Amnesia von dani (Wenn die Erinnerung streikt) ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- ~Uruha POV~ Es waren beinahe vier Monate vergangen, in denen ich ausnahmslos jeden Tag an seinem Bett saß und darauf wartete, dass sein Zustand sich veränderte. Es gab Tage, an denen sah ich voller Hoffnung in die Zukunft und es gab Tage, an denen verzweifelte ich beinahe. Trotz meiner Verzweiflung hatte Aoi tolle Fortschritte gemacht, seitdem er uns allen gezeigt hatte, dass sein Überlebenswille ungebrochen war. Natürlich wurden die Maschinen wieder eingeschaltet und die Ärzte versuchten ihn bestmöglich zu betreuen. Auch für sie war es ein Schock gewesen. Sie hatten mir die Testergebnisse gezeigt. Einstimmig hatte es geheißen, dass Aoi niemals dazu hätte in der Lage sein können sich verständlich zu machen. Aber er hatte es getan! Allerdings war das seit vier Monaten das einzige Zeichen gewesen, das er mir hat zukommen lassen. Da konnte ich betteln, so viel ich wollte. Ich wusste nicht wie viel Kraft es ihn damals gekostet hatte auf mein Flehen zu antworten, doch ich war mir sicher, dass er die Dringlichkeit der Situation verstanden hatte. Seine Verletzungen waren soweit recht gut abgeheilt, wobei sein Kopf immer noch beobachtet wurde – zur Vorsicht. Aber die Rippenbrüche, der mehrfache Armbruch und die Knieverletzungen waren nach mehreren Operationen alle wunderbar verheilt. Der für mich wichtigste Punkt aber war, dass man bereits begonnen hatte die Aufwachphase einzuleiten. Bisher war alles reibungslos verlaufen. Seit einer Woche atmete er auch wieder selbstständig. Natürlich hatte er noch eine Atemmaske auf, aber das war das kleinste Übel, denn durch die wundervollen Fortschritte konnte er von der Intensivstation auf die allgemeine Station verlegt werden. Das größere Übel war allerdings, dass man auch jetzt noch nicht sagen konnte, wann und ob er überhaupt aufwachen würde. Dazu kam, dass man keine Diagnose über Folgeschäden des Unfalls stellen konnte, solange er nicht bei Bewusstsein war. Seine Eltern waren bereits wieder in Mie – sie mussten immerhin arbeiten, jedoch kamen sie mindestens zwei bis drei Mal im Monat nach Tokyo um nach Aoi zu sehen. Sie hatten eine Verfügung erstellt, nach der die Ärzte alle Neuigkeiten an mich weitergeben mussten, worüber ich auch extrem froh war. So war ich immer auf dem laufenden Stand und musste unsere Beziehung zueinander nicht an die große Glocke hängen, obwohl bereits einige der Ärzte und Schwestern wussten, wie nahe wir uns tatsächlich standen. Allerdings mussten sie eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben. Es wäre nämlich ein gefundenes Fressen für die Presse gewesen. Des Weiteren war ich dank Aois Eltern auch befugt Entscheidungen zu treffen, die Aois Gesundheit betrafen, wenn sie schnell gefällt werden mussten. Ich war ihnen sehr dankbar für das entgegengebrachte Vertrauen. Sie wussten, wie sehr ich ihn liebte und das schien ihnen zu reichen. Allerdings lag mir die Verantwortung auch schwer im Magen. Bei einer Fehlentscheidung würde ich mir niemals vergeben können. Auch seine Geschwister wechselten sich mit den Besuchen ab und meine Eltern und meine Schwestern kamen auch hin und wieder für ein paar Stunden. Die beiden Jungs, meine Neffen, blieben zu Hause. Immerhin war das nichts für Kinder und sie hätten sowieso nicht verstanden, warum Onkel Aoi nur schlief und sich nicht um sie kümmerte. Da die beiden ihn anbeteten, brachte es niemand übers Herz ihnen zu sagen, was wirklich Sache war. Vermutlich hätten sie es eh nicht verstanden. Am Häufigsten besuchten ihn außer mir vor allem Ruki, Kai und Reita. Sie redeten mit ihm und spielten ihm sogar unsere Aufnahmen vor. Ruki sang auch ab und an für ihn, wenn er gerade Lust dazu hatte und auch ich hatte schon mehrmals meine Gitarre dabei – die Akustikgitarre wohlgemerkt, da ich hoffte, dass er vielleicht irgendwie darauf reagieren würde. »Musik ist die Sprache der Leidenschaft.« Das war Aois Lieblingszitat. Es war auch viel Wahres dran und ich hoffte, dass ich so zu ihm durchdringen konnte. Auch unser Manager ließ sich ab und an blicken und brachte Blumen, Bänder, auf denen kunstvoll Gebete aufgemalt oder sogar gestickt waren, und Pralinen mit (wobei ich eher vermutete, dass er die Pralinen für mich brachte, da er mich meistens dazu ermunterte zumindest eine zu essen). Kai hatte die ganze Zeit in der ich nun aus dem Krankenhaus entlassen worden war um mich gekümmert und mir geholfen wieder auf die Beine zu kommen, was gar nicht so einfach war. Ich musste mehrere Wochen Reha über mich ergehen lassen und war froh, als ich endlich ohne Krücken stehen und gehen konnte. Um genau zu sein wohnte ich immer noch bei unserem Drummer. Er schien auch nichts dagegen zu haben, dass ich mich bei ihm zu Hause breit machte. Zwar wollte ich eigentlich schon längst wieder in unsere Wohnung ziehen, doch ich ertrug die Leere dort nicht. Vor allem konnte mich dort nichts davon ablenken, dass Aoi noch nicht zu Hause war. Im Gegenteil: Es wurde mir noch viel bewusster. Kai schaffte es immer recht gut mich abzulenken indem er mich in seine Arbeiten mit einbezog – hauptsächlich im Haushalt oder für die anfallenden Arbeiten als Leader der Band. Diese hatte im Moment ein ziemliches Tief. Das Album war, bis auf Aois Parts, bereits aufgenommen und eigentlich wollten wir mit der Veröffentlichung gerne warten, bis er wieder so weit war. Da aber niemand wusste wann Aoi wieder aufwachte oder … ob er überhaupt aufwachte (dieses ob kam für mich nicht ein einziges Mal in Frage. Er würde aufwachen), hatte es bereits einige unschöne Unterredungen mit den großen Bossen gegeben. Wenigstens hielten Kai, Ruki und Reita zu mir und weigerten sich fürs Erste große Aktionen zu setzen und wollten noch warten. Allerdings konnte es nicht so weiter gehen, das wussten wir alle, weshalb wir bereits am Überlegen waren ob ich Aois Parts noch einspielen oder ob man wirklich jemanden dazu holen sollte. Letzteres gefiel keinem von uns. Es wäre, als würden wir Aoi aufgeben und das hatte keiner vor. Keine Frage, unsere Fans waren großartig und es trafen immer noch Genesungswünsche an Aoi gerichtet ein. Ich selbst hatte schon wieder an zwei Interviews teilgenommen, welche sich für mich extrem schwer gestalteten. Jedes Interview war eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle und es gab ziemlich lange Diskussionen, ob ich daran teilnehmen sollte, oder nicht. Auch heute machte ich mich nach einer Sitzung mit den Managern auf den Weg ins Krankenhaus. Es war ein sonniger Tag und er passte so gar nicht zu der Stimmung, die mich immer befiel, wenn ich ein Krankenhaus betrat. Meine Abneigung war immer noch nicht weg und ich musste mich immer wieder überwinden die langen, düsteren Flure hinunter zu gehen. Es gab durchaus auch erfreuliche Sachen in Krankenhäusern: Wenn jemand nach langer Krankheit wieder gesund wurde oder das Ertönen eines Kinderlachens, wenn die Ärzte wieder als Clowns auftraten (jeden Dienstagnachmittag) oder wenn eine Mutter ihr neugeborenes Baby in die Arme nehmen konnte. Aber es gab auch genug Dinge, die mir immer wieder zeigten wie unfair das Schicksal war: Unfalltode, todkranke Menschen, die sich durch die Flure schleppten, Kinder, die Krebs hatten und denen es richtig schlecht ging. Das Leid in Krankenhäusern war unfassbar groß und so greifbar. Wenn Dämonen sich an Schmerzen laben wollten, müssten sie sich nur ein Mal mitten in ein Krankenhaus setzen. Sie hätten genug für Jahre. Ich hatte meine Haare unter einer schwarzen Mütze versteckt und trug eine große Sonnenbrille, als ich durch den Eingang der Notaufnahme schlüpfte. Normalerweise sollte man den Vordereingang benutzen. Da man aber Angst hatte, dass mich jemand erkannte (und das tat man eher, wenn viele Leute um einen herum waren, die Zeit hatten sich die Ankommenden genau anzusehen), durfte ich diesen Eingang benutzen (wo jeder mit sich selbst beschäftigt war). Der Pförtner nickte mir grüßend zu und deutete auf die Gitarre, die ich in der Tasche auf meinem Rücken trug. „Spielen Sie heute wieder?“, fragte er dann. Ich begann zu lächeln und nickte. „Er hat seine Gitarre geliebt und ich hoffe immer noch, dass es Wirkung zeigt.“ Irgendwie mochte ich den Mann. Er war recht klein, kleiner als Ruki und sprengte mit seinen Maßen beinahe die Knöpfe seiner Uniform. Aber sein Lächeln war jedes Mal ehrlich und er behandelte mich auch nie anders nur weil mein Name in den Medien öfters vorkam. „Wo Leben ist, ist Hoffnung, hat meine Oma immer gesagt“, antwortete er und ich musste lächeln. Ja, da hatte er Recht. Und Aoi lebte! Also konnte ich weiterhin hoffen, dass er bald aufwachen würde. „Danke. Ich habe sie noch nicht aufgegeben!“ Er nickte zustimmend und öffnete das Fensterchen der Kabine. Eine Papierrolle schob sich hinaus, was mich überrascht die Augenbrauen heben ließ. „Ich hab lange überlegt, ob ich Ihnen das geben sollte. Meine Tochter ist ein großer Fan von Ihnen und hofft Sie damit aufzuheitern“, sagte er. Ich stockte, griff schließlich aber doch nach der Rolle. Er hatte mich noch nie anders behandelt und auch jetzt war es ihm sichtlich unangenehm. Langsam öffnete ich das rote, seidene Band, das das Mädchen um die Rolle geknüpft hatte und öffnete sie. Beim Anblick des Bildes musste ich heftig blinzeln und schluckte die Tränen hinunter, die aufsteigen wollten. Eine detailgetreue Zeichnung von mir und Aoi. Rücken an Rücken standen wir auf der Bühne und hatten unsere Gitarren in den Händen. Wir mussten gerade auseinander gehen, denn unsere Körper waren einander zugeneigt, doch die Haare schwangen schon in einer Vorwärtsbewegung nach vorne. Während Aoi zurück zu mir sah, sah ich zu ihm und schien in seinen Augen zu versinken. Sein Lächeln versetzte mir einen Stich. Selbst das Glitzern seiner Augen hatte sie eingefangen. Zitternd streichelte ich über die feinen Bleistiftlinien, rollte die Zeichnung dann wieder zusammen und flocht das Band wieder herum. „Wie heißt Ihre Tochter?“ Er schien überrascht, dass ich solches Interesse zeigte, antwortete aber gleich. „Akemi… sie heißt Akemi.“ Ich nickte leicht. „Sie ist sehr begabt!“ Ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht, doch dann zog er die Augenbrauen zusammen und seufzte. „Sie wollte auf die Kunstschule gehen. Sie hat wahrlich genug Talent dazu, aber sie wird kein Stipendium bekommen“, erzählte er dann. Ich wusste, was das bedeutete. Ihr Traum würde sterben. Ein Pförtner in einem Krankenhaus verdiente nicht so viel um das Schulgeld dieser Schule bezahlen zu können. „Richten Sie ihr meinen Dank aus. Es ist wunderschön“, sagte ich zu ihm, versuchte ein Lächeln (das vermutlich ziemlich verrutschte), und verschwand dann auch gleich im Lift um nach oben zu fahren, damit niemand die Emotionen sehen konnte, die zweifellos in meinem Gesicht zu lesen waren. Die Ärzte und Schwestern hier auf dieser Station kannten mich bereits. Sie meinten es sei schön, dass ich Aoi nicht vergaß und ihn immer wieder besuchte. Auch heute wurde ich begrüßt, als ich den Gang hinunterging, um dann in Aois Zimmer zu verschwinden. Meine Schritte lenkten mich zum Bett hinüber. Ich beugte mich über ihn, zog die Atemmaske weg und hauchte ihm einen Kuss auf die spröden Lippen. „Hallo mein Schatz, da bin ich wieder!“, begrüßte ich ihn fröhlich. Ich war überzeugt davon, dass Patienten es sehr wohl mitbekamen, wie die Gefühle des Gegenübers aussahen. Sonst hätte er niemals auf mich reagiert. Also versuchte ich mich in seiner Nähe immer etwas sorglos und glücklich zu geben, wobei ich ihm aber auch meine Sorgen anvertraute, was zum Beispiel die Band anging. Ich setzte die Atemmaske wieder über seine Nase und Mund und lehnte die Gitarre gegen den Nachttisch, auf dem sich noch ein paar Blumenvasen, die Gebetsbänder und Pralinen befanden. „Was würdest du zu einem Bisschen frischer Luft sagen?“, fragte ich und kippte das Fenster. Dann hob ich eine der Blumenvasen hoch. „Kai kocht heute Abend, hat er mir versprochen, und nach dem Essen werden wir uns vermutlich noch einen Film ansehen. Es kommt eine Dokumentation über die Edo-Zeit“, erzählte ich, während ich das Wasser aus der Vase ins Waschbecken rinnen ließ, neues nachfüllte und die Blumen wieder in die Vase steckte. Meine Schritte waren leise, als ich die Blumenvase wieder auf den Tisch stellte und die Prozedur mit den anderen Blumen wiederholte. Akemis Zeichnung hatte ich auch auf den Nachttisch gelegt – zu den Bändern, welche ich schnell glatt strich. Dann setzte ich mich auf den Sessel und erzählte ein bisschen, was ich gestern Abend gemacht hatte und wie die Besprechung heute gelaufen war. Ich hatte ihn gestern immerhin schon vorgewarnt, dass das heute wohl eine wichtige Sache war. „Weißt du, niemand will, dass du ersetzt wirst. Daher werde ich deine fehlenden Parts einspielen, damit wir das Album fertig machen können. Das wird allerdings verdammt viel Arbeit werden und ich werde voraussichtlich immer etwas später kommen. Aber ich verspreche, dass ich vorbeikommen werde.“ Ich hatte seine Hand genommen und streichelte sie zärtlich, passte jedoch auf, keinen der Schläuche anzufassen. „Ach ja und ich hab seit einer Woche eine neue Melodie im Kopf. Das ist dein Werk!“ Immerhin hatte er da begonnen selbstständig zu atmen. „Lieber wäre es mir allerdings, wenn du mir dabei ein bisschen helfen könntest. Noch klingt sie nicht sonderlich gut. Aber ich spiel sie dir trotzdem vor!“ Damit ließ ich seine Hand los, legte sie wieder zurück aufs Bett und griff nach der Gitarrentasche. Mit einem leisen Zurren öffnete sich der Reißverschluss und ich holte die Akustikgitarre heraus. Ich schlug ein paar Töne an und unterbrach dann. „Kennst du den Klang? Das ist deine! Ich hab sie von zu Hause mitgebracht.“ Dann begann ich ihm die Melodie vorzuspielen. Treffsicher landeten meine Finger auf den Saiten und Bünden und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Während der Zeit im Krankenhaus hatte ich neben Aoi noch eine Sache extrem vermisst und das war das Gitarrespiel gewesen. „Wie gesagt, noch klingt es etwas eigen. Aber ich feile schon ein bisschen daran herum.“ Etwas wehmütig dachte ich an die Zeit, in der er sich einfach neben mich auf die Couch gesetzt und mit mir gemeinsam Ideen erarbeitet hatte. Es schien so lange her zu sein. Eine Ewigkeit. In Gedanken versunken begann ich etwas Anderes zu spielen. Es war einer der neueren Songs. Auch hier war die rhythmische Begleitung noch nicht so wirklich das Wahre. Dafür hatte immer Aoi ein Händchen gehabt. Das ‚Große Ganze’. Ohne ihn klangen auch die Songs leerer und das war nicht nur mir aufgefallen. Mein Blick glitt über sein blasses Gesicht und seine dunkle Mähne. Er war immer noch wunderschön, nur viel zu regungslos. Die Verbände, waren bereits vor zwei Monaten abgemacht worden. Trotz der schweren Verletzungen hatte er zu meiner Erleichterung nicht eine Narbe im Gesicht zurückbehalten. Nicht, dass es mich gestört hätte, aber ihn hätte es immer an den Unfall erinnert, sobald er in den Spiegel sah. Das Licht im Zimmer veränderte sich, während ich weiterhin Melodien spielte, die mir gerade in den Sinn kamen. Immer wieder Teile aus Songs, die auch er kannte, aber auch unbekannte Passagen, bei denen wir selbst noch am Tüfteln und Feilen waren. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal mitbekam, wie die Zeit verging. Als ich auf die Uhr sah, war es bereits früher Abend. Lange würde ich wohl nicht mehr bleiben dürfen. „Ach ja … ich hab dir noch etwas mitgebracht. Allerdings denke ich nicht, dass du im Moment etwas davon hast, wenn ich dir die Notenblätter von Cassis einfach hinlege. Ich versuchs zu spielen, aber sei nicht zu streng mit mir!“ Ich beugte mich zu der Gitarrentasche hinunter und holte die Notenblätter heraus. Ich konnte zwar meinen Teil ohne Probleme spielen. Seiner war mir aber fremd. Selbst beim Komponieren hatte immer nur er diesen Eingang gespielt – war ja immerhin auch seine Idee gewesen. Ich hatte die Noten gestern beim Aufräumen im Proberaum gefunden und eingesteckt, in der Hoffnung ich könnte sie ihm vorspielen. Ich legte meine Fingerspitzen wieder auf die Saiten und drückte sie hinunter. Leise, perlend erklangen die ersten Töne der Ballade, während ich Rukis Stimme mitsummte – so klang es familiärer für mich. Vor Aois Schlusssolo brach ich ab. Das würde ich mir noch ein Mal genauer ansehen müssen. „Naja für das Erste Mal war es ja nicht schlecht, oder?“, fragte ich ihn und streichelte über seine Wange. „Ich weiß, du würdest sagen ich muss mich mehr dahinter klemmen, was?“, fragte ich dann, lehnte mich etwas zurück, sodass ich besser spielen konnte und begann die Melodie wieder von vorne zu spielen. Dieses Mal sang ich aber wirklich mit. Immerhin kannte ich den Text zur Genüge. Nur war ich nicht so tongenau und treffsicher wie Ruki, wenn es um meine Stimme ging. „Weißt du … ich hab es dir eigentlich nie gesagt, aber ich denke Cassis wird immer mehr und mehr zu meiner Lieblingsballade. Es hängen sehr schöne Erinnerungen daran.“ Meine Stimme war ein leises Murmeln, als ich wieder den Bildern der Vergangenheit verfiel, die sich bei dem Song vor mir abspielten. Aoi, wie er auf dem Sofa lag, den Arm über den Augen – lachend. Ich hatte gerade einen Witz gemacht, das wusste ich noch. Seine blitzenden Augen, als wir endlich den Eingang des Songs zusammen fixiert hatten. Beinahe konnte ich spüren, wie er seinen Kopf an meine Schulter lehnte und leise mit meinem Part mitsummte, seine Gitarre lag auf dem Boden und er sah müde aus. Aois Blick, als ich nach zweieinhalb Stunden harter Arbeit etwas zu Essen ins Wohnzimmer brachte. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass ich gegangen war um zu kochen. Er war zuerst verwirrt gewesen, doch das Lächeln, als ich ihm die Platte gab, hatte mir einfach den Atem geraubt. Ich gelangte wieder beim Refrain an und hob meinen Kopf. Ich bemerkte gar nicht wie die Gitarre aus meinen Händen rutschte, hörte den gequälten Laut nicht, den sie ausstieß, als sie auf dem Boden aufschlug. Das Einzige, das ich sah, waren wunderschöne, dunkelbraune Augen und ein Lächeln, das mir den Boden unter den Füßen wegzog, obwohl es unter der Atemmaske nur angedeutet war. Wäre ich nicht gesessen, täte ich es mit Sicherheit jetzt. Meine Beine fühlten sich an als wären sie aus Pudding. Ich kann nicht beschreiben, was in diesem Moment für Gefühle durch mich hindurchfluteten. Überraschung, Glück, Unglaube, Erleichterung, Angst, Hoffnung und Liebe. Liebe zu dem Mann, der als Einziger für mich in Frage kam, der mich aus müden Augen ansah und lächelte. Ich griff nach seiner Hand, zog sie in meine und hielt sie fest. „Oh Gott Aoi … Yuu …“ Ich beugte mich über ihn und drückte meine Lippen auf seine Stirn und atmete dann zitternd aus. „Du bist wach … du bist endlich aufgewacht!“ Ich wich zurück und wischte überrascht über meine Wangen. Sie waren nass. Sein Blick blieb weiterhin auf mich geheftet. Misstrauisch. Distanziert. Seine Lippen bewegten sich. Ich zog die Atemmaske weg und hielt ihm einen Strohhalm an die Lippen. Er trank – gierig. Jedoch zog ich nach ein paar Schlucken das Wasser weg. Sonst würde er sich übergeben müssen. Sein Magen war es nicht mehr gewohnt zu arbeiten. Sein Blick richtete sich wieder auf mich. Vorsichtig. Abwartend. „Aoi?“, fragte ich und er runzelte die Stirn. Er leckte sich über die Lippen. Dann kamen die heißeren Worte, die meine Welt erneut ins Wanken brachten: „Wer sind Sie?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)