Urwaldromanze von Narjana ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Erneut verrinnt mir die Zeit zwischen den Händen, ohne klare Struktur und mit nur wenigen, lichten Augenblicken. So langsam weiß ich warum Zeit relativ ist… Man kann sie nicht messen, wenn man sie nicht mitbekommt. Schnell, langsam, wie Nebelschwaden… Irgendetwas stimmt mit mir sehr gehörig nicht mehr… Irgendetwas – ist kaputt gegangen in dem ganzen Irrsinn. Jetzt stehe ich in meinem Haus. Kann ich das noch als Zuhause bezeichnen? Eigentlich nicht… Leere Räume starren mir entgegen. Nichts ist geblieben. Keine Bilder, keine Möbel, keine Stoffe. Nichts. Meine Schritte hallen laut in der traurigen, kargen Umgebung wieder. In einem der Zimmer, unser ehemaliges Schlafzimmer, stehen vier Kisten. Vier Kisten mit Kleidung, Büchern und anderen Dingen. Die Summe eines Lebens. – MEINES Lebens. Von Sabrina ist nicht ein Hauch zurückgeblieben. Ehrlich? Das ist bitter… Leise höre ich Julias Schritte hinter mir. „Hey…“ Sie lächelt mich unsicher an, als ich mich zu ihr umdrehe. Ihre Augen aber sind voller Sorge und Mitleid. Es nimmt sie wohl auch alles sehr mit. Bei mir ist die Realität nach wie vor nicht so recht angekommen. „Wir kriegen das wieder hin. Mit Gannons und Chens Hilfe wird das hier schnell wieder ein gemütliches Heim. Und dieses mal eins, dass auch zu dir passt.“ Ich nicke – mehr um sie zu beruhigen denn weil ich wirklich daran glaube. „Lass uns zurückgehen.“ Langsam und tief in Gedanken verlasse ich die leere Hülle, die mal mein Zuhause war. Ja – bin der Meinung gewesen, dass sich dringend etwas ändern musste. Grundlegend. Aber so…? Tja – jetzt werde ich damit leben müssen. Vielleicht… ist es besser so. Vielleicht ist es die Veränderung, die ich so dringend gebraucht habe. Auch wenn sich alles anfühlt, als würde es in Einzelteile zersplittern. Und hey, seit meinem Zusammenbruch hat sich zumindest meine Halluzination aus meinen ständigen Gedanken verabschiedet. Ich nicke Julia kurz zu und verschwinde dann, um mir bei Luke ein Bier zu holen. Ich denke das Diner ist dafür genau richtig. Ein depressiver, geschiedener Ehemann der am Tresen hängt und sich mit Bier zulaufen lässt. Wie unendlich klischeehaft… Ich muss lachen. Bitter, sarkastisch, aber immerhin. Naja, zu Hizumi kann ich schlecht. Seine Ehehexe hat mehr als deutlich gemacht, was sie von mir hält. – Warum auch immer… DIE Situation habe ich bis jetzt noch nicht wirklich verstanden und Hizumi und ich hatten keine Zeit sie zu klären. Mal ganz davon abgesehen dass ich nicht glaube dass Hizumi irgendwas erklären will. Und die Hexenprinzessin… Sie WIRD mir nichts erklären. Und Irgendwie vermute ich, dass sie die Trennung von mir und Sabrina nicht gutheißen wird. Aus ihren eigenen, ganz persönlichen Gründen. Schwer tragen mich meine Schritte in das große Lokal und ich lasse mich an den Tresen sinken. Irgendwie habe ich das Gefühl das das Gewicht auf meinen Schultern Tonnen wiegt. Und meinen Bewegungen sieht man das auch an. Es ist noch sehr früh und still hier. Und doch… Mit einem schiefen Lächeln muss ich den Kopf schütteln. „Was machst du denn um die Uhrzeit schon hier?“ Wenn man an den Teufel denkt… Ein sehr, sehr müde wirkender Hizumi sitzt auf dem Hocker neben mir und lässt träge die Restflüssigkeit in seinem Bierglas kreisen. Ich könnte schwören, dass es nicht das erste ist. – Sein Blick spricht Bände, so vernebelt wie er ist. „Könnt ich dich genauso fragen… Wo warsu überhaupt?“ Oh – Dicke Luft. Und ein lallender Hizumi. Beides zumeist ein Grund vorsichtig zu sein, auch wenn ich mal wieder keine Ahnung hab was ich gemacht habe… Naja, das wird langsam ja zur Gewohnheit. „Ich bezweifle dass deine Hexenprinzessin mich nochmal auch nur in die Nähe der Farm geduldet hätte. Außerdem – hatte ich einiges um die Ohren.“ Ein trockenes Lachen antwortet mir. „So kann man‘s sicher auch nennen. Mirabelle war die letzte Zeit völlig ja versweiflt. Sie meint‘ sie wär‘ nich‘ sicher ob du’s schaffst.“ … „Mirabelle redet einfach Zuviel.“ Echt. Auf dieser Insel sind Geheimnisse und Privatsphäre Fremdwörter. Es muss doch wirklich nicht jeder hier wissen dass es mir schlecht ging, oder? „Weißt du… mich hat`s echt interessiert. Schließlich sind wir Freunde… Wär schön gewesen von DIR was zu hören. Da fällt mir ein – stimmt das mit Sabrina?“ Inzwischen ist mir immerhin das Bier serviert worden. Mit beiden Händen umschließe ich den Krug, drücke so fest, dass man die Fingerknöchel weiß hervorstechen sehen kann. Immerhin weiß ich jetzt was so an ihm rumfrisst… Aber er sollte mich doch echt langsam kennen. „Ja“, ist meine forsche Antwort. Ich will nicht über Sabrina reden. Wirklich nicht „Bis du deswegen jetzt schon hier?“ Ich nicke… „So ungefähr… Ich komme von meinem zu-… Von meinem Haus“ Inzwischen knirsche ich mit den Zähnen. Das Thema ist echt nicht das, mit dem man momentan meine gute Laune garantieren kann. „Oh… Und – was hassu jeds vor?“ Ich kann nicht mehr. Merkt er nicht dass er mich alle macht? Ich stehe auf, lasse das unberührte Bier stehen. „Ich weiß es nicht. Du entschuldigst mich?“ Mit schnellen, mühsam beherrschten Schritten verlasse ich den Gastraum. Hizumis „Vaughn! Warte!“ ignorierend. Ich hab echt genug. Ich kann das alles gerade nicht. Draußen schweift mein Blick unstet herum. Der Urwald lockt mit seinem Versprechen von Ruhe und Einsamkeit. Seit dem Intermezzo mit den Wölfen war ich nicht mehr dort. Ein schiefes Grinsen huscht über mein Gesicht. Irgendwie ist mir meine Halluzination gerade sympathischer als alles andere auf dieser Insel, auch wenn es sie nicht gibt. Aber sie gehört zu diesem wunderschönen, verlockend-menschenleeren Urwald. Und dort wird mich zumindest keiner suchen. Keiner, der mich nervt, mit mir über die Zukunft reden will oder sonst was. Alles was mir Ruhe verspricht ist mir gerade mehr als sympathisch. Schnell flüchte ich über die Brücke in das unwegsame Gelände, bevor mir Hizumi noch hinterherkommt. Ich merke wie ich endlich ruhiger werde, umgeben von dem satten Grün, Tierlauten und Wasser. Nach so langer Zeit endlich weicht die Anspannung aus Nacken und Schultern. Ein kleines Lächeln wagt es, sich dreist auf meine Lippen zu stehlen. Es fühlt sich ungewohnt an. Immer tiefer verstricke ich mich in dem endlosen Grün, dass so heilsam für meine Seele zu sein scheint. Ohne einem bestimmten Weg zu folgen laufe ich einfach immer weiter, Wildtierpfaden und kleinen Wiesenstücken entlang. Ein paar Farne zur Seite streichend trete ich auf eine Lichtung und… mir bleibt fast der Atem stehen. So schön…. Und vor allem – fühle ich mich hier mehr zuhause als ich es bei Sabrina je getan habe. Wasser umspült ein paar Steine. Es hat am Rande der Lichtung einen kleinen Teich gebildet. Das Wasser sieht frisch aus und den Spuren nach ist es eine Wildtränke. Ein ziemlich breiter Ablauf entlässt das Wasser in einen kleinen Bach, der wohl zum Fluss führt. Gespeist wird das Ganze von einem schönen, wohl ungefähr 4 Meter hohen Wasserfall. Ein etwa ein Meter breiter, grüner Uferstreifen erstreckt sich zwischen mir und dem kristallklaren Nass. Ich glaube ich hab gerade meinen neuen Lieblingsplatz gefunden. Und einen Ort, wo ich endlich mal einfach nur für mich alleine sei kann. Niemand der nervt und keine Hiobsbotschaften. Auf dieser Insel eine echte Rarität. Da nehme ich gerne die Wölfe oder sonstiges Getier in Kauf. Zumindest solange ich nicht komplett aufgefressen werde. Langsam wird es warm. Verglichen mit der restlichen Insel geradezu heiß. Die Sonne hängt inzwischen fast im Zenit. Ich schäle mich aus meinen staubigen Klamotten und wate ins Wasser. Es ist nicht tief. Unter dem Wasserfall geht es mir knapp bis zu den Hüften und ist überraschend eisig. Aber es ist mehr als angenehm, all den Staub, Schweiß und schlechte Gedanken von dem schimmernden Wasser wegspülen zu lassen. Einfach alles vergessen… Die Kälte ist geradezu perfekt dazu, den Kopf endlich wieder frei zu bekommen… Der Dschungel ist schon eine Faszination für sich. Die Augen geschlossen lasse ich zu, dass alles um mich herum unwichtig wird. Gesund ist das mitten im Urwald sicher nicht. Aber nötig. Ich weiß nicht wie lange ich brauche, um das platschen zu hören. Wahrscheinlich nicht lange, denn auch wenn er sich leise bewegt kommt er direkt auf mich zu. Meine süße Halluzination… Irgendwie stört es mich nicht, dass er da ist. Bei ihm als einziges. Denn – er gehört hier dazu. Sein Speer steckt tief in der Erde des Ufers. Sein Blick gleitet musternd über meinen gesamten Körper und hinterlässt ein Prickeln. Lässt mich rot werden. Erst knapp vor mir bleibt der Tigerjunge stehen, seine Fingerspitzen berühren leicht meine Rippen. „Vaughn zu dünn. Nicht genug Essen?“ Ah – ja stimmt. Durch die langen Phasen der Krankheit habe ich sehr abgenommen. Aber warum fällt ihm das auf? Mir selbst kommt das so unendlich unwichtig vor, bedenkt man alles, was passiert ist. Er greift nach meinem Kinn, dreht meinen Körper wie eine Puppe in die richtigen Blickwinkel. Unangenehm. „Vaughn keine Verletzungen mehr. Das gut ist.“ Er lächelt. Seine Finger lösen sachte Schauer aus. Sein Lächeln lässt ein Kribbeln in mir hochsteigen. Verdammt – er ist meine Halluzination, oder? Also kann ich mit ihm tun und lassen was ich will! Er gehört mir! Rau, beinahe brutal dränge ich meine Lippen gegen seine, umschlinge seinen Nacken und vergrabe die eine Hand in seinen Haaren. Ein herrlicher, wilder Geschmack breitet sich auf meinen Lippen aus. Verboten süß! Oder so süß weil verboten? Aus zu schmalen schlitzen geschlossenen Augen kann ich seine sehn. Weit aufgerissen, gefüllt mit einer Mischung aus Überraschung, Verwirrung und – Neugier? Verzweifelt bettelnd dränge ich meine Zunge gegen die überraschend weichen Lippen, stöhne fast auf, als er dem Druck nachgibt und ich noch mehr von seiner ureigenen Wildheit schmecken kann. Was mach ich hier eigentlich? Hallo? Das ist ein Kerl – der den Kuss noch nicht mal erwidert! Beinahe enttäuscht lasse ich von ihm ab. Warum enttäuscht? Verdammt – ich bin nicht schwul! Aber warum will ich meine Halluzination dann so verzweifelt haben, dass sich sämtliches Denken verabschiedet? Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Wie eine verwirrte Katze legt er den Kopf schief. Seine Zunge leckt über die viel zu sinnlichen Lippen. Meine Augen hängen förmlich daran. So wie ich mich benehme hab ich sicher wieder Fieber… „Schmeckt gut…“ Die Raubtieraugen fixieren mich so gierig, dass mir ein heißer Schauer über den Rücken jagt. Mit einem Sprung ist er bei mir, unter dem Wasser, drängt mich harsch gegen die Wand. Jetzt ist er es, der mein Gesicht in seinen Händen fängt und mich hart küsst. Offensichtlich folgt er pur seinem Instinkt und dem was er bei mir gespürt hat. Und er bringt mich damit um den Verstand. Ich kann nicht mehr anders als mich hilflos in seine Schultern zu krallen und den Kuss genauso heftig zu erwidern, wie er mir gegeben wird. Er nimmt mir jedes noch so kleine bisschen meiner geliebten Selbstkontrolle. Meine Lippen reißen unter seiner Heftigkeit auf und flüssige Hitze schießt mir durch den Körper, lässt mich gnadenlos reagieren. Raues stöhnen entringt sich meiner Kehle, als Shea das Blut von meinen Lippen leckt, und wie ein genießendes Raubtier aufknurrt. Mehr…. Bitte…. Unwillig knurre ich auf, als seine Lippen sich langsam von meinen lösen. Ich will ihn zurückziehen. „Shea heiß…“, murmelt er leise und tritt einen unsicheren Schritt zurück. Sofort schwanke ich. Wann hat er meine Knie derart in Butter verwandelt? Fast bin ich froh, dass ich aufgefangen werde. Er ist mein einziger Halt gerade. Es wäre deprimierend, wenn ich denken könnte. Wenn ich es nicht fast schon genießen würde. In diesem Moment bin ich dankbar dass mein Hirn nicht funktioniert. Ich will einfach nur weiter an ihn gelehnt bleiben. So schön warm…. „Vaughn schwach. Zu wenig gegessen.“ „Mir geht’s gut.“ Endlos gut. So soll es bleiben. Inklusive Nebel um meinen Geist, um die ewig gleichen Gedanken endlich nicht mehr hören zu müssen. „Warum sagt Vaughn falsche Sachen?“ Hä? Warum? Irgendwie – bin ich zu perplex um was zu sagen. Und protestiere dementsprechend kaum, als er mich hochhebt und zum Ufer trägt. „Ich kann selber laufen.“ Stures Kopfschütteln antwortet mir. Toll. Da kann ich genauso gut gegen eine Wand reden. Die hört mir wahrscheinlich besser zu. „Vaughn schwach. Vaughn hier warten. Shea jagen.“ Ah – okay? Ziemlich perplex sitze ich nackt auf dem Waldboden und starre ihm hinterher. Shea…. Er verwirrt mich wirklich zutiefst. Ich wusste nicht, dass mein Unterbewusstsein so – heftig und vielschichtig ist. Oder ist er doch real? Eine Illusion die mich küsst, dass mir hören und sehen vergeht? Die nach Dingen fragt, die ich selbst längst vergessen oder als unwichtig abgestempelt habe? Die jetzt auch noch für mich jagt? Mir befiehlt hier auf ihn zu warten? Ein realer Mensch der nur auftaucht wenn ich allein und völlig fertig bin? Den niemand sonst mitbekommt und der sich um mich kümmert wie es wohl sonst niemand könnte? Vor allem wie es sonst niemand dürfte. Ich – brauch niemanden! Ich hab nie jemanden gebraucht. Auch ihn nicht. Oder? Aber warum…? Wenn ich ihn nicht brauche ist er keine Halluzination? Oder doch? Brauch ich ihn vielleicht ohne es zu wissen oder zu wollen? So wirr… Realität… Halluzination… Was soll ich glauben? Shea…. Es dauert etwas, bis ich mich dazu aufraffen kann, mich zu bewegen. Mein Hemd muss als Handtuch herhalten. Aber das macht nichts. Nur in Hose bekleidet lasse ich mich wieder aufs Gras fallen und warte. … Woher weiß ich überhaupt ob er widerkommt? So als Halluzination… Oder doch keine? ARGS! Seit wann hör ich überhaupt auf Befehle? Müde lasse ich mich rücklings ins Gras fallen und starre das grüne Blätterdach an. Vereinzelt kann ich einige Flecken Blau im sonst so satten Grün erkennen. Erneut lasse ich mich von der wunderbaren Ruhe dieses Ortes einfangen. Besser als jede Kirche – zumindest wenn man mich fragt. Ich lasse mich treiben. Meine Gedanken lösen sich von der Realität. Ich folge ihnen selbst wie ein neugieriger Welpe, bis… Ja, bis ein Rascheln im Unterholz mich aufschreckt. Ich bin so schnell auf den Füßen, dass mein Kreislauf lautstark protestiert und ich stark schwanke. Was wenn…? „Vaughn ruhig bleiben. Nur Shea. Keine Wölfe“ Erleichterung durchflutet mich und ich lasse mich schwer auf das Gras zurückfallen. Meine Nerven sind Momentan echt nicht die besten… Shea tritt aus dem Dickicht. Ein Wunder, dass er überhaupt Geräusche gemacht hat. Seine Bewegungen sind weich, geschmeidig und voller Kraft. Wie bei einer Raubkatze. Der Körper ist leicht geduckt, wie zum Sprung bereit und man kann die Muskeln unter der warmen, braunen Haut spielen sehen. So schön…. Mein Mund wird trocken. Und ich könnte mich gerade mal wieder Ohrfeigen. Ob für die Gedanken oder dafür, dass ich ihn so anstarre weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich beides. Der Tigerjunge scheint auch ein bisschen Irritiert. Auf jeden Fall schaut er verwirrt. „Warum schaut Vaughn so? Shea – falsch?“ Oh Gott, klingt das Unsicher. Und diese Augen… Das ist ja grausam! Jetzt gerade wirkt Shea so – jung und verletzlich, dass ich ihn einfach nur beschützen will. „NEIN!“ Ahm… Ja… Gut gemacht, Vaughn. Jetzt ist Shea geschockt und ich selber suche nach Worten. Aber diese Unsicherheit soll verschwinden. Egal wie! „Nein, du bist nicht falsch… Ich… ich find dich…. schön“ Röte schießt mir ins Gesicht. D-das – das hab ich jetzt grad nicht wirklich gesagt, oder? Das – das war eine Einbildung! Bitte! Das MUSSTE Einbildung sein. Nie! Niemals in meinem Leben würde ich einen MANN als schön bezeichnen! Das war doch so… falsch! Was tickt in meinem Hirn nur nicht mehr richtig? Aber dem süßen, etwas verlegenen Lächeln nach, das gerade dabei ist Sheas Gesicht zu erobern war das nicht nur real, sondern auch noch genau richtig, egal was ich dabei denke. Er lässt sich neben mir auf den Boden fallen und dreht sanft mein Gesicht in seine Richtung. Weiche, drängende Lippen auf meinen holen mich aus meiner Schockstarre. So schön…. Schon wieder verliere ich mich an ihn. „Shea mag das….“, schnurrt er leise. Verdammt. Ich habe eine Gänsehaut. Das Schnurren schießt wie ein Blitz durch meinen Körper. Schade, dass diese Lippen viel zu schnell von mir ablassen. Aber der weiche Blick der mir geschenkt wird, während Shea eine meiner verirrten Strähnen hinters Ohr streicht, ist auch nicht schlecht. … Ich bin gerade nicht ernsthaft dabei mich zu verlieben, oder? Ach du scheiße… Und Sabrina? Ich… ich liebe doch sie! Und ich – bin nicht schwul! Aber…. Das Gefühl hier bei Shea ist etwas – Einzigartiges… Was ich so noch nicht kenne. Wenn das Liebe ist… hab ich Sabrina dann je geliebt? Scheint als wären ihre Vorwürfe doch gerechtfertigt… Während ich in Gedanken versunken war, war Shea offensichtlich fleißig. Einen Meter vor mir schichtet sich Holz, daneben steckt ein Ast schräg im Boden. 4 große, ausgenommene Fische sind darauf aufgespießt. Gerade versucht der dunkelhäutige mit zwei Steinen Feuer anzuzünden. Manchmal ist mir der Kerl zu schnell. Könnte aber auch an meiner neuen Gewohnheit liegen, mich ständig in meinen eigenen Gedanken zu verlaufen. Ich wühle eine gefühlte Ewigkeit in meiner Tasche bis ich endlich das Feuerzeug gefunden hab und Shea die kleine, flackernde Flamme hinhalte. Er strahlt. Wie schön… „Du kannst es behalten.“ Sanft lächle ich ihn an. „Ah – Danke!“ So süß. Er strahlt übers ganze Gesicht. Schnell zeige ich ihm wie es funktioniert und das kleine Sonnenscheinchen zündet flink das Feuer an und spielt absolut fasziniert mit dem Feuerzeug herum, während der Fisch vor sich hinbruzelt. Ich kann nicht anders als ihn verträumt zu beobachten. Wie man sich über so eine Kleinigkeit nur so sehr freuen kann… Er ist faszinierend. „Shea hat das schon Mal beobachtet – das hier“, berichtet Shea plötzlich komplett aus dem Kontext gerissen und reißt mich damit aus meiner Träumerei. Gut, dass er mir auch gleich die Möglichkeit dazu nimmt, mich vor Scham im Teich zu ertränken. ‚Das hier‘ entpuppt sich nämlich als erneuter, zärtlicher Kuss. „Das blonde Mädchen mit der blauen Kleidung hat das mit einem orangehaarigen Jungen gemacht.“ Julia…. Ein Detail, auf das ich hätte verzichten können. Sie war also wirklich mit diesem Bubi zusammen. Warum nur? Der Kerl war doch… „Die beiden haben sich sehr gern.“ Wie kann man nur so unbedarft – ohne jede falsche Scheu vor sich hinreden? „Hat – hat Vaughn Shea etwa auch gern?“ Ich verschluckte mich und ringe heftig hustend nach Luft. Hilfe? Durch 1-2 heftige Schläge zwischen die Schulterblätter werde ich erlöst – zumindest von der Atemnot. Hölle und Himmel! W – was soll ich denn jetzt sagen? „Also. Shea mag Vaughn.“ O- offensichtlich ist eine Antwort von mir grad gar nicht erforderlich. Das ist gut… Sehr gut. Ich fühle mich nämlich ziemlich überfordert. Und Feuerrot. Kommt alles vom Verschlucken! Hoff ich… Shea derweil starrt mit seinem offenen, direkten Blick ins Feuer, als könne er kein Wässerchen trüben. Und das nachdem er mir sowas – einfach ins Gesicht sagt. Ich… weiß nicht mal mehr was ich denken soll. Mein Hirn auf jeden Fall hat gerade endgültig die Flucht ergriffen. „War Vaughn eigentlich nicht da, die letzte Zeit? Shea hat ihn nirgendwo gesehen. Shea hat sogar auf dem komischen Fest gesucht. Aber Shea durfte Kuh nicht jagen. Dabei sah Kuh so lecker aus!“ Ich muss mir echt ein Lachen verkneifen. „Die Kühe sind nicht zum Essen da. Sie geben Milch.“, versuche ich zu erklären. „Oh… Aber Kuh schmeckt wirklich lecker!“ Erneut wird der Fisch gedreht. „Glaube ich dir sofort.“ Schließlich erinnere ich mich nur zu gut an die gegerbte Kuhhaut in der Hütte… „War Vaughn weg?“ Ach ja – da war ja noch eine Frage… „Erst unterwegs, dann sehr lange krank“, antworte ich widerwillig. Ich mag es wirklich nicht Schwäche zugeben zu müssen. Aber ich will auch nicht lügen. „Also Vaughn doch krank. Vaughn besser aufpassen! Mehr essen. Mehr schlafen. Nicht verletzen“ Da hat sich aber jemand in Rage geredet. „Shea…“ Er holt ja schon wieder Luft. „Vaughn muss-„ „Shea!... Ich hab das alles doch nicht absichtlich gemacht. Es war – einfach ein bisschen viel in letzter Zeit.“ So wirklich zufrieden scheint er mit der Aussage nicht zu sein. Aber was soll ich tun? „Wada hatte Recht. Vaughn nicht hätte gehen dürfen!“ Äh – wer? Und wieso gehen? Wann? Meine letzte Schifffahrt? Muss wohl… „Vielleicht, Shea. Aber es ist nun Mal passiert und ich bemühe mich, dass es nie wieder passiert, ok?“ Zwei große Augen schauen mich auf einmal an, viel zu nah an meinem Gesicht. „Verspricht Vaughn Shea das?“ Ich seufze. Bleibt mir da eine Wahl? „Ja, ich verspreche es.“ Unter Protest aber. Ich gebe ungern solche Versprechen. Aber immerhin scheint es ihn endlich zu beruhigen. Er nimmt ein großes Blatt und zieht damit vorsichtig einen der heißen Fische ab. Das drückt er mir dann auch prompt in die Hand, so dass ich aufpassen muss, mich nicht zu verbrennen. „Da. Vaughn muss essen.“, beschließt er sehr nachdrücklich. Okay, wenn er meint. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie er sich selbst etwas nimmt und herzhaft in das zarte Fleisch beißt. Hmm…. Etwas zögerlicher folge ich seinem Beispiel. Es schmeckt überraschend gut. Anderthalb Fische fallen mir zum Opfer. Ich hatte ja wirklich Hunger… Sollte ich mir Sorgen machen, dass ich das nicht selbst gemerkt habe? Shea zieht die übrig gebliebenen Fische ab, um sie vorsichtig einzuwickeln und in eine lederne Umhängetasche zu stecken. „Die sind für Wada.“ Ich lächle nur. So süß. Und je länger das alles andauert, desto weniger macht es mir aus so über einen Mann zu denken. Und desto sicherer bin ich mir auch das Shea real ist. So jemand könnte ich mir doch niemals ausdenken. Oder? Ich hoffe es nicht. Es – es würde wehtun, so seltsam es ist. Vielleicht kann ich ja Mirabelle fragen? Wenn er wirklich beim Kuhfest war, würde sie ihn gesehen haben. Er ist ja nicht gerade eine unauffällige Erscheinung. Auf der anderen Seite… Wenn es doch nur eine Illusion ist, wie würde sie reagieren? Sie würde mich doch gleich in die nächste Klapse schleppen. Wobei ich da dann wohl auch hingehöre. Wer weiß? Irgendwann greift man nach jedem Strohhalm. Vielleicht würde es mir ja helfen? … Ich muss echt verzweifelt sein. Langsam steh ich auf und strecke mich. Ich muss zurück, oder Mirabelle stellt noch eine Suchmannschaft zusammen. „Vaughn geht?“ Etwas müde nicke ich Shea zu. „Ja. Ich brauche Schlaf, sonst wird ein gewisser Shea wieder wütend. Außerdem dreht Mirabelle sonst ab vor Sorge. Sie weiß ja nicht wo ich bin.“ Das nennt man dann wohl einen schwierigen Patienten haben... Mir wird ein sehr nachdenklicher Blick geschenkt. „Mirabelle – Vaughns Partner?“ Dieses Mal hat er echt nach Worten suchen müssen. Und er sieht wieder so unsicher aus. Ich kann nicht anders als ihn weich in den Arm zu ziehen. „Nein. Mirabelle ist Julias Mutter. Das ist die Blonde mit der blauen Kleidung. Und – sie sieht sich wohl irgendwo auch als meine Mutter und versucht sich um mich zu kümmern. Sie ist nicht mein Partner.“ Ich kann spüren, wie der warme Körper in meinen Armen sich entspannt und anschmiegt. Partner… Bisher weigere ich mich noch darüber nachzudenken. Mal sehen für wie lange noch… Langsam löse ich mich und wir gehen Seite an Seite Richtung Brücke. Warum fühlt sich das nur so richtig an? Als ich das Holz betrete spüre ich seine Hand an der Schulter. Er steht noch auf der Erde, hat die Brücke nicht betreten. „Vaughn kommt wieder?“, werde ich gefragt. Der Blick der mich trifft zersäbelt mich ungefragt in meine Einzelteile. Aua… „Ich werde es jedenfalls versuchen, falls Mirabelle mich lässt. Aber ich weiß gar nicht wie ich dich finden kann.“ Er lächelt leicht. „Shea findet Vaughn, wenn Vaughn hier. Und sonst – sucht Shea Vaughn einfach im Dorf.“ Oh, da war jemand sehr sicher. So verdammt – selbstsicher, direkt und überzeugt. Es ist geradezu zu spüren, wie stark er ist und es jagt mir einen Schauder über den Rücken. Ich bin reichlich wirr im Kopf. „Na, dann kann ich sicher sein, dich bald wieder zu sehen, Shea…“ und das Wissen löst ein warmes Gefühl in meiner Brust aus. Ich lächle ihn sanft an. Seit wann bin ich so weich? Warum? Na – egal. „Bis bald.“ „Bis bald, Vaughn“ Ich weiß dass er mir nachsieht, als ich langsam die Brücke überquere und ins Dorf zurückkehre. Ich weiß dass ich ihn wiedersehen werde. Bald schon. Ich brauche mich nicht umzudrehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)