Star Trek - Timeline - 02-02 von ulimann644 (Captain und Commander) ================================================================================ Kapitel 1: Eine neue Freundin und ein alter Freund -------------------------------------------------- Valand Kuehn blickte über die schneeweiße Ebene. Der Wind pfiff eisig über die unwirtliche Landschaft Andorias, aber aus irgend einem Grund fror er nicht. Ihm war, als würde er diese Gegend gut kennen, doch gleichzeitig gewann er den Eindruck, noch niemals hier gewesen zu sein. Es hatte zu schneien begonnen, doch die Flocken schienen nur um ihn herum zu fallen, nicht aber auf die Stelle, an der er sich jeweils gerade aufhielt. Irgendwie verhielt sich die Natur auf diesem Mond merkwürdig. Doch das störte den Norweger nicht. Mühelos stapfte der Mensch durch den um ihn herum wirbelnden Schnee, und fast, als wäre sie aus der Erde gewachsen, erhob sich plötzlich eine gewaltige Mauer aus Eis vor ihm, die sich zu beiden Seiten scheinbar bis zum Horizont erstreckte. Seine Augen blickten sich suchend nach seinen beiden andorianischen Begleitern um, aber er fand sie nicht. Er wusste nicht, wann er sie verloren hatte, und nun, da er es feststellte, war es ihm offensichtlich herzlich egal. Zumindest fühlte er keine Besorgnis, als er in sich hinein horchte. Seine Schwiegereltern würden schon noch auftauchen. Valand Kuehn nestelte an seiner dicken Thermojacke und brachte mühsam einen kleinen Vakuumbehälter zum Vorschein. Er hätte kaum zu sagen vermocht, wann er ihn von Nan´Doraan zurückbekommen hatte. Er machte sich auch darüber keine Gedanken, sondern kniete sich hin und kratzte mit seiner behandschuhten Linken eine Mulde in den Schnee. Dann öffnete er den Vakuumbehälter, entnahm ihm eine Glasphiole und schüttete den dunkelblauen Inhalt in die Vertiefung. Immer voller wurde die Mulde, und ein wenig wunderte sich der dick in wärmende Kleidung gehüllte Mann, warum sich mittlerweile mehr Blut in der Mulde befand, als physikalisch möglich in der Phiole Platz hätte finden können. Als das andorianische Blut – um solches handelte es sich – über den Rand der Mulde lief, ließ Valand Kuehn erschrocken die Phiole hinein fallen, die sofort im Blut versank. Doch als wäre dies der Auslöser dafür, begann das Blut in der Mulde wie wild zu sprudeln und spritzte Valand Kuehn mitten ins Gesicht. Dabei hörte er, mit der Stimme von seiner verstorbenen Frau, Ahy´Vilara, einen beinahe unmenschlichen Schrei... „Valand was ist denn...! So wach doch auf...! Valand...!“ Der Mann, mit den kurzen, blonden Haaren und dem gepflegt zurechtgestutzten Schnurr- und Kinnbart, hörte auf zu schreien und blickte sich verstört in der Dunkelheit um. Er saß aufrecht in dem breiten Futonbett und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Nur langsam realisierte er, wo er sich befand, und dass er selbst es gewesen war, der geschrien hatte. Keuchend rang er nach Luft, und erst jetzt wurde ihm die Nähe einer weiteren Person gewahr, die besorgt die Hand auf seinen Unterarm gelegt hatte. Es dauerte eine Weile, bis die Gedanken des Norwegers in die Wirklichkeit zurück fanden. Nachdem sein rasender Herzschlag sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er zu der Frau gewandt: „Tut mir sehr leid, wenn ich dich erschreckt haben sollte Tamari.“ Er stand auf, schlüpfte in seine Hausschuhe und schritt lautlos, ansonsten nur mit seiner Pyjamahose bekleidet, zur westlichen Fensterfront des großen Zimmers. Das Licht aus den umliegenden Gebäuden tauchte es in silbriges Zwielicht und erzeugte mitunter gespenstische Schemen. Tief durchatmend blickte Valand Kuehn hinunter auf die Skyline von San Francisco. Es schien schon vor einer Weile zu regnen begonnen zu haben, denn die tief unter ihm liegenden Straßen der nordamerikanischen Westküstenmetropole glänzten in der Dunkelheit im Licht der Straßenlaternen. Es musste somit früher Morgen sein, denn die Wetterkontrolle der Erde achtete darauf, den notwendigen Regen zu Zeiten niedergehen zu lassen, zu denen die meisten Lebewesen der Erde in ihren Betten lagen, und schliefen. Ein leises Rascheln ließ ihn den Blick wenden, und er erkannte, dass die Japanerin, die er bereits im Sommer des Jahres kennengelernt hatte, dabei war, ihren schlanken, splitternackten Leib in einen seidenen Kimono zu hüllen. Sie war, so wie er, bei der Sternenflotte. Allerdings nicht beim raumfahrenden Personal, sondern als Systemanalytikerin, im Rang eines Lieutenant, im Hauptquartier der Sternenflotte tätig. Dort waren sie sich auch zum ersten Mal begegnet. Langsam näherte sie sich ihm, bis sie dicht an seiner Seite stand. Seit nunmehr drei Monaten waren er und Tamari zusammen. Die ruhige und stets besonnen wirkende, siebenundzwanzigjährige, in Kyoto geborene, Frau blickte ihn mit ihren dunkelbraunen Mandelaugen fragend von der Seite an. „War es wieder der Traum, von dem du mir vor einigen Wochen erzählt hast?“ Ihre helle, weiche Stimme ließ sie jünger erscheinen, als sie war. „Ja“, antwortete Valand Kuehn einsilbig und sah, nach einem schnellen Seitenblick zu der Frau, wieder hinaus auf die Stadt. In der Ferne erkannte er den historischen Bezirk Presidio. Die Golden-Gates-Bridge, die man an klaren Tagen gut von hieraus erkennen konnte, verschwand im Regen, der nun wieder gegen die hohen Scheiben prasselte. „Du sagtest, das alles wäre bereits etwa fünf Jahre her.“ Es dauerte einen Augenblick, bis Valand die Frau an seiner Seite schließlich wieder ansah. Seine Hand tastete dabei nach ihrer und ergriff sie, nachdem er sie gefunden hatte. Tamari war mit 1,72 Metern überdurchschnittlich groß für eine Asiatin und ihrem Körper sah man an, dass er es gewohnt war sportlich belastet zu werden. Sanft ihre Hand drückend antwortete Valand: „Heute auf den Tag genau fünf Jahre. Es war an einem 13. November, als die ALAMO havarierte. Und diese traumatischen Ereignisse sind nichts, was ich vergessen könnte, Tamari. Ebenso wenig wie meine verstorbene Frau.“ „Du sollst sie nicht vergessen, Valand. Ich wäre enttäuscht von dir, würdest du ihr Andenken nicht in Ehren halten.“ Der Norweger wandte sich der Asiatin nun zu und zog sie sanft in seine Arme. In der Dunkelheit wirkten ihre dunklen Augen wie glitzernde, schwarze Seen. „Ich bin glücklich dass wir uns begegnet sind, Tamari.“ Er küsste sie zärtlich. Als sie sich von einander lösten, wirkte das feingeschnittene Gesicht der Asiatin ernst. Sie schien nach Worten zu suchen, bevor sie geradeheraus sagte: „Ich habe letzte Woche zufällig deine Counselor getroffen, bevor du mich im Hauptquartier abgeholt hast. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, dass du sie nur unregelmäßig aufsuchst, mit der Bitte, dass ich dich darauf anspreche, Valand.“ Für einen Moment wusste der hoch aufgeschossene, breitschultrige Mann nicht, was er sagen sollte, bevor er mit leichtem Ärger in der Stimme meinte: Ganz toll, meine Counselor redet hinter meinem Rücken mit meiner Freundin.“ „Kein Grund für verletzten Stolz. Sie macht sich lediglich Sorgen um deine Verfassung. So wie ich auch.“ Tamari hatte sehr leise, fast beschämt gesprochen, und Valands leichter Ärger verging so schnell, wie er entstanden war. Sanft sagte er: „Eine Counselor kann mir in dieser Angelegenheit nur bedingt helfen, Tamari.“ „Dann hilft dir das hier vielleicht mehr“, erwiderte die Frau fast flüsternd und küsste ihn sanft auf den Mund. Als sie sich nach einer geraumen Weile widerstrebend von ihm löste, und Valand einen fast sehnsüchtigen Blick zum Nachthimmel hinauf warf, an dem sich die Wolken langsam lichteten und die ersten Sterne durch die schweren Regenwolken funkelten, gurrte sie: „Komm wieder ins Bett. Oder willst du den Rest der Nacht am Fenster stehen und zu den Sternen hinauf starren, so als könntest du ihnen damit näher sein?“ Valand seufzte schwach. „Ich musste nur daran denken, was mir Commander Alloran Veron, auf der ALAMO, einmal gesagt hat. Alloran war eine Art Mentor für mich. Er war gleichsam ein guter Freund und sein Tod hatte mich sehr getroffen. Er meinte einmal zu mir, dass er ein Lebenslänglicher wäre.“ Fragend blickte Tamari in Valands grün-graue Augen. „Wie meinte er das?“ „Nun, er war der Ansicht, dass er schon so lange auf Raumschiffen gedient hat, dass der Weltraum sein eigentliches Zuhause sei – und er auf der Erde und allen anderen Planeten das Gefühl habe, nur zu Besuch zu sein.“ Tamari nickte stumm und ihr Blick bekam einen melancholischen Zug. „Und was ist mit dir? Bist du auch ein... Lebenslänglicher?“ Valand zögerte mit der Antwort. Dann gab er offen zu: „Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, Tamari. Ich weiß nur, dass mich in der letzten Zeit immer öfter eine seltsame Unrast erfasst. Vielleicht ist es aber ganz was anderes.“ „Vielleicht wäre es ja dann doch eine Option für dich, zum Flottenstab zu wechseln?“, meinte Tamari hoffnungsvoll. „Du sagtest doch, du wüsstest noch nicht, ob du das dir angebotene Kommando, an Bord der AKIRA, annehmen wirst.“ Valand nickte unsicher. „Man erwartet meine Entscheidung bis zur nächsten Woche.“ „Dann hast du ja noch etwas Zeit“, entgegnete Tamari leichthin und zog Valand mit sanfter Gewalt mit sich. „Und jetzt solltest du wirklich versuchen noch etwas Schlaf zu finden. Dein andorianischer Freund aus Kadettenjahren, von dem du mir dauernd erzählst, besucht dich morgen. Was soll er denn von dir denken, wenn du in seiner Gegenwart einfach einschlafen solltest.“ Kuehn grinste schief. „Das ist ein plausibles Argument.“ Dann folgte er Tamari, die ihn leise kichernd mit sich zog, willig ins Bett.   * * *   Der nächste Morgen brachte strahlenden Sonnenschein. Mehr als das, wärmte Valand Kuehn das angenehme Gefühl an Tamaris Zärtlichkeiten der letzten Nacht, als er seinen Körper im Bett reckte, in die Helligkeit blinzelte, und herzhaft gähnte. Es war Samstag, aber Tamari hatte heute Dienst, und deshalb hatte sie sich, schon vor einigen Stunden, liebevoll von ihm verabschiedet. Ein Lächeln überflog Valands Gesicht, bevor er, endgültig wach werdend, seine langen Beine aus dem Bett schwang, sich erhob und mit schnell munter werdenden Lebensgeistern zum Bad schritt. Nach einer ausgiebigen Dusche kleidete er sich an und machte sich in der geräumigen Küche ein reichhaltiges Frühstück. Es gab dort zwar einen Replikator, doch Valand bevorzugte es, sich sein Frühstück frisch zuzubereiten. Dasselbe galt für den echten Bohnenkaffee, den er sich aufbrühte. Das replizierte Zeug trank er nur wenn er nichts anderes bekommen konnte. Nach dem Frühstück, welches er mit Genuss verspeiste, schritt er mit der zweiten großen Tasse Kaffee durch den freundlich eingerichteten Wohnraum, öffnete die Balkontür und trat hinaus an die frische Morgenluft. Es war einer jener klaren, kalten Herbsttage, die er liebte, seit er zurückdenken konnte. Ein leises gelegentliches Summen das von den zahlreichen Gleitern und Shuttles stammte, die über der Stadt unterwegs waren und dass nie ganz zu verstummen schien, erfüllte den azurblauen Himmel. Valand legte seine Hände um die Kaffeetasse und trat an die Brüstung, um hinunter zur Bucht zu blicken. Gelegentlich einen Schluck Kaffee nehmend ließ er seine Gedanken Karussell fahren. Für einen Moment schienen ihm die letzten Monate, seit er die ALAMO verlassen hatte, beinahe unwirklich, so als habe er sie nur geträumt und würde sich immer noch an Bord des Schiffes befinden. Valand sog die kalte Luft ein und fröstelte leicht. Der Moment verging so rasch wie er gekommen war und der Norweger schüttelte den Kopf ob seiner völlig absurden Gedankengänge. Erneut trank er von seinem Kaffee und die Erinnerungen an die letzten Jahre kamen und gingen. Es war nun bereits zwei Jahre her, doch das Gesicht der romulanischen Frau, die er im Frühjahr 2365 nahe der Romulanisch-Neutralen-Zone kennengelernt hatte stand ihm klar vor Augen. Sie war Sublieutenant an Bord der I.R.W. TERIX gewesen. Eine Frau mit messerscharfem und analytischem Intellekt. Außerdem war sie außerordentlich hübsch. Seltsamerweise war es gerade diese fremde Frau gewesen, die ihm damals vor Augen geführt hatte, wie unsinnig es gewesen war, dass er sich die Schuld an Ahy´Vilaras Tod gegeben hatte. Für einige Wochen hatte er sie als Austauschoffizier an Bord der ALAMO gehabt – danach hatten sie sich an Bord der romulanischen Werftstation über Cheron regelmäßig gesehen. Sie hatten sich, auf den Tag genau, vor zwei Jahren von einander verabschiedet. Valand Kuehn fragte sich, was aus ihr geworden sein mochte. Er hoffte, dass es ihr gut ging, und dass die Kameradschaft, die sie beide für einander empfunden hatten, vielleicht zu einem neuen Teil ihres Wesens geworden war. Dabei fragte er sich, ob sie gelegentlich auch an ihn zurückdachte, so wie er in diesem Moment an sie. Er trank seine Tasse aus und seufzte leise. Dabei begannen seine Gedanken, sich um eine andere Frau zu drehen. Um eine Frau, die er seit seiner Akademiezeit kannte und mit deren Hilfe er die ALAMO zurück hatte bringen können: Sylvie LeClerc. Die quirlige und mitunter sehr emotionale Französin war an Bord der ALAMO, nach der Katastrophe, nicht nur seine rechte Hand gewesen, sondern weit mehr als das. Jedes mal, wenn er, so wie in diesem Moment, darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass er ohne sie die fast übermenschliche Aufgabe, das schwer angeschlagene Raumschiff mit den wenigen Überlebenden zur Erde zurück zu bringen, niemals gemeistert hätte. Die Tatsache, sie stets um sich zu haben, war ihm in den letzten Jahren so selbstverständlich geworden, dass der Umstand, sie nun nur noch gelegentlich zu Gesicht zu bekommen, ihn zunächst verwirrt hatte. Für eine Weile war er Gast auf dem Weingut ihrer Eltern, in Frankreich, gewesen. Erst nachdem er sein Apartment in San Francisco bezogen hatte, war ihm bewusst geworden, wie sehr ihm Sylvies Anwesenheit fehlte, und auch die Tatsache, dass er mit Tamari zusammen war, konnte diese Erkenntnis nicht verdrängen. Valand seufzte schwach. Momentan war Sylvie, im Auftrag des Stabschefs, in der Planungsabteilung der Antares-Flottenwerft eingebunden. Sie hatte ihm verraten, dass sie an der Entwicklung einer neuen Art von Runabout mitarbeitete. Voraussichtlich würde sie erst wieder auf der Erde sein, wenn er bereits an Bord der AKIRA weilte, sollte er das Angebot annehmen. Der Norweger atmete tief durch und sah in die Ferne, ohne wirklich etwas zu sehen. Wenn er in sich hinein horchte, so kannte er bereits die Antwort. Allein der Gedanke, als Erster Offizier auf einem Kreuzer einer brandneuen Schiffsklasse zu dienen, verursachte bei ihm jenes Magenkribbeln, bei dem er spürte, dass er so war wie Alloran Veron. Einige Monate lang hatte er die Augen davor verschlossen, doch heute Morgen, nachdem er aus seinem Albtraum erwacht war, hatte er sich der Erkenntnis nicht länger verschließen können. Er war ein Lebenslänglicher – daran führte kein Weg vorbei, und er würde erst wieder vollkommene Zufriedenheit verspüren, wenn er zwischen den Sternen unbekannten Zielen und Ereignissen entgegen flog. Tamari würde sicherlich nicht begeistert sein, wenn er ihr heute Nachmittag seinen endgültigen Beschluss bekannt gab. Der Türsummer riss ihn abrupt aus seinen Gedanken, und seine Miene hellte sich zusehends auf. Eilig verließ er den Balkon, durchquerte den Wohnbereich und befahl dem Service-Computer, als er die Diele erreichte: „Schott öffnen.“ Wie erwartet stand ein athletischer Andorianer, in der rot abgesetzten Uniform eines Offiziers der Sternenflotte, vor dem Eingang. Mit pantherhaft erscheinenden Schritten kam der Senior-Lieutenant herein, wobei sich seine Antennen auf Valand richteten. Beide Männer blieben vor einander stehen und maßen sich für einen Augenblick, bevor sie einander herzlich umarmten. Dabei fragte der Norweger bewegt: „Tar´Kyren, es ist wunderbar, dich wiederzusehen.“ „Ja, das ist es wirklich“, antwortete der Andorianer nicht weniger erfreut, als der Norweger. „Es gab Zeiten, da hatte ich beinahe die Hoffnung verloren, jemals wieder etwas von dir zu hören, oder zu sehen. Entschuldige, wenn ich das so formlos sage, aber deine Emotionen sind geradezu schmerzhaft überwältigend.“ Valand Kuehn wusste um die empathischen Fähigkeiten seines Freundes, bei körperlichem Kontakt aber im Moment hatte er dies im Überschwang vergessen. Mit entschuldigendem Blick trennte er sich von dem Freund, trat einen halben Schritt zurück und meinte: „In meiner Freude hatte ich nicht daran gedacht, Tar.“ Ohne es zu merken verfiel er in die vertrauliche Kurzform des andorianischen Namens, die er sich bereits in den Tagen der Akademie angewöhnt hatte. „Da du dich wirklich über meine Anwesenheit freust, werde ich es dir nachsehen“, erklärte der Andorianer schmunzelnd. Dann wurde seine Miene ernst und er fragte: „Ist es wirklich wahr, dass deine Frau bei der Mission der ALAMO ums Leben kam. Du hattest das in deiner letzten Nachricht an mich anklingen lassen, aber ich kann es kaum fassen.“ Valand nickte schwach. „Leider ist es wahr. Komm, wir machen es uns im Wohnraum gemütlich und ich erzähle dir, wie es mir in der Zeit meiner Abwesenheit ergangen ist. Möchtest du vielleicht einen frisch aufgebrühten Kaffee?“ Die Antennen des Andorianer spreizten sich. „Gerne.“ Valand wies Tar´Kyren den Weg, bevor er in die Küche abbog. Als er den Wohnraum betrat hatte der Andorianer bereits in einem der dunklen Ledersessel Platz genommen. Der Norweger stellte eine große Tasse Kaffee vor dem Freund auf die Glasplatte des niedrigen Tisches ab und setzte sich ihm gegenüber in den zweiten Sessel. Einen Moment lang blickten sich die Freunde stumm an, bevor Valand damit begann von seinen Erlebnissen auf der ALAMO zu berichten. Im Gegensatz zu seinem Besuch auf Andoria, ließ er diesmal keine Details aus, und so erntete er zweimal einen leicht ungläubigen Blick des Freundes. Nachdem Valand schließlich geendet hatte, machte Tar´Kyren Dheran ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich fragte er langsam: „Du und LeClerc – ihr scheint euch zum Ende hin sehr gut verstanden zu haben, wie mir scheint. Was du mir von ihr erzählt hast, lässt mich vermuten, dass sie sich wirklich zu einem hervorragenden Offizier entwickelt hat.“ „Oh, komm schon, Tar. Sie heißt Sylvie. Ich finde es albern, dass du sie immer noch nicht beim Vornamen nennen willst.“ Die Antennen des Andorianers bogen sich ärgerlich nach Innen. „Du weißt warum, und was ich nach Elisabeth Dane´s Geburtstag geschworen habe.“ Ein ärgerlicher Zug erschien auf dem Gesicht des Norwegers. „Ja, du verdammter Dickschädel, und du weißt, was ich dazu gesagt habe. Herrje, die Sache liegt nun fast zehn Jahre zurück, Tar.“ Er blickte in die undurchdringliche Miene des Freundes und meinte dann resignierend: „Okay, du machst ja doch, was du dir in den Kopf gesetzt hast, also reden wir nicht mehr darüber.“ Der Andorianer nickte zustimmend und wechselte das Thema: „Deine letzte Nachricht enthielt einen Hinweis darauf, dass du hier auf der Erde eine Frau kennengelernt hast, mit der du zusammen bist.“ „Ja, Tamari. Sie stammt aus Kyoto in Japan und sie ist Datenanalytikerin im HQ der Sternenflotte.“ Die Antennen des Andorianers richteten sich auf Valand. „Interessant. Und wie heißt diese Tamari weiter?“ „Wer.“ „Die Frau, mit der du zusammen bist.“ „Wer...“ „Das Japanmädchen!“ „Wer...!“ Unaufhaltsam bogen sich die Antennen des Andorianers nach Innen und ein verärgerter Zug erschien erneut auf seinem Gesicht. „Sag es doch, wenn du es mir nicht erzählen willst.“ „Aber ich sage es dir doch“, erklärte Valand seinerseits etwas verwundert wegen der rätselhaften Reaktion seines Freundes. Tar´Kyren musterte den Freund eindringlich. Dann fragte er erneut: „Also: Wer ist deine neue Freundin?“ „Das ist korrekt“, antwortete Valand erleichtert. Doch der Ärger des Andorianers legte sich nicht. Etwas lauter fauchte er: „Verdammt, das ist es, was ich gefragt habe!“ „Nein, das ist es, was ich dir gerade erzähle.“ Der Andorianer machte ein wenig geistreiches Gesicht und fragte erneut: „Wer?“ „Richtig.“ Die Antennen des Andorianers begannen eine wilden Tanz zu vollführen, während er entsagungsvoll erwiderte: „Valand, ich verstehe den Gag an diesem Scherz von dir nicht. Ich frage dich nach Tamaris Namen, und du fragst mich jedes mal, wer gemeint ist.“ Für einen Moment lang blieb Valand Kuehn wie vom Donner gerührt sitzen. Dann begann er schallend zu lachen, und erklärte prustend: „Jetzt verstehe ich das erst einmal. Ich habe auf deine Frage nicht wer gefragt – ich habe dir ihren Nachnamen genannt. Ihr Nachname ist WER. Sie heißt Tamari Wer.“ Verstehen glomm endlich in den blau-violetten Augen des Andorianers auf, und dann fiel er in das breite Grinsen des Freundes mit ein. „Ich muss schon sagen, dass ihr Menschen manchmal sehr komische Namen habt. Tamari Wer also. Ist es etwas Ernstes?“ Übergangslos schwand das Lächeln vom Gesicht des Norwegers. „Ich möchte mit ihr zusammen sein, Tar. Aber ich fürchte, dass sie nicht sehr begeistert sein wird, wenn ich ihr nachher mitteilen werde, dass ich mich dazu entschieden habe, das Kommando, als Erster Offizier an Bord des neuen Kreuzers AKIRA, anzunehmen. Sie bat mich einige Male, es mir zu überlegen und einen Posten im Stab anzunehmen.“ Das Gesicht des Andorianers sprach Bände. „Das würdest du doch kein Jahr aushalten, Valand. Ein eigenes Kommando an Bord eines Sternenflottenschiffes – das war immer dein Ziel, wie du mir auf der Akademie einmal gesagt hast. Und ich glaube, dass sich dies nicht geändert hat. Ich habe das Aufleuchten in deinen Augen gesehen, als du von der AKIRA gesprochen hast. Du wirst Erster Offizier auf einem tollen neuen Schiff der AKIRA-KLASSE. Zum Captain eines eigenen Raumschiffes ist es für dich nur noch ein Schritt.“ Valand Kuehn schmunzelte, ob der Begeisterung seines Freundes. Doch er wusste, tief in seinem Innern, dass er mit jedem seiner Worte Recht hatte. Diese letzte Bestätigung seines Freundes festigte seinen bereits gefassten Entschluss. „Du hast Recht, Tar. Ich werde nicht eher zufrieden sein, bis ich wieder zu den Sternen fliegen kann. Ich fürchte nur, Tamari dies mitzuteilen wird nicht leicht. Mir liegt sehr viel an ihr und ich möchte sie wirklich nicht verletzen, mein Freund.“ „Hast du Tamari von dem Angebot der Sternenflotte erzählt, bevor ihr zusammengekommen seid?“ Valand Kuehn nickte. „Gleich bei unserem ersten Date.“ „Dann wusste sie, worauf sie sich mit dir einlässt.“ Der Norweger lächelte gezwungen. „Ja, das wusste sie. Aber gelegentlich hoffen Menschen darauf, dass sich die Dinge anders entwickeln, als es wahrscheinlich ist. Und das nehme ich Tamari ganz bestimmt nicht übel, denn es zeigt doch, dass ihr wirklich etwas an mir liegt, nicht wahr.“ Der Andorianer spreizte seine Antennen. „Es wird Tränen geben schätze ich.“ „Nicht zu knapp“, orakelte Valand düster. Doch ich merke bereits jetzt, dass ich schon viel zu lange auf der Erde weile. Weißt du, Tar – ich war auf eine ganze Menge vorbereitet, als ich zur Sternenflotte ging, aber nicht darauf, dass einmal der Punkt kommt, an dem es mich zwanghaft von der Erde wegziehen wird. Auf der Erde nennen wir das Fernweh, und es ist, meiner Meinung nach, dasselbe wie Heimweh, nur in die andere Richtung.“ Tar´Kyren Dheran nickte verstehend und seine Antennen richteten sich dabei auf seinen Freund. „Ich kenne dieses Gefühl, das du da beschreibst, sehr gut. Ich frage mich, ob es sein kann, dass es Wesen bestimmt ist zeitlebens zwischen den Sternen zu leben, statt auf einem friedlichen, idyllischen Planeten, um dort eine Familie zu gründen.“ Valand Kuehn sah an dem Andorianer vorbei und sagte mit seltsam abwesender Stimme: „Vielleicht kommt die Zeit, wo wir uns nichts weiter wünschen als das – aber im Moment ist es nicht so. Ich muss weg von der Erde, wieder hinaus zwischen die Sterne, das spüre ich mit jeder Faser meines Seins.“ Für eine Weile schwiegen beide Männer. Dann meinte der Andorianer: „Du hast bisher nichts von deinem Besuch auf Andoria verlauten lassen. Dabei würde mich sehr interessieren, wie dich Nan´Doraan und Varinea Thren empfangen haben. Ich hoffe sehr, dass ihr nicht im Zorn auseinander gegangen seid.“ Valand lächelte und hob beruhigend seine Hände. „Nein, meine Befürchtungen in dieser Hinsicht waren unbegründet. Beide haben mir klar gemacht, dass ich jetzt allein die Stelle für sie einnehmen, die zuvor Ahy´Vilara und ich gemeinsam in ihren Herzen eingenommen hatten. Am Tag nach meiner Ankunft haben wir eine Phiole mit dem Blut meiner verstorbenen Frau zur Mauer der Helden gebracht, und im Eis vergraben. Ich hätte mir nur gewünscht, dass ich diesen Teil der Mauer niemals zu Gesicht bekommen würde. Als mir Nan´Doraan und Varinea ihre Hände dabei auf die Schultern legten und mich als ihren Sohn bezeichneten, da hätte ich beinahe losgeheult wie ein Baby.“ Tar´Kyrens Antennen richteten sich auf bei seinen Worten. Mitfühlend erklärte er: „Dafür, dass du einen Teil von Ahy´Vilara, trotz aller Widrigkeiten, nach Andoria zurück gebracht hast, werden dir beide ewig Dankbar sein. Dazu zählt für sie natürlich auch, dass du die Kraft gefunden hast zu überleben und die ALAMO mit den Überlebenden zurück zu bringen, damit dies überhaupt erst möglich wurde. Dadurch wirst du in ihrem Ansehen vermutlich weit höher stehen, als du es auch nur entfernt ahnst, Valand. Denn sie werden sich denken können, dass nicht Jeder einen gangbaren Ausweg aus dieser schrecklichen Lage gefunden hätte. In Ihren Augen hast du das Andenken an deine Frau und die andorianischen Traditionen bewahrt. Auch in meinen Augen, trotz dem, was du mir vorhin von dieser Melanie Gerlach erzählt hast, denn zu diesem Zeitpunkt lebte Ahy´Vilara nicht mehr. Darum kann es in diesem Fall auch keine Untreue gegeben haben, wie du vielleicht denken magst.“ Die Augen des Norwegers begannen feucht zu schimmern. „Aber es hat sich damals so angefühlt, Tar. Darum konnte ich auch meinen Schwiegereltern nichts davon erzählen. Und Melanie wird es in Bezug auf ihren Mann kaum anders ergehen.“ Tar´Kyren Dheran erhob sich und schritt zu dem Freund. Mit einer Geste der Verbundenheit legte er seine rechte Hand auf dessen rechte Schulter und sagte ernst: „Es gibt ein Sprichwort auf Andoria, welches besagt, dass das Eis manche Dinge für die Ewigkeit einschließt. Quäle dich deswegen also nicht selbst, sondern schließe es auf ewig ein.“ Valand erhob sich und packte seinen Freund spontan bei den Schultern. „Ich bin wirklich froh, dass das Schicksal mich einen Freund, wie dich, finden ließ.“ „Darüber stolpern ließ wäre wohl passender“, scherzte der Andorianer, der sich an ihre erste Begegnung auf dem Campus der Sternenflottenakademie erinnerte. „Ja, das trifft es eher“, lachte Valand. „Aber nun erzähle mal, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist. Ich habe gehört, dass man dir den CP verpasst hat. Sylvie war ganz aus dem Häuschen, weil du das vor uns geschafft hast.“ Tar´Kyren grinste schief. „Ich wollte, es wäre unter anderen Umständen geschehen. Mittlerweile weißt du von dem verheerenden Angriff der Borg auf die Erde. Damals konnte der Captain der ENTERPRISE, ein gewisser Jean-Luc Picard, zusammen mit seiner Crew, das Schlimmste von der Erde abwenden. Zuvor kam es bei Wolf-359 zu einem Gefecht mit dem Borgkubus. So etwas hast du noch nicht gesehen, Valand. Das Raumschiff dieser halb-kybernetischen Wesen hatte eine Kantenlänge von drei Kilometern, wobei die Seitenflächen so ausgesehen haben als würden sie sich aus unzähligen Fragmenten zusammensetzen. Ein schiffsbaulicher Albtraum – und ein militärischer. Unsere Raumschiffe hatten nicht die geringste Chance gegen dieses Ding. Bereits während des ersten Anfluges wurde die MIDWAY heftig getroffen. Die Führungsoffiziere starben bei diesem Angriff und es war nichts als Zufall, dass ich nicht auch unter den Opfern war. Also übernahm ich das Kommando über das Schiff und organisierte die mir verbleibende Crew neu. Zusammen mit zwei leicht beschädigten Schiffen der EXCELSIOR-KLASSE gelang es mir, einen gemeinsamen Entlastungsangriff auf den Borg-Kubus zu koordinieren. Gemeinsam haben wir es geschafft, die schwer beschädigte WELLINGTON - ein Schiff der AMBASSADOR-KLASSE - aus der Hauptkampfzone zu schleppen und mehr als 250 Flottenangehörige vor dem sicheren Tod zu bewahren, bevor das Schiff letztlich aufgegeben werden musste.” Valand, der stumm zugehört hatte, nickte mit versteinerter Miene. Dann meinte er mit etwas melancholischem Unterton: „Und du wolltest Wissenschaftler werden.” „Ja, sehr ulkig, nicht wahr?“ Valand nickte ironisch. Der melancholische Anflug verging, und schließlich meinte er zu Tar´Kyren, während er zum Computerterminal hinüber schritt: „Entschuldige mich für einen Moment, mein Freund, ich werde der Sternenflotte meinen Entschluss mitteilen.“ Der Freund nickte und beobachtete Valand bei seinem Tun. Als er, mit sichtlicher Erleichterung, zu ihm zurückkehrte, sagte der Andorianer: „Hey, du weißt es ja noch gar nicht: Meine Schwester ist jetzt im dritten Jahr an der Sternenflottenakademie. Sie studiert dort Medizin.“ „Oh, je. Was haben deine Eltern dazu gesagt?“ Der Andorianer schmunzelte unmerklich. „Mein Vater war nicht begeistert, dass sie in meine Fußstapfen tritt, aber Tia´Lynara hat ihren eigenen Kopf.“ „Und du wirst sie tatkräftig unterstützt haben“, versetzte Valand trocken. „Natürlich, sie ist meine kleine Schwester. Übrigens hat sie sich zu einer sehr hübschen jungen Frau entwickelt. Du solltest sie mal sehen.“ Der Stolz in Tar´Kyrens Stimme war unüberhörbar. Valand nickte amüsiert. „Sie war schon als kleines Mädchen niedlich. Hat sie immer noch diese kecke Art?“ „Ja, leider“, knurrte der Andorianer, gespielt finster. „Vermutlich muss ich einigen männlichen Kadetten ihre verdrehten Köpfe gerade biegen, bevor sie die Akademie abgeschlossen haben wird.“ „Autsch“, lachte der Norweger. „Aber ich vermute, dass deine Schwester das notfalls auch allein schaffen wird. Und jetzt komm, ich erzähle dir davon, wie es war, John McTiernan und T´Rian wiederzusehen.“ Tar´Kyren Dheran nickte knapp und gemeinsam machten sie es sich wieder im Wohnraum gemütlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)