Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 26: Christines Opfer ---------------------------- „Für blutigen Mord sei blutiger Mord! Wer tat, muss leiden! So heißt das Gesetz in den heiligen Sprüchen der Väter.“ Aischylos, griechischer Tragödiendichter Die Tage waren irgendwie ziemlich schnell an Sam vorübergegangen und auch die Arbeit lief wunderbar voran. Er chattete ab und zu mit Bonnie, traf sich mit Harvey und besprach mit ihm die weiteren Schritte. Und wenn er mal etwas Freizeit hatte, half er in der Werkstatt aus, da Araphel bis zum Hals in Arbeit steckte und kaum Zeit hatte. Christine hatte immer was zu tun für ihn und mit ihr machte es auch wirklich Spaß. Inzwischen war sie eine wirklich gute Freundin geworden und war so ziemlich für jeden Spaß zu haben. So zum Beispiel als sie eines Abends vorgeschlagen hatte, eine Strippokerrunde zu machen, wobei als Bedingung gesetzt wurde, dass Prothesen als Kleidungsstück gezählt werden. Hinterher war es dann aber doch beim normalen Pokern geblieben und die Rothaarige zockte einen nach dem anderen erbarmungslos ab. Schließlich aber, als sie alle gemeinsam am Freitagmorgen beim Frühstück zusammensaßen und sogar Araphel dabei war, hatte Christine eine Idee, die sie den anderen sogleich auch mitteilte. „Heute findet eine Oldtimerausstellung statt. Da würde ich wahnsinnig gerne hin und ich werde bei der Gelegenheit auch Yin und Asha mitnehmen. Hat jemand Lust, vielleicht mitzukommen?“ Erwartungsvoll ließ sie den Blick durch die Runde schweifen, doch so wirklich schien niemand Lust darauf zu haben. Zumindest galt das für Morphius und Dr. Heian, die mit so etwas nichts am Hut hatten. Morphius erklärte direkt, dass er anderes zu tun habe und der Arzt betonte, dass er sich eine „besser geeignete Art der Zerstreuung vorstellen konnte als sich auf einer überfüllten Veranstaltung Fahrzeuge aus längst vergangener Zeit anzusehen“. Araphel steckte bis zum Hals in Arbeit und musste passen, dafür aber meldete sich Sam gerne, der sich das schon vorstellen konnte. So etwas klang schon sehr interessant und es würde sicherlich ein toller Ausflug werden. Nun aber meldete sich Araphel zu Wort, der da wohl gewisse Bedenken hatte. „Wenn ihr auf so eine öffentliche Veranstaltung geht, will ich, dass jemand zusätzlich zu eurer Sicherheit mitkommt.“ „Och nee“, kam es von Christine, die alles andere als begeistert war. „Wir gehen auf eine Oldtimerausstellung und nicht nach Chinatown.“ „Trotzdem will ich, dass jemand mitgeht“, erklärte Araphel dieses Mal mit deutlich mehr Nachdruck in der Stimme. „Es besteht immer noch eine gewisse Gefahr, auch wenn Shen immer noch in Shanghai ist. Darum will ich, dass Owen euch begleitet.“ „Was?“ platzte es aus Christine heraus. „Du willst allen Ernstes, dass wir Owen mitnehmen? Der Typ ist ein Arsch!“ „Er wird zu eurer Sicherheit mitkommen und damit basta“, erklärte Araphel, der keinerlei Diskussion zuließ. „Und wenn er nicht mitgeht, dann geht keiner von euch zu der Ausstellung.“ „Wir sind doch keine Gruppe Kleinkinder“, protestierte die Rothaarige energisch und zog plötzlich eine geladene Beretta hervor, die sie auf den Tisch knallte, wobei sie erklärte „Ich kann mich sehr gut selbst zur Wehr setzen.“ Morphius und Dr. Heian, die diese Diskussion eher unfreiwillig mitverfolgten, schüttelten nur schweigend den Kopf darüber und sagten nichts weiter dazu. Sam sah abwechselnd zwischen den beiden Streithähnen und kam sich irgendwie vor wie in einer typischen Familienszene, wo der Vater seiner rebellischen 16-jährigen Tochter sagte, sie dürfe abends nicht allein auf eine Party, weil es zu gefährlich für sie war. Ja, das Bild passte eindeutig besser als das eines großen Bruders, der um seine Schwester besorgt war. Und irgendwie war die Vorstellung doch recht amüsant, vor allem weil Christine ein Jahr älter als Araphel war. Er konnte beide Seiten gut verstehen. Araphel war besorgt, dass ihnen etwas passieren konnte. Und Christine, die auch mal ein freies Leben führen wollte und keine Lust hatte, immer nur eingeengt und bewacht zu werden, konnte er genauso gut verstehen. Tja, letztendlich würde es wohl an ihm liegen, zwischen den beiden zu vermitteln. „Hey, jetzt ist doch mal gut“, meldete er sich. „Ihr beide habt ja Recht. Warum belassen wir es nicht dabei, dass wir einen Aufpasser mitnehmen, der zurückhaltend ist und uns unseren Spaß lässt? Dann haben beide was davon und die Sache ist geregelt.“ „Eigentlich ein guter Vorschlag“, stimmte Asha kopfnickend zu. „Es nützt doch eh nichts, die ganze Zeit herumzudiskutieren und zu zanken, wer denn jetzt Recht bekommt und wer nicht. Wenn Owen verspricht, sich nicht wie die absolute Spaßbremse aufzuführen, dann können wir ihn mitnehmen. Ich würde so eine Ausstellung echt ungern verpassen.“ „Wer ist denn eigentlich Owen?“ fragte Sam schließlich und bekam sogleich eine Antwort von Morphius. „Das ist einer von Araphels Leibwächtern. Wenn extern Treffen oder Geschäftsabwicklungen stattfinden, haben die Bosse und Unterbosse mindestens einen Bodyguard bei sich. Immerhin sind sie ganz hohe Tiere und müssen immer mit Mordanschlägen rechnen. Owen ist einer von der knallharten Sorte und war früher mal MMA-Champion.“ „Und er ist ein Arsch“, fügte Christine hinzu, die ziemlich in ihrer Meinung festgefahren war, dass sie keinen Bodyguard benötigten. Aber letzten Endes wurde dann doch entschieden, dass sie diesen Owen mitnehmen mussten. Nach dem Frühstück machten sie sich fertig für die Abfahrt. Bevor es losging, musste Christine noch mal Yins Beinprothesen nachjustieren, da diese ein wenig klemmten und sie deshalb beim Gehen humpelte. Während sie an dem Kniegelenk schraubte, stand Araphel dabei, der ihr direkt in die Werkstatt gefolgt war. „Es ist nicht so, dass ich dir etwas Böses will“, erklärte er. „Aber ich habe ein ungutes Gefühl.“ „Du machst dir zu viele Sorgen“, wandte Christine ein. „Ich bin schon oft genug alleine unterwegs gewesen, wenn Shen in Shanghai war und da hattest du nie so einen Aufstand gemacht.“ „Das weiß ich. Aber ich habe mich bisher immer auf mein Gefühl verlassen können. Schon als Ahava entführt wurde, hatte ich ein mieses Gefühl und ich will einfach Gewissheit haben, dass dieses Mal nichts passiert.“ Christine seufzte und wusste nicht, was sie am besten dazu sagen sollte. Auf der einen Seite rührte es sie ja, dass Araphel sich so um sie sorgte. Aber andererseits tat es ihr auch weh, weil sie wusste, dass er sich nur deshalb so um sie sorgte, weil er in ihr seine verstorbene Schwester sah. Auch wenn sie ihn wirklich gern hatte und nicht mit ihm streiten wollte, sie musste ihn von sich stoßen, weil sie ihm sonst nur wehtun würde. Doch egal wie sehr sie ihm auch zuredete und versuchte, ihm klar zu machen, dass sie nicht wie seine Schwester war, es würde nichts bringen. Araphel hatte diese Tragödie nie verkraftet und versuchte immer noch, Ahava zu retten, auch wenn sie schon lange tot war. Der Mafiaboss schien zu ahnen, was in ihrem Kopf vor sich ging und sprach sie direkt darauf an. „Was genau ist mit dir los? Bist du wegen irgendetwas wütend oder ist es wegen mir?“ „Nein, ich bin nicht wütend auf dich“, erklärte Christine und begann nun die Schrauben festzudrehen. „Im Gegenteil. Ich… ich mag dich wirklich, Araphel. Du und die anderen seid meine Familie. Ihr bedeutet mir alles, aber… ich kann nicht mit ansehen, wie du leidest, vor allem meinetwegen. Ich brauche keinen Beschützer oder großen Bruder, ich brauche einen guten Freund, der für mich da ist und mit dem ich mal abends am Auto schrauben, mit dem ich ab und an Pokern oder einfach nur zusammen mit ihm da sitzen und ein Bier trinken kann. Aber du kannst in mir keine Freundin sehen. Du siehst immer nur den Spiegel deiner Fehler und eine Tragödie, die du ungeschehen machen willst. Glaubst du wirklich, Ahava hätte gewollt, dass du so leidest?“ Als Christine diese Worte sprach, drängte sich ein Bild in ihr Gedächtnis zurück. Ein sehr unscharfes und unvollständiges Fragment einer Erinnerung, die sie tief in ihrem Unterbewusstsein verborgen gehalten und ins Vergessen gedrängt hatte. Ein schreckliches Bild verbunden mit einer schmerzlichen Erkenntnis, welche Schuld sie sich da aufgeladen hatte. „Ahava wollte dir nicht noch mehr Kummer bereiten und sie wusste genau, dass du allein wegen ihr so leidest.“ „Was?“ Nun ließ Christine ihr Werkzeug sinken und richtete sich wieder auf. Sie wich Araphels Blick aus und man sah deutlich, dass ihr etwas auf der Seele lastete. Doch sie schwieg und wollte gehen, aber Araphel ließ das nicht zu und hielt sie fest. „Was meinst du damit?“ fragte er. „Hat Ahava dir etwas gesagt, bevor sie gestorben ist?“ „Sie wusste, wie schlecht es dir geht und sie hatte sich schon längst aufgegeben. Sie wollte sich nicht mehr helfen lassen und sie wollte sterben, weil sie sich selbst und auch dich von diesem Leid erlösen wollte. Was glaubst du wohl, wie Ahava in ihrem Zustand überhaupt Selbstmord begehen konnte, so schwach und ausgemergelt wie sie war?“ Nun war die Rothaarige laut geworden und riss sich von Araphel los. Ihre Unterlippe begann zu zittern und sie wurde blass. „Ich konnte nicht mit ansehen, wie sie jeden Tag litt und zugrunde ging. Sie war doch schon innerlich tot und sie wollte mit diesen Erinnerungen nicht mehr leben.“ „Was hast du getan, Christine?“ fragte Araphel und ihm war anzusehen, wie sehr ihn das vor allem emotional mitnahm. Doch Christine nahm darauf keine Rücksicht. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie wusste, dass sie es tun musste, um diesem ganzen Elend endlich ein Ende zu bereiten. „Ich habe sie nur von dem erlöst, was sie so gequält hat und sie von dieser Hölle gerettet, in der sie innerlich gefangen war. Ich habe sie er…“ Eine Sicherung brannte in Araphel durch und die Ohrfeige traf Christine ins Gesicht. Die Kraft, die dahintersteckte, war so groß, dass sie zurückstolperte und fast zu Boden fiel. „Du hast was?“ rief Araphel fassungslos. „Du hast meine Schwester erschossen? All die Jahre hast du mich in dem Glauben gelassen, sie hätte sich das Leben genommen und darüber geschwiegen? Wie kannst du mir das antun? Ich dachte, ich könnte dir vertrauen!“ Christine kämpfte innerlich mit sich und versuchte die entsetzliche Angst die sie vor diesen schrecklichen Erinnerungen verspürte, zu verdrängen und bei der Sache zu bleiben. Sie durfte sich nicht von diesen furchtbaren Bildern beherrschen lassen, geschweige denn in Tränen ausbrechen. Auch wenn Araphel sie von nun an bis an ihr Lebensende hassen würde, sie musste das jetzt durchziehen, um ihn endlich von dieser Qual zu befreien. Und wenn sie ihm diese Geschichte erzählen musste… dass sie Mitschuld an Ahavas Tod trug, war ja nicht gelogen, auch wenn sie sie nicht erschossen hatte. Aber lieber erzählte sie ihm das, als wenn sie ihn noch weiter in den Glauben ließ, dass Ahavas Tod seine Schuld war. „Ahava hätte es nie übers Herz gebracht, jemanden zu bitten, sie von ihrem Leid zu erlösen, besonders nicht dich. Und da sie meine beste Freundin war, da war es nun mal meine Aufgabe, ihr zu helfen.“ „Du…“ Araphel erhob erneut die Hand, als wollte er noch mal zuschlagen. Christine stand da, wartete und bereitete sich auf den Schlag vor, doch dieser folgte nicht. Stattdessen ließ der Mafiaboss die Hand sinken, wandte sich ab und sagte nur „Wag es bloß nicht, mir noch mal unter die Augen zu treten. Du bist für mich gestorben“, bevor er die Werkstatt verließ. Als er gegangen war, presste Christine eine Hand auf ihre schmerzende Wange und unaufhörlich flossen Tränen ihre Wange hinunter. Viel mehr als der Schlag schmerzte der Stich in ihrem Herzen, dass sie Araphel so etwas hatte antun müssen. Aber es war besser, dass er sie von nun an hasste, als dass sie ihn immer wieder aufs Neue an Ahava erinnerte, die er nicht retten konnte. Manchmal war eine Lüge, die ein Leben erhielt, eben besser als eine Wahrheit, die ein Leben zerstörte. Doch dieser Schmerz hielt nicht lange an. Denn schon breitete sich wieder der trügerische Nebel des Vergessens in ihrem Bewusstsein aus und verbarg all diese schlimmen Bilder und das Gespräch, das sie mit Araphel geführt hatte, hinter einem dichten Schleier. Und so kam es, dass Christine, als sie die Werkstatt zusammen mit Yin verließ, alles vergessen hatte, was gerade eben noch passiert war und wieder ein fröhliches Lächeln auf den Lippen hatte, als sie zusammen mit Yin zu den anderen zurückkehrte, um sie für die Ausstellung abzuholen. Es war ein sonniger und warmer Tag und kein Wölkchen vermochte den Himmel zu trüben. Ein perfektes Wetter für einen Oldtimertreff. Christine hatte es sich nicht nehmen lassen, ihren heiß geliebten Plymouth Fury, den sie in tagelanger und intensiver Arbeit von den letzten Schäden repariert hatte, aus der Garage zu holen und damit zur Ausstellung zu fahren. Da der Platz im Fury begrenzt war, fuhr Asha zusammen mit Sam im Hudson Hornet. Dabei fragte der Detektiv verwundert, wie Asha es denn schaffte, mit zwei Beinprothesen Auto zu fahren. „Das sind hochmoderne Prothesen“, erklärte der Chinese. „Sie reagieren auf die elektrischen Impulse im Nervensystem und so können sogar die Zehen in einem gewissen Grad bewegt werden. Diese Prothesen sind verdammt teuer und stecken noch in den Kinderschuhen, aber Christine hat mit Dr. Heians Hilfe die entsprechenden Materialien besorgt und sie quasi selbst gebastelt. Sie funktionieren wirklich gut, fast schon wie richtige Gliedmaßen, nur mit dem Unterschied, dass sie ab und zu mal klemmen. Deshalb müssen sie regelmäßig nachjustiert werden. Aber zumindest können wir vernünftig damit laufen.“ Als sie nach einer knapp viertelstündigen Fahrt die Ausstellung erreichten, mussten sie schnell feststellen, dass die Ausstellung recht gut besucht war und da sie selbst mit restaurierten Oldtimern da waren, konnten sie auf einen Extraparkplatz fahren. Als sie ausstiegen, war bereits ziemlich viel los und vor allem Christine war anzusehen, wie sehr sie sich freute, hier zu sein und da schien es ihr auch im Moment auch vollkommen egal zu sein, dass sie einen Aufpasser dabei hatten. Dieser war im Fury mitgefahren und dieser Owen war wirklich ein Mordskerl. Mit knapp 1,90m Körpergröße und Armen wie Baumstämme sah er so aus, als hätte er eine Zeit lang als Profi-Wrestler gearbeitet. Und seine Miene verriet, dass er nicht einmal einen Grund brauchte, um jemanden zu Brei zu schlagen. Sam empfand wirklich Respekt vor diesem Kerl und mit Sicherheit machte dieser Owen einen ziemlich guten Job. Mit ihm würde sich Sam sicher nicht anlegen wollen. Naja, zum Glück war Owen ja zu ihrem Schutz da. „Oh mein Gott!“ hörte er Christine rufen, die, kaum dass sie den Parkplatz verlassen hatte, sofort zu einem der Wagen hinrannte, so schnell wie es ihre Prothese zuließ. Ihr Ziel war ein Ferrari 250GT California Spider SWB aus dem Jahre 1962. Ein wirklich prachtvolles Cabriolet, dessen rote Farbe in einem wunderschönen Rot leuchtete, wie man es von Autos aus dieser Zeit kannte. Fast dasselbe leuchtende Rot wie Christines Fury, der auch von einigen Oldtimerbegeisterten bewundert wurde, ebenso wie der Hudson Hornet. Sams Interesse hingegen galt einem deutlich älteren Modell, das eigentlich schon als Antiquität durchgehen konnte, nämlich ein waschechter „Corgi“. Ein Silver Ghost von Rolls Royce, der stolze 100 Jahre auf dem Buckel hatte. Allein daran zu denken, wie viel dieser Wagen erlebt haben musste, ließ Sam wirklich staunen. Zwei Weltkriege hatte das Gefährt überstanden und war in liebevoller Arbeit perfekt restauriert worden. Das waren wirklich wahre Schätze, die hier zu sehen waren. Es war fast schon eine gewisse Ehrfurcht, die er vor diesem Wagen empfand. „Ein echtes Juwel, nicht wahr?“ Sam hob den Blick und sah einen Mann um die vierzig mit platinblondem Haar und Anzug, der direkt zu ihm kam. Sie schüttelten einander zum Gruß die Hand und dabei stellte sich der Mann ihm als Robert Wilson vor. „Ich bin ein Laie, was solche Oldtimer betrifft“, musste Sam mit einem verlegenen Lächeln gestehen. „Aber sie sind jedes Mal wirklich ein beeindruckender Anblick. Es ist kaum zu glauben, wie viel Arbeit in der Restauration stecken muss.“ „Nun, Oldtimer sind sowohl eine Leidenschaft, als auch eine gute Investition. Je älter sie werden, desto mehr steigt auch ihr Wert. Je nachdem wie gut die Restaurationen sind, wie selten der Oldtimer ist und an welche Interessenten man sich wendet, kann man sogar reich werden.“ „Echt? Wie…“ „Sam!“ Christine und die anderen kamen zu ihm herüber und schienen sich wohl auch für den Wagen zu interessieren. Sogleich erkundigte sich Mr. Wilson bei Sam „Ihre Begleitung?“ „So kann man das sagen“, gestand Sam und lachte. „Christine Cunningham repariert leidenschaftlich Oldtimer und hat unter anderem einen Plymouth Fury Baujahr 58 und einen 54er Hudson Hornet. „Ach echt?“ fragte der Besitzer des Corgis erstaunt. „Es ist recht selten, dass Damen für solch ein Hobby zu begeistern sind.“ „Na aber hallo“, rief Christine sogleich und grinste stolz. „Das ist mein Leben. Als KFZ-Mechanikerin weiß man solche Prachtstücke halt zu schätzen und ich muss sagen, der Corgi hier ist wirklich in einem grandiosen Zustand. Ich habe noch nie zuvor einen aus nächster Nähe gesehen. Darf ich?“ Nachdem der Besitzer sein Einverständnis gegeben hatte, begann Christine den Wagen nun gründlich zu inspizieren. Sie setzte sich hinters Steuer und untersuchte sowohl die Armaturen als auch den Fußraum, die Sitzpolster und im Anschluss sah sie sich im Anschluss den Motor des Wagens an. Dabei fragte sie immer wieder ein paar technische Sachen nach, die der Mann ausführlich beantwortete und ab und zu gab es für Sam, Asha und Yin eine kleine Unterrichtsstunde in Sachen KFZ-Mechanik. Schließlich aber hatte der Besitzer des Corgis noch ein interessantes Detail. „Ein Freund von mir ist im Besitz eines Hispania Suiza Alfonso XIII, Baujahr 1913. Allerdings verfügt er nicht über das technische Know-How und hat keine finanziellen Mittel, um ihn zu restaurieren. Der Wagen ist zwar nicht im besten Zustand, ist aber aufgrund der Tatsache, dass es eine Luxuskarosserie ist, eine sehr gute Investition. Ich suche im Auftrag meines Freundes einen Abnehmer für den Wagen, der seinen Wert zu schätzen weiß.“ Allein mit dem Namen des Wagens hatte er Christine schon längst überzeugt. Denn diese hatte so große Augen wie ein Kind, das zur Weihnachtszeit vor einem riesigen Spielzeuggeschäft stand. Ein lebhaftes Funkeln in den Augen verriet, dass sie sich schon längst entschieden hatte, den Wagen zu nehmen, ohne dass es weiterer Diskussionen bedurft hätte. Sie bekam schon fast Schnappatmungen. „Ein Alfonso XIII Baujahr 1913? Wie viel stellt sich Ihr Freund denn als Verkaufssumme vor?“ „Nun, gemäß des unschätzbaren Wertes, den der Wagen besitzt, stellt er sich 10.000$ vor. Sie können sich den Wagen aber gerne ansehen, wenn Sie möchten. Dann können Sie persönlich eine Einschätzung vornehmen.“ Sam schluckte bei dem Preis. Der Wagen war nicht mal restauriert und sollte zehn Riesen kosten? Dann musste es sich entweder um einen Wagen handeln, der noch halbwegs in einem guten Zustand war, oder aber er musste wirklich so wertvoll sein, dass er restauriert einen deutlich höheren Preis erzielen konnte. Auch für Christine war das eine stolze Summe und natürlich bestand sie darauf, dass sie den Wagen vorher genau unter die Lupe nehmen durfte, damit sie wenigstens wusste, wie viel Arbeit und was für Kosten da alles anfallen würden. Denn fest stand, dass so eine Restauration zeitaufwendig und vor allem kostspielig war. Je nachdem welche Teile man benötigte und wie alt der Wagen war. Je älter sie wurden, desto schwieriger wurde es dementsprechend, Ersatzteile zu finden. Darum waren Oldtimer eine sehr gute Anlage, wenn man sie pfleglich behandelte. Natürlich willigte Christine sofort ein, sich den Wagen anzusehen und während sie sich mit dem Corgi-Besitzer unterhielt, bemerkte Sam, dass Yin ein wenig bedrückt aussah. Die hübsche Chinesin war schon die ganze Zeit zurückhaltend und wirkte sehr nachdenklich. Da Asha sich dem Gespräch angeschlossen hatte, ging der Detektiv zu der Chinesin hin. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Yin?“ erkundigte er sich bei ihr. Die hübsche Asiatin strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, wirkte aber nicht danach, als wäre ihr nach Reden zumute. Sie schüttelte nur den Kopf und murmelte „Es ist nichts.“ „Jetzt erzähl mir doch nichts.“ „Ach es ist nur…“ Yin seufzte und entfernte sich zusammen ein Stück mit Sam. „Araphel und Christine haben sich gestritten und es war dieses Mal schlimmer gewesen als sonst und es ist etwas ausgeufert.“ „Wieso haben sie sich gestritten? Etwa wieder wegen der üblichen Geschichte?“ „Unter anderem“, gab Yin zu. „Sie kamen wieder auf das Thema Ahava zu sprechen und dabei hat Christine Araphel ziemlich vor den Kopf gestoßen. Eigentlich würde ich das ja nicht erzählen, aber da du so eine enge Bindung zu Araphel hast, denke ich, dass du es wissen solltest. Christine hat Araphel gesagt, dass sie Ahava vor vier Jahren erschossen hat, um sie von ihrem Leid zu erlösen. Und du kannst dir sicher vorstellen, wie Araphel reagiert hat.“ Sam sah zu Christine herüber, die ihren Spaß mit dem Besitzer des Oldtimers hatte und fröhlich lachte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. „So etwas soll sie getan haben? Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Kann es nicht vielleicht wieder eine ihrer Lügengeschichten sein?“ „Nein, sie war in dem Moment wieder völlig klar gewesen. Manchmal kommen diese Erinnerungen wieder durch, besonders wenn sie Araphel ins Gewissen redet. Und was Ahavas Tod angeht, so gibt es da ein paar Ungereimtheiten“, erklärte Yin. „Weißt du, vor vier Jahren war Ahava ziemlich abgemagert und entkräftet und da sie nichts essen wollte, hat man sie künstlich ernähren müssen. Sie hatte eigentlich nicht die Kraft gehabt, sich selbst im Rollstuhl vorwärts zu bewegen. Es muss sie also jemand damals ins Arbeitszimmer geschoben haben und Fakt ist, dass damals, als der Schuss ertönte und wir nachsehen kamen, Christine ebenfalls dort war. Sie lag bewusstlos auf dem Boden und konnte sich an nichts erinnern, als sie aufgewacht war. Aber Ahava hatte damals die Waffe noch in der Hand, als sie sich erschossen hatte. Da frage ich mich halt, ob Christine nicht vielleicht…“ „So etwas würde Christine nie machen“, unterbrach Sam sie sofort. „Ganz egal ob Christine Gedächtnisprobleme hat oder nicht. Ich kenne sie nicht so lange wie du, aber ich glaube nicht, dass sie so etwas tun würde.“ „Aber warum sollte sie so etwas erzählen?“ „Weil sie Araphel helfen will. Er kann nicht über Ahavas Tod hinwegkommen, solange er in Christine einen Schwesternersatz sieht. Ich denke nicht, dass Christine Ahava getötet hat, das würde ihr nicht ähnlich sehen. Sie hat ihm halt so heftig vor den Kopf gestoßen, weil sie der Ansicht war, dass es besser ist, wenn er sie hasst, anstatt immer nur an seine tote Schwester erinnert zu werden.“ Etwas niedergeschlagen senkte Yin den Kopf. „Ich kenne sie schon so lange, aber offenbar nicht gut genug. Christine, Asha und ich kennen uns schon seit über zehn Jahren und haben viel erleben müssen. Und doch zweifle ich an ihr. Ich bin eine furchtbare Freundin…“ Aufmunternd legte Sam ihr eine Hand auf die Schulter und sprach ihr gut zu. Er konnte verstehen, dass sie unsicher wurde, wenn Christine Araphel ins Gesicht sagte, sie hätte Ahava erschossen und sozusagen aktive Sterbehilfe geleistet. Wenn einer seiner besten Freunde so etwas gesagt hätte, wäre er auch in Zweifel geraten. „Hey ihr beiden!“ rief Christine zu ihnen herüber. „Wir fahren gleich los, um den Alfons anzusehen. Wollt ihr noch hier bleiben, oder…“ „Das geht nicht“, unterbrach Owen der hünenhafte Bodyguard. „Entweder sie kommen mit, oder wir bleiben auf der Ausstellung.“ Christine funkelte den ehemaligen MMA-Champion giftig an und musste sich einen bissigen Kommentar verkneifen. Noch nie hatte Sam erlebt, wie Christine mal gegen jemanden eine Abneigung zeigte, aber Owen hatte sie anscheinend wirklich gefressen. Nun, sie war halt ein Freigeist, der sich nur sehr ungern einengen ließ und das ließ sie andere auch spüren. Bevor sie aber noch einen Streit mit dem Bodyguard anfangen konnte, entschärfte Sam die Situation. „Kein Problem, wir kommen gerne mit. Wo ist der Wagen denn?“ „Ich habe ihn im Lager hinten unterbringen lassen. Dort werden die wertvollen Stücke untergebracht, die einzig und allein nur zum Verkauf und nicht zur Ausstellung dienen.“ Sie gingen gemeinsam quer durch die Ausstellung, bewunderten den einen oder anderen Bugatti und Maserati im Vorbeigehen und drängten sich durch die Massen. In der Nähe der Lagerhallen wurde es deutlich ruhiger, da sich die Menschenmengen hauptsächlich auf das Zentrum der Ausstellung konzentrierten. Asha und Yin, die aufgrund ihrer Prothesen mit dem Lauftempo der anderen nicht wirklich mithalten konnten, fielen dabei ein wenig zurück. Sam und die anderen warteten daraufhin auf sie und standen dann schließlich vor der Scheune. Mr. Wilson öffnete die Tür, Owen ging als erstes rein. In der Lagerhalle war das Licht etwas gedämpft, doch man sah tatsächlich einen alten Hispania Suiza Alfons XIII nicht weit weg stehen. Christine wollte schon vorgehen, um sich den Wagen aus der Nähe anzusehen, da fiel plötzlich ein Schuss und Blut spritzte, als eine Kugel Owen direkt in den Kopf getroffen hatte. Entsetzt schrie Yin auf und viel zu spät realisierte Sam, dass Mr. Wilson eine Pistole in der Hand hatte, mit der er den Bodyguard niedergeschossen hatte. Christine reagierte als erstes. Ohne Vorwarnung schlug sie ihm ins Gesicht und versuchte, ihm die Pistole aus der Hand zu reißen. „Lauft!“ rief sie und stieß Mr. Wilson gegen die Wand. „Los, haut ab!“ Doch sie saßen bereits in der Falle. Von allen Seiten kamen bewaffnete Männer herbei, die den Gesichtszügen nach zu urteilen Asiaten waren. Mitglieder der Yanjingshe. Yin und Asha wurden ohne Probleme überwältigt, Christine hingegen schaffte es, zwei Männer in Schach zu halten und versuchte noch, wenigstens Sam die Flucht zu ermöglichen, bekam aber einen Streifschuss ins Bein, stürzte daraufhin zu Boden und ein Tritt ins Gesicht raubte ihr endgültig das Bewusstsein. Das Letzte, was Sam spürte, bevor er dann auch ohnmächtig wurde, war ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)