Liebe führt, wie zu erwarten, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 10: Flammende Wut ------------------------- Er war nicht gekommen. Natürlich war er nicht gekommen. Er wäre nicht Kai gewesen, wenn er tatsächlich aufgetaucht und sich einmal einem Problem gestellt hätte! Dennoch war Rei stinksauer! Was sollte das nun wieder? Kai hatte das doch alles angefangen und jetzt hatte er nicht einmal den Arsch in der Hose sich dem unausweichlichen Gespräch zu stellen!? Wofür hatte er sich denn jetzt die ganze Woche über den Kopf zerbrochen? Es war alles sinnlos gewesen! Alles! Graaa! Mehrmals an diesem Samstag hatte er sein Handy in die Hand genommen, hatte die Nummer angestarrt, die Kai ihm gegeben hatte. Er hatte das Bedürfnis ihn anzuschreien. Aber er tat es letztendlich nicht. Das war nicht seine Art, auch wenn die Alternative genauso beschissen war. Die Wut einfach schon wieder in sich hinein zu fressen, kam für ihn eigentlich nicht in Frage. Letztendlich hatte er ihm, als die Sonne dabei war unterzugehen, nur eine SMS geschrieben. Er wollte nicht schon wieder so wirken, als würde er alles mit sich machen lassen. Er war doch keine billige Schlampe mit der man schlief und sich danach nicht mehr bei ihr meldete! Das bekommst du zurück! Das war eigentlich nichts, was in irgendeiner Weise förderlich war. Drohungen waren nie förderlich, aber Kai musste endlich einsehen, dass er sich nicht benehmen konnte wie ein Trampel, ohne, dass das Konsequenzen hatte! So geduldig Rei auch war, irgendwo war einfach Schluss! Und hier gab es eindeutig eine Grenze, die der Russe übertreten hatte! Das würde er nicht auf sich sitzen lassen. Und so sendete er die SMS, diesen einen Satz, auch ab. Sollte Kai doch von ihm denken was er wollte. Rei war auch nur ein Mensch! An Schlaf war diese Nacht schon wieder nicht zu denken. Den Sonntag verbrachte er dann damit, noch immer wütend durch die Stadt zu stapfen und sich zu überlegen, wie er es dem Russen heimzahlen konnte. Nein, eigentlich wollte er das so gar nicht. Rache war nicht seine Art. Dennoch musste dieses Verhalten Konsequenzen haben. Keine Rache, aber irgendwas in diese Richtung. Er konnte ihn bloßstellen, aber das erschien ihm zu heftig. So was Privates sollte man nicht in die Öffentlichkeit ziehen. Obwohl... warum denn eigentlich nicht? Natürlich nicht im Sinne von 'ihn bloßstellen', aber so ähnlich. Langsam wuchs ein Plan in seinem Kopf. Er würde Kai dazu zwingen mit ihm zu reden und sich mit der Situation auseinander zu setzen. Es würde sehr unangenehm für den jungen Russen werden, aber das sollte es ruhig. Damit schlug er einige Fliegen mit einer Klappe. Und diesmal würde er sich nicht vertreiben lassen! Ja... ja, er wusste genau was er tun würde. Mit einem zufriedenen, aber etwas finsteren Grinsen, machte er sich auf den Weg nach Hause. Es dämmerte schon wieder und morgen war Schule. Oh, er konnte es kaum erwarten! Das war wirklich perfekt! Es war immer noch nicht ganz sein Stil, aber es hatte bisher auch noch nicht viele Situationen in seinem Leben gegeben, die derart drastische Maßnahmen erfordert hatten. Es wurde Zeit dem Russen zu zeigen, dass sie beide gar nicht so unterschiedlich sein mussten... Geschlafen hatte er schon wieder nicht gut. Eine Woche Schlafentzug war wirklich nicht angenehm. Nun ja, wirklich beschweren konnte er sich nicht, denn innerlich war er dermaßen aufgedreht, dass er gar nicht wirklich müde sein konnte. Nur sein Körper schickte ihm ständig Signale, die wohl darauf hinweisen sollten, dass es besser wäre, nach Hause zu gehen und sich einfach ins Bett zu legen. Aber das kam für ihn nicht in Frage! Nicht heute! Und diese Meinung änderte sich auch nicht, nachdem er schon zum tausendsten Mal den Stift hatte fallen lassen, bemerkt hatte, dass er nur unzusammenhängenden Unfug in sein Heft kritzelte und abermals vom Lehrer ermahnt worden war, sich doch endlich zu konzentrieren, wenn er nicht aus dem Klassenzimmer fliegen wolle. Es war ihm egal. Genauso wie es ihm egal war, dass seine Klassenkameraden schon merkwürdig schauten. Es gab so viel Wichtigeres! Warum nur verging die verdammte Zeit nicht? Er wollte unbedingt in die Mittagspause. Er wollte das endlich klären! Endlich, der Gong! Als er aufsprang wäre er fast gestürzt. Ihm war schwindlig und übel, aber er ignorierte das. Ausruhen konnte er sich nachher immer noch! Er ignorierte Takaos versuch ihn zu begleiten, ignorierte eigentlich alles um sich herum und stürmte einfach nach draußen. Er wollte das endlich klären! "Hiwatari!", rief er, als er sah, wie Kai gerade dabei war, sich auf seinen Ast zu schwingen. Perfekt, wenn er noch auf dem Boden stand, war es einfacher! Die Wut in ihm kochte noch immer und drohte schier überzulaufen. Er musste das jetzt tun, sonst würde er nie wieder ruhiger werden. Da würde auch keine Meditation mehr helfen. Es war einfach genug. Kai drehte sich zu ihm um, sein Blick verschlossen, drohend und so etwas wie wütend. Oh nein, der Russe hatte definitiv keinen Grund sauer zu sein! Schließlich war es nicht Rei gewesen, der sich feige vor einem Gespräch gedrückt hatte! Er ignorierte die Anspannung des anderen, bemerkte aber zufrieden, wie die Schüler, die schon auf dem Hof waren, sich zu ihnen umwandten. Perfekt. Kai rechnete mit einem Schlag, das war auch Rei klar, aber genau aus diesem Grund schaffte es sein Ziel auch nicht, anständig zu reagieren. Rei stieß ihn einfach gegen den Baum, funkelte ihn eine Sekunde lang wütend an und presste dann seine Lippen auf die seinen. Vor der halben Schule. Warum dieser Plan so genial war? Oh, dafür gab es mehrere Gründe. Er stellte Kai damit ein Stück weit bloß, wobei sich das in Grenzen hielt, da sowieso jeder wusste, dass er schwul war. Allerdings war ein Kuss ja nun einmal eindeutig ein Zuneigungsbeweis. Damit konnte Kai nicht mehr so tun als würden sie sich gar nicht kennen. Es zwang ihn ein Stück weit dazu sich mit der Situation auseinander zu setzen und zu guter Letzt tat die öffentliche Demütigung ihr Übriges. Es gab noch mehr Gründe, warum das hier eine gute Idee war, aber ihm fielen sie nicht mehr ein und er hatte auch keine Zeit mehr darüber nachzudenken. Der Kuss dauerte effektiv nicht länger als zwei Sekunden und sein müder, erschöpfter Kopf registrierte zu spät die Anspannung in dem Körper des Anderen. Eigentlich hatte er gewusst, dass das passieren würde, aber er war zu erschöpft um darauf reagieren zu können. Mit einem Tritt in den Magen und einem heftigen Stoß gegen seine Brust wurde Rei in Richtung Schulhof zurück geschleudert. Nur jahrelanges Training verhinderte, dass er sich verletzte. Er blieb dennoch am Boden und hielt sich verkrampft seinen Magen. Verdammt, das war so nicht geplant gewesen. Als er aufsah, er sah ein wenig verschwommen, blickte er in flammende, wütende Augen. Die Augen Kais brannten lichterloh. Das dunkle Rot schien alles verschlingen zu wollen. "Dachtest wohl du hättest leichteres Spiel, hm? Mit der dummen Schwuchtel kann man's ja machen! Denkst du, du bist der Erste der mich damit aufziehen will? Mach das nochmal und du landest im Krankenhaus!" Wie oft hatte er ihm das eigentlich schon angedroht? Musste das dritte oder vierte Mal sein. Wenn er immer nur drohte, würde man ihn nie in Ruhe lassen. Aber.. Moment Mal! Versuchte Kai das gerade wirklich als Mobbingaktion hinzustellen? Was zum... das ergab doch gar keinen Sinn! Damit nahm er der öffentlichen Demütigung nicht die härte, im Gegenteil, das machte es doch nur schlimmer! Das einzige was er damit bezweckte, war Rei sein eigenes Outing zu versauen. Was.... Ein Lachen riss Rei aus seinen eher trägen Gedanken und im nächsten Moment hatte er eine Hand vor seiner Nase, die ihm offensichtlich beim Aufstehen helfen wollte. Als er aufblickte erkannte er einen Jungen aus seiner Stufe. Der war in irgendeiner Parallelklasse. Bisher hatte er ihn eher geschnitten, wenn er denn überhaupt mal mit ihm redete. Er grinste jetzt über beide Ohren. Was war hier los? "Mann Alter, was für ne geile Aktion! Hätte ich dir gar nicht zugetraut, dass du dich das traust. Dachte du wärst der totale Langweiler, aber bist wohl doch ganz in Ordnung." Was war denn jetzt los? Dachten die wirklich, er hätte das gemacht, allein um Kai wegen seiner sexuellen Ausrichtung zu mobben? Dachten die jetzt, er wäre so wie sie? Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken. Aber Moment mal... Irgendwas in seinem Kopf machte plötzlich 'klick'. Vor ihm rauschten alle Situationen vorbei, die so waren, wie die gerade. Kai, der ihn ablehnte und irgendwer, der ihm danach viel mehr Aufmerksamkeit schenkte als vorher. Es war immer jemand da gewesen, der ihn wieder vom Schulhof gekratzt hatte, wenn Kai ihn mal wieder von sich gestoßen hatte. Und immer danach, hatte er viel mehr Aufmerksamkeit erhalten, als ihm eigentlich lieb war. Sein Kopf begann zu schmerzen, doch er wollte diesen Gedanken zu Ende denken. Hatte Kai das etwa gewusst? Hatte er das so geplant? Was wäre gewesen, wenn Kai ihn am ersten Schultag nicht so hart behandelt hätte? Dann hätten sie als Freunde gegolten, denn sonst kam ja niemand in Kais Nähe... und dann? Dann hätte man ihn geschnitten, denn das tat man mit Freunden von ungeliebten Außenseitern. Er wäre nicht halb so gut in die Klassengemeinschaft aufgenommen worden, wahrscheinlich wäre eher das Gegenteil der Fall gewesen. Wahrscheinlich wäre er auch zu einem Außenseiter geworden. War es möglich.... nein. Ungläubig starrte er an dem Jungen vorbei zu Kai. Nein... oder? Er versuchte in den Augen des anderen etwas zu sehen. Versuchte herauszufinden, ob er Recht hatte. Das konnte doch unmöglich sein! Nein, so war der Russe nicht. Oder? Es fehlten ihm schon wieder so viele Informationen! Aber Kai wirkte wirklich nicht wie jemand, der andere vor Unheil bewahrte... nur die Art und Weise war typisch, so unglaublich typisch. Es würde das ganze Verhalten zumindest erklären. Wenn Kai keine Freunde wollte, hätten sie sich nie in dem Park getroffen und schon gar nicht regelmäßig. Aber das wirkte so unglaublich irrational und dumm, das konnte einfach nicht sein! Dennoch war es die logischste Erklärung die ihm dazu bisher eingefallen war. Unverhofft musste er lachen. Ja, er lachte, obwohl er sich ganz und gar nicht freute. Es war nur so furchtbar absurd, so furchtbar ironisch, so unglaublich dämlich. Wie konnte ein so intelligenter Kerl wie Kai nur so blöd sein? Er verstand es nicht. Aber er lachte darüber. Er konnte nicht anders. Wahrscheinlich sollte er wirklich schlafen... Nachdem dieser kurze Anfall vollkommener Irrationalität vorbei war, schlug er die Hand des Jungen weg, den er sowieso nicht leiden konnte. Dann rappelte er sich mühsam selbst auf, aber ohne Kai aus den Augen zu lassen. "Du bist echt ein Arschloch.", zischte er und versuchte dabei, seine Stimme aufrecht zu erhalten. Das war schwer mit einem Magen, der sich gerade umdrehen wollte. "So lasse ich dich definitiv nicht davon kommen! Du willst spielen? Gut, wie du willst..." Er sah sich kurz die Meute an, die sich um ihn gebildet hatte. Wohlweißlich blieben die weit genug von Kai weg. Sie starrten jetzt schon skeptisch und er war sich sicher, dass sich das gleich noch verschlimmern würde. "Mir liegt nichts ferner als dich zu verarschen.", begann er dann mit möglichst fester Stimme. Den Bauch hielt er sich trotzdem. Irgendwann würde er ihm das heimzahlen, aber es gab mal wieder Wichtigeres. Er sah kurz in die Runde. "Im Gegenteil." Dann sah er Kai wieder fest an: "Ich steh auf dich." Ein Raunen ging durch die Menge und prompt wurde etwas Abstand von ihm genommen. Ja.. jetzt würde er die Ruhe haben, die er sich die ganze Zeit schon gewünscht hatte. Allerdings war so offene Abneigung selbst für ihn verletzend. Aber im Prinzip war es egal. Er konnte keine Freunde brauchen, die nur mit ihm befreundet waren, wenn er hetero war und Kai nicht ausstehen konnte. "Hör auf so einen Schwachsinn zu reden.", spuckte Kai förmlich aus. Doch Rei ließ sich nicht beirren. Stattdessen blitzte er ihn herausfordernd an: "Etwa angst davor, dass sich tatsächlich mal ein Junge für dich interessiert?" Um ihn herum wurde das Tuscheln begonnen. Es fielen so Sachen wie 'Ich hab's ja von anfang an geahnt' und 'echt eklig'. Manche Mädchen kicherten verhalten, andere wandten sich sofort einfach ab. Viele Mädchen waren einfach nur enttäuscht. Hoffentlich bereute er diese Kurzschlussreaktion nicht doch noch. Er hatte sich schon manches Mal absichtlich zum Außenseiter gemacht, aber man konnte nie wissen, wohin das lief. Das konnte auch ausarten, aber es war jetzt sowieso viel zu spät. Kai knurrte kurz auf, murmelte ein 'Mach doch was du willst' und wollte sich dann wieder abwenden. Doch nicht mit Rei. Er würde ihn jetzt nicht mehr weg lassen. Schnell überwand er die wenigen Meter und packte Kai am Arm, um ihn zurück zu halten. Ein Unterfangen, was schwieriger war als gedacht, denn allmählich ging ihm wirklich die Kraft aus und das schien jetzt auch Kai zu merken. Kühl sah er auf die Hand, die ihn zitternd festhielt und er konnte noch sehen, wie sich die Stirn des Anderen wie in Sorge runzelte. Danach verschwamm langsam alles. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal was gegessen? Sein Magen fühlte sich plötzlich so unglaublich leer an. "Komm!", zischte Kai nur, löste sich aus seinem Griff, nur um ihn seinerseits am Handgelenk zu greifen und ihn von der starrenden Meute weg zu ziehen. Kai hatte beim besten Willen keine Ahnung, warum der Chinese plötzlich so schwach war und warum seine Augen eher ziellos umher huschten. Vielleicht hatte er sich eine Grippe eingefangen oder so was. Es war ihm eigentlich egal, aber er konnte ihn schlecht hier auf dem Schulhof zusammen klappen lassen. Innerlich verfluchte er sich für diese Tat. So wurde er den Kerl sicherlich nicht los. Rei bekam gar nicht mit wo sie hin gingen, bis er plötzlich auf etwas weiches gedrückt wurde. War das ein Bett? Ganz automatisch schloss er die Augen, gab der Erschöpfung endlich nach, die ihn schon seit Tagen belastete. Das tat so gut. Nur am Rande seines Bewusstseins bekam er noch mit, wie jemand, der verdächtig nach Kai klang, jemand anderen anschnauzte. Was er sagte, verstand er schon nicht mehr, da war er bereits in einen tiefen Schlaf gefallen. Kai betrachtete den Jungen, der jetzt ohnmachtsgleich schlief. Er hatte gerade die Krankenschwester aus der Nische, in der das Bett stand, geworfen, nachdem die tatsächlich die Frechheit besessen hatte, sie beide wieder raus werfen zu wollen. Unfähige Frau. Jetzt jedenfalls saß er hier und starrte diesen Idioten an. Was hatte der sich nur dabei gedacht? Warum hatte er das gemacht? Wie konnte man nur so blöd sein. Jetzt hatten sie beide keine ruhige Minute mehr hier. War es nicht schon schlimm genug, dass es ihm selbst so erging? Schnaubend trat Kai von dem Chinesen weg und stellte sich ans Fenster, sah auf den Schulhof der sich langsam leerte. Die nächste Stunde würde bald beginnen, aber er sah es nicht ein, da jetzt hin zu gehen. Das sagte er auch der Krankenschwester, als die ihn freundlich versuchte darauf hinzuweisen, nur nicht ganz so nett. Er würde hier bleiben, irgendwer musste sich ja um diesen Idioten kümmern. Der Krankenschwester traute er das eher nicht zu. 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