Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- ~Uruha POV~ „Wer sind Sie?“ Von allen Fragen, die er hätte stellen können, war das diejenige, die mich am meisten verletzte und mich bis in die Grundfesten erschütterte. Ich hatte mir sein Aufwachen so oft vorgestellt, hatte davon geträumt wie es sein würde, wenn er endlich wieder aus dem Koma erwachte. Aber kein einziges Mal hatte ich daran gedacht, dass er mich nicht mehr kennen würde. Die Abweisung in seinen Augen zu sehen, während ich ihm doch eigentlich nur nahe sein, ihn lieben wollte, tat schrecklich weh. Er hatte mich vergessen, hatte auch unsere Liebe vergessen. Nach den letzten Monaten war das zu viel für mich. Ich hatte die Tür geschlossen und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand, unfähig auch nur einen Schritt weiter zu gehen und seinen Arzt zu holen, so wie ich es ihm gesagt hatte. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich zuckte erschrocken zusammen und sah auf. Doktor Ishida stand vor mir und runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Ich nickte wie mechanisch. „Ich wollte … Sie holen gehen. Yuu ist aufgewacht“, sprudelte es aus mir heraus. Er nickte bedächtig und musterte mich weiterhin. Eigentlich hatte ich ja erwartet, dass er sofort in den Raum stürmte. Aber er blieb hier. Wenigstens fragte er nicht, warum ich so dämlich hier im Gang herumstand, wenn ich ihn holen wollte. „Das ist doch schön!“ Ich hob den Kopf. „Er erkennt mich nicht mehr!“ Ich erschrak selbst über die Entrüstung in meiner Stimme, doch er lächelte nur nachsichtig. „Das kann vorkommen, wenn Patienten aus dem künstlichen Koma erwachen. Recht oft haben Menschen, die längere Zeit im künstlichen Koma verbracht haben, nach dem Aufwachen ein paar Probleme: Ihr Kreislauf kann verrückt spielen, sie können Schlafstörungen und Alpträume haben, stark schwitzen, verwirrt oder sogar aggressiv sein. Es gibt auch welche, die Halluzinationen und Wahnvorstellungen haben, oder welche, die, wie in Shiroyama-sans Fall, andere Personen nicht erkennen. Das wird unter Medizinern als Durchgangssyndrom bezeichnet. Dieser Zustand hält in der Regel aber nicht so lange an. Aber da Shiroyama-san gerade erst aufgewacht ist, ist es kaum verwunderlich, wenn er im Moment keinen klaren Gedanken fassen kann. Geben Sie ihm Zeit.“ Ich war wieder ruhiger geworden, während der Arzt mir erklärt hatte, was mit ihm los war. Ich schien einfach Erklärungen zu brauchen. Wenn ich verstand was los war, dann war es in Ordnung. Aber so einfach ins kalte Wasser geschmissen zu werden, hatte bei mir meistens einen Herzstillstand zur Folge, anstatt schwimmen zu lernen. Erklärte man mir aber, wie das Schwimmen funktionierte und dass ich dazu ins kalte Wasser musste, verlief es ohne Probleme. „Wollen wir rein gehen?“ Er drückte die Klinke hinunter und trat in den Raum. Ich folgte ihm und schloss die Tür hinter mir. „Sind Sie sicher, dass er wach war?“, fragte der Arzt. Aoi hatte die Augen wieder geschlossen und lag regungslos im Bett. Ein Traum? Hatte ich geträumt? Oder halluziniert!? Dr. Ishida nahm eines der Klemmbretter, auf denen die Notizzettel mit Aois Werten geklemmt waren und checkte ihn durch. „Haben Sie die Atemmaske entfernt?“, fragte er mich dann, während er diese in die Hand nahm und nachdenklich drauf sah. „Ich hab ihm ein bisschen was zu trinken gegeben. Nur ein paar Schlucke.“ Dr. Ishidas Augenbrauen gingen nach oben. Er legte die Atemmaske wieder über Aois Mund und Nase und nahm das Band um es über seinen Kopf zu ziehen und sie so zu fixieren. Aoi murrte leise und drehte den Kopf weg. Dr. Ishidas ernster Gesichtsausdruck wich einem Lächeln, als er die Atemmaske wieder fixierte. Er legte Aoi eine Hand an die Schulter und übte leichten Druck aus. Aois Augenlider zuckten. „Shiroyama-san!“ Eindringlich. Doch Aoi reagierte nicht. „Yuu?“ Flatternd öffneten sich seine Augen. Orientierungslos irrte sein Blick durch den Raum. Er schien ihn nicht fokussieren zu können und hatte sichtlich Schwierigkeiten wach zu bleiben. „Können Sie ihre linke Hand zur Faust ballen?“ Ich glaubte eher weniger daran, dass Aoi in diesem Zustand verstand, was er machen sollte. Doch seine Finger ballten sich langsam zu einer Faust – zwar nicht fest, aber merklich. Der Arzt schnipste neben seinem Ohr. Aoi zuckte leicht zusammen, presste die Lider wieder aufeinander und drehte seinen Kopf weg. Kurz darauf atmete er wieder ruhig. Er war wieder eingeschlafen. Ich sah von ihm auf und bemerkte erst jetzt, dass sich sein Arzt bereits wieder Notizen machte. „Geht es ihm gut?“, fragte ich dann besorgt. Doktor Ishida sah auf und hängte das Klemmbrett wieder an seinen Platz. „Bisher kann ich nicht viel sagen. Fürs Erste sieht es ganz gut aus. Seine Werte sind alle stabil und diese Desorientierung ist normal. Er ist müde und braucht Ruhe und Schlaf. Man glaubt es kaum, aber das Wachwerden ist in diesem Zustand schon ein einziger Kraftakt.“ Ich biss auf meine Unterlippe und sah wieder auf Aois schlafendes Gesicht. „Er wird nicht wieder ins Koma fallen, oder?“ Das war meine größte Angst. „Es ist eher so, dass er im Moment sehr viel Kraft braucht, die er nicht hat. Daher wird er fürs Erste viel schlafen, auch wenn er gerade aus einem tiefen Schlaf aufgewacht ist. Er reagiert auf Berührungen und Geräusche, was sehr gut ist. Außerdem hat er verstanden, um was ich ihn gebeten habe und er hat es auch versucht durchzuführen. Soweit ist das ein sehr gutes Zeichen. Alle anderen Untersuchungen werde ich ansetzen, sobald er wieder wach wird. Dann können wir feststellen ob irgendwelche Folgeschäden entstanden sind und wie es ihm geht. Allerdings wird das wohl erst morgen der Fall sein.“ Er sah auf die Uhr. Die Besuchszeit war vorüber und ich wusste, dass ich gehen musste. Aoi war hier gut aufgehoben, so wie auch in den letzten Monaten. Ich bedankte mich noch einmal bei seinem Arzt, packte meine Sachen zusammen und beugte mich über ihn, um ihm noch einen Kuss auf die Stirn zu geben. „Schlaf gut, Schatz. Ich komm morgen wieder vorbei.“ Auf dem Rückweg vom Krankenhaus (ich nahm das Taxi), informierte ich Aois Eltern über seinen Zustand. Die Erleichterung und Freude war ihnen selbst über das Telefon anzuhören, was mich zum Lächeln brachte. Sie versicherten mir, dass sie demnächst wieder nach Tokyo kommen würden um nach ihm zu sehen. Kai öffnete die Tür nachdem ich geklingelt hatte und ließ mich hinein. Er hob seine Augenbrauen und lehnte sich an die Wand, als ich meine Schuhe von den Füßen kickte. „Ok … spucks aus!“, kam es von unserem Leader. Ich hängte meine Jacke auf den dafür vorgesehenen Kleiderbügel und drehte mich zu ihm um. „Er ist aufgewacht!“ Ein einfacher Satz, doch er schlug bei Kai ein, wie eine Bombe. „Wann? Jetzt gerade?“, fragte er und hatte schon das Handy in der Hand um eine SMS zu tippen. Er sagte nicht explizit an wen diese verschickt werden sollte, aber ich ahnte, dass Reita und Ruki die Empfänger waren. „Ja, als ich bei ihm war“, sagte ich und lehnte die Gitarrentasche an die Kommode. „Wie geht es ihm?“ Ich folgte Kai in die Küche – immerhin war er gerade beim Kochen – und setzte mich an den Tisch. Meine Stimmung war umgeschlagen. Kai bemerkte es sofort. „Was ist …“ Das Telefon klingelte. Der Drummer verzog das Gesicht, ging aber gleich dran. „Hallo Ruki … hmm … ja ist gerade vom Krankenhaus gekommen … ja, ich denke schon …“ Weiter bekam ich das Gespräch nicht mit, denn nun klingelte mein Handy. Reita. „Ich wette Ruki hängt bei Kai in der Leitung, was?“, kam es von unserem Bassisten. Also hatte er wohl erst nach Ruki versucht anzurufen und war in der Warteschleife gelandet. Ich gab nur einen zustimmenden Laut von mir und musste grinsen, als Kai sich mit einem Zischen umdrehte und mit kritischem Blick die Pfanne mit den Gyozas musterte. „Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen! Wie geht es ihm? Was hat er gesagt?“, fragte Reita. Kai deutete auf das Essen und dann auf das Handy, während er laut ins Telefon sagte: „Ich weiß es doch auch noch nicht. Du musst Uruha fragen … warte, ich denke es ist besser, wenn wir ein Gruppentelefonat machen. Ruf bei Uruha durch, da hängt Reita gerade an der Strippe.“ Damit schmiss er Ruki aus der Leitung, legte das Telefon auf den Tisch und zog die Pfanne vom Herd. „Phu…“, machte er nur leise. „Uruha? Bist du noch dran?“ Ich löste mich aus der Starre und bejahte. „Warte kurz … Ruki will mithören“, erklärte ich dann, schaltete auf Lautsprecher und nahm Rukis Anruf an, als das Telefon klingelte. „Ok schieß los!“, forderte Reita mich auf, als Ruki mir einen schönen Abend gewünscht hatte. Ich räusperte mich. „Naja viel kann ich nicht sagen. Ich war heute Nachmittag bei ihm, hab ihm etwas vorgespielt und mit ihm geredet, wie üblich“, sagte ich dann und zuckte mit den Schultern. „Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben, als ich merkte, dass er wach war.“ Ruki schnaubte leise. „Na mir wäre es auch nicht anders gegangen.“ Von Reita und Kai kam nichts, wobei unser Drummer gerade zwei Schalen auf die Theke stellte und sich dann zu mir umdrehte. „Ich hab seinen Arzt geholt. Immerhin meinten die ja, dass wir sofort jemanden verständigen müssen. Und als wir wieder ins Zimmer kamen, hat er geschlafen.“ Reita seufzte enttäuscht auf. „Was sagt der Doc?“, fragte er dann. „Seine Werte sind gut, er reagiert auf Geräusche und Berührung, was wohl auch gut ist und braucht Ruhe und Schlaf“, wiederholte ich Dr. Ishidas Worte. Kai musterte mich immer noch ernst, fragte aber nicht. Dennoch sah ich ihm an, dass er sich zurückhielt. „Denkst du, wir können ihm morgen einen Besuch abstatten?“ „Ich weiß nicht, Ruki. Es wäre vielleicht besser, wenn wir das ein paar Tage verschieben. Der Arzt meint, dass er jetzt viel Ruhe braucht und nicht viele Leute um sich herum haben sollte. Außerdem wollten sie morgen noch Untersuchungen durchführen, soweit ich verstanden habe.“ Der Vocal schnalzte nur mit der Zunge. „War das schon alles?“, fragte Reita dann und im Hintergrund konnte man das Klingeln der Türglocke hören. „Ah ja … unsere Pizza!“ „Ich geh schon Akira!!“, hörte ich die Stimme seiner Schwester durch den Hörer. „Naja, ich weiß dazu leider auch nicht mehr. Sobald er wach ist werden morgen die Untersuchungen gemacht und erst dann kann man Genaueres sagen.“ „Halte uns einfach auf dem Laufenden und sag ihm schöne Grüße von mir!“, sagte Ruki. Reita schloss sich ihm an und kurz darauf legte ich auf. Mehr gab es ja nicht zu erzählen, immerhin hatten wir uns heute Vormittag alle gesehen. Kai stellte mir eine Suppenschale unter die Nase und setzte sich an den Tisch. Ich bedankte mich und begann schweigend zu essen. Der Drummer überließ mich fürs Erste meinen Gedanken, doch als er schließlich die Gyozas auf den Tisch stellte rutschte er etwas vor und sah mich an. Ich verstand die Aufforderung als solche. „Er hat mich nicht mehr erkannt!“ Immer noch verletzte mich diese Tatsache am Meisten. „Der Arzt meinte, dass das normal wäre. Es würde irgendwann weg gehen. Irgendein … Syndrom …“ Kais Blick lag nach wie vor auf mir. „Aber was ist, wenn er mich wirklich vergessen hat? Wenn er sich an gar nichts mehr erinnert, was mit uns zu tun hat?! Was ist, wenn es nicht besser wird!?“ Meine Schultern zitterten, was ich erst merkte, als Kai mich sanft berührte. „Beruhig dich Uruha! Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Wir haben uns das auch anders vorgestellt. Aber im Moment müssen wir das so hinnehmen, verstehst du? Wenn der Arzt sagt, dass es nur vorübergehend ist, dann ist das auch so. Er kennt sich immerhin damit aus. Außerdem war das noch keine richtige Untersuchung und besonders besorgt hat er ja nicht geklungen, oder?“ Ich atmete ein, schüttelte den Kopf und fuhr mit gespreizten Fingern durch meine Haare. Ich war so müde. Ausgelaugt nach all den Wochen des Wartens und Bangens. Allerdings wusste ich nur zu genau, dass sich das alles auch ändern konnte. Man hatte noch keine genaueren Untersuchungen gemacht und ich hatte Angst vor deren Ergebnis. „Lass das einfach ruhig auf dich zukommen und mach dich um Himmels Willen nicht verrückt. Diese Was-wäre-wenn-Fragen solltest du dir gar nicht stellen. Zum Schluss kommt es gar nicht so weit und du hast dir umsonst den Kopf zerbrochen. Gib dir und ihm Zeit, sei für ihn da und hilf ihm durch die Zeit, die jetzt auf ihn zukommt.“ Ich nickte leicht. Ja er hatte Recht. Ich sollte aufhören im Selbstmitleid zu versinken und mich zusammenreißen. Es ging weniger um mich, sondern viel mehr um Aoi. Er musste gesund werden. Alles andere würde noch warten können, auch wenn mein Herz sich bei dem Gedanken verkrampfte. „Sieh mal. Es ist ein großer Fortschritt, dass er wach ist.“ Ich nickte wieder. „Ja, ich weiß. Ich freu mich auch darüber. Es ist nur …“ „… du hast es dir anders vorgestellt, ja. Aber so ist es nun mal nicht gekommen und jetzt ist es wichtig weiterzumachen, ok?“ Ich nickte wieder und nahm die Stäbchen. „Danke!“ Kai zuckte mit den Schultern und grinste spitzbübisch. „Wofür?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)