Urlaubsreif^2 von flower_in_sunlight (auch ein Chef braucht mal Urlaub) ================================================================================ Kapitel 7: Yuki --------------- Mit finsterem Blick beobachtete er nun schon eine Weile den jungen, blonden Mann, mit dem seine Tochter in ein Gespräch vertieft war. Ihr selbst schien es zu gefallen. Sie ließ ihn kaum aus den Augen und strahlte ihn an, während er irgendetwas zu erzählen und zu beschreiben schien. Hoffentlich würden sie das Gespräch bald beenden oder er würde höchst persönlich dazwischen gehen. „Entschuldigen Sie, was hatten Sie gerade gesagt?“, musste er nun sogar bei seinem Gesprächspartner nachfragen, weil er zu sehr damit beschäftigt war, auf seine Tochter aufzupassen. Aber seine Frau hatte ja gemeint, dass es Yuki gut tun würde, mit auf den Empfang zu gehen, weil sie selbst durch eine schwere Erkältung leider als Begleitung ausfiel. Das würde er sich das nächste Mal noch mal ganz genau durch den Kopf gehen lassen! „Kein Problem. Ich habe Sie nur nach Ihrer Meinung zu den Lachshäppchen gefragt“, wiederholte Mister Pegasus gelassen und nippte an seinem Rotwein. Sein Gegenüber schien ihm nicht richtig bei der Sache, was ihn selbst nicht weiter störte. Seine Anwesenheit war reine Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber und er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht sich über die anderen Gäste im Voraus zu informieren, weshalb er noch nicht einmal wusste, wer hier so leicht den Faden verlor. „Ah, ja. Nicht schlecht, doch der Blätterteig war etwas krümelig und ...“ Er schien schon wieder nicht bei der Sache zu sein und sah eindeutig an dem Rotgekleideten vorbei. Dieser war nun doch etwas genervt. Schließlich führten sie nur lockeren Small-Talk. Wenn er also etwas Besseres zu tun hatte, wollte er ihn nicht aufhalten. Aus purer Neugier drehte er sich leicht um, damit er sehen konnte, was die Aufmerksamkeit des anderen so in Beschlag nahm. Das einzige Verdächtige, was er sah, waren zwei junge Menschen die beisammen standen und sich angeregt unterhielten. „Kennen Sie die junge Dame?“, zog er eins und eins zusammen. „Ja, das tue ich. Meine Tochter. Nur der Kerl daneben steht für meinen Geschmack viel zu nah bei ihr und ihr Gespräch dauert schon viel zu lange!“ In seiner Stimme schwang eine gewisse Wut mit, wie sie nur besorgte Väter besaßen. Maximillion Pegasus konnte nicht anders als laut aufzulachen, wofür er einen verständnislosen Blick des anderen erntete. „Wenn das Ihr einziges Problem ist.“ Er nahm eine ähnliche Position ein wie der Mann über fünfzig neben ihm und rief dann mit vor Liebenswürdigkeit triefender Stimme: „Joseph, kommst du bitte kurz?“ Der Blonde reagierte sofort und näherte sich ihnen. Das entstehende Getuschel ignorierte er. Als er direkt vor ihnen stand, wandte sich Pegasus wieder an den älteren Mann und sagte höflich lächelnd: „Darf ich Ihnen meinen Sohn Joseph vorstellen?“ Diesem fiel die Kinnlade herunter. „Joseph, das hier ist der besorgte Vater der bezaubernden jungen Dame, mit der du dich nun schon den halben Abend unterhältst. Würdest du so lieb sein und ihm erklären, weswegen er sich keinerlei Sorgen machen muss bezüglich irgendwelcher unmoralischer Vorhaben, die du mit seiner Tochter haben könntest?“ Erstaunt sah Joseph von seinem Adoptivvater zu dem Herrn neben ihm und zurück. Er schien ernst zu meinen, was er soeben gesagt hatte. Eigentlich hatte er sich dieses Thema an diesem Abend ersparen wollen, aber wenn es nötig war, um sein Gespräch in Ruhe weiter fortzuführen - denn ihm waren sehr wohl die bösen Blicke von der anderen Seite des Raumes aufgefallen – würde er Folge leisten. „Verstehen Sie das Folgende bitte nicht falsch. Ihre Tochter ist eine bezaubernde junge Frau und die charmanteste Person, die sich mir heute Abend vorgestellt hat, aber“, er machte bewusst eine kleine dramatische Pause, „gegen meinen festen Freund kommt sie definitiv nicht an. Nur leider befindet er sich momentan in seiner Heimat England, um dort ein wichtiges Geschäft abzuwickeln, weswegen mich mein Vater hierher geschleift hat.“ Es brauchte einige Momente, bis man den Groschen fallen sah, doch dann folgte sogleich die Explosion. „Sie sind schwul?“, brach es lauter als angemessen gewesen wäre aus dem Vater heraus, bevor er ungläubig den Kopf schüttelte. Joseph hatte zwar mit so einer Reaktion gerechnet, doch er hatte auf etwas mehr Diskretion gehofft. Zum Glück hatte er eine unerwartete Verbündete, bevor die Situation noch aus dem Ruder geraten könnte. „Otoo-san? Das ist doch nichts Außergewöhnliches. Auf jeden Fall ist er eine bessere Wahl als die anderen jungen Herren hier im Raum. Wir sind dann mal wieder weg“, ergriff der Inhalt des kleinen Wortwechsels Josephs Arm und zog ihn bestimmt von ihren Vätern weg. Sollten die doch selbst sehen, worüber sie sprechen wollten! „Also, wie war das jetzt mit Ihrem Hotel? Sie hatten gerade angefangen von der Eröffnung letztes Jahr zu erzählen.“ Verdattert sahen die beiden Väter ihnen hinter her. Sie waren sich selten so überflüssig vorgekommen. Zufrieden legte Matt als letzter das Besteck zur Seite und blickte erwartungsvoll zu Chef, der zu Beginn des Abendessens Andeutungen gemacht hatte, dass er etwas Wichtiges mit ihnen zu besprechen hätte. Hans räumte das restliche Geschirr in die Küche und setzte sich wieder an den Tisch. „Also Chef, was gibt es?“, fragte er neugierig. „Ganz einfach. Ich hab neulich jemanden kennen gelernt, der gerne bei uns im Sommer ein Praktikum machen würde“, eröffnete Chef ohne viel Vorrede die Neuigkeiten. Zunächst machten die anderen große Augen, doch dann schienen sie sich mit der Idee anzufreunden. „Endlich jemand der mir mit dem schmutzigen Geschirr hilft!“, rief Shin begeistert aus. „Hey und was mach ich bitteschön immer in der Küche?“, warf Hans ein. „Naja, du nennst es kochen. Aber ansonsten wüsste ich das auch mal gerne.“ „Dann koch du für uns!“ „Mach ich doch eh schon. Dein Geschmackssinn muss irgendwann vor zwei Jahren gestorben sein!“ „Wieso glaubt ihr eigentlich, dass er euch helfen wird? Ihr seid eh schon zu zweit! Ich brauch im Sommer die Hilfe sehr viel mehr!“, mischte sich nun auch Cian ein, während ihm Matt nur stumm beipflichtete. „Du willst doch nur aus deiner Waschküche raus und dich faul in die Sonne legen!“, giftete Hans nun gegen ihn. Chef verdrehte die Augen. Er musste das dringend richtig stellen. „Jungs!“ Keine Reaktion. „Jungs!“, wiederholte er und schlug diesmal mit beiden Fäusten auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen. Diesmal reagierten sie. „Ja, Chef?“ „Ich fürchte hier liegen noch ein paar Missverständnisse vor. SIE wird mir helfen. Und ich fände es angebracht, wenn ihr euch während ihrer Anwesenheit etwas besser benehmen würdet.“ Augenblicklich kehrte Stille am Tisch ein, nur Matt schien diese Eröffnung nicht zu schockieren, denn dieser grinste fröhlich vor sich hin. „Wann kommt sie zu uns?“ „In einem Monat“, antwortete Chef. „Sie studiert an der gleichen Hochschule wie ich damals und ich musste ihrem Vater versprechen, dass wir alle auf sie aufpassen. Also, denkt ihr, dass ihr euch während der Zeit benehmen könnt?“ „Was genau meinen Sie mit benehmen?“ „Ihr seid vollständig und anständig gekleidet. Ihr achtet auf eure Tischmanieren. Ihr werdet auf gar keinen Fall irgendwelche Anzüglichkeiten äußern oder sie sonst wie schräg behandeln. Verstanden?“ „Ja. Nur eine Sache wäre da noch Chef.“ „Und welche, Matt?“ „Hören Sie auf, uns hinzustellen als wären wir irgendwelche ungezogenen Jugendliche! Über die Hälfte der Leute hier am Tisch ist älter als Sie und wir wissen sehr wohl, wie wir uns benehmen sollen. Viel wichtiger ist die Frage, in welchem Zimmer sie schlafen wird.“ Yuki war froh, dass sie es ihren Eltern hatte ausreden können, sie direkt ins Hotel zu bringen. Stattdessen hatte sie ihre Sachen für die nächsten drei Monate in ihr Auto gepackt und in das Navi die Adresse eingegeben. Wenn sie sich hier so umsah, war es ein Glück, dass es dafür überhaupt eine Anschrift gab. Der hohe Zaun und die stabilen Tore schüchterten sie doch etwas ein. Vielleicht hatte ihr Vater doch Recht. In Schrittgeschwindigkeit fuhr sie die schmale Straße entlang. Chef hatte ihr erklärt, dass der Asphalt irgendwann aufhörte und sie danach zu Fuß weiter müsste. Sie fuhr etwas an den Rand und stellte den Wagen ab. Ihren Koffer und auch das restlicher Gepäck ließ sie zurück und schnappte sich nur ihre Handtasche. Erst jetzt fiel ihr auf wie friedlich alles wirkte. Das Wetter war schön und sie konnte das Zwitschern der Vögel im Wald hören. Dennoch wuchs ihre Nervosität mit jedem Schritt, den sie auf das große Haus zu machte. Auf der Suche nach einer Eingangstür ging sie rechts um es herum und erstarrte mitten in der Bewegung. Vor ihr standen fünf Männer, die sie alle freundlich anlächelten. Den mittleren von ihnen, der zudem auf sie zu kam, kannte sie. Es war Chef, jedoch nicht im Anzug sondern einfach nur in einer schwarzen Hose und einem schwarzen, kurzärmligen Hemd. Sie unterdrückte ihren Fluchtreflex, als er zur Begrüßung ihre Hand schüttelte. Eine einfache, traditionelle Verbeugung wäre ihr lieber gewesen. „Hallo, Yuki. Schön, dass du da bist. Ich hoffe, du hast gut hierher gefunden.“ Sie nickte nur und warf einen vorsichtigen Blick zu den anderen. Ein instinktives Zurückzucken konnte sie nicht vermeiden, als der große, kräftige, dunkelhaarige Mann links außen sich ihr näherte. „Keine Angst!“, sagte er vorsichtig. „Laut Cian sehe ich einem Grizzly zwar zum Verwechseln ähnlich, aber ich bin wirklich umgänglich – so wie der Rest vom Team. Ich bin Matt und kümmere mich um die Außenanlagen, helfe aber ab und zu auch Cian. Das ist im Übrigen der Rotschopf.“ Sie folgte mit dem Blick seinem ausgestreckten Arm und erhaschte noch den finsteren Gesichtsausdruck, mit dem Beschriebener Matt bedachte, bevor er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. „Hi, ich bin für die Ordnung und die Sauberkeit der Häuser zuständig.“ Er blieb auf Abstand und Yuki nickte höflich, bevor sie sich den anderen zwei Männern zuwandte, die noch nicht vorgestellt worden waren. „Das sind unsere beiden Köche. Hans und Shin“, erläuterte der Chef. Beide trugen Kochhemden, doch während sie den einen im weißen nur kurz ansah, blieb ihr Blick an dem im schwarzen hängen, von dem sie annahm, dass er Shin hieß. Er machte als einziger keine freundliche Miene und das irritierte sie. Sie hatte bereits einen Monat mit einem fast ständig gleichen Tagesablauf hinter sich, als sie Chef eine Idee unterbreitete. „Chef“, fragte sie zögerlich, als sie wie gewohnt vormittags im Büro saßen und die Reservierungen für die nächste Woche durchgingen. Prompt blickte er auf. „Ja, Yuki?“ Doch noch bevor sie ansetzten konnte, streckte Shin den Kopf zur Tür rein und rief: „Chef. Bestellung für Haus zwei.“ Der Angesprochene sprang auf und verließ hektisch den Raum. „Sorry, Yuki. Wir reden gleich weiter.“ Doch auch sie konnte schnell sein. Rasch war sie mit ihm auf einer Höhe, als er sich gerade die Transportbox von Shin geben lassen wollte. „Genau das meinte ich“, erklärte sie aufgeregt. „Sie müssen immer Ihre Arbeit unterbrechen, wenn die Gäste etwas wollen. Wie wäre es, wenn ich das mache und Sie arbeiten dafür richtig? Sie können mir doch auch später noch alles erklären!“ Bevor einer der beiden irgendwelche Einwände erhoben konnte, schnappte sie Shin die Kiste weg und war aus der Tür hinaus. Kopfschüttelnd sahen Chef und Shin ihr nach. „Verstehst du das?“, fragte Chef vorsichtig nach einer Weile. „Nicht wirklich. Nur soweit, dass du in nächster Zeit wieder bewusst drauf achten musst, die Sonne zu sehen“, antwortete Shin und verschwand wieder in der Küche. Es brauchte eine volle Stunde, bis ihm auffiel, dass er seinen Chef nach all der Zeit wieder geduzt hatte. Ende Juli begann die Sonne sich so richtig ins Zeug zu legen als wolle sie verdeutlichen, dass es Sommer war. Diese Mühe hätte sie sich zwar sparen können, doch so kletterten die Temperaturen noch um einige Grad weiter nach oben. Erschöpft von der Arbeit hatte sich das Team am frühen Abend um den Pool vor dem Hauptgebäude versammelt und versuchte, sich etwas zu erholen. Chef las, Hans schlürfte an einem selbstgemachten Smoothie, Cian ließ sich auf einer Luftmatratze treiben und Yuki beobachtete gebannt die Wellen, die in geringer Entfernung auf den Strand zu rollten. Jedoch sah sie auf, als Shin und Matt die Stühle und den Tisch neben ihr in Beschlag nahmen, nicht ohne dabei bereits wild zu diskutieren. Neugierig drehte sie sich zu ihnen um und stellte überrascht fest, dass sie vor hatten eine Partie Go zu spielen, auch wenn ihr Verhalten etwas anderes vermuten ließ. „Darf ich, wenn ihr fertig seit mit eurer Partie, auch mal gegen euch spielen?“, fragte sie vorsichtig. Sie war sich nicht sicher, ob ihnen die Unterbrechung recht war. Shin zog eine finstere Miene, während Matt ihr versprach, dass der Sieger eine kleine Lehrpartie mit ihr spielen würde. Shin war schnell besiegt und so nahm Yuki seinen Platz ein. Matt wollte von sich aus ihr gerade Schwarz anbieten, als sie darauf bestand es traditionell auszulosen. So erhielt sie Weiß. Im Laufe der nächsten Stunde wurden Matts Augen größer und größer, je mehr ihm klar wurde, dass ihm keineswegs ein Anfänger gegenüber saß. Nachdem sie beide durch Passen die Partie beendet hatten, nahm er sie genauer unter die Lupe. „Seit wann spielst du schon?“, wollte er wissen, während er seine eigenen Steine vom Brett räumte. „Keine Ahnung mehr genau. Mein Großvater hat irgendwann mit mir angefangen zu spielen und darauf geachtete, dass ich am Ball bleibe und nicht alles wieder verlerne. Noch eine Partie?“ Aber Matt winkte ab. „Nein, lass mal. Nicht mehr heute. Aber vielleicht hat Chef ja Lust – er spielt auch ziemlich gut. Chef?“ „Ja?“ „Wie sieht's aus? Eine kleines Gospiel zwischen Ihnen und Yuki? Ab übermorgen kommen Sie eh nicht mehr dazu.“ „Wieso nicht“, erhob er sich betont langsam aus der Liege und platzierte ein Lesezeichen zwischen den Seiten. „Was ist übermorgen?“, hakte dafür Yuki nach. „Meine Tante kommt wie jedes Jahr mit ihren Kindern hierher“, antwortete Chef, während Matt für ihn Platz machte. „Das Bespaßen der beiden ist ein Fulltimejob. So. Und du traust dir wirklich zu den unangefochtenen Champion des Teams herauszufordern?“ „Ob Sie wirklich der Champion sind, werden wir dann sehen“, erwiderte Yuki keck und begann. Nach Ablauf der drei Monate stand der Plan. Yuki würde ihr letztes Semester abschließen und dann offiziell im Hotel anfangen. Ihre Eltern, denen sie das Ganze noch beichten musste, würden zwar nicht unbedingt begeistert sein, doch die Gäste liebten sie und auch mit ihren Kollegen kam sie gut aus. Ihre anfängliche Besorgnis, nur umgeben von Männern zu arbeiten, hatte sich schnell verflüchtigt und sich in Freude gewandelt. Sie waren aufmerksam und achteten auf sie, gaben ihr aber nie das Gefühl, dass sie beschützt werden müsste. Jeder war auf seine Art sympathisch und beim gemeinsamen Essen erschien es ihr, als hätte sie plötzlich einen unbekannten Teil ihrer Familie kennen gelernt. Sie war stolz darauf bald zu diesem eingeschworenen, kleinen Team zu gehören. Außerdem machte ihr die Arbeit Spaß. Sie hatte sich schon immer gerne draußen an der frischen Luft bewegt. Zwar blieben so einige der Fähigkeiten, die sie während ihres Studiums erworben hatte ungenutzt, doch Chef hatte ihr versprochen, dass sie ihm nach wie vor bei der Büroarbeit helfen durfte, wenn sie wollte. Zum Abschied drückte ihr Hans eine Schachtel mit selbstgemachter Torte in die Hand und umarmte sie. Seinem Beispiel schlossen sich die anderen an – selbst Matt - nur Shin zog einen Handschlag vor. Dafür grinste er breit, als sie beteuerte, dass sie sein Essen am meisten vermissen würde. Ein klein wenig traurig stieg sie in ihr Auto und startete den Motor. Kein halbes Jahr und sie würde wieder hier sein. Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder der Kalkulation für April zu. An was sie jetzt schon wieder dachte! Aber es war trotzdem seltsam. Sie arbeite gerade mal etwas länger als ein Jahr hier und dennoch kam es ihr vor wie eine halbe Ewigkeit. Allmählich hörten ihre Eltern auch auf, sie mit anderen Stellenangeboten weglocken zu wollen, und das große Haus im Wald war zu ihrem zweiten zu Hause geworden. Anfangs war ihr alles fremd gewesen und jedes Mal, wenn sie auf den Waldwegen spazieren ging, hatte sie Angst gehabt sich zu verlaufen, doch mittlerweile kannte sie sie besser als die Straßen ihrer Heimatstadt. Ein Stadtmensch war sie nie gewesen, doch hatte sie anfangs geglaubt, dass es ihr hier draußen zu einsam werden würde. Doch wie konnte sie sich unter solchen Kollegen einsam fühlen? Es blieb ihr nur zu hoffen, dass ihr irgendwann das gleiche Kunststück gelingen würde wie Chef und ihr Hotelteam ihre zweite Familie wurde. In dem kleinen Küstenstädtchen dreißig Kilometer südlich gab es einen alten Hotelier, der ihr angeboten hatte, seine Nachfolgerin zu werden in ein paar Jahren, wenn er sich zu Ruhe setzten wollte. Chef wusste davon und achtete penibel darauf, dass sie nichts verlernte, aber so wirklich hatte sie sich noch nicht mit dem Gedanken angefreundet, auch wenn ihr das Hotel sehr gut gefiel, das sie einmal übernehmen würde. Auf der anderen Seite würde es bedeuten, dass sie sich wieder einen Freund suchen konnte. Die Beziehung, die sie in den ersten Semestern geführt hatte, war im Guten auseinander gegangen, doch hatte sie danach keine Lust gehabt sich jemand Neuen zu suchen. Und das Team hätte bestimmt jeden vergrault, den sie angeschleppt hätte. Aber so Ende zwanzig, Anfang dreißig könnte sie es ruhig noch mal versuchen. Genaue Vorstellungen hatte sie keine, aber es wäre toll wenn er Koch wäre, auch wenn diese berüchtigt waren für ihre furchtbaren Arbeitszeiten. Ja, ein Koch wäre schön. Er könnte sie dann gelegentlich mit kleinen Leckereien überraschen – vielleicht sogar bei der Arbeit – ihr dann einen Kuss geben und sie ermahnen nicht wieder so viel zu arbeiten. Den Gedanken zur Seite wischend arbeitete sie weiter und machte sich dann und wann Notizen. Zwar hatte sie nichts zu der Arbeit ihres Chefs einzuwenden, doch an manchen Stellen hatte sie noch Ideen, die sie ihm unbedingt vorschlagen wollte, wenn er wieder da war. So arbeitete sie noch eine Stunde weiter, als plötzlich ein kleines Tablett mit heißer Schokolade und Keksen auf die Bücher gestellt wurde. Verblüfft sah sie die Arme seines Trägers hinauf und blickte in Shins freundliches, aber besorgtes Gesicht. „Du solltest nicht so viel arbeiten! Chef ist keine drei Tage weg und du übernimmst schon seine Gewohnheiten.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber dafür bekomme ich heiße Schokolade und Selbstgebackenes eine Stunde vor dem Abendessen.“ Breit lächelte sie ihn an und fügte ein „Danke“ hinzu. „Ich mein es ernst. Mach nicht mehr so lang. Matt und Cian haben einen Spielabend vorgeschlagen und wenn du mich nicht bei der Spielauswahl unterstützt, kommt so was Bescheuertes wie Poker dabei heraus!“ „Okay mach ich – auch wenn ich Poker spielen kann.“ „Wieder dein Großvater?“ „Nein, meine Großmutter von der anderen Seite. Ich mach das hier noch kurz fertig und komm dann.“ „Gut, aber beeil dich. Mit der Arbeit - nicht mit den Keksen.“ Die Tür hinter Shin war bereits längst wieder geschlossen, als Yuki sich wieder ihrer Arbeit zuwandte, einen Keks im Mundwinkel hängend. Ja, ein Koch sollte es definitiv sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)