Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 20: Kapitel 20 ---------------------- ~Uruha POV~ Obwohl die Mittagszeit bereits vorbei war, als wir die Nakamise-dori (Straße) zum Senso-ji Tempel entlang schlenderten, hatte keiner von uns wirklich Lust darauf etwas zu essen. In Asakasu, schlägt bekanntlich das Herz des alten Tokyos. Das war für mich Grund genug mit ihm die alten Straßen rund um den Tempel und seinen Gärten zu besuchen. Ich wollte nicht unbedingt den Fremdenführer spielen, aber Aoi schien sich hier kein bisschen auszukennen. Hätte man ihn irgendwo in Tokyo hingestellt, er hätte nicht wieder raus gefunden. Das fand ich doch etwas erschreckend. Er konnte noch alles machen, was mit dem täglichen Leben zu tun hatte. Er wusste wie man eine Kaffeemaschine bediente, wusste wie er den Fernseher einschaltete oder die Konsole verwendete. Sogar an Kochrezepte konnte er sich erinnern und er kochte auch gerne (wenn es auch weiterhin Essen à la Aoi war – er würde nie ein Sternekoch werden.). Er wusste, was die Hauptstadt von Japan war, oder wo das Weiße Haus zu finden war, aber dann gab es wieder Dinge, die er nicht wusste oder an die er sich einfach nicht erinnern konnte. Dazu zählte zum Beispiel das Gitarrespielen oder sich, wie in diesem Fall, in Tokyo zurecht zu finden. Ihm sagten teilweise nicht einmal die Namen der wichtigsten Gebäude oder Denkmäler etwas. Vermutlich würde er nicht einmal alleine nach Hause finden, wenn wir uns aus den Augen verloren. Aoi war vor einem Schaufenster stehen geblieben und sah zu, wie eine Familie sich gerade mit allem möglichen Kitsch eindecken ließ, das im Ausland das Prädikat ‚typisch Japan’ erhält. Er schüttelte nur leicht den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. Er war nach dem Besuch des Tokyo Towers eine Weile lang verdächtig ruhig geblieben und schien seinen Gedanken nachzuhängen. Als er sich jetzt zu mir drehte schien er das wieder abgeschüttelt zu haben. „Ich nehme an, man ist in einem fremden Land immer so, was?“, fragte er dann und schlenderte weiter neben mir her. „Naja sollte ich dir die Kiste voll Souvenirs raussuchen, die du damals gekauft hast, als wir in Österreich für Cassis gedreht haben?“, fragte ich dann langsam und musste ein breites Grinsen verkneifen als er stehen blieb und mich erstaunt ansah. „Echt jetzt!?“ Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. „Weißt du, du bist eher der Typ, der ein Foto vor einem Souvenirladen macht und weitergeht. Die Dinger zum Hinstellen waren nie so wirklich das, was du gerne mitgenommen hast. Aber du liebst es Fotos zu machen, einfach damit man sich später mal daran erinnern kann. Du sagtest immer, Erinnerungen durch die Fotos wären dir mehr wert als so ein ‚dämliches’ Souvenir, das man dann doch in eine Kiste packt und wegräumt!“ Außerdem waren seine Souvenirs meistens kostspieliger, denn Aoi stand auf Gitarren! Er schien sich darin wieder zu erkennen, denn dieses Mal schien es ihn nicht zu stören, dass ich ihm so direkt sagte, was er mochte und was nicht. „Lass uns in die Nebenstraßen gehen, die sind interessanter, als die Hauptstraße und setz deine Mütze wieder auf, die Leute gucken schon!“, meinte ich dann. Aoi sah mich nur fragend an, bog aber breitwillig ab und folgte mir durch die Gasse, während er seine Haare unter die rote Schirmmütze schob. „Hauptstraßen sind meistens vollgestopft mit Touristen und den typischen Souvenirläden. Aber hier kann man noch wirklich altes Handwerk sehen!“, erklärte ich ihm, während wir an den Läden vorbeibummelten. Immerhin wollte er ja eine Erklärung dafür haben, warum ich ihn von der Straße scheuchte. Wir sahen zu, wie ein älterer Herr Bilderrahmen selbst baute, die eine Angestellte dann kunstvoll bemalte. Ein paar Geschäfte weiter wurden traditionelle Lampions von Hand bemalt. Ich liebte das Zeichnen. Schon in der Schule war ich darin immer gut gewesen. Es begeisterte mich etwas detailgetreu und liebevoll zu gestalten. Am Faszinierendsten war für uns beide jedoch das Handwerk des Instrumentenbauers. Es gab eine kleine Werkstatt mit Laden, die in einer der Seitenstraßen versteckt lag. Dort sahen wir eine Weile dabei zu, wie eine Akustikgitarre zusammengebaut wurde. Aois Augen glänzten vor Freude, weshalb es mir schwer fiel ihn nach beinahe zwei Stunden doch weiter zu scheuchen. Ich wusste nicht inwiefern er im Moment das Verständnis für Musik aufbringen konnte. Wenn ich versuchte mit ihm etwas zu spielen gab er mir die Gitarre recht schnell wieder zurück und sah lieber dabei zu, wie ich spielte, anstatt es selbst zu versuchen. Doch die Faszination, die eine Gitarre auf ihn ausübte, war noch genauso wie früher! Das konnte ich auch in dieser Werkstatt beobachten. Allerdings brachte er es nicht über sich eine der Gitarren auszuprobieren. Dafür stellte er tausende Fragen. Beinahe hatte ich das Gefühl ich müsste ihn rausbringen, damit die Mitarbeiter ihre Ruhe vor ihm hatten, doch der Meister beantwortete seine Fragen geduldig und freundlich, so als wäre er froh jemanden zu treffen, den dieses Handwerk wirklich interessierte. Am Senso-Ji Tempel angekommen organisierte ich uns etwas zu trinken und schmunzelte, als ich Aoi an einem der kleinen Marktstände stehen sah, an dem Gebetsbänder verkauft wurden. Als ob er nicht schon hunderte zu Hause hatte. Er drehte sich zu mir um und nahm dankbar das Wasser entgegen, das ich ihm reichte. Dann grinste er mich zufrieden an. „Geht die Fremdenführung jetzt weiter?“, fragte er mich neckend. „Wenn du denn eine haben willst?“ War das nun ein Scherz, oder hatte er es tatsächlich nicht gemocht, dass ich ihm einige Erklärungen gegeben hatte? Er war nicht wirklich der Typ, der sich gerne Dokumentationen im Fernsehen ansah. Aber hin und wieder interessierte es ihn doch. „Natürlich! Ich hör dir gerne zu!“ Nun, das … überraschte mich wirklich ein bisschen, doch die Überraschung hielt nicht lange an. „Na dann herzlich willkommen am Senso-Ji, einer der größten Touristenattraktionen, die Tokyo zu bieten hat!“, begrüßte ich ihn dann, was ihm ein kleines Lachen entlockte. „Du weißt, dass Asakusa der älteste Stadtteil von Tokyo ist, nicht wahr? Der Senso-Ji ist der bedeutendste Tempel in ganz Tokyo und seine Geschichte reicht bis ins 7. Jahrhundert zurück!“ Aoi drehte den Verschluss wieder auf die Flasche und folgte mir dann über den Platz. „Der Legende nach fanden im Jahr 628 zwei Fischer im Sunida Fluss eine Statue der Göttin der Gnade und brachten diese zum Dorfoberhaupt. Der erkannte die Heiligkeit der Statue und baute daraufhin sein Haus zu einem Tempel um, sodass die Dorfbewohner der Statue huldigen konnten. Dieser erste Tempel wurde im Jahr 645 fertiggestellt, was Senso-Ji zum ältesten Tempel in Tokyo macht. Senso-Ji wurde während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört und nach dem Ende des Kriegs wieder aufgebaut. Er gilt heute als ein Symbol für den Frieden.“ „Sag mal … wie kannst du dir diese ganzen Daten überhaupt merken!?“, fragte er mich dann wie aus dem Nichts und stieg neben mir die Treppe zum Donnertor nach oben. Das wuchtige Eingangstor ist unglaublich beeindruckend und auch Aoi vergaß seine Frage, als er unter der riesigen Laterne aus Papier hindurchging, die am Eingang hängt und rot und schwarz angemalt ist, was den Blitz und Donner symbolisieren sollte. Wir schienen heute wirklich Glück zu haben. Normalerweise war dieser Tempel aufgrund seiner Bekanntheit ein wirklicher Anlaufpunkt für Touristen und meistens heillos überfüllt. Obwohl die Gärten im Inneren des Tempels in Reiseführern als beschaulich und ruhig versprochen werden, konnte ich das nicht bestätigen. Dazu war das Getümmel hier einfach viel zu groß. „Außerdem sind die Tempelanlagen…“ Ich erstarrte leicht, als Aoi nach meiner Hand griff und mich ernst ansah. „Es ist toll, dass du mir das alles erzählst, aber könnten wir kurz … nun ja ein bisschen innehalten und das genießen?“ Ich musste lächeln. „Natürlich!“ Wir betraten das Innere des Tempels und blieben vor einer kleinen Gebetsstätte stehen. Aoi sah etwas sehnsüchtig zu den Räucherstäbchen hinüber, die man kaufen konnte. „Lass uns ein kurzes Gebet sprechen, ja?“, bat er dann. Ich war überrascht. Er war sonst eigentlich nicht der religiöse Typ. Der Tempel musste ja wirklich einen enormen Eindruck auf ihn machen. Wir zündeten Räucherstäbchen an und steckten sie, in die dafür vorgesehenen Halterungen. Aoi wurde neben mir ganz ruhig und auch ich beschloss kurz in mich zu gehen. So genau, wusste ich nicht, für was ich beten sollte! Glück? Eine tolle Zukunft? Doch dann entschied ich mich einfach dazu demjenigen zu danken, der seine schützende Hand über Aoi und mich gehalten hatte, als wir diesen Unfall hatten und bat ihn, nicht um Meinetwillen, sondern für Aoi selbst, dass seine Erinnerungen bald zurückkehren würden. Ich fühlte mich etwas erleichtert, als ich meine Augen wieder öffnete. Im Hauptteil des Tempels befindet sich eine fünfstöckige Pagode, die Kannon Bosatsu gewidmet ist. Aoi sah einfach nur hoch, empfand sie als beeindruckend genug für ein Foto mit seinem Handy und schon hatte er sich bei mir eingehakt und zog mich weiter, als das Getümmel immer mehr zunahm. Er war ziemlich blass geworden und außerdem schien er Probleme beim Laufen zu haben. Durch die Verletzung am Knie hatte er hin und wieder Schmerzen, obwohl sie bereits verheilt war. Wenn es ihm zu anstrengend wurde, verfiel er dann, trotz Therapie, wieder ins Hinken. Ich sah ihm deutlich an, dass er nicht mehr konnte. Generell waren wir – mit einigen Ruhepausen – den ganzen Tag unterwegs gewesen. Ein bisschen Ruhe und etwas zu Essen, wäre vermutlich nicht so verkehrt. Dennoch fuhren wir weiter zu einem unserer Lieblingsorte hier in Tokyo: Den Meiji Schrein und die dazugehörigen Parkanlagen. Ich hatte ihn mir aufgespart, weil ich mit ein bisschen mehr Ruhe diese Stadtführung beenden wollte. Dort suchten wir uns ein Restaurant aus und setzten uns schließlich auf die Terrasse – nahe am Wasser um den Enten zuzusehen, die sich dort tummelten. Aoi ließ ein leises Seufzen hören, als er die Beine ausstreckte und sich zurücklehnte. Er war wirklich verdammt blass und sein Gesichtsausdruck besagte eindeutig, dass er wieder Kopfschmerzen hatte, was meine Besorgnis nicht gerade dämpfte. „Ist mit dir alles in Ordnung? Wenn nicht, können wir auch nach Hause fahren!“ Aoi öffnete seine Augen, sein Blick war strafend. Was war denn jetzt schon wieder!? „Kou? Falls es dir nicht aufgefallen ist: Du hast mich den ganzen Tag nicht wie einen Invaliden behandelt. Fang jetzt bitte nicht damit an! Ich muss mich nur ein bisschen ausruhen, ja?“ Mein Herz begann heftiger zu pochen. Kou! Er hatte mich Kou genannt! Das war immer schon sein Spitzname für mich gewesen, wenn er zu faul war meinen ganzen Namen zu sagen und unbewusst schien er sich wieder daran zu erinnern. Ihm selbst war nicht einmal klar, was er gerade gesagt hatte. Aber mir war es aufgefallen, weil ich schon viel zu lange darauf hatte warten müssen so genannt zu werden. Ich wusste, dass ich es ab und an mit meiner Fürsorge übertrieb, daher schluckte ich meine Erwiderung hinunter und nickte nur. Sein Blick wurde wieder weicher, so als hätte ich ihm damit wirklich eine große Freude gemacht, was mit einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Gott dieser Blick alleine reichte aus um mich glücklich zu machen. Ich wusste ja, warum ich mich in ihn verliebt hatte. Blicke wie diese waren definitiv ein Grund dafür gewesen. Ein weiterer tauchte auf, als Aoi auf den Teich hinaus sah. Auf seinen Lippen lag ein zufriedenes Lächeln und obwohl er immer noch blass war, war er der schönste Mann, der hier in diesem Restaurant saß. Sein Anblick haute mich nach all den Jahren immer noch um. Ich ballte meine Finger zu Fäusten, da ich das Bedürfnis hatte ihm eine Strähne nach hinten zu streichen, die sich gelöst hatte und nun vom Wind nach vorne geweht wurde. „Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“ Das Lächeln, mit dem Aoi den Kellner bedachte, riss mir erneut den Boden unter den Füßen weg. Was würde ich dafür geben, wenn er mich auch mal so ansehen würde? Vor allem in letzter Zeit, waren solche Blicke und dieses Lächeln eine Seltenheit. Wir bestellten gleich die Getränke, so wie das Essen und gaben ihm die Speisekarten wieder zurück. Aoi schloss den Reißverschluss seiner ärmellosen Jacke und zog die Ärmel seines schwarzen Pullis nach vorne. „Ist dir kalt?“ Es war Anfang November, der Herbst hatte die Natur bereits voll im Griff und bereitete sie auf den Winter vor. Dementsprechend kühl war es auch – vor allem weil die Sonne nun am Horizont verschwand. „Ja es ist recht frisch hier draußen. Aber ich will mich nicht reinsetzen! Es ist viel zu schön um schon wieder nach drinnen zu gehen!“ Ich hatte so was schon geahnt, weshalb ich auch den Platz auf der Terrasse ausgesucht hatte. Er genoss er es viel zu sehr einmal nicht in Gebäuden zu sein. Ich wusste sehr wohl, wie ungern er den ganzen Tag über im Haus saß. Leider hatten wir bisher nicht wirklich die Möglichkeit gehabt viele Ausflüge zu unternehmen. Die Ärzte hatten ihm Anstrengung verboten und ich wusste, dass auch dieser Tag heute, so schön er auch gewesen war, knapp an der Grenze schrammte. Er sah eine Weile auf den Teich hinaus und plötzlich richtete sich sein dunkler Blick auf mich. Ich erwiderte ihn und versank in diesen wunderschönen, dunklen Augen. Auch Aoi, der anscheinend etwas hatte fragen wollen, schien seine Frage zu vergessen. Er sah mich einfach nur an, bis der Kellner die Getränke vor uns abstellte und damit diesen magischen Moment beendete. Erst jetzt räusperte Aoi sich und hob verlegen das Glas an seine Lippen um ein paar Schlucke zu trinken. Täuschte ich mich, oder war er etwa rot geworden? Auch ich griff nach dem Glas und nippte am Mineralwasser, bevor ich es wieder abstellte. Ich wollte etwas sagen, doch Aoi kam mir zuvor. „Vielen Dank für den Tag heute, Kou. Es war wirklich schön!“ Etwas verlegen zuckte ich mit den Schultern. „Gern geschehen!“ „Nein! Du verstehst nicht … Danke, wirklich! Es war so schön einmal raus zu kommen. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich mag es auch mit dir DVDs zu gucken, zu zocken, oder mit dir zusammen die Fotoalben durchzublättern. Ich mag es dir zuzuhören, wenn du von der Band erzählst oder wenn du Gitarre spielst. Aber das heute war anders! Du bist ein toller Fremdenführer und die Führung war durchaus sehr interessant!“ War das ein Kompliment? Mir war bei den Worten ganz warm geworden. Er mochte es Zeit mit mir zu verbringen! Das war doch schon mal sehr positiv, nicht wahr? Der Stachel, der sich durch Aois ‚Ausrutscher‘ in mein Herz gebohrt hatte, löste sich wieder. Wie sollte ich ihm böse sein, wenn er … es so sichtlich genoss in meiner Nähe zu sein und wenn er so glücklich aussah, wie gerade. Ein zufriedenes Lächeln begann sich auf seinem Gesicht auszubreiten. Er wirkte mit einem Mal so entspannt. „Es ist wirklich schön hier!“, murmelte er dann leise. „Der ganze Trubel ist weit weg!“ Damit hatte er wirklich Recht. Der ganze Autolärm war verschwunden. Ein kleines Paradies inmitten der Stadt. „Deshalb kommen wir eigentlich gerne hier her, wenn wir frei haben. Es ist ein schöner Ort zum Entspannen!“ Ich wusste gar nicht so recht, was ich da gesagt hatte, bis ich Aois Blick auf mir spürte. Oh! Ich hätte nicht wieder davon anfangen dürfen. Er hatte sich zwar mittlerweile damit abgefunden, dass er mein Partner gewesen war, doch solche Aussagen brachten ihn meistens dazu sich wieder in seinem Schneckenhaus zu verkriechen um die Realität auszusperren, sobald er endlich mal etwas offener mit mir umging. Doch er überraschte mich dieses Mal, als er einfach nickte und mich anlächelte. Nach dem Essen entschieden wir uns noch dazu den Meiji Schrein anzusehen. Aoi war zwar immer noch etwas blass, aber er sah schon erholter aus. Auch das Hinken war weniger geworden, sodass ich mir recht sicher war, dass ihm die Ruhepause gut getan hatte. Außerdem wollte er die Anlagen unbedingt sehen, so als hätte er keine Gelegenheit mehr hier her zu kommen, was natürlich Unsinn war. Wir schlenderten durch den Park zurück zum Schrein, während ich ihm wieder ein paar Infos dazu gab, die er aufsaugte, wie ein trockener Schwamm das Wasser. „Der Meiji Schrein ist dem beliebten Tenno Meiji gewidmet, der von 1867 bis 1912 über das Land herrschte. Kaiser Meiji trat nach seiner Thronbesteigung selbst an die Spitze der Regierung, trieb die Modernisierung des Landes voran, führte öffentliche Schulen, Telegraphen und die Eisenbahn ein, baute moderne Universitäten und Krankenhäuser und machte Japan zu einer modernen Industrie- und Seemacht. Während seiner Regentschaft wurde der Regierungssitz von Kyoto nach Edo verlegt, das später in Tokyo umbenannt wurde und damit wurde Tokyo zur Hauptstadt des Landes.“ Aoi nickte zustimmend. „Daran kann ich mich erinnern. Er starb im Jahre 1912 und seine Frau Shoken-kotaigo bald nach ihm, nicht wahr? Dann wurde der Schrein gebaut und am 1. November 1920 wurden die sterblichen Überreste des kaiserlichen Paars in den Schrein überführt. An diesem Tag findet auch heute noch das große Herbstfest statt. Weitere bedeutende Feste finden hier an den Todestagen von Tenno Meiji (30. Juli) und seiner Frau (11. April), sowie am Geburtstag des Tenno (3. November) statt.“ „Du hast ja in Geschichte doch aufgepasst!“ Ein leises Schnauben war die einzige Antwort, die ich von ihm bekam. Durch ein Torii betraten wir den Naien, den inneren Bezirk des Geländes mit den Schreinanlagen, und bummelten eine Weile darin herum. An einem kleinen Brunnen blieben wir stehen. Dort hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Wir wuschen uns die Hände und spülten uns den Mund aus, so wie es sich gehörte. Dann erst durfte man den Schrein betreten. Nicht, dass sich die Touristen daran hielten. Aber vermutlich wäre es auch zu kompliziert geworden das zu überprüfen. Wenigstens hielten sie sich daran, beim Betreten des Schreins nicht in der Mitte zu laufen. Dieser Weg war für die Götter reserviert. Aoi sah sich neugierig um. Es schien ihm wirklich zu gefallen. Auch wir beide zogen eine Münze aus unseren Taschen klatschten zwei Mal in die Hände und warfen die Münzen in den Sammelkasten. Danach durfte man sich etwas wünschen – allerdings im Stillen. Als der Gedanke des Wunsches verflogen war, verbeugten wir uns und gingen wieder. Aoi strahlte beinahe. Er wirkte wirklich glücklich, was auch mich fröhlich stimmte. „Was hast du dir gewünscht?“ Er hob nur die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. „Das darf man doch nicht laut aussprechen, sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung!!“ Anschließend sahen wir uns auch im äußeren Bezirk des Geländes um, dem sogenannten Gaien. Hier gibt es eine Gemäldegalerie zum Andenken an Kaiser Meiji, die Meiji-Gedächtnishalle und Sportanlagen, wobei wir diese eher aus der Ferne bewunderten. Für den Nachhauseweg nahmen wir uns dann ein Taxi. Ich wollte es ihm nicht zumuten auch noch in einer U-Bahn eingepfercht zu werden und es war ja nicht so, dass bei uns Geldknappheit herrschte. Nur, dass es ihn vermutlich genauso aufregte im Taxi zu sitzen. Ich machte uns noch einen Tee in der Küche, doch als ich mit der Tasse ins Wohnzimmer kam um ihm eine gute Nacht zu wünschen, war er bereits – mit Jacke und Schuhen – auf dem Sofa eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)