Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 27: Kapitel 27 ---------------------- ~Aoi POV~ Nach ca. einer Stunde Autofahrt parkte Uruha den Wagen. Er schaltete die Scheinwerfer aus und zog die Handbremse an. Ich hatte mich schon abgeschnallt und wollte die Tür öffnen, doch als ich bemerkte, dass er sich nicht rührte ließ ich mich wieder in den Sitz sinken und sah zu ihm hinüber. „Ist alles in Ordnung?“ Er seufzte leise, machte aber keine Anstalten aus dem Auto auszusteigen. „Uruha?“ „Ja, alles in Ordnung“, erwiderte er mit etwas Verspätung und drehte den Kopf in meine Richtung. Lange sah er mich einfach nur an. Mit einem Mal beugte er sich zu mir hinüber, streckte langsam seine Hand aus und streichelte über den Kragen des schwarzen Blazers, den ich über einem grauen Rollkragenpullover trug. Immer weiter wanderte seine Hand nach unten, bis sich seine Finger in den Stoff gruben und er mich mit einem Ruck zu sich hinüberzog. Ein leises Lachen entkam mir, bevor ich die letzten Zentimeter überwand, die uns beide noch trennten und ihn küsste. Wie von selbst fielen meine Augen zu. Im schwachen Licht, das durch die Fenster nach draußen auf die Einfahrt fiel, konnte ich ihn sowieso nicht richtig erkennen. Es war viel schöner nur zu fühlen, zu spüren wie mein Herz schneller zu pochen begann oder wie sich diese unverkennbare Wärme in mir ausdehnte, die mich immer einnahm, wenn er mich küsste. Sein Griff wurde fester, als er mich noch näher zog und seine wundervollen, weichen Lippen gegen meine bewegte. Seine Zunge umspielte meine, neckte sie, zog sich wieder zurück, nur um meine wieder anzustupsen und sie zärtlich zu umspielen. Als er nach Luft schnappte nutzte ich die Gelegenheit und leckte über seine Unterlippe. Ein heißer Schauder durchfuhr mich. Es fühlte sich alles so gut an. So richtig! Als hätte es immer so sein müssen, so sein sollen. Ich wollte diese Gefühle spüren, die Uruha in mir auslöste. „So jetzt können wir!“, hauchte er, löste sich mit einem Lächeln von mir und stieg aus. Ich tat es ihm gleich und folgte ihm über den kleinen, verschneiten Gartenweg zur Haustür, wo er bereits seinen Daumen auf den Klingelknopf presste. Leise tippelnde Schritte waren zu hören, das Licht im Hausgang ging an und die Haustür wurde aufgerissen. „Onkel Kouyou!!!“, ertönte es zweistimmig. Uruha begann zu lächeln, trat ein und hielt die Arme auf um die beiden Jungs, die vor Freude strahlten, an sich zu drücken. Ich folgte ihm ins Innere des Hauses, schloss die Tür hinter mir und begann meine Stiefel auszuziehen, während ich zusah, wie Uruha den beiden Kleinen durch ihre pechschwarzen Haare strich. „Man bist du groß geworden Keiji! Du auch Shinji!“ „Ja! Ich bin ganz viel gewachsen!“ „Ist Tante Nara auch schon da?“ Die beiden schüttelten synchron die Köpfe. „Nein noch nicht, aber Mama hat gesagt, dass sie gleich hier ist“, antwortete der Kleine, den Uruha zuvor Shinji genannt hatte. „Okay … lasst mich mal los … ich muss meine Jacke und die Stiefel ausziehen … ihr könnt …“ „Onkel Aoi!!“, quietschte plötzlich der andere Junge und ich wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Kinder waren mir generell unheimlich. Ich wusste nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Und diese beiden waren definitiv noch zu jung um mit ihnen über ernste Themen zu sprechen. Shinji war fünf, soweit ich das von Uruha mitbekommen hatte. Keiji, sein Bruder, war zwei Jahre jünger. Nun die Aufmerksamkeit der beiden zu haben war mir etwas unangenehm. Vor allem, als sie sich von Uruha lösten und mit strahlenden Augen auf mich zustürmten. Uruha grinste nur und dachte gar nicht daran mir zu helfen. „Hallo ihr zwei!“ Etwas unbeholfen wuschelte ich ihnen durch die Haare. „Hoch!“, verlangte Keiji, streckte seine pummeligen Arme nach oben und sah mich auffordernd an, während Shinji begeistert von der Rennautobahn erzählte, die die beiden geschenkt bekommen hatten. Dafür, dass die Kinder so klein waren, gaben sie schon sehr bestimmt den Ton an. „Shinji! Keiji! Lasst die beiden doch erstmal hier ankommen! Geht wieder ins Wohnzimmer! Opa versucht gerade mit eurem Papa die Rennautobahn aufzubauen!“ Das schien anscheinend das Stichwort gewesen zu sein, denn Shinji wirbelte herum und rannte wieder zurück. Keiji kicherte leise und stakste auf seinen kurzen Beinchen hinter seinem Bruder her. „SHINJI!!! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du im Haus nicht laufen sollst?!“ „Jaaa Oma!“ Uruha schmunzelte leicht und zupfte an meinen Haaren. „Der Überfall tut mir ein bisschen leid, ich hätte dich vorwarnen sollen. Die beiden lieben dich heiß und innig und sie haben dich seit dem Unfall nicht mehr gesehen“, erklärte er mit sanfter Stimme. Seine Mutter, eine zierliche, sehr jung wirkende Frau mit langem schwarzen Haar und dunklen Augen, war vor uns stehen geblieben und wartete geduldig darauf, dass ihr Sohn ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. „Mama!“ „Kouyou! Schön, dass ihr beide hier seid!“ Er begann wieder zu lächeln und zog seine Mutter in eine innige Umarmung. Sie lachte leise und drückte ihn an sich. Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und löste sich von ihm. „Yuu!“ Nun lag ihre Aufmerksamkeit auf mir. „Es freut mich, dass du mit Kouyou mitgekommen bist um mit uns zu feiern.“ „Vielen Dank für die Einladung …“, begann ich und war gerade dabei mich vor ihr zu verbeugen, da hatte sie mich auch schon in die Arme genommen, was dazu führte, dass ich zur Salzsäule erstarrte. Obwohl ich Uruhas Mutter bereits kannte (immerhin hatte sie mich zusammen mit seinem Vater im Krankenhaus besucht), war es mir unangenehm angetatscht zu werden. „Nicht so förmlich Aoi. Immerhin gehörst du doch schon lange zur Familie“, lächelte sie dann. „Mama, überfordere ihn nicht!“ Uruhas mahnenden Blick ignorierend, machte sie eine auffordernde Bewegung zur Tür hin, aus der sie zuvor getreten war. „Na macht schon, Jungs. Auf ins Wohnzimmer.“ Uruha begann zu schmunzeln und gab ihr noch einen Kuss auf die Wange. Dann griff er nach meiner Hand, verschränkte unsere Finger miteinander und zog mich einfach hinter sich her. Mir blieb nicht einmal mehr die Zeit mich deshalb unwohl zu fühlen. Sein Vater und Makoto (der Mann seiner Schwester) saßen am Boden und bauten mit den Jungs zusammen die Rennstrecke auf, als wir das Wohnzimmer betraten. „Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte uns Uruhas Vater und zeigte auf das Sofa. „Setzt euch!“ Ich kam der Aufforderung gerne nach, nachdem ich alle begrüßt hatte und griff dankend nach einer der Teetassen, die seine Mutter vor uns abstellte. Es war wirklich seltsam so behandelt zu werden, als würde ich schon lange dazugehören. Für sie tat ich das ja auch. Aber für mich waren sie mehr oder weniger Fremde. „Na Brüderchen? Dafür, dass du nur drei Stunden geschlafen hast, siehst du wirklich gut aus!“ Uruha warf Kairi einen kurzen, vernichtenden Blick zu und streckte ihr die Zunge raus. „Das hab ich deinem Sohn zu verdanken, sonst wären es vier Stunden gewesen!“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee und legte den Kopf schief. „Hast du es überhaupt geschafft rechtzeitig aus dem Bett und zu deinem Fotoshooting zu kommen?“ „Klar ich war mehr als nur pünktlich!“ Kairi schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Was wohl eher Aoi zu verdanken war, was?“ Oh sie schien Uruha wirklich gut zu kennen. Grinsend nickte ich. „Es war harte Arbeit ihn aus dem Bett zu schmeißen!“ Uruha grummelte leise. „Aoi, du Verräter!! Du musst zu mir halten!“ Das Geplänkel der beiden ließ mich lockerer werden. „Ach? Ich denke du kannst dir ganz gut selbst helfen! Und ein bisschen gefoppt zu werden schadet dir sicher nicht!“, antwortete ich frech. Uruha sah mich schmunzelnd an, beugte sich plötzlich zu mir hinüber und drückte mir vor allen hier im Zimmer einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Ich mag es, wenn du frech wirst!“ Seine Stimme war nur ein leises Hauchen. Perplex sah ich ihn an und spürte wie meine Wangen heiß wurden. Da seine Familie aber absolut nicht darauf reagierte entspannte ich mich wieder. Nara, Uruhas zweite Schwester, kam pünktlich zum Essen. Sie war etwas ruhiger als Kairi und ein ziemlicher Freigeist. Sie war erst vor drei Tagen aus New York zurückgekommen, wo sie ein Praktikum bei einer großen Firma absolviert hatte. Während Kairi und Uruha ihrer Mutter dabei halfen den Tisch zu decken und das Essen aufzutragen, erzählte sie begeistert von den Dingen, die sie in Amerika gemacht und gesehen hatte. „Ich fahre auch nach Amerika! Und dann heirate ich Maya-chan!“, ließ sich Shinji plötzlich vernehmen, was uns alle zum Lachen brachte. „Ich denke du solltest zuerst deine Suppe essen, damit du groß und stark wirst …“, sagte Uruha schmunzelnd und stellte die Schale vor ihm ab. „… und dann reden wir noch mal über deine Pläne zu heiraten!“ Shinji nickte begeistert und steckte sich den Löffel in den Mund. „Also Jungs … wie läuft’s mit der Arbeit?“ Uruhas Vater war der Erste der die Stille durchbrach. Uruha schluckte seinen Bissen hinunter und erwiderte seinen Blick. „Im Moment könnten wir nicht klagen. Die Aufnahmen fürs Album sind abgeschlossen, heute hatten wir das Fotoshooting und in letzter Zeit konnten wir uns vor Anfragen für Interviews kaum retten!“ Das war ein gutes Zeichen. Zumindest verdienten wir immer noch Geld. „Wie war das Fotoshooting heute?“ Nara lehnte sich zurück und lächelte zufrieden. Auch die beiden Jungs sahen nun neugierig zu uns hinüber. „Ich bekomm ein Poster!“, rief Shinji dazwischen und seine Augen strahlten. „Anstrengend“, erwiderte ich dann. „Na kommt schon! Lasst euch nicht alles aus der Nase ziehen!“, motzte Kairi und sah uns auffordernd an. Das war für Uruha das Stichwort um ein bisschen genauer zu erzählen. Wenigstens ließ er den Teil in dem ich mich vor allen übergeben hatte unter den Tisch fallen. „Dann scheint das heute harte Arbeit gewesen zu sein“, schloss Nara, während Uruha nickte. „Man stellt sich das immer so toll vor auf einem Hochglanzmagazin abgebildet zu werden. Aber für die Fotos zu posen ist nicht ohne.“ „Dabei hat es uns noch recht gut getroffen. Kai musste noch zu einer Besprechung bleiben und gleich die Fotos aussuchen, die verwendet werden, damit sie schnellstmöglich in Druck gehen können!“, ergänzte ich. „Ab wann werdet ihr wieder auf der Bühne stehen?“ Ich verschluckte mich und begann zu husten. Uruha klopfte mir auf den Rücken und sah Makoto an, der die Frage gestellt hatte. „Um ehrlich zu sein wissen wir das noch nicht genau.“ Makoto musterte uns und legte den Kopf schief. „Mein Gitarrenspiel ist im Moment noch etwas … dürftig“, antwortete ich ehrlich. Dabei war dürftig viel zu freundlich ausgedrückt. Es war grottenschlecht. Uruha neben mir verdrehte die Augen und tätschelte meinen Oberschenkel. „Das wird schon!“ „Klar! Immerhin habe ich es nach zwei Monaten endlich geschafft vier Akkorde hintereinander zu spielen. Wenn das kein Fortschritt ist.“ Hallo Sarkasmus, da bist du ja wieder! Kairi kicherte leise und zuckte mit den Schultern. „Dann kann es ja nur noch bergauf gehen, oder?“ Uruha, der bemerkt hatte, dass mir das Gesprächsthema an die Nieren ging, lenkte das Gespräch erfolgreich in eine andere Richtung, indem er Makoto nach seiner Arbeit fragte. Er warf mir nur einen kurzen Blick zu, den ich mit einem aufmunternden Lächeln erwiderte. Er sollte sich deswegen keine Sorgen um mich machen. Natürlich war es im Moment nicht angenehm für mich dauernd daran erinnert zu werden, dass wir wegen meiner Unfähigkeit noch nicht auf der Bühne stehen konnten. Aber ich gab mir Mühe und solange die anderen an mich glaubten würde alles wieder in Ordnung kommen. „… und wenn die beiden nicht artig sind steckst du sie ins Bett!“, beendete Kairi die Ansprache an ihre Schwester, die sich dazu bereit erklärt hatte den Babysitter zu spielen und mit den Jungs zu Hause zu bleiben, während wir uns auf den Weg zum Tempel machten. Eisig kalte Luft empfing mich, als ich nach draußen in die Dunkelheit trat. Da Uruha und ich noch unsere Mäntel aus dem Auto holen mussten, beschlossen die anderen bereits vor zu gehen. Während ich meinen Schal um den Hals wickelte und meinen Mantel zuknöpfte übergab Uruha seiner Schwester noch den Geschenkkorb, den die drei für ihre Eltern gekauft hatten. Dann kam er mit großen Schritten die Einfahrt hinunter und hielt mir auffordernd seine Hand hin. Ohne darüber nachzudenken ergriff ich sie und zusammen liefen wir los, damit wir noch rechtzeitig beim Tempel ankamen. Von weitem sahen wir bereits die Menge, die sich um die große Glocke drängte. Da wir beide keine Lust hatten uns trotz Mütze und Schal vor etwaigen Fans in Sicherheit zu bringen, blieben wir etwas abseits auf einer Anhöhe stehen. „Siehst du deine Leute?“, fragte ich und stellte mich auf die Zehenspitzen um etwas sehen zu können. Uruha schüttelte den Kopf. „Nein, dazu sind viel zu viele Menschen hier. Vermutlich werden wir sie erst zu Hause wieder sehen. Ist aber nicht so schlimm, solange du hier bei mir bist!“ Neckend grinste ich ihn an. „Du bist so ein … Wie hat Chirac-san dich heute genannt? Warte … ich hab‘s gleich …“ Uruha warf mir einen Blick zu, der vermutlich drohend sein sollte, was ich aber gekonnt ignorierte. Dazu machte es gerade viel zu viel Spaß ihn aufzuziehen. „Ach ja … alter Schmeichler!“ Das Lachen verging mir recht schnell wieder, wurde zu einem überraschten Aufschrei, als Uruha seinen Arm hob und mit stoischer Miene an einem über uns hängenden Ast zog. Eine ganze Schneeladung prasselte auf uns beide nieder. Ich schüttelte mich und begann den Schnee abzuklopfen. „Oh … verdammt … ist das kalt!!“, wimmerte ich, als der Schnee in meinem Nacken schmolz und mir eiskalt über den Rücken lief. „Selbst schuld. Du hättest aufhören sollen, als du noch die Gelegenheit dazu hattest!“ Ich warf ihm einen gespielt bösen Blick zu und seufzte leise, als er seine Arme einfach um meine Taille legte und mich wieder in einen Kuss zog. „Langsam … könnte ich mich wirklich daran gewöhnen.“ Mir war nicht bewusst, dass ich es laut ausgesprochen hatte, bis er mir über den Rücken streichelte und seine Arme fester um mich schlang. „Ja? Das wäre schön!“ Dieser Idiot! Warum schaffte er es, dass mir schon wieder ganz warm wurde. Waren es die Worte? Die Art, wie er sie aussprach? Oder die Tatsache, dass er mich fest an sich zog und nicht gewillt schien mich aus der Umarmung zu entlassen. Ich war selbst überrascht, als mir klar wurde, dass ich das auch gar nicht wollte. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und meine Arme um seine Taille. So blieben wir stehen, bis der Schlagknüppel die Glocke traf. Ihr dunkler, singender Ton übertönte die Gesänge und Gebete der Mönche. Mein Herz begann schneller zu schlagen, während der vibrierende Ton langsam wieder abklang. Selbst als der Gesang das dunkle Beben wieder übertönte, hallte es immer noch in mir nach. Kurz vor Mitternacht erklangen in ganz Japan die Joya no kane, die Silvesterglocken. Das Glockenspiel ist genau mit 108 Schlägen festgesetzt. Durch die Schläge sollen die 108 Leidenschaften, welche man im Laufe des alten Jahres angesammelt hat, vertrieben werden. So soll der Geist des Menschen frei werden und ohne Lasten und Sünden in das neue Jahr hinübergehen. Es war ein schönes Gefühl mit ihm hier zu stehen und sich um nichts Sorgen machen zu müssen. Dieses Jahr würde bald vorbei sein und das Neue kam bereits mit großen Schritten auf uns zu. Der Klang der Glocke schwoll wieder an, durchdrang mich, ließ mein Innerstes erzittern, während das Glockenspiel weiter gespielt wurde. Alle Schutzwälle, die ich aufgebaut hatte schienen bei diesem Klang zusammenzustürzen. Die Klangwellen durchfluteten mich und spülten alle Ängste und Zweifel fort. Ich blieb stumm in Uruhas Armen, als die Menschen um uns herum die Götter anriefen bevor die Glocke zum letzten Mal ertönte. „Zehn … neun … acht … sieben … sechs … fünf … vier … drei … zwei … eins …“ Tausende Luftballons mit Wunschkarten für dieses Jahr erhoben sich in die Lüfte. „Ein fröhliches neues Jahr“, wünschte ich dann, was Uruha mit einem strahlenden Lächeln erwiderte. Ich sah zu, wie die Luftballons in den Himmel stiegen und fortgetragen wurden. Wie es wohl wäre sich nur vom Wind leiten zu lassen? „Yuu?“ Ich blinzelte, sah zu Uruha auf und verlor mich in den unendlichen Tiefen seiner Augen. Er hob seine Hand und streichelte mit den Fingerrücken über meine Wange. Seine Berührung war so sanft, als hätte er Angst mich zu zerbrechen. „Das letzte Jahr bestand aus zahlreichen schweren Prüfungen. Wir haben sie gemeistert, zusammen. Ich bin mir nicht sicher, ob du das hören möchtest oder ob jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist…“ Er schluckte hart. „… aber ich … Yuu … ich liebe dich! Ich will dich nicht wieder verlieren!“ Gott … dieser verdammte Kerl brachte mich beinahe zum Weinen! Ich öffnete meine Lippen um etwas zu erwidern, aber ich bekam keinen Ton heraus. „Yuu, du musst nichts antworten, ich … wollte es dir nur sagen“, murmelte er heißer, als ich mich wieder in seine Arme schmiegte. Gut … das war gut. Ich hätte nicht gewusst, was ich antworten sollte. Wir blieben noch eine Weile stehen und genossen die Nähe des anderen. Doch als die Kälte in unsere Leiber kroch bummelten wir langsam zurück nach Hause. Seine Familie wartete dort bereits auf uns und begrüßte uns fröhlich. Nara drückte uns beiden ein Sektglas in die Hand. Im Wohnzimmer, in das wir uns zurückgezogen hatten um zu plaudern damit wir die beiden Jungs nicht weckten, wurden schließlich noch Schüsseln mit verschiedenen Speisen herumgereicht. Uruha freute sich sehr darüber, dass ich mich im Kreise seiner Familie so wohl fühlte, was sein zufriedenes Grinsen bewies. Ich saß neben ihm auf der Couch und fuhr auf der Rennbahn der Jungs ein Rennen gegen Uruhas Vater und Makoto, die sich beide herrlich ärgerten. „Verdammt noch Mal, Aoi! Ich dachte ihr habt so ein Zeug nicht zu Hause stehen?“, fluchte Makoto. „Haben wir auch nicht! Oder meinst du wir haben in unserem Wohnzimmer eine Rennautobahn aufgestellt? Heutzutage gibt’s Computerspiele.“, antwortete ich grinsend, während ich erneut als Erster im Ziel ankam. Uruha schmunzelte leicht und schüttelte den Kopf. „Du scheinst mit diesem Controller besser zurecht zu kommen!“ „Soll das eine Anspielung auf meine nicht sonderlich rumreichen Autorennen auf Kais Konsole sein?“, hakte ich nach und gähnte leise. „Oh … Entschuldigung!“ „Sollte es“, stimmte er mir zu und versuchte erfolglos ein Gähnen zu unterdrücken. Dafür, dass wir beide wenig Schlaf bekommen hatten, hatten wir bisher recht lang durchgehalten. Nun aber entschuldigten wir uns und schlichen in Uruhas Zimmer. Neben dem großen Bett war ein Futon aufgebaut, auf den ich mich sinken ließ, bevor Uruha es tun konnte. Ich sah deutlich die Missbilligung in seinem Blick. „Hör zu … ich bin hier nur Gast und der Futon reicht für mich vollkommen. Das ist dein Schlafzimmer, also leg dich nicht mit mir an und verzieh dich ins Bett!“, meinte ich streng, als er anscheinend mit mir diskutieren wollte. Er hob nur eine Augenbraue, gab sich dann aber geschlagen. Er wartete noch, bis ich mich hingelegt hatte und löschte das Licht. „Es war ein schöner Abend, danke Uruha“, murmelte ich nach einer Weile. Ich war mir nicht sicher, ob er es noch gehört hatte oder ob er schon schlief. Doch kurz bevor mich der Schlaf übermannte hörte ich ein leises ‚Schlaf gut und träum von mir!’. Das Dröhnen eines Motors ließ mich langsam wach werden. Es war dunkel um mich herum. Wo war ich? Warum konnte ich nichts sehen? Es schien zu regnen. Ich hörte, wie die schweren Regentropfen aufs Dach fielen. Stimmen drangen an mein Ohr. Sie waren jedoch so leise, dass ich nicht verstand, was sie sagten. Dennoch versuchte ich angestrengt die Worte aufzuschnappen. „Alles in Ordnung?“ Ich zuckte zusammen, als mich jemand so unvermittelt ansprach. Es war Uruhas Stimme, da war ich mir ganz sicher. Er klang besorgt. Im selben Moment leuchtete ein schwaches Licht auf, das sein Antlitz erhellte. Nur spärlich, aber ich konnte ihn sehen. Ich nickte leicht. „Kopfweh …“ Das war meine Stimme gewesen. Die Stimmen wurden wieder leiser, so als würde ich unter Wasser getaucht werden. Ich verstand nicht mehr, worüber wir sprachen. Die Dunkelheit wallte wieder hoch und verschluckte ihn. Mit einem Mal begann ich zu zittern. Angst erfasste mich, verwandelte sich in blanken Horror. Gott, was ging hier vor? Wo war Uruha? Warum konnte ich ihn nicht mehr sehen?! „Uruha?“ Flehend. Ich wollte nicht alleine sein. Ich brauchte ihn! Er durfte mich nicht im Stich lassen. „Uruha!!“ Die Dunkelheit erdrückte mich, nahm mir die Luft zum Atmen. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. „KOUYOU!“ Ich schrie seinen Namen. Hoffte, dass er mich finden würde und mich endlich aus dieser Dunkelheit führte. „Aoi!“ Seine Stimme kam von weit weg. Unruhig sah ich mich um. Plötzlich flackerten zwei gleißend helle Lichter auf. Sie blendeten mich. Der Migräneanfall kam wie aus dem Nichts. Ich stöhnte und schloss die Augen. „Verdammter Trottel, schalt das Fernlicht aus!!“ Uruha fluchte. Dann ertönte seine Stimme wieder. Panik schwang darin mit. „YUU BREMSEN!!!“ Schreie. „Aoi!“ Das Kreischen der Bremsen. „Aoi!“ Ein Krachen. „Aoi!!!“ Nach Atem ringend fuhr ich aus dem Traum hoch. „Aoi? Hey … schh … es war nur ein Traum! Nur ein Traum! Es ist alles in Ordnung!“ Uruha kniete neben mir auf dem Futon und streichelte mir beruhigend über den Rücken, als ich mich zitternd an ihn lehnte. Seine Berührungen taten gut, erdeten mich, während ich versuchte meinen keuchenden Atem unter Kontrolle zu bringen. Immer noch hielt mich die Angst fest umklammert. Todesangst. Was war das für ein Traum gewesen? Es hatte sich so real angefühlt. Meine Augen tränten. Mein Kopf pochte heftig. Eine Weile blieben wir wortlos sitzen, bis Uruha sich langsam von mir löste und mich musterte. „Rede mit mir. Was war los?“ Ich kuschelte mich fester an ihn. „Was ist?“ Mein Blick begegnete seinem. „Ich … kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich … weiß nur, dass ich riesige Angst hatte. Gott … ich hatte noch nie solche Panik! Aber … aber ich weiß nicht …“ Er nickte nur verständnisvoll und streichelte mich beruhigend weiter. „Schon gut. Soll ich dir was zu trinken holen? Einen Tee? Einen Saft? Wasser?“ Abwehrend schüttelte ich den Kopf. „Nein, danke! Es geht schon wieder. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“ Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Aber das ist doch überhaupt nicht schlimm. Hauptsache es geht dir wieder gut. Das tut es doch, oder?“ Mit einem leisen Seufzen lehnte ich mich gegen ihn und nickte leicht. Ja, jetzt wo sich mein Herzschlag wieder beruhigte und er mich festhielt ging es besser. „Versuch wieder einzuschlafen.“ Seine Stimme war leise, sanft als er für mich zu singen begann. Die Sicherheit, dass er hier bei mir war ließ mich wieder zur Ruhe kommen. Heftige Kopfschmerzen rissen mich aus dem Schlaf. Ich blinzelte träge und drückte meinen Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel, um dem Schmerz Herr zu werden. Ich musste unbedingt eine Tablette nehmen, sonst würden die Kopfschmerzen zu einer Migräne ausarten. Mein Blick ging zu Uruha hinüber. Er saß neben mir und sah aus dem Fenster. Ich hörte eine Stimme. Meine? Mir war nicht bewusst, dass ich ihn angesprochen hatte. Uruha sah müde und recht blass aus, aber wir waren gleich zu Hause. Dort würde er sich ausruhen können. Er zuckte zusammen als ein Wasserschwall gegen die Fensterscheibe spritzte. Draußen war es dunkel, die Straße nass. Es regnete in Strömen. Die Lichter der Straßenlaternen spiegelten sich im Wasser und wurden grell zurückgeworfen. Die Scheibenwischer kratzten rhythmisch über die Frontscheibe und versuchten das Wasser zu verdrängen. Zwischen uns dehnte sich die Stille aus, bis Uruha sich zu mir drehte und mich besorgt musterte. „Alles in Ordnung?“ Ich wusste, dass ich etwas antwortete, konnte aber nicht hören, was es war. Mein Blick richtete sich wieder auf die Straße, welche plötzlich abfiel. Wir fuhren auf eine Unterführung zu. Der schwarze Schlund öffnete sich. Ich schrie, als die Dunkelheit uns verschluckte, klammerte mich panisch am Lenkrad fest. Orange Lampen. In der Dunkelheit flackerte ein warmes, oranges Licht. Doch es erhellte die Umgebung nur spärlich. Vor uns erstrahlte ein weiterer Lichtkegel, erfasste die regennasse Straße und die grauen, trostlosen Wände. Grauen erfasste mich. Mein Atem stockte, mein Puls begann zu rasen. Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Mein Blick verschwamm. Ich konnte nichts mehr klar erkennen. Plötzlich blitzten zwei grelle Lichter auf. Als hätte er darauf gewartet explodierte der Schmerz hinter meiner Stirn. Er ließ meinen Körper erstarren, unterwarf sich ihn. Ich konnte nicht mehr reagieren, konnte mich nicht bewegen. Ich versuchte dagegen anzukämpfen und verlor! „Verdammter Trottel, schalt das Fernlicht aus!!“ Uruhas Stimme inmitten der Dunkelheit. „YUU BREMSEN!!!“ Schreie. Jemand schrie. Das Kreischen der Bremsen! Das Geräusch von sich verbiegenden Metall. Angst! Schreckliche Angst. Aber nicht um mich. Meine Sorgen galten nur einer einzigen Person: Kouyou. Ich hatte Kouyou umgebracht. „NEIN!“ Wieder saß ich aufrecht auf dem Futon. Zitternd hob ich meine Hand und wischte die Tränen weg, die mir über die Wangen liefen. Ein unkontrollierbares Schluchzen brachte meinen Körper zum Beben. Uruha schien mich dieses Mal nicht gehört zu haben. Das Licht ging nicht an, was die unterschwellige Furcht in mir weiter entfachte. Immer noch zitterte ich. Aber wie auch zuvor konnte ich mich an keine Einzelheiten des Traums erinnern. Wieder schluchzte ich auf und drückte meinen Unterarm gegen die Lippen um Uruha nicht zu wecken. Mir war kalt, so furchtbar kalt. Ich fühlte mich so alleine, so einsam. Ich brauchte ihn! Trotz meiner Versuche mich zu beruhigen schlug mein Herz nach weiteren endlosen Minuten immer noch viel zu schnell. Die Schatten wurden länger, dehnten sich aus, griffen nach mir. Sie wollten mich verschlingen, mich in die Abgründe meines Alptraums katapultieren. Zitternd erhob ich mich und krabbelte zu Uruha aufs Bett. Vorsichtig schmiegte ich mich an ihn und spürte, wie ein Teil meiner Angst nachließ als ich seine Wärme spürte. „Aoi?“ Seine Stimme klang müde. Er streckte seinen Arm aus. Das Licht ging an. „Oh mein Gott, was ist passiert?“ In seinen Augen spiegelte sich das Entsetzen wieder, das in mir tobte. Sofort zog er mich in seine Arme, was nur wieder dazu führte, dass ich haltlos zu weinen begann. Er hielt mich fest, fragte nicht nach, was passiert war. Er war einfach da, redete beruhigend auf mich ein und schenkte mir seine Nähe. „Nein!! Nicht weggehen! Lass mich nicht alleine!“ Wieder stieg die Panik in mir hoch, als er aufstehen wollte. „Schh … Yuu es ist alles in Ordnung. Beruhige dich!“ Wieder zog er mich in seine Arme und blieb eine Weile so mit mir sitzen. „Du legst dich jetzt hin und ich koche uns beiden eine Tasse Tee. Danach wird es dir besser gehen.“ Ich kuschelte mich unter seine Decke und sah zu, wie er in den Bademantel schlüpfte und das Zimmer verließ. Ich verstand mich nicht. Dieser Traum … Warum konnte ich mich nicht daran erinnern? Was war geschehen, dass ich wach wurde und vor Schock zu weinen begann? Als Uruha mit einem Tablett den Raum betrat fuhr ich erschrocken zusammen. Ein Blick auf den Wecker zeigte mir, dass er 7 Minuten weg gewesen war. 7 Minuten und 34 Sekunden. Er stellte es auf dem Nachttisch ab und setzte sich zu mir aufs Bett. Sofort rutschte ich zu ihm hinüber und schmiegte mich an seine Brust. Er hielt mir eine Tasse hin. Stille senkte sich über uns, als wir am Tee nippten. „Kannst du dich an den Traum erinnern?“ Er sah mich wieder mit diesem besorgten Blick an. „Nein … nein, kann ich nicht. Ich … ich weiß nur, dass es schlimmer war als zuvor! Da war etwas … ich kann es immer noch spüren. Diese Angst …“ Wieder erfasste mich ein Zittern. „Ganz ruhig, Yuu. Es war nur ein Traum. Versuch dich zu entspannen. Ich bin hier!“ Tatsächlich gelang es mir langsam ruhiger zu werden. Der Tee trug auch seinen Teil dazu bei, aber vermutlich lag es daran, dass ich mich in Uruhas Armen einfach sicher und geborgen fühlte. „Kann ich … bei dir schlafen?“ Uruha sah mich zuerst etwas überrascht an, nickte dann aber zustimmend. „Natürlich darfst du bei mir schlafen!“, antwortete er schließlich. Es überraschte mich nicht. Er war immer so lieb zu mir. Uruha griff nach meiner leeren Teetasse und stellte sie zur Seite. Dann schaltete er das Licht aus und ich kuschelte mich an seine Brust. Er legte einen Arm um mich, zog mich an sich und plötzlich spürte ich seine Lippen an meiner Stirn. „Ich bin da, versuch noch ein bisschen zu schlafen! Dir kann nichts passieren. Ich passe immer auf dich auf.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)