Matchball von Schangia (One Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 4: Ein Telefonat entfernt (Yaku/Sugawara) ------------------------------------------------- Zu sagen, dass Sugawara und Yaku sich gut verstanden, war streng genommen eine Untertreibung sondergleichen. Obwohl sie auf unterschiedlichen Positionen spielten, nahmen sie in ihrer jeweiligen Teamdynamik den gleichen Platz ein. (Yaku hatte sich zwar insgeheim gefreut, als Lev ihn aus Versehen Mama genannt hatte, sah es aber als notwendig an, ihn dafür in den Hintern zu treten.) Sie hatten ähnliche Meinungen zu den meisten Dingen, und ab und an war es einfach angenehm, sich mit weitestgehend normalen Menschen zu unterhalten, wenn diese im eigenen Team Mangelware waren. So hatten sie bereits nach ihrem ersten Match ihre Nummern ausgetauscht, auch wenn es eine Weile gedauert hatte, bis sie anfingen, sich zu schreiben. Vor allem Sugawara war sich nicht sicher, was und wie oft er schreiben sollte, also ließ er es aus Angst, zu aufdringlich zu wirken, vorerst bleiben. Bis er eines Abends nach dem Essen in sein Zimmer zurückkehrte, nach seinem Handy griff und eine Nachricht von Yaku vorfand. ›Mein Kouhai hat mich vorhin Mama genannt.‹ Sugawara musste lächeln und antwortete ohne zu zögern. ›Bitte sag mir, dass du ihn nicht getreten hast.‹ ›Das kann ich leider nicht... (。◝‿◜。)‹ ›Wie gemein~‹ Darauf schrieb Yaku erst einmal nichts mehr, und Sugawara wunderte sich, warum er darüber so enttäuscht war. Es dauerte mehr als fünf Minuten, in denen er einfach nur sein Handy anstarrte, ehe die nächste Nachricht kam. ›Können wir telefonieren?‹ Er war überrascht, freute sich jedoch gleichzeitig. Sugawara hatte schon immer lieber telefoniert, als dass er Nachrichten schrieb, obwohl er in diesem Fall auch mehr als bereit gewesen wäre, einen Kompromiss einzugehen. Ihm gefiel es einfach, die Stimmen seiner Freunde zu hören. ›Gerne.‹ Die beiden telefonierten sehr viel häufiger, als dass sie sich texteten. Ab und an schrieben sie tagsüber, wenn etwas Besonderes oder Lustiges geschehen war. Meistens hoben sie sich solche Geschichten jedoch für ihre Telefonate am Abend auf. Sugawara hatte festgestellt, dass es ihm unglaublich leicht fiel, mit Yaku über so gut wie alles zu sprechen. Einige Themen besprach er sogar lieber mit ihm als mit Daichi oder Asahi, was vermutlich daran lag, dass sie ähnlich dachten. Was auch immer es war, Sugawara hatte schnell gemerkt, dass er sich manchmal mehr auf ihre Telefonate freute als auf das Training mit seinem Team, und wenn er nicht so glücklich gewesen wäre, hätte er sich vielleicht Gedanken darüber gemacht, warum dem so war. »Wir haben unser Match heute gewonnen.« »Ich habe ehrlich gesagt nichts anderes von euch erwartet.« »Wenn du das so sagst, werde ich noch rot.« »Noya fragt die ganze Zeit, wann ihr wieder mal auf ein Match vorbeikommt, damit er erneut gegen dich antreten kann.« Schweigen. »Yaku-kun?« »Entschuldige, ich musste mich kurz schütteln.« »Kuroo hat sich heute so heftig an seiner Milch verschluckt, dass sie ihm zur Nase rausgespritzt ist. Yamamoto hat ein Foto geschossen, ich schick's dir nachher.« »Oh Gott, der Arme.« »Er hätte ja nicht so hastig trinken müssen.« Sugawara überlegte kurz, ehe er antwortete. »Habe ich dir je von Daichi und der Perücke erzählt?« »Gratulation zum Sieg!« »Danke, die Jungs haben alles gegeben.« »Nicht nur sie, du auch.« »Ich habe sie doch nur angefeuert.« »Das ist auch wichtig.« In der kurzen Pause, die folgte, konnte Sugawara bildlich vor sich sehen, wie Yaku die Stirn kraus zog. »Ich will dich als Setter spielen sehen.« »Tut mir leid, dass ihr verloren habt.« »Ist schon okay, danke.« Yaku wusste, dass Sugawara ihre Niederlage vermutlich nur deswegen verschmerzen konnte, weil er endlich als Setter auf dem Feld hatte stehen und Seite an Seite mit seinem Team hatte antreten können, also wechselte er unauffällig das Thema. Das war einer der Gründe, aus denen ihre Telefonate immer angenehm waren; sie verstanden einander, wussten, wann man ein Thema besser ruhen lassen und wann man genauer nachfragen sollte. Sugawara war so ein aufrichtiger Mensch, dass es leicht für Yaku war, seiner Stimme anzuhören, wie es ihm ging. Bei Nachrichten konnte man seine wahren Gefühle hinter Worten verbergen; deswegen war Yaku froh, dass sie telefonierten, anstatt zu texten. Es machte alles so viel einfacher. Bis Sugawara ihn irgendwann nicht mehr von sich aus anrief und fast nur noch Textnachrichten schrieb. ›Bleiben du, Kuroo und Kai bis zu eurem Abschluss im Team, oder geht ihr früher?‹ Yaku hob eine Augenbraue – zum einen, weil er so lange keine Nachricht mehr bekommen hatte, und zum anderen, weil es sich anfühlte, als würde diese Frage nichts Gutes verheißen. ›Wir bleiben. Und ihr?‹ ›Ich weiß es nicht.‹ Dann, nach kurzem Zögern. ›Macht es denn überhaupt einen Unterschied?‹ ›Was macht man mit Krähen, die nicht mehr fliegen können?‹ ›?‹ ›Ihr Sinn besteht doch darin, dass sie fliegen. Wenn sie das nicht mehr können, zu welchem Zweck sind sie dann überhaupt noch am Leben?‹ Darauf wusste Yaku nicht zu antworten, schon gar nicht, ohne Sugawaras Stimme zu hören. ›Magst du reden?‹ Er wartete fast zehn Minuten auf eine Antwort, rang während des Wartens mehr als einmal mit sich, ob er nicht einfach anrufen sollte. Als er sie endlich erhielt, wurde ihm klar, dass Sugawara ihm nur deswegen schrieb, weil seine Stimme – das dumme, ehrliche Ding – sonst verraten würde, wie miserable er sich wirklich fühlte. ›Nein, schon gut. Danke.‹ Zu sagen, dass Yaku sich Sorgen um Sugawara machte, war eine Untertreibung sondergleichen. Es ging so weit, dass er nicht nur im Unterricht, sondern auch während des Trainings unkonzentriert war. Er hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was seinen Freund bedrückte, auch wenn sie niemals direkt mit diesem Thema umgegangen waren. Er wollte nichts mehr, als ihn aus seinem Tief herauszuholen, wusste jedoch nicht wie. Dachte er wirklich, Yaku würde nicht auffallen, wie deprimiert er in letzter Zeit klang? Oder war ihm das bewusst und der Grund, aus dem er ihm schrieb, war, dass er subtil um Hilfe bat? Yaku seufzte, als er den Ball zum zigsten Mal an diesem Tag nicht ordentlich angenommen hatte und sein Coach ihm auftrug, zwei Runden durch die Halle zu laufen. Wenn das so weiterging, verlor er noch den Verstand. Als Yaku am nächsten Mittag eine weitere Nachricht von Sugawara erhielt, fiel es ihm mit einem Mal unglaublich leicht, sich zu entscheiden. ›Wenn ich aufhören würde, Volleyball zu spielen, könnten wir trotzdem noch Freunde bleiben?‹ Er musste die Nachricht bestimmt ein halbes dutzend Mal lesen, ehe er ganz begriff, was vor sich ging. Für einen kurzen Moment war ihm furchtbar übel, doch er fing sich schnell, griff nach seiner Tasche und nahm eine kurze Sprachnachricht auf, weil er fürchtete, dass seine Finger zu sehr zittern würden, um eine Antwort zu tippen. Nachdem er sie abgeschickt hatte, machte er sich auf den Weg zu Kuroo um ihm zu sagen, dass er heute nicht zum Training erscheinen würde. »Warte auf mich, ich bin unterwegs.« Yaku hatte zwar eine ungefähre Vorstellung davon, wie er auf dem schnellsten Weg nach Karasuno kam, doch er war viel zu aufgewühlt, als dass er mit kühlem Kopf über seine Route hätte nachdenken können. Das erste Mal, dass er sich überhaupt Gedanken dazu machte, war nachdem er blindlings in den nächsten Zug gehechtet war. Als er endlich schwer atmend vor Karasunos Schultor ankam, war es bereits früher Abend. Er war den ganzen Weg vom Bahnhof bis hierher gerannt und brauchte einige Zeit, bis sich seine Atmung wieder normalisiert hatte. In all den Stunden, die Yaku gebraucht hatte, um zu seinem Ziel zu gelangen, hatte Sugawara sich kein einziges Mal gemeldet, geschweige denn auf seine letzte Nachricht geantwortet. Die irrationale Angst, dass ihm in der Zwischenzeit etwas zugestoßen sein könnte, zog ihm den Magen mit jeder Minute, die verstrich, weiter zusammen. Erst, als er nach endlos langem Warten einige Gestalten erkennen konnte, die auf ihn zukamen, konnte Yaku ein wenig aufatmen. Karasunos Volleyballclub kam einige Meter vor ihm zum Stehen, und für einen lächerlichen, kurzen Moment dachte Yaku, Sugawara würden Tränen in die Augen steigen, als er ihn erkannte. Ohne die Begrüßungen der anderen zu erwidern, ging Yaku auf ihn zu und griff entschlossen nach seiner Hand. Dann bedachte er den Rest des Teams mit einem ungerechtfertigt bösen Blick (besonders Nishinoya, der wie ein aufgeregter Welpe um ihn herumsprang und mit Fragen bombardierte), festigte seinen Griff, drehte sich wortlos um und zog Sugawara mit sich in die Richtung, aus der er gekommen war. Obwohl Sugawara sicher war, dass Yaku ihn nicht anlügen würde, hatte er nicht erwartet, ihn an diesem Abend tatsächlich vor sich stehen zu sehen. Er war so perplex, dass er sich von ihm bestimmt fünf Minuten wortlos durch die Gegend schleifen ließ, ehe er erkannte, wohin Yaku ihn aller Wahrscheinlichkeit nach bringen wollte. Ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als Yaku tatsächlich am Ufer des Flusses stoppte, der durch ihre Stadt floss, und ihn auffordernd ansah. Im Licht der untergehenden Sonne fand Sugawara ihn ziemlich niedlich, wie er die Brauen zusammenzog und den Mund verzog, aber er würde sich davor hüten, ihm das zu sagen. »Und jetzt rede mit mir.« Gerade das war es, was Sugawara nicht wollte. Nicht mit Yaku. Nicht mit dem einen Menschen, der ihn sofort durchschauen würde, wenn er ihn anlog. Er überlegte fieberhaft, ehe sein Blick zufällig auf seine Hand fiel, die der andere immer noch fest umschlossen hielt. »Yaku-kun, deine Hand...«, setzte er an, eine Mischung aus Überraschung und plötzlicher Schüchternheit in der Stimme, doch Yaku kümmerte sich nicht darum und sah ihn unverwandt an. »Als ob ich dich jetzt loslasse. Nachher versuchst du wieder, mir aus dem Weg zu gehen.« Obwohl Yaku nicht ansatzweise anklagend sondern schlichtweg besorgt klang, fühlte Sugawara sich schuldig. Unsicher legte er die Stirn in Falten, seine nächsten Worte nur ein Flüstern. »Ich wollte dir nicht aus dem Weg gehen.« Das war die Wahrheit, das hatte er wirklich nicht gewollt. Ihm hatten ihre Gespräche gefehlt, aber er hatte sich zu sehr davor gefürchtet, dass seine Stimme verraten würde, wie er sich wirklich fühlte. »Aber von mir helfen lassen wolltest du dir auch nicht.« Auf sein Schweigen seufzte Yaku nur schwer. Kurz überlegte er, wie er das, was er seinem Freund sagen wollte, am besten in Worte fassen konnte, ehe er auch nach seiner anderen Hand griff und sie leicht drückte. »Du bist nicht überflüssig, Suga-kun«, sagte Yaku mit Nachdruck, die Stimme so aufrichtig und die Augen so voller Ernst, dass es Sugawara für einen Augenblick den Atem verschlug. So direkt hatte ihm das noch niemand gesagt, dabei war es vermutlich alles, was er hatte hören wollen. Als er sich wieder gefangen hatte, schaffte er es sogar, ein wenig zu lächeln. »Ich weiß.« »Tust du das?« Yaku klang nicht überzeugt, aber das konnte er ihm nicht verübeln; er selbst hätte sich in diesem Moment auch nicht geglaubt. Allmählich fand Sugawara sich damit ab, dass er diesem Gespräch nicht mehr aus dem Weg gehen konnte. Er wusste wirklich zu schätzen, was Yaku für ihn tat, auch wenn es zwangsläufig bedeutete, dass er sich aus seiner Wohlfühlzone wagen und sich Dingen stellen musste, vor denen er bisher davongerannt war. Etwas leichter ums Herz atmete er einmal kurz durch, bevor Yaku fortfuhr. »So wie ich das sehe, bist du ein guter Setter. Du kennst dein Team und weißt, mit welchen Bällen sie am besten arbeiten können. Du kannst dich nicht mit Kageyama vergleichen, das Kind ist ein Monster.« Sugawara konnte – trotz der Ernsthaftigkeit der Situation – nur mit viel Mühe ein Lachen zurückhalten. Zum einen, weil Yaku bei seinen letzten Worten das Gesicht so sehr verzogen hatte, wie er es sonst nur tat, wenn er von Lev sprach, und zum anderen, weil er Kageyama doch tatsächlich als Kind bezeichnet hatte. »Ihr seid zwei unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Dingen, die euch ausmachen. Du bist genauso wichtig für das Team wie er.« »Ich weiß. Das tue ich wirklich. Es ist nur«, Sugawara wandte den Blick gen Boden, als er nach den richtigen Worten suchte, »ich will als Setter wichtig für das Team sein. Das ist doch meine Aufgabe.« Darauf war Yaku erst einmal still, dachte lange darüber nach. Nach einigen Sekunden begann er, abwesend mit seinen Daumen über die Handrücken des anderen zu streichen. Ob nun unbeabsichtigt oder aus der Annahme heraus, dass die Hände von Settern besonders sensibel waren und er ihn so beruhigen konnte, konnte Sugawara nur erahnen. Was auch immer Yakus Gründe waren, Sugawara wurde tatsächlich ruhiger. Und dass, obwohl sein Herz mit einem mal viel schneller schlug. Als Yaku schließlich kaum merklich nickte und ihm sanft die Hände drückte, meinte er sogar zu spüren, wie ihm mehr Blut als nötig ins Gesicht schoss. »Vielleicht war das deine Aufgabe für die letzten zwei Jahre. Und Kageyamas Beitritt ist ein Zeichen dafür, dass du deine Aufgabe erfüllt hast und dich anderen Dingen widmen kannst.« »Zum Beispiel?«, fragte er, den Kopf leicht schief gelegt. Yaku lächelte breit. »Dich darum zu kümmern, dass das Team nicht auseinanderfällt.« Sugawaras Augen weiteten sich vor Überraschung. »Du merkst es vermutlich nicht einmal, aber wenn du eingewechselt wirst, fällt deinem Team ein Stein vom Herzen. Sogar eurem Captain.« Verschmitzt zwinkerte er ihm zu. »Weil du da bist, machen die anderen sich keine Sorgen. Ob als Setter oder nicht, du bist als Mitglied von Karasuno unersetzlich, Suga-kun.« Es war nicht so, dass Sugawara nicht wusste, was er für sein Team leistete. Viel mehr hatte er es einmal von jemand anderem hören wollen. Zu wissen, dass seine Freunde ihn schätzen, war ein wunderbares, versöhnliches Gefühl. Es löste seine Zweifel nicht in Luft auf, doch es vertrieb sie so weit, dass sie ihn nicht mehr störten. »Danke, wirklich«, brachte er hervor, das Lächeln auf seinem Gesicht so glücklich, dass er Yaku damit ansteckte. Eine Zeit lang strahlten sie einfach nur um die Wette, bis Yaku sich plötzlich an etwas zu erinnern schien. Trotz all seiner Erleichterung, dass Sugawara wieder wohlauf zu sein schien, ließ ihn eine Sache nicht los. Schmollend schob er die Unterlippe vor und sah ihn gespielt beleidigt an. »Nur damit du's weißt: als mein Freund bist du erst recht nicht austauschbar!« Im ersten Moment ziemlich verdutzt musste Sugawara schon bald herzlich lachen. Teilweise, weil Yakus Gesichtsausdruck in diesem Moment ziemlich niedlich war, aber größtenteils, um seine eigene Verlegenheit zu überspielen. »Eine Sorge weniger«, antwortete er schließlich, ehe er diesmal Yakus Hände umschloss und genauso sanft drückte, wie sein Freund es zuvor getan hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)