Smallville-Expanded - 03 von ulimann644 (Vacation) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Als Alicia Sterling erwachte, war ihr, als würde sie immer noch auf Wolken schweben. Sie drehte sich vorsichtig auf die Seite, um Christian, der noch fest schlief, nicht zu wecken. Danach rückte sie vorsichtig etwas von ihm ab, um lächelnd sein Gesicht beobachten zu können. Es wirkte sanft und zufrieden, und sie wäre sehr erstaunt gewesen, wenn sie die Ähnlichkeit zu ihren eigenen Gesichtszügen hätte sehen können. Gestern hatte Alicia ihren siebzehnten Geburtstag gefeiert. Noch einige Tage zuvor hatte es danach ausgesehen, als würde die noch junge Beziehung zwischen ihr und Christian von Falkenhayn keinen Bestand haben, und nun lag sie, splitternackt, neben dem ebenfalls splitternackten Deutschen in ihrem Bett – glücklich darüber, dass sie am frühen Morgen mit einander geschlafen hatten. Dabei hätte beinahe eine mutierte Rosenart und ihr Einfluss auf Christian und zwei ihrer Mitschülerinnen alles zunichte gemacht. Durch ihren Einfluss war Christian zwischenzeitlich ein ganz Anderer gewesen, und es war der Eindruck entstanden, dass er nur ein momentanes Spielzeug in ihr gesehen hatte. Doch das war falsch. Das wusste sie jetzt, ganz tief in ihrem Innern. Jetzt, da Alicia das Gesicht des Jungen betrachtete, in den sie sich bis über beide Ohren verliebt hatte, war sie sich ganz sicher, dass Christian niemals absichtlich mit ihren Gefühlen spielen würde. Vielleicht kann man den wahren Charakter eines Menschen nur sehen, wenn er schläft, überlegte Alicia. Denn im Schlaf hat er keine Möglichkeit, sich zu verstellen! Eine Welle inniger Zuneigung erfasste sie und als sie es nicht mehr länger aushielt beugte sie sich geschmeidig zu ihm hin und küsste ihn auf seine Wangen und seine Lippen, bis er einige undefinierbare Brummlaute von sich gab und langsam erwachte. „Guten Morgen, Sweetheart“, hauchte das dunkelhäutige Mädchen ganz sanft in Christians Ohr und küsste ihn schließlich verlangend. Noch im Halbschlaf erwiderte er ihren Kuss und legte seine Arme um sie. Erst nach einer geraumen Weile gab Alicia ihn wieder frei. Der Junge blickte sie liebevoll an und meinte sanft: “An diese Art geweckt zu werden, könnte ich mich glatt gewöhnen, Honey.“ Alicia streichelte Christians Wange und erwiderte leise: „Ja, ich auch. Ich habe mich seit Wochen zum ersten Mal wieder ganz und gar geborgen und sicher gefühlt, und so ruhig geschlafen wie schon lange nicht mehr. Erneut küssten sie sich. Erst als Christian sie lächelnd wieder freigab blickte Alicia, eher gewohnheitsmäßig zum Wecker. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Erschreckens, als sie die Zeit ablas. „Oh, verdammt Chris! Wir haben bereits nach 11:00 Uhr morgens. In spätestens einer halben Stunde werden meine Eltern unten zur Tür herein marschieren, und vorher wollte bereits Samantha hier sein!“ Auch Christian war, wie Alicia, der Meinung gewesen, es sei noch sehr viel früher am Tag. Darauf, von Alicias Eltern dabei erwischt zu werden, dass er mit ihrer Tochter die Nacht hier verbracht hatte, konnte er gut und gerne verzichten. Beide Teenager entwickelten eine betriebsame Hektik, tauschten etwas konfus Wäschestücke aus, bis jeder seine eigenen Sachen vom Vorabend an hatte, und blickten sich schließlich erleichtert an. Alicia nahm Christian verschmitzt lachend an die Hand und raunte verschwörerisch: „Jetzt mach, dass du nach Hause kommst, bevor meine Eltern hier aufkreuzen.“ „Ist wohl besser“, antwortete Christian augenzwinkernd, während er sich von Alicia aus dem Zimmer hinaus auf die Treppe ziehen ließ. Hand in Hand hopsten sie die Stufen hinunter, wobei der Junge lächelnd sagte: „Diese Nacht war wunderschön, mein Engel.“ „Dann ist es das Donnerwetter wenigsten wert!“ Die beiden Jugendlichen fuhren erschrocken aus einander, bei der ernsten Stimme, und Christian stolperte mehr die letzten drei Stufen hinunter, als dass er ging, um sich letztlich mit einem weiten Ausfallschritt vor einem Sturz zu retten. Unten angekommen stellte sich Alicia zu ihm und die beiden, auf frischer Tat Ertappten, blickten gleichermaßen schuldbewusst in die ernsten Mienen von Jerome und Cassidy Sterling. Eine schrecklich lange Weile herrschte Totenstille, bevor Alicia zaghaft sagte: „Mom... Dad... Ich.. wir können das erklären.“ „Oh ja – genau das werdet ihr tun“, übernahm nun Jerome Sterling das Reden. Er blickte Christian beinahe hypnotisierend an und erklärte: „Du, junger Mann, kommst mit mir nach Draußen.“ Damit schritt er forsch zur Haustür. Christian schluckte trocken und warf Alicia noch einen sehnsüchtigen Blick zu, bevor er ihrem Vater hinaus ins Freie folgte. Währenddessen stand Cassidy Sterling, mit vor der Brust verschränkten Armen, vor ihrer Stieftochter und sagte mit unheilschwangerer Stimme: „So, junges Fräulein, nun verrate mir bitte einmal, warum du glaubst, die Regeln dieses Hauses würden ab sofort keinerlei Gültigkeit mehr für dich haben?“ Alicia schluckte. Sie spürte einen imaginären Kloß im Hals, und es dauerte einen Moment lang, bevor sie verständliche Worte hervorbringen konnte. „Mom, ich liebe Christian und...“ „Es geht nicht darum, dass ihr mit einander geschlafen habt“, fuhr Cassidy ihrer Tochter in die Parade. „Es geht darum, dass dein Vater und ich es nicht gestatten, dass Fremde hier, ohne unser Einverständnis und ohne unser Wissen, übernachten.“ „Aber ihr kennt Chris doch“, unternahm Alicia einen schwachen Versuch. „Weich bitte nicht vom Thema ab, mein Kind“, erklärte ihre Stiefmutter betont, hob ihre Augenbrauen und musterte Alicia mit dem Blick, bei dem das Mädchen stets wusste, dass es an der Zeit war sein Vergehen einzugestehen, statt zu widersprechen. Alicia schlug die Augen nieder und antwortet leise: „Es tut mir leid, Mom.“ „Was tut dir leid?“, erkundigte sich Cassidy Sterling spitz. „Dass du mit Chris geschlafen hast? Dass wir euch erwischt haben? Oder dass du gegen die Hausregeln verstoßen hast?“ Alicia blickte wieder auf und seufzte. „Es tut mir leid, dass ich gegen die Hausregeln verstoßen habe, und es wird nicht wieder vorkommen, Mom.“ Eine Weile musterte Cassidy Sterling ihre Stieftochter, die sie so sehr liebte, als wäre sie ihre eigene, forschend, und aus dem Blick wurde das Lächeln, das Alicia sagte, dass es nicht so schlimm kommen würde, wie sie zuerst vermutet hatte. „Na komm schon her, und stehe nicht da, wie eine arme Sünderin, mein Schatz. Ich hoffe nur, dass du derselben Meinung bist, wie Chris eben.“ Ein erstes zaghaftes Lächeln überflog das Gesicht des Mädchens. Sich mit ihrer Mutter an den Tisch setzend erklärte sie zögernd: „Ja, das bin ich, Mom.“ Verstehend lächelnd nahm Cassidy Sterling Alicias Hände in ihre und drückte sie. „Dann ist alles gut, Alicia. Aber merke dir, dass dein Dad und ich nicht öfter auf diese Art und Weise überrascht werden möchten. Das nächste Mal sagst du vorher Bescheid, okay?“ Alicia lächelte erleichtert. „Ja, Mom.“ Cassidy Sterling blickte bedeutungsvoll auf die Haustür und konnte es nicht unterlassen, sich den kleinen Spaß zu machen, indem sie meinte: „Das heißt, falls es ein nächstes Mal überhaupt gibt, wenn Dad mit Chris fertig ist.“ „Mom, bitte... Meine Knie zittern auch so immer noch genug.“ Cassidy Sterling grinste verschmitzt. „Ein klitzekleines Bisschen Strafe hast du verdient, also beschwere dich bloß nicht.“   * * *   Auch Christian fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut, als er Jerome Sterling die Stufen der Veranda hinunter folgte und schweigend neben ihm am Zaun der Farm entlang schritt. Für fast eine Minute hörten sie nur ihre Schritte, bevor Christian das Schweigen zu viel wurde und er betreten sagte: „Mister Sterling, ich entschuldige mich dafür, dass Alicia und ich gegen ihre Regeln verstoßen haben. Wir wollten Sie und Ihre Frau bestimmt nicht verärgern, Sir.“ Alicias Vater musterte Christian von der Seite. Er ging nicht auf dessen Worte ein und fragte stattdessen mit ernstem Gesicht: „Wie lange wolltet ihr das hinter unserem Rücken laufen lassen, Chris?“ Ehrliche Verwunderung spiegelte sich auf dem Gesicht des Jungen. Dann antwortete er offen: „Wir hatten das nicht so geplant, Sir. Ich bin sicher, dass Alicia es Ihnen und Ihrer Frau erzählt hätte, auch wenn wir nicht verschlafen hätten.“ Jerome Sterling musterte den Jungen forschend. Wenig überzeugt entgegnete er: „Wohl eher meiner Frau, als mir.“ Für einen Moment wusste Christian nicht, was er darauf sagen sollte. Dann erklärte er diplomatisch: „Möglicherweise. Aber in diesem Fall sicherlich deshalb, weil Alicia Sie so sehr liebt, und Sie nicht verletzen oder enttäuschen möchte. Aber egal, was Alicia auch immer für mich empfindet und noch empfinden wird, es wird niemals etwas daran ändern können, was sie für Sie fühlt, Mister Sterling. Und das ist auch gut so.“ Als Jerome Sterling den Jungen erneut von der Seite ansah, spiegelte sich auf seinem Gesicht eher Neugier, als Enttäuschung oder Traurigkeit. „Du bist ein kluger Junge, Chris. Was hast du vor, wenn du, in etwas mehr als einem Jahr, mit der Schule fertig bist?“ Christian ahnte worauf diese Frage abzielte, denn er selbst hatte sie sich bereits mehrmals gestellt. „Ich habe bereits mit meiner Tante darüber gesprochen, dass ich auch mein Studium hier in Amerika machen möchte. Was danach sein wird, das kann ich jetzt noch nicht sagen, Sir. Aber wenn Alicia mich so sehr liebt, wie ich sie, und wir weiterhin zusammen sein sollten, dann werden wir bis dahin genug Zeit haben, um gemeinsame Pläne für die Zeit danach zu schmieden. Ich würde mir das sehr wünschen, Mister Sterling.“ „Wow – jetzt solltest du vielleicht doch einen Gang zurück schalten, Chris“, schmunzelte Jerome Sterling. „Meine Frage zielte nicht auf ein Treuegelöbnis auf Lebenszeit ab. Andererseits solltest du ihr nicht das Herz brechen, oder wir haben Krieg.“ „Das kam deutlich an, Sir“, antwortete Christian ernsthaft. Ein schiefes Grinsen stahl sich auf das Gesicht von Alicias Vater und entsagungsvoll meinte er: „Okay, dann vergessen wir für dieses Mal die Standpauke, weil du ohne das Wissen von mir und meiner Frau bei uns übernachtet hast. Und jetzt komm, wir gehen zurück, sonst fangen unsere Girlies noch an sich Sorgen zu machen.“ Kapitel 1: Ein Besuch in Metropolis -----------------------------------  „Oh, komm schon, Oliver. Wir könnten diesen Vormittag sehr viel angenehmer verbringen, als in einer Kunstgalerie.“ Der hochgewachsene Student fuhr sich mit der Rechten durch sein kurzes, strohblondes Haar und musterte seine Ex-Freundin. Die braunen Augen des Dreiundzwanzigjährigen, die in einem Kontrast zu seiner Haarfarbe stand, welcher auf Frauen anziehend wirkte, drückten leichten Unwillen aus, als er beschwichtigend erwiderte: „Nun hab dich nicht so, Tess. Erstens muss es nicht immer nur nach deinem Willen gehen, zweitens, hast du es versprochen und drittens: Nein, ich werde es nicht tun.“ Die blau-grünen Augen der jungen, blonden Frau, die etwa in demselben Alter war, wie der junge Mann an ihrer Seite, blitzten für einen Augenblick zornig auf und zeugten von ihrem, mitunter explosiven, Temperament. Tess Mercer hatte Oliver Queen, den Erben von QUEEN-INDUSTRIES vor einigen Jahren auf einer abgelegenen Pazifikinsel kennengelernt. Damals war er der einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes gewesen, bei dem unter anderem seine Eltern um´s Leben kamen. Sie selbst war, zusammen mit ihere Freundin, von Drogenhändlern gekidnappt und auf diese Insel entführt worden. Oliver hatte sie zunächst aus den Händen ihrer Entführer befreit – später hatte Tess ihm dann das Leben gerettet, indem sie die normalerweise tödliche Wirkung einer Giftpflanze, dank ihrer Fähigkeiten als Biologin, hatte neutralisieren können. Diese Ereignisse hatte sie beide zusammengeschweißt, aber am Ende nicht vor der Erkenntnis bewahren können, dass zu einer funktionierenden Liebesbeziehung mehr gehörte. Wenigstens war es ihnen gelungen, ihre platonische Freundschaft dabei zu retten, und gelegentlich blitzte auf, dass es immer noch ein wenig mehr zu sein schien, als das. Jetzt funkelte Tess ihren Ex-Freund an und flüsterte heiser: „Ich hatte damit bestimmt nicht gemeint, dass ich den Vormittag, gemeinsam mit dir, im Bett verbringen will.“ Oliver Queen erwiderte nichts darauf. Lediglich sein spöttisches Schmunzeln deutete darauf hin, wie hoch er den Wahrheitsgehalt ihrer Worte einschätzte. „Glaub doch, was du willst“, fauchte Tess, wütend darüber, dass ihr Ex-Freund sie mitunter besser kannte als es ihr lieb war. „Das tue ich doch immer.“ „Leider!“ Tess zog den jungen Mann weiter in den nächsten Saal. Ganz im Gegensatz zu Oliver war sie selbst nur halb bei der Sache. Darum fiel ihr ein junger Mann auf, der mit einer dunkelhäutigen Begleiterin unterwegs war und prüfend zu ihnen herüber blickte. Sie machte Oliver darauf aufmerksam und raunte ihm zu: „Ich möchte zu gerne wissen, warum dieser Typ dort hinten die ganze Zeit über zu uns herüber starrt.“ Oliver Queen, dessen Blick dem seiner Ex-Freundin folgte, antwortete nach einem Moment: „Vermutlich, weil wir uns kennen, Tess. Ich dachte allerdings, er würde sich in Europa aufhalten.“ Wie zur Bestätigung seiner Worte, lächelte der hünenhafte Junge ihnen zu, sprach mit seiner Begleiterin, die nun ebenfalls zu ihnen sah, und kam dann mit ihr zu ihnen, während Tess dabei feststellte, dass dieser Junge für sein Alter verdammt gut aussah.   * * *   Als Alicia an diesem Mai-Wochenende, zusammen mit Christian, nach Metropolis fuhr fühlte sie sich rundherum zufrieden und glücklich. Nicht nur deshalb, weil sie Christian an diesem Vormittag ganz für sich hatte, sondern auch deswegen, weil eine spürbare Last von ihm abgefallen zu sein schien, seit er vor zwei Wochen durch seinen Vater erfahren hatte, dass die Attentäter, die seine Mutter auf dem Gewissen hatten, endlich gefasst und eingesperrt worden waren. Wie von Christians Vater befürchtet, hatten sie tatsächlich einen zweiten Anschlag geplant. Glücklicherweise waren sie vorher vom deutschen BKA aufgespürt und dingfest gemacht worden. Seitdem fühlte sich Alicia in Christians Gegenwart noch glücklicher, da die Spur von Bedrücktheit, die bisher sein ständiger Begleiter gewesen war, nun fehlte. Es schien ihr beinahe so, als habe sie sich ein zweites Mal in ihn verliebt. Eine neue Kunstgalerie hatte in Metropolis ihre Tore geöffnet, und Christian, der sich sowohl für moderne, als auch für klassische Malerei begeisterte, hatte kurzerhand zwei Karten für Alicia und sich besorgt. Natürlich hatte er das Mädchen nicht lange bitten müssen, denn einerseits fand auch Alicia Gefallen an Kunst, andererseits konnte man anschließend noch durch die Läden der Stadt tingeln. Alles deutete also auf einen perfekten Tag hin. Als Christian seine Freundin dabei ertappte, wie sie in Gedanken etwas ironisch lächelte, musterte er sie fragend und meinte: „Was ist denn so ulkig?“ Alicia wurde erst jetzt bewusst, dass sie für einen Moment abwesend gewesen war und erklärte, etwas verlegen: „Na ja, ich musste daran denken, wie einige an der Schule mich angesehen haben, nachdem du ihnen gesagt hast, wer du bist und wie du wirklich heißt. Selbst Samantha habe ich dreimal versichern müssen, dass ich mich nicht wegen des Geldes in dich verliebt habe.“ „Gerade Sam sollte es eigentlich besser wissen“, knurrte Christian. „Du solltest auf so etwas nichts geben, Honey. Und wenn einer weiß, dass es nicht so ist, dann bin ich das. Ich würde niemals glauben, dass du so berechnend sein könntest. Selbst wenn ich dich nur zu einem Eis einladen möchte, wird das ja schon ein Kampf.“ Bei seinen letzten Worten sah ihn Alicia eigentümlich an. Christian, der den Blick bemerkte ergänzte: „Na komm, ist doch so.“ „Schon“, gab Alicia zögerlich zu. Dann drückte sie Christian einen schnellen Kuss auf die Lippen und erklärte: „Aber du musst einsehen, dass mich diese Situation etwas verunsichert. Zumindest momentan.“ Christian drückte sie sanft an sich und erwiderte lächelnd: „Solange du mich in deinem Herzen trägst, ist das kein Problem, Honey.“ Er hauchte einen Kuss auf ihre Wange, wobei sein Blick unbewusst auf die die Kette fiel, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Hand in Hand schritten sie weiter und blieben gelegentlich vor einem Bild stehen, dass ihnen besonders gefiel. Schließlich begann Christian mit einem Thema, dass ihm seit einigen Tagen am Herzen lag, und fragte Alicia leise: „Was hältst du von einem Ferientrip nach Europa, mein Engel? Ich möchte, gerade jetzt, da die Gefahr vorbei ist, gerne meinen Vater besuchen. Er würde sich bestimmt darüber freuen dich endlich kennenzulernen. Dabei könnten wir auf dem Rückflug in Paris Station machen und uns ein oder zwei Wochen lang die Stadt der Liebenden ansehen.“ Alicia blickte überrascht zu ihm auf. „Wow, das wäre toll, Chris, aber meine Eltern...“ „...haben nichts dagegen“, beendete Christian den Satz für seine Freundin. „Ich habe sie gestern telefonisch um Erlaubnis gefragt.“ Vergnügt und gleichzeitig abwartend blickte er in die wundervollen, dunklen Augen seiner Freundin. Endlich schaffte Alicia es zu sagen: „Du hast wieder einmal an alles gedacht, aber mittlerweile sollte ich wissen, wie du tickst und mich nicht darüber wundern.“ „Dann fliegen wir also in den Ferien nach Europa?“ Alicia küsste Christian erneut, bevor sie glücklich antwortete: „Glaubst du wirklich, ich würde mir eine solche Gelegenheit entgehen lassen? Paris erleben, zusammen mit dir, das wird sicherlich traumhaft.“ „Ganz bestimmt“, lächelte der Junge. Sich immer wieder verliebte Blicke zuwerfend schritten sie in den nächsten Saal. Gleich darauf erkannte Christian ein Gesicht in der Menge, dass ihm bekannt vorkam. Er verlor es für einen Moment aus dem Sichtfeld und es dauerte einen Moment, bis er es wiederentdeckte. Tatsächlich, er hatte sich nicht geirrt. Keine zehn Meter von ihm entfernt stand ein junger Mann, den er im letzten Sommer auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung, zu der ihn seine Eltern mitgeschleift hatten, kennengelernt hatte. Alicia, die aufmerksam geworden war, folgte seinem Blick. Dann fragte sie forschend: „Blickst du zu dem Blonden hinüber, oder zu seiner Begleiterin?“ Für einen Moment warf Christian seiner Freundin einen entsagungsvollen Blick zu. Dann erklärte er: „Der Blonde ist Oliver Queen. Ich habe ihn im letzten Sommer, in Wien, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennengelernt.“ Alicia erwiderte verwundert: „Der Oliver Queen?“ Christians Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. „Richtig – der Oliver Queen. Der Erbe von QUEEN-INDUSTRIES. Komm, lass uns Guten Tag sagen.“ Bevor Alicia etwas darauf entgegnen konnte schritt Christian mit ihr zu dem jungen Mann und seiner Begleiterin. Beide schienen, nach Meinung des Mädchens, einige Jahre älter zu sein, als sie und Christian. Alicia stellte unbewusst Überlegungen darüber an, wie der junge Mann, denn Christian als Oliver Queen identifiziert hatte, zu seiner hübschen Begleiterin stand, und befand, dass beide nicht gerade den Eindruck eines Liebespaares machten. Sie wirkten eher, wie sehr alte Freunde. Dabei bemerkte sie den taxierenden Blick, mit dem sie Christian musterte, und der ihr nicht gefiel. Gar nicht gefiel... Sie erreichten Oliver Queen und seine Begleiterin, und ganz nach dem Knigge stellte Christian Alicia zuerst den jungen Mann vor, bevor er ihm und seiner blonden Begleiterin Alicia und sich selbst vorstellte. Nachdem Oliver seinerseits Tess Mercer vorgestellt hatte, meinte er zu Christian gewandt: „Ich bin überrascht, dich hier anzutreffen. Solltest du nicht in Deutschland weilen?“ „Ich bin vor einigen Monaten zu meinem Onkel, nach Smallville, gezogen. Das Ganze ist eine ziemlich lange Geschichte, fürchte ich.“ Oliver Queen verstand den dezenten Hinweis, dass Christian im Moment nicht gewillt war mehr preiszugeben und wechselte das Thema, indem er zu Alicia blickte und verschmitzt meinte: „Und kaum angekommen hast du dir das hübscheste Mädchen von Smallville geangelt, was von vornherein dein Plan gewesen ist, stimmt´s?“ Sie lachten und Christian meinte in derselben Tonart: „Wer weiß?“ Tess Mercer, die sich bisher auffallend zurückgehalten hatte, erkundigte sich nun neugierig: „Ich vermute, Ihr Vater will expandieren, und Sie, als sein Sohn, erkunden nun für ihn das Terrain.“ „In dieser Hinsicht würde sich mein Vater eher auf das Urteil meines Onkels verlassen, denke ich“, verneinte Christian freundlich. „Da ihm die größte Spedition des Landes gehört kennt der ohnehin Land und Leute. Nein, momentan expandiert die Firma meines Vaters in Richtung Asien.“ Die blonde Frau nickte verbindlich. Dann erblickte sie die Kette an Alicias Hals und meinte anerkennend zu dem Mädchen: „Du trägst da eine wunderhübsche Kette.“ Alicia lächelte zufrieden als sie erwiderte: „Die hat mein Freund Chris mir zum Geburtstag geschenkt.“ Tess Mercer warf einen bezeichnenden Blick zu Oliver, bevor sie etwas melancholisch erklärte: „Ich wünschte, ich könnte Oliver dazu ermutigen, mir auch solche Gaben zu verehren.“ Auch Oliver Queen, der nun aufmerksam geworden war, warf einen Blick auf die Kette und meinte, mit einem verschmitzten Seitenblick zu Christian, an Alicia gewandt: „Ich würde sagen, dein Freund hat ernste Absichten, Alicia.“ Bevor Alicia den Blonden fragen konnte, wie er seine Worte gemeint hatte, erklärte dieser: „Ihr müsst uns nun entschuldigen, aber ich habe heute Nachmittag noch ein Meeting mit einigen Abteilungsleitern meiner Firma, und ich hatte vor, mir vorher diese Ausstellung anzusehen. Aber falls ihr beide Lust habt, könnt ihr mich ja mal in Star City besuchen. Ich zeige euch, bei der Gelegenheit, gerne den Firmenhauptsitz von QUEEN-INDUSTRIES.“ „Das klingt sehr interessant“, stimmte Christian nach einem schnellen Blick zu Alicia, freudig zu. „Nach den Ferien werden wir bestimmt darauf zurückkommen. Oliver Queen nahm eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie Christian. „Darauf findest du die Nummer meines Diensthandy´s und die Adresse. Ruf mich einfach nach den Ferien, am besten unter der Woche, dort an, dann machen wir einen Termin aus.“ „Das werde ich“, versicherte Christian. Sie verabschiedeten sich, und Christian blickte beiden nach, als sie in der Menge verschwanden, bevor Alicia ihn, mit sanfter Gewalt, in die entgegengesetzte Richtung zog. Als sie den nächsten Ausstellungsraum erreichten und vor einem Bild anhielten, sagte Alicia grimmig: „Hast du bemerkt wie diese Tess dich angesehen hat?“ Christian, der die Blicke der blonden Frau bemerkt hatte, nickte grinsend. Dann fragte er neckend: „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig geworden?“ Die Augen seiner Freundin funkelten gefährlich, als sie erwiderte: „Eifersüchtig? Auf die? Chris, diese Frau ist doch mindestens Mitte Zwanzig.“ „Richtig“, stimmte Christian zu und ergänzte belustigt: „Damit könnte sie fast meine Großmutter sein, schätze ich.“ „Deine Urgroßmutter“, konterte Alicia ironisch. Sie sahen sich an und begannen zu lachen. Schnell gab Christian seiner Freundin einen Kuss auf die Lippen und erklärte ernsthaft: „Sie ist nicht mein Typ, okay?“ „Das war die richtige Antwort“, grinste Alicia. „Dein Glück, mein Lieber.“ Sie lächelten sich verliebt an, bevor Christian seine Freundin an die Hand nahm und mit ihr weiterging. Dabei fragte Alicia mit verändertem Tonfall: „Ich frage mich, was Oliver damit meinte, als er zu mir sagte, dass du ernsthafte Absichten hättest?“ „Darüber würde ich mir keine Gedanken machen, Alicia. Er wollte damit zweifellos bekunden, dass ihm deine Kette gefallen hat.“ „Ja, vermutlich“, stimmte das Mädchen zu, ohne dabei den nachdenklichen Blick ihres Freundes zu bemerken, und vergaß die Frage vorerst. Kapitel 2: Edelsteine --------------------- Cassidy Sterling, die an diesem Wochenende Nachmittagsdienst im Krankenhaus von Edge-City hatte, war froh, endlich Zuhause zu sein, als sie sich, gegen 22:45 Uhr, an den Küchentisch setzte. Ihr Mann Jerome besuchte seinen Bruder in Granville, und würde erst am nächsten Morgen wieder da sein. Aber bald würde Alicia wieder da sein. Es war ausgemacht, dass Christian sie heute Abend, bis um 23:00 Uhr, hier absetzen würde, und auf den Jungen, das wusste Cassidy inzwischen, war in dieser Hinsicht Verlass. Wie zur Bestätigung erklang draußen kurz darauf das Geräusch seines Motorrades. Es dauerte jedoch noch eine Weile, nachdem der Motor verstummt war, bis sie die Schritte ihrer Stieftochter auf der Veranda vernahm und sie lächelte amüsiert, da sie sich sehr gut vorstellen konnte, was in der Zwischenzeit geschehen war. Schließlich war sie gebürtige New Yorkerin, und auch einmal jung gewesen. Als Alicia schließlich herein kam und sie glücklich anstrahlte, da tat Cassidy Sterling ahnungslos und meinte scheinbar unbeteiligt: „Der Ausflug nach Metropolis scheint dir ja sehr gefallen zu habe, Kleines.“ „Und du kannst dir natürlich gar nicht vorstellen, woran das liegt“, erwiderte Alicia ironisch, bevor sie ihrer Mom um den Hals fiel und leise sagte: „Danke, dass du und Dad mir erlauben wollt, mit Chris in den Ferien nach Europa zu fliegen.“ „Dir ist hoffentlich klar, dass damit die Bedingung verknüpft ist, nicht schlechter zu werden, in der Schule“, mahnte Cassidy Sterling, gespielt ernst. „Sonst müssten wir uns das noch einmal genau überlegen.“ Alicia blickte ihre Mutter treuherzig an und versicherte schnell: „Ich werde die Schule nicht vernachlässigen. Ich glaube, in dem Fall wäre Christian der Erste der mir etwas erzählen würde. Wusstest du, dass er außer Englisch und Deutsch außerdem noch Spanisch und Französisch beherrscht? Und momentan lernt er gerade Japanisch.“ „Wow – ein Streber“, spöttelte ihre Mutter gutmütig. „Zu meiner Zeit waren die blass, dürr und pickelig.“ „Ja, und heutzutage spielen die Football, retten Mädchen, und beherrschen Kampfsport“, hieb Alicia in dieselbe Kerbe. „Da soll noch einer behaupten, die Menschheit würde sich nicht weiterentwickeln.“ Sie lachten amüsiert und Alicia zog sich einen Stuhl heran. Nachdem sie Platz genommen hatte meinte sie: „In Metropolis habe ich Oliver Queen kennengelernt. Chris und er kennen sich von Früher.“ „Toll, meine Tochter lernt einen Milliardär nach dem anderen kennen“, bemerkte Cassidy Sterling trocken. „Hoffentlich schnappst du demnächst nicht über.“ „Bestimmt nicht“, lachte Alicia. „Er hat Christian und mich eingeladen, uns nach den Ferien den Firmensitz von QUEEN-INDUSTRIES anzusehen.“ „Und da wirst du natürlich die Gelegenheit nutzen, dir schon einmal die Laboreinrichtung genau anzusehen, nehme ich an.“ Alicia nickte begeistert. „Schaden kann es ganz bestimmt nicht. Ich hoffe, ich bekomme ein Stipendium, als Chemikerin, an einem der Colleges.“ Cassidy nickte nachdenklich. Sie hatte bereits, gemeinsam mit ihrem Mann, hin und her überlegt, wie sie Alicia dieses Studium aus eigener Tasche finanzieren könnten. Ein Stipendium würde die optimale Lösung des finanziellen Problems sein, denn ohne einen neuen Kredit war dies sonst kaum möglich. „Oliver Queen gefiel übrigens die Kette, die mir Christian zum Geburtstag geschenkt hat, Mom.“ Cassidy Sterlings Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück und sie warf einen Blick auf die silbern glänzende Kette, und den ebenfalls silbern glänzenden Anhänger, mit den weißen und blauen Steinen darin. Sie betrachtete das Glitzern der Steine und fragte ihre Tochter dann mit seltsamer Betonung: „Hat Christian dir gesagt, was das für Steine sind?“ Alicia lachte. „Samantha hat ihn während meiner Fete gefragt, und Chris hat ganz trocken gemeint, es wären Diamanten und Saphire. Manchmal ist er wirklich ein Spaßvogel.“ Cassidy Sterling nickte nur und fragte dann: „Darf ich die Kette einmal haben?“ Das Mädchen nickte. Schnell nahm sie die Kette ab und reichte sie ihrer Mutter. „Hast du etwa eine Ahnung was für Steine das sind?“ „Vielleicht“, antwortete ihre Mom ausweichend und betrachtete das Feuer der Steine nun aus der Nähe. Schließlich stand sie auf, nahm eines der Wassergläser von der Spüle und bewegte einen der Steine langsam über die glatte Glasoberfläche. Ein kreischendes Geräusch entstand, und erschrocken fragte Alicia: „Mom, was machst du denn da?“ Cassidy Sterling ihrerseits blickte interessiert auf das Wasserglas und drehte es so, dass ihre Tochter die zwei Riefen, welche die Steine auf der Glasoberfläche hinterlassen hatten erkennen konnte. Dann blickte sie ihre Tochter ernst an und sagte: „Dein Freund ist tatsächlich ein besonderer Spaßvogel, aber nicht so, wie du denkst. Ich würde sagen, Christian hat Samantha die Wahrheit gesagt, als sie ihn nach den Steinen fragte.“ Sie wog die Kette in ihrer Hand. „Und ich denke, diese Kette ist auch nicht aus Silber, sondern aus Weißgold gefertigt.“ „Aber Mom, das ist doch...“ „Bei einem Milliardärssohn solltest du vielleicht weniger leichtfertig an das Wort: Unmöglich denken“, kam Cassidy Sterling ihrer Tochter zuvor. „Du wirst Christian morgen hierher bestellen, denn dein Vater und ich haben ein paar ernste Worte mit ihm zu reden. Außerdem wirst du ihm bei dieser Gelegenheit die Kette zurückgeben und ihm sagen, dass du sie nicht annehmen wirst.“ „Aber Mom...“ „Ich will kein Aber von dir hören, Alicia. Chris wird lernen müssen, dass man andere Menschen nicht kaufen kann.“ Cassidy gab Alicia die Kette zurück und erhob sich von ihrem Stuhl. „Alles Weitere besprechen wir morgen, jetzt möchte ich nur noch in mein Bett.“ Sprachlos blickte Alicia ihrer Mutter hinterher. Ihr Blick fiel auf die Kette und unaufhaltsam füllten sich ihre Augen mit Tränen. Was hatte sich Christian nur gedacht, bei diesem wirklich schlechten Scherz?   * * *   Christian war bester Laune, als er am nächsten Morgen, zusammen mit Jason und Mary Falken am Frühstückstisch saß. Mit einem wissenden Schmunzeln meinte seine Tante: „Euer gestriger Ausflug nach Metropolis scheint ja ein voller Erfolg gewesen zu sein.“ Ihr Blick verklärte sich etwas, als sie dann das Thema wechselte und fragte: „Hast du schon eine endgültige Entscheidung getroffen, ob du weiterhin in Amerika bleiben möchtest?“ Die Miene des Jungen wurde etwas ernster. „Ja, und ich denke, dass sie Vater wenig gefallen wird. Ich fühle mich hin und her gerissen, wisst ihr. Einerseits fehlt er mir sehr. Andererseits gefällt es mir hier sehr und ich möchte nicht weg. Ich habe mich entschlossen hier zu bleiben – zumindest, bis zum Ende des nächsten Schuljahres. Aber ich möchte Vater das nicht am Telefon sagen, sondern lieber persönlich, wenn ich ihn zusammen mit Alicia besuche, das bin ich ihm schuldig.“ „Ich glaube er wird es verstehen“, sagte Jason Falken überzeugt. „Und ich bin sicher, dass er dir keine Steine in den Weg legen wird, das ist nicht seine Art.“ „Ich weiß, Onkel Jason. Vielleicht fällt es mir gerade deshalb so schwer. Ich liebe ihn und ich möchte nicht, dass er enttäuscht von mir ist.“ Mary Falken legte ihre Hand auf den Unterarm des Jungen. „Das wird er bestimmt nicht sein, Chris. Ich glaube eher, dass er stolz auf dich sein wird, weil du deinen eigenen Weg gehst. Auch wenn dieser Stolz sicherlich mit Wehmut verbunden sein wird, denn er liebt dich gewiss genauso sehr.“ Christian blickte von ihr zu Jason. „Danke, dass ihr so toll für mich da seid. Ich...“ Der Junge wurde vom Klingelton seines Handys unterbrochen. „Da scheint noch jemand Sehnsucht nach dir zu haben“, meinte Mary Falken, anzüglich grinsend, während Christian sein Handy aus der Hosentasche zog. Sie beobachtete, wie sich Christians zunächst fröhliche Miene immer mehr anspannte und ernst wurde. Als er schließlich das Gespräch unterbrach fragte sie besorgt: „Ist etwas passiert?“ Christian blickte sie abwesend an und meinte: „Ich bin mir nicht sicher. Es war Alicia und sie klang ziemlich aufgeregt. Ihre Eltern wollen mit mir reden – offenbar geht es um die Kette, die ich Alicia zum Geburtstag geschenkt habe.“ „Und du hast ihr natürlich gesagt, was so besonders an dieser Kette ist“, forschte Jason Falken vorsichtig nach. „Nun ja, vielleicht nicht so richtig. Als ich Alicia die Kette angelegt habe, da fragte mich ihre Freundin Samantha, was für Steine in dem Anhänger sind. Ich habe es ihr ganz offen gesagt, aber sie hielt es wohl für einen Scherz.“ Jason Falken seufzte entsagungsvoll. „Ich habe dir erklärt, wie sich Jerome und Cassidy Sterling haben, wenn es um finanzielle Dinge geht. Wenn du Alicia nicht gesagt hast, was es mit der Kette auf sich hat, dann müssen sie doch zwangsläufig annehmen, du hättest sie extra für Alicia gekauft. Und dass das dann so aussieht, als würdest du dich in ihr Herz kaufen wollen ist dir gar nicht in den Sinn gekommen?“ Betroffen blickte Christian seinen Onkel an. „Aber das wollte ich doch gar nicht.“ „Ja, das wissen wir“, beschwichtigte Mary ihn schnell. „Aber woher sollen das Alicia und ihre Eltern wissen?“ Christian schwieg. Ihm wurde bewusst, dass er einen Fehler gemacht hatte. Schnell fasste er sich wieder und stand von seinem Stuhl auf. „Ich werde es ihnen erklären, und mich dafür entschuldigen, dass ich Alicia nichts weiter über die Kette erzählt habe.“ „Vielleicht solltest du den Brief deines Vaters mitnehmen“, riet ihm Mary Falken. „Ich denke, du solltest ihn Alicia vorlesen.“ Ein erstes zaghaftes Lächeln überflog das Gesicht des Jungen. „Gute Idee, Tante Mary. Danke.“ Schnell rannte er hinauf in sein Zimmer, steckte den Brief ein, den ihm sein Vater, zusammen mit der Kette geschickt hatte, und stürmte dann aus dem Haus. Etwas nachdenklich blickte Mary ihm hinterher und Jason meinte beruhigend: „Jerome und Cassidy werden ihm schon nicht den Kopf abreißen.“   * * *   „Im Moment hätte ich nicht übel Lust dazu, dir den Kopf abzureißen!“, wetterte Jerome Sterling und blickte über den Küchentisch hinweg zu Christian, kaum dass dieser Platz genommen hatte, nachdem Alicias Vater ihn nachdrücklich darum gebeten. Jerome und Cassidy Sterling hatten ihn bislang nicht zu Wort kommen lassen, sondern sie bestanden darauf, dass er ihnen zuhörte. Also saß Christian am Tisch und blickte in die teils zornigen, teils enttäuschten Mienen der beiden. Neben ihnen saß Alicia und blickte grüblerisch auf die Tischplatte. Ihre Augen waren deutlich gerötet. Währenddessen hob Jerome Sterling erneut an: Hör zu, Chris: Ich schreibe meiner Tochter nicht vor, mit wem sie sich treffen darf, und mit wem nicht, aber ich werde zu verhindern wissen, dass sie sich von dir kaufen lässt! Diese Zeiten sind, seit dem Ende des Sezessionskrieges, Gott sei Dank, vorbei!“ Christians Gesicht rötete sich und Cassidy gab ihrem Mann mit einem unwilligen Blick zu verstehen, dass er einen Schritt zu weit gegangen war, mit seiner letzten Bemerkung. Statt seiner ergriff sie nun das Wort und sagte: „Alicia hat dir etwas zu sagen.“ Zum ersten Mal an diesem Morgen blickte ihm Alicia in die Augen und mit trauriger Stimme sagte sie: „Ich kann diese Kette nicht annehmen Chris.“ Damit drückte sie ihm die Kette, die er ihr geschenkt hatte, in die Hand. Langsam erhob sich der Junge und kramte den Brief seines Vaters hervor. „Was soll das werden?“, fragte Jerome Sterling noch immer aufgebracht. „Wenn Sie meiner Tochter ein Gedicht vortragen wollen, dann haben Sie wenigstens soviel Anstand die Worte auswendig zu lernen!“ Ein helles Feuer lag plötzlich in den Augen des Jungen, dessen Geduld nun seine Grenzen erreicht hatte. Sich mühsam beherrschend sagte er: „Ich bin nicht gekommen, um Gedichte zu rezitieren. Dies ist ein Brief meines Vaters, den er...“ „Bitte verlasse jetzt mein Haus“, unterbrach ihn Jerome Sterling eisig. „Ich denke, es wurde alles gesagt.“ „Nein, das wurde es nicht“, erwiderte Christian mit vibrierender Stimme und ließ den Brief seines Vaters auf die Tischplatte fallen. „Dieser Brief erklärt alle Missverständnisse in dieser Angelegenheit. Er ist auf Deutsch geschrieben. Falls Sie Schwierigkeiten beim Übersetzen haben – Sie wissen ja wo Jemand wohnt, der es kann.“ Damit wandte er sich grußlos ab und marschierte in Richtung der Haustür. Jerome griff nach dem Brief und wollte ihn bereits zerreißen, doch Cassidy hielt ihn davon an. Schnell rief sie hinter Christian her: „Was steht in dem Brief, Chris?“ Christian, der gerade den Türknauf ergriffen hatte war für einen Moment unschlüssig, ob er einfach gehen, oder auf die Frage antworten sollte. Dann ließ er den Griff los und wandte sich langsam um. „Wenn Sie erlauben, dann lese ich ihn Ihnen vor.“ Es kostete Jerome Sterling sichtlich Überwindung, den Brief wieder auf die Tischplatte zu legen während Christian langsam an den Tisch zurückkehrte. Der Junge nahm den Brief, atmete tief durch, und begann ihn vorzulesen:   Lieber Christian Ich schicke dir die Lieblingskette deiner Mutter, mit der Bitte, sie dem Mädchen zu schenken, für dass dein Herz schlägt. Der Gedanke, sie hier in einer Kommode verstauben zu lassen ist mir ebenso unerträglich, wie der Gedanke, sie zu verkaufen. Andererseits hängen mit dieser Kette für mich so viele persönliche Erinnerungen zusammen, dass ich sie gleichfalls nicht in meiner Nähe haben mag. Der Gedanke, dass sie wieder einer jungen Frau gehören soll, die mit einem jungen Mann aus unserer Familie zusammen ist, hat hingegen etwas Tröstliches. Die Vorstellung, dass mit ihr demnächst wieder positive Erinnerungen zusammenhängen werden, hat mich bewogen, sie herzugeben. Ich bin ganz sicher, dass wäre auch im Sinne deiner Mutter. Gib deiner Alicia bitte von mir einen Kuss auf die Wange, wenn du sie ihr schenkst und sage ihr, dass ich mich darauf freue, sie irgendwann persönlich kennenzulernen und dabei mit dieser Kette um den Hals zu sehen. Die rote Rose, die du Alicia dazu überreichst, wirst du wohl selbst organisieren können. Ich hoffe, Alicia wird dein Geschenk gefallen. Dein Vater   Als Christian geendet hatte, und den Brief zusammenfaltete, herrschte Totenstille im Haus der Sterlings und der Junge nutzte die Gelegenheit um Alicias Eltern zu erklären: „Als ich Samantha auf Alicias Geburtstagsfeier sagte, welche Steine in der Kette sind, da war ich beinahe froh, dass sie es für einen Scherz hielt. Denn ich befürchtete, dass Sie beide genauso reagieren, wie Sie es jetzt eben getan haben. Später dachte ich, es würde niemand mehr eine Frage zu der Kette stellen und die Angelegenheit sei erledigt. Dass ich damit einen großen Fehler begangen habe, sehe ich nun ein. Ich hatte nicht bedacht, dass man darin so viel mehr sehen könnte, als ein Geschenk, das von Herzen kommt. Meinem Vater ist es bestimmt nicht leichtgefallen, sich davon zu trennen, und ich rechne ihm hoch an, dass er es tat.“ Er legte die Kette vor Alicia auf den Tisch und sagte etwas leiser: „Diese Kette ist ein Geschenk, und ich werde sie nicht zurücknehmen, da ich damit niemanden kaufen, oder in meinem Sinne beeinflussen, wollte.“ Damit wandte sich der Junge ab und begab sich erneut zur Haustür. „Chris, bitte warte noch einen Moment“, bat Cassidy Sterling ihn inständig, doch diesmal wandte sich Christian nur halb um und erklärte unwillig: „Nein, Ma´am. Ich muss erst einmal den Vorwurf verdauen, einen Menschen kaufen zu wollen, und mit einem Sklavenhalter verglichen worden zu sein. Morgen vielleicht...“ Damit verließ er das Haus. Drinnen hielt es Alicia nicht länger in der Küche aus. Schnell nahm sie die Kette an sich und rannte dann schluchzend die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Cassidy Sterling blickte ihr mitfühlend nach. Als Jerome ihr folgen wollte, hielt ihn seine Frau am Arm zurück und fauchte heiser: „Oh nein, so billig kommst du mir jetzt nicht davon. Was sollte denn diese blöde Bemerkung über die Zeit der Sklavenhaltung? Das wäre selbst dann nicht akzeptabel gewesen, wenn Christian diese Kette wirklich extra für Alicia gekauft hätte. Und dann noch diese Bemerkung, von wegen Gedichte auswendig lernen...!“ Jerome Sterling sank etwas im Stuhl zusammen und blickte verlegen auf die Tischplatte. Als er wieder aufsah, sagte er: „Tut mir leid, mein Schatz. Ich habe mich wohl eben ziemlich daneben benommen.“ „Das wäre noch geschmeichelt. Und ich könnte mich selbst in den Hintern treten, weil ich nicht zuerst mit Christian gesprochen habe. Immerhin habe ich das Ganze losgetreten.“ Besänftigend sagte Jerome: „Es ist nicht deine Schuld.“ „Stimmt, es ist deine!“, konterte seine Frau giftig. „Ich hoffe, du weißt wenigstens, wie du das wieder geradebiegen wirst.“ „Aber du hast ihn doch gehört, er...“ „Morgen!“, schnitt ihm Cassidy das Wort ab. „Und zwar als Allererstes!“ Jerome Sterling nickte wortlos. „Und ich werde jetzt Alicia trösten, und ein langes Gespräch unter Frauen mit ihr führen“, erklärte Cassidy etwas besänftigter. Jerome, der den Wink verstand, meinte geknickt: „Schon kapiert, ich mache mich für den Rest des Tages rar. Ich wollte ohnehin noch einige Stellen am Zaun ausbessern.“ Kapitel 3: Ein unverhofftes Treffen mit Chloe --------------------------------------------- Christian hatte es nur ein paar Minuten Zuhause ausgehalten. Dann war ihm die Decke auf den Kopf gefallen, und er hatte schließlich beschlossen auszureiten, um den Kopf frei zu kriegen und auf andere Gedanken zu kommen. Die Fragen seiner Tante, als er den schwarzen Hengst, Black Lightning, aufzäumte, hatte er einsilbig beantwortet, und sie mit mehr offenen Fragen, als zuvor, zurückgelassen. Erst als er durch den dichten Wald, in Richtung des Kratersees, hinauf ritt, atmete er etwas befreiter durch, ließ das Pferd langsam gehen, und grübelte dabei vor sich hin. Was Alicias Eltern wegen der Kette von ihm gedacht hatten, das konnte er noch nachvollziehen. Immerhin kannten sie ihn kaum. Obwohl einige Anspielungen von Jerome Sterling arg daneben gewesen waren, für seinen Geschmack. Aber dass Alicia ihn nicht verteidigt, sondern dasselbe von ihm gedacht, hatte, wie ihre Eltern, obwohl sie es mittlerweile wirklich hätte besser wissen müssen, das hatte ihn zutiefst getroffen. Zumindest sie musste doch wissen, dass es nicht sein Stil war, mit Geld zu protzen oder wild damit um sich zu werfen. Neben der Enttäuschung darüber machten sich auch Zweifel in ihm breit, ob Alicia und er wirklich zu einander passten. Christian wollte diese Gedanken nicht zulassen doch sie krochen unaufhaltsam immer wieder in seine Überlegungen. Was, wenn sie wirklich zu verschieden waren, um eine Beziehung miteinander führen zu können? Einen Fluch zwischen den Zähnen zerquetschend ließ der Junge sein Pferd schneller traben. Als er aus dem Wald heraus, auf eine weite Lichtung ritt, nahm er unterbewusst etwas wahr das nicht zum Frieden dieser Umgebung passen wollte. Er war jedoch zu sehr in Gedanken gewesen, um es zu identifizieren. Also konzentrierte er sich und horchte hinaus. Wieder hörte er es, und diesmal war es näher. Christian wurde im selben Moment klar, dass es ein schrille, weibliche Stimme gewesen war, die er vernommen hatte, genauer gesagt: Ein Schrei. Fast gleichzeitig brach links von ihm ein Pferd aus dem Wald hervor und galoppierte wild über die Wiese dahin. Aufgrund der Tonhöhe des Kreischens war für Christian ersichtlich, dass die Person auf dem Schimmel das Tier nicht mehr unter Kontrolle hatte. Nur mit Mühe konnte sie sich auf seinem Rücken halten. Ohne weiter nachzudenken, gab Christian seinem eigenen Pferd den Kopf frei, wobei er gleichzeitig seine Fersen in die Flanken des Tieres trieb. Er ritt, im gestreckten Galopp, schräg den leichten Abhang hinunter, auf einen Punkt zu, an dem er das Pferd der unbekannten Reiterin abfangen konnte. Dabei hatte er die Geschwindigkeit des anderen Tieres etwas unterschätzt, so dass er früher, als gedacht, einen weit gezogenen Bogen reiten musste, um es nicht zu verpassen. Es dauerte nicht lange, bis er beinahe parallel zu dem weißen Pferd ritt. Mit einem schnellen Blick nach Vorne stellte er fest, dass das Ende der Lichtung nur noch etwa zweihundert Meter vor ihnen lag. Er musste den Schimmel unbedingt vorher stoppen, denn im Wald würde das Pferd Hindernissen ausweichen oder sie einfach überspringen, und dann wäre es vermutlich um die Reiterin geschehen. Dicht über den Hals seines Hengstes gebeugt spornte er das Tier noch etwas mehr und nahm die Zügel in die rechte Hand, während er mit der Linken zur Seite griff. Endlich bekam er den Zügel des Schimmels zu packen und sofort begann er damit beide Tiere in eine sanfte Rechtskurve zu lenken und dabei gleichzeitig zu zügeln. Fünfzig Meter vor der Waldgrenze schaffte er es schließlich beide Pferde anzuhalten und keuchend blickte er zur Seite um zu sehen wem er da eigentlich geholfen hatte. Zuerst erkannte er nur, dass die Person, die mehr schlecht als recht über dem Hals des Pferdes gebeugt war, kakifarbene Schlabberhosen und ein pinkes Trägershirt trug. Von angemessenen Reitdresses hielt man in Amerika offensichtlich nicht allzu viel. Die gerade mal schulterlangen, blonden Haare hingen ihr wirr ins Gesicht, als sie sich schließlich mühsam aufrichtete. Erst als sie mit der Hand ihr Haar nach hinten streifte, erkannte Christian, wer es war. „Chloe...? Was, zum Teufel, sollte denn das werden?“ Noch immer etwas orientierungslos blickte sich das Mädchen um. Endlich erkannte Chloe, wer ihr Pferd zum Anhalten gebracht hatte, und ironisch erwiderte sie: „Wonach sah es denn aus? Ich hatte bestimmt nicht vor, eine neue Zirkusnummer einzustudieren.“ „Du kannst mir ja viel erzählen“, konterte Christian trocken und fügte sarkastisch an: „Übrigens, es gibt überhaupt keinen Grund dich zu bedanken, ich habe dich gerne vor Schlimmerem bewahrt.“ Chloes Blick wurde verlegen, als ihr bewusst wurde, dass Christian sie tatsächlich vor einem Sturz mit möglicherweise fatalem Ausgang gerettet hatte, und entschuldigend meine sie: „Tut mir leid, Chris, ich war im Moment wohl etwas durch den Wind. Natürlich bin ich dir dankbar, dass du Old Lady zum stehen gebracht hast. Von wegen, alte Dame, die Stute ging plötzlich durch, wie von der Tarantel gestochen.“ „Ich wusste gar nicht, dass du reiten kannst.“ „Können ist anders“, erwiderte das Mädchen finster. „Ich mache das wohl zu selten.“ Christian grinste schief und erklärte dann: „Lass uns erst einmal absteigen, unsere vierbeinigen Freunde können bestimmt etwas Erholung vertragen. Bis zum See ist es ohnehin nicht mehr sehr weit.“ „Gute Idee“, lobte das blonde Mädchen und stieg mit einem Seufzen ab. Als sie neben einander den Waldweg zum See hinauf schritten, warf Christian einen Blick zu Chloes Stute und dann einen auf seinen Hengst, der seltsam unruhig neben ihm ging. Dann sagte er: „Deine Stute ist läufig. Deshalb ist sie dir auch vermutlich durchgegangen.“ Chloe warf Christian einen erstaunten Blick zu. „Woher weißt du das?“ „Ich wusste es nicht, aber Black Lightning hat es gemerkt.“ „Der trägt seinen Namen wohl zurecht“, schmunzelte das Mädchen um dann unvermittelt zu fragen: „Aber wo hast du so gut reiten gelernt?“ Christian grinste offen. „Auch wenn es für alle Amerikaner und Amerikanerinnen ein Schock sein wird, aber in Deutschland gibt es ebenfalls Leute, die etwas vom Reiten verstehen. Einer dieser Leute, der Vater eines Freundes, der so etwas, wie eine Farm dort besitzt, hat es mir beigebracht.“ „Nicht zu fassen, wo es doch bei euch weder Indianer, noch Cowboys gibt“, spöttelte das Mädchen augenzwinkernd. „Ich dachte, Deutsche verstehen nur etwas von Autos.“ „Ein weit verbreitetes Vorurteil.“ Sie erreichten den Kratersee und banden die Pferde an einen umgestürzten Baum, vor dem sie in Ruhe grasen konnten. Chloe rannte auf den Steg, zog sich die Schuhe und Strümpfe aus und begann dann damit, ihre Hosenbeine aufzukrempeln, bevor sie sich auf den Rand des Stegs setzte und ihre Füße im See eintauchte. „Ah, das tut gut. Ich komme viel zu selten hierher.“ Christian folgte ihr schmunzelnd. Nachdem auch er seine Reitstiefel und Socken ausgezogen, und die Hosenbeine seiner Jeans aufgekrempelt hatte, saßen sie eine Weile schweigend neben einander und ließen ihre Füße im klaren, kalten Wasser baumeln. Schließlich ergriff Chloe das Wort und erzählte: Ich war gestern bei Clark. Er hat mir erzählt, dass Pete mit seiner Mutter, nach diesem Schuljahr, nach Wichita ziehen wird. Sie wird dort Bundesrichterin.“ Christian blickte das Mädchen überrascht an. „Das finde ich sehr schade, Chloe. Gerade mit Pete hatte ich mich, gleich zu Anfang, sehr gut verstanden. Er ist ein prima Kamerad.“ „Ja, das ist er“, erwiderte Chloe betrübt. „Ich bin mit Pete und Clark seit vier Jahren befreundet, und er wird mir fehlen, glaube mir. Für Clark muss es noch schlimmer sein, denn die beiden sind seit der Grundschule unzertrennlich. Clark versucht zwar das nicht zu zeigen, aber ich weiß, dass ihn das ziemlich getroffen hat.“ Das Mädchen machte eine kleine Pause und blickte zu Christian auf. „Ich weiß, dass man einen Freund, der weggeht, nicht einfach ersetzen kann, aber ich habe gemerkt, dass Clark sich mit dir sehr gut versteht. Deshalb möchte ich dich bitten, in der nächsten Zeit besonders für ihn da zu sein. Ich befürchte nämlich, dass er sich sonst noch mehr an Lex Luthor halten wird, und das würde mir nicht besonders gut gefallen.“ Christians Blick wurde fragend. „Was hast du gegen Lex?“ „Leider nichts, was permanent wirkt“, erwiderte Chloe und ihr frustrierter Tonfall dabei ließ tief blicken. Dann wechselte sie abrupt das Thema und erkundigte sich neugierig: „Aber sag mal: Warum reitest du hier, am Sonntag, allein in der Gegend herum? Hat Alicia dich abserviert?“ Etwas perplex blickte Christian seine Begleiterin an. Ihre Frage hatte ihn vollkommen überrumpelt, und seine Reaktion verriet nur allzu gut, wie es in ihm aussah. Chloe ihrerseits hatte nicht mit einer so seltsamen Reaktion auf ihre scherzhaft gemeinte Frage gerechnet, und es dauerte nur einen Moment, bis sie erkannte, dass sie damit eine klingende Saite berührt hatte. Schnell hakte sie ein: „Hattet ihr etwa wirklich Streit?“ „So kann man das nicht sagen“, antwortete Christian ausweichend. Gleichzeitig erkannte er im Blick des Mädchens, dass seine vorherige Reaktion ihr bereits viel zu viel verraten hatte, und so sagte er seufzend: „Okay, ich rede darüber wenn du versprichst es nicht zur Steigerung der Auflage deiner Schülerzeitung zu verwenden.“ „Versprochen!“ Christian blickte sie ernst an und begann schließlich damit ihr zu erzählen, was am Morgen vorgefallen war. Als er schließlich endete, suchte Chloe den Blick des Jungen und fragte kritisch: „Warum hast du Alicia nicht gleich gesagt, was es mit der Kette auf sich hat?“ Christian blickte Chloe in komischer Verzweiflung an. „Du wirst lachen, aber genau das habe ich mich heute morgen bereits ein dutzend Mal selbst gefragt. Ich hatte vermutlich Angst davor, dass sie ebenso reagiert, wie es ihre Eltern taten.“ Chloe nickte nachdenklich. Dann sagte sie: „Nicht, dass du das jetzt falsch verstehst, aber es ist für mich irgendwie beruhigend, dass es auch für dich etwas gibt, vor dem du Angst hast, Chris.“ Christian blickte die Blondine befremdet an, und sie erklärte: „Na ja, Typen wie du oder Clark, die gefühlt etwa zwei Meter groß und einen Meter breit sind, können sich wohl kaum vorstellen wie es ist, wenn man auf einer dunklen Straße plötzlich Schritte hinter sich hört, nehme ich an. Ich bekomme bei so etwas jedes mal einen halben Herzinfarkt.“ „Sind Smallvilles Straßen so gefährlich?“ „Hast du eine Ahnung...“ Christian lachte und zog Chloe übermütig an der Schulter zu sich heran. „Wenn ich Zeit habe, dann bedauere ich dich mal.“ Als sich Chloe überraschend so eng an Christian geschmiegt wiederfand, begann ihr Herz Purzelbäume zu schlagen. Für einen Moment schloss sie die Augen und genoss dieses herrliche Gefühl in sich, bevor sie ihn grob von sich weg stieß und fauchte: „Ich weiß wirklich nicht was Alicia an dir findet. Du bist ein Scheusal.“ „Hey, komm. Das war nur ein kleiner Spaß.“ „Ja klar“, schmollte das Mädchen. „Vermutlich genau so ein Spaß, wie in der Kent-Scheune, als du mich ziemlich gekonnt hast abblitzen lassen.“ Etwas verwundert blickte Christian die Blondine an. Er selbst hatte diese kleine Episode bereits fast vergessen. „Also daher weht der Wind. Hör zu, das war nicht böse gemeint. Ich war damals nur etwas angefressen, dass du hinter mir her geschnüffelt hattest, und das kannst du mir wohl auch kaum verdenken. Gerade jetzt, wo du, wie alle anderen meiner Mitschüler, weißt warum.“ Unter dem forschenden Blick des gutaussehenden Jungen wurde Chloe sichtlich nervös und schließlich erwiderte sie betreten: „Du hast ja Recht, Chris. Manchmal geht mein journalistischer Ehrgeiz einfach mit mir durch. Ich bin nur froh, dass ich damals keinen größeren Schaden angerichtet habe. Selbst Clark war nicht sonderlich begeistert von meinem Recherchewahn. Du hättest dabei sein sollen, wie er mir den Kopf gewaschen hat.“ „Das kann ich mir bei Clark kaum vorstellen.“ „Oh – Clark hat mehr Seiten an sich, als man ahnt“, meinte Chloe vielsagend. Dann kam sie zum ursprünglichen Thema zurück und erkundigte sich: „Was wirst du nun machen? In Bezug auf Alicia meine ich.“ Christian seufzte schwach und blickte dabei über die spiegelnde Wasserfläche des Sees zu den gegenüber liegenden, Tannen bewachsenen Hügeln. „Ich weiß es offen gesagt nicht. Ich denke, dass ich, morgen nach der Schule mit ihr reden werde. Momentan bin ich dafür zu aufgewühlt, und wenn man darüber geschlafen hat sieht Manches etwas anders aus.“ Chloe nickte stumm. Dann sagte sie, beinahe gegen ihren Willen: „Es wird sich bestimmt alles zum Guten wenden.“ Das Mädchen zuckte etwas zusammen, als Christian sie leicht mit der Schulter anstieß und meinte: „Du bist netter als ich bisher gedacht hatte.“ Chloe lächelte gezwungen und erwiderte: „Ich habe nie behauptet, es wäre nicht so.“ Dann fiel ihr etwas ein und näher an Christian heran rückend meinte sie: „Ich habe dir gar nicht richtig dafür gedankt, dass du als Retter in der Not für mich da warst. Weißt du, es ist schon recht seltsam. Normalerweise taucht nämlich stets Clark in solchen Momenten auf, und ich hatte manchmal den Eindruck, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Ehrlich gesagt war ich beinahe verblüfft, weil diesmal nicht sein Gesicht das Erste war, das ich gesehen habe, als ich vorhin wieder zu mir fand.“ Christian schmunzelte verhalten. „Die Tatsache, dass er diesmal nicht zur Stelle war, aber dafür ich, beweist wohl, dass keine Verschwörung dahinter steckt.“ Chloe rang innerlich mit sich, bevor sie, wie zufällig, die Hand des Jungen berührte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. „Jedenfalls bin ich sehr froh, dass du zur Stelle warst.“ „Kein Problem“, antwortete Christian leichthin, ohne seine Hand fortzuziehen. „Hey, ein Mädchen in der Not ist des Helden täglich´ Brot, heißt es doch.“ „Wo ihr Typen bloß immer solche Sprüche hernehmt.“ Sie lachten, wobei Chloe spürte, dass Chris ganz sachte seine Hand fortzog. Über den See blickend spürte sie einen leichten Stich in der Herzgegend, und sie fragte Christian schließlich, ohne sich ihre Gefühle in Bezug auf ihn anmerken zu lassen: „Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam um den See herum reiten? Dann wärst du wenigstens sofort zur Stelle, falls meine Stute nochmal mit mir durchgeht.“ „Ich hoffe, das ist nicht der einzige Grund warum du mich dabei haben willst“, meinte Christian etwas ernster werdend, worüber sich Chloe aus einem unbestimmbaren Gefühl heraus freute, und lächelnd versicherte sie schnell: „Natürlich nicht.“ Kapitel 4: Metaphern und Dialoge -------------------------------- Am folgenden Tag war Christian kaum in der Lage, dem Unterricht zu folgen, und er war nur froh, dass die Abschlussarbeiten bereits geschrieben waren. Heute würde lediglich, in der letzten Unterrichtsstunde des Tages, noch die Bewertung ihrer letzten Hausaufgabe in Literatur folgen. Sie hatten von ihrer Lehrerin vorgegeben bekommen eine Metapher zu schreiben und Christian war guten Mutes, das Thema ordentlich umgesetzt zu haben. Das Einzige, was den Jungen dabei etwas in Aufregung versetzte, war die Tatsache, dass auch Alicia diesen Kurs belegt hatte. Es war der erste Kurs, den sie an diesem Tag gemeinsam besuchten, und Christian war etwas mulmig zumute, weil er Alicia seit dem gestrigen Morgen aus dem Weg gegangen war. Dafür war Jerome Sterling am Morgen bei ihnen aufgetaucht, noch bevor er zur Schule gefahren war, und hatte sich persönlich für sein Verhalten, und besonders für seine harschen Worte, bei ihm entschuldigt. Christian hatte dabei gemerkt, dass Jerome Sterling dies nicht leichtgefallen war, und so hatte er es ihm nicht schwerer als nötig gemacht und seine Entschuldigung, ohne bissige Kommentare, angenommen. Jerome Sterling hatte ihn abschließend darum gebeten, mit Alicia zu sprechen, und der Junge hatte ihm versprochen, es nach der Schule zu tun. So saß er während der letzten Stunde ganz hinten im nur zu einem Drittel gefüllten Klassenzimmer und verfolgte, wie ihre Literatur-Lehrerin die Arbeit von Steve Graham, dem Cornerback der CROWS, kommentierte, und ihm den Unterschied zwischen einer Nacherzählung und einer Metapher erklärte. Dabei war er nur mit halbem Ohr bei der Sache, weil er immer wieder verstohlen zu Alicia hinüber blicken musste, die auf der anderen Seite des Klassenzimmers saß und abwesend zum Fenster hinaus sah. Außerdem hatte er den gesamten Tag über noch nichts gegessen weshalb er sich gerade über eine Tüte gesalzener Erdnüsse hermachte, die Steve ihm, auf sein Bitten hin, großzügig überlassen hatte. Bislang hatte sich daran niemand sonderlich gestört. Zudem gehörte die noch sehr junge Lehrerin dieses Kurses nicht zu jenen Prinzipienreitern, von denen der größte der Direktor dieser Schule war und von denen es hier mehr als genug gab. Miss Hazard galt als sehr locker, auch wenn sie ihr langes, blondes Haar nie offen trug, was sie etwas strenger erscheinen ließ, als sie wirklich war. So hatte sie es auch an diesem sehr warmen Maitag hinter dem Kopf, mit einem Haargummi gebändigt. Als sie zu Christian hinüber sah, verbiss sie sich ein Schmunzeln. Locker, mit übereinandergeschlagenen Beinen, auf der Platte ihres Schreibtisches sitzend, räusperte sie sich leicht, und fragte dann mit fester Stimme: „Fühlen Sie sich wohl dort hinten, Mister von Falkenhayn?“ Ertappt blickte der Junge nach Vorne und schluckte schnell die Erdnüsse in seinem Mund herunter. Geistesgegenwärtig erwiderte er: „Eine Tasse wäre nicht schlecht.“ Ein ironisches Funkeln blitzte in den blauen Augen der Lehrerin auf. „Wortgewand sind Sie ja – dann werden Sie sicher nichts dagegen haben, uns alle mit ihrer Metapher zu unterhalten, Mister von Falkenhayn. „Natürlich nicht“, versicherte der Junge schnell und griff nach seinem DIN-A4-Notizblock, der bereits aufgeschlagen vor ihm lag. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass nun auch Alicia zu ihm blickte. Er stand auf, räusperte sich und begann: Sie war brandneu. Wir hatten uns bisher noch niemals gesehen. Sie war brandneu, und deswegen noch etwas zickig. Sachte habe ich zuerst einmal alle wichtigen Punkte begutachtet, sanft ihren Kühler berührt und die Federung kontrolliert. Allein der Gedanke es heute mit ihr zu versuchen ließ mich bis ins Innerste vibrieren. Ich konnte nicht verhehlen, dass ich ihr makelloses Fahrgestell bewunderte wie auch die glatte Linie dieses stromlinienförmigen Körpers. Ich war noch immer vorsichtig, kannten wir uns doch erst seit kurzer Zeit. Für eine ganze Weile beließ ich es dabei, die dunkle Schönheit nur mit meinen Fingern zu berühren, bevor ich ihren Vergaser flutete, sie anwarf, und vorsichtig die Kupplung kommen ließ. Ich geriet jedoch irgendwie in den Rückwärtsgang und sie bockte wie besessen, bevor ich auch schon wieder im Leerlauf war. Den Schalthebel immer noch in meiner Rechten haltend, schob ich ihn erneut in den ersten Gang und gab vorsichtig Gas, bevor ich zügig hoch schaltete und dabei die verhaltene Kraft und die Vibration dieses wundervollen geschwungenen Körpers spürte, von dem ich selbst nun ein Teil wurde. Wie in Trance steigerte ich immer mehr das Tempo, die Vibrationen unter mir wurden stärker und stärker und ich war stolz darauf, wie gut sie mithielt auf unserer gemeinsamen Jungfernfahrt. Jetzt brachte ich diese göttliche Schöpfung vollständig auf Touren. Gleichzeitig spürte ich selbst eine wollüstige Erregung in jeder Faser meines Körpers. Nun gab es kein Halten mehr für uns, denn wir waren nun vollkommen Eins geworden. Gemeinsam nahmen wir eine Kurve nach der anderen. Immer schneller und leidenschaftlicher wurde unsere Fahrt, bei der ich die wilde, nun entfesselte Kraft kaum mehr bändigen konnte, bis wir kreischend auf die finale Gerade einbogen, und gemeinsam das Ziel erreichten. Dann drückte ich die Bremsbacken zusammen und brachte uns beide endlich, glücklich seufzend, und langsam entspannend, zum Stillstand. Erst als Christian von seinem Notizblock aufsah, bemerkte er, dass seine Lehrerin ihr Haar geöffnet hatte und mit den Fingern hindurch fuhr. Auch einige der anwesenden Mädchen blickten ihn mit verklärten Augen an. Ansonsten blieb es für einen langen Moment beinahe totenstill, bis Steve herausplatzte: „So eine Karre hatte mein Bruder auch mal.“ Bis auf Steve brach die gesamte Gruppe in schallendes Gelächter aus, und es dauerte eine geraume Weile, bis wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt war. Dann fragte Steve neugierig: „Das also ist eine Metapher? Wenn man ein Fahrt im Auto beschreibt, aber im Grunde Sex meint?“ „Nicht ausschließlich“, schmunzelte Vivian Hazard. „Aber im Prinzip hast du Recht.“ Dann wandte sich die Lehrerin an Christian, nickte wohlwollend und erklärte Augenzwinkernd: „Eine Tasse, für Ihre Nüsse, hätten Sie mit diesem Vortrag mehr als verdient. Das war wirklich sehr gut.“ Damit hatte sie die Lacher letztlich auf ihrer Seite. Etwas verlegen werdend setzte sich der Junge wieder, und er war froh, dass nun ein anderer sein Werk vortragen musste. Chris wechselte einen schnellen Blick mit Alicia, die mit immer noch traurigen, aber gleichfalls leuchtenden, Augen zu ihm herüber sah. Er erwiderte ihr etwas unsicheres Lächeln und verspürte dabei drängender als zuvor an diesem Morgen, das Verlangen, mit ihr zu reden. Beide bekamen vom Rest der Stunde kaum etwas mit, und immer wieder wechselten sie kurze Blicke miteinander. Christian atmete beinahe erlöst auf, als es endlich zum Schulschluss läutete, und er war dankbar für die Tatsache, dass in dieser Woche kein Football-Training mehr anstand. Er beeilte sich damit seine Sachen zusammenzupacken, für den Fall, dass Alicia es eilig haben würde aus der Schule zu kommen. Doch zu seiner Erleichterung hielt sie direkt auf seinen Platz zu, nachdem sie ihre Sachen gepackt, und in ihre Umhängetasche geräumt hatte. Schnell sagte er: „Ich würde gerne mit dir reden, Alicia.“ Halb erleichtert halb nervös nickte das Mädchen. „Das will ich auch.“ Sie gingen hinaus zu ihren Schulspinden, verstauten die Bücher, die sie nicht benötigten und schritten dann nebeneinander zum Portal der Schule hinaus. Draußen überquerten sie die Straße und schlenderten dann langsam auf den Trainingsplatz, um ungestört zu sein. Christian war der Erste, der das Schweigen durchbrach und erklärte: „Es tut mir leid, dass ich mich gestern nicht mehr habe blicken lassen, Alicia, aber ich hatte wirklich den Eindruck, dass es besser ist, mich erst einmal zu beruhigen, und über all das, was gesagt wurde, eine Nacht zu schlafen.“ Alicia öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch dann fielen ihr nicht die passenden Worte ein und wütend auf sich selbst meinte sie: „Mein Gott, ich komme mir so blöd vor. Nicht nur wegen dem, was Dad vom Stapel gelassen hat, sondern weil ich selbst für eine Weile an dir gezweifelt habe.“ Christian nickte in Gedanken, kommentierte ihre Worte jedoch nicht. Schließlich blieb Alicia stehen und blickte den Jungen mit traurigem Blick an. „Bitte sag irgendwas, Chris.“ Christian atmete tief durch, bevor er antwortete: „Es war mein Fehler. Ich hätte dir erzählen müssen, was es mit dieser Kette auf sich hat. Aber ich hatte Angst davor. Und als du, nach Samanthas Frage, während deiner Geburtstagsfete, nicht nachgehakt hast, da war ich fast erleichtert, und ich hatte angenommen, dass nichts mehr nachkommen wird. Diese Annahme war falsch, und es war dumm von mir.“ Alicia spürte, dass Christian in diesem Moment ebenso unsicher war, was er nun tun sollte, wie sie selbst, und sie sprang über ihren eigenen Schatten, indem sie ihre Hände ganz sanft auf seine Wangen legte. Dabei meinte sie leise: „Heute Morgen, da war ich ungeheuer stolz auf dich, Chris.“ „Stolz?“ „Ja. Als du meinem Dad Paroli geboten hast. Ich meine, nicht direkt deswegen, sondern wegen der beherrschten Art – trotz deiner berechtigten Wut auf ihn. In diesem Moment hast du richtig erwachsen und männlich gewirkt.“ Christian lächelte schwach und legte zögerlich seine Arme um sie. „Ich möchte, dass wir zusammen sind, Alicia. Ich habe dich sehr lieb.“ Die Augen des Jungen schimmerten feucht, und schnell sagte das Mädchen: „Ich liebe dich auch, Chris.“ Im nächsten Moment schlang sie fest ihre Arme um ihn und küsste ihn, bis sie kaum noch Luft bekam. Mit zittrigen Knien schmiegte sie sich schließlich an ihn, legte ihren Kopf an seine Schulter und sagte leise: „Halt mich ganz fest. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren kaum zu ertragen.“ „Damit hast du Recht, Honey. Aber da wir gerade beim Thema sind: Es gibt da noch etwas, das ich dir dringend erzählen muss. Aber nicht hier auf dem Sportplatz.“ „Dann solltest du mich vielleicht auf einen Kaffee im TALON einladen.“ Christian blickte Alicia etwas verwundert an. Dann fragte er Augenzwinkernd: „Habe ich mich eben verhört, oder sagtest du tatsächlich, du würdest dich von mir einladen lassen? Was sind denn das für neue Methoden?“ Alicia lächelte verschmitzt: „Du sagtest doch, dass es dein Fehler gewesen sei, also hast du etwas gut zu machen, oder nicht?“ „Ich habe eine ganz raffinierte Frau zur Freundin“, lachte Chris und nahm Alicia an die Hand, glücklich darüber, dass nichts mehr zwischen ihnen stand. Sie fuhren auf dem Motorrad des Jungen zum TALON. Mit jeweils einem großen Cappuccino vor sich, saßen sie an einem der kleineren Tische auf der Galerie, wo sie beinahe für sich waren, und Christian begann zu erzählen, was er in Clarks Scheune an sich hatte feststellen können. Lediglich Clarks Kräfte und wie er zu seinen eigenen Kräften kam, ließ er dabei aus. Ungläubig blickte Alicia den Jungen an und sagte schließlich: „Wenn das ein Scherz sein sollte, dann ist es kein sonderlich guter.“ Christian versicherte sich schnell, dass sie beide momentan, bis auf einen merkwürdig großen, weißen Hund, allein auf der Galerie waren, bevor plötzlich einer der Zuckerwürfel, der auf Alicias Untertasse lag, von dort abhob und durch den Milchschaum ihres Cappuccinos, in der Tasse verschwand. „Ich hoffe, du magst ihn so“, flüsterte Christian. Dann erklärte er: „Ich weiß nur, dass diese roten Kristalle, welche diese mutierte Rose abgesondert hat, für diese Veränderung verantwortlich sein müssen. Nur Clark und du wissen davon. Bitte erzähle es niemandem sonst, Alicia, denn dann würde ich vermutlich sehr schnell, auf Nimmerwiedersehen, in irgendeinem Geheimlabor verschwinden.“ Einige Sekunden lang blickte er seine Freundin an und fragte dann unsicher: „Du hast doch jetzt keine Angst vor mir? Ich bin immer noch derselbe Typ, der ich bisher auch war.“ „Unsinn – ich würde nie vor dem Menschen Angst haben, der mich in der Gießerei vor einem schlimmen Verbrechen gerettet hat.“ Sie griff über den Tisch hinweg nach seinen Händen und Christian drückte sie sanft. Der Junge lächelte zufrieden. „Ich bin erleichtert, dass auch das endlich heraus ist, denn ich habe gestern erkannt, dass es in unserer Beziehung keinerlei Geheimnisse geben darf, wenn sie Bestand haben soll.“ „Dann darfst du gleich mal weitermachen. Wie wertvoll genau ist die Kette, die du mir geschenkt hast?“ Christian druckste etwas herum und meinte dann: „Das willst du doch gar nicht wissen, Honey. Außerdem fragt man so etwas bei Geschenken nicht.“ „Chris?“ „Nun ja, weißt du...“ Ungeduldig begann Alicia mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln. „Wie teuer ist so eine Kette und ein solcher Anhänger? Fünftausend Dollar? Zehntausend Dollar?“ „Ähm, ich fürchte es ist etwas mehr...“ „Sag jetzt nicht, dass sie eventuell sogar fünfzehntausend Bucks wert ist.“ Christians Blick wurde unstet. „Nun, wohl eher so etwas um die fünfzigtausend.“ Alicias Kinnlade senkte sich, ohne ihr Zutun, herab, und ihre Hand fuhr zu der Stelle, wo der Anhänger, unter der Bluse, auf ihrer Haut lag. Dann fragte sie fassungslos: „Sie ist fünfzigtausend Dollar wert?“ „Äh, nein, ich meinte damit eigentlich fünfzigtausend Euro.“ „Aber das... sind ja...“ „Ziemlich genau fünfundsechzigtausend Dollar, nach aktuellem Umrechnungskurs. Plus oder minus ein paar Cent.“ Atemlos blickte Alicia zu Christian und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Hand wieder auf die Tischplatte legte. Sie machte Anstalten etwas zu sagen, doch Christian kam ihr zuvor, indem er eindringlich erklärte: „Hör zu, Alicia: Es wird maximal noch zwei Ereignisse geben zu denen du ein Geschenk in ähnlicher Form von mir erwarten kannst. Und das wäre ein passender Ring zur Kette, falls wir uns irgendwann verloben sollten, und die dazu passenden Ohrringe, wenn wir es schaffen, solange zusammen zu bleiben, dass wir irgendwann heiraten sollten. Abseits dieser beiden möglichen Ereignisse werde ich mich streng zurückhalten, das verspreche ich dir.“ „Moment, nicht so hastig“, grinste das Mädchen schelmisch. „Es wird bestimmt etwas geben, das noch dazwischen passt.“ „Ach“, tat Christian erstaunt. „Auf einmal?“ Sie lachten sich an und Alicia drückte sanft die Hände des Jungen, den sie so abgöttisch liebte. Dann erkundigte sie sich mit hochgezogenen Augenbrauen: „Übrigens, auf welche dunkle Schönheit hast du in deiner Metapher angespielt?“ Christian setzte eine Leidensmiene auf und erwiderte: „Es schmerzt mich sehr, dass du das überhaupt fragst, Honey. Wo doch nur eine in Frage kommt.“ Erneut lächelten sie sich an, bis Alicia sich leise erkundigte: „Was hast du gestern eigentlich gemacht, nachdem du gegangen warst?“ „Ich bin zum Kratersee hinauf geritten. Stell dir vor, auf der Lichtung etwas unterhalb des Sees kam Chloe aus dem Wald geritten. Ihr Pferd war mit ihr durchgegangen, und ich bin wie ein Wahnsinniger hinterher geprescht, und habe ihre Stute angehalten, bevor Schlimmeres passieren konnte. Sie war rossig, weißt du?“ „Chloe oder die Stute?“ Der Junge lachte amüsiert. „Beim Pferd war ich mir sicher.“ „Und was geschah dann?“ Christian blickte Alicia offen an. „Nun, wir ließen die Pferde, nach dem scharfen Ritt, etwas erholen und gingen den Rest des Weges, bis zum See, zu Fuß. Oben haben wir uns die Schuhe und Socken ausgezogen, die Hosenbeine hochgekrempelt, und neben einander auf dem Steg sitzend, die Füße im Wasser baumeln lassen. Sie erzählte mir, dass Pete mit seiner Mom, nach diesem Schuljahr, nach Wichita ziehen wird. Clark hat das wohl ziemlich mitgenommen, wie sie berichtete, und auch ich finde es sehr schade, dass er geht. Ich sehe ihn mittlerweile als Freund an, und ich werde ihn vermissen. Er ist schwer in Ordnung.“ „Ja, wirklich schade“, stimmte Alicia zu. „Clark und Pete kennen sich, seit sie Kinder waren. Das ist bestimmt nicht einfach für die beiden.“ Dann veränderte sich ihr Tonfall etwas und verführerisch meinte sie: „Bitte lass uns zu dir gehen, Chris, und dann liest du die Metapher noch einmal vor. Nur für mich. Und danach nimmst du mich auf eine ebenso rasante Fahrt mit.“ Das Gesicht des Jungen strahlte. „Sehr gerne, Alicia.“ Kapitel 5: In Deutschland ------------------------- Die letzte Schuljahrwoche verging wie im Flug und bereits am Samstagabend saß Christian von Falkenhayn, zusammen mit seiner Freundin, im Privatjet seines Vaters. Alicia, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Flugzeug reiste, war gleichzeitig aufgeregt und fasziniert, ob der luxuriösen Ausstattung des Jets. Und obgleich Christian seinen Vater darum gebeten hatte, auf das sonst übliche Service-Personal an Bord zu verzichten, kam sich Alicia vor, wie in einem Traum. Die helle, kostbare Holztäfelung an der Innenwandung der Fluggastzelle hatte sie ebenso sehr überrascht, wie die Fenstervorhänge aus echter Seide, die Kommode, in die ein moderner Kühlschrank nebst Eisfach untergebracht war, und die schweren, bequemen Ledersessel, die farblich zur hellbeigen Decke und dem dunkelbraunen Teppich passten. Eine weitere Kommode auf der anderen Seite der Flugzelle diente als Stauraum für das Handgepäck. Den Start vom Metropolis-Airport hatte sie beinahe gar nicht mitbekommen, und erst, als sie sich bereits in einer Höhe von 10.000 Metern über Meereshöhe befanden, und Christian, an einem niedrigen Glastisch gegenüber saß, da sagte sie: „Wow, ich hatte keine Ahnung, wie solche Jets ausgestattet sind.“ Sie machte eine umfassende Geste mit der Hand und zählte auf: „Filmmonitor, inklusive Blue-Ray-Player, Stereoanlage, Bar, und dann die gesamte restliche Ausstattung... Im Waschraum fehlt nur noch die Badewanne.“ Christian nahm schnell ihre Hände in seine und erklärte ernsthaft: „Mir ist klar, welche Gedanken dir jetzt gerade durch den Kopf gehen müssen, Alicia. Alles darüber, dass nur sehr wenige Menschen so etwas jemals erleben oder besitzen. Aber vergiss dabei bitte nicht, dass dafür nicht eine Generation meiner Familie, sondern viele Generationen gearbeitet haben. Und vielleicht solltest du dabei auch daran denken, welche Verantwortung ein Industrie-Tycoon, wie mein Vater, auf seinen Schultern trägt. Dazu kommt, dass er hunderttausenden Menschen weltweit einen sicheren Arbeitsplatz gibt. Und diese Menschen verdienen sehr gut, denn unsere Firma zahlt bestimmt keine Hungerlöhne. Dazu kommt, dass der Terminkalender meines Vaters ziemlich vollgestopft ist – selbst an Sonn- und Feiertagen ist er oft mehrere Stunden beschäftigt. All das muss hart verdient werden. Außerdem hat meine Mom zahlreiche Stiftungen für sozial benachteiligte Menschen ins Leben gerufen. Darum kümmert sich jetzt ihre jüngere Schwester – mein Vater hätte dazu kaum auch noch Zeit, obwohl gerade diese Projekte ihm immer sehr wichtig gewesen sind. Er war sehr glücklich darüber, dass sich meine Tante Christina angeboten hat, diese Projekte, nach dem Tod meiner Mutter, zu betreuen.“ Alicia erhob sich aus ihrem Sessel und setzte sich auf Christians Schoß, nachdem er geendet hatte. Schnell gab sie ihm einen Kuss auf die Lippen und erklärte dann verlegen: „Ich wollte bestimmt nicht andeuten, dass das alles deiner Familie unverdient in die Hände gefallen ist. Es ist für mich nur so fremd und ungewohnt.“ „Du hättest dich bestimmt sehr gut mit meiner Mom verstanden. Sie hat mir oft gesagt, wie gerne sie auf den gesamten Rummel verzichten würde.“ „War deine Mutter denn nicht...“ „Adelig? Oder Reich?“ Christian schüttelte den Kopf. „Nein, meine Mom stammt aus einer gutbürgerlichen Familie, die jedoch nach dem ersten Weltkrieg verarmte. So lebten ihre Eltern, ihre Schwester und sie eher in bescheidenen Verhältnissen. Vielleicht beruhigt es dich zu erfahren, dass sie, so wie deine Mom, Krankenschwester gewesen ist, als sie meinen Vater, bei einer Veranstaltung für sozial benachteiligte Kinder kennenlernte, welches er finanziell, und sie aktiv, unterstützte. Sie hat meinen Dad aus Liebe geheiratet, nicht wegen seines Geldes, das weiß ich ganz sicher.“ Sie küssten sich erneut und es dauerte eine ganze Weile, bis sich Alicia zögernd von Christian löste. „Sie muss eine ganz besondere Frau gewesen sein, denn sonst wärst du sicher ein ganz anderer Mensch geworden.“ „Unterschätze meinen Vater nicht. Auch der ist in Ordnung.“ Alicia nickte. „Ich bin trotzdem total aufgeregt, ihn bald kennenzulernen. Hoffentlich mache ich einen ordentlichen Eindruck auf ihn.“ „Das wirst du ganz bestimmt, Alicia.“   * * *   Trotz ihrer Müdigkeit hatten beide Teenager nur knapp vier Stunden geschlafen, während des zehn Stunden langen Fluges. Jetzt, kurz vor der Landung am Dortmunder Flughafen, zupfte Alicia immer wieder ihre bordeauxrote Hose und das dazu passende Top zurecht. Ihre, in ebenfalls bordeauxfarbenen Sandaletten steckenden Füße wippten dabei permanent auf und ab. Die dazugehörige Jacke, lag noch gefaltet auf dem Sessel gegenüber. Sie hatte diese Sachen zu ihrem Geburtstag, in Metropolis, gekauft und sie war jetzt ganz froh darüber, dass Samantha ihr zu diesem etwas eleganteren Outfit geraten hatte, ohne zu ahnen, wofür sie es zuerst brauchen würde. Oder hatte Samantha es vielleicht doch geahnt? „Deine Nervosität ist süß, aber auch ansteckend“, schmunzelte Christian, der sie dabei beobachtete. „Du siehst perfekt aus, Alicia.“ Er selbst trug nun eine anthrazitfarbene Tuchhose, schwarze Schuhe und dazu ein violettes Hemd. Er wusste, dass sein Vater ihn lieber in solchen Sachen sah, als in, wie er es auszudrücken pflegte, Räuberzivil. Also hatte er beschlossen ihm, zumindest heute, diesen Gefallen zu tun. Außerdem harmonierte sein jetziges Outfit besser zu dem seiner Freundin. Er hatte Alicia erklärt, dass es in Deutschland Privatpersonen nicht gestattet war, mit ihren Autos auf einen, auch öffentlich genutzten, Flugplatz zu fahren. Sacht setzte der Pilot die Maschine auf, und nachdem sie endlich vor dem Terminal für Privatflugzeuge hielt, beeilte sich der Co-Pilot, die Tür für die beiden jungen Passagiere zu öffnen. Christian verließ zuerst die Maschine und half Alicia beim Aussteigen. Während sich die beiden Piloten, ungewohnter Weise, um ihr Gepäck kümmerten, schritten die beiden Teenager gemeinsam zum Terminal hinüber. Die Zollbeamten hielten sie nicht lange auf, und als sie den Zoll hinter sich gelassen hatten, hielt Christian Alicia kurz zurück. Noch bevor sie fragen konnte warum, holte er vorsichtig den Anhänger an seiner Kette, unter ihrem Top hervor. Lächelnd gab er Alicia dann einen Kuss auf die Wange und meinte: „Jetzt siehst du perfekt aus.“ Schnell ergriff Alicia wieder seine Hand, als sie weitergingen.   * * *   „Glaubst du wirklich es war richtig, dass ich mitgekommen bin?“, fragte Christina Wienholt-Langenhagen, und fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch das lange, blonde Haar. Die jüngere Schwester der verstorbenen Andrea von Falkenhayn wusste, wie ähnlich sie ihrer Schwester sah, und darum befürchtete sie, in Christian unangenehme Erinnerungen zu wecken, wenn er sie sah. Sie trug bereits seit einigen Wochen kein schwarz mehr, aber nach allzu hellen Farben stand ihr auch jetzt noch nicht der Sinn, darum hatte sie sich für ein dunkelblaues Kostüm entschieden, zu dem sie eine weiße Spitzenbluse trug. „Absolut“, antwortete Gernot von Falkenhayn bestimmt. „Ich bin froh, dass du mitgekommen bist, und Christian wird sich ganz bestimmt freuen, dich zu sehen. Er hatte dich doch schon immer sehr gern. Außerdem weißt du doch, wie es heißt: Drei Räder am Auto fahren nicht. Christians Freundin wird sicherlich froh sein, wenn eine Frau dabei ist.“ „Hoffen wir es.“ Sie fuhr sich erneut durch das Haar. Als sie Gernot bei einer ganz ähnlichen Geste ertappte, schmunzelte sie unmerklich. Soviel zur Coolness ihres Schwagers. Dieser hatte in demselben Moment völlig andere Sorgen. Ihm war nämlich ein Gedanke, siedend heiß, durch den Kopf geschossen, der ihm bislang noch gar nicht gekommen war: Würden er und Alicia überhaupt miteinander auskommen? Davon war er bisher stets, wie selbstverständlich, ausgegangen. Aber was würde sein, falls sie sich gegenseitig überhaupt nicht leiden konnten? Sicher, auf den Fotos, die Christian ihm per Mail geschickt hatte, wirkte das Mädchen nett und freundlich, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, dass sie total zickig oder durchgeknallt war. Oder beides... Mit einem Anflug von Panik blickte er zu seiner Schwägerin, die ihn fragend musterte und schließlich meinte: „Ist irgend etwas mit dir?“ „Nein, ich musste gerade nur daran denken, dass diese Alicia vielleicht vollkommen ausgeflippt sein könnte.“ „Traust du Christian denn zu, dass er sich ein solches Mädchen angeln würde?“ „Nein. Aber wer weiß – er ist noch jung.“ Christina warf ihrem Begleiter einen langen Blick zu. Ironisch antwortete sie: „Du machst mir Angst, mein Lieber, ist dir das klar?“ Statt zu antworten, deutete Gernot nach vorne, zum gläsernen Durchgang, und sagte deutlich aufgeregt: „Da sind sie endlich.“ Den Blumenstrauß für Alicia etwas fester packend schritt er den beiden Teenagern entgegen, wobei ihm Christina folgte. Christian ließ Alicia los, als sein Vater sie fast erreicht hatte, und gleich darauf schlossen sich Vater und Sohn herzlich in die Arme. Alicia, deren Nervosität sich nun spürbar steigerte, nutzte die Gelegenheit, Christians Vater etwas eingehender zu betrachten. Trotz seiner bereits ergrauenden Schläfen wirkte er sehr energiegeladen, und für sein Alter machte er eine ganz gute Figur. Gernot von Falkenhayn trieb offensichtlich regelmäßig Sport und achtete auf seinen Körper. Insgesamt gesehen war er ein gutaussehender Mann, fand das Mädchen. Die blonde Frau an seiner Seite sah fast so aus, wie Christians Mutter, deren Fotos sie gesehen hatte. Gernot von Falkenhayn, der wusste, was sich gehörte, schob seinen Sohn nach einem Moment mit sanfter Gewalt ein Stück von sich und wandte sich Alicia zu. Noch immer ergriffen sagte er mit sonorer Stimme, auf Englisch: „Entschuldigen Sie bitte, Miss Sterling. Es gehört sich eigentlich nicht, die Dame nicht zuerst zu begrüßen.“ Damit überreichte er ihr schnell den Blumenstrauß. Lächelnd erwiderte das Mädchen: „Aber das macht doch nichts, Mister von Falkenhayn. Ich verstehe Ihre Freude, Ihren Sohn nach so langer Zeit endlich wiederzusehen. Diese Blumen sind sehr hübsch, vielen Dank.“ Sie reichte ihm ihre Hand. Gernot von Falkenhayn ergriff sie vorsichtig, schüttelte sie jedoch nicht, sondern führte sie an seine Lippen und gab dem Mädchen einen vollendeten Handkuss. Dann sagte er lächelnd: „Willkommen in Deutschland, Miss Sterling. Ich hoffe es wird Ihnen bei uns gefallen.“ Der Handkuss hatte Alicia sichtlich verlegen gemacht, und sie war froh, als die blonde Frau, an der Seite des Mannes nun zu ihr schritt und sie herzlich, mit einem Kuss auf beide Wangen, begrüßte, wobei sie sich freundlich als Schwester von Christians verstorbener Mutter vorstellte. Nachdem Christians Tante auch ihn begrüßt hatte, trat der Junge wieder an die Seite seiner Freundin, und Alicia war überglücklich über den freundlichen Empfang, vor dem sie so einen Bammel gehabt hatte. Ungeheuer erleichtert stellte sie fest, dass alle vorherigen Sorgen deswegen unbegründet gewesen waren – ganz so, wie es Christian ihr zuvor immer wieder versichert hatte. Christian, der Alicias Erleichterung deutlich spüren konnte, drückte sanft ihre Hand und zwinkerte ihr zu. Die beiden Piloten, die sich bislang unauffällig im Hintergrund gehalten hatten folgten den vier Personen, als sie sich schließlich zum Ausgang begaben, vor dem Gernot von Falkenhayns schwarzer BMW wartete, den er heute ausnahmsweise selbst fuhr. Sie verstauten das Gepäck im Kofferraum des geräumigen Wagens, bevor Gernot von Falkenhayn ihnen herzlich dankte und sich von ihnen verabschiedete. Es wurde nur sehr wenig gesprochen während der Fahrt, da alle Insassen des Wagens ihren eigenen Gedanken nachhingen. Außerdem überkam beide Teenager nun, da die bisherige Anspannung von ihnen abgefallen war, nun die längst überfällige Müdigkeit, verursacht durch zu wenig Schlaf während der letzten Stunden. Staunend blickte Alicia zum Fenster des Wagens hinaus, als Christian sie darauf hinwies, dass sie sein Zuhause, am Rande von Hagen erreichten. Sie durchfuhren zunächst ein großes, schmiedeeisernes Doppeltor, dass die umlaufende hohe Steinmauer an dieser Stelle teilte und sich öffnete, nachdem Gernot von Falkenhayn vom Wagen aus einen siebenstelligen Code in ein kleines Kontaktgerät eingegeben hatte. Gleichzeitig nahmen zwei Kameras den Wagen und seine Insassen auf, so dass das Sicherheitspersonal kontrollieren konnte, dass sich tatsächlich niemand unbefugt Zutritt verschaffte. Durch einen gepflegten Park hindurch, der von hohen Rotbuchen, Kastanien und Platanen bestanden war, erreichten sie, nach kurzer Fahrt, den kleinen Vorplatz zum Hauptportal der alten Natursteinvilla. Sie stiegen aus, und etwas befremdet, weil sie dies nicht gewohnt war, beobachtete Alicia, wie zwei Hausangestellte in dunklen Anzügen die Freitreppe herunter kamen und sich um das Gepäck kümmerten. Sie verfolgte, wie Christians Vater den beiden Männern freundlich erklärte, wohin sie die Sachen bringen sollten und wies dabei kurz zu ihr hinüber wobei er sie anwies Englisch mit ihr zu sprechen. Etwas hilflos hakte sich Alicia bei Christian unter und ging mit ihm zum Haus. Dabei blickte sie sich interessiert um. Der Park schien ihr riesig zu sein. Kurz erhaschte sie einen Blick auf eine dunkel gekleidete Person, mit einem Hund an der Leine. Neugierig erkundigte sie sich bei Christian: „Wieviel Personal gibt es hier?“ Es war Christians Vater der darauf antwortete. „Momentan habe ich zwei männliche und eine weibliche Bedienstete im Haus, Miss Sterling. Außerdem eine sehr gute Köchin. Das Wachpersonal besteht aus vierundzwanzig Männern und Frauen, von denen aber nur acht gleichzeitig hier sind, da sie in drei Schichten, rund um die Uhr, für mich tätig sind.“ „Danke, Mister von Falkenhayn. Aber Sie müssen nicht Miss Sterling zu mir sagen, dabei komme ich mir so schrecklich alt vor.“ Der Mann lachte launig. „In Ordnung, Alicia.“ In der Halle trafen sie auf eine hochgewachsene, athletisch wirkende Frau mittleren Alters, deren harte Gesichtszüge Alicia sofort auffielen. Gernot von Falkenhayn sprach sie an und erklärte ihr dann auf Englisch, so dass Alicia verstehen konnte was gesagt wurde, dass sie für einige Wochen zu Gast im Haus sein würde, und dass sie sich bitte darum kümmern sollte, dass die Leute des Wachdienstes Bescheid wussten wer sie war. Christian, der die Befangenheit seiner Freundin deutlich spüren konnte, sagte zu ihr: „Komm, ich führe dich erst einmal im Haus herum, und zeige dir das Gästezimmer, oder besser, die Gästesuite.“ Danach wandte er sich schnell an seinen Vater. „Und nach dem Abendessen werden wir uns wohl aufs Ohr legen, denn wir haben während des langen Fluges kaum geschlafen.“ „Wir essen in einer halben Stunde, also beeilt euch“, erwiderte sein Vater gutgelaunt und nickte dabei Alicia noch einmal freundlich zu. Als sie eine halbe Minute später, im ersten Stock, endlich allein waren flüsterte Alicia beklommen: „Ich hoffe nur, dass der gesamte Aufwand hier nicht extra für mich betrieben wird, Chris.“ Der Junge lächelte und erklärte: „Nein, Alicia, so geht es hier seit Jahr und Tag zu. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das ungezwungene Leben bei Onkel Jason und Tante Mary bisher genossen habe. Das hier kann einem manchmal ziemlich auf den Wecker gehen.“ „Aber es ist doch bestimmt auch sehr angenehm, wenn man sich um all die häuslichen Dinge nicht zu kümmern braucht.“ „Ich glaube, das wird oft überbewertet.“ Christian führte sie durch die gesamte obere Etage und zeigte ihr dann die Gästesuite, die gegenüber seines eigenen Wohnbereichs lag. Alicia staunte mit offenem Mund, als sie das riesige Zimmer betrat, dass über einen eigenen, offenen Kamin verfügte, der natürlich jetzt im Sommer nicht in Betrieb war. Drei hohe Fenster durchfluteten das modern und gleichzeitig behaglich eingerichtete Zimmer mit Tageslicht. Eine der beiden Türen im hinteren Bereich führte zum angrenzenden großen Schlafraum, während die gegenüber liegende Tür in ein geräumiges Bad, mit einer riesigen, im Boden eingelassenen Wanne, führte. Eine offene Dusche gab es außerdem. Die Toilette war seitlich davon abgeteilt. „Oh mein Gott, hier passen alle Räume unserer Farm hinein“, stieß das Mädchen schließlich hervor. Dann wandte sie sich mit fragender Miene an Christian. „Habt ihr auch einen Pool hinter dem Haus?“ Christian schmunzelte vergnügt: „Einmal darfst du raten. Was wäre denn ein solches Anwesen ohne einen Pool? Wenn du magst schwimmen wir morgen Früh gleich ein paar Runden. Scheint so, als wäre das Wetter zufällig gerade mal sommerlich in Hagen, was keine Selbstverständlichkeit ist, möchte ich betonen.“ „Ich finde es toll bei euch. Besonders, weil hier alle so nett zu mir sind.“ Christian grinste schief: „Die sollten auch mal wagen nicht nett zu dir sein...“ Dann warf er einen Blick auf seine Uhr und meinte: „Komm, lass uns wieder nach unten gehen, es ist fast halb sieben und mein Vater mag keine Unpünktlichkeit.“ „Dann wollen wir ihn auch nicht verärgern.“ Sie legte ihre Jacke und ihre Handtasche ab und folgte Christian, der kurz in sein Zimmer schaute und sein Jackett auf einen der Sessel legte. Hand in Hand hopsten sie lachend die Treppenstufen hinunter.   * * *   So ruhig wie die Fahrt hierher verlaufen war, so munter ging es beim Abendessen zu. Besonders weil Christina ganz genau erfahren wollte, wie Christian und Alicia sich kennengelernt hatten, und wie ihrem Neffen das Leben an der Smallville Highschool bekam. Sie unterhielten sich auf Englisch und Alicia stellte fest, dass sowohl Christians Vater, als auch seine Tante diese Sprache fließend beherrschten, wenn auch mit einem ungewohnten und etwas harten Akzent. Als Alicia auf ihre Bedenken zu sprechen kam, die sie vor ihrem Kennenlernen insgeheim gehabt hatte, da legte Christina Wienholt-Langenhagen spontan ihre Hand auf die des Mädchens und sagte warmherzig: „Du bist ein hübsches und sehr liebenswertes Mädchen, Alicia. Deshalb habe ich dich vom ersten Augenblick an gemocht. Und ich freue mich für meinen Neffen, dass er eine so tolle Freundin in dir gefunden hat.“ Christians Vater nickte zustimmend. „Ich hätte es nicht treffender ausdrücken können, und ich stimme meiner Schwägerin vorbehaltlos zu.“ Etwas ernster fügte er dann hinzu: „Was mich besonders freut ist, dass Sie die Kette tragen, die Christian Ihnen zum Geburtstag geschenkt hat. Sie steht Ihnen ausgezeichnet, und ich bedauere nicht, sie Christian geschickt zu haben, Alicia. „Ich danke, Ihnen beiden“, antwortete das Mädchen sichtlich verlegen. „Es gefällt mir hier sehr gut, besonders weil Sie mich so nett aufgenommen haben. Dafür möchte ich Ihnen ebenfalls danken.“ „Das ist doch selbstverständlich“, wehrte Gernot von Falkenhayn ab. „Wissen Sie: Kurz vor Ihrer Landung, da bekam ich selbst auch für einen Moment so etwas wie Panik, weil ich plötzlich Angst hatte, Sie könnten vielleicht zickig oder ausgeflippt sein. Ich bin sehr froh, dass wir uns beide geirrt haben.“ Alicia nickte lächelnd. Dann fragte sie: „Wäre es unhöflich, mich bereits jetzt zurückzuziehen? Ich bin sehr müde, müssen Sie wissen.“ „Überhaupt nicht“, antwortete Gernot von Falkenhayn und er erhob sich ganz Gentlemanlike, als Alicia vom Tisch aufstand. „Ich werde mich auch hinlegen“, beschloss Christian und verließ gemeinsam mit Alicia das Speisezimmer. Als sich Gernot von Falkenhayn wieder setzte, legte seine Schwägerin ihre Hand auf seine und fragte leise: „Wann willst du es ihm sagen, Gernot?“ Der Mann blickte Christina ernst an und sagte ruhig: „Am liebsten gar nicht, aber das ist keine Option, fürchte ich.“ „Nein“, stimmte die Frau leise zu. „Das ist es bestimmt nicht.“   * * *   Als Christian aus einem unruhigen Schlaf erwachte, wusste er im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Erst dann tröpfelten die Erinnerungen wieder langsam in sein Gedächtnis. Er war Zuhause. Aber war das wirklich noch sein Zuhause? Den gesamten Abend über hatte er nicht aufgehört, sich wie ein Besucher zu fühlen. Er atmete tief durch und blickte in die Dunkelheit. Vielleicht musste er sich nur erst wieder daran gewöhnen. Nach dem Abendessen hatte er sich auf dem Korridor von Alicia verabschiedet. Da er selbst ebenso erschlagen gewesen war, von der langen Reise, war es ihm ganz recht gewesen, sich allein zur Ruhe zu legen. Christian verspürte einen brennenden Durst und so schlug er die dünne Bettdecke zurück, schwang sich aus dem Bett und erhob sich dann. Schnell in bequeme Pantoffeln schlüpfend, warf er sich seinen Morgenmantel über und verließ dann beinahe lautlos seine Zimmerflucht. Nachdem er unten in der Küche gewesen war, um seinen Durst zu stillen, ging es ihm schon besser und er machte sich auf den Rückweg. Dabei stutzte er, als er die leisen Stimmen von seinem Vater und seiner Tante aus dem Wohnzimmer vernahm. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dort noch gedämpftes Licht brannte. Verwundert blickte Christian auf seine Armbanduhr. Es war bereits 01:00 Uhr durch, und er fragte sich, was Christina, um diese Uhrzeit, noch hier machte. Christian beschloss kurz einen Blick ins Wohnzimmer zu riskieren. Dabei hatte er nicht die Absicht die beiden Erwachsenen irgendwie zu bespitzeln. Er wollte nur einmal unauffällig nachschauen, das war alles. Also bewegte sich der Junge lautlos zum breiten Durchgang des Zimmers und sah vorsichtig um die Ecke. Bei diesem Blick um die Ecke, wäre Christian fast das Herz stehen geblieben, denn sein Vater und dessen Schwägerin gefielen sich momentan darin, sich sanft zu umarmen, sich zu streicheln und schließlich sogar zu küssen. Christian wusste, dass es ihm nicht zustand, wie ein Rachegott vor den beiden Erwachsenen aufzutauchen, und sie daran zu erinnern, dass der Tod seiner Mutter noch nicht allzu lange zurücklag. Nein, das stand Christian nicht zu - darum zog er sich ganz vorsichtig wieder zurück, bevor sie ihn bemerken konnten und eilte lautlos zu seinem Zimmer hinauf. Dort angekommen stand er eine ganze Weile grübelnd vor einem der Fenster und sah in den dunklen Park hinaus, bevor er seinen Morgenmantel auszog, ihn auf einen der Sessel warf und wieder zu Bett ging. Doch Schlaf sollte er in dieser Nacht nicht mehr finden.   * * *   Alicia erwachte, als die Morgendämmerung bereits voll eingesetzt hatte. Im Haus war alles ruhig, und so verschränkte sie die Arme hinter dem Kopf, schloss ihre Augen und ließ die Ereignisse des vergangenen Tages noch einmal Revue passieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie mit einem Flugzeug gereist – es war überhaupt ihre erste Reise in ein anderes Land, und dann gleich in eines auf einem anderen Kontinent. Alles hier in Deutschland erschien ihr so anders; die Gegend, die Häuser, einfach Alles. Und dann der freundliche Empfang, mit dem sie so zuvor nicht gerechnet hatte. Sie konnte immer noch nicht richtig glauben so weit von Zuhause entfernt zu sein. Nach dem Abendessen hatte sie ihre Eltern angerufen, um ihnen dreimal zu versichern, dass sie gut angekommen, und sie, von den Verwandten ihres Freundes, nett aufgenommen worden war. Danach hatte sie noch ein längeres Gespräch mit Samantha geführt, und ihr dasselbe erzählt, wie ihren Eltern. Für eine Weile blieb Alicia in angenehme Gedanken versunken liegen, bevor sie es nicht mehr länger im Bett aushielt, obwohl es gerade erst 05:00 Uhr war. Sie duschte ausgiebig und warf sich, nach dem Abtrocknen nur den Morgenmantel über. Ein Handtuch um ihre nassen Haare wickelnd beschloss sie nachzuschauen, ob Christian schon wach war. Barfuß lief sie über den Korridor zu Christians Zimmerflucht hinüber und klopfte leise an die Tür. Fast augenblicklich hörte sie seine Stimme, die sie hereinbat und sie betrat schnell seinen Wohnraum. Sich kurz orientierend lief sie dann zum Schlafraum hinüber und setzte sich einen Moment später auf die Kante seines Bettes, in dem er auf dem Rücken lag und gegen die Decke des Zimmers starrte. Sanft berührte sie seine Brust mit der Hand und sagte leise: „Guten Morgen.“ Dann bemerkte sie seinen abwesenden Zustand und fragte vorsichtig: „Hast du irgend etwas?“ Christian sah etwas entschuldigend zu Alicia und erwiderte schnell: „Guten Morgen, Honey. Ich bin bereits seit einigen Stunden wach und finde keinen Schlaf mehr.“ „Also liegst du im Bett und starrst unter die Decke.“ Der Junge atmete tief durch und entgegnete dann: „Schlüpfe zu mir unter die Decke, und ich erzähle dir, was los ist.“ Mit einem etwas unbehaglichen Gefühl, weil sie nicht wusste, was genau Christian an diesem Morgen die Laune verdarb, schmiegte sie sich unter der Decke an ihn und kuschelte sich in seine Arme. Fragend blickte sie ihn an. Christian zögerte etwas, bevor er davon zu berichten begann, was sich vor einigen Stunden ereignet hatte. Als er endete, meinte er tonlos: „Ich verstehe das nicht, Alicia. Meine Mom ist erst seit einem halben Jahr tot. Und dann machte er nicht mit irgend einer Frau herum, sondern ausgerechnet mit ihrer Schwester. Ich...“ „Du findest das schockierend? Ist deine Tante verheiratet?“ Christian blickte etwas überrascht. „Ja, ich finde es schockierend – und nein, Tante Christina ist nicht verheiratet.“ Alicias Blick wurde nachdenklich. „Entschuldige Chris, aber Letzteres verstehe ich viel mehr nicht. Deine Tante ist doch eine wirklich hübsche und obendrein sehr nette und intelligente Frau. Da müssten die Bewerber doch Schlange stehen.“ Etwas verwirrt fragte der Junge: „Was willst du damit sagen?“ „Nun ja, ist dir nie in den Sinn gekommen, dich zu fragen, ob sie vielleicht schon viel länger für deinen Dad schwärmt, als du glaubst? Vielleicht ist das der Grund, warum so eine tolle Frau unverheiratet geblieben ist.“ Das Schweigen des Jungen wirkte äußerst vielsagend. Dann wandte er ein: „Aber das erklärt noch immer nicht, warum mein Vater meine Mutter so schnell vergessen hat.“ Sanft streichelte Alicia ihrem Freund über die Wange und blickte ihm in die Augen. „Er hat sie ganz bestimmt nicht vergessen, Chris. Aber ich glaube, dass er sich sehr einsam gefühlt hat, und nachdem dann auch du noch weg warst, da muss es doch doppelt schlimm für ihn gewesen sein. Noch dazu war er, bis vor Kurzem, in akuter Lebensgefahr, da die Terroristen jederzeit nochmal hätten zuschlagen können. Sieh mal: Du hattest während der letzten Monate, deinen Onkel und deine Tante. Zudem hast du an der Schule schnell neue Freundschaften geschlossen. Und du hattest mich, in dieser Zeit. Aber dein Vater hatte niemanden. Vielleicht trifft das ebenfalls auf deine Tante zu. Wenn die beiden nur sich hatten, dann ist es doch verständlich, wenn sie sich in ihrem Schmerz wirklich nähergekommen sein sollten.“ Etwas überrascht und beschämt zugleich blickte Christian seiner Freundin in die Augen, bevor er rau sagte: „Dass er sich, so plötzlich ganz ohne Familie, vollkommen alleingelassen fühlen könnte, das hatte ich in den letzten Monaten wohl ganz und gar verdrängt. Ich hatte wohl viel zu sehr mit mir selbst zu tun?“ „Es war für euch beide eine sehr schwierige Zeit, Chris. So wie du, brauchte auch dein Vater eine Person, der er sich anvertrauen konnte. Vielleicht solltest du froh darüber sein, dass es eine Frau, wie deine Tante war, und nicht irgendeine Fremde, die seinen Zustand vielleicht ausgenutzt hätte.“ Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Jungen. Dann drückte er Alicia zärtlich an sich und flüsterte: „Ich bin sehr glücklich, dass wir einander begegnet sind, denn du bist ein ganz tolles Mädchen, Alicia. Womit habe ich dich nur verdient?“ „Dasselbe frage ich mich auch mitunter, Chris.“ Alicia lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag und seinen ruhigen Atemzügen. Dann fragte sie leise: „Chris...?“ Er war eingeschlafen, und lächelnd schloss auch Alicia ihre Augen um einfach seine Nähe zu genießen.   * * *   Drei Stunden später saß Christian mit seinem Vater und Alicia am Frühstückstisch. Immer wieder warf Gernot von Falkenhayn kurze Blicke zu seinem Sohn, und auch zu Alicia. Dann legte er seine Servierte zur Seite und sagte mit entschlossen klingendem Tonfall, auf Deutsch: „Christian, ich muss dir etwas erklären. Deine Tante Christina und ich, wir... verdammt, ich und Christina hatten gedacht es wäre leichter, darüber zu reden... Was ich meine ist, das wir...“ „Ich habe eure verstohlenen Blicke bemerkt, Vater“, sagte Christian ruhig, der in diesem Moment froh darüber war, dass er bereits mit Alicia darüber gesprochen hatte. Er lächelte schwach. „Seit wann genau ist es denn so?“ Etwas verblüfft sah Gernot seinen Sohn an. Dann antwortete er stockend: „Seit knapp drei Wochen. Aber entwickelt hat es sich seitdem du nach Smallville gezogen bist. Verstehst du: Christina fühlte sich verloren, und ich auch. Zuerst hatten wir uns täglich nur für jeweils eine Stunde zum Kaffee gesehen. Doch es tat so gut, mit einander reden zu können, dass wir schließlich immer mehr Zeit mit einander verbracht haben. Es war für uns beide sehr überraschend, als wir nach geraumer Zeit merkten, dass da mehr ist, als nur Zuneigung für einander. Sehr viel mehr. Niemand von uns hatte das für möglich gehalten, oder geplant.“ Christian nickte. Dann blickte er seinem Vater in die Augen und sagte: „Ich verstehe das, Paps. Während ich in Amerika eine ganze Menge Leute um mich herum hatte, waren du und Tante Christina sehr allein.“ Mit einer Mischung aus Erleichterung und Stolz blickte Gernot seinen Sohn an und antwortete: „Stimmt, so war es. Ich bin erleichtert, dass du nicht sauer, oder gar schockiert deswegen bist, Christian.“ Er erhob sich rasch und sagte: „Entschuldigt mich einen Augenblick. Ich habe Christina versprochen, dass ich sie anrufen werde, sobald ich es dir gesagt habe.“ Christian reagierte schnell und erwiderte, bevor sich sein Vater abwenden konnte: „Lade sie doch zu einem gemeinsamen Spaziergang zum Eugen-Richter-Turm ein. Ich wollte Alicia ohnehin ein wenig mehr von Hagens Umgebung zeigen, und von da oben hat man einen tollen Blick auf Hagen.“ Sein Vater strahlte. „Das ist eine gute Idee. Christina wird bestimmt gerne mitkommen. Ach und Christian: Du darfst ruhig mit Alicia darüber reden.“ „Äh, ja, das werde ich machen.“ Christian wartete, bis sein Vater nach Nebenan gegangen war, bevor er zu Alicia blickte, die ihn bereits neugierig musterte. Flüsternd erklärte er ihr, worüber sein Vater und er gesprochen hatten. Dann nahm er ihr Gesicht in die Hände und gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Lippen, bevor er ganz sanft sagte: „Ich liebe Dich, Honey.“   * * *   Das Wetter war geradezu ideal zum Wandern. Christina, die den Weg genau kannte, setzte sich mit Alicia ein ganzes Stück von Gernot und Christian ab, bis sie außer Hörweite waren. Gernot, der darüber etwas enttäuscht war, wandte sich zu Christian und meinte ratlos: „Worüber die Beiden, am frühen Morgen, wohl schon zu tratschen haben? Wenn ich nicht wüsste, dass es kaum sein kann, dann würde ich glatt behaupten, die beiden hecken gemeinsam was aus.“ „Du hörst das Gras wachsen, Paps“, lachte Christian. „Die Beiden unterhalten sich über das, was dir auch schon den ganzen Morgen im Kopf herumspukt. Nämlich darüber, worüber du mit mir heute Morgen gesprochen hast. Und natürlich wird Tantchen die Gelegenheit nutzen, ein Frauengespräch mit Alicia zu führen. Tante Christina und Alicia scheinen sich sehr gut zu verstehen, und darüber freue ich mich.“ Sein Vater nickte nur. Dann meinte er neugierig: „Du hast mir bisher gar nicht erzählt, wie ihr euch kennengelernt habt.“ Christian zögerte einen langen Moment, was seinem Vater nicht entging, und erst nach einer Weile erzählte er schließlich zögernd von dem Überfall dreier Männer auf Alicia, wobei er wohlweislich einige Details unter den Tisch fallen ließ. Nachdem er geendet hatte, blickte ihn sein Vater an und sagte dunkel: „Der Sinn deiner Reise nach Amerika sollte sein, dich in Sicherheit zu bringen, und nicht, dich noch größerer Gefahr auszusetzen, Christian.“ „Paps, das hätte auch hier passieren können. Abgesehen von diesem einen Vorfall ist es in Smallville wirklich sehr friedlich und beschaulich gewesen. Außerdem stammten diese drei Schurken nicht aus der Gegend.“ Gernot warf seinem Sohn einen langen Blick zu. „Und das soll mich jetzt beruhigen?“ Christian seufzte schwach. „Es ist dort wirklich sehr ruhig. Frage Onkel Jason und Tante Mary.“ Sein Vater lächelte beschwichtigend. „Ich glaube es dir ja.“ Dann veränderte sich seine Miene und er fragte: „Es gefällt dir sehr in Smallville, wie es scheint. Aber jetzt, nachdem das BKA die Mörder deiner Mutter endlich dingfest gemacht hat, besteht kein wirklicher Grund mehr, dort zu bleiben. Wie wäre es, wenn du wieder nach Deutschland zurückkommen würdest?“ Natürlich hatte Christian damit gerechnet, dass sein Vater diese Frage stellen würde, doch er hatte gehofft, er würde es nicht so schnell tun. Mit verschlossener Miene blickte Christian ihm in die Augen, bevor er antwortete: „Ich überlege bereits seit einigen Wochen, ob ich nicht dort bleiben soll. Zumindest noch solange um dort meinen Abschluss an der Highschool zu machen. Und ich könnte dort danach, ein ganzes Jahr eher, mit dem Studium beginnen.“ Sein Vater nickte verstehen, und seiner Miene war zu entnehmen, dass er bereits mit einer ähnlichen Antwort gerechnet hatte. Leise fügte er den Worten seines Sohnes hinzu: „Und darüber hinaus gibt es dort ein sehr nettes Mädchen, das du nicht verlassen möchtest.“ Er grinste schief und legte Christian seine Hand auf die Schulter. „Ich bin traurig, dass du dableiben willst, aber ich bin auch stolz auf dich, weil du beschlossen hast, deinen eigenen Weg zu gehen, mein Sohn. Ich werde deine Entscheidung akzeptieren und dir keine Steine in den Weg legen, aber ich erwarte von dir, dass du dort drüben, in Amerika, die Schule ordentlich abschließt, und beim Studium gute Noten vorweist. Ansonsten werde ich rüberfliegen und dich an den Ohren zurück nach Deutschland schleifen, damit wir uns richtig verstehen, Christian.“ „Wow – danke, Dad.“ Gernot verzog das Gesicht, so als habe er in eine Zitrone gebissen. „Bitte bleibe bei Paps, in Ordnung?“ Christian lachte erleichtert. „In Ordnung, Paps.“ Gernot von Falkenhayn nickte zufrieden. Dann sagte er: „Nun, wenn du künftig in Smallville wohnen willst, dann solltest du vielleicht darüber nachdenken, dir eine eigene Bleibe zu suchen. Du kannst nicht ewig bei Jason und Mary wohnen, obwohl ich sicher bin, dass die Beiden das anders sehen, nicht wahr?“ „Tante Mary ganz bestimmt“, nickte Christian. „Aber ich werde ihr versprechen, sie und Onkel Jason dann regelmäßig besuchen. Ich hoffe, sie unterstützt mich bei der Suche nach einem Apartment.“ „Apartment?“ Christian lächelte entsagungsvoll. „Ich werde bestimmt nicht in ein eigenes Haus ziehen, Paps. Das wäre doch viel zu groß für mich.“ Sie blickten im selben Moment nach vorne, zu Alicia und Gernot sagte schmunzelnd: „Ich verstehe, was du meinst. Nun, es ist deine Entscheidung. Ich werde dennoch einen gewissen Betrag auf dein Konto überweisen. Außerdem denke ich, dass ich dein Taschengeld etwas erhöhen sollte, wenn du zukünftig allein wohnst und für deinen Unterhalt sorgen musst. Hast du mal daran gedacht, dort den Autoführerschein zu machen, wie es dir Jason vorgeschlagen hat?“ Christian erinnerte sich daran, seinem Vater bereits vor einiger Zeit von diesem Gespräch mit seinem Onkel erzählt zu haben. „Ja, ich denke, das ist keine schlechte Idee.“ Und an was für ein Auto denkst du? Hoffentlich kein Ferrari.“ Christian lachte vergnügt. „Nein, in Smallville bieten sich Pickups eher an.“ „Bekommt man die dort drüben auch ohne Jagdgewehr?“, spöttelte sein Vater. Dann meinte er: „Komm, lass uns zu unseren Mädels aufschließen, sonst fangen die am Ende wirklich noch an etwas auszuhecken.“   * * *   Als sie eine halbe Stunde später den Turm erreicht hatten, beschlossen Christian und sein Vater, einen kurzen Abstecher zur Sternwarte zu machen, die gleich nebenan lag. Inzwischen stiegen Christina und Alicia zur Aussichtsplattform des Turmes hinauf und Alicia war begeistert von der Aussicht. „Wie groß ist Smallville?“ erkundigte sich Christina interessiert bei Alicia, nachdem sie sich eine ganze Weile umgesehen hatten. Alicia lachte vergnügt. „Sie meinen wohl, wie klein ist Smallville denn. Der Name ist Programm. Seit dem Meteoritenschauer ist die Stadt nicht gerade ein Zuwanderungsmagnet. Landschaftlich ist die Gegend toll, aber was das Nachtleben angeht, herrscht dort absolute Flaute. Ein typisches, verschlafenes Nest in Kansas eben.“ „Aber Sie leben gerne dort, nicht wahr?“ Alicia nickte nachdenklich und meinte zögernd: „Ja, ich bin glücklich dort. Meine Eltern besitzen eine kleine Farm, nichts Besonderes, wissen Sie? „Warum sagen Sie das?“, hakte die blonde Frau überraschend nach. „Lieben Ihre Eltern Sie denn nicht?“ Alicia blickte Christina Wienholt-Langenhagen an und antwortete dann bestimmt: „Doch, natürlich lieben sie mich – und ich liebe sie auch. Sehr sogar.“ Die blonde Frau lächelte nachsichtig. „Dann sollten Sie nicht sagen, es wäre nichts Besonderes, Alicia, denn Elternliebe ist nicht immer selbstverständlich. Ich stelle das bei den sozialen Projekten, die meine Schwester initiiert hat fast täglich aufs Neue fest. Sie glauben gar nicht, wieviele Eltern es gibt, die ihre Kinder verwahrlosen lassen, oder sie misshandeln.“ Sacht legte die Blonde eine Hand an die Schulter des Mädchens und fügte lächelnd hinzu: „Ich habe die Freundin meines Neffen sehr genau beobachtet, und mir scheint, Ihr Elternhaus ist etwas ganz Besonderes, Alicia.“ „Danke, Miss...“ „Ich würde mich freuen, wenn Sie einfach Christina sagen würden.“ Alicia nickte lächelnd. „Sehr gerne.“ Alicia erzählte der blonden Frau davon, dass sie Christian am Anfang überhaupt nicht hatte leiden können, und wie sie sich schließlich doch nähergekommen waren. Dabei ließ sie, ohne es zu ahnen, dieselben Details aus, wie Christian seinem Vater gegenüber. Als sie schließlich davon erzählte, wie Christian bei seinem ersten Einsatz für die SMALLVILLE-CROWS das Spiel noch zum Guten hatte wenden können, nickte Christina in Gedanken und meinte: „Es muss toll sein, dort am Spielfeldrand, als Cheerleader, seine Mannschaft anfeuern zu können. Noch dazu, wenn der Freund mitspielt.“ Alicia nickte begeistert. „Ja, das ist es. Aber das Training, als Cheerleaderin, ist auch ziemlich anstrengend, und es steckt mehr sportlicher Einsatz dahinter, als viele Leute vielleicht glauben.“ Ein Schmunzeln überflog das Gesicht von Christina Wienholt-Langenhagen. „Sie haben meinen Neffen wirklich sehr in Ihr Herz geschlossen, nicht wahr?“ Alicia nickte zustimmend: „In manchen Augenblicken habe ich das Gefühl, ich würde Chris schon eine Ewigkeit kennen. Manchmal erscheint er mir beinahe, wie ein gebürtiger Amerikaner, und gar nicht, wie ein Deutscher. Außer bei Verabredungen, denn seine Pünktlichkeit ist beinahe beängstigend.“ Sie lachten und schließlich sagte Christina: „Ich bin froh, dass Christian in Kansas so ein nettes Mädchen, wie Sie, kennengelernt hat, Alicia, und dass er sich dort so gut zurechtfindet, dass er gerne dort ist. Gernot und ich vermissen ihn zwar sehr, aber ich glaube, dass er in Smallville glücklicher ist, als hier, seit dem Tod meiner Schwester. Vielleicht verwindet er so ihren Tod besser, als wenn er hier wäre. Es würde mich sehr beruhigen, zu wissen, dass Sie ihm dabei zur Seite stehen werden.“ Alicia nickte ernsthaft. „Das werde ich, Christina.“ Das Mädchen spürte ihre aufrichtige Zuneigung, als die blonde Frau sie spontan in die Arme schloss, und sanft drückte. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Christian genauso glücklich werden, wie ich es mit seinem Vater bin. Und ich hoffe, dass wir, im Laufe der Zeit, gute Freundinnen werden.“ „Ja, ich auch“, antwortete Alicia ein wenig gerührt. Als sie wieder über die Brüstung nach unten sahen, erkannte sie Christian und seinen Vater, die auf den Turmeingang zu marschierten. „Da unten kommen Chris und sein Dad.“ „Genau rechtzeitig“, schmunzelte die Frau und zwinkerte Alicia verschwörerisch zu.   * * *   Der Vormittag verging, wie ihm Flug, während die Vier ihren Ausflug zum Wildgehege fortgesetzt hatten. Als sich die Sonne bereits merklich Richtung Westen neigte, stellte Christian, bei einem Blick auf seine Armbanduhr, verblüfft fest, dass es bereits siebzehn Uhr durch war. Neugierig blickte er in die Runde und fragte: „Was haltet ihr davon, wenn wir bei TONI zum Abendessen reinschauen?“ Sein Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung, und sie machten sich auf den Rückweg. Als sie eine Stunde später bei TONI, in einer der gemütlichen Nischen saßen, erzählte Gernot von Falkenhayn Alicia die Anekdote, als Christian sich ein alkoholfreies Weizenbier, statt Wein zur Pizza bestellt hatte. Als er geendet hatte meinte Alicia: „Damit könnte Chris gut als Amerikaner durchgehen. Bei uns ist es nämlich Sitte, oder besser gesagt: Unsitte, Bier zur Pizza zu trinken, fürchte ich.“ „Da hast du es!“ triumphierte Christian obenauf und blickte von Alicia zu seinem Vater. „Das muss Schicksal sein, oder so ähnlich.“ „Faule Ausrede!“ konterte sein Vater gelassen. „Aber egal.“ Sie wurden abgelenkt, als das Essen serviert wurde. Natürlich hatte Christian es sich nicht nehmen lassen, sich ein alkoholfreies Weizenbier zur Pizza zu bestellen. Aus Protest, wie er seinem Vater erklärt hatte. Damit du was zum Lachen hast! Während sie aßen, blickte Alicia misstrauisch auf Christians Glas und fragte schließlich: „Bist du sicher, dass dein Getränk frisch ist?“ Christian schmunzelte unterdrückt. „Mit dem Weizen ist alles in Ordnung; das muss trüb sein. Möchtest du mal probieren?“ Alicia nickte und Christian schob sein Glas zu ihr hinüber. Vorsichtig nahm das Mädchen einen Schluck und meinte dann: „Schmeckt gar nicht so übel, wie es aussieht.“ „Ha!“ lachte Christian zufrieden. „Daran merkt man, dass wir uns gesucht und gefunden haben.“ Für den Rest des Abends wurden ernste Themen vermieden, und sie verbrachten einen sehr heiteren Abend zusammen. Als sie gegen 22:00 Uhr wieder Zuhause waren, zogen sich Christian und Alicia bald zurück. Einerseits, weil sie den Jetlag noch immer deutlich spürten, andererseits weil sie das Gefühl hatten, dass es Gernot und Christina ganz recht sein würde für sich zu sein. Sie duschten, und schließlich schaute Alicia bei Christian herein. Sie hatte sich den gesamten Tag bereits auf diesen Moment gefreut, in dem sie Christian endlich in ihre Arme nehmen – ihn an sich drücken und ihn sanft und ausdauernd küssen konnte. Schließlich hauchte sie leise in sein Ohr: „Das wollte ich den gesamten Tag über schon tun, aber ich habe mich im Beisein deines Vaters und deiner Tante nicht getraut.“ Christian blickte lächelnd in die Augen des Mädchens und lachte leise: „Ja, mir ging es ganz ähnlich. Aber das können wir ja jetzt alles nachholen.“ Damit küsste Christian seine Freundin erneut, und ganz vorsichtig öffnete er den Gürtel ihres Morgenmantels. Als er sich teilte bemerkte er, dass Alicia nichts außer einem Slip darunter trug. Seinen eigenen Morgenmantel ablegend zog er schließlich den ihren an ihren Armen hinunter und warf ihn auf den Sessel zu seinem, bevor er sie in seine Arme zog. Mit sanfter Anleitung bewegte er sie zum Bett hinüber und sank zusammen mit ihr auf das weiche Lager. Sie schlüpften beide schnell unter die leichte Decke und es dauerte nicht lange, bis ihre Slips vor dem Bett landeten. Alicia erschauderte unter den sanften, fast nur gehauchten Berührungen Christians und sie selbst erwiderte seine Liebkosungen ebenso sachte, beinahe vorsichtig. Als sie sich nach einer schier endlosen Zeit vereinigten, wobei sie kaum mitbekam, wie Christian sich ein Kondom überstreifte, bäumte sich das Mädchen seufzend in seinen Armen auf und hatte fast das Gefühl zu vergehen. Die so behutsamen Berührungen ihres Freundes schien ihre Haut in Brand zu setzen. Noch niemals zuvor war sie von einem Jungen so liebevoll sanft berührt worden, und es trieb sie vor Erregung fast an den Rand des Wahnsinns. Auf dem Höhepunkt ihres Liebesspiels begann sich die Welt um sie herum zu drehen, und einen nicht messbaren Moment lang war ihr, als würde sie in der Dunkelheit des Zimmers schweben um ganz sacht, in Christians Armen wieder auf dem weichen Lager einzusinken und Gewicht zu bekommen. Als Christian beinahe gleichzeitig mit Alicia Entspannung fand, und sie unter halb geschlossenen Augen ansah, da wäre beinahe sein Herz stehengeblieben. Sie schwebten beide ein Stück über der Matratze, und schnell konzentrierte er sich um mit ihr vorsichtig wieder zu landen, ohne dass Alicia etwas mitbekam. Er hatte sich vollkommen fallen gelassen, und gar nicht bemerkt, was sich da für einen Moment lang abgespielt hatte. Das kann ja heiter werden, dachte der Junge bestürzt und atmete schließlich erleichtert auf. Alicia schien von diesem Vorfall nichts bemerkt zu haben. Sanft küsste er das Mädchen in seinen Armen. Als sie sich, nach Luft schnappend, wieder von einander lösten, da blickte Alicia ihren Freund mit seltsamen Blick an und fragte schließlich leise: „Chris?“ „Ja, Honey?“ „Kannst du mir sagen, warum ich eben, für einen Moment schwerelos war?“ Alicias Augen funkelten im Mondlicht, das zum Fenster herein fiel, wie dunkle Edelsteine. „Anscheinend macht sich die Fähigkeit der Telekinese selbstständig, wenn ich mich fallen lasse. Hast du deswegen Angst gehabt?“ Eine Weile blieb es still im Raum, bevor Alicia leise sagte: „Nein, im Gegenteil, Das Gefühl zu schweben war fast berauschend, als du mich eben so wahnsinnig glücklich gemacht hast. Aber du kannst mir nicht verdenken, wenn ich das erst einmal sortieren muss, wenn wir beim Liebesspiel wortwörtlich abheben.“ Christian streichelte sanft ihre Wange. „Honey, wo wir gerade beim Thema sind möchte ich dir auch alles andere anvertrauen.“ „Okay?“, hauchte Alicia mit unsicherer Stimme. „Was wäre denn da noch?“ Christian räusperte sich bevor er erklärte: „Nun ja, ich kann sehr gut im Dunkeln sehen. Außerdem kann ich fühlen was andere Menschen fühlen, wenn ihre Emotionen sehr intensiv sind. Und Wunden an meinem Körper heilen mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit.“ Alicia blickte ihn einen langen Moment nur an, bevor sie ihn sanft zu sich hinab zog und sagte: „Dann ist also auch etwas Vernünftiges dabei.“ Christian lächelte unsicher. „Ja, da hast du Recht.“ Nach einer kurzen Pause fragte er: „Und du findest es wirklich nicht schlimm?“ Ein Kuss war die Antwort, bevor sie leise erwiderte: „Schlimm wäre es gewesen, wenn du mich belogen hättest, um das zu verheimlichen. Ich liebe dich, Chris – ohne Einschränkungen, und auch ohne Angst. Meine einzige Angst ist es momentan, dass ich dich irgendwann verlieren könnte.“ „Ich liebe dich auch, Alicia. Mehr, als du vielleicht ahnst.“ Sie lachte leise. „Ich weiß es, und das ganz ohne besondere Fähigkeiten. Denn dazu reicht es, ein ganz normaler Mensch zu sein.“ „Aber du bist kein normaler Mensch, Alicia. Du bist ein außergewöhnlicher Mensch, und darum bedauere ich auch nicht, dass ich mich dazu entschieden habe, für längere Zeit nach Smallville zu ziehen, und mir dort demnächst ein eigenes Apartment zu suchen.“ „Ist das wirklich wahr, Chris?“, fragte das Mädchen heiser. „Dann umarmte Alicia den Jungen und küsste ihn stürmisch, bevor sie mit zittriger Stimme fragte: „Glaubst du, du könntest in dieser Nacht noch einmal mit mir abheben, Chris?“ Seine Antwort bestand aus einem leisen Lachen. Dann küsste er ihre Lippen und sagte flüsternd: „Mit dir jederzeit, Honey...“ Kapitel 6: Geiselnahme ---------------------- Alicia und Christian verbrachten drei wundervolle Wochen in Deutschland, bevor sie ihre Sachen packten und der Jet von Gernot von Falkenhayn sie nach Paris brachte. Als sie beide auf dem Place de la Concorde, dem Platz der Eintracht, dem größten in Paris und dem zweitgrößten in Frankreich, standen, da fühlte sich Alicia wie in einem Traum und sie bat Christian, sie in den Arm zu zwicken. Der Junge lachte jedoch nur vergnügt und blickte sich um. Um die beiden Teenager herum brummte das Leben. Im 8. Arrondissement, im Zentrum der Stadt liegend, zweigte von hier die Avenue des Champs-Élysées bis zum Arc de Triomphe ab, die auch zum Regierungspalast führte. Markant auf dem Platz war zweifellos der 22 Meter hohe Obelisk von Luxor, und die, den Obelisken flankierende, Brunnenanlage Fontaine de Mer. Ebenfalls auffällig waren die acht steinerner Frauenstatuen, welche die Allegorien der acht französischen Städte: Bordeaux, Lille, Brest, Rouen, Lyon, Marseille, Nantes und Straßburg symbolisierten. An der Nordseite des Platzes befand sich im westlichen der beiderseits der Rue Royale mit gleichen Fassaden versehenen Bauwerke, das Hôtel de Crillon. Die identische Front der Bauwerke wurden von Louis François Trouard in Anlehnung an die Fassaden des Louvre entworfen. Es zeigte je zwei Tempelhallen, die durch eine lange, zwölfteilige Säulenreihe zum Platz hin verbunden waren. Zwischen beiden Gebäuden erkannte man im Hintergrund die acht Säulen der Kirche St. Madeleine. Zuvor waren sie in einem kleinen Bistro, ganz in der Nähe gewesen, das Christian von seinen früheren Besuchen kannte. Danach waren sie, an diesem sonnigen Nachmittag durch die Straßen von Paris gestreift und schließlich hierher gekommen. Christian erklärte Alicia, dass dieser Platz geschichtsträchtig war, denn hier hatten Marie Antoinette, ihr Gatte, König Louis XVI und Maximilian Robespierre, der beide schuldig sprach, ihren Kopf verloren. Zu dieser Zeit hieß der Platz noch: Revolutionsplatz. Am Abend zuvor hatten sie im exklusiven Hotel San Regis, keine zweihundert Meter vom Regierungspalast entfernt, eingecheckt. Dieses bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gebaute und seitdem ständig erweiterte und modernisierte Hotel, war ganz auf das Ambiente des ausgehenden 19. Jahrhunderts getrimmt, und Alicia war ganz gefangen gewesen von diesem Ambiente. Alicia blieb stehen, schmiegte sich eng an Christian und küsste ihn glücklich. Als vereinzelte Pfiffe aufklangen, löste sie sich schnell von ihm und sagte lächelnd: „Es ist wirklich wunderschön hier, Chris. Diesen Besuch werde ich bestimmt nie mehr vergessen.“ „Das war der Plan“, lachte der Junge augenzwinkernd und küsste sie schnell auf die Lippen, bevor er leise sagte: „Lass uns weitergehen.“ Hand in Hand schlenderten sie verliebt über den weiten Platz südlich, in Richtung Seineufer. Als sie die Brücke, hinüber zum 7. Arrondissement, betraten, blieb Christian abrupt stehen und deutete unauffällig zu zwei jungen Menschen, auf der anderen Seite der Brücke hinüber. „Ist das da drüben nicht Lana Lang?“ Alicia folgte dem Blick des Jungen und sie erkannte ein dunkelhaariges hübsches Mädchen, das von einem hochgewachsenen, blonden Mann in den Armen gehalten und geküsst wurde. Er machte den Eindruck, als wäre er einige Jahre älter, als Lana. Beide waren so mit sich beschäftigt, dass sie nicht merkten, dass sie beobachtet wurden. „Ja, sie ist es“, erwiderte Alicia schließlich. „Komisch, ich dachte immer sie wäre in Clark Kent verliebt.“ „Da haben wir wohl falsch gedacht“, murmelte Christian nachdenklich. Komm, wir wollen die beiden wirklich nicht stören.“ Sie überquerten die Seine und schritten, in westlicher Richtung, an der Quai d´Orsay und Quai Branly entlang zum Parc Du Champ De Mars, wo sie vor dem Eiffelturm stehenblieben und hinauf blickten. Christian deutete auf die ungewöhnlich kurze Schlange vor den Aufzügen und meinte: „Wie es scheint haben wir Glück. Lass und hinauf auf den Turm fahren, okay?“ Alicia nickte lebhaft. „Klasse Idee.“ Sie stellten sich schließlich an. Keiner der beiden bemerkte dabei die sportlich schlanke Frau und ihren kräftig gebauten Begleiter von denen sie schon seit einiger Zeit unauffällig beobachtet wurden...   * * *   Die dunkelhäutige Frau, mit den schulterlangen, schwarzen Haaren, hob kurz ihre dunkle Sonnenbrille an und warf einen Blick auf ein kleines Foto. Schnell verstaute sie es wieder in ihrer Handtasche und sagte dann, mit britischem Akzent, zu ihrem kräftigen Begleiter „Er ist es, Jean-Claude. Das Mädchen ist offensichtlich seine Freundin.“ Die Augen des Mannes waren nicht zu erkennen, da er, wie seine Begleiterin, ebenfalls eine dunkel getönte Sonnenbrille trug. Er fuhr sich mit der Hand durch das dichte, braune Haar und erwiderte: „Das Mädchen brauchen wir nicht, Cat. Was schlägst du vor? Warten wir noch?“ „Definitiv. Hier können wir nicht viel ausrichten. Wir bleiben an ihnen dran und warten auf eine günstigere Gelegenheit. Und nenne mich gefälligst Caitlin, klar?“ „Ganz wie du willst.“ Der Mann sah kurz zu den beiden Teenagern und entschied dann: „Bleibe du ihnen auf den Fersen, Caitlin, ich selbst werde hier unten warten und den Anderen Bescheid geben, dass wir uns auf ihre Fährte gesetzt haben. Vielleicht wird uns das Mädchen doch nützlich sein, bei dem was wir vorhaben.“ Die Stirn der Frau kräuselte sich. „Wie meinst du das?“ „Abwarten“, erwiderte der Mann ausweichend. „Und jetzt bleibe bitte an den Beiden dran, hörst du?“ „Schon klar, ich werde sie nicht aus den Augen lassen.“ Damit trennten sie sich vorerst.   * * *   Christian und Alicia genossen diesen Tag in Paris völlig unbeschwert. Als sie in ihrem Hotelschlafzimmer schließlich, nach einem zärtlichen Liebesspiel, einschliefen, da war es bereits zwei Uhr in der Früh. Beide Teenager befanden sich im Tiefschlaf, als etwa eine Stunde später sehr merkwürdige Dinge im Foyer des Hotels ihren Lauf nahmen. Der Nachtportier blickte auf, als sich die Tür des Eingangs öffnete. Um so erstaunter war er, als er niemanden erkannte, der sie geöffnet haben konnte. Er sagte sich verwirrt, dass Eingangstüren normalerweise nicht die Angewohnheit hatten, sich selbsttätig zu öffnen um dann, wie von Geisterhand bewegt, wieder zuzufallen. Dann wägte er die Möglichkeit ab, ob ein so starker Sturm aufgekommen sein konnte, dass die Tür von ihm aufgedrückt worden sein könnte, doch auch das verwarf er wieder. Sich langsam um den Empfang herum zum Ausgang begebend blickte er sich vorsichtig nach allen Seiten um. Die Situation schien ihm ziemlich unheimlich. Im nächsten Moment spürte er etwas Kaltes an seiner Halsschlagader und er hörte noch ein leises Zischen, bevor ihm die Sinne schwanden. Dass er langsam zu Boden sank , und hinter den Empfang gezerrt wurde, spürte er schon nicht mehr. Was danach folgte hätte den Portier später sicherlich brennend interessiert. Aus dem Nichts heraus nahmen die Konturen eines sportlichen Mannes Gestalt an. Sie verdichteten sich schließlich, bis er vollkommen sichtbar geworden war. Mit elastischen Bewegungen rannte er zum Eingang des Foyers und stieß einen kurzen Pfiff aus, auf den hin zwei dunkel gewandete Gestalten sich näherten und an dem Mann vorbei schnell ins Innere des Hotels hasteten. Hinter einer breiten Säule verborgen sagte der so seltsam eingedrungene Mann, der den Portier ausgeschaltet hatte: „Wir werden jetzt ermitteln, in welchem Zimmer unser Milliardärssöhnchen und seine Freundin untergekommen sind. Zero und ich werden uns um das Mädchen kümmern und sie mit dem Wagen zum Hauptquartier bringen. Mist, dass die Anderen erst in einigen Stunden da sein werden. Du, Stray-Cat, bleibst derweilen bei diesem Grafensohn. Sollte er erwachen, bevor Zero und ich wieder da sind, dann musst du improvisieren.“ „Na toll, Laurin“, nörgelte die junge Frau, die zusammen mit Zero am Nachmittag die beiden Teenager aufgespürt hatte. „Was verstehst du unter improvisieren.“ Der Mann, den die Frau als Laurin bezeichnet hatte, lachte leise: „Verwirre ihn. Das ist doch eine deiner leichtesten Übungen, wenn ich mich nicht irre.“ „Über diesen blöden Kommentar reden wir noch“, drohte die Frau, während sie sich mit Zero bereits zum Treppenhaus begab. Den Lift wollten sie lieber nicht benutzen. Nachdem Laurin eruiert hatte, welche Suite Christian von Falkenhayn und seine Freundin bewohnten, führte er seine Begleiter hinauf in die vierte Etage. Lautlos schlichen sie über den weichen Teppich des breiten Korridors, bis sie die Tür zur richtigen Suite erreicht hatten. Aus einer Gürteltasche ihres dunklen, eng anliegenden Jumpsuits kramte die Frau ein spezielles Gerät hervor und bearbeitete einige Sekunden lang das Schloss, bis ein leises aber vernehmliches Klicken zu hören war. Vorsichtig öffnete sie dann die Tür und deutete übertrieben auf das Innere der Suite. „Warum betäuben wir den Jungen nicht auch gleich?“, fragte Stray-Cat heiser, während sie zum Schlafraum schlichen. „Weil ich heute noch mit ihm reden will und das nicht erst am Abend, wenn du verstehst, was ich meine“, zischte Laurin zurück. „Und jetzt bitte ich mir absolute Ruhe aus.“ Die Frau schnitt ihm eine Grimasse, sagte aber nichts. Auf leisen Sohlen betraten die drei dunklen Gestalten den Schlafraum. Die Frau hielt sich etwas zurück und beobachtete, wie Laurin das Mädchen, so wie zuvor den Portier im Foyer betäubte. Zum Glück hatte sich der Junge im Schlaf offensichtlich auf die andere Seite gedreht, so dass sie nicht an einander gekuschelt lagen, was ihren Plan kompliziert hätte. Die beiden Männer hoben das bewusstlose Mädchen übervorsichtig aus dem Bett, zogen sie an und Zero trug sie auf den Armen aus dem Zimmer, wobei Laurin ihm die Tür aufhielt. Er nickte Stray-Cat nochmal kurz zu und verschwand dann lautlos aus dem Raum. Klasse, und ich habe jetzt dieses Bürschchen am Hals, dachte die Frau mürrisch, und trat näher an das Bett heran. Dieses durchtrainierte und gut aussehende Bürschchen. Sie beobachtete, wie er Anstalten machte, im Schlaf nach seiner Freundin zu tasten. Verdammt, genau so hatte ich mir das gedacht, fluchte die junge Frau in Gedanken. Blitzschnell traf sie eine Entscheidung und schälte sich dann aus ihrer Kleidung. Splitternackt glitt sie katzenhaft unter die Bettdecke und nahm geschwind den Platz des Mädchens ein. Gerade noch rechtzeitig, denn bereits im nächsten Moment hatte der Junge sie schlaftrunken in seinen Arm genommen und heran gezogen. Mit einem wohligen Brummen küsste er sie auf die Lippen, bevor er bereits wieder eingeschlafen war. Dicht an den Jungen geschmiegt, den Kopf auf seiner Brust gebettet, lauschte sie dem gleichmäßigen Schlagen seines Herzens, wobei ihr nichts anderes blieb, als ihren linken Arm um ihn zu legen, damit sie keinen Krampf bekam. Erbittert dachte sie dabei: Warum gerate eigentlich immer ich in solche Situationen?   * * *   Stunde um Stunde verstrich, und die Sonne war bereits aufgegangen, doch von Laurin und Zero fehlte jede Spur. Stray-Cat erkannte erschrocken, dass sie für eine Weile eingeschlafen sein musste. Doch der Junge war noch nicht aufgewacht, und so lag sie noch immer halb über ihm. Muss ja ´ne tolle Nacht gewesen sein, dachte die Frau anzüglich, während sie den gleichmäßig tiefen Atemzügen des Jungen lauschte. Gleichzeitig hatte die Situation etwas Prickelndes, wenn auch eher unfreiwillig. Wenn diese beiden Trottel nicht bald hier aufkreuzen, dann können die etwas erleben, dachte die Frau erbost und ihre großen, grün-braunen Augen funkelten im sanft-goldenen Morgenlicht des anbrechenden Tages. Gerade so, als habe der Junge ihre Gedanken im Schlaf vernommen wurde er in diesem Moment geräuschvoll wach. Mit geschlossenen Augen ließ er dabei seine Linke, über ihren Rücken hinab, zu ihrem Po gleiten. In Stray-Cat spannte sich jeder Muskel, und unbewusst rückte sie von ihm ab. Im nächsten Augenblick wurde ihr bewusst, dass das ein Fehler gewesen war, denn beinahe umgehend öffnete der Junge seine Augen und blickte sie sprach- und reglos an. Aus einem jahrelangen Schutzreflex heraus, leitete die Frau ihre Umwandlung ein. Innerhalb weniger Herzschläge überzog ein dichtes, seidiges Fell ihren gesamten Körper. Gleichzeitig bildeten sich ihre menschlichen Ohren zurück, wofür sich auf der Oberseite ihres Kopfes zwei Katzenohren herausbildeten. Fassungslos starrte Christian die Frau an, die statt Alicia in seinem Bett lag und sich nun vor seinen Augen verwandelte. Ihr Fell war von hellbrauner Färbung und von einem dunkelbraunen Streifenmuster durchsetzt. An ihren Händen und auf ihrer Brust wies es eine helle, cremefarbene Tönung auf. Völlig verwirrt blickte er schließlich auf die Spitze ihres puscheligen Katzenschwanzes, der unter der Bettdecke hervorragte, und sich nun langsam aufrichtete. Auch ihre Augen hatten sich signifikant verändert. Noch grüner in ihrer Farbe und etwas größer, wiesen sie nun eindeutig Schlitzpupillen auf. Dennoch war dieses Wesen auch immer noch unverkennbar menschlich. Während er noch völlig fasziniert herauszufinden versuchte, was sich hier gerade vor seinen Augen abspielte, sagte das Wesen mit rauchiger Stimme: „Miau...“ Das brach den Bann. Christian wollte die Bettdecke zurückschlagen und aus dem Bett fliehen, doch mit einer geradezu unheimlichen Geschwindigkeit hatte die Katzenfrau ihre Hand auf seine Brust gelegt und drückte ihn gegen die Matratze, wobei sich ihre Handfläche seltsam weich anfühlte. Gleichzeitig gab sie dabei ein katzenhaftes Schnurren von sich. „Da geblieben“, fauchte sie leise, wobei sie ihre Hand wieder von seiner Brust nahm. Dabei kam ihr faszinierendes Katzengesicht seinem langsam immer näher. Gleichzeitig wich Christian ganz an den Rand des Bettes zurück, bis er bereits ein Stück über der Kante hing und verzweifelt versuchte das Gleichgewicht zu halten. Als sich ihre Gesichter fast berührten schnellte plötzlich die Zunge der Katzenfrau aus ihrem Mund und leckte über die Ohrmuschel des Jungen. Christian verlor bei der Berührung der rauen Zunge endgültig den Halt. Krachend landete er auf dem Boden, vor dem Bett. In demselben Moment öffnete jemand die Tür, und Christian nutzte die Gelegenheit diese seltsame Kreatur, mit einem kräftigen Schubs zur anderen Seite des Bettes hinaus zu rollen. Er sprintete hinüber zum Badezimmer, doch bevor er die Tür hinter sich verriegeln konnte, war die Katzenfrau bereits mit einem weiten Satz zu ihm ins Bad gesprungen und versuchte, den Jungen an den Oberarmen festzuhalten. Miteinander rangelnd landeten sie beide in der Duschtasse, wo Christian geistesgegenwärtig den Hahn für das kalte Wasser aufdrehte. Mit einem kläglichen Maunzen ließ die seltsame Frau von dem Jungen ab und sprang einen Meter zurück, wobei sie sich angewidert schüttelte. Im nächsten Augenblick stand ein Mann im Türrahmen und sagte, merkwürdig ruhig, schon beinahe etwas genervt, zu dem Jungen: „Hör endlich auf mit der Katze zu spielen und zieh dir etwas Gescheites an. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Erst jetzt wurde sich Christian der Unwirklichkeit dieser Situation bewusst – und dass er völlig nackt war. Errötend blickte er von der Katzenfrau zu dem Neuankömmling und sagte gereizt: „Erstaunlich, wer alles in dieser Suite wohnt. Wo ist Alicia? Was wollt ihr von mir und meiner Freundin?“ Der Mann kam in das Badezimmer und Christian schaltete innerhalb einer halben Sekunde. Telekinetisch griff er zu und drückte die beiden Eindringlinge rechts und links der Tür gegen die Wand, wo sie sich nicht rühren konnten. Dann wollte er sich selbst zur Tür begeben um das Bad zu verlassen, die Beiden dort drinnen einzusperren, und die Polizei zu verständigen doch seine Bewegungen wurden langsam und schwerfällig. Schließlich kam er keinen Millimeter mehr vorwärts, kaum dass er einen halben Schritt gemacht hatte. Dafür hörte er eine leise Männerstimme dicht an seinem Ohr und er spürte die Schneide einer scharfen Klinge an seinem Hals. Aber er hatte doch niemanden sonst hereinkommen gesehen. „Gib meine Freunde frei“, sagte die Stimme ruhig. Christian realisierte, dass man ihm nicht ernsthaft nach dem Leben trachtete, denn der Fremde hätte in diesem Fall längst seinen Auftrag erledigt. Aber worum ging es dann? Und was hatte Alicia damit zu tun? „In Ordnung, aber ich will wissen, was mit Alicia passiert ist. Geht es ihr gut?“ Wieder erklang die Stimme hinter ihm. „Du musst dir keine Sorgen machen, sie ist wohlauf. Aber wenn du sie wiedersehen willst, dann solltest du ab jetzt ganz genau unseren Anweisungen folgen.“ Christian überlegte fieberhaft. Dann gab er die Katzenfrau und den zuerst aufgetauchten Mann frei. Gleichzeitig nahm der dritte Fremde seine Klinge von seinem Hals. Im nächsten Moment wurde er, aus dem Nichts heraus, für den Jungen sichtbar. Die Züge des unbekannten Mannes wirkten nicht unsympathisch. Aus intelligenten, eisgrauen Augen blickte er Christian an und erklärte schnell: „Das soll keine Entführung werden, wie du vielleicht annimmst. Zugegeben, unsere Methoden, mit dir Kontakt aufzunehmen sind etwas unorthodox, aber es muss sein, um sicherzustellen, dass du uns auch anhören wirst, Christian von Falkenhayn.“ „Wir?“, echote der Junge und folgte dem Mann langsam in den Wohnbereich. Dort angekommen stellte er fest, dass sich die dunkelhäutige Frau mittlerweile wieder angezogen hatte. Ihren anzüglichen Blick bemerkend suchte er seine eigenen Sachen zusammen und begann damit sich selbst anzukleiden. Dabei musste er daran denken, dass diese Menschen von seinen Fähigkeiten scheinbar nicht sonderlich überrascht waren. Und woher kannten sie seinen Namen? Währenddessen setzte sich der zuletzt aufgetauchte Mann in einen der Sessel: „Ja, wir. Damit meine ich mich, meine beiden Freunde hier, und einige Andere, die du im Laufe des heutigen Tages noch kennenlernen wirst. Es handelt sich um eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit, und sie wird nicht nur dein zukünftiges Leben beeinflussen, sondern gleichermaßen auch das von mir und meinen Freunden.“ Der Grauäugige deutete dabei auf seine beiden Begleiter. „Stray-Cat und Zero hast du ja bereits kennengelernt. Er kann die Bewegungsabläufe jeder Person verlangsamen oder anhalten. Was sie kann das hast du mit eigenen Augen gesehen. Und ich selbst habe die Fähigkeit Lichtstrahlen um mich herum zu lenken, weshalb ich gemeinhin nur Laurin genannt werde.“ „Leider ist nie ein Rosengarten zur Hand, wenn man ihn wirklich mal braucht“, erwiderte Christian ironisch. Dann fragte er: „Warum macht ihr das so kompliziert? Ihr hättet doch auch anders zu mir Kontakt aufnehmen können.“ „Wir kennen dich nicht, und deshalb haben wir uns abgesichert“, warf der Mann ein, den Laurin als Zero bezeichnet hatte. „Wir wollen verhindern, dass du Fisimatenten machst“, ergänzte die Frau ernst und warf ihm eine leichte Jacke zu. Alle anderen Sachen von ihm und Alicia hatten die beiden eilig zusammengepackt. „Überzeuge dich, dass wir nichts vergessen haben. Danach werden wir ganz brav diese Suite verlassen und du wirst unten auschecken.“ Christian, der mittlerweile der festen Überzeugung war, dass ihm von den beiden seltsamen Männern und der Frau keine unmittelbare Gefahr drohte, nickte ergeben. „In Ordnung, ich werde friedlich mit euch gehen.“ „Dann ist ja soweit alles klar“, meinte Laurin feststellend und erhob sich mit dem Jungen. Unaufgefordert nahmen seine beiden Begleiter das Gepäck der Teenager und sie verließen gemeinsam die Suite, als wären sie alte Freunde.   * * *   Knapp zwei Stunden später fuhren sie in einem recht alten Renault über eine malerische Höhenstraße des Seinetals. Längst hatten sie die Stadtgrenzen von Paris hinter sich gelassen. Wie Stray-Cat, die im Font des Wagens neben Christian saß, ihm versichert hatte, lag ihr Ziel etwa 66 Kilometer nord-westlich von der Pariser Stadtgrenze entfernt, bei einem kleinen Ort namens La Roche-Guyon. Unterwegs hatte sie ihn leise, aber nichts desto weniger eindringlich, darum ersucht, die morgendliche Begebenheit zwischen ihnen für sich zu behalten, was Christians eigenen Wünschen entgegen kam. Er war nicht sehr erpicht darauf, diese peinliche Situation Alicia später erklären zu müssen. Der Ort, so hatte Zero ihm zwischenzeitlich erklärt, trug die Auszeichnung als eines der Schönsten Dörfer Frankreichs und lag am rechten Ufer einer Seineschleife unterhalb der Felsen des Plateau du Vexin. Kaum Fünfhundert Einwohner lebten zur Zeit in diesem Dorf, in dem sich sehr viele Künstler angesiedelt hatten. Aus den genauen Angaben des Mannes entnahm Christian, dass zumindest er aus dieser Gegend stammen musste. Christian, der vor Jahren bereits einmal das Dorf besucht hatte, und dessen Geschichtskenntnisse ziemlich gut waren, wusste natürlich, dass die Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs im Schloss des Ortes eine Kommandozentrale eingerichtet hatte. Von dort aus hatte Feldmarschall Erwin Rommel zeitweise die Maßnahmen gegen die alliierte Invasion geleitet. Oberhalb des Schlosses erhob sich aus den Mauerresten der alten Burg die Ruine des Bergfrieds. Majestätisch thronte die Ruine auf der Spitze des Hügels, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Seineschleife hatte. Kurze Zeit später lichteten sich die Bäume um sie herum und gaben den Blick auf den Bergfried und das darunter liegende Dorf frei. Von dieser Höhenstraße aus, deren Niveau noch etwas höher lag, als die Spitze der Bergfriedruine, wirkte der Anblick atemberaubend. Laurin lenkte den Wagen hinunter zum Dorf und in der Nähe des Marktplatzes stellte er den Wagen schließlich ab. Dabei bemerkte er überflüssigerweise: „Wir sind da.“ „Ich hoffe, dass ich später Gelegenheit haben werde, Alicia diesen Ort zeigen zu können“, erklärte Christian, während sie ausstiegen. „Nun bleib mal locker“, erwiderte Stray-Cat leicht genervt. „Es geht ihr gut, okay?“ Christian hob beschwichtigend seine Hände etwas an. Gemeinsam überquerten sie den Platz und bogen dann in eine Gasse ein, die zur Kirche des Dorfes hinauf führte. Von dort aus wandten sie sich zu einem gegenüber liegenden Haus mit geschlossenen Fensterläden, das einen wenig einladenden Eindruck auf den Jungen machte. Was ihm an der verwitterten Fassade auffiel war eine etwa ein Meter hohe und halb so breite Einbuchtung, in der sich eine Marienfigur erhob. Laurin war es, der die massive Holztür mit einem klobigen, alten Schlüssel entriegelte. Doch bereits zwei Meter hinter der Tür erwartete Christian die erste Überraschung, in Form eines hoch modernen Handabdruckscanners, der sich vor einer massiv erscheinenden Stahltür befand. Während der Mann seine rechte Hand auf die Scannerfläche legte, meinte er zu Christian gewandt: „Wer glaubt, dies wäre die einzige Absicherung gegen ein unbefugtes Betreten der wird schnell eine riesengroße und sehr unangenehme Überraschung erleben.“ Bei dieser Andeutung beließ er es. Nach einigen Sekunden fuhr die Metalltür lautlos zur Seite, und erst jetzt erkannte der Junge, dass sie mindestens zehn Zentimeter dick war. Hier kam keiner ohne größere Vorkehrungen getroffen zu haben gegen den Willen derer, die dieses Haus eingerichtet hatten, hinein, soviel stand fest. „Ich nehme an, dass die Mauern des Hauses nur nach außen hin so verwittert erscheinen“, sagte Christian, während sie das Stahlschott hinter sich ließen und in einen holzgetäfelten Korridor eintraten. „Du vermutest ganz richtig“, erklärte Laurin schmunzelnd. „In die Natursteinmauern haben wir eine Stahlpanzerung eingefügt, und die Fensterscheiben bestehen aus Aramid verstärktem Panzerglas, das selbst Panzerfaustgeschossen widerstehen kann.“ Christian verwünschte die Tatsache, dass er nicht halb so viel von Chemie verstand, wie seine Freundin. Alicia hätte ihm vermutlich erklären können, was genau Aramide waren. So nickte er nur beeindruckt und fragte: „Wofür der ganze Aufstand?“ Laurin, der voran schritt, öffnete eine große, verglaste Doppeltür und deutete in den angrenzenden großen Raum. Er wartete, bis Christian ihn erreicht hatte und mit immer größer werdenden Augen in den mindestens zehn mal zehn Meter großen Raum hinein blickte, bevor er schmunzelnd erklärte: „Dafür! Willkommen bei der JUSTICE SOCIETY of EUROPE...“   * * *   Langsam schritt Christian von Falkenhayn in den Raum, oder besser – Saal hinein, der im Zentrum von einem gewaltigen, runden Marmortisch beherrscht wurde. Die polierte, bläulich-weiße Oberfläche wurde von zwei goldenen Ringen umlaufen, in denen die Worte JUSTICE SOCIETY OF EUROPE zu lesen waren. Im Zentrum des inneren Ringes gab es ein blaues Schildwappen auf dem zwölf goldene Sterne einen Kreis bildeten. In diesem Sternenkreis erkannte Christian einen stilisierten Stürzenden Adler. Darunter in großen Lettern, die Buchstaben JSE. Es dauerte einen langen Moment, bis sich der Blick des Jungen, von dem mindestens zweieinhalb Meter durchmessenden Tisch trennte und er entlang der holzgetäfelten Wände eine Reihe von Polsterstühlen erkannte. Das Holz der, mit dunkelblauem Stoff bezogenen, Stühle fügte sich farblich zum dunkelbraunen Ton der Wand- und Deckentäfelung ein. Von der hohen Decke des Raumes hing ein gewaltiger Kronleuchter über dem Zentrum des Tisches. Laurin öffnete eines der Wandpaneele hinter dem eine kleine elektronische Steueranlage erkennbar wurde. Nachdem er auf einen der Knöpfe gedrückt hatte, führen draußen die Fensterläden auf und das hereinfallende Licht enthüllte nun auch weitere Details des Raumes. An den Wänden hingen verschiedene Gemälde, von denen eins ganz besonders die Aufmerksamkeit des Jungen erregte. Es hing an der Stirnseite des Raumes und zeigte zwölf Personen, mehr oder weniger maskiert und verkleidet, an einem Tisch sitzend, wie er in der Mitte des Raumes stand. Als Christian fragend zu Laurin blickte, nickte dieser verstehend und erklärte: „Das sind die ursprünglichen Gründungsmitglieder der JSE, Christian. Einige ihrer Nachfahren und neu rekrutierte Mitglieder, mit besonderen Fähigkeiten, führten ihr Vermächtnis fort.“ „Das da wäre?“ Es war Stray-Cat, die darauf antwortete: „Gerechtigkeit!“ Zero hakte sofort ein: „Die JSE wurde nach dem Koreakrieg gegründet. Zusammen mit der JSA – der JUSTICE SOCIETY of AMERICA. Es war eine Zeit, als sich die Welt, während des kalten Krieges mehrmals am Rande eines thermonuklearen Krieges befand, und die Hoffnung der Menschen auf Frieden und Gerechtigkeit schwand. Deshalb haben sich in dieser Organisation Menschen aus ganz Europa, mit besonderen Fähigkeiten, zusammengefunden im Kampf gegen das Unrecht. Dort wo die offiziellen Stellen versagen schreiten wir ein. Beide Organisationen kämpfen gegen Rassismus, Gewalt und Unterdrückung. Um nicht ein falsches Bild aufkommen zu lassen, den Kampf gegen das Organisierte Verbrechen überlassen wir weiterhin der Polizei, so wie auch alle anderen Polizeiaufgaben in deren Tätigkeitsbereich fallen und nicht in den unseren. Wir greifen dort nur dann ein, wenn diese versagt, oder aber Unschuldige hinter Gitter bringen will. Natürlich können wir nicht überall sein. Wir greifen europaweit dort ein, wo wir gerade am dringendsten gebraucht werden – manchmal alle gemeinsam, manchmal in kleinen Teams, oder alleine. Vielleicht magst du dies als den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein ansehen, doch wirksamer, als überall zugleich zu helfen, kann es sein, denen Hoffnung zu geben, die den Glauben an das System und die Gerechtigkeit verloren haben. Das verbreiten von Hoffnung ist unsere eigentliche Aufgabe und Stärke, mein Junge.“ Jetzt, da Zero zum zweiten Mal auf besondere Fähigkeiten hingewiesen hatte, dämmerte ihm langsam, warum er hier war. Zögerlich fragte er: „Ihr habt vor, mich für die JSE zu rekrutieren?“ „Nicht unmittelbar“, wiegelte Laurin schnell ab. „Wir sind uns bewusst, dass du erst noch heranreifen musst, und du sollst zunächst deine Ausbildung abschließen können. Später jedoch, so hoffen wir, wirst du dich uns hoffentlich anschließen. Nicht weil du glaubst unter Druck zu handeln, sondern aus freien Stücken.“ „Durch einen unserer Informanten in Amerika, haben wir von deiner besonderen Fähigkeit erfahren“, erklärte Zero weiter. „Er ist dir im TALON nicht aufgefallen, aber er hat deine kleine Showeinlage mit dem Zuckerwürfel sehr interessiert verfolgt. Du könntest damit zu einem wertvollen Mitglied dieser Organisation werden.“ Christian musste dies alles zunächst einmal verdauen. Dann schoss ihm eine Frage durch den Sinn und er fragte: „Was passiert, wenn ich nicht will?“ „Gar nichts“, erwiderte Stray-Cat und begab sich mit geschmeidigen Bewegungen an seine Seite. Ihren linken Arm um seine Schulter legend fuhr sie heiser fort: „Du müsstest dann lediglich all das hier vergessen und Stillschweigen bewahren. Denn falls du das nicht tun würdest, dann...“ „Cat!“, rief ihr Zero mahnend zu. „Verschrecke unseren Gast nicht.“ Die Frau ließ ihn los, während sich im Laurin, mit ernster Miene näherte. „Wir zwingen Niemanden uns beizutreten, Christian. Das hätte auch wenig Zweck, denn das wichtigste ist uns, unter einander loyal zu sein. Und zwar aus Überzeugung. Du allein entscheidest darüber. Doch du solltest gut darüber nachdenken, auch darüber, ob es ein Zufall ist, dass du anders bist, als andere Menschen. Du könntest damit sehr viel Gutes tun.“ Christian erkannte im Blick des Mannes kein Falsch. In diesem Moment erschien er dem Jungen geradezu charismatisch, und er erahnte, dass dieser Mann der Anführer der JSE war, und auch warum. Mühsam dem Blick des Fremden standhaltend sagte er: „Ich möchte das erst entscheiden, wenn meine Freundin wieder bei mir ist. Und ich mache zur Bedingung, dass ich zumindest ihr davon erzählen darf.“ Der Mann zögerte und wechselte einige Blicke mit seinen beiden Begleitern. Dann nickte er und antwortete: „Also gut, Christian. Aber mache Alicia klar, dass sie über all dies schweigen muss. Du bürgst uns dafür – in deinem eigenen Interesse, denn wir kennen dein Geheimnis, wie du weißt.“ Auch ohne diese angedeutete Drohung spürte der Junge den Ernst der Lage und mit entschlossener Miene erwiderte er: „Das werde ich.“ „Dann bringen wir dich nun zu ihr.“   * * *   Christian hatte bis zum frühen Abend in dem gemütlich eingerichteten Raum verbracht, in dem seine betäubte Freundin auf einem breiten Bett lag. Erleichtert atmete er auf, als sie die ersten Anzeichen von sich gab, zu erwachen. Als Alicia die Augen aufschlug blickte sie Christian lächelnd an. Dann entdeckte sie, die veränderte Umgebung und fragte verwirrt: „Wo sind wir, Chris?“ „Wir sind bei Freunden“, antwortete der Junge beruhigend. Danach erklärte er Alicia, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte. Nachdem er endete, blickte das Mädchen ihn zunächst etwas ungläubig an. Schließlich fragte sie: „Was hast du nun vor, Chris? Willst du dich dieser JSE etwa wirklich anschließen?“ „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Alicia. Aktuell würde der Beitritt ohnehin erst nach meinem Studium. Aber der Gedanke an das, was ich mit meinen besonderen Fähigkeiten alles bewirken könnte, hat etwas Verlockendes.“ Alicia musterte ihren Freund eindringlich bevor sie erwiderte: „Das klingt ja beinahe so, als hättest du dich bereits entschieden?“ „Alles was ich bisher entschieden habe ist, dass ich diese Entscheidung nicht ohne dich treffen werde, Honey. Denn du bist mir wichtiger, als einer solchen Organisation beizutreten, und ich werde nicht zulassen, dass sich etwas zwischen uns stellt. Nicht die JSE und auch sonst nichts auf dieser Welt, hörst du?“ Das Mädchen küsste Christian zur Antwort sanft auf den Mund. „Ich liebe dich, Chris. Egal wie du in dieser Angelegenheit entscheidest – ich stehe an deiner Seite. Du hast mich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt, und wenn andere Menschen ebenfalls vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt werden können, durch das, was die JSE tut, dann unterstütze ich dich selbstverständlich wo ich nur kann. Vielleicht ist genau das deine Bestimmung, darum sollst du frei darüber entscheiden können.“ Christian drückte das Mädchen fest an sich. „Ich habe es zwar bereits gesagt, aber ich sage es gerne noch einmal: Du bist wirklich das tollste Mädchen der Welt, Alicia Sterling.“ „Erzähl mir ruhig mehr davon“, lachte das Mädchen und küsste den Jungen lang und ausdauernd. Dann erklärte sie verschmitzt: „Aber erst später. Jetzt würde ich gerne aufstehen und etwas essen, denn ich habe einen Mordskohldampf.“ Kapitel 7: Hoffnung ------------------- Einige Tage später spazierten Christian und Alicia, Hand in Hand durch das Dorf. Noch an demselben Abend, als Alicia wieder zu sich gekommen war, waren auch die restlichen Mitglieder der JSE in La Roche-Guyon eingetroffen. So hatten sie, nach Laurin, Zero und Stray-Cat auch Viking, Nitro, White-Wolf und Phantom-Blue, drei Männer und eine weitere Frau, kennengelernt. Sie hatten lange und eindringlich mit den beiden Teenagern gesprochen, und erleichtert hatten sie zur Kenntnis genommen, dass Christian bereit dazu war, nach seinem Studium, ihrer Organisation beizutreten. Christian und Alicia hatten bei dieser Gelegenheit auch erfahren, dass es White-Wolf gewesen war, der sie bereits in Smallville beschattet hatte. Von den besonderen Fähigkeiten der Neuankömmlinge hatten beide Teenager nur sehr wenig erfahren. Dafür hatte Christian seinen vorläufigen Decknamen bekommen: Shifter. Es war Alicia gewesen, die ihn vorgeschlagen hatte. Alles andere als glücklich hatte Christian ausgesehen, als Phantom-Blue, eine hochgewachsene, blonde Frau aus Weißrussland, vorgeschlagen hatte, dass Alicia vielleicht ebenfalls nach dem Studium der JSE beitreten solle, da man eine fähige Chemikerin immer gebrauchen könne. Jedoch hatte sich Alicia nicht zu einer Zusage durchringen können und darum gebeten, dies auf die Zeit nach ihrer Ausbildung verschieben zu dürfen. Worüber Christian nicht mit Alicia gesprochen hatte war ein Gespräch unter vier Augen, mit Laurin, gewesen, das sie gestern geführt hatten. Laurin hatte durchblicken lassen, dass die JSE um das Geheimnis von Clark Kent wusste. In dem Gespräch hatte Laurin Christian eindringlich davor gewarnt, Clark mit ins Vertrauen zu ziehen. Er hatte durchblicken lassen, die JSE befürchte, dass Clark Kent, da er kein Mensch war, irgendwann eigene Ziele verfolgen könne, die den Zielen der JSA und der JSE widersprechen könnten. Laurin hatte es zum Ende des Gespräches hin klar auf den Punkt gebracht und gemeint: Sollte sich Clark Kent irgendwann zum Nachteil der Menschheit entwickeln, dann wäre es fatal, wenn er seine potenziellen Widersacher zu gut kennen würde. Das war recht deutlich gewesen, und auch sein wütender Widerspruch hatte Laurin nicht umstimmen können. So hatte Christian dem Mann widerstrebend versprochen, auch Clark gegenüber Stillschweigen zu wahren. Zum Schluss hatte Laurin den Jungen darum gebeten, ein wachsames Auge auf Clark Kent zu haben. Als sein Freund und dessen Gewissen. Mit sichtlichem Zögern hatte Christian Laurin auch dieses Versprechen gegeben, denn er hatte durchaus herausgehört, dass er Clark gegenüber – bis zu einem gewissen Grad - misstrauisch sein sollte. Dieses Gespräch versuchte der Junge, wenigstens für den Rest der Ferien, erst einmal zu verdrängen, und positiveren Dingen Platz zu machen. Doch ein Anruf, den er am Nachmittag mit seinem Onkel und seiner Tante in Smallville getätigt hatte, brachte momentan nur noch mehr Dunkel mit sich. Christian atmete tief durch, bevor er sich dazu durchrang Alicia davon zu erzählen. Als sie den Uferweg am Seineufer erreichten, begann er zu berichten, was seine Verwandten ihm von den aktuellen Ereignissen in Smallville berichtet hatten. „Alicia, als ich vorhin mit meinem Onkel und meiner Tante sprach, da berichteten sie mir davon, dass Clark Kent vermisst wird. Er verschwand angeblich mit einer Cousine – und das spurlos. Etwa zum selben Zeitpunkt fiel sein Vater ins Koma. Er liegt im SMALLVILLE-MEDICAL-CENTER und anscheinend weiß niemand wirklich was ihm fehlt.“ Das Mädchen blickte Christian erschrocken an. „Mein Gott, Chris...“ „Da ist noch mehr“, fuhr der Blonde schnell fort und blickte über die Flussschleife zum anderen Ufer der Seine hinüber. „Chloe und ihr Vater fielen einem Attentat zum Opfer. Ich habe nicht genau verstanden, worum es da wirklich geht, aber so wie es den Anschein hat, sollte sie demnächst vor Gericht gegen Lionel Luthor aussagen. Beinahe gleichzeitig überlebte sein Sohn Lex nur knapp einem Giftanschlag. Ich kapier das alles nicht Alicia. Was, zur Hölle ist in Smallville nur abgegangen, während wir weg waren.“ Alicia, die ihrem Freund mit immer größer werdenden Augen zugehört hatte, erwiderte endlich tonlos: „Ich kann mir das kaum vorstellen, Chris. Momentan bin ich nur froh, dass du bei mir bist, und dass es uns beiden gut geht.“ „Ja“, stimmte Christian bedrückt zu. „Im letzten halben Jahr hat sich mein gesamtes Leben so grundlegend verändert, dass ich mich frage, wann es sich endlich wieder in ruhigeren Bahnen bewegen wird. Was da in der letzten Zeit alles auf mich eingestürmt ist reicht für ein halbes Leben. So kommt es mir zumindest manchmal vor in der letzten Zeit.“ Alicia legte ihren Arm um seien Hüfte und zog ihn zu sich heran. „Ich stehe an deiner Seite und ich werde dir helfen damit klarzukommen.“ Christian blieb stehen und legte seine Arme um Alicia. In ihre wundervollen Augen blickend fragte Christian rau: „Glaubst du an das Schicksal, Alicia? Ich für meinen Teil glaube sehr stark daran, seit wir uns begegnet sind. Es mag verrückt klingen, aber manchmal glaube ich, dass es unausweichlich war, dir zu begegnen.“ Das Mädchen erwiderte seinen ernsten Blick und schluckte. „Mein Vater sagt immer, dass jeder Mensch seines eigenen Schicksals Schmied sei. Und auch ich glaube das. Aber in manchen Augenblicken, wenn ich ganz für mich allein bin, dann zweifele ich, und ich frage mich dann, ob meine Mom – damit meine ich meine leibliche Mom – dich mir nicht doch geschickt haben könnte, damit du für mich da bist, und um auf mich aufzupassen, so wie ich es mir mit dreizehn Jahren, an ihrem Grab, gewünscht habe.“ Christian sah, wie Alicias Augen feucht wurden, und auch er musste einige Male schlucken, bevor er sagen konnte: „Dieser Gedanke gefällt mir, Alicia. Vielleicht hatte meine Mom dabei ebenfalls ihre Hände im Spiel.“ Alicia schmiegte sich eng an ihren Freund, und als der Junge das leichte Beben ihrer Schultern spürte, da hielt er sie einfach nur wortlos in seinen Armen und streichelte zärtlich über ihr Haar. Es dauerte eine ganze Weile, bis Alicia mit erstickter Stimme, leise fragte: „Glaubst du, dass sich unsere Moms dort oben gut verstehen, Chris.“ Sich zusammenreißend antwortete Christian: „Ganz sicher, und ich glaube fest daran, dass sie sich auch im Leben sehr gut verstanden hätten.“ Alicia nickte schwach. „Ja, ich auch, Chris.“ Für eine geraume Weile standen sie so da und hielten sich fest umarmt. Dann ergriff Christian wieder das Wort und sagte: „Als man mir erklärte, wogegen die JSE ankämpft, da wurde an erster Stelle Rassismus genannt. In der Tat glaube ich, dass dies der wichtigste Punkt gewesen ist. Ich hoffe, den Tag noch selbst erleben zu dürfen, an dem sich nirgendwo auf der Erde mehr jemand darum scheren wird, woher ein Mensch kommt, welche Hautfarbe er hat, und welchem Glaubensbekenntnis er folgt. Wenn wir Menschen das schaffen, dann können wir auch jedes andere Problem lösen. Und vielleicht ist irgendwann selbst der Planet, auf dem Jemand geboren worden ist, egal.“ Alicia nahm ihren Kopf von Christians Schulter und blickte ihm etwas verwundert in die Augen. „Redest du gerade von kleinen, grünen Marsmännchen?“ Christian grinste schief. „Nein, ich glaube nicht, dass die klein und grün sind. Aber ich bin sicher, dass es in den Weiten des Kosmos noch weitere intelligente Lebensformen gibt, Alicia. Vielleicht sind sie uns ja ähnlicher, als wir denken. Jedenfalls hoffe ich, dass ich den Tag, an dem wir Menschen dieses Übel überwinden, noch erleben darf.“ Alicia lächelte Christian an. „Das hoffe ich auch. Warum kann es nicht heute schon zwischen allen Menschen so sein, wie zwischen uns beiden?“ Sie küssten sich erneut und sehr lange, bevor sich Christian zögerlich von ihr löste und bestimmt meinte: „Vielleicht ist der Kampf für dieses Ziel genau der Grund, irgendwann der JSE beizutreten, um diesem Ziel ein Stück näher zu kommen. Es wäre etwas, für das es sich wirklich lohnt zu kämpfen, findest du nicht?“ Mit ihren Lippen ganz sacht die seinen berührend fragte Alicia beinahe lautlos: „Bist du etwa gerade dabei mich für die JUSTICE SOCIETY of EUROPE zu rekrutieren, Chris?“ Einen Kuss auf seine Lippen hauchend flüsterte sie weiter: „Vielleicht sollte ich dich das wirklich nicht allein tun lassen, aber darüber werden wir beide erst dann wieder reden, wenn es soweit ist, klar?“ Ein erneuter, sehr sanfter Kuss folgte. „Also kein Wort mehr davon, oder von irgendwelchen Problemen, denn wir beide haben noch eine ganze Woche Ferien, und ich möchte jede Sekunde davon mit dir genießen. Alles was uns bedrücken könnte hat Zeit, bis wir wieder Zuhause sind.“ Christian erwiderte die immer fordernder werdenden, kurzen Küsse seiner Freundin, und antwortete schließlich, leise lachend: „Alles was du möchtest, Honey. Diese verbleibende Ferienwoche soll die beste werden, die du je erlebt hast.“ „Ich werde dich beim Wort nehmen“, lächelte Alicia mit verführerischem Augenaufschlag. Dann nahm sie Christian liebevoll an die Hand und zog ihn langsam mit sich, weiter entlang der Seine, sehr glücklich darüber, dass es an diesem malerischen Flecken der Erde, in diesem Moment, nur ihn und sie gab. TO BE CONTINUED... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)