Urlaubsreif^2 von flower_in_sunlight (auch ein Chef braucht mal Urlaub) ================================================================================ Prolog: 13.3. ------------- „Kommen wir nun zur nächsten Position.“ Seto Kaiba saß wie immer mit dem Rücken zum Fenster seines Büros. Es würde ihn nur ablenken, wenn er sich in der Betrachtung der Stadt draußen verlor, die allmählich aus ihrem Winterschlaf erwachte – er war auch ohne bereits abgelenkt genug. Die vergangenen drei Wochen hatte er wie gewohnt gearbeitet und versucht seine Routine wiederzufinden, die er während seines Urlaubs im Februar verloren hatte, doch immer wieder glitten seine Gedanken ungefragt dorthin zurück. Dafür, dass er eigentlich ereignislos verstrichen war, war einfach zu viel passiert. „Ja, der Zulieferer hat mir vertraglich versichert, dass er die Lieferfristen einhalten wird.“ Und so saß er nun wie gewohnt an seinem Schreibtisch und besprach via Telefon den neuesten Vertrag mit einem seiner Geschäftspartner. Aber auch wenn er gerade bei diesem sehr genau darauf achten musste, nicht übers Ohr gehauen zu werden, konnte er sich immer noch nicht wirklich konzentrieren. An dem Samstag, als er zurück nach Domino kam, hatte er sich seinem Bruder zu Liebe nicht mehr an den Computer gesetzt und weiter recherchiert, auch wenn es ihn brennend interessiert hatte, zu erfahren, was für ein Mensch dieser eine Kerl in Wahrheit war. Joseph Pegasus. Selbst die Zusammenstellung von Vor- und Nachname war so lächerlich, dass er kaum hatte glauben können, dass es sich dabei um eine reale Person handelte. Die leisen Stimmchen, die ihm ins Ohr flüsterten, dass es diese Kombination durchaus geben konnte und sie ihn tief in seinem Innersten verletzte, hatte er bereits am Sonntag zu überhören gelernt. Mittlerweile hatte er weiter nachgeforscht. Es existierte tatsächlich jemand mit diesem Namen, auch wenn es kaum Bilder zu ihm gab. Er hatte Zeugnisse der Hotelschule gefunden – Jahrgangsbester. Empfehlungen. Auszeichnungen als Sommelier. Ein kleiner Hinweis auf sein Hotel. Mehr schien es nicht zu geben. Bis vor acht Jahren konnte er keine Spuren von ihm finden. Und das war es, was ihn so beunruhigte. Was hatte er nur davor getrieben? Er hatte ihm von seiner Schulzeit erzählt und es hatte ganz normal geklungen. Ein durchschnittlicher Schüler. Aber er hatte kein einziges Zeugnis finden können auf diesen Namen, kein Eintrag in einem Schulregister. Seine Suche hatte selbst die USA nicht ausgelassen und war doch erfolglos geblieben. Er atmete einmal tief durch und wandte seine volle Konzentration wieder seinem Gesprächspartner zu, der gerade seine Sorgen bezüglich des Abschnittes mitteilte, der sich um das Marketing ihres neuen Produktes drehte. Ob er etwas wusste? Zu gerne hätte Seto gefragt, doch er wusste es besser, als ihm einen möglichen Angriffspunkt zu verraten. So versuchte er nur ihn zu beschwichtigen und nannte ihm die Namen der Agenturen, mit denen seine eigene Marketingabteilung zusammenarbeiten würde für dieses Projekt. Das schien ihn zu beruhigen. Seit über einer Stunde brüteten sie nun schon zu zweit über dem Vertrag, aber bis jetzt war es nur um Kleinigkeiten gegangen. „Dann zum nächsten Abschnitt. Ich bin der Meinung, dass unsere beiderseitigen Einnahmen dabei deutlich zu gering sind.“ Dieser Satz erstaunte Seto. „Inwiefern?“ Er hasste es, wenn man ihn auf Versäumnisse hinwies. „Meine Berater haben alles noch einmal durchgerechnet und kamen zu dem Schluss, dass für beide Seiten eine Steigerung um 10 Prozent möglich wäre – ohne, dass sich die anderen Positionen dadurch verändern würden.“ Seto knirschte mit den Zähnen. Sollte das wirklich stimmen, würden ein paar Köpfe rollen. „Ich werde das überprüfen.“ „Ich hatte nichts anderes von Ihnen erwartet. Wir müssen sowieso einen weiteren Termin ausmachen, um die Überarbeitung der anderen Punkte zu inspizieren. Dort könnten wir auch unsere Ergebnisse im Bezug darauf vergleichen.“ Ein leichtes Grummeln in Setos Bauch zeigte ihm, dass sein er schon wieder nicht richtig zu Mittag gegessen hatte. Leider hatte sich sein Körper viel zu leicht an die großen Mahlzeiten im Hotel gewöhnt und weigerte sich nun mit weniger auszukommen. Mit einer Hand suchte er in seinen Schreibtischschubladen nach einem Schokoriegel, während er weiter sprach: „Das wäre auch mein Vorschlag. Es wäre fatal, wenn uns an dieser Stelle ein Fehler unterlaufen würde.“ Seine Hand schloss sich um den Riegel. Schnell, aber leise riss er das Papier auf und biss hinein. Zu viel auf einmal konnte er nicht essen, falls er schnell kontern müsste, doch tat ihm der süße Geschmack gut. „Kommen wir also zum nächsten Punkt. Sind Sie mit dem Erscheinungstermin einverstanden?“ Doch statt einer Antwort hörte er plötzlich Kinderstimmen von der anderen Seite der Leitung, gefolgt von einer gedämpft klingenden Stimme eines Mannes, der ihnen etwas zurief. Sie kam ihm seltsam bekannt vor. Aber woher nur? „Entschuldigung? Sind Sie noch da?“, fragte er nach einer Minute der Stille. „Ja, natürlich. Wo waren wir? Erscheinungstermin, richtig?“ Sein Gesprächspartner wirkte leicht abgelenkt. Vielleicht konnte er das ja noch zu seinen Gunsten nutzen, obwohl sie nun fast durch den Vertrag waren. Wieso hatte die Störung nicht früher kommen können? „Richtig. Aber was war das gerade bei Ihnen?“, versuchte er den Status aufrecht zu erhalten. „Die Kinder meiner Schwester. Sie werden im Sommer sieben.“ Seto horchte auf. „Sie...Sie haben eine Schwester?“ Die Überraschung in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Aber davon steht in keinem Bericht über Sie etwas!“ „Wohlweislich. Dreimal dürfen Sie raten, woher ich vor zehn Jahren wusste, dass ich am Besten über Mokuba an Sie heran komme.“ Eine einfache klare Feststellung, so als sprächen sie über das Wetter. „Aber Martine hat zum Glück gelernt auch ohne unseren Familiennamen ganz gut klar zu kommen. Nur missbraucht sie mich immer als Babysitter, wenn sie längere Aufträge außerhalb hat.“ Plötzlich ging Seto ein Licht auf. Seine Erregung konnte er kaum verbergen, als er nun möglichst unbeteiligt fragte: „Und weitere Geschwister? Irgendein jahrelang verschollener Bruder oder eine weitere Schwester, von der die Welt nichts weiß?“ Pegasus lachte auf. „Bloß nicht! Ich denke mit einer Schwester bin ich schon genug gestraft! Aber ich würde vorschlagen, dass wir zum Geschäftlichen zurückkehren, bevor ich noch versucht bin, Ihnen den Titel meines Lieblingscomics zu verraten.“ „Natürlich.“ Seto räusperte sich. „Dann ist der Erscheinungstermin für Sie so in Ordnung?“ Keine weiteren Geschwister. Aber wie war er dann an den Nachnamen gekommen? Denn so einen Scherz würde er sich wohl kaum mit dem Nachnamen seines Geschäftspartners und Gönners erlauben, oder? Seto hatte viel überlegt, welcher amerikanischer Geschäftsmann dafür in Frage kommen würde, doch an Pegasus hatte er gar nicht gedacht. Das hatte sich nun mit der Offenbarung, dass er sehr wohl noch Familie hatte, geändert. Es musste doch einen Weg geben, um an weitere Informationen zu gelangen. Zum Glück war das Telefonat danach sehr schnell beendet. Sie legten den nächsten Termin fest und beschlossen, alles weitere dann zu klären, da im Hintergrund schon wieder aufgeregte Kinderstimmen zu hören waren. Kurz schloss Seto die Augen, nachdem er sein Headset losgeworden war. Maximillion Pegasus und Kinder. Irgendwie wollte das so gar nicht zusammen passen. Natürlich hatte er das Spiel des letzten Jahrzehnts entwickelt, doch hatte er ihn immer so eingeschätzt, dass Mütter ihre kleinen Kinder von ihm wegzogen oder gar die Straßenseite wechseln würden, wenn er ihnen entgegen kam. Was war seine Schwester nur für ein Mensch, dass sie ihm so blind ihre Kinder anvertraute? Es war Zeit es herauszufinden. Er ließ sich die Verbindung zu seiner Sekretärin aufbauen und fragte, ob Mokuba noch im Haus sei. Wenn ja, solle er im Lauf der nächsten Stunde zu ihm kommen. Seto Kaiba glaubte nicht an das Schicksal, aber genauso wenig an Zufälle, und momentan war das die einzige Spur die er hatte. Während er auf seinen kleinen Bruder wartete, aß er seinen Schokoriegel weiter und studierte noch einmal den Vertrag. Die Überprüfung der Berechnung würde er am Abend machen, wenn es in seiner Firma ruhiger war. Ohne zu klopfen streckte sich ein schwarzer Wuschelkopf durch die Tür. Er fand es immer noch schade, dass er seine Haare so stark gekürzt hatte. „Hallo, großer Bruder.“ Aber es stand ihm und Seto wusste genau, wie viele vergeblich versuchten die Art wie seine Haare einfach so fielen mit viel Aufwand nachzuahmen. Nun kam der Frauenschwarm seiner Firma auf seinen Schreibtisch zu und setzte sich in einen der Sessel, die davor standen. Er hatte sich irgendwann damit abgefunden, dass für die Damenwelt sein Bruder attraktiver geworden war als er – es ersparte ihm auch eine Menge Stress – selbst, wenn Mokuba offiziell noch studierte und nur gelegentlich in der KC arbeitete. „Was ist Seto? Du machst so ein ernstes Gesicht“, wollte er von seinem großen Bruder wissen. Irgendwie verhielt er sich in den letzten Wochen seltsam und er hatte keine Ahnung woran das liegen könnte. Er bestand plötzlich auf Frühstück – hatte sogar an den Wochenenden selbst ein traumhaftes Rührei zubereitet, das sogar ihre Köchin neidisch gemacht hatte - und schien plötzlich netter auch anderen gegenüber, aber dann waren da auch gleichzeitig die Momente, in denen er seltsam ernst und abwesend wirkte. „Diese Fotografin, die dir das Hotel empfohlen hat, in dem ich im Urlaub war...“ „Ja?“ Er hatte keine Ahnung, worauf er hinaus wollte. Würde nun endlich die Standpauke dafür kommen, dass er ihn wissentlich zwei Wochen von der Firma abgekapselt hatte? „Lade sie ein.“ Eine Augenbraue huschte nach oben unter die Haare, die ihm wirr in die Stirn hingen. „Wie bitte?“ „Lade sie zum Frühlingsball ein. Das wolltest du doch schon letztes Jahr machen. Ich hab darüber nachgedacht und es spricht eigentlich nichts dagegen, dass sie kommt.“ Die zweite Augenbraue folgte. Er hatte einst seinen besten Hundeblick eingesetzt, um das zu erreichen, was er soeben nebenbei hörte. Woher kam dieser unerwartete Sinneswandel nur? „Mach ich...Apropos Ball. Welchen Anzug willst du eigentlich anziehen? Die Reinigung hat mich heute Vormittag drauf angesprochen.“ „Noch keine Ahnung. Notfalls nehme ich einen von deinen. Schließlich passen sie mir mittlerweile, ohne dass man meine Socken sieht.“ „Das glaubst aber auch nur du. Du füllst definitiv nicht meine Jacketts aus. Entscheide dich einfach bis Sonntag, okay?“ Er stand auf. „Muss jetzt weitermachen. Der Caterer wollte mit mir noch die Vorspeise besprechen. Und außerdem muss ich jetzt ja noch versuchen, irgendwie Martine zu erreichen.“ Er streckte die Hand aus und wuschelte kurz durch Setos perfekt sitzende Haare. „Bis nachher zu Hause.“ Seto blickte ihm nach und richtete seine Frisur erst, als er bereits aus der Tür war. Wie viele Frauen konnte es schon mit diesem Namen geben? Und wieso musste er sich noch eine volle Woche gedulden, bis er endlich seine Antworten bekam? Erst jetzt fiel ihm das Datum auf und er wurde weiß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)