Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 12: Begegnung mit der Schlange -------------------------------------- „Vergeltung ist die Angst vor der Folgenlosigkeit. Rache ist die Angst vor der Abwesenheit von Sühne. Abschreckung ist die Angst vor der Machtlosigkeit.“ Gerd Peter Bischoff, Schriftsteller Durch den heftigen Schreck nach Christines Zusammenbruch hatte Sam einen Asthmaanfall erlitten und hatte sich erst mal setzen müssen, nachdem er dank seines Sprays wieder vernünftig Luft holen konnte. Da der japanische Arzt Christine ruhig stellen musste, durfte erst mal niemand zu ihr. Wenig später kam Dr. Heian zurück, nachdem er fertig war und sah bei Sam nach dem Rechten. Dabei erkundigte er sich auch danach, was vorgefallen war und als Sam ihm in kurzen und knappen Worten erzählte, was vorgefallen war, fragte er auch direkt nach, was denn mit Christine los sei und wieso sie ohnmächtig geworden war. Der 34-jährige atmete tief durch, nahm seine Brille ab und begann die Gläser zu putzen. „Um es einfach auszudrücken: Christine ist psychisch krank. Sie leidet an einer speziellen Form der krankhaften Verdrängung. Man kann es spezifisch ausgedrückt als Realitätsverleugnung mit verzerrter Wahrnehmung von realen Ereignissen bezeichnen. In ihrer Vergangenheit hat sie schwere psychische Traumata erlitten, die sie nicht verkraften konnte. Darum begann ihr Verstand systematisch damit, jegliche Erinnerung sofort zu verdrängen, die mit diesen Traumata in Verbindung stehen. Und um diese Lücke in ihrem Gedächtnis zu füllen und zu verhindern, dass sie sich daran erinnern könnte, erfindet sie Lügen. Sie erfindet für sich selbst eine völlig neue Vergangenheit, die nichts als ein Lügenkonstrukt ist, aber sie glaubt daran, als würde sie sich wirklich daran erinnern. Dabei unterscheidet sich ihre Motivation stark von der eines Menschen, der krankhaft lügt. Krankhafte Lügner erzählen Geschichten, weil sie im Mittelpunkt stehen wollen und nach Aufmerksamkeit suchen, Christine hingegen erschafft sich ein Lügengehäuse, was ihre Vergangenheit betrifft, um nicht daran erinnert werden zu müssen, was ihr wirklich passiert ist.“ „Dann… dann hat sie nicht absichtlich gelogen?“ Dr. Heian nickte und setzte sich seine Brille wieder auf, bevor er fortfuhr. „Christine ist nicht in der Lage, ihre Lügen als solche zu erkennen, stattdessen hält sie die Wahrheit für eine Lüge und sie versteift sich auf ihre Geschichten. Gerät sie jedoch zu sehr in Zweifel und beginnt dann ihre eigene Vergangenheit zu hinterfragen, kommen ihre wahren Erinnerungen offenbar wieder durch, was dann zu einer heftigen Schockreaktion bei ihr kommt. Das hat zur Folge, dass sie einen Nervenzusammenbruch erleidet und schlimmstenfalls das Bewusstsein verliert. Wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert wird, kommt es zu einer erneuten Verdrängung. Ihr Verstand verdrängt sofort sämtliche vorherigen Lügen aus ihrem Gedächtnis und erfindet sich neue. Das heißt also: wenn Christine wieder aufwacht, wird sie sich an nichts von dem erinnern, was passiert ist und wenn du sie nach ihrer Vergangenheit fragst, wird sie etwas völlig anderes erzählen als zuvor und sie wird sich nicht daran erinnern können, was sie vorher noch erzählt hat. Sie ist ein Buch, das sich immer und immer wieder selbst neu schreibt, wenn das Lügengebäude in sich zusammenfällt.“ Als Dr. Heian das so alles erklärte, konnte Sam so langsam nachvollziehen, was passiert war. Als er das Brandmal angesprochen hatte, da hatte Christine so seltsam reagiert und das hatte wahrscheinlich schlimme Erinnerungen bei ihr geweckt, woraufhin ihr Verstand als Schutzreaktion alle gefährlichen Erinnerungen sofort wieder verdrängt hatte und sie sich ein neues Lügengebäude aufbaute, an welches sie glauben konnte. Darum hatte sie ihm plötzlich eine völlig andere Geschichte erzählt. Und das war dann wohl auch der Grund, wieso sie plötzlich nicht mehr wusste, was sie vorhin erzählt hatte. Doch eines verstand er bei der ganzen Sache nicht: „Wenn Christine psychisch krank ist, dann muss sie doch in Behandlung, am besten in eine Klinik, wo man ihr helfen kann.“ „Das wäre längst geschehen, wenn sie nicht in Lebensgefahr schweben würde, so wie fast jeder hier, der in diesem Anwesen lebt. Christine wird von der Yanjingshe verfolgt und wenn sie sie finden, werden sie sie töten. Im schlimmsten Fall wird Christine wieder das gleiche Schicksal erleiden, was sie erst zu dem gemacht hat, was sie jetzt ist.“ „Was meinen Sie damit?“ Dr. Heian schwieg und trank einen Schluck Kaffee. Irgendwie schien es wohl in diesem Haus eine Art Tabuthema zu geben, über das niemand sprechen wollte. Aber was war es denn? Urplötzlich stand Dr. Heian auf, entschuldigte sich und ging einfach, ohne näher auf Sams Frage eingegangen zu sein. Ratlos stand der Detektiv da und wurde nicht schlau aus der Situation. Was war nur los mit allen und wieso die Geheimniskrämerei? Es brachte wohl nichts, da näher nachzufragen. Da ihm offenbar niemand eine Antwort geben wollte, entschloss er sich, lieber weiter wegen seinem Schlüssel nachzuforschen, den Morphius ihm zugesteckt hatte. Vielleicht hatte er ja Glück und er bekam hilfreiche Informationen. Auf dem Weg zu seinem Zimmer hörte er irgendwo Araphel mit einen seiner Untergebenen schimpfen. Er klang ziemlich wütend und darum beschloss Sam, ihm lieber erst mal aus dem Weg zu gehen, bevor er noch derjenige war, der als Prügelknabe herhalten musste. Als die laute Stimme jedoch näher kam, beschloss er, sich erst mal zu verstecken und flüchtete schnell in eines der Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Geräuschvoll atmete er aus und hoffte innerlich, dass Araphel jetzt bloß nicht nach ihm suchte und in dieses Zimmer kam. Doch da hörte er plötzlich eine andere Stimme im Raum, die ihm verriet, dass er nicht alleine war. „Na sieh mal einer an. Sie machen ja den Eindruck, als wären Sie auf der Flucht.“ Die Stimme hatte einen chinesischen Akzent und klang aalglatt und gefährlich, dass dem Detektiv ein Schauer über den Rücken lief. Als er sich langsam umdrehte, sah er einen Mann auf einem Sofa sitzen, der traditionelle chinesische Kleidung trug. Seine dunklen Augen hatten etwas Lauerndes und eine sehr charismatische Ausstrahlung ging von ihm aus, die andere Menschen in ihren Bann ziehen konnten. Doch es war anders als bei Araphel. Dieser Mensch strahlte keine Kampfstärke aus, sondern man sah ihm sofort an, dass er ein sehr intelligenter und eiskalter Stratege war, der mehr auf Methode als auf bloße Kraft setzte. Er erinnerte an eine giftige Schlange und mit einem Schlag wurde Sam bewusst, dass er niemand anderem als den Boss der Yanjinshe Triade Shen Yuanxian gegenüberstand. Ein freundliches Lächeln spielte sich auf die blassen Lippen und sogleich erkundigte sich der Chinese „Sind Sie nicht der Detektiv, der es auf Araphel Masons Kopf abgesehen hat? Ich habe von Ihnen des Öfteren mal in der Zeitung gelesen. Sam Leens, richtig? Es freut mich sehr, den Feind meines Feindes kennen zu lernen.“ „E… entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören.“ „Das macht nichts. Ich bin geschäftlich hier und Ihr plötzliches Hereinplatzen kommt mir durchaus gelegen. So kann ich die Wartezeit mit netter Gesellschaft überbrücken. Und was führt Sie in die Höhle des Löwen?“ „I… ich…“ Sam blieben mit einem Male die Worte weg und er wusste nicht, was er sagen, geschweige denn, wie er reagieren sollte. Wie denn auch, wenn der gefährlichste Mann von Boston mit ihm sprach, der zudem das Oberhaupt einer internationalen Verbrecherorganisation war? Ganz zu schweigen davon, dass Shens Leute seinen Vater auf dem Gewissen hatten und Lawrence angeblich mit ihnen zu tun hatte. Als Shen das Halsband an Sam bemerkte, lächelte er amüsiert und schien sich schon seinen Teil denken zu können und das bestätigte sich auch, als er sagte „Ach ich verstehe. Der Löwe von Boston hat seine Beute doch noch in seine Klauen gekriegt und Sie zu seinem Spielzeug gemacht. Das sieht ihm wirklich ähnlich.“ Und als Sam etwas beschämt den Blick abwandte, winkte der Mafiaboss die Sache einfach ab und meinte „Wegen mir brauchen Sie keine Scham zu empfinden, Mr. Leens. Sie können von Glück reden, noch am Leben zu sein. Da Sie aber schon mal hier sind, kann ich auch gleich die Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen zu reden, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben. Bitte setzen Sie sich doch.“ Shens Worte waren freundlich und sehr formell. Er hatte etwas an sich, das einen regelrecht hypnotisieren konnte, sodass man, ehe man sich versah, einfach seinem Willen gefolgt war, ohne es wirklich zu wollen. Und so hatte Sam dem Mafiaboss gegenüber Platz genommen, ohne sich recht bewusst darüber zu sein. „Was genau wollen Sie von mir?“ fragte er zögernd und wieder hörte er da diese Stimme in seinem Kopf, die ihn laut und deutlich warnte: verschwinde von hier und rede nicht mit ihm. Das ist zu gefährlich! „Ich weiß, dass Sie die Mafia verachten und Ihre Stadt aus den Fängen des organisierten Verbrechens befreien wollen, so wie Ihr Vater. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei insbesondere bei Araphel Mason, der Nummer eins der Bostoner Unterwelt. Alleine werden Sie es nicht mit einem Löwen wie ihm aufnehmen können, aber ich weiß, wie ich dem Löwen seine Krallen stutzen kann. Ich kenne Araphels verwundbare Stellen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis selbst er zu Fall gebracht wird. In Wahrheit ist der stolze Löwe nur noch ein Schatten seiner Selbst, der nur noch brüllen kann. Er wird vernichtet werden, das ist sicher. Die Frage ist nur, wann es soweit sein wird. Sie und ich, wir verfolgen das gleiche Ziel und ich bin gerne bereit, Ihnen meine Unterstützung zuzusichern, um Araphel Mason zu vernichten.“ Das Angebot klang verlockend, doch Sam war skeptisch. Wieso sollte Shen ihm helfen wollen? Da war doch etwas nicht ganz koscher. „Warum will ein Mafiaboss dem Sohn einer Polizistenfamilie helfen, einen anderen Mafiaboss zu vernichten? Sie wollen mich doch nur benutzen, um selbst zur Nummer eins zu werden.“ „Und wenn es so wäre? Ich könnte Sie aus Ihrer misslichen Lage befreien und Ihnen den Schutz gewähren, den Sie brauchen werden. Und im Gegenzug helfen Sie mir, den Bostoner Löwen zu stürzen. So bekommen Sie was Sie wollen und ich bekomme, was ich will. Ein faires Geschäft.“ „Danke, aber ich lehne ab“, erklärte Sam sofort. „Ich mache keine Geschäfte mit der Mafia. Das ist gegen meine Prinzipien und ich werde sicherlich nicht dabei helfen, dass Sie noch mehr Macht über Boston bekommen, als Sie ohnehin schon haben.“ „Aber eine Entscheidung werden Sie wohl treffen müssen“, erklärte Shen gelassen. „Mein Angebot steht. Wenn Sie mir helfen, garantiere ich Ihnen, dass ich Araphel Mason endgültig vernichten werde und mit ihm auch den Patriarchen, der ohnehin viel zu altmodisch denkt. Und im Gegenzug verspreche ich Ihnen, dass Ihnen und Ihrem Bruder nichts passiert. Darum rate ich Ihnen, es sich noch mal gut zu überlegen. Immerhin hasst niemand auf der Welt die Mafia so sehr wie wir beide.“ Hier änderte sich das freundliche und fast schon warmherzige Lächeln, als ein eiskalter Funke in den Augen zu sehen waren. Die Augen einer Schlange, die ihre Beute anvisiert hatte und sie erbarmungslos umschlungen hatte, um sie zu zerquetschen. Sam hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sein Bruder… Araphel und Morphius hatten erwähnt, dass er Geschäfte mit der Yanjingshe machte und er von ihnen beauftragt worden war, Ahava Mason zu ermorden. Und nun drohte Shen, ihm etwas anzutun? Kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und er stand auf, da ging auch schon die Tür auf und Araphel selbst kam herein. Seine Augen weiteten sich, als er Sam und Shen zusammen in dem Raum sah und für einen Moment glaubte der Detektiv, so etwas wie Entsetzen bei ihm zu sehen. Shen hingegen blieb vollkommen gelassen und hob die Hand zum Gruß. „Ah, schon wieder zurück, mein lieber Araphel? Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich mir die Wartezeit damit vertrieben habe, ein wenig mit deinem Gast zu plaudern.“ Augenblicklich verfinsterte sich Araphels Miene. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er sah aus, als wolle er Shen auf der Stelle kalt machen. In seinen Augen funkelte der blanke Hass. „Was hattet ihr während meiner Abwesenheit zu besprechen?“ „Ach über nichts Besonderes“, erklärte der Chinese unbeeindruckt von Araphels drohendem Ton. „Nur ein kleiner freundlicher Plausch. Und wie ich sehe, scheint es dir ganz gut zu gehen. Als du nicht zum Treffen kamst, war ich schon fast besorgt um dich. Du hast doch wohl nicht den Termin versäumt, weil du nachlässig wirst. Oder ist es vielleicht Angst?“ „Als ob ich vor jemandem wie dir Angst hätte! Was willst du überhaupt hier?“ „Ein Geschäft, wie ich schon sagte. Soweit ich weiß, hast du mir Ware gestohlen und die hätte ich gerne zurück. Und im Gegenzug bin ich bereit, dir als Ausgleich einen Jungen als Bezahlung da zu lassen, der seine Sache besser versteht, als dein kleiner Lustknabe, den du an der kurzen Leine hältst.“ Es war nichts als pure Bosheit, die Shen von sich gab. Obwohl er seinen freundlichen Ton behielt und nicht einen Moment etwas von seinem Lächeln einbüßte, spürte man dennoch das Gift, das er verschoss. Doch so ganz verstand Sam nicht, was Shen damit meinte, dass man ihm „Ware“ gestohlen haben soll. Araphel schien jedenfalls im Bilde zu sein. „Als ob ich an einen deiner verkrüppelten Sexsklaven interessiert wäre, geschweige denn mich auf einem Deal mit dir einlassen würde.“ „Ach mein Lieber, du solltest dir wirklich mal angewöhnen, Berufliches und Privates voneinander zu trennen. Der Mord an deinem Vater war rein geschäftlich und ich bin fair und gebe dir die Chance, mein Eigentum zurückzugeben und bin sogar bereit, etwas dafür zu zahlen. Oder ist es so, dass du mir immer noch die Sache mit deiner Schwester vorwerfen willst?“ „Du verdammter…“ Das war nun endgültig genug für Araphel und er zog eine Pistole hervor. Im selben Moment reagierte Shen und holte etwas aus seiner Kleidung hervor. Alles ging so schnell von statten, dass Sam es kaum mit den Augen verfolgen konnte und erst im nächsten Moment sah er, dass Shen die Kugel mit einer Art Stahlfächer abgewehrt hatte. Dann sprang der Chinese auf, packte Araphels Hand, die die Pistole festhielt und drehte ihm den Arm auf den Rücken und drückte ihm im Anschluss das Gesicht zur Wand. Entsetzt sah Sam, wie leicht es für Shen gewesen war, ihn zu überwältigen und so langsam wurde ihm klar, wie gefährlich das Oberhaupt der Yanjingshe wirklich war. Er brauchte keine Leibwächter zum Schutz, er selbst war ein professioneller Killer. „Du solltest mal langsam damit beginnen, den Tatsachen ins Auge zu sehen“, sprach Shen weiter und immer noch war sein Tonfall ruhig und gelassen. Es war keine Aggression und kein Hass in seinem Gesicht zu sehen. Selbst seine Augen wirkten vollkommen leer und das Einzige, was Sam sehen konnte, war Shens sadistisches Vergnügen. Ja, er ergötzte sich an Araphels Wut und seinen seelischen Wunden, die er ihm zugefügt hatte. „Ich habe dir die Chance gelassen, deine Schwester zu retten. Du hast es nicht geschafft, ihr das Leid zu ersparen, was meine Leute ihr angetan haben und ebenso wenig warst du fähig, sie vor dem Tod zu bewahren. Und warst du es nicht, der gesagt hat, dass sie gar nicht deine Schwester ist?“ „Du hast mich damals dazu gezwungen und ein Spiel mit mir gespielt!“ Araphel versuchte sich loszureißen, doch Shen hielt ihn unerbittlich fest und das zeugte von einer enormen Kraft, die man ihm so nicht ansehen würde. Sam sah das Ganze mit Fassungslosigkeit an, wie Shen mit Araphel spielte und dessen Wut nutzte, um ihn immer weiter zu verletzen, weil er dessen wunde Punkte genau kannte. „Du solltest aufhören, die Schuld immer nur bei anderen zu suchen. Der Einzige, der Schuld an Ahavas Tod hat, bist einzig und allein du. Du hast sie einfach sterben lassen. Und gib doch zu, dass du es insgeheim genossen hast, meinem Willen zu folgen und dich mir mit jeder Faser deines Körpers hinzugeben.“ Hierbei griff Shen ihm spielerisch zwischen die Beine und das war endgültig zu viel für Sam. In einer Kurzschlussreaktion schnappte er sich den auf dem Tisch stehenden Aschenbecher und warf ihn nach dem 42-jährigen. Dieser nahm sofort seine Hand weg, um den Gegenstand abzuwehren. Der Detektiv war selbst erstaunt, dass er so etwas wirklich gerade getan und Shen tatsächlich angegriffen hatte, doch allein zu sehen, dass dieser Araphel in einer so widerlichen Art und Weise anfasste, hatte ihn alle Vernunft vergessen lassen. „Nehmen Sie gefälligst Ihre Hände von ihm!“ „Oho“, bemerkte Shen und lächelte amüsiert, wobei er sich wieder Araphel zuwandte. „Anscheinend hat dein kleines Betthäschen ja einen richtigen Beschützerinstinkt dir gegenüber. Es erstaunt mich, dass du ihn dir als Haustier hältst. Dabei war sein Bruder doch nicht ganz unschuldig an eurer Misere. Oder wirst du langsam doch weich?“ Araphel warf Sam einen kurzen Blick zu. Es war nicht ganz klar zu erkennen, was er dachte oder fühlte, aber dem Ausdruck in den Augen war so etwas wie Sorge, aber auch Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit zu sehen. Und noch etwas anderes, nämlich Schuld. Sam beschlich allmählich das Gefühl, dass er mit seinem Eingreifen nicht sonderlich geholfen, sondern alles nur verschlimmert hatte. Denn nun war er in Shens Visier geraten und ob er es mit diesem Kerl aufnehmen konnte, wagte er zu bezweifeln. Mit einem Mal kam er sich verdammt schwach und klein vor, während Shen schon fast etwas von einem gewaltigen Berg hatte, den er nie und nimmer bezwingen konnte. Dieser Kerl zeigte nicht einen Moment lang Schwäche, keine Blöße, nicht einen winzigen Funken Angriffsfläche. Er erschien nahezu unantastbar zu sein und nun spürte Sam auch die Angst hochkommen. Ja, er hatte verdammt große Angst vor Shen. Hilfesuchend schaute er wieder zu Araphel, der nun auf ihn zukam und zuerst dachte er, dass dieser sich zwischen ihn und Shen stellen würde. Für einen Moment dachte er wirklich, dass Araphel ihn vielleicht tatsächlich in Schutz nehmen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen folgte ein kräftiger Schlag ins Gesicht, der ihn von den Füßen riss. Er stürzte rücklings zu Boden und sah für einen Moment Sterne vor Augen. Hatte Araphel ihn da gerade etwa wirklich geschlagen? Aber wieso? „Wer hat dir eigentlich erlaubt, dich da einzumischen, du erbärmliches Stück Scheiße?“ Ein Tritt in die Magengrube folgte und vor Schmerz stöhnte Sam auf und krümmte sich auf dem Boden zusammen. Er verstand das nicht. Warum verprügelte Araphel ihn? Er hatte ihm doch nur helfen wollen, auch wenn es für ihn selbst mehr als verrückt klang. Was hatte er denn bloß falsch getan? Doch als ein weiterer Tritt in den Brustkorb folgte und er keuchend nach Atem rang, da dämmerte es ihm so langsam. Araphel musste das hier tun. Indem er ihm geholfen und ihn beschützt hatte, hatte er Araphel vor Shen schwach erscheinen lassen. Wegen seinem Eingreifen wirkte es nun, als wäre der Bostoner Löwe nicht stark genug, um sich selbst wehren zu können. Und bei einem solchen Gegner wie Shen durfte er sich keine Schwäche erlauben. Darum musste Sam jetzt diese Strafe ertragen. Schließlich aber raubte ihm ein Tritt gegen den Kopf endgültig das Bewusstsein, sodass ihm der Rest der Strafe erspart blieb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)