Smallville-Expanded - 03 von ulimann644 (Vacation) ================================================================================ Kapitel 6: Geiselnahme ---------------------- Alicia und Christian verbrachten drei wundervolle Wochen in Deutschland, bevor sie ihre Sachen packten und der Jet von Gernot von Falkenhayn sie nach Paris brachte. Als sie beide auf dem Place de la Concorde, dem Platz der Eintracht, dem größten in Paris und dem zweitgrößten in Frankreich, standen, da fühlte sich Alicia wie in einem Traum und sie bat Christian, sie in den Arm zu zwicken. Der Junge lachte jedoch nur vergnügt und blickte sich um. Um die beiden Teenager herum brummte das Leben. Im 8. Arrondissement, im Zentrum der Stadt liegend, zweigte von hier die Avenue des Champs-Élysées bis zum Arc de Triomphe ab, die auch zum Regierungspalast führte. Markant auf dem Platz war zweifellos der 22 Meter hohe Obelisk von Luxor, und die, den Obelisken flankierende, Brunnenanlage Fontaine de Mer. Ebenfalls auffällig waren die acht steinerner Frauenstatuen, welche die Allegorien der acht französischen Städte: Bordeaux, Lille, Brest, Rouen, Lyon, Marseille, Nantes und Straßburg symbolisierten. An der Nordseite des Platzes befand sich im westlichen der beiderseits der Rue Royale mit gleichen Fassaden versehenen Bauwerke, das Hôtel de Crillon. Die identische Front der Bauwerke wurden von Louis François Trouard in Anlehnung an die Fassaden des Louvre entworfen. Es zeigte je zwei Tempelhallen, die durch eine lange, zwölfteilige Säulenreihe zum Platz hin verbunden waren. Zwischen beiden Gebäuden erkannte man im Hintergrund die acht Säulen der Kirche St. Madeleine. Zuvor waren sie in einem kleinen Bistro, ganz in der Nähe gewesen, das Christian von seinen früheren Besuchen kannte. Danach waren sie, an diesem sonnigen Nachmittag durch die Straßen von Paris gestreift und schließlich hierher gekommen. Christian erklärte Alicia, dass dieser Platz geschichtsträchtig war, denn hier hatten Marie Antoinette, ihr Gatte, König Louis XVI und Maximilian Robespierre, der beide schuldig sprach, ihren Kopf verloren. Zu dieser Zeit hieß der Platz noch: Revolutionsplatz. Am Abend zuvor hatten sie im exklusiven Hotel San Regis, keine zweihundert Meter vom Regierungspalast entfernt, eingecheckt. Dieses bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gebaute und seitdem ständig erweiterte und modernisierte Hotel, war ganz auf das Ambiente des ausgehenden 19. Jahrhunderts getrimmt, und Alicia war ganz gefangen gewesen von diesem Ambiente. Alicia blieb stehen, schmiegte sich eng an Christian und küsste ihn glücklich. Als vereinzelte Pfiffe aufklangen, löste sie sich schnell von ihm und sagte lächelnd: „Es ist wirklich wunderschön hier, Chris. Diesen Besuch werde ich bestimmt nie mehr vergessen.“ „Das war der Plan“, lachte der Junge augenzwinkernd und küsste sie schnell auf die Lippen, bevor er leise sagte: „Lass uns weitergehen.“ Hand in Hand schlenderten sie verliebt über den weiten Platz südlich, in Richtung Seineufer. Als sie die Brücke, hinüber zum 7. Arrondissement, betraten, blieb Christian abrupt stehen und deutete unauffällig zu zwei jungen Menschen, auf der anderen Seite der Brücke hinüber. „Ist das da drüben nicht Lana Lang?“ Alicia folgte dem Blick des Jungen und sie erkannte ein dunkelhaariges hübsches Mädchen, das von einem hochgewachsenen, blonden Mann in den Armen gehalten und geküsst wurde. Er machte den Eindruck, als wäre er einige Jahre älter, als Lana. Beide waren so mit sich beschäftigt, dass sie nicht merkten, dass sie beobachtet wurden. „Ja, sie ist es“, erwiderte Alicia schließlich. „Komisch, ich dachte immer sie wäre in Clark Kent verliebt.“ „Da haben wir wohl falsch gedacht“, murmelte Christian nachdenklich. Komm, wir wollen die beiden wirklich nicht stören.“ Sie überquerten die Seine und schritten, in westlicher Richtung, an der Quai d´Orsay und Quai Branly entlang zum Parc Du Champ De Mars, wo sie vor dem Eiffelturm stehenblieben und hinauf blickten. Christian deutete auf die ungewöhnlich kurze Schlange vor den Aufzügen und meinte: „Wie es scheint haben wir Glück. Lass und hinauf auf den Turm fahren, okay?“ Alicia nickte lebhaft. „Klasse Idee.“ Sie stellten sich schließlich an. Keiner der beiden bemerkte dabei die sportlich schlanke Frau und ihren kräftig gebauten Begleiter von denen sie schon seit einiger Zeit unauffällig beobachtet wurden...   * * *   Die dunkelhäutige Frau, mit den schulterlangen, schwarzen Haaren, hob kurz ihre dunkle Sonnenbrille an und warf einen Blick auf ein kleines Foto. Schnell verstaute sie es wieder in ihrer Handtasche und sagte dann, mit britischem Akzent, zu ihrem kräftigen Begleiter „Er ist es, Jean-Claude. Das Mädchen ist offensichtlich seine Freundin.“ Die Augen des Mannes waren nicht zu erkennen, da er, wie seine Begleiterin, ebenfalls eine dunkel getönte Sonnenbrille trug. Er fuhr sich mit der Hand durch das dichte, braune Haar und erwiderte: „Das Mädchen brauchen wir nicht, Cat. Was schlägst du vor? Warten wir noch?“ „Definitiv. Hier können wir nicht viel ausrichten. Wir bleiben an ihnen dran und warten auf eine günstigere Gelegenheit. Und nenne mich gefälligst Caitlin, klar?“ „Ganz wie du willst.“ Der Mann sah kurz zu den beiden Teenagern und entschied dann: „Bleibe du ihnen auf den Fersen, Caitlin, ich selbst werde hier unten warten und den Anderen Bescheid geben, dass wir uns auf ihre Fährte gesetzt haben. Vielleicht wird uns das Mädchen doch nützlich sein, bei dem was wir vorhaben.“ Die Stirn der Frau kräuselte sich. „Wie meinst du das?“ „Abwarten“, erwiderte der Mann ausweichend. „Und jetzt bleibe bitte an den Beiden dran, hörst du?“ „Schon klar, ich werde sie nicht aus den Augen lassen.“ Damit trennten sie sich vorerst.   * * *   Christian und Alicia genossen diesen Tag in Paris völlig unbeschwert. Als sie in ihrem Hotelschlafzimmer schließlich, nach einem zärtlichen Liebesspiel, einschliefen, da war es bereits zwei Uhr in der Früh. Beide Teenager befanden sich im Tiefschlaf, als etwa eine Stunde später sehr merkwürdige Dinge im Foyer des Hotels ihren Lauf nahmen. Der Nachtportier blickte auf, als sich die Tür des Eingangs öffnete. Um so erstaunter war er, als er niemanden erkannte, der sie geöffnet haben konnte. Er sagte sich verwirrt, dass Eingangstüren normalerweise nicht die Angewohnheit hatten, sich selbsttätig zu öffnen um dann, wie von Geisterhand bewegt, wieder zuzufallen. Dann wägte er die Möglichkeit ab, ob ein so starker Sturm aufgekommen sein konnte, dass die Tür von ihm aufgedrückt worden sein könnte, doch auch das verwarf er wieder. Sich langsam um den Empfang herum zum Ausgang begebend blickte er sich vorsichtig nach allen Seiten um. Die Situation schien ihm ziemlich unheimlich. Im nächsten Moment spürte er etwas Kaltes an seiner Halsschlagader und er hörte noch ein leises Zischen, bevor ihm die Sinne schwanden. Dass er langsam zu Boden sank , und hinter den Empfang gezerrt wurde, spürte er schon nicht mehr. Was danach folgte hätte den Portier später sicherlich brennend interessiert. Aus dem Nichts heraus nahmen die Konturen eines sportlichen Mannes Gestalt an. Sie verdichteten sich schließlich, bis er vollkommen sichtbar geworden war. Mit elastischen Bewegungen rannte er zum Eingang des Foyers und stieß einen kurzen Pfiff aus, auf den hin zwei dunkel gewandete Gestalten sich näherten und an dem Mann vorbei schnell ins Innere des Hotels hasteten. Hinter einer breiten Säule verborgen sagte der so seltsam eingedrungene Mann, der den Portier ausgeschaltet hatte: „Wir werden jetzt ermitteln, in welchem Zimmer unser Milliardärssöhnchen und seine Freundin untergekommen sind. Zero und ich werden uns um das Mädchen kümmern und sie mit dem Wagen zum Hauptquartier bringen. Mist, dass die Anderen erst in einigen Stunden da sein werden. Du, Stray-Cat, bleibst derweilen bei diesem Grafensohn. Sollte er erwachen, bevor Zero und ich wieder da sind, dann musst du improvisieren.“ „Na toll, Laurin“, nörgelte die junge Frau, die zusammen mit Zero am Nachmittag die beiden Teenager aufgespürt hatte. „Was verstehst du unter improvisieren.“ Der Mann, den die Frau als Laurin bezeichnet hatte, lachte leise: „Verwirre ihn. Das ist doch eine deiner leichtesten Übungen, wenn ich mich nicht irre.“ „Über diesen blöden Kommentar reden wir noch“, drohte die Frau, während sie sich mit Zero bereits zum Treppenhaus begab. Den Lift wollten sie lieber nicht benutzen. Nachdem Laurin eruiert hatte, welche Suite Christian von Falkenhayn und seine Freundin bewohnten, führte er seine Begleiter hinauf in die vierte Etage. Lautlos schlichen sie über den weichen Teppich des breiten Korridors, bis sie die Tür zur richtigen Suite erreicht hatten. Aus einer Gürteltasche ihres dunklen, eng anliegenden Jumpsuits kramte die Frau ein spezielles Gerät hervor und bearbeitete einige Sekunden lang das Schloss, bis ein leises aber vernehmliches Klicken zu hören war. Vorsichtig öffnete sie dann die Tür und deutete übertrieben auf das Innere der Suite. „Warum betäuben wir den Jungen nicht auch gleich?“, fragte Stray-Cat heiser, während sie zum Schlafraum schlichen. „Weil ich heute noch mit ihm reden will und das nicht erst am Abend, wenn du verstehst, was ich meine“, zischte Laurin zurück. „Und jetzt bitte ich mir absolute Ruhe aus.“ Die Frau schnitt ihm eine Grimasse, sagte aber nichts. Auf leisen Sohlen betraten die drei dunklen Gestalten den Schlafraum. Die Frau hielt sich etwas zurück und beobachtete, wie Laurin das Mädchen, so wie zuvor den Portier im Foyer betäubte. Zum Glück hatte sich der Junge im Schlaf offensichtlich auf die andere Seite gedreht, so dass sie nicht an einander gekuschelt lagen, was ihren Plan kompliziert hätte. Die beiden Männer hoben das bewusstlose Mädchen übervorsichtig aus dem Bett, zogen sie an und Zero trug sie auf den Armen aus dem Zimmer, wobei Laurin ihm die Tür aufhielt. Er nickte Stray-Cat nochmal kurz zu und verschwand dann lautlos aus dem Raum. Klasse, und ich habe jetzt dieses Bürschchen am Hals, dachte die Frau mürrisch, und trat näher an das Bett heran. Dieses durchtrainierte und gut aussehende Bürschchen. Sie beobachtete, wie er Anstalten machte, im Schlaf nach seiner Freundin zu tasten. Verdammt, genau so hatte ich mir das gedacht, fluchte die junge Frau in Gedanken. Blitzschnell traf sie eine Entscheidung und schälte sich dann aus ihrer Kleidung. Splitternackt glitt sie katzenhaft unter die Bettdecke und nahm geschwind den Platz des Mädchens ein. Gerade noch rechtzeitig, denn bereits im nächsten Moment hatte der Junge sie schlaftrunken in seinen Arm genommen und heran gezogen. Mit einem wohligen Brummen küsste er sie auf die Lippen, bevor er bereits wieder eingeschlafen war. Dicht an den Jungen geschmiegt, den Kopf auf seiner Brust gebettet, lauschte sie dem gleichmäßigen Schlagen seines Herzens, wobei ihr nichts anderes blieb, als ihren linken Arm um ihn zu legen, damit sie keinen Krampf bekam. Erbittert dachte sie dabei: Warum gerate eigentlich immer ich in solche Situationen?   * * *   Stunde um Stunde verstrich, und die Sonne war bereits aufgegangen, doch von Laurin und Zero fehlte jede Spur. Stray-Cat erkannte erschrocken, dass sie für eine Weile eingeschlafen sein musste. Doch der Junge war noch nicht aufgewacht, und so lag sie noch immer halb über ihm. Muss ja ´ne tolle Nacht gewesen sein, dachte die Frau anzüglich, während sie den gleichmäßig tiefen Atemzügen des Jungen lauschte. Gleichzeitig hatte die Situation etwas Prickelndes, wenn auch eher unfreiwillig. Wenn diese beiden Trottel nicht bald hier aufkreuzen, dann können die etwas erleben, dachte die Frau erbost und ihre großen, grün-braunen Augen funkelten im sanft-goldenen Morgenlicht des anbrechenden Tages. Gerade so, als habe der Junge ihre Gedanken im Schlaf vernommen wurde er in diesem Moment geräuschvoll wach. Mit geschlossenen Augen ließ er dabei seine Linke, über ihren Rücken hinab, zu ihrem Po gleiten. In Stray-Cat spannte sich jeder Muskel, und unbewusst rückte sie von ihm ab. Im nächsten Augenblick wurde ihr bewusst, dass das ein Fehler gewesen war, denn beinahe umgehend öffnete der Junge seine Augen und blickte sie sprach- und reglos an. Aus einem jahrelangen Schutzreflex heraus, leitete die Frau ihre Umwandlung ein. Innerhalb weniger Herzschläge überzog ein dichtes, seidiges Fell ihren gesamten Körper. Gleichzeitig bildeten sich ihre menschlichen Ohren zurück, wofür sich auf der Oberseite ihres Kopfes zwei Katzenohren herausbildeten. Fassungslos starrte Christian die Frau an, die statt Alicia in seinem Bett lag und sich nun vor seinen Augen verwandelte. Ihr Fell war von hellbrauner Färbung und von einem dunkelbraunen Streifenmuster durchsetzt. An ihren Händen und auf ihrer Brust wies es eine helle, cremefarbene Tönung auf. Völlig verwirrt blickte er schließlich auf die Spitze ihres puscheligen Katzenschwanzes, der unter der Bettdecke hervorragte, und sich nun langsam aufrichtete. Auch ihre Augen hatten sich signifikant verändert. Noch grüner in ihrer Farbe und etwas größer, wiesen sie nun eindeutig Schlitzpupillen auf. Dennoch war dieses Wesen auch immer noch unverkennbar menschlich. Während er noch völlig fasziniert herauszufinden versuchte, was sich hier gerade vor seinen Augen abspielte, sagte das Wesen mit rauchiger Stimme: „Miau...“ Das brach den Bann. Christian wollte die Bettdecke zurückschlagen und aus dem Bett fliehen, doch mit einer geradezu unheimlichen Geschwindigkeit hatte die Katzenfrau ihre Hand auf seine Brust gelegt und drückte ihn gegen die Matratze, wobei sich ihre Handfläche seltsam weich anfühlte. Gleichzeitig gab sie dabei ein katzenhaftes Schnurren von sich. „Da geblieben“, fauchte sie leise, wobei sie ihre Hand wieder von seiner Brust nahm. Dabei kam ihr faszinierendes Katzengesicht seinem langsam immer näher. Gleichzeitig wich Christian ganz an den Rand des Bettes zurück, bis er bereits ein Stück über der Kante hing und verzweifelt versuchte das Gleichgewicht zu halten. Als sich ihre Gesichter fast berührten schnellte plötzlich die Zunge der Katzenfrau aus ihrem Mund und leckte über die Ohrmuschel des Jungen. Christian verlor bei der Berührung der rauen Zunge endgültig den Halt. Krachend landete er auf dem Boden, vor dem Bett. In demselben Moment öffnete jemand die Tür, und Christian nutzte die Gelegenheit diese seltsame Kreatur, mit einem kräftigen Schubs zur anderen Seite des Bettes hinaus zu rollen. Er sprintete hinüber zum Badezimmer, doch bevor er die Tür hinter sich verriegeln konnte, war die Katzenfrau bereits mit einem weiten Satz zu ihm ins Bad gesprungen und versuchte, den Jungen an den Oberarmen festzuhalten. Miteinander rangelnd landeten sie beide in der Duschtasse, wo Christian geistesgegenwärtig den Hahn für das kalte Wasser aufdrehte. Mit einem kläglichen Maunzen ließ die seltsame Frau von dem Jungen ab und sprang einen Meter zurück, wobei sie sich angewidert schüttelte. Im nächsten Augenblick stand ein Mann im Türrahmen und sagte, merkwürdig ruhig, schon beinahe etwas genervt, zu dem Jungen: „Hör endlich auf mit der Katze zu spielen und zieh dir etwas Gescheites an. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Erst jetzt wurde sich Christian der Unwirklichkeit dieser Situation bewusst – und dass er völlig nackt war. Errötend blickte er von der Katzenfrau zu dem Neuankömmling und sagte gereizt: „Erstaunlich, wer alles in dieser Suite wohnt. Wo ist Alicia? Was wollt ihr von mir und meiner Freundin?“ Der Mann kam in das Badezimmer und Christian schaltete innerhalb einer halben Sekunde. Telekinetisch griff er zu und drückte die beiden Eindringlinge rechts und links der Tür gegen die Wand, wo sie sich nicht rühren konnten. Dann wollte er sich selbst zur Tür begeben um das Bad zu verlassen, die Beiden dort drinnen einzusperren, und die Polizei zu verständigen doch seine Bewegungen wurden langsam und schwerfällig. Schließlich kam er keinen Millimeter mehr vorwärts, kaum dass er einen halben Schritt gemacht hatte. Dafür hörte er eine leise Männerstimme dicht an seinem Ohr und er spürte die Schneide einer scharfen Klinge an seinem Hals. Aber er hatte doch niemanden sonst hereinkommen gesehen. „Gib meine Freunde frei“, sagte die Stimme ruhig. Christian realisierte, dass man ihm nicht ernsthaft nach dem Leben trachtete, denn der Fremde hätte in diesem Fall längst seinen Auftrag erledigt. Aber worum ging es dann? Und was hatte Alicia damit zu tun? „In Ordnung, aber ich will wissen, was mit Alicia passiert ist. Geht es ihr gut?“ Wieder erklang die Stimme hinter ihm. „Du musst dir keine Sorgen machen, sie ist wohlauf. Aber wenn du sie wiedersehen willst, dann solltest du ab jetzt ganz genau unseren Anweisungen folgen.“ Christian überlegte fieberhaft. Dann gab er die Katzenfrau und den zuerst aufgetauchten Mann frei. Gleichzeitig nahm der dritte Fremde seine Klinge von seinem Hals. Im nächsten Moment wurde er, aus dem Nichts heraus, für den Jungen sichtbar. Die Züge des unbekannten Mannes wirkten nicht unsympathisch. Aus intelligenten, eisgrauen Augen blickte er Christian an und erklärte schnell: „Das soll keine Entführung werden, wie du vielleicht annimmst. Zugegeben, unsere Methoden, mit dir Kontakt aufzunehmen sind etwas unorthodox, aber es muss sein, um sicherzustellen, dass du uns auch anhören wirst, Christian von Falkenhayn.“ „Wir?“, echote der Junge und folgte dem Mann langsam in den Wohnbereich. Dort angekommen stellte er fest, dass sich die dunkelhäutige Frau mittlerweile wieder angezogen hatte. Ihren anzüglichen Blick bemerkend suchte er seine eigenen Sachen zusammen und begann damit sich selbst anzukleiden. Dabei musste er daran denken, dass diese Menschen von seinen Fähigkeiten scheinbar nicht sonderlich überrascht waren. Und woher kannten sie seinen Namen? Währenddessen setzte sich der zuletzt aufgetauchte Mann in einen der Sessel: „Ja, wir. Damit meine ich mich, meine beiden Freunde hier, und einige Andere, die du im Laufe des heutigen Tages noch kennenlernen wirst. Es handelt sich um eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit, und sie wird nicht nur dein zukünftiges Leben beeinflussen, sondern gleichermaßen auch das von mir und meinen Freunden.“ Der Grauäugige deutete dabei auf seine beiden Begleiter. „Stray-Cat und Zero hast du ja bereits kennengelernt. Er kann die Bewegungsabläufe jeder Person verlangsamen oder anhalten. Was sie kann das hast du mit eigenen Augen gesehen. Und ich selbst habe die Fähigkeit Lichtstrahlen um mich herum zu lenken, weshalb ich gemeinhin nur Laurin genannt werde.“ „Leider ist nie ein Rosengarten zur Hand, wenn man ihn wirklich mal braucht“, erwiderte Christian ironisch. Dann fragte er: „Warum macht ihr das so kompliziert? Ihr hättet doch auch anders zu mir Kontakt aufnehmen können.“ „Wir kennen dich nicht, und deshalb haben wir uns abgesichert“, warf der Mann ein, den Laurin als Zero bezeichnet hatte. „Wir wollen verhindern, dass du Fisimatenten machst“, ergänzte die Frau ernst und warf ihm eine leichte Jacke zu. Alle anderen Sachen von ihm und Alicia hatten die beiden eilig zusammengepackt. „Überzeuge dich, dass wir nichts vergessen haben. Danach werden wir ganz brav diese Suite verlassen und du wirst unten auschecken.“ Christian, der mittlerweile der festen Überzeugung war, dass ihm von den beiden seltsamen Männern und der Frau keine unmittelbare Gefahr drohte, nickte ergeben. „In Ordnung, ich werde friedlich mit euch gehen.“ „Dann ist ja soweit alles klar“, meinte Laurin feststellend und erhob sich mit dem Jungen. Unaufgefordert nahmen seine beiden Begleiter das Gepäck der Teenager und sie verließen gemeinsam die Suite, als wären sie alte Freunde.   * * *   Knapp zwei Stunden später fuhren sie in einem recht alten Renault über eine malerische Höhenstraße des Seinetals. Längst hatten sie die Stadtgrenzen von Paris hinter sich gelassen. Wie Stray-Cat, die im Font des Wagens neben Christian saß, ihm versichert hatte, lag ihr Ziel etwa 66 Kilometer nord-westlich von der Pariser Stadtgrenze entfernt, bei einem kleinen Ort namens La Roche-Guyon. Unterwegs hatte sie ihn leise, aber nichts desto weniger eindringlich, darum ersucht, die morgendliche Begebenheit zwischen ihnen für sich zu behalten, was Christians eigenen Wünschen entgegen kam. Er war nicht sehr erpicht darauf, diese peinliche Situation Alicia später erklären zu müssen. Der Ort, so hatte Zero ihm zwischenzeitlich erklärt, trug die Auszeichnung als eines der Schönsten Dörfer Frankreichs und lag am rechten Ufer einer Seineschleife unterhalb der Felsen des Plateau du Vexin. Kaum Fünfhundert Einwohner lebten zur Zeit in diesem Dorf, in dem sich sehr viele Künstler angesiedelt hatten. Aus den genauen Angaben des Mannes entnahm Christian, dass zumindest er aus dieser Gegend stammen musste. Christian, der vor Jahren bereits einmal das Dorf besucht hatte, und dessen Geschichtskenntnisse ziemlich gut waren, wusste natürlich, dass die Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs im Schloss des Ortes eine Kommandozentrale eingerichtet hatte. Von dort aus hatte Feldmarschall Erwin Rommel zeitweise die Maßnahmen gegen die alliierte Invasion geleitet. Oberhalb des Schlosses erhob sich aus den Mauerresten der alten Burg die Ruine des Bergfrieds. Majestätisch thronte die Ruine auf der Spitze des Hügels, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Seineschleife hatte. Kurze Zeit später lichteten sich die Bäume um sie herum und gaben den Blick auf den Bergfried und das darunter liegende Dorf frei. Von dieser Höhenstraße aus, deren Niveau noch etwas höher lag, als die Spitze der Bergfriedruine, wirkte der Anblick atemberaubend. Laurin lenkte den Wagen hinunter zum Dorf und in der Nähe des Marktplatzes stellte er den Wagen schließlich ab. Dabei bemerkte er überflüssigerweise: „Wir sind da.“ „Ich hoffe, dass ich später Gelegenheit haben werde, Alicia diesen Ort zeigen zu können“, erklärte Christian, während sie ausstiegen. „Nun bleib mal locker“, erwiderte Stray-Cat leicht genervt. „Es geht ihr gut, okay?“ Christian hob beschwichtigend seine Hände etwas an. Gemeinsam überquerten sie den Platz und bogen dann in eine Gasse ein, die zur Kirche des Dorfes hinauf führte. Von dort aus wandten sie sich zu einem gegenüber liegenden Haus mit geschlossenen Fensterläden, das einen wenig einladenden Eindruck auf den Jungen machte. Was ihm an der verwitterten Fassade auffiel war eine etwa ein Meter hohe und halb so breite Einbuchtung, in der sich eine Marienfigur erhob. Laurin war es, der die massive Holztür mit einem klobigen, alten Schlüssel entriegelte. Doch bereits zwei Meter hinter der Tür erwartete Christian die erste Überraschung, in Form eines hoch modernen Handabdruckscanners, der sich vor einer massiv erscheinenden Stahltür befand. Während der Mann seine rechte Hand auf die Scannerfläche legte, meinte er zu Christian gewandt: „Wer glaubt, dies wäre die einzige Absicherung gegen ein unbefugtes Betreten der wird schnell eine riesengroße und sehr unangenehme Überraschung erleben.“ Bei dieser Andeutung beließ er es. Nach einigen Sekunden fuhr die Metalltür lautlos zur Seite, und erst jetzt erkannte der Junge, dass sie mindestens zehn Zentimeter dick war. Hier kam keiner ohne größere Vorkehrungen getroffen zu haben gegen den Willen derer, die dieses Haus eingerichtet hatten, hinein, soviel stand fest. „Ich nehme an, dass die Mauern des Hauses nur nach außen hin so verwittert erscheinen“, sagte Christian, während sie das Stahlschott hinter sich ließen und in einen holzgetäfelten Korridor eintraten. „Du vermutest ganz richtig“, erklärte Laurin schmunzelnd. „In die Natursteinmauern haben wir eine Stahlpanzerung eingefügt, und die Fensterscheiben bestehen aus Aramid verstärktem Panzerglas, das selbst Panzerfaustgeschossen widerstehen kann.“ Christian verwünschte die Tatsache, dass er nicht halb so viel von Chemie verstand, wie seine Freundin. Alicia hätte ihm vermutlich erklären können, was genau Aramide waren. So nickte er nur beeindruckt und fragte: „Wofür der ganze Aufstand?“ Laurin, der voran schritt, öffnete eine große, verglaste Doppeltür und deutete in den angrenzenden großen Raum. Er wartete, bis Christian ihn erreicht hatte und mit immer größer werdenden Augen in den mindestens zehn mal zehn Meter großen Raum hinein blickte, bevor er schmunzelnd erklärte: „Dafür! Willkommen bei der JUSTICE SOCIETY of EUROPE...“   * * *   Langsam schritt Christian von Falkenhayn in den Raum, oder besser – Saal hinein, der im Zentrum von einem gewaltigen, runden Marmortisch beherrscht wurde. Die polierte, bläulich-weiße Oberfläche wurde von zwei goldenen Ringen umlaufen, in denen die Worte JUSTICE SOCIETY OF EUROPE zu lesen waren. Im Zentrum des inneren Ringes gab es ein blaues Schildwappen auf dem zwölf goldene Sterne einen Kreis bildeten. In diesem Sternenkreis erkannte Christian einen stilisierten Stürzenden Adler. Darunter in großen Lettern, die Buchstaben JSE. Es dauerte einen langen Moment, bis sich der Blick des Jungen, von dem mindestens zweieinhalb Meter durchmessenden Tisch trennte und er entlang der holzgetäfelten Wände eine Reihe von Polsterstühlen erkannte. Das Holz der, mit dunkelblauem Stoff bezogenen, Stühle fügte sich farblich zum dunkelbraunen Ton der Wand- und Deckentäfelung ein. Von der hohen Decke des Raumes hing ein gewaltiger Kronleuchter über dem Zentrum des Tisches. Laurin öffnete eines der Wandpaneele hinter dem eine kleine elektronische Steueranlage erkennbar wurde. Nachdem er auf einen der Knöpfe gedrückt hatte, führen draußen die Fensterläden auf und das hereinfallende Licht enthüllte nun auch weitere Details des Raumes. An den Wänden hingen verschiedene Gemälde, von denen eins ganz besonders die Aufmerksamkeit des Jungen erregte. Es hing an der Stirnseite des Raumes und zeigte zwölf Personen, mehr oder weniger maskiert und verkleidet, an einem Tisch sitzend, wie er in der Mitte des Raumes stand. Als Christian fragend zu Laurin blickte, nickte dieser verstehend und erklärte: „Das sind die ursprünglichen Gründungsmitglieder der JSE, Christian. Einige ihrer Nachfahren und neu rekrutierte Mitglieder, mit besonderen Fähigkeiten, führten ihr Vermächtnis fort.“ „Das da wäre?“ Es war Stray-Cat, die darauf antwortete: „Gerechtigkeit!“ Zero hakte sofort ein: „Die JSE wurde nach dem Koreakrieg gegründet. Zusammen mit der JSA – der JUSTICE SOCIETY of AMERICA. Es war eine Zeit, als sich die Welt, während des kalten Krieges mehrmals am Rande eines thermonuklearen Krieges befand, und die Hoffnung der Menschen auf Frieden und Gerechtigkeit schwand. Deshalb haben sich in dieser Organisation Menschen aus ganz Europa, mit besonderen Fähigkeiten, zusammengefunden im Kampf gegen das Unrecht. Dort wo die offiziellen Stellen versagen schreiten wir ein. Beide Organisationen kämpfen gegen Rassismus, Gewalt und Unterdrückung. Um nicht ein falsches Bild aufkommen zu lassen, den Kampf gegen das Organisierte Verbrechen überlassen wir weiterhin der Polizei, so wie auch alle anderen Polizeiaufgaben in deren Tätigkeitsbereich fallen und nicht in den unseren. Wir greifen dort nur dann ein, wenn diese versagt, oder aber Unschuldige hinter Gitter bringen will. Natürlich können wir nicht überall sein. Wir greifen europaweit dort ein, wo wir gerade am dringendsten gebraucht werden – manchmal alle gemeinsam, manchmal in kleinen Teams, oder alleine. Vielleicht magst du dies als den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein ansehen, doch wirksamer, als überall zugleich zu helfen, kann es sein, denen Hoffnung zu geben, die den Glauben an das System und die Gerechtigkeit verloren haben. Das verbreiten von Hoffnung ist unsere eigentliche Aufgabe und Stärke, mein Junge.“ Jetzt, da Zero zum zweiten Mal auf besondere Fähigkeiten hingewiesen hatte, dämmerte ihm langsam, warum er hier war. Zögerlich fragte er: „Ihr habt vor, mich für die JSE zu rekrutieren?“ „Nicht unmittelbar“, wiegelte Laurin schnell ab. „Wir sind uns bewusst, dass du erst noch heranreifen musst, und du sollst zunächst deine Ausbildung abschließen können. Später jedoch, so hoffen wir, wirst du dich uns hoffentlich anschließen. Nicht weil du glaubst unter Druck zu handeln, sondern aus freien Stücken.“ „Durch einen unserer Informanten in Amerika, haben wir von deiner besonderen Fähigkeit erfahren“, erklärte Zero weiter. „Er ist dir im TALON nicht aufgefallen, aber er hat deine kleine Showeinlage mit dem Zuckerwürfel sehr interessiert verfolgt. Du könntest damit zu einem wertvollen Mitglied dieser Organisation werden.“ Christian musste dies alles zunächst einmal verdauen. Dann schoss ihm eine Frage durch den Sinn und er fragte: „Was passiert, wenn ich nicht will?“ „Gar nichts“, erwiderte Stray-Cat und begab sich mit geschmeidigen Bewegungen an seine Seite. Ihren linken Arm um seine Schulter legend fuhr sie heiser fort: „Du müsstest dann lediglich all das hier vergessen und Stillschweigen bewahren. Denn falls du das nicht tun würdest, dann...“ „Cat!“, rief ihr Zero mahnend zu. „Verschrecke unseren Gast nicht.“ Die Frau ließ ihn los, während sich im Laurin, mit ernster Miene näherte. „Wir zwingen Niemanden uns beizutreten, Christian. Das hätte auch wenig Zweck, denn das wichtigste ist uns, unter einander loyal zu sein. Und zwar aus Überzeugung. Du allein entscheidest darüber. Doch du solltest gut darüber nachdenken, auch darüber, ob es ein Zufall ist, dass du anders bist, als andere Menschen. Du könntest damit sehr viel Gutes tun.“ Christian erkannte im Blick des Mannes kein Falsch. In diesem Moment erschien er dem Jungen geradezu charismatisch, und er erahnte, dass dieser Mann der Anführer der JSE war, und auch warum. Mühsam dem Blick des Fremden standhaltend sagte er: „Ich möchte das erst entscheiden, wenn meine Freundin wieder bei mir ist. Und ich mache zur Bedingung, dass ich zumindest ihr davon erzählen darf.“ Der Mann zögerte und wechselte einige Blicke mit seinen beiden Begleitern. Dann nickte er und antwortete: „Also gut, Christian. Aber mache Alicia klar, dass sie über all dies schweigen muss. Du bürgst uns dafür – in deinem eigenen Interesse, denn wir kennen dein Geheimnis, wie du weißt.“ Auch ohne diese angedeutete Drohung spürte der Junge den Ernst der Lage und mit entschlossener Miene erwiderte er: „Das werde ich.“ „Dann bringen wir dich nun zu ihr.“   * * *   Christian hatte bis zum frühen Abend in dem gemütlich eingerichteten Raum verbracht, in dem seine betäubte Freundin auf einem breiten Bett lag. Erleichtert atmete er auf, als sie die ersten Anzeichen von sich gab, zu erwachen. Als Alicia die Augen aufschlug blickte sie Christian lächelnd an. Dann entdeckte sie, die veränderte Umgebung und fragte verwirrt: „Wo sind wir, Chris?“ „Wir sind bei Freunden“, antwortete der Junge beruhigend. Danach erklärte er Alicia, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte. Nachdem er endete, blickte das Mädchen ihn zunächst etwas ungläubig an. Schließlich fragte sie: „Was hast du nun vor, Chris? Willst du dich dieser JSE etwa wirklich anschließen?“ „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, Alicia. Aktuell würde der Beitritt ohnehin erst nach meinem Studium. Aber der Gedanke an das, was ich mit meinen besonderen Fähigkeiten alles bewirken könnte, hat etwas Verlockendes.“ Alicia musterte ihren Freund eindringlich bevor sie erwiderte: „Das klingt ja beinahe so, als hättest du dich bereits entschieden?“ „Alles was ich bisher entschieden habe ist, dass ich diese Entscheidung nicht ohne dich treffen werde, Honey. Denn du bist mir wichtiger, als einer solchen Organisation beizutreten, und ich werde nicht zulassen, dass sich etwas zwischen uns stellt. Nicht die JSE und auch sonst nichts auf dieser Welt, hörst du?“ Das Mädchen küsste Christian zur Antwort sanft auf den Mund. „Ich liebe dich, Chris. Egal wie du in dieser Angelegenheit entscheidest – ich stehe an deiner Seite. Du hast mich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt, und wenn andere Menschen ebenfalls vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt werden können, durch das, was die JSE tut, dann unterstütze ich dich selbstverständlich wo ich nur kann. Vielleicht ist genau das deine Bestimmung, darum sollst du frei darüber entscheiden können.“ Christian drückte das Mädchen fest an sich. „Ich habe es zwar bereits gesagt, aber ich sage es gerne noch einmal: Du bist wirklich das tollste Mädchen der Welt, Alicia Sterling.“ „Erzähl mir ruhig mehr davon“, lachte das Mädchen und küsste den Jungen lang und ausdauernd. Dann erklärte sie verschmitzt: „Aber erst später. Jetzt würde ich gerne aufstehen und etwas essen, denn ich habe einen Mordskohldampf.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)