Mesmerize Me! von Sky- (The Play of Snake and Lion) ================================================================================ Kapitel 11: Lügen über Lügen ---------------------------- „Eine Lüge, die ein Leben erhält, ist besser als eine Wahrheit, die ein Leben zerstört.“ Aus Island Da Sam am gestrigen Abend recht früh eingeschlafen war, nachdem er sich das erste Mal seit Tagen endlich mal wieder eine heiße Dusche gönnen durfte (sein Halsband hatte Araphel hierfür abgenommen und es ihm danach wieder angelegt), war er am nächsten Morgen recht früh wach. Das Frühstück konnte er dieses Mal im Esszimmer einnehmen, wobei er Gesellschaft von Dr. Heian hatte, der ein wenig übernächtigt wirkte, als hätte er sich ein wenig übernommen. Es fühlte sich fast schon ungewohnt an, so frei durch ein fremdes Haus zu gehen, wenn man überhaupt von einem Haus sprechen konnte, denn im Grunde war es eine riesige Villa. Viele der Räume waren offenbar Gesprächszimmer, in denen Araphel seine Geschäfte abwickelte, zudem erfuhr er in einem kleinen Gespräch von dem Arzt, dass hier auch ein paar Untergebene von Araphel lebten, die besonders von der Yanjingshe bedroht wurden. So wohnten auch Morphius Black und der Doktor hier, was den Detektiv doch erstaunte und er deshalb auch nach dem Grund fragte, vor allem weil er doch wusste, dass Dr. Heian kein Mitglied der Mafia war, sondern einfach nur Arzt. Dieser wich mit einer ernsten Miene Sams Blick aus und erklärte „Ich bin mit der Yanjingshe in Konflikt gekommen, als sie mich für spezielle ärztliche Dienste in Anspruch nehmen wollten. Da aber die dortigen Methoden mehr als fragwürdig und vor allem gefährlich waren, lehnte ich ab und da sie solche Menschen für gewöhnlich zum Schweigen bringen, hat Mr. Mason mir angeboten, in seinem Anwesen zu wohnen, um so vor der Yanjingshe sicher zu sein.“ „Was für Dienste denn?“ Doch Dr. Heian antwortete nicht darauf und man sah ihm an, dass er auf keinen Fall darüber sprechen wollte. Zumindest nicht mit jenen, die er kaum kannte. Also respektierte Sam vorerst diesen Wunsch und fragte stattdessen nach, wer denn noch hier lebte. Hier zeigte sich der Arzt um einiges gesprächiger. „Da wäre zum einen Morphius Black, der aber gerade nicht im Haus ist, Mr. Mason selbst, meine Person und dann noch unsere Mechanikerin Christine Cunningham und ihre Assistenten Asha und Yin.“ „Du hast von mir gesprochen?“ Beide wandten sich um und Sam erkannte eine groß gewachsene Frau um die 30 bis 32 Jahre mit feuerrot gefärbtem Haar, die eine weiße Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln trug, die ein wenig schmutzig war. Sie trug Handschuhe und hatte einen Werkzeuggürtel dabei. Sie machte einen sehr taffen Eindruck und gehörte nach Sams Ersteinschätzung zu der Sorte Frauen, die sich nicht so leicht von einem Mann unterbuttern ließen. Sie strahlte eine enorme Energie und großes Selbstbewusstsein aus. Sofort wanderten die hellbraunen Augen der Frau zu ihm und ein lebhaftes Lächeln spielte sich auf ihr Gesicht, wobei eine Reihe strahlend weißer Zähne zum Vorschein kam. „Hey Doc, wer ist der Blonde da? Etwa ein Neuzugang?“ „Er ist ein persönlicher Gast von Mr. Mason“, erklärte Dr. Heian, woraufhin er Sam kurz anstieß und ihm zuflüsterte „Kein Wort dazu, okay?“ „Ein Ehrengast?“ fragte Christine überrascht, wobei sie Sam direkt mit einem Händegruß begrüßte, der aber verdammt fest war, sodass er fast das Gefühl hatte, als würde sie ihm die Hand zerquetschen. „Freut mich sehr! Ich bin die Mechanikerin hier im Laden. Ich halte den Fuhrpark in Schuss, kümmere mich um alle Geschäfte, die mit Karosserien zusammenhängen und schraube in meiner Freizeit an Oldtimern rum. Hey, hast du Lust, dir mal ein paar alte Schätze anzusehen?“ Nun, eigentlich hatte Sam vor, sich dem mysteriösen Schlüssel zu widmen, den Morphius ihm da gelassen hatte, aber andererseits interessierte es ihn ja doch sehr, was für Schlitten die Nummer eins der Bostoner Unterwelt bei sich hatte. Also nahm er das Angebot an und ließ sich von Christine in die Werkstatt führen. Die Mechanikerin machte einen sehr sympathischen Eindruck und sie schien offenbar zu der lebhaften Sorte Mensch zu zählen. Kaum zu glauben, dass sie für die Mafia arbeitete. Und auch dass sie Mechanikerin war, sah man ihr irgendwie nicht an. Viel eher machte sie den Eindruck eines Rockstars auf ihn. Was ihm zudem auffiel, war ein leichter Südstaatendialekt. Vermutlich kam sie aus Mississippi oder Alabama. Als sie schließlich am Ziel angekommen waren, zeigte Christine ihm mit sichtlich stolzer Miene einen 58er Plymouth Fury in einer sehr eigentümlichen Rotweißlackierung. Sam, der ein klein wenig von Oldtimern verstand, begutachtete das Schmuckstück, welches sich in einem nahezu perfekt restaurierten Zustand befand und fragte nach, warum der Wagen diese seltsame Lackierung habe, denn seines Wissens nach war diese Serie nie in dieser Farbe produziert worden. Hieraufhin lachte die Südstaatlerin laut und erklärte „Das ist ein Nachbau von Christine, dem Fury aus Stephen Kings Roman. Meine Eltern haben mich quasi nach diesem Wagen benannt, darum ist der Wagen mein ganzer Stolz. Hab ihn selbst restauriert, nachdem ich ihn ziemlich angerostet von einem Schrotthändler abgekauft habe. Mein zweites Baby ist ein 54er Hudson Hornet, mit dem ich auch selbst oft unterwegs bin. Derzeit versuche ich, einen Rolls Royce aus dem Baujahr 1934 zu restaurieren. Das wird quasi meine sixtinische Kapelle. Aber ich schraub nicht nur an Motoren rum. Nee, weißt du: ich bastle auch hin und wieder mal technischen Schnickschnack zusammen. Wenn man als einzige Tochter neben drei älteren Brüdern und einem allein erziehenden Vater in einer Werkstatt aufwächst, hat man es quasi im Blut.“ Staunend begutachtete Sam den Fury und den Hornet und musste zugeben, dass das wirklich die Arbeit eines Profis war. Sie sahen fast wie neu aus und gerne würde er damit mal eine Runde drehen, nur um zu wissen, wie es sich anfühle, in so einem Oldtimer zu fahren. Aber darauf würde er wohl erst mal verzichten müssen, solange er dieses Halsband trug. Es war ja schon ein Glück, dass Christine ihn nicht darauf ansprach. Oder aber sie bemerkte es erst gar nicht, was aber doch etwas unwahrscheinlich war, denn so schwer zu erkennen war es nicht. „Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du für die Mason-Familie arbeitest?“ fragte er schließlich und begann sich das Innenleben des Hornets unter der Motorhaube anzusehen. „Wieso? Etwa weil Frauen nicht zur Mafia gehören?“ fragte die Rothaarige listig nach, doch er erklärte ganz souverän „Du scheinst mir vom Charakter her nicht der Typ Mensch zu sein, der sich auf kriminelle Geschäfte einlassen würde.“ „Hat sich halt ergeben“, erklärte sie und setzte sich auf einen Stuhl. „Mein Vater ist früh gestorben und meine Brüder versuchen, die Werkstatt am Laufen zu halten, haben dabei aber einen Riesenberg an Schulden gemacht. Louis war blöd genug, sich bei Kredithaien Geld zu pumpen und der Schuldenberg ist zu groß, da muss man halt Opfer bringen.“ „Und wieso hast du Ärger mit der Yanjingshe?“ „Ich hab denen ein paar Autos geklaut, um sie zu verkaufen und die Werkstatt zu retten“, antwortete sie ganz lapidar, wobei sie mit den Schultern zuckte. Ungläubig starrte Sam sie an und fragte sich, wie verrückt man sein musste, um dem gefährlichsten Menschen in Boston einfach so ein paar Autos zu klauen? „Du… du hast der Triade Autos gestohlen?“ „Jep. Fünfzig Wagen in einer Nacht. Und ich hatte nichts außer einem Kugelschreiber dabei. Ich hab die Wagen schnell wieder verkauft, allerdings haben sie mich dann doch gefunden und Ärger gemacht, aber Araphel hat mich da wieder rausgeboxt.“ „Wo hast du ihn denn kennen gelernt?“ „Wir kennen uns schon seit unserer Jugend“, erklärte Christine mit einem fast schon stolzen Grinsen. „Er hat mit seiner Schwester bei uns in der Nachbarschaft gelebt und wir sind so etwas wie Sandkastenfreunde.“ Ein lautes Krachen hallte durch die Werkstatt und erschrocken zuckte Sam zusammen. Christine wandte sich um und sie sahen einen Jungen von schätzungsweise 20 Jahren. Er hatte ein sehr fein geschnittenes Gesicht mit asiatischen Zügen und hatte sein langes schwarzes Haar zu einem Kopf geflochten. Er hatte offenbar einen Werkzeugkasten fallen lassen und rief laut „Entschuldigung!“ als er sah, dass er den anderen wohl einen ziemlichen Schreck eingejagt hatte. Sofort winkte Christine den Jungen zu sich und erklärte Sam „Das ist Asha. Zwar ist er ein ziemlicher Schussel, aber er hat deutlich was auf dem Kasten. Yin hat heute ihren freien Tag und ist deshalb nicht da. Asha, das ist Sam. Er ist Araphels Ehrengast.“ „Freut mich!“ Mit einem freundlichen Lächeln reichte der Asiate ihm die Hand und erkundigte sich direkt „Hat Christine dir schon ihre Oldtimer gezeigt? Das macht sie mit jedem, der hier neu ist. Mich lässt sie da noch nicht ran.“ Sam bemerkte direkt, dass etwas mit Ashas Bewegungsablauf nicht stimmte. Sein Gang wirkte ein wenig humpelnd, so als könne er seine Beine nicht richtig bewegen. Christine bemerkte das auch und fragte direkt „Klemmt da wieder was?“ „Kann sein“, murmelte der 20-jährige mit einem Schulterzucken. „Irgendwie klappt das linke Bein nicht so wirklich. Kannst du mal drüberschauen?“ „Klaro, setz dich einfach hin.“ Damit stand Christine von ihrem Stuhl auf, damit Asha sich hinsetzen konnte. Dieser krempelte sein linkes Hosenbein hoch und entblößte dabei eine Prothese. Aus ihrem Werkzeuggürtel holte Christine einen Schraubendreher und begann nun an der Prothese zu werkeln. Doch etwas schien nicht so zu funktionieren, wie es sollte und so legte Christine den Schraubendreher beiseite und erklärte „Ich muss eben das Werkzeug holen. Bin gleich wieder da!“ Damit verabschiedete sich die Rothaarige vorerst und ließ Sam und Asha allein. Der Detektiv wandte sich dem Jungen zu und fragte „Wie ist das mit deinem Bein passiert?“ „Ich hab zwei Prothesen“, korrigierte der Asiate und zeigte ihm seine andere, wobei er erklärte „Das passiert, wenn man in die Fänge der falschen Mafia gerät. Christine hat diese Prothesen gebaut und mit denen kann man wirklich gut laufen und darum ist sie auch für die Wartung zuständig. Und? Hat sie dir schon von ihrer Diebeskarriere mit ihrer großen Schwester in Texas erzählt?“ „Hä?“ fragte Sam irritiert. „Schwester? Christine hat erzählt, sie hat drei Brüder.“ Sofort stutzte Asha und sah einen Moment verwirrt aus. Dann aber sagte er „Äh… entschuldige, da muss ich mich vertan haben. Sorry.“ Doch so ganz kaufte Sam ihm das nicht ab. Sein Gefühl verriet ihm, dass etwas ziemlich merkwürdig war. Schließlich aber kam Christine wieder zurück, nachdem sie anscheinend das richtige Werkzeug gefunden hatte und begann nun damit, Ashas Kniegelenk zu reparieren, wo offenbar etwas klemmte. „Und Sam? Wie gefällt’s dir hier?“ erkundigte sich die Rothaarige, während sie weiter an der Prothese arbeitete. Der Detektiv überlegte sich erst ein paar passende Worte, da er nicht sonderlich Lust dazu hatte, jedem seine Geschichte unter die Nase zu reiben. Das war auch wirklich mehr als peinlich. „Es ist ganz toll hier und das Haus ist auch ganz schön groß.“ „Ja, aber hier geht es trotzdem immer sehr lebhaft zu, insbesondere hier in der Werkstatt. Den Doc kennst du ja bereits und Morph sicher auch, oder? Die beiden liegen sich ständig in den Haaren, aber ich wette um meine Prothese, dass die beiden da heimlich was am laufen haben.“ „Du hast auch eine Beinprothese?“ Christine nickte und krempelte ihr linkes Hosenbein hoch und zeigte damit eine ähnliche Prothese, wie Asha sie hatte. Zu sehen, dass auch sie ein amputiertes Bein hatte, riss ihn erst mal ziemlich vom Hocker. War auch sie etwa Opfer der Yanjingshe geworden? Bevor er fragen konnte, verdeckte Christine ihre Prothese wieder und erzählte „Ist mir bei einer Reise durch Australien passiert. Ich bin bei einer Wanderung im Outback in eine Schlucht gestürzt und ein herunterfallender Steinbrocken hat mir dann das Bein zerquetscht. Zwei Wochen war ich in der Schlucht gefangen und hab mich von Regenwasser und Insekten ernährt, bis mich ein paar Jäger gefunden haben. Mein Bein haben die Ärzte aber nicht flicken können. Aber die Prothese ist echt klasse. Mit der habe ich Chuck Norris in seiner Kampfsportschule versehentlich mit einem Roundhouse Kick den Kiefer gebrochen.“ Sam konnte sich nicht helfen, aber irgendwie klang diese Geschichte doch sehr ähnlich nach dem Film „127 Stunden“. Und auch sonst klang das, was sie erzählte, ein bisschen hanebüchen. Ob sie gerne prahlte? Irgendwie war er sich nicht ganz so sicher, wie er Christines Charakter einordnen und was er von ihren Geschichten halten sollte. Und irgendwie ließ ihn die Sache mit Asha nicht los. Dieser hatte von einer Schwester in Texas erzählt und es hatte nicht den Eindruck gemacht, als hätte er etwas verwechselt. Er hatte genau gewusst, wovon er da sprach. „Deine Geschichte erinnert irgendwie ziemlich stark an den Typen, der sich selbst den Arm amputiert hat.“ „Ja, witzig oder?“ Die Rothaarige lachte und legte nun das Werkzeug aus der Hand, nachdem sie mit der Arbeit fertig war. „Manchmal gibt es wirklich witzige Zufälle auf der Welt. Hey, hast du Lust gleich mal eine Runde mit mir in dem Fury zu fahren?“ Sam lehnte das Angebot dankend ab und blieb noch eine Weile bei Christine, da sie trotz ihrer etwas seltsamen Geschichten sehr sympathisch war und eine sehr aufgeschlossene und lustige Art besaß. Er ging ihr bei den Reparaturarbeiten zur Hand und er erzählte ihr von seiner gescheiterten Polizeikarriere und nutzte auch die Gelegenheit, um mal etwas näher über Araphel nachzufragen. „Wie ist Araphel denn früher so gewesen?“ „Nicht sonderlich anders als heute“, erklärte sie, während sie sich den Restaurationsarbeiten an dem Rolls Royce widmete. „Er war schon immer ein absoluter Kämpfer und keiner hat es gewagt, sich mit ihm anzulegen. Nur seine Schwester durfte ihm die Meinung geigen. Ahava war quasi die wichtigste Person für ihn und die beiden waren ein Herz und eine Seele. Sie hat ihn immer unterstützt und war quasi seine rechte Hand, als sie nach dem Tod des alten Masons die Nachfolge übernommen hatten.“ „Wie ist Ahava gestorben?“ „Schlimme Sache. Sie ist von der Yanjingshe umgebracht worden und ihren Tod hat Araphel nie ganz verkraftet, vor allem weil er sich selbst die Schuld dafür gibt, dass er sie nicht beschützen konnte.“ „Und woher stammen die Narben auf seinem Rücken?“ Hier veränderte sich Christines Gesichtsausdruck schlagartig. Hatte sie vorher noch ein Lächeln auf den Lippen gehabt, war dieses nun endgültig verschwunden und es war schwer zu erkennen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Aber es sah fast danach aus, als hätte sie irgendein Bild vor Augen, das sie eigentlich nicht sehen wollte. „Was für Narben?“ fragte sie zögernd, woraufhin Sam erklärte, dass er eine Brandnarbe und andere alte Verletzungen bemerkt hätte. Christines Gesicht verlor immer mehr an Farbe. Sie ließ einen Schraubenschlüssel fallen und für einen Moment war es so, als würde sie ins Leere starren. Dann aber schüttelte sie den Kopf und erklärte „Ich weiß nichts von Narben. Zwar hab ich ihn noch nie nackt gesehen, aber ich weiß, dass er keine hat.“ „Aber ich habe doch genau gefühlt, dass er am ganzen Rücken alte Narben hat und eine alte Brandwunde. Und irgendwie fühlte sie sich an, als… als wäre das eine Art Brandzeichen gewesen.“ Christines Hand begann zu zittern. Ihr Blick ging nun völlig ins Leere und das Entsetzen stand ihr für einen Moment ins Gesicht geschrieben. Dieser Zustand dauerte aber überraschenderweise nicht lange an. Sie blinzelte einmal und danach schien sie sich wieder komplett gefangen zu haben. Ihr freches Lächeln kehrte wieder zurück und völlig aus dem Konzept gerissen fing sie plötzlich an „Hab ich dir eigentlich schon erzählt, wie ich Araphel kennen gelernt habe?“ „Äh… wie bitte?“ „Das ist echt eine unglaubliche Geschichte. Ich war mit seiner Schwester Ahava gemeinsam auf der Uni und wir waren auf einer Verbindungsparty eingeladen. Die Feier ist aber ziemlich außer Kontrolle geraten und eigentlich wollten wir gehen, aber die Jungs waren schon stockbesoffen und wollten uns nicht gehen lassen. Ahava hat dann ihren Bruder angerufen, damit er sie abholen kommt und das hat ganz schön zum Streit mit den Jungs geführt. Schließlich gab es eine schlimme Prügelei und in dem Chaos ist dann ein Feuer im Verbindungshaus ausgebrochen. Die Flammen waren überall und es gab keinen Weg raus. Es war wirklich heftig. Es war heiß und überall hat es gebrannt, dann ist die Decke auf uns runtergekracht und dabei hat es auch mein Bein erwischt.“ Hieraufhin zeigte Christine ihm erneut die Prothese und fuhr direkt fort. „Araphel war es, der uns schließlich rausgeholt hat. Allerdings hat er sich dabei selbst einige Verletzungen zugezogen. Ich hab zwar dabei mein linkes Bein verloren, aber ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.“ Sam starrte sie entgeistert an und wusste nicht, was er von dem ganzen Unsinn halten sollte. Was für eine Story tischte Christine ihm da gerade bloß auf? Wollte sie ihn etwa auf die Schippe nehmen, oder ihn einfach für dumm verkaufen? „Was soll das jetzt?“ fragte er sie mit fast schon gereizter Stimme. „Und was war mit den geklauten Autos und den drei Brüdern?“ „Hä?“ fragte Christine nun ihrerseits und starrte ihn ratlos an. „Sorry Sam, aber welche drei Brüder und was für geklaute Autos?“ „Na du hast doch erzählt, dass du drei Brüder hast.“ „So ein Quatsch“, rief sie. „Ich hab keine Geschwister, ich bin Einzelkind und bin bei meiner Tante aufgewachsen.“ Diese ganze Geschichte war Sam nun doch zu blöd geworden. Er hatte echt keine Ahnung, was der ganze Schwachsinn bedeuten wollte und ob Christine das mit Absicht machte, um ihn zu verarschen. So dreist in einer Tour zu lügen, das musste er sich doch nicht gefallen lassen. „Hey Sam, jetzt warte mal!“ Er blieb stehen und drehte sich um. Es war Christine, die ihm offenbar hinterhergelaufen war. Dafür, dass sie eine Beinprothese hatte, bewegte sie sich ziemlich schnell und konnte sogar mühelos rennen. Sie ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. „Was ist denn los? Hab ich irgendetwas Falsches gesagt oder deine Gefühle verletzt?“ „Jetzt hör doch auf, mich für blöd zu verkaufen“, gab er gereizt zurück und riss sich von ihr los. „Du tischst mir hier eine Geschichte nach der anderen auf und behauptest zuerst irgendwas, nur um später zu sagen, dass das gar nicht stimmt. Und auf so etwas habe ich keine Lust.“ Doch die Rothaarige blieb hartnäckig und stellte sich ihm in den Weg. Und ihr war anzusehen, dass es ihr sehr ernst war und sie das unbedingt klären wollte. Dieses Verhalten gab Sam nur noch umso mehr Rätsel auf. Warum nur war ihr das so wichtig, nachdem sie ihm nur Märchen aufgetischt hatte wie Baron Münchhausen? „Ich verstehe nicht, was du damit meinst. Wann soll ich denn irgendwelche Unwahrheiten erzählt haben?“ „Na du hast mir doch erzählt, dass du drei Brüder hast, du die Familienwerkstatt retten willst und du deshalb der Yanjingshe Autos geklaut hast.“ „Wie bitte? Das ist doch kompletter Unsinn. Ich würde mich doch an so etwas erinnern. Wann soll ich das denn gesagt haben?“ „Vorhin erst, als ich dich auf Araphels Verletzung angesprochen habe, von der eine höchstwahrscheinlich ein Brandzeichen ist.“ Dieses seltsame Verhalten gab ihm Rätsel auf. Entweder war Christine wirklich eine absolut dreiste Lügnerin, oder aber sie hatte tatsächlich völlig vergessen, was sie vorhin noch gesagt hatte. Aber wie sollte das denn möglich sein, wenn sie sich doch an ihn selbst erinnern konnte? Irgendetwas schien da wohl mit Christines Gedächtnis nicht ganz zu stimmen. Sie machte wirklich den Eindruck, als könne sie sich nicht daran erinnern, was sie vorhin noch gesagt hatte. Dabei fiel ihm ein, dass sie sich ja sehr seltsam verhalten hatte, als sie auf Araphels Brandnarbe angesprochen und den Verdacht geäußert hatte, dass es ein Brandmal sein könnte. Irgendwie war das doch echt seltsam. Und dass sie ihr Bein bei einem Brand oder bei einem Sturz in die Schlucht verloren hatte, konnte er auch nicht so wirklich glauben. Nein, es musste etwas mit dieser Andeutung von Asha zu tun haben, der erzählt hatte, dass er seine Beine verloren habe, weil er in die Fänge der falschen Mafia geraten sei. „Jetzt hör mal Christine: Asha hat mir schon angedeutet, dass er wegen der Yanjinshe seine Beine verloren hat. Ist es nicht vielleicht so, dass sie dir dasselbe angetan haben? Ich hab keine Ahnung, was vorgefallen ist, aber…“ Er sprach nicht weiter, denn da regte sich etwas in der Rothaarigen. Ihr Gesicht wurde aschfahl und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie sah aus, als hätte sie Todesangst. Und dann plötzlich begann sie zu schreien. Erschrocken wich er vor ihr zurück, als sie plötzlich wie in Panik zu schreien begann und sich völlig verängstigt zusammenkauerte. „Christine!“ Er versuchte, sie zu beruhigen, doch sie war völlig von der Rolle und ihr Schrei, der von nackter Todesangst zeugte, ging ihm durch Mark und Bein und erinnerte ihn für einen Moment an den Schrei einer Sterbenden. Unfähig, irgendetwas zu machen, blieb er ratlos stehen, bis Christines Augen sich verdrehten und sie bewusstlos zusammenbrach. Kurz darauf eilte Dr. Heian herbei, um Hilfe zu leisten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)