielscheibe, an der immer noch der Ausdruck hing aber nicht mehr die Messer, stand er schließlich auf. Für ihre Verabredung hatte er bereits alles in die Wege geleitet, nur was er anziehen würde, wusste er noch nicht. Mit skeptischen Blick musterte er den wenigen Inhalt des Kleiderschranks. Er musste gut aussehen. Verdammt gut, wäre ihm sogar noch lieber. Einige Minuten später hatte er sich bereits entschieden und hängte die Sachen an die Tür draußen an den Schrank. Es machte noch keinen Sinn sie jetzt anzuziehen. Er würde um fünf ins Bad gehen und sich fertig machen und bis dahin konnte er ruhig noch ein wenig im Schlafanzug rumlümmeln. Die Wohnung hatte er eh für sich, weil Martine wieder ein ganztägiges Shooting hatte, und so richtig gemütlich hatte er es sich schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht würde er später auch statt zu duschen, sich bei gestelltem Wecker in die Badewanne legen. Dabei konnte er immer so schön entspannen. Aber erst einmal brauchte er etwas zu essen. Der Blick in die Küche ließ ihn breit grinsen. Martine hatte erneut für ihn mitgedeckt und ihm einfach nur eine Nachricht hinterlassen, in der sie ihm für den Abend viel Spaß wünschte. Mit einem Grinsesmiley neben ihrer Unterschrift. Ja, ja, sie hatte gut lachen, sie musste ja nicht mit Kaiba ausgehen. Wenn er sich getraut hätte, sie auf ein Date mit ihrem Ex zu schicken, hätte sie ihm höchstwahrscheinlich persönlich den Hals umgedreht – Verwandtschaft hin oder her. Doch wenn er ehrlich zu sich war, war er froh, diese Chance zu erhalten und freute sich schon auf den Abend. Bereits um halb fünf fuhr Seto seinen Laptop herunter und packte alles zusammen. Seinem Sekretär fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er ihn so früh die Firma verlassen sah. „Haben Sie noch einen auswärtigen Termin, Herr Kaiba?“, fragte er gerade noch rechtzeitig, bevor sein Vorgesetzter im wartenden Aufzug verschwand. „Nein. Nur eine private Verpflichtung heute Abend.“ Wieso erklärte er sich überhaupt? Der entsetzte Blick des anderen war es jedenfalls nicht wehrt, auch wenn er schon etwas hatte. Könnte man sich glatt daran gewöhnen. Unten angekommen, stieg er zu Roland in die wartende Limousine. Er öffnete sich sogar selbst die Wagentür und schloss sie auch wieder, während sein langjähriger Angestellter bereits anfuhr. Noch am Vorabend hatte er ihn instruiert. Er würde kurz nach Hause fahren, sich umziehen und dann auch schon den Köter abholen. Nein, falsch. Sein Hündchen abholen, das ihn zu einer Verabredung eingeladen hatte. Unmerklich fing sein Herz an schneller zu schlagen und Vorfreude machte sich in ihm breit. Schon den ganzen Tag fiel es ihm schwer an irgendetwas anderes zu denken. Da gab es so viele Fragen, auf die er hoffte, endlich Antworten zu erhalten. Nur mit Mühe hatte er sich davon abhalten können, sie sich alle auf einen Zettel zu notieren – als ob er sie sich nicht merken könnte! Zur Ablenkung hatte er dann irgendwann nachgesehen, was sein DuelMonsters System über Miss Crawford wusste. Das hätte er besser bleiben lassen. Von wegen sie spielte selten offiziell! Ihre Statistik wies mehr Duelle auf als seine eigene und ihre Gewinnrate war nahezu beängstigend. Selbst gegen Muto hatte sie einen Sieg zu verzeichnen! Der Punktunterschied, mit dem sie gegen ihren Neffen gewonnen hatte, war minimal. Das war ja schon beinahe gruselig. War er wirklich so stark geworden? Glücklicherweise konnte er sich jetzt darauf konzentrieren sich etwas „anzuhübschen“. Er sollte vielleicht sogar noch mal kurz duschen und erst dann in den bereits auf seinem Bett liegenden Anzug schlüpfen. Mokuba hatte sich schon öfters beschwert, er rieche, wenn er nach Hause komme, immer nach „Arbeit“, was auch immer das heißen sollte. Ein wenig Parfüm konnte aber bestimmt nicht schaden. Und wie sahen nur seine Haare aus?! So konnte er doch unter keinen Umständen aus dem Haus! Und so viel Zeit blieb ihm auch nicht mehr, brauchte er doch 20 Minuten für den Weg, mitten im Berufsverkehr wohl eher 30. Und wo waren jetzt schon wieder seine Socken? Etwas außer Atem, weil er dem Aufzug in dem Wohnungshaus nicht getraut hatte und stattdessen die Treppe genommen hatte, stand Seto Punkt 18 Uhr vor der Wohnungstür und klingelte. Mit leicht verschwitzten Händen kontrollierte er, ob sein dunkelblauer Anzug tatsächlich noch saß und richtete sich seine Frisur. „Na? Pünktlich bist du zumindest schon mal“, stellte Chef trocken fest, der unbemerkt die Tür geöffnet hatte. Er trug bereits seinen Mantel, doch das, was Seto noch von ihm sah, reichte, um ihm die Sprache zu verschlagen. Unter einem schmal geschnittenen schwarzen Anzug lugte ein bordeauxfarbenes Hemd hervor, das am Hals durch eine dezent gemusterte dunkle Krawatte inklusive goldener Nadel geschlossen wurde. „Wir sollten gleich los. Der Tisch ist auf Viertel nach reserviert“, schob sich Chef an Seto vorbei, zog die Tür hinter sich zu und schloss ab. Trotz des Zeitmangels nahm er sich die Zeit auf den Aufzug zu warten, was Seto nur nervöser machte. Er fuhr tagtäglich mehrmals mit dieser Errungenschaft der modernen Zivilisation und dennoch war ihm noch nie aufgefallen, welche Möglichkeiten sich in so einer Kabine zu zweit boten. „Kommst du?“, drehte sich Chef an der Haustür zu ihm um. Er stand noch immer wie angewurzelt auf der falschen Seite der Metalltüren, die sich nun langsam wieder schlossen, und versuchte seiner Fantasien Herr zu werden. Das konnte ja ein schöner Abend werden, wenn es jetzt schon so anfing! Draußen beugte sich Chef zum Beifahrerfenster der Limousine hinunter und klopfte. „Guten Abend, Roland. Vielen Dank, dass Sie mir heute Ihren Boss zur Verfügung stellen“, begrüßte er den verblüfften, älteren Mann, der ihn sofort wieder erkannte. „Mister Joey! Mir war nicht bewusst, dass Sie hier wohnen.“ „Nur vorübergehend. Allerdings habe ich eine Bitte an Sie. Dort, wo ich mit Kaiba hin will, kann man ziemlich schwer parken. Ich werde daher mit ihm hin laufen. Wären Sie so lieb und würden sich hier in der Nähe einen Parkplatz suchen und sich für die nächsten drei Stunden frei nehmen?“ Seto war im Begriff zu protestieren, vor allem als Roland tatsächlich den Motor wieder startete und ein Stück weiter vorne einparkte, doch dann wurde er am Arm in die andere Richtung gezogen. „Ich hoffe du bist mir wegen meiner Eigenmächtigkeit nicht zu sehr böse, aber er hätte dort wirklich nicht parken können. Das ist auch der Grund, weswegen ich dich nicht persönlich bei dir zu Hause abgeholte habe.“ Sie bogen in die nächste Straße ein und näherten sich einem Haus, auf dem in großen Buchstaben „Traditionell“ stand. Er wollte bereits daran vorbei gehen, als Chef ihn stoppte: „Wo willst du hin? Hast du etwa keinen Hunger?“ Ungläubig starrte er den anderen an. Das konnte nicht sein Ernst sein. In diesem Restaurant bekam selbst er keinen Tisch – mit einem Jahr Vorlauf. So gesehen war es exklusiver als er selbst. Aber sein Date trat einfach durch die hölzerne Tür und stellte sich so brav vor die Dame, die im Eingangsbereich die Gäste in Empfang nahm, dass ihm keine andere Möglichkeit blieb, als ihm zu folgen. „Ich habe hier gestern angerufen und reserviert. 18.15Uhr, zwei Personen. Joseph Pegasus.“ Die Dame sah kurz in ihrem Buch nach und schüttelte dann den Kopf. „Bedaure, es ist nichts vermerkt.“ „Vielleicht nur unter Pegasus?“ Inzwischen konnte Seto einen verächtlichen Schnauber nicht unterdrücken. Als ob ihm ein Kunststück gelänge, das selbst er nicht zu Stande brachte! „Sind Sie sich ganz sicher? Mir wurde versichert, dass es kein Problem wäre und es sofort eingetragen werden würde.“ Herrlich wie sich sein Hündchen wand! Aber auch irgendwie schade. Zu gern hätte er hier einmal das Essen probiert und zunehmend wurde er hungrig, was das viel größere Problem darstellte. Am Ende würde der Hunger so viel Kontrolle über ihn haben, dass er sich mit Pommes an der Imbissbude zufrieden gab. „Mit wem haben Sie denn gesprochen?“, fragte nun die Dame, deren Geduldsfaden noch nicht strapaziert schien, und noch immer höflich lächelte. „Muranabe Masao.“ Schlagartig verschwand das Lächeln. „Einen Moment bitte.“ Sie eilte davon und ließ sie stehen, während Seto versuchte sich zu erinnern, woher er diesen Namen kennen könnte, denn er kam ihm vertraut vor. Aber wahrscheinlich war das nur irgendein stümperhafter Kellner, dessen Nummer der Köter zufälligerweise hatte. Woher, wollte er lieber nicht wissen. Bald kam die Dame wieder zurück, dicht gefolgt von einem Mann Anfang vierzig, der einen halben Kopf kleiner als Chef war, sich von diesem Größenunterschied aber nicht abhalten ließ, ihn in eine Umarmung zu ziehen. „Hallo, Masao“, brachte er etwas sauerstofflos hervor, während sich alles in Seto zusammen zog. Was fiel diesem Kerl ein, einfach so sein Hündchen zu umarmen! Das machte ja noch nicht einmal er selbst! „Hallo, Joey. Du traust dich also wirklich zurück in meine hohen Hallen des kulinarischen Genusses.“ „Natürlich. Als ob ich vor dir Angst haben müsste. Nur leider steht meine Reservierung bei euch nicht im Buch.“ „Kann gar nicht sein.“ Muranabe wuselte zum Buch und sah hinein. „Hier steht es doch! 18.15. J. Wheeler. 2 Personen. Wo liegt dein Problem?“ „Vielleicht darin, dass ich diesen Namen nicht mehr benutze“, presste Chef zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Aber ich bin froh, dass sich dieses kleine Missverständnis aufklären ließ.“ „Immer doch. Können ja schließlich miteinander reden. Jetzt muss nur noch deine Verabredung auftauchen.“ „Er ist schon da und steht hinter mir.“ Wie konnten die beide bei diesen Worten so locker bleiben? Seto blieb fast die Spucke weg. Hier stand er in all seiner Pracht und wurde doch glatt übersehen. Er wollte schon dazu ansetzten, etwas Herablassendes zu sagen, da wurde er einfach von Chef am Handgelenk gepackt und zwischen den Tischen hindurch gezogen. „Keine Angst. Ich kenne den Weg.“ In einer ruhigeren, etwas abgetrennten Ecke des großen Speiseraumes kam Seto endlich frei, weil Chef ihm nun half sich hinzusetzen. Er zog den Stuhl ein Stück nach hinten, sodass er sich setzen konnte und schob ihn dann mit Seto nach vorne, bevor er sich seines Mantels entledigte und selbst Platz nahm. „Entschuldige den kleinen Aufstand da vorne.“ Seto nickte nur und wollte stattdessen wissen: „Woher kennst du dich hier so gut aus?“ „Hab hier mal eine zeitlang gearbeitet. Guten Abend, Sue“, begrüßte er die Kellnerin, die gerade an ihren Tisch getreten war. „Abend, Jo. Wisst ihr schon, was ihr trinken wollt?“ „Klar.“ Chef nannte ihr eine kleine Auswahl an Weinen und die Nummer eines Menüs, woraufhin Sue fröhlich von dannen zog. „Vielen Dank, dass ich bestellen durfte“, giftete Seto ihn an. „Bitte. Hier gibt es pro Abend nur drei Menüs. Da sowohl in Menü 1, als auch in Menü 3 eine Menge Zutaten enthalten sind, die dir laut Mokubas Liste nicht schmecken, war Menü 2 die einzig sinnvolle Wahl. Masaos Koch reagiert nämlich immer etwas empfindlich auf Sonderwünsche. Wenn du magst, kannst du natürlich auch noch mal selbst einen Blick in die Karte werfen.“ Unschuldig lächelnd schob er sie ihm hin. Seto griff danach und studierte sie nach dem Aufklappen ausführlich. Was das Essen betraf, schien er Recht gehabt zu haben, was er jedoch niemals zugeben würde. Doch bei der Getränken musste er schlucken. Bei dieser großen Auswahl fiel es selbst ihm schwer einen Überblick zu erhalten. „Als was hast du hier mal gearbeitet?“ „Anfangs als Kellner, ziemlich bald darauf als Somelier. Davor habe ich bei Masaos Mutter im Laden gearbeitet. Sie hat mich also quasi weitervermittelt.“ Sue kam mit dem ersten Wein zurück, goss ihnen ein und verschwand gleich wieder. „Auf diesen Abend“, prostete er ihm zu und sah ihm tief in die Augen, als ihre Gläser aneinander glonkten. Verwirrt wandte Seto den Blick ab. „Kannst du bitte aufhören mich anzustarren?“ „Meinetwegen. Aber kein Augenkontakt beim Anstoßen, bedeutet – zumindest laut ein paar meiner ehemaligen Kommilitonen - sieben Jahre schlechten Sex. Ein Risiko das ich ungern eingehen möchte. Da du aber gerade damit anfängst... Wenn du möchtest, können wir das hier zur Fortsetzung unseres wenig zielführenden Gespräches vom Montag machen. Wir essen uns durch ein fantastisches Menü, trinken hervorragenden Wein, du stellst mir ein paar Fragen und ich antworte dir. Was hältst du davon?“ Langsam blickte Seto wieder zu ihm. Er würde also tatsächlich die Möglichkeit haben, etwas mehr über ihn zu erfahren. Er könnte nach den Gründen für sein Handeln fragen, welche Hobbies er außer Triathlon noch hatte, was er am liebsten las, was seine Lieblingsfarbe war. Was... Vielleicht hätte er doch nicht auf einen Notizzettel verzichten sollen, denn nun, da er direkt vor ihm saß, fiel es ihm schwer sich für etwas zu entscheiden. „Wieso hast du mir nicht bereits im Hotel gesagt, wer du bist, oder es in deiner E-Mail erwähnt?“, entschied er sich schließlich für einen schweren Anfang. „Hättest du mich denn dann noch überhaupt akzeptiert?“ Die darauffolgende Stille wurde erst unterbrochen, als Sue die erste Vorspeise brachte. Gegrilltes Krebsfleisch mit verschiedenen Saucen zum Tunken. „Wenn ich gewusst hätte, was für einen guten Geschmack du hast, dann schon“, dachte er laut. Er liebte Meeresfrüchte und vor allem Krebs. Wenn das Menü auch nur annähernd … Mhm. Wie lecker schmeckte das denn! Während er aß, vergaß er die Welt um sich herum. Leider war die Portion nicht sehr groß gewesen, aber unter Umständen könnte er ja bei Chef... Amüsierte, braune Augen sahen ihn über einen weiteren leeren Teller an. Hatte er ihn etwa beobachtet? „Manchmal treffe selbst ich gute Entscheidungen, oder?“ Er meinte es rhetorisch, dennoch nickte Seto, gespannt, was als nächstes kommen würde. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, stellte er die nächste Frage: „Was machst du außer Triathlon in deiner Freizeit?“ „Arglose Hotelgäste verführen. Weißt du doch.“ Seto konnte nicht verhindern, dass ihm bei diesem Satz und dem zweideutigen Lächeln die Röte in die Wangen schoss. Seit wann besaß er bitte ein Kopfkino? „Aber mal Spaß beiseite. Ich interessiere mich für Go, lese viel, singe ab und zu - wie du seit Neuestem auch weißt. Durch Yugi habe ich angefangen mich mit antiker Kunstgeschichte zu beschäftigen. Ich tauche. Surfen kann ich auch. Und natürlich kümmere ich mich um meinen geliebten Sportwagen-Oldtimer.“ „Welche Marke?“ „Ein alter Porsche. Hans ist total neidisch und freut sich wie ein kleines Kind zu Weihnachten, wenn ich ihn auf Ausfahrten mitnehme. Aber wenn's ums Putzen und Reparieren geht, verschwindet er immer ganz schnell in die Küche.“ „Du hast einen Führerschein?“ Er hatte Wheeler so oft auf dem Fahrrad oder zu Fuß gesehen, dass er ihn sich beim besten Willen nicht in einem Auto, geschweige denn auf dem Fahrersitz vorstellen konnte. „Natürlich. Wie gesagt, ich hätte dich auch abgeholt. Nur da man hier eh nicht parken kann und die hiesigen Autovermieter nichts haben, was mir zusagt, musste ich dir leider die Anfahrt selbst überlassen.“ Das leuchtete Seto irgendwie ein, auch wenn er gerne mit diesem Auto abgeholt worden wäre. „Und wieso sind wir letzten Monat nicht damit gefahren?“ „Sie ist eine Diva und mag die winterlichen Temperaturen nicht.“ „Sie?“ „Mein Wagen. Es färbt wohl langsam auf mich ab, dass Martine so viel Französisch mit mir spricht.“ Der nächste Gang kam. Eine einfache Misosuppe, deren Zutaten jedoch von höchster Qualität waren. Während sie mit den Stäbchen Wakame und Tofu aus der Suppe fischten, hakte Seto nach: „Wann hast du die Sprache eigentlich gelernt? Steht ja nicht gerade auf dem üblichen Lehrplan.“ Er hatte zwar am Samstag nicht verstanden, was sie gesprochen hatten, doch in seinen Ohren hatte es ziemlich flüssig geklungen. „Ich hab es schon ziemlich früh für den Job gebraucht. Die ersten paar Begriffe und Floskeln kamen daher bereits während der Schulzeit. So richtig fing das aber erst mit dem Studium an. Neben Englisch sind zwei weitere Fremdsprachen Pflicht. Momentan arbeite ich an der vierten. Nur leider gestaltet sich das Ganze ohne Muttersprachler etwas schwieriger.“ Chef begann in kleinen Schlucken seine Schüssel auszutrinken. „Was lernst du denn momentan?“ „Finnisch. Anfangs schwankte ich allerdings noch zwischen Spanisch und Afrikaans.“ „Interessant“, beendete auch Seto seine Suppe, „aber wieso nicht Deutsch? Hans kommt doch aus Deutschland, wenn ich mich richtig entsinne. Mit dem könntest du sogar täglich üben.“ Sue holte das Geschirr ab und wechselte dabei dezent die Weingläser. Chef schenkte den Rotwein ein und antwortete: „Mach ich doch schon. Ich bin in den letzten Jahren fast fließend geworden.“ Mit einem Grinsen erklärte er weiter: „Deutsch ist meine dritte Fremdsprache.“ Fasziniert beobachtete Seto, wie Chef den Wein aus dem Dekanter einschenkte und dabei mühelos vermied, verräterische Tropfen auf dem weißen Tischtuch zu hinterlassen. Er prostete ihm leicht zu, trank, nachdem er ausführlich am Glas gerochen hatte, einen kleinen Schluck und fragte dann: „Wie sieht es eigentlich bei dir aus? Hast du noch irgendwelche Sprachen gelernt über den normalen Lehrplan hinaus?“ „Nur Spanisch, weil wir gerade in den südamerikanischen Markt expandieren. Ansonsten reicht Englisch für mich vollkommen aus. Manchmal habe ich auch Glück und meine ausländischen Geschäftspartner können Japanisch – doch ihr Akzent ist in der Regel so schwer, dass wir Englisch präferieren.“ „Interessant. Hast du sonst noch irgendwelche Fragen an mich? Der nächste Gang wird noch etwas auf sich warten lassen. Wir haben also genug Zeit, dass du mir noch ein paar Löcher mehr in den Bauch fragen kannst.“ Seto überlegte eine Weile, um die kostbare Zeit nicht mit Belanglosem zu verschwenden. Es gab einfach zu viel was er wissen wollte. Dinge, die er wahrscheinlich mit der Zeit herausfinden würde, falls sie sich öfter sahen oder wenigstens miteinander schrieben, und Dinge, die er so schnell wie möglich in Erfahrung bringen wollte. Doch als er schließlich den Mund wieder aufmachte, wusste er sofort, dass er nicht lange genug nachgedacht hatte. „Wieso hältst du eigentlich als Pegasus' Toyboy her? Ich hätte nie gedacht, dass du mal so tief sinkst.“ Erschrocken über sich selbst, biss er sich auf die Unterlippe. Natürlich hatte er sich das in den letzten Tagen öfters gefragt, aber selbst er besaß genug Feingefühl, um zu wissen, dass er mit dieser Formulierung eine Grenze überschritten hatte. Mit bangem Blick beobachtete er über den Tisch hinweg Chef, dessen Hand auf halbem Weg zu seinem Glas inne hielt. Es war für ihn kaum zu ertragen, wie die Mundwinkel nach unten sanken und sich die Lippen fest auf einander pressten. Aus den sonst so warmen, braunen Augen schlug ihm nur noch Kälte entgegen. „Um es ein für alle mal klar zu stellen. Zwischen mir und Maximillion ist nichts Sexuelles und wird es auch nie geben, obwohl ich ihn zutiefst bewundere. Natürlich ist er vor zehn Jahren über das Ziel hinausgeschossen, doch es ist wirklich beeindruckend wie sehr er nach all den Jahren noch immer seine Frau liebt und bereit ist, alles für sie zu tun. Ich persönlich würde mich zumindest mehr als glücklich schätzen, wenn ich von demjenigen, den ich liebe, nur einen einzigen Tag lang so sehr geliebt werden würde. Aber dazu bist du anscheinend leider nicht in der Lage“, erörterte Chef. Mit einer fließenden Bewegung führte er das noch ziemlich volle Weinglas an die Lippen und leerte es in einem Zug. Dann erhob er sich und stellte es wieder ab. „Da dieses Treffen damit hinfällig geworden ist, wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend und empfehle Ihnen, sich das restlich Essen und den Wein schmecken zu lassen. Es ist wirklich vorzüglich und geht selbstverständlich auf mich. Sollten Sie Ihre Meinung bezüglich meiner Familie“, betonte er dieses eine Wort, „noch revidieren – ich bin noch bis morgen Mittag in Domino. Einen schönen Abend.“ Er machte sich gerade noch die Mühe, seinen Stuhl wieder an den Tisch heran zu schieben, dann war er auch schon verschwunden und hinterließ einen verwirrten Seto Kaiba, in dessen Kopf die Gedanken rasten. Ihm war bewusst, dass er zu weit gegangen war. Dennoch ergab ein Großteil der erhaltenen Antwort für ihn keinen Sinn. Wieso enttäuschte es Chef so, dass er nicht in der Lage war, sich zumindest für einen Tag so in seine Liebe rein zu steigern, wie dessen durchgedrehter Adoptivvater? Für ihn selbst war Gozaburo Kaiba immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen, jemand, der nie seinen leiblichen Vater würde ersetzen können oder für den er so etwas wie einen Hauch von Bewunderung empfand – zumindest, seitdem er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden hatte. Er schüttelte den Kopf. Das war doch alles vollkommen bescheuert! Und dann ergriff er auch einfach noch die Flucht, weil ihm die Richtung, die ihr Treffen nahm, nicht gefiel. Aber er hatte ihn doch selbst dazu aufgefordert, ihn zu löchern! Wie konnte er da plötzlich behaupten, dass ihr Treffen hinfällig geworden sei? Er nahm selbst einen Schluck von dem wirklich guten Wein. Der Typ hatte wirklich Geschmack, musste man ihm lassen. Wahrscheinlich waren so auch die Personen, mit denen er ausging. Leute, mit denen er sich auf Augenhöhe unterhalten konnte, die ähnlich gebildet waren wie er und ihn für sein Wissen und seine Fähigkeiten respektierten, ihn wertschätzten, ihn abgöttisch liebten. Aber er wollte diese Liebe, von demjenigen, den er liebte. Doch wen... Die Erkenntnis trieb ihn aus dem Restaurant auf die Straße. Vielleicht stand er noch irgendwo dort, darauf wartend, dass bei ihm endlich der Groschen fiel und er ihm hinter her kam. Hektisch schweifte sein Blick durch die nächtliche Straße. Probeweise ging er ein paar Meter in jede Richtung, um besser sehen zu können, sah aber neben den vielen geparkten Autos nichts. Er lief vor bis an die Ecke, um die sie vorher gegangen waren, wurde aber auch dort nicht fündig. Schließlich stand er resignierend wieder vor der Tür zum Restaurant, durch die ihn die Kellnerin herein bat. Sein nächster Gang wäre bereit serviert zu werden. Und so, weil ihm nichts Besseres einfiel, setzte er sich zurück an den Tisch, auf dem sich nur noch sein Gedeck befand und aß das Menü weiter. Das Essen schmeckte hervorragend, doch hätte er es wohl mehr genießen können, wenn Sue ihn nicht jedes Mal mit diesem seltsam mitleidigen und doch abwertenden Blick bedacht hätte, sobald sie an die Tisch trat. Die Wohnung empfing Chef mit wohltuender Dunkelheit, als er die Tür aufschloss. Für gut eine Stunde war er durch die Straßen gelaufen, um den Kopf klar zu kriegen und zu vermeiden, jemand bestimmten in die Arme zu laufen. Eine Stunde lang hatte er versucht sich einzureden, dass es ihm gleichgültig war, ob Seto verstanden hatte, was er ihm indirekt gesagt hatte, oder nicht. Aber es war ihm nicht gelungen. Mehr als einmal war er versucht gewesen ins Traditionell zurück zu gehen und sich für sein Verhalten zu entschuldigen – oder wenigstens den Abend fortzuführen. Guter Wein. Exzellentes Essen. Es war so kindisch von ihm gewesen einfach abzuhauen. Doch dann klangen jedes Mal die Worte in seinen Ohren, die ihn erst dazu bewogen hatten, für seine Verhältnisse auszurasten. Der andere hatte deutlich genug gemacht, was er von ihm und seiner Familie hielt. Zwar war er Sticheleien dieser Art gewohnt – sie ließen sich nicht vermeiden, bis Maximillion klar stellte, in welcher Beziehung sie wirklich zu einander standen – aber gerade von ihm hatte er sich so etwas wie Verständnis erhofft. Zumindest ein bisschen. Den Flur entlang gehend bemerkte er den schmalen Spalt Licht, der unter Martines Zimmertür hindurch schimmerte. Zaghaft klopfte er und öffnete schließlich die Tür, als er nach einer Weile keine Antwort erhielt. Vielleicht war sie gar nicht da und hatte vergessen, das Licht auszumachen. Doch auch hier irrte er sich. Sie hatte sich bereits im Schlafanzug in ihr Bett gekuschelt und las. „Abend.“ Keine Reaktion. Also versuchte er etwas lauter auf sich aufmerksam zu machen. Wieder ohne Erfolg. Erst als er sich auf den Rand des schmalen Bettes setzte, sah sie plötzlich auf. „Du bist schon zurück?“, fragte sie erstaunt, legte das Buch auf den Nachttisch, dicht gefolgt von neongrünen Ohrstöpseln. „Ja“, antwortete Chef etwas verwirrt. „Seit wann brauchst du absolute Stille in einer leeren Wohnung, um zu lesen?“ „Brauch ich auch nicht. Nur will ich nicht unbedingt mitbekommen, wenn mein Neffe endlich seine große Liebe abschleppt.“ „Wenn es dich stören würde, wieso bist du dann zu Hause?“ Ihre Antwort war überflüssig. Ein Blick in ihr Gesicht, verriet ihm, dass sie durchaus damit gerechnet hatte, dass auch dieser Abend kein Happy End finden würde. „Wieso hast du dann überhaupt erst dafür gesorgt, dass ich mit ihm ausgehen?“ „Weil ich fand, dass ihr beide eine Chance verdient hättet. Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein. Denn wenn du es nicht bist, gehst du langsam kaputt. Etwas, was ich mir nie verzeihen könnte.“ Sie rutschte etwas mehr zur Wand, um ihm Platz zu machen. „Willst du über den Abend reden?“ Gerade schon, als sie dachte, er würde ablehnen, nahm er ihr Angebot an. Mit dem Blick nach oben streckte er sich ebenfalls auf der Matratze aus und begann leise zu erzählen, während sie ihm einfach zuhörte. Zu seiner eigenen Verblüffung tat es ihm gut darüber zu reden und allmählich wurde er immer ruhiger und schläfriger. „Hey, Kleiner!“, stupste Martine ihn sanft von der Seite her an. „Wenn du hier schlafen willst, hol dir bitte dein eigenes Bettzeug. Ich habe keine Lust heute Nacht mir meine Bettdecke zurück erobern zu müssen!“ „Dann hättest du dir eben kein kleineres Bett hier rein stellen sollen!“, grummelte Chef etwas außerhalb des Kontextes zurück und begann bereits mit dem Klauen der Decke. „Ach, Übrigens. Können wir morgen Punkt 12 Uhr losfahren? Danke.“ Er bekam nicht mehr mit, wie sie aus dem Bett grabbelte und sich eine zweite Decke holte, ihm das Haar aus dem Gesicht strich und einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn gab, nachdem sie ihm die Tränen weggewischt hatte. Sein Herz hatte wieder einen Knacks bekommen und sie konnte nur hoffen, dass es heilte, bevor es endgültig zerbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)