Er liebt mich, er liebt mich nicht 2 von Hoellenhund ([Secret Love]) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Aki Takeda lag auf einer der üppig grünen Wiesen am Rande des Campus der Seikô Gakuen-Oberschule und starrte auf das entfernte Glasgebäude, in dem er im vergangenen Schuljahr die meisten seiner Unterrichtsstunden verbracht hatte. Es war ein herrlicher Frühlingstag, der das Ende der Zwischenprüfungen mit den Schülern zu feiern schien. Die Sonne strahlte warm vom beinahe wolkenlosen Himmel und ein leichter Windhauch bewegte die Blätter der nahen Kirschbäume, deren Knospen kurz vor der Blüte standen. Es war nicht zu fassen, wie schnell die Zeit vergangen war. Takeda wandte den Kopf und lenkte seinen Blick zu Ryo Hirakawa hinüber, der ganz nahe bei ihm bäuchlings im Gras lag und intensiv in die Lektüre eines dicken Buchs vertieft schien. Mit seiner Hilfe hatte Takeda es gerade so durch die Prüfungen geschafft. Obwohl Hirakawa mit seinen Aufgaben als Wohnheimsprecher und der Leitung des Kendô-Clubs, die er nach Yamato Kurois Verweis im vergangenen Jahr spontan übernommen hatte, beschäftigt genug gewesen wäre, hatte er seine wenige Freizeit auch noch dafür geopfert, Takeda Nachhilfeunterricht zu geben. Um es ihm zu ermöglichen, auf der Seikô Gakuen bleiben zu können. Um es ihnen beiden zu ermöglichen, zusammenbleiben zu können. „Was liest du da eigentlich?“, fragte Takeda sich laut, während er mit den Augen Hirakawas scharf geschnittenes Profil nachzeichnete, jedes noch so kleine Detail von ihm in sich aufnahm. Es dauerte einen Augenblick, ehe Hirakawa antwortete: „Die göttliche Komödie von Dante.“ Eine Seite schlug um. Als Takeda nichts erwiderte, fügte Hirakawa hinzu: „Eines der bedeutendsten Werke der italienischen Literatur aus dem vierzehnten Jahrhundert. Du solltest auch mehr lesen.“ Takeda verdrehte die Augen, obwohl er genau wusste, dass Hirakawa Recht hatte. „Am Samstag ist übrigens die Abschiedsfeier für die Absolventen aus dem dritten Jahr. Ich dachte, du würdest sicher gerne hingehen“, setzte Hirakawa nach einer kurzen Pause hinzu, den Blick immer noch auf sein Buch geheftet. Mit einem leisen Seufzer ließ Takeda sich zurück ins Gras sinken und starrte in den stahlblauen Himmel empor. Yuuki Ishida, der Kapitän des Leichtathletik-Clubs, mit dem sich Takeda seit seiner Aufnahme an der Seikô Gakuen ein Zimmer teilte, würde die Schule nun verlassen. Und sehr wahrscheinlich würde Takeda ihn nie wieder sehen. „Ich werde ihn vermissen“, sagte er mehr zu sich selbst, den Blick noch immer auf das endlose Blau geheftet, das sich über ihm ausbreitete. Mit einem dumpfen Geräusch schlug Hirakawas sein Buch zu. Einige Sekunden lang geschah nichts - dann schob sich Hirakawas Gesicht in Takedas Blickfeld. Seine Augen dunkel und tief, seine Nase nur wenige Zentimeter von Takedas Gesicht entfernt. Sofort begann sein Herz schneller zu schlagen. Kein Wort entrang sich Hirakawas Lippen. Er sah Takeda einfach nur an, direkt in seine Augen, in sein Herz. Dann küsste er ihn. Einen Augenblick lang schien die Welt still zu stehen; konnte Takeda nichts als den heftigen Schlag seines eigenen Herzens hören. Doch dann schob er Hirakawa von sich fort: „Hör auf. Was, wenn uns jemand sieht?“ Hirakawas Augenbrauen zogen sich argwöhnisch zusammen: „Was soll dann sein?“ Diese Frage konnte doch unmöglich ernst gemeint sein. Mit seinem fabelhaften Notendurchschnitt und den vielen Ämtern, die er bereits im ersten Jahr seiner Oberschulzeit bekleidet hatte, war Hirakawa für viele Schüler ein Vorbild. Er konnte es sich nicht leisten, seinen guten Ruf zu verlieren. Er nicht. Schon damals, als Hirakawa die Aufnahmeprüfung manipuliert hatte, um es Takeda zu ermöglichen, die Seikô Gakuen zu besuchen, hatte er alles für ihn riskiert. Das würde Takeda auf keinen Fall ein weiteres Mal zulassen. Niemals. „Lass uns das ab jetzt einfach nicht mehr machen, wenn uns jeder sehen kann, okay?“ Hirakawa hielt Takedas entschlossenem Blick einige Herzschläge lang stand. Dann wandte den Kopf ab: „Wie du willst.“ Ein Windstoß schüttelte die Äste der Bäume, zerzauste Takedas und Hirakawas Haar und trug ihre Worte mit sich fort. Kapitel 2: ----------- „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass diese Abschlussfeier ein Ball ist?“ Takeda stand am Rande der großen Halle des Hauptgebäudes, in dem er selbst vor fast einem Jahr als neuer Schüler begrüßt und seiner Klasse zugewiesen worden war und fühlte sich in seiner dunkelgrünen Schuluniform völlig deplatziert. Das Licht war gedimmt, aus zwei großen Lautsprechern im hinteren Teil der Halle plätscherte sanfte Musik und an der gegenüberliegenden Wand war ein beeindruckendes Buffet aufgebaut worden, dessen Wert Takeda nicht einmal zu schätzen wagte. Überall drängten sich Schüler in maßgeschneiderten Anzügen und die meisten von ihnen schienen zu allem Überfluss in weiblicher Begleitung zu sein. „Du hast nicht gefragt. Außerdem ist das kein Ball. Eher eine gehobene Tanzveranstaltung“, gab Hirakawa zurück, der neben Takeda an der Wand lehnte. Sein dunkler Anzug betonte seine breiten Schultern und ließ ihn erwachsener wirken als es Takeda gewohnt war, männlicher. „Nenn' es von mir aus wie du willst. Ich dachte einfach, es wäre eher so eine Art Abschiedsrede des Direktors“, murmelte Takeda in leicht säuerlichem Tonfall. „Die Zeugnisübergabe war schon heute Nachmittag.“ Natürlich, das hätte Takeda sich auch selbst denken können. Noch einmal ließ er den Blick über die Menschen in der Halle schweifen: „Und was machen die ganzen Mädchen hier?“ „Das sind die Absolventinnen der Hibiya Gakuen. Die Abschlussfeier beider Schulen wird traditionell zusammen abgehalten.“ Ehe Takeda noch etwas erwidern konnte, ließ ihn eine vertraute Stimme herumwirbeln: „Hey, Takeda! Und Hirakawa, ich glaub's nicht, das ist ja eine richtige Delegation zu meinen Ehren.“ Yuuki Ishida kämpfte sich durch die dicht gedrängten Schüler auf der Tanzfläche auf die beiden zu, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Kein Wunder: Er hatte gleich drei gutaussehende Mädchen im Schlepptau. „Darf ich vorstellen? Das sind Hanako, Kotori und...“ Ishida zögerte und sah das dritte Mädchen an, das die Arme vor der Brust verschränkt hatte und um einiges größer war als die beiden anderen. „Miyako“, ergänzte sie in scharfem Tonfall und musterte erst Takeda und dann Hirakawa mit abschätzigem Blick, als gälte es, ein psychologisches Profil von ihnen zu erstellen. Wie Takeda diesen Typ Mädchen hasste... „Genau“, grinste Ishida und zwinkerte Takeda zu. „Toll“, gab dieser wenig begeistert zurück und ließ den Blick zurück zum Buffet wandern. „Na, dass DICH das nicht interessiert, ist mir klar“, feixte Ishida. „Wollen wir jetzt tanzen oder nicht?“, fuhr Miyako in scharfem Tonfall dazwischen und Ishida zuckte ergeben die Achseln. „Wir sehen uns später!“, sagte er also und ließ sich von Miyako auf die Tanzfläche führen. Die beiden anderen Mädchen folgten ihnen in gebührendem Abstand. Doch dann blieb eines von ihnen, die kleine mit dem kurzen, brauen Haarschopf, Kotori, plötzlich stehen und wandte sich noch einmal um. Zögerlich trat sie auf Hirakawa zu. „Würdest du vielleicht... Mit mir tanzen? Also, wenn es dir nichts ausmacht“, fragte sie vorsichtig, die Hände zu einem scheinbar unlösbaren gordischen Knoten verschlungen. Hirakawa warf Takeda einen kurzen Seitenblick zu. „Geh schon“, murmelte dieser nur und sah den beiden nach, als sie in Richtung der Tanzfläche verschwanden. Das hast du ja prima hingekriegt, fuhr es Takeda durch den Kopf, während er weiterhin am Rande der Halle stand und die Tanzenden mit den Augen verfolgte. Wie war es nur möglich, sich inmitten so vieler Menschen derartig einsam zu fühlen? Das Lied endete, ein weiteres folgte. Und noch eins, und noch eins. Doch Hirakawa kam nicht zurück. Takeda harrte noch einen Augenblick länger aus, dann wandte er sich zum Gehen. Was sollte er noch hier? Niemand würde ihn vermissen. Takeda hatte die Tür beinahe erreicht, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte: „Gehst du schon?“ Es war Ishida, der die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt hatte. Von den beiden Mädchen, die ihn begleitet hatten, war weit und breit nichts zu sehen. „Ich werde langsam müde“, gab Takeda ausweichend zurück. Ishida zog die Augenbrauen hoch: „Es ist noch nicht mal zehn.“ Als Takeda die Achseln zuckte, verschränke Ishida die Hände hinter dem Rücken und spazierte an Takeda vorbei durch die Tür und auf den Flur hinaus. Überrascht beeilte sich dieser ihm zu folgen, bis er ihn schließlich draußen auf dem Schulhof einholte. Der Himmel war noch immer wolkenlos und die ersten Sterne schimmerten wie Diamanten auf seinem dunklen Samt. Ein kalter Windzug ließ Takeda erschaudern. Hier draußen war es unerwartet ruhig. Die Musik und das Gelächter aus der Halle drangen nur gedämpft durch die geschlossenen Fenster und wurden beinahe vom Plätschern des nahen Brunnens übertönt. „Ich hab' eine Zusage von einer Sporthochschule hier in Osaka bekommen“, sagte Ishida schließlich. Obwohl Takeda natürlich von Ishidas Leidenschaft für Leichtathletik gewusst hatte, war er ehrlich überrascht: „Das ist ja großartig!“ „Ja“, grinste Ishida zurück. „Endlich kein langweiliger Kunstunterricht mehr. Du kommst doch klar, oder?“ „Ohne den guten Rat des weisen Ishida? Du spinnst wohl“, gab Takeda amüsiert zurück. Doch obwohl er äußerlich lachte, spürte er im Herzen einen Stich. „Ich bin ja nicht aus der Welt. Die Stadt bleibt schließlich die gleiche. Da wirst du wohl auch in Zukunft nicht um den guten Rat des weisen Ishida drum 'rum kommen“, lachte Ishida und stieß Takeda den Ellenbogen in die Seite. „Aua, wofür war das denn?“ „Dafür, dass du so ein Gesicht ziehst. Dein neuer Mitbewohner wird ordentlich, zuverlässig und ein guter Zuhörer sein.“ „Also alles, was du nicht bist, ja?“, gab Takeda trocken zurück. „Woher willst du das überhaupt wissen?“ „Das nennt man eine Prophezeiung, klar?“ Einige Sekunden lang herrschte Stille. Dann brachen beide in schallendes Gelächter aus. Es war ein befreiendes Lachen, das alle Zweifel und Sorgen aus Takedas Brust löste und fortspülte. Vor ihm lag ein neues, wundervolles Jahr auf der Seikô Gakuen. Sollte Hirakawa doch mit so vielen Mädchen tanzen wie er wollte. Was sie beide verband, war etwas ganz Besonderes. Und das konnte ihnen keiner nehmen. Kapitel 3: ----------- Takeda saß allein auf seinem Zimmer in Wohnheimblock C und starrte auf das leere, gegenüberliegende Bett. Ohne Ishida, der dort hinter Bergen von Modellbauzeitschriften verborgen lag, war dieser Raum nicht mehr derselbe. Mit Beinen so schwer wie Blei stand Takeda auf, trat an das nahe Fenster heran und warf einen Blick nach unten auf den Hof, wo sich eine ordentliche Schlage neuer Schüler aufgereiht hatte, die darauf warteten, ihren neuen Zimmern zugewiesen zu werden. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre es gestern gewesen, als Takeda selbst dort unten stand. Wie sein neuer Mitbewohner wohl sein würde? Natürlich hätte Takeda sein Zimmer am liebsten mit Hirakawa geteilt, aber das ging nun wirklich nicht. Zumal er schließlich immer noch der Wohnheimsprecher war und damit verbunden ein Einzelzimmer im dritten Stock bewohnte. Aber das war kein Problem, so konnte Takeda ihn wenigstens jederzeit besuchen. Zumindest versuchte er sich das einzureden. Während er weiter auf die neuen Schüler hinab starrte, kam ihm sein letztes Gespräch mit Hirakawa wieder in den Sinn. „Ich habe das Mädchen nach dem Tanz nach Hause gebracht“, hörte er Hirakawa noch einmal sagen. Sie hatte sich scheinbar nicht wohl gefühlt und als Hirakawa zurückgekommen sei, wäre Takeda nicht mehr da gewesen. „Und ich habe ihr gesagt, dass ich schon eine Freundin habe.“ Eine Freundin... Langsam wandte sich Takeda vom Fenster ab und seufzte leicht. Er konnte sich nicht beschweren, er selbst war es schließlich gewesen, der Hirakawa darum gebeten hatte, ihre Beziehung geheim zu halten. Und trotzdem: Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Während Takeda noch seinen Gedanken nachhing, näherten sich Schritte draußen auf dem Flur. Für einen kurzen Augenblick verstummten sie, dann klopfte es zwei Mal an der Tür. Das konnte nur der neue Mitbewohner sein. „Komm rein“, sagte Takeda schnell und gab sich alle Mühe, mit dem Rücken zum Fenster eine lässige Figur abzugeben. Der erste Eindruck war schließlich der wichtigste und er wollte seinem neuen Mitbewohner auf keinen Fall wie ein begossener Pudel gegenüber treten. Mit einem leisen Quietschen wurde die Tür aufgedrückt. Der Junge, der dort auf der Schwelle stand, wirkte jünger als Takeda es erwartet hatte und er musste zwei Mal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass es überhaupt ein Junge war. Er hatte nicht nur sehr feminine Gesichtszüge, sondern trug obendrein eine Spange in Form eines Gänseblümchens im rotbraun gefärbten Haar, die seinen langen Pony hinderte, ihm ins Gesicht zu fallen. Takeda war so überrascht von seinem Anblick, dass er völlig vergaß, dass er irgendetwas hätte sagen sollen. Doch der Junge ließ sich dadurch nicht beirren. „Ich bin Haruki Kimura. Freut mich, dich kennen zu lernen. Du musst Aki Takeda sein“, sagte er, bevor er in den Raum trat und die Tür hinter sich zu zog. Also entweder war dieser Kimura nur sehr höflich - oder aber verdammt arrogant. Das konnte ja heiter werden. Der erste Eindruck, ermahnte sich Takeda, denk an den ersten Eindruck. „Ja, genau, Aki Takeda. Ich bin selbst erst seit letztem Jahr auf der Seikô, aber ich kenne mich inzwischen ganz gut aus. Wenn du willst, führe ich dich ein bisschen herum“, rang er sich schließlich durch zu sagen. „Das ist nicht nötig, ich bin hier schon zur Mittelschule gegangen. Es ist also nur ein kleiner Umzug – von einem Wohnheim ins nächste, wenn du verstehst.“ Keine Höflichkeit. Kimura gehörte ganz offensichtlich zur eingebildeten Sorte. „Schön“, stieß Takeda zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Kimura einen riesigen Rollkoffer hinter sich hergezogen hatte. Um Himmelswillen, wo wollte er denn damit hin? Hoffentlich an Ort weit weg von hier. Kimura musste Takedas Blick bemerkt haben, denn seine Lippen kräuselte ein süffisantes Lächeln, während er wie beiläufig sagte: „Das sind nur ein paar Kleinigkeiten. Du scheinst ja nicht besonders viele Sachen zu haben, da sollte sich für meine doch ein Plätzchen finden lassen.“ Wie selbstverständlich zog Kimura Takedas Wandschrank auf: „Hab' ich's mir doch gedacht. Du nutzt deinen Stauraum nicht mal zu fünfundsechzig Prozent.“ Takeda konnte einfach nicht glauben, was er da sah. Das musste ein Albtraum sein. Jeden Augenblick würde er aufwachen und Ishida würde ihn necken, weil er wieder einmal seinen Wecker überschlafen hatte. Doch Takeda wachte nicht auf. Stattdessen klappte Kimura nun seinen Koffer auf und begann, einige seiner Schuluniformen in Takedas Schrank zu stapeln. „Könntest du bitte aufhören, in meinen Sachen herum zu wühlen?“, fuhr Takeda ihn an. „Das ist doch kein Herumwühlen. Das ist einfache Ökonomie“, gab dieser zurück als sei es das normalste der Welt. Hatte Ishida nicht gesagt, Takedas neuer Mitbewohner würde ordentlich, zuverlässig und ein guter Zuhörer sein? Im Gegensatz zu Ishidas weisem Rat konnte man auf seine Prophezeiungen offensichtlich nicht viel geben. Wobei – ordentlich war Kimura ja. Irgendwie jedenfalls. Bei allen Göttern, wenn dieser Typ schon seine Unterhosen in seinen Schrank räumen musste, wollte Takeda es zumindest nicht mitansehen müssen. „Ich geh ein bisschen frische Luft schnappen“, fauchte er also und ehe Kimura noch etwas erwidern konnte, marschierte er schnurstracks auf den Flur hinaus und knallte die Tür geräuschvoll hinter sich zu. Kapitel 4: ----------- Takeda trat auf den Hof hinaus. Hier unten herrschte noch immer reges Treiben – offensichtlich waren noch lange nicht alle Schüler ihren neuen Zimmern zugewiesen worden. Ohne sich bewusst dazu entschieden zu haben, griff Takeda in die Hosentasche seiner Schuluniform und zog sein Handy heraus. Vor noch einem Jahr war dieses kleine Gerät Dreh- und Angelpunkt seines Lebens gewesen - aber seit er die Seikô Gakuen besuchte, hatte er es kaum noch benutzt. Bevor Ishida aus ihrem gemeinsamen Zimmer ausgezogen war, hatte Takeda ihm seine Nummer gegeben, aber bisher hatte er sich nicht gemeldet. Und auch jetzt verkündete kein Hinweis einen verpassten Anruf oder eine SMS. Am liebsten hätte Takeda Ishida auf der Stelle angerufen und ihm gesagt, dass er sich geirrt hatte, dass sein neuer Mitbewohner ein Verrückter war. Aber er wollte nicht den Eindruck machen, dass er ohne Ishida nicht zurecht kam. Und außerdem: Was hätte dieser Anruf schon genützt? Ishida hätte sich nur unnötige Sorgen gemacht. Also ließ Takeda sein Handy zurück in die Hosentasche gleiten, als jemand hinter ihm seinen Namen rief: „Takeda! Wohnst du etwa auch hier?“ Als Takeda den Kopf hob, sah er Hinata, den begabten Mittelschüler aus dem Kendô-Club, der eine ganze Zeit lang zusammen mit Hirakawa trainiert hatte, direkt auf sich zukommen. Doch irgendetwas war anders als sonst. Erst auf den zweiten Blick konnte Takeda sagen, was es war: Hinata war in die dunkelgrüne Uniform der Oberschüler gehüllt – und er schleifte eine große Reisetasche neben sich her. „Sag bloß, du ziehst bei uns ein“, meinte Takeda überrascht, den Blick auf Hinatas Tasche geheftet. „Ja, ich wohne ab heute in Zimmer 101. Mein Mitbewohner heißt Kamui Sakana. Vielleicht kennst du ihn ja.“ „Und ob ich den kenne“, gab Takeda zurück, ein lebendiges Bild von seinem Sitznachbarn mit der Glasbaustein-Brille vor dem inneren Auge. Hinata hätte es bei der Zimmerzuteilung sicher schlechter treffen können. „Ich wohne direkt nebenan. Schade, dass wir nicht in ein Zimmer gekommen sind. Du wärst mir wesentlich lieber als dieser Verrückte.“ Nun war es raus. Am liebsten hätte Takeda sich auf die Zunge gebissen, aber es war zu spät. Er konnte seine Worte nun nicht mehr zurücknehmen. Doch Hinata schien Takeda für diese vernichtende Kritik seinem neuen Mitbewohner gegenüber keineswegs zu verurteilen. Im Gegenteil: Er lächelte leicht, beinahe so, als fühlte er sich geschmeichelt. „Was ist das denn für ein Verrückter?“, fragte er. „Er heißt Haruki Kimura“, gab Takeda zögerlich zurück. „Kimura? Der ist eigentlich kein so schlechter Kerl. Nur ein bisschen schüchtern.“ „Auf mich hat er nicht gerade einen schüchternen Eindruck gemacht.“ Hinata lachte leicht und packte dann seine Tasche, die er für die Dauer ihres Gesprächs neben sich abgestellt hatte: „Wenn du ihn erstmal besser kennst, wirst du verstehen, was ich meine. Kommst du eigentlich wieder zu den Kendô-Club-Treffen, wenn das neue Schuljahr anfängt?“ Takeda zögerte. Seit seinem leichtsinnigen Duell mit Yamato Kuroi hatte er mit dem Training pausiert. Zuerst nur, um seine Verletzung auszukurieren, aber dann... Er hätte jederzeit wieder zum Training kommen können. Kuroi war nach dem Vorfall schließlich dem Club verwiesen worden. Und doch hatte er es nicht getan... Als Takeda nicht antwortete, fügte Hinata hinzu: „Du warst sowieso nie mit vollem Herzen dabei, hab ich Recht? Das einzige Mal, dass ich dich richtig kämpfen gesehen habe, war bei der Trainingspartie gegen Hirakawa.“ Bei der er mir das Handgelenk zertrümmert hat, fügte Takeda in Gedanken hinzu. Aber Hinata hatte Recht. Er war von Anfang an nur in den Kendô-Club eingetreten, um Hirakawa nahe zu sein. Nicht um des Sportes Willen. „Vielleicht suche ich mir einen anderen Club“, sprach Takeda seine Gedanken laut aus. Hinata lächelte leicht: „Zeigst du mir den Weg zu meinem Zimmer?“ Und damit ließ er sich von Takeda in den Wohnheimblock führen. Dieser war mehr als gespannt, was Kimura in der Zwischenzeit mit ihrem gemeinsamen Zimmer angestellt haben mochte. Oder vielleicht wollte er es doch lieber nicht wissen. Kapitel 5: ----------- „Du wirst dich schon mit ihm arrangieren.“ Hirakawa saß Takeda gegenüber am Tisch eines kleinen Cafés, das nur wenige Gehminuten vom Campus der Seikô Gakuen entfernt in einer beinahe märchenhaft ruhigen Seitenstraße lag. Er hatte sich einen Kaffee bestellt, schwarz, wie er ihn immer trank, während vor Takeda ein üppiges Stück Erdbeerkuchen darauf wartete, endlich gekostet zu werden. „Du hast mir nicht zugehört: Er hat Blumen auf die Fensterbank gestellt. BLUMEN!“, versuchte Takeda noch einmal seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch Hirakawa schien der Trubel um Takedas neuen Mitbewohner nicht im Geringsten zu interessieren. „Hast du was gegen Blumen?“, versuchte er das angebrochene Gespräch wenig enthusiastisch fortzuführen. „Darum geht es doch gar nicht“, gab Takeda in leicht säuerlichem Tonfall zurück. „Iss deinen Kuchen.“ Konnte oder wollte Hirakawa ihn einfach nicht verstehen? Ein schönes Date war das. Frustriert begann Takeda, sich den Erdbeerkuchen in den Mund zu schaufeln. Er schmeckte wirklich ganz ausgezeichnet – gerade so gut, dass er einem Café, das Hirakawa ausgewählt hatte, angemessen erschien. Doch Takeda nahm kaum Notiz davon. Immer wieder tauchte Kimuras Bild vor seinem inneren Auge auf und verdarb ihm regelrecht den Appetit. Als Takeda gerade die letzte Gabel Kuchen hinunter schlang, erweckte das Knistern von Papier jäh seine Aufmerksamkeit. Als er den Kopf hob, fiel sein Blick auf zwei dunkelblau gemusterte Karten, die Hirakawa wie beiläufig auf den Tisch gelegt und zu ihm hinüber geschoben haben musste. „Was ist das“, wollte Takeda mit gerunzelter Stirn wissen. „Karten für das Aquarium.“ Hirakawa sah Takeda nicht an. Stattdessen schien sein Kaffee plötzlich seine volle Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Bedächtig rührte er darin herum. Erst mit, dann gegen und schließlich wieder mit dem Uhrzeigersinn. Eine völlig überflüssige Geste – schließlich hatte er weder Milch noch Zucker hinein gegeben. „Hast du die etwa extra besorgt?“ Takedas Herz tat einen Hüpfer. Offensichtlich hatte Hirakawa den heutigen Tag sorgfältig geplant. Und all diese Mühe hatte er sich nur für ihn gemacht. Mit einem Mal war seine schlechte Laune wie weggeblasen. „Ich bin zufällig am Kartenverkauf vorbei gekommen“, gab Hirakawa nach einer kurzen Pause ausweichend zurück. „Wenn du nicht hin willst, kann ich sie zurückgeben.“ „Natürlich will ich da hin!“, sagte Takeda schnell und schnappte die Karten vom Tisch, ehe Hirakawa sie wieder an sich nehmen konnte. „Ich will MIT DIR da hin“, setzte er ein wenig leiser nach und fuhr mit dem Zeigefinger die Kante einer der Karten entlang, als sei sie ein ganz besonders wertvoller Schatz. Und das war sie auch – zumindest für ihn. Nachdem Hirakawa seinen Kaffee ausgetrunken hatte, winkte er der Bedienung und zahlte Takedas Einwänden zum Trotz für sie beide. Das Aquarium befand sich ein ganzes Stück weiter in Richtung der Innenstadt, sodass Takeda und Hirakawa einige Stationen mit dem Bus fahren mussten. Doch als sie dann endlich das breite, von überlebensgroßen Seepferdchen-Skulpturen gerahmte Portal durchschritten, konnte Takeda nicht umhin zuzugeben, dass sich die Anfahrt gelohnt hatte. In den künstlich beleuchteten Aquarien zu beiden Seiten des Ganges wogten bunte Unterseepflanzen mit der Strömung, in deren Schutz sich unzählige kleine, exotische Fische tummelten, die Takeda noch nie zuvor gesehen hatte. Die Deckenbeleuchtung war gedimmt, sodass die Meeresbewohner in ihren Aquarien besonders gut zur Geltung kamen. Es war beinahe ein bisschen romantisch. Aus einem spontanen Impuls heraus ergriff Takeda Hirakawas Hand. „Ich denke, du willst das in der Öffentlichkeit nicht?“, murmelte Hirakawa harsch. Seine Worte mochten abweisend klingen, doch seine Hand klammerte sich fest um die Takedas, als fürchte er, wenn er sie losließe, würde er seinen Freund für immer verlieren. „Hier kennt uns doch keiner“, gab Takeda in neckischem Tonfall zurück und klammerte sich wie ein kleines Kind an Hirakawas Arm. „Übertreib' es nicht“, fuhr dieser ihn an, doch Takeda entging trotz des gedämpften Lichtes nicht, dass er lächelte. Gemeinsam schlenderten sie die Aquarien entlang, bis sie schließlich in einen Raum gelangten, der von einem großen, runden Aquarium in der Mitte dominiert wurde. Tigerhaie und Mantarochen zogen dort gemächlich ihre Bahnen. Die kraftvollen Flossenschläge der Rochen hatten auf Takeda eine beruhigende Wirkung. Am liebsten hätte er den ganzen Tag hier gestanden und ihnen zugeschaut. Ohne sich bewusst dazu entschieden zu haben, trat Takeda noch einen Schritt näher an Hirakawa heran und lehnte seinen Kopf gegen dessen Schulter. Es war so ruhig, dass Takeda glaubte, Hirakawas Herz schlagen zu hören – aber vielleicht war es auch nur sein eigenes, das laut und heftig gegen seine Rippen pochte. Er stellte sich vor, wie es sein würde, für immer so zusammen zu stehen, als er plötzlich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Überrascht zuckte sein Kopf nach oben. Eine Familie mit zwei Kindern schlenderte gerade an ihnen vorbei; ein Pärchen stand unweit entfernt, das Mädchen hatte die Hände flach auf die Scheibe des Aquariums gedrückt. Seltsam. Takeda hätte schwören können, dass er eben gerade Kimuras rotbraunen Haarschopf aufblitzen gesehen hatte. Aber wahrscheinlich ging nach all dem Ärger mit dem neuen Mitbewohner einfach seine Fantasie mit ihm durch. Und noch dazu das schummrige Licht – er musste es sich eingebildet haben. „Was ist?“, wollte Hirakawa wissen, dem Takedas hektische Suchbewegungen natürlich nicht entgangen waren. „Nichts“, gab Takeda zurück. „Ich dachte nur gerade, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne. Aber ich habe mich geirrt.“ Takeda wollte ihnen auf keinen Fall die Stimmung verderben, indem er das Kimura-Thema wieder aus der Schublade holte. Hirakawa schien ohnehin nicht besonders gut darauf zu sprechen zu sein – und schließlich musste er ja auch nicht alles wissen. Oder? Als Takeda und Hirakawa eine gute halbe Stunde später aus dem Aquarium traten, streckte sich Takeda genüsslich der späten Nachmittagssonne entgegen. „Das war toll! Sowas sollten wir öfter machen“, sagte er und wandte sich dann Hirakawa zu, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. „Keine Einwände“, gab dieser zurück. „Aber erst nächsten Monat. Ich habe gerade noch genug Geld für den Bus.“ Idiot, fuhr es Takeda durch den Kopf. Du hättest mich auch einfach meinen Teil bezahlen lassen können. Doch er sagte nichts. Vielleicht gehörte das für Hirakawa einfach zu einem richtigen Date dazu. Und wenn es ihn glücklich machte – dann war auch Takeda glücklich. Ganz und gar. Kapitel 6: ----------- Als Takeda und Hirakawa zur Seikô Gakuen zurückkehrten, war die Sonne bereits hinter den fernen Berggipfeln verschwunden und die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Es war eben trotz allem immer noch Ende März. Ein kalter Wind pfiff über den Campus und brachte die Blätter der Bäume zum Flüstern. Takeda fröstelte und schob die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. „Ich kanns kaum abwarten, endlich ins Warme zu kommen“, sagte er mehr zu sich selbst als an Hirakawa gewandt, der ganz nahe bei ihm ging. Wie beiläufig streiften sich ihre Schultern. Die Berührung ließ Takeda erschaudern. „Du zitterst ja.“ Hirakawas schelmischen Tonfall war ganz deutlich anzuhören, dass er genau wusste, was der Grund dafür war. „Blödmann“, murmelte Takeda, ohne aufzublicken. Doch aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass Hirakawa lächelte. Doch die traute Zweisamkeit sollte nicht von langer Dauer sein. Vor dem Eingang von Wohnheimblock C trafen sie unverhofft auf Hinata, der, den Kopf in die Hände gestützt, auf den steinernen Stufen saß und auf irgendetwas zu warten schien. „Was machst du hier draußen?“, fragte Hirakawa in seinem üblichen geschäftlichen Tonfall. Es war eine offizielle Frage, die er als Wohnheimsprecher stellte, keine Frage unter Freunden. Takeda erstaunte es immer wieder, wie gut es Hirakawa verstand, beinahe übergangslos zwischen den verschiedenen Haltungen hin und her zu wechseln. „Ach, ja... Naja“, begann Hinata zögerlich und kratze sich am Hinterkopf. „Sakana ist noch nicht da und ich habe meinen Schlüssel vergessen“, gestand er schließlich. Als habe er von Hinatas Antwort keine Notiz genommen, trat Hirakawa an ihm vorbei und schloss die Tür zum Wohnheim auf. Erst nachdem er eingetreten war, wandte er sich noch einmal zu seinem Trainingspartner um: „Du kannst solange mit auf mein Zimmer kommen und dort warten.“ Hinata stand die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben: „Ich will dir keine Umstände machen.“ „Es macht keine Umstände“, gab Hirakawa schlicht zurück und nahm Hinata so jede Möglichkeit, die Einladung höflich abzulehnen. „Ach so. Ja, na dann... Danke“, antwortete er etwas unsicher und folgte Hirakawa dann ins Treppenhaus. „Ich komme auch mit.“ Hinata wandte sich überrascht zu Takeda um. Offensichtlich hatte er ihm so viel Kühnheit nicht zugetraut. „Von mir aus“, tönte es von der Spitze der kleinen Gruppe her. Nun fuhr Hinatas Kopf nicht minder überrascht zu Hirakawa herum. Takeda konnte beinahe sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Wahrscheinlich hatten sie beide gerade sein Weltbild zerstört. Bei diesem Gedanken musste Takeda unwillkürlich glucksen. Vielleicht hatte so eine heimliche Beziehung auch ihre guten Seiten. In diesem Augenblick jedenfalls fühlte es sich wie ein Abenteuer an, wie ein Geheimnis, das sie beide untrennbar miteinander verband und aus der Welt um sie her herauslöste. Ihr eigenes, kleines Universum. Als die Hirakawa, Takeda und Hinata an der ersten Etage vorbei kamen und ihren Aufstieg in den dritten Stock fortsetzten, erhaschte Takeda einen kurzen Blick auf seine geschlossene Zimmertür. Plötzlich fragte er sich, wieso er sich eigentlich so spontan dazu entschlossen hatte, mit auf Hirakawas Zimmer zu kommen. War es, weil er Hinata und Hirakawa nicht allein an einem so privaten Ort wissen wollte? Oder nicht viel eher, weil er es hinauszögern wollte, in sein eigenes Zimmer zurückkehren und Kimura begegnen zu müssen? Doch noch ehe Takeda diesen Gedanken zu Ende führen konnte, waren sie auch schon in der dritten Etage angelangt und Hirakawa schloss die Tür zu seinem Zimmer auf. Takeda war nicht mehr hier gewesen, seit Hirakawa ihn voriges Jahr unter dem Deckmantel einer offiziellen Besprechung hierher bestellt und Takeda dabei die Spieluhr aus ihrer gemeinsamen Kindheit ganz oben auf dem prallgefüllten Bücherregal entdeckt hatte. Viele Erinnerungen hafteten an diesem Raum... Takeda war sich sicher, dass Hirakawa im Laufe seiner Schulzeit nicht viele Mitschüler in sein Zimmer eingeladen hatte. Dass er Hinata dieses Privileg zugestand, zeigte, wie sehr er ihn mochte. Auch wenn er es nicht offen zeigte. „Fühlt euch wie zu Hause“, riss Hirakawas Stimme Takeda aus seinen Gedanken. Ein prüfender Blick verriet ihm, dass der einzige Stuhl im Raum noch immer an Hirakawas Schreibtisch stand und so ließ er sich einfach vor dem Bett auf dem Boden nieder. Hinata folgte seinem Beispiel, während sich Hirakawa seinen Schreibtischstuhl zu ihnen heran zog. Es wirklich war eine komische Runde. „Wann wollte Sakana denn wieder da sein?“, fragte Takeda Hinata, um das entstandene Schweigen zu brechen. Dieser zuckte nur die Achseln: „Ich weiß gar nicht, wo er hingegangen ist.“ „Das Zimmerangebot steht noch: Du ziehst bei mir ein und Sakana bekommt dafür Kimura.“ Hinata lachte und Hirakawa zog die Augenbrauen zusammen, woraufhin Takeda ihm zugewandt hinzufügte: „Das war nur Spaß.“ „Hirakawa versteht keinen Spaß“, setzte Hinata in neckischem Tonfall nach. Nun war es Takeda, der Hinata so viel Kühnheit nicht zugetraut hatte. Er warf Hirakawa einen Seitenblick zu, doch der verzog keine Miene. Die Atmosphäre war völlig entspannt – und Takeda hatte das Gefühl, dass Hirakawa das in vollen Zügen genoss. Eigentlich war es gar nicht so schwer, ihn zu verstehen – wenn man ihn erst einmal durchschaut hatte. Und plötzlich fragte sich Takeda, ob das Hinata wohl auch gelungen war. Als er in das Gesicht des neuen Oberschülers blickte, musste er die Frage mit ja beantworten, auch wenn er es sich nicht gern eingestand. Vielleicht waren er und Hirakawa doch nicht so allein in ihrer kleinen Welt, wie er gedacht hatte. „Hast du dir eigentlich schon überlegt, in welchen Club du eintreten willst?“, fragte Hinata an Takeda gewandt. „Noch nicht. Eigentlich kann ich nichts besonders gut. Das ist mein Problem“, gestand Takeda. Ehe Hinata antworten konnte, fuhr Hirakawa dazwischen: „Du willst aus dem Kendô-Club austreten?“ Erst jetzt wurde Takeda schmerzlich bewusst, dass er mit Hirakawa noch gar nicht über dieses Thema gesprochen hatte. Er würde zu Beginn des neuen Schuljahrs offiziell zum Clubvorsitzenden ernannt werden – Takeda wäre es ihm schuldig gewesen. Und dass Hinata bereits davon gewusst hatte, machte die Sache auch nicht besser. Was musste Hirakawa jetzt nur von ihm denken? Takeda suchte Hirakawas Blick, doch er konnte nichts von seinen Augen ablesen. Sie waren völlig ausdruckslos – und das traf Takeda härter als alles, was er darin hätte entdecken können. „Ich habe mich noch nicht entschieden“, sagte Takeda rasch. Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit. Hirakawa antwortete nicht. Er starrte ihn nur weiter unverwandt an und Takedas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er ließ sich alle möglichen Entschuldigungen durch den Kopf gehen, doch es gab nichts, was er hätte sagen können, um es wieder gut zu machen. So schwiegen sie eine ganze Weile, bis sich schließlich Hinata zu Wort meldete: „Ich glaube, ich habe gerade die Haustür gehört. Vielleicht ist Sakana inzwischen wieder zurück. Am besten geh ich mal nachsehen.“ Damit erhob er sich und deutete in Richtung Hirakawa eine leichte Verbeugung an: „Danke, dass ich hier auf ihn warten konnte.“ „Moment, ich komme mit“, sagte Takeda schnell und folgte Hinata aus dem Raum. Er warf noch einen letzten Blick auf Hirakawa zurück, den leblosen Ausdruck in seinen Augen, dann zog er die Tür hinter sich zu. Kapitel 7: ----------- Gemeinsam machten Takeda und Hinata sich auf den Weg hinunter in den ersten Stock. „Du hättest es ihm sagen müssen“, sagte Hinata plötzlich mit gedämpfter Stimme. „Ich weiß“, gab Takeda zerknirscht zurück, den Blick gen Boden gerichtet. Vor Hinatas Zimmertür verabschiedeten sie sich voneinander und Takeda machte sich geknickt in Richtung seines eigenen Zimmers auf. Vor der Tür hielt er einen Augenblick lang inne. Wenn er Glück hatte, würde Kimura vielleicht schon schlafen. Also drückte er die Klinke vorsichtig hinunter und öffnete die Tür, ohne dass sie auch nur das leiseste Quietschen von sich gab. Tatsächlich lag das Zimmer im Dunkeln. Zumindest in diesem Punkt war ihm das Glück heute hold. Vorsichtig zog Takeda die Tür hinter sich zu und trat auf leisen Sohlen an sein Bett heran, an dessen Kopfende er eine kleine Leselampe anknipste, die den Raum in sanftes Zwielicht tauchte. Um sich zu vergewissern, dass Kimura noch immer schlief, wandte sich Takeda dem gegenüberliegenden Bett zu – und erstarrte. Kimura hockte auf der Matratze, nur mit Boxershorts und einem Unterhemd bekleidet, das auf Takeda einen beinahe unangenehm femininen Eindruck machte, und starrte ihn an. Rasch wandte Takeda ihm den Rücken zu und begann, sich für die Nacht umzuziehen. „Du bist ja noch wach“, sagte er so beiläufig wie möglich, weil er das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen. „Ja“, wehte Kimuras Stimme leise zu ihm hinüber. Takeda streifte sich das schlichte T-Shirt, das er den Tag über getragen hatte, über den Kopf. Währenddessen versank das Zimmer erneut in Schweigen. „Hast du eigentlich keinen Schlafanzug?“, fragte Takeda irgendwann, weil er diese Stille einfach nicht mehr aushielt. „Das ist mein Schlafanzug“, gab Kimura zurück. Keine schnippische Bemerkung, eine Feststellung. Wie eigenartig. Nachdem Takeda sich seinen Pyjama übergestreift hatte, wandte er sich mit gerunzelter Stirn erneut zu Kimura um. Erst jetzt, auf den zweiten Blick, fiel ihm auf, dass sein Mitbewohner wie ein Häufchen Elend wirkte, wie er dort auf seiner sorgfältig gefalteten Bettdecke hockte, die Schultern hochgezogen, die Arme um die Brust geschlungen. „Was hast du?“ „Nichts“, gab Kimura leise zurück, den Blick immer noch starr auf Takedas Gesicht geheftet. „Du hast doch nicht nichts. Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?“, antwortete Takeda in einem Tonfall, der viel freundlicher klang, als er beabsichtigt hatte. „Also sag mir einfach, was los ist. Wir finden bestimmt eine Lösung.“ Einige Sekunden lang herrschte Stille. Dann endlich senkte Kimura den Blick. „Wieso bist du so nett zu mir?“ Was für eine bescheuerte Frage. „Du bist vielleicht ein Quälgeist, aber wenn du hier so rumhockst als hätte man dich an der Autobahnraststätte ausgesetzt, kann ich das jawohl kaum ignorieren, oder?“ „Ja. Tut mir Leid.“ Hatte der Typ sich gerade wirklich entschuldigt? Es geschahen doch noch Wunder. Einer spontanen Eingebung folgend, setzte sich Takeda zu Kimura an die Bettkante. „Also: Was ist los?“, fragte er noch einmal und war selbst überrascht, wie warm seine Stimme klang. Kimura rutschte ein Stück von ihm weg und starrte auf seine Hände hinab, als könnte er Takedas Anblick plötzlich nicht mehr ertragen. „Hinata hatte Recht: Du bist gar kein so schlechter Kerl“, fuhr Takeda fort, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Überrascht zuckte Kimuras Kopf nach oben: „Du kennst Keiji?“ Keiji... Die beiden mussten ziemlich gut befreundet sein, wenn sie sich schon beim Vornamen nannten. „Ja, ich kenne ihn aus dem Kendô-Club. Und außerdem ist sein neues Zimmer direkt nebenan“, gab Takeda im Plauderton zurück. Nun starrte Kimura ihn wieder unverwandt an: „Du machst Kendô?“ „Naja, ich war letztes Jahr im Kendô-Club, aber ich war nie so besonders gut. Deshalb will ich es dieses Jahr wohl mal mit was anderem versuchen. Ich weiß nur noch nicht womit.“ „Iaidô“, schoss es aus Kimura heraus und ein leicht verträumter Ausdruck trat in seine Augen. „Im Iaidô kämpft man nur gegen sich selbst. Es ist die Kunst des Schwertziehens. Ein sehr ästhetischer Sport. Du könntest den Umgang mit dem Schwert, den du beim Kendô erlernt hast, dabei weiter nutzen.“ Takeda war ehrlich überrascht. Er wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass Kimura sich für so etwas interessierten könnte. „Und du meinst, das wäre was für mich?“ Plötzlich veränderte sich etwas in Kimuras Blick: „So wie ich das sehe, bist du nicht besonders gut im Sport – und besonders klug bist du auch nicht. Da bleibt nicht viel Auswahl.“ Wie bitte? Takeda hatte sich wohl verhört. Als hätte er sich verbrannt, sprang er von Kimuras Bettkante auf: „Du spinnst wohl!“ Ohne weiter darüber nachzudenken, packte er sein Kissen und warf sich seine Bettdecke über die Schulter. „Was soll das denn werden?“, wollte Kimura in überheblichem Tonfall wissen. Er hatte schneller zu seiner alten Form zurückgefunden, als Takeda lieb war. „Ich schlafe lieber draußen auf dem Flur, als es noch eine Sekunde länger mit dir aushalten zu müssen!“, fuhr er ihn an, riss die Zimmertür auf und knallte sie geräuschvoll hinter sich zu. Dieser verfluchte Kimura. Sollte er seinetwegen doch elendig in seinem Selbstmitleid ertrinken. Er würde jedenfalls nicht mehr versuchen, ihm zu helfen. Kapitel 8: ----------- „Takeda... Bitte wach auf, ja?“ Diese Stimme... „Hirakawa?“, murmelte Takeda im Halbschlaf und zog sich die Decke bis zum Kinn hinauf. „Nein, Hinata. Du musst jetzt wirklich aufwachen.“ Ein heftiger Stoß in die Seite ließ Takeda hochfahren. Immer noch verschlafen fand er sich von einem guten Dutzend Oberschüler umringt. Wie eigenartig. „Seid doch nicht so grob!“, fuhr Hinata die anderen an. Takedas Rücken schmerzte wie die Hölle. Die ganze Nacht auf dem harten Fußboden zu schlafen, hatte ihn völlig verspannt. Ach ja, er hatte sich gestern Abend entschlossen, auf dem Flur zu schlafen, weil er es mit Kimura nicht mehr ausgehalten hatte. So war es gewesen. Und als er sich nun umblickte, musste er feststellen, dass er sich im Schlaf quer über den Flur gerollt hatte und nun den Weg zum Badezimmer blockierte. Das erklärte zumindest den ganzen Aufruhr. Mühsam kam Takeda auf die Füße. Es schien, als habe sich die ganze Etage hier eingefunden. Nur von Kimura war weit und breit nichts zu sehen. Wenigstens etwas. Erst jetzt bemerkte Takeda, dass die Schüler um ihn her ihn anstarrten, als erwarteten sie eine Erklärung von ihm. „Äh“, begann er, unsicher, was er eigentlich sagen wollte, als eine kühle Stimme die Luft durchschnitt. „Was ist denn hier los?“ Takeda wirbelte herum und sah Hirakawa am Treppenabsatz stehen. Die lauten Stimmen mussten ihn in seiner Funktion als Wohnheimsprecher auf den Plan gerufen haben. Und er machte einen alles andere als erfreuten Eindruck. „Takeda hat auf dem Flur gepennt“, erklärte einer der Schüler, die Takeda nur flüchtig kannte. Petze, flüsterte eine kleine, bittere Stimme in seinem Hinterkopf. Doch andererseits stand er immer noch im Schlafanzug und mit Decke und Kissen bewaffnet mitten auf dem Flur. Welchen anderen Schluss hätte das schon zugelassen? „Tut mir Leid, ich bin wohl geschlafwandelt oder so“, sagte Takeda schnell und gab sich alle Mühe, einen verlegenen Eindruck zu machen. Hinata, der noch immer nahe bei ihm stand, runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. „Schön, da das jetzt geklärt ist, können wie die Versammlung hier auflösen“, fuhr Hirakawas kalte Stimme über die Köpfe der Schüler hinweg, die sich daraufhin unwillig murmelnd allmählich zerstreuten. Als auch Hinata mit einem letzten Blick zurück auf Takeda in sein Zimmer zurückgekehrt war, nahm Hirakawa Takeda zur Seite. „Was ist da gestern zwischen dir und Kimura gelaufen?“, fragte er mit gedämpfter Stimme. Sein durchdringender Blick nagelte Takeda regelrecht fest. Wie lange hatte er ihn nicht mehr ertragen müssen, diesen Blick... „Da ist überhaupt nichts gelaufen“, gab Takeda besänftigend zurück. Doch Hirakawa schien ganz und gar nicht in der Stimmung, sich zu versöhnen. „Du glaubst jawohl nicht im Ernst, dass ich dir glaube, dass du geschlafwandelt bist“, fuhr er fort, seine Stimme immer noch genauso eisig wie noch wenige Augenblicke zuvor. „Nein. Ich habe auf dem Flur geschlafen, weil sich Kimura mal wieder wie ein Idiot aufgeführt hat“, gestand Takeda freimütig und versuchte ein schwaches Lächeln, das keine Erwiderung fand. Scheinbar konnte auch die Wahrheit diese verfahrene Situation nicht mehr retten. „Kriegt das in den Griff.“ „Ich habe nicht damit angefangen.“ „Darum geht es nicht. Du bist der Ältere, du solltest mit gutem Beispiel voran gehen.“ Takeda konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. „Das ist doch ein Witz, oder?“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das ist mein Ernst.“ „Ach, jetzt bin ich auch noch Schuld, oder was?“, schrie Takeda nun fast. Seine Hände zitterten vor unterdrückter Wut, sodass er sie zu Fäusten ballen musste, um sie ruhig zu halten. „Solltest du nicht eigentlich auf meiner Seite sein?“ „Ich bin auf gar keiner Seite. Ich will hier einfach nur keinen Ärger, das ist alles“, zischte Hirakawa ihm zu. „Am besten, du gehst jetzt in dein Zimmer und entschuldigst dich bei Kimura.“ „Ich, mich entschuldigen? Du spinnst wohl! Du solltest dich mal reden hören! Mir reicht's, ich geh' frische Luft schnappen.“ „In diesem Aufzug kannst du doch nicht vor die Tür gehen.“ „DAS geht dich überhaupt nichts an“, fauchte Takeda zurück, drückte Hirakawa sein Kissen in die Arme und stampfte mit wütenden Schritten in Richtung der Treppe davon. Kapitel 9: ----------- Draußen, an der klaren Morgenluft, kühlte sich Takedas Wut allmählich ab und machte einer drückenden Leere Platz. Eine ganze Weile stand er einfach nur da, den Blick auf den fernen Sportplatz geheftet, auf dem sich allmählich die ersten Schüler versammelten. Auch Ishida hatte dort beinahe jeden Morgen verbracht. Wenn Takeda sein Handy dabei gehabt hätte, dann hätte ihn nichts mehr davon abgehalten, Ishida auf der Stelle anzurufen. Es war ihm egal, was er von ihm denken würde – in diesem Augenblick wollte er einfach nur seine Stimme hören. Ganz gleich, wie schlecht es Takeda im vergangenen Jahr auch ergangen war - Ishida war es immer gelungen, ihn aufzumuntern - auf seine ganz eigene Weise. Er hatte es noch immer geschafft, Takeda zum Lachen zu bringen – oder ihm zumindest ein kleines Lächeln abzuringen. Ohne ihn schien die Schwermut Takeda regelrecht zu erdrücken. Plötzlich war das alte, nagende Gefühl wieder da, das ihn so häufig gequält hatte, bevor er auf die Seikô Gakuen gekommen war: Einsamkeit. Takeda seufzte schwer. Irgendwo tief in seinem Herzen hatte er gehofft, Hirakawa würde ihm hierher folgen, würde ihn zurück ins Warme bitten und sich vielleicht sogar bei ihm entschuldigen. Doch er kam nicht. Fröstelnd vor Kälte schlang Takeda die Arme um sich, den Blick weiterhin starr auf den Sportplatz geheftet, als hinter ihm die Tür zum Wohnheim ins Schloss fiel. Überrascht wandte Takeda sich um. Das war doch nicht etwa... Aber nein. Sein Blick fiel auf Hinata, der zu Takedas Überraschung in die traditionell in dunkelblau gehaltene Kendô-Uniform gehüllt war. „Hintata“, begann Takeda zögerlich. „Willst du etwa trainieren?“ „Ja. Hirakawa hat das erste Club-Treffen vorverlegt, weil sich dieses Jahr so viele Neuanfänger angemeldet haben. Deshalb habe ich dich gestern auch gefragt, ob du dich schon für einen neuen Club entschieden hast.“ Takeda konnte nicht anders, als Hinata anzustarren: „Davon hat Hirakawa mir gar nichts erzählt.“ „Naja, wahrscheinlich hat er darauf gewartet, dass du dich bei ihm meldest. Immerhin bist du das letzte halbe Jahr nicht mehr beim Training gewesen. Aber am besten fragst du ihn das selbst.“ Das war so ziemlich das letzte, was Takeda jetzt tun wollte. Am liebsten wäre er einfach wieder in den Club zurückgekommen – wenn auch nur, um sich mit Hirakawa zu versöhnen. Aber andererseits hatte er das Gefühl, es nicht ertragen zu können, ihm jetzt in die Augen sehen zu müssen. Hinata musste Takedas nachdenklichen Blick bemerkt haben, denn er fügte rasch hinzu: „Sieh mal, der Athletik-Club ist auch schon beim Training. Ich glaube, die meisten Clubs fangen heute an.“ Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wenn Takeda sich einen Club aussuchen wollte, dann war jetzt die letzte offizielle Gelegenheit dazu. Er zögerte einen Moment – dann fasste er einen Entschluss: „Ich geh mich umziehen.“ Bevor Hinata noch etwas erwidern konnte, hatte Takeda bereits auf dem Absatz Kehrt gemacht, die Tür zum Wohnheim aufgerissen und war verschwunden. Kapitel 10: ------------ Takeda blieb ein wenig hilflos am Eingang zur Trainingshalle stehen. Beide Seitenwände des Raumes waren verspiegelt, sodass er unwillkürlich seinem eigenen Blick begegnete. Obwohl sich nur eine handvoll Schüler in der Halle aufhielten, wirkte der Raum durch ihre mehrfachen Spiegelbilder seltsam voll. Noch ehe Takeda auf sich aufmerksam machen konnte, kam ein hochgewachsener Junge mit schmalrandiger Brille auf ihn zu: „Bist du vom Kendô-Club?“ Auf diese Frage war Takeda gefasst gewesen. Schließlich hatte er sich dazu entschlossen, zu seinem ersten Iaidô-Club-Treffen die alte Kendô-Uniform anzuziehen. Und wie es aussah, hatte er damit gar nicht so falsch gelegen: Die Uniformen unterschieden sich nur in der Farbe des Gi, dem traditionellen Oberteils, voneinander. „Ich war letztes Jahr im Kendô-Club. Aber das war nicht so meins“, gab Takeda also zurück. Unwillkürlich wandte er den Blick zur Seite und starrte auf die Wand, welche die Trainingshalle des Iaidô-Clubs von der des Kendô-Clubs trennte. Hinata musste gerade dort drüben sein – und Hirakawa natürlich... „Bei uns kann jeder mitmachen, der genug Durchhaltevermögen hat. Also willkommen im Iaidô-Club“, riss der Schüler mit der schmalrandigen Brille Takeda aus seinen Gedanken. „Also bist du der Club-Vorsitzende?“, wollte Takeda wissen, während er dem Jungen in die Halle hinein folgte. Dieser wandte sich mit gerunzelter Stirn zu ihm um: „Nein, ich bin Kyosuke Murakami aus dem zweiten Jahr.“ „Aki Takeda. Ich bin auch im zweiten Jahr“, stellte Takeda sich rasch ebenfalls vor, ehe er hinzusetzte: „Wer ist denn der Vorsitzende?“ Murakami nickte mit dem Kopf in Richtung Stirnseite der Halle. Dort kniete ein Schüler, der sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf zurückgebunden trug, den Blick starr in die Halle hinein gerichtet. Er wirkte deutlich älter als die Schüler aus Takedas Jahrgang – doch dieser Eindruck musste seinen harten Gesichtszügen geschuldet sein. Oder dem Ausdruck in seinen Augen. Ja, wahrscheinlich war es das. Er hatte Augen, die trotz seines jungen Alters bereits viel gesehen haben mochten. Wissende Augen. „Das ist Toshiya Shirai. Er ist jetzt im dritten Jahr“, erklärte Murakami. „Zieh deine Schuhe aus.“ „Was?“ „Die Schuhe. Die brauchst du hier nicht“, sagte Murakami nun schon etwas nachdrücklicher. Erst jetzt bemerkte Takeda, dass alle Schüler in der Halle barfuß waren. Wenn das zum Iaidô dazu gehörte, sollte es Takeda recht sein. Also streifte er sich rasch die Schuhe von den Füßen. „Als erstes solltest du lernen, dich richtig zu verbeugen. Ich mache es dir vor und du versuchst es nachzumachen, in Ordnung?“, fuhr Murakami fort, doch Takeda unterbrach ihn: „Bekomme ich kein Schwert?“ „Du bekommst eins, wenn Shirai denkt, dass du eins verdienst. Und dann erstmal eins aus Holz, zum Üben. Du kannst dich mit Kuroi zusammentun, der ist schon fast ein halbes Jahr dabei und hat immer noch kein Schwert.“ Takedas Herz setzte einen Schlag lang aus. Hatte Murakami wirklich gerade Kuroi gesagt? Hastig ließ Takeda den Blick durch die Halle schweifen – und tatsächlich. Hinter einer Reihe von Schülern, die alle dieselbe Folge von Schwerthieben einzustudieren schienen beinahe vollständig verborgen stand er: Yamato Kuroi. Was hatte Kimura doch gleich zu ihm gesagt? Iaidô wäre ein empfehlenswerter Sport, weil Takeda die Erfahrung, die er mit dem Schwert gesammelt hatte, weiternutzen könnte. Verdammt, er hätte es sich denken können. Kuroi war vom Kendô ausgeschlossen worden – das hieß aber noch lange nicht, dass er keinem anderen Club mehr beitreten konnte. Hirakawa und Ishida hatten damals, als Takeda mit Kuroi aneinander geraten war, alles daran gesetzt, die Sache im kleinen Kreis zu halten. Und Takeda war ihnen dafür sehr dankbar gewesen. Doch das bedeutete natürlich nicht nur, dass Takeda das Gerede der Mitschüler erspart blieb, sondern ebenso, dass Kuroi weiter frei seiner Wege gehen konnte – wenn auch nicht mehr als Vorsitzender des Kendô-Clubs. Verdammt. Wie war Takeda bloß auf die Idee gekommen, einen Rat von diesem verrückten Kimura anzunehmen? „Ist irgendwas?“, wollte Murakami mit Blick auf Takedas Gesicht wissen, das vermutlich gerade die Farbe von Gischt auf der nahen See angenommen hatte. „Äh, nein“, gab Takeda schnell zurück und zwang sich, den Blick von Kuroi abzuwenden. „Aber ich glaube, ich würde lieber alleine trainieren. Zeigst du mir die Verbeugung?“ Murakami zögerte noch einen Augenblick länger, dann nickte er und ließ sich langsam und geschmeidig wie eine Katze auf die Knie sinken. Er löste das Schwert von seinem Gürtel und legte es vor sich auf den Boden, ehe er die Hände langsam über seine Oberschenkel ebenfalls zu Boden gleiten ließ und den Oberkörper in eine gerade Linie zum Boden brachte. Er verharrte kurz in dieser Position, ehe er sich wieder aufrichtete, das Schwert befestigte, die Fersen aufstellte und sich zurück in den Stand schwang. Seine Bewegungen waren so weich und fließend, dass Takeda sich unmöglich vorstellen konnte, es ihm jemals auch nur annähernd gleich tun zu können. „Wenn du das hinkriegst, bekommst du dein Schwert. Beobachte die anderen genau – und dich selbst im Spiegel. Mehr kann ich dir nicht sagen“, wies Murakami Takeda an und nickte ihm zu.„Kuroi ist kein Typ, der so leicht aufgibt. Ich hoffe, du bist es auch nicht.“ Und damit wandte Murakami sich ab, reihte sich wieder in die trainierenden Schüler ein und begann, genau dieselben Schwerthiebe wie sie auszuführen. Wohl ein Kata, das Gegenstand der heutigen Trainingseinheit war. Takeda seufzte leicht. Das würde ein sehr langer Vormittag werden. Kapitel 11: ------------ Als das Iaidô-Training beendet war, tat Takeda jeder Knochen weh. Er hatte sich gefühlte fünfhundert Mal verbeugt, doch er hatte nicht den Eindruck, dass der Clubvorsitzende Shirai auch nur die geringste Notiz von ihm genommen hatte. Wie bei allen Göttern sollte er so jemals zu seinem Schwert kommen? Wenigstens hatte Kuroi die ganze Zeit über so getan, als wäre er Takeda gar nicht da. Vielleicht hatte er seine Lektion gelernt. Das konnte Takeda jedenfalls nur hoffen. „Was machst du denn hier?“ Eine vertraute, kalte Stimme riss Takeda aus seinen Gedanken. Einen Augenblick lang war er wie erstarrt, dann wandte er sich ganz langsam um. Nicht mehr als eine Armlänge von ihm entfernt stand Hirakawa. Er musste gerade auf dem Weg in die Umkleidekabine gewesen sein – zumindest trug er noch immer die dunkelblaue Kendô-Uniform. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, sein Tonfall so geschäftlich, dass sich Takedas Herz schmerzhaft zusammenzog. Nichts an Hirakawas Auftreten ließ auch nur erahnen, dass die beiden mehr waren als einfache Klassenkameraden. „Ich war beim Iaidô-Club-Treffen“, antwortete Takeda leiser, als er es beabsichtigt hatte. Die Spannung, die in der Luft lag, schien ihn beinahe zu erdrücken. Er konnte den finsteren Blick, der in Hirakawas Augen lag, einfach nicht ertragen. Am liebsten wäre er davongelaufen – oder ihm einfach um den Hals gefallen. Doch Hirakawa fuhr unbeirrt fort: „Was soll das sein? Eine Racheaktion wegen heute morgen?“ „Was?“, Takedas Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“ Hirakawa trat langsam näher an ihn heran. Mit jedem Schritt wich Takeda unwillkürlich weiter zurück, bis er die Wand des Ganges in seinem Rücken spürte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. „Dann willst du also sagen, dass es nichts mit mir zu tun hat, dass du aus dem Kendô-Club ausgetreten bist?“, sagte Hirakawa leise, sein Gesicht so nahe an Takedas, dass er seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Viel zu nah... Takeda musste den Kopf zur Seite wenden, damit sein rasendes Herz nicht aus seiner Brust sprang. „Natürlich hat es etwas mit dir zu tun“, stieß er atemlos hervor. „Ich bin schließlich nur wegen dir überhaupt erst in den Kendô-Club eingetreten.“ Die Worte flossen aus Takeda heraus, ohne dass er sie halten konnte - als hätte jemand die Schnur eines Ballons gelöst, der nun unaufhaltsam in die Ferne trieb: „Ich versuche einfach nur mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen. Aber du machst mir das wirklich schwer.“ Als hätte Takeda ihn geschlagen, wich Hirakawa abrupt von ihm zurück: „Heißt das, das war's jetzt mit uns?“ Die Zeit schien stillzustehen. Takeda war wie erstarrt, das Blut in seinen Adern gefroren, während doch die Sekunden verstrichen, fort flossen, ohne dass Takeda sie halten konnte. Und Hirakawa wandte sich ab. „Nein“, stieß Takeda hervor und packte Hirakawas Arm, um ihn aufzuhalten. Er konnte spüren wie sich heiße Tränen in seinen Augenwinkeln sammelten, doch er machte sich nicht die Mühe, sie zu verbergen. „Wieso können wir uns nicht einfach wieder vertragen?“, setzte er mit erstickter Stimme nach, den Blick hilflos auf Hirakawas Hinterkopf geheftet, als könnte er ihm eine Antwort geben. Für einen kurzen Moment glaubte Takeda, Hirakawa würde seine Hand abschütteln, doch dann sagte sagte er: „Okay.“ Es war nicht mehr als dieses kleine Wort, doch für Takeda bedeutete es eine ganze Welt. Mit ihm hatte Hirakawa seinen Stolz überwunden – und Takeda wusste, wie viel ihn das gekostet haben musste. Ohne zu zögern schlang er die Arme um die Brust seines Freundes und drückte sich an seinen Rücken. „Danke“, flüsterte er. Doch Hirakawa schob ihn von sich fort: „Nicht in der Öffentlichkeit, hast du gesagt.“ Ja, das hatte er gesagt. Doch die Worte nun aus Hirakawas Mund zu hören, seine Abweisung zu spüren, traf Takeda wie ein Pfeil ins Herz. Ob sich Hirakawa genauso gefühlt hatte, an jedem Tag unter den Kirschbäumen? „Du hast Recht, tut mir Leid. Ich habe nicht nachgedacht“, räumte Takeda schließlich ein, den Blick gen Boden gerichtet. „Du denkst meistens nicht nach, das ist dein Problem“, gab Hirakawa zurück. Und auch wenn seine Worte hart waren, bildete sich Takeda ein, einen weichen Unterton in seiner Stimme mitschwingen zu hören. Takedas Mundwinkel verzogen sich unwillkürlich zu einem leisen Lächeln. Wahrscheinlich hatte Hirakawa auch in diesem Punkt Recht: Takeda dachte einfach zu wenig nach. Doch als er den Kopf hob, um zu antworten, schlug die Tür der Umkleidekabine bereits hinter Hirakawa zu. Kapitel 12: ------------ Als am darauffolgenden Montag der Unterricht begann, fanden Takedas Beine wie von selbst den Weg zu seinem gewohnten Platz im Klassenraum. Hirakawa, der ebenfalls wieder seinen Platz in der ersten Reihe eingenommen hatte, warf ihm zwar einen fragenden Blick zu, doch Takeda würde diese Gelegenheit, sich neben ihn zu setzen, dennoch nicht nutzen. Schließlich hatten sie im vergangenen Schuljahr bereits bewiesen, dass sich keiner von ihnen richtig konzentrieren konnte, wenn sie durch weniger als eine Armlänge voneinander getrennt waren. Und ihre Abmachung, ihre Beziehung geheim zu halten, galt schließlich auch immer noch. Wenn sie ständig zusammen waren, war es nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand anfangen würde, unangenehme Fragen zu stellen. Also zog Takeda Schreibheft und Federmappe aus seiner Schultasche, stützte den Kopf in die Hände und starrte auf die leeren Seiten hinab, ohne Hirakawas Blicken Beachtung zu schenken. Im Augenwinkel konnte er sehen, wie er schließlich den Kopf abwandte und seine Aufmerksamkeit nach vorne auf die ebenfalls leere Tafel richtete. Hirakawa war nicht dumm – und Takeda würde sich hüten, ihn jemals wieder zu unterschätzen. Er wusste genau, wieso Takeda sich nicht zu ihm gesetzt hatte, auch wenn es ihm nicht gefiel. Und er würde ziemlich sicher nie auch nur ein einziges Wort darüber verlieren. Seit ihrer Aussprache vor einigen Tagen hatte sich Hirakawa Takeda gegenüber völlig normal verhalten – beinahe so, als hätten sie sich nie zerstritten. Und doch – irgendetwas war verändert. Als hingen ihre Worte noch immer wie ein drohender Schatten über ihnen. Während Takeda noch seinen Gedanken nachhing, betrat Yamamura-Sensei die Klasse. Sofort verstummten die Gespräche der Schüler, die noch eben als vielstimmiges Gemurmel den Raum erfüllt hatten. Als Takeda den Kopf hob, fiel sein Blick auf Sakana, der zu seiner Überraschung ebenfalls wieder seinen alten Platz an Takedas Seite eingenommen hatte und ihm nun begrüßend zunickte. Während Yamamura-Sensei die Schüler überschwänglich im neuen Schuljahr willkommen hieß, schweiften Takedas Gedanken erneut zu Hirakawa ab. Er wünschte, er könnte irgendetwas tun, um die seltsam angespannte Stimmung zwischen ihnen wieder zu aufzulösen. Doch was sollte das schon sein? Er wollte Hirakawa zeigen, wie viel er ihm bedeutete - dass er alles für ihn bedeutete. Aber wie? Während Yamamura-Sensei von seiner Begrüßung zur Klassensprecherwahl überging, zerbrach Takeda sich immer noch den Kopf. Die Wahl war ohnehin eine Ferse. Hirakawa würde sie auch dieses Jahr wieder gewinnen – das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nur dass Takeda dieses Mal nicht in die Verlegenheit kommen würde, als sein Stellvertreter herhalten zu müssen. Und da hatte er plötzlich eine Idee. Kapitel 13: ------------ „Herzlich willkommen.“ Als Takeda das kleine Geschäft am Rande der Stadt betrat, fühlte er sich seltsam deplatziert, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sich aufgrund der Nähe zur Seikô Gakuen häufiger Oberschüler hierher verirren mussten. Der Laden war hell und freundlich eingerichtet, sodass die Schmuckstücke, die feinsäuberlich aufgereiht in ihren Glasvitrinen ruhten, im Glanz der durch das breite Schaufenster einfallenden Nachmittagssonne schimmerten. Die Atmosphäre wäre sehr angenehm gewesen, wenn sich Takeda nicht von den Augen der am Schaufenster vorüber schlendernden Passanten permanent beobachtet gefühlte hätte. Einen kleinen Augenblick lang blieb er unschlüssig im Eingang stehen, rang sich dann aber schließlich doch dazu durch, einige Schritte weiter in das Geschäft hinein zu treten. Das Herz schlug ihm bis zum Hals – auch wenn er sich nicht erklären konnte, wo diese plötzliche Nervosität herrührte. Es war schließlich es nichts Unanständiges, einen Juwelier zu besuchen, sagte er sich und schüttelte den Gedanken ab. Mit gerunzelter Stirn trat er an eine der Vitrinen in der Mitte des Raumes heran und warf einen Blick hinein. Der Silberschmuck darin war geradlinig und fachkundig verarbeitet. Nicht zu mädchenhaft, fuhr es Takeda durch den Kopf. Doch als sein Blick auf die Preisschilder fiel, musste er wehmütig an die Ebbe denken, die eigentlich ständig in seinem Portemonnaie herrschte. Für seine Eltern war es schwierig genug, für das Schulgeld aufzukommen. Von den Uniformen ganz zu schweigen. Ein leiser Seufzer entrang sich Takedas Kehle. „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“, erkundigte sich die Verkäuferin hinter dem nahen Tresen mit professionell zuvorkommender Stimme. Erschrocken hob Takeda den Kopf. „Äh, also“, begann er hilflos, doch zu seiner Überraschung zeichnete sich ein Lächeln auf den schmalen Lippen der Verkäuferin ab. „Da hinten an der Wand haben wir eine Auswahl besonders preiswerter Angebote.“ Sie hatte sein Seufzen doch nicht etwa gehört? Peinlich berührt wandte sich Takeda der Richtung zu, in die sie gewiesen hatte. Dort an der Wand hing tatsächlich eine kleine Auswahl von Silberschmuck, der statt hinter Glas verborgen den Kunden frei zugänglich war. „Danke“, gab Takeda über die Schulter zurück und trat ein wenig näher an das Regal heran. Die Auswahl war nicht besonders groß und die einzelnen Schmuckstücke machten einen deutlich minderwertigeren Eindruck als jene, die Takeda kurz zuvor in der Glasvitrine bewundert hatte. Aber was half es schon zu jammern. Takeda nahm sich Zeit und betrachtete jedes einzelne Stück genau. Was sollte er bloß kaufen? Ringe kamen jedenfalls nicht in Frage. Bei diesem Gedanken konnte Takeda spüren, wie seine Wangen heiß wurden. Nein, das ging wirklich nicht. Dann fiel sein Blick auf eine Reihe von Panzerarmbändern aus breiten Kettengliedern. Schlicht, aber elegant. Und vor allem ohne Kitsch. Vorsichtig zog Takeda eines der Armbänder von seiner Halterung, um das Preisschild genauer unter die Lupe zu nehmen. 3.999 Yen. „Ist das echtes Silber?“, wollte er an die Verkäuferin am anderen Ende des Raumes gewandt wissen und hob das Armband an, um ihr zu zeigen, wovon er sprach. „Ja, 925er Sterling Silber“, gab diese höflich zurück und Takeda senkte den Blick erneut auf das Armband. Ob es Hirakawa gefallen würde? Er zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann nickte er entschlossen. Er würde es kaufen. Das und... Noch einmal nahm er die ausgestellten Armbänder in Augenschein, doch wie es schien hatte er kein Glück. Langsam trat er an den Verkaufstresen heran und legte das Armband auf dem hellen Holz ab. „Das soll es sein?“ Es war nur eine Floskel der Verkäuferin, die bereits nach dem Armband gegriffen hatte, um den Preis in ihre Registrierkasse zu tippen, doch Takeda schüttelte den Kopf. „Haben Sie vielleicht noch eins davon?“ Verdutzt hielt die Verkäuferin inne und nahm das Armband genauer in Augenschein. Dann lächelte sie wieder: „Da muss ich mal kurz im Lager nachsehen. Einen Moment bitte.“ Und damit war sie auch schon in einen schmalen Durchgang hinter dem Tresen verschwunden. Takeda erwischte sich dabei, wie er ungeduldig mit den Fingerknöcheln auf die Theke trommelte, als er plötzlich hinter sich die helle Türglocke läuten hörte. Mit gerunzelter Stirn wandte er sich um – und erstarrte. „Was machst du denn hier?“, entfuhr es Takeda und Kimura wie aus einem Mund. Kimura bedachte Takeda mit einem finsteren Blick und löste die Gänseblümchenspange aus seinem Haar, um sich den Pony zu richten, ehe er sie mit einem leisen Klicken wieder zuschnappen ließ. Takeda wusste nicht, was er sagen sollte. Seit ihrem letzten Streit hatten sie kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt – und das, obwohl sie sich nach wie vor ein Zimmer teilten. Während Kimura sich in den letzten Tagen alle Mühe gegeben hatte, unnatürlich früh zu Bett zu gehen, war Takeda immer erst so spät wie möglich in ihr Zimmer zurückgekehrt, sodass Kimura zumindest so tun konnte, als würde er schlafen. Und wenn am Morgen Takedas Wecker geklingelt hatte, war Kimura jedes Mal bereits fort gewesen. In diesem Augenblick kam die Verkäuferin zurück, wieder das professionelle Lächeln auf dem Gesicht: „Sie haben Glück, ein Exemplar war noch da. Die kriegen wir wohl auch nicht wieder rein. Das macht dann also 7.998 Yen.“ Takeda konnte Kimuras scharfen Blick in seinem Nacken spüren, als er sein Portemonnaie hervor zog und der Verkäuferin einige Scheine Reichte. Der erwartete spitzfindige Kommentar blieb Takeda allerdings erspart. Offensichtlich hatte es Kimura tatsächlich die Sprache verschlagen. Wahrscheinlich das erste Mal in seinem Leben, fuhr es Takeda durch den Kopf und er konnte ein genervtes Augenrollen nicht unterdrücken. Rasch bedankte er sich höflich bei der Verkäuferin und trat dann aus dem Geschäft, auf die Straße hinaus. Der Wind hatte aufgefrischt und die Luft roch feucht und schwer. Wahrscheinlich würde es bald ein Frühjahresgewitter geben. Takeda wollte sich gerade auf den Weg zurück zur Seikô Gakuen machen, als er erstaunt feststellte, dass Kimura ihm gefolgt war. „Wolltest du nichts kaufen? Oder bist du nur hier, um mir nachzuspionieren?“, fuhr er ihn an. „Könnte es sein, dass du dich da ein bisschen überbewertest?“, gab Kimura in seinem üblichen überheblichen Tonfall zurück und Takeda fröstelte. Die ersten Tropfen begannen den Gehsteig zu benetzen. „Für wen ist das?“, fuhr Kimura in einem merkwürdig scharfen Tonfall fort und wies mit dem Zeigefinger auf die Tüte, in der sich die beiden Armbänder befanden. „Wieso sollte ich ausgerechnet dir das sagen?“ Takeda verschenkte die Arme vor der Brust. „Für Ryo Hirakawa.“ Keine Frage, eine Feststellung. Einen Augenblick lang konnte Takeda nichts weiter tun, als seinen Mitbewohner anzustarren. Woher zur Hölle konnte Kimura das wissen? „Also doch“, fuhr dieser nun auf. „7.998 Yen, du spinnst wohl!“ „Wie bitte? Es geht dich jawohl mal überhaupt nichts an, wofür ich mein Geld ausgebe.“ Diese Unterhaltung war für Takeda beendet. Er wandte sich ab und machte sich auf den Heimweg, doch dieser verdammte Kimura ließ sich einfach nicht abschütteln. Hartnäckig hielt er mit ihm Schritt. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du mir nicht mal widersprichst!“ „Wieso sollte ich? Ich bin sowieso ein schlechter Lügner, hat mir mal jemand gesagt.“ Takeda war überrascht, wie scharf seine eigene Stimme klang. Die Wut, die sich in seiner Brust zusammengeballt hatte, suchte stärker als je nach einem Weg an die Oberfläche. Dieser Kimura sollte sich besser zurückhalten, wenn ihm sein Leben lieb war. Doch dieser Gedanke schien Kimura nicht zu erreichen. Stattdessen durchbohrte sein Blick Takeda nur noch schärfer. In der Ferne grollte der erste Donner wie das Brüllen eines aus dem Schlaf gerissenen Untiers. Kimuras folgende Worte waren ruhig und wohl gewählt: „Halte dich von jetzt an von Hirakawa fern.“ Takeda blieb so abrupt stehen, dass Kimura beinahe gegen ihn geprallt wäre. Der Himmel hatte sich nun endgültig verfinstert und der Regen wurde von Sekunde zu Sekunde dichter. „Was soll das heißen?“ Takedas Stimme war ebenso ruhig wie die Kimuras. Er blickte seinem Mitbewohner direkt in die Augen, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln – und dieser starrte zurück. „Ich habe euch neulich im Aquarium zusammen gesehen.“ Ein Schauder lief Takeda über den Rücken und er rührte nicht von der Kälte, die ihm durch seine immer stärker durchnässte Schuluniform umfing. Er hatte es sich also nicht eingebildet. Kimura war dort gewesen, an diesem Tag. Er hatte ihn und Hirakawa beobachtet. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Kimuras seltsame Reaktion an jenem Abend und die Feindseligkeit, die er ihm ständig entgegenbrachte. „Du bist eifersüchtig!“, rief Takeda gegen den immer lauter prasselnden Regen an. Ein Blitz erleuchtete den dunklen Himmel und Kimura zuckte zusammen. Er hatte die Arme um seine Brust geschlungen und wirkte damit noch mädchenhafter als er es ohnehin schon war. „Darum geht es doch gar nicht!“, rief er zurück, die Stimme zittrig und gebrochen. „Ach ja und worum geht es dann, bitte?“ Ein weiterer Blitz zuckte auf und nur wenige Sekunden später grollte ein zorniger Donner. Kimura zuckte noch einmal zusammen und hechtete dann unter das nächstgelegene Vordach, wo er mit dem Rücken an die Hauswand gepresst stehen blieb, die Augen weit aufgerissen, als erwartete er, dass der Blitz jeden Augenblick in einen nahen Baum einschlagen würde. Wenn Takeda nicht so wütend gewesen wäre, hätte Kimura ihm wahrscheinlich Leid getan. Doch in diesem Augenblick war kein Platz für Mitleid in seinem Herzen. Und so wandte er sich einfach ab und ließ seinen Mitbewohner allein zurück. Kapitel 14: ------------ Als Takeda völlig durchnässt am Wohnheimblock C ankam, war das Gewitter bereits weitergezogen. Ein Glück, dass die Armbänder gut verpackt gewesen waren. Außerdem waren sie ja aus Silber und damit absolut rostfrei. Als Takeda die Treppe in den ersten Stock hinauf stieg, prallte er beinahe mit Hirakawa zusammen, der am oberen Treppenabsatz stand und ihn finster anstarrte. „Was?“, fragte Takeda, obwohl er die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte. Er war von Kimuras Worten noch immer völlig zermürbt und harrte der Dinge, die da kommen mochten, als Hirakawa die Hand hob und über Takedas Schulter wies. Verwundert wandte dieser den Kopf und nur einen Sekundenbruchteil später wurde ihm bewusst, was Hirakawa meinte. Eine Spur aus frischem Schlamm zog sich durch das gesamte Treppenhaus bis hinunter zur Eingangstür. „Oh, tut mir Leid. Ich mach das gleich weg“, murmelte er geistesabwesend und begann mit klammen Fingern seine Schnürsenkel zu lösen, um nicht noch mehr Schmutz in den Flur zu tragen, als er Hirakawas Hand auf seinem Unterarm spürte. Überrascht hob Takeda den Kopf. „Schon gut, ich mach das. Geh am besten erstmal warm duschen“, sagte er mit sanfter Stimme und Takedas Herz tat einen Hüpfer. Am liebsten hätte er ihn auf der Stelle geküsst – oder noch besser: Wäre mit ihm zusammen unter die Dusche gegangen. Es war albern gewesen, sich Sorgen zu machen. Zwischen Hirakawa und ihm war alles beim Alten. Kimura hin oder her. Sicher hatte Hirakawa nicht die leiseste Ahnung von alldem. „Stimmt was nicht?“ Hirakawa hatte eine Augenbraue leicht angehoben und bedachte Takeda mit einem prüfenden Blick. War er bei dem Gedanken an die gemeinsame Dusche etwa rot geworden? „N... Nichts“, gab er rasch zurück und legte seine Hand auf die Hirakawas, die noch immer auf seinem Unterarm ruhte. „Danke, ich geh dann mal unter die Dusche.“ Und damit schlüpfte er rasch aus den nassen Schuhen und tappte auf die Badezimmertür zu. Die Hand fest um den Griff der Plastiktüte geklammert, in der die Silberarmbänder verborgen waren. Eines von ihnen würde er Hirakawa schenken, so viel stand fest – aber nicht jetzt sofort. Es musste eine passende Gelegenheit sein. Schließlich war es ein ganz besonderes Geschenk. Kapitel 15: ------------ Als Takeda aus der Dusche kam, fühlte er sich wohlig warm und trotz der frühen Stunde ein wenig schläfrig. In seinen flauschigen Bademantel gehüllt, tappte er ohne Licht zu machen über den Flur und blickte sich nach beiden Seiten um, ehe er in den dritten Stock hinauf und zu Hirakawas Zimmer hinüber schlich. Er klopfte zweimal und wartete Hirakawas gedämpftes: „Ja?“ ab, ehe er die Tür einen Spalt breit aufzog, sich hindurch zwängte und sie beinahe geräuschlos hinter sich ins Schloss gleiten ließ. Hirakawa saß an seinem Schreibtisch, ihm den Rücken zugewandt und schien im fahlen Licht seiner Schreibtischlampe in irgendeine Arbeit vertieft. Er blickte nicht einmal auf, als Takeda den Raum betrat – doch offensichtlich brauchte er das auch nicht, um zu wissen, wer ihm den Besuch bescherte. „Was gibt es denn?“ „Was machst du da?“, konterte Takeda mit einer Gegenfrage. Hirakawa antwortete einen Augenblick lang nicht und machte eine Notiz. Dann sagte er: „Das sind die Finanzen für den Kendô-Club und die Klassenkasse. Ich versuche mir gerade einen Überblick zu verschaffen, wie viel wir dieses Jahr für das Sommerfest ausgeben können.“ Erst nach einigen weiteren Sekunden, in denen er seine Aufzeichnungen studierte, wandte sich Hirakawa endlich zu Takeda um – und blinzelte. Er musste Takeda vom ersten Augenblick an anhand seiner Art zu Klopfen oder seiner Schritte erkannt haben – aber damit, dass er nur in einen Bademantel gehüllt und obendrein auch noch barfuß auf dem Teppich stand, hatte Hirakawa offensichtlich nicht gerechnet. Er blinzelte noch einmal, dann kräuselten sich seine Lippen zu einem leisen, schelmischen Lächeln: „Was soll das denn werden?“ „Nichts, ich wollte dich sehen“, gab Takeda wahrheitsgetreu zurück und warf einen Blick zu Hirakawas Bett hinüber. Obwohl es in diesem Zimmer nur einen einzigen Stuhl gab, der wie immer von Hirakawa in Beschlag genommen war, hatte es Takeda noch nie gewagt, sich auf das Bett zu setzen. Unwillkürlich frage er sich, wie es sich wohl anfühlen würde. Sicher roch es nach Hirakawa, nach dem fein-herben Duft, den er verströmte und der dezenten Seife, die er benutzte. „Aha, du wolltest mich also sehen“, unterbrach Hirakawas Stimme Takedas Gedanken. „Und du hast es nicht geschafft, dir vorher was anzuziehen?“ „Jetzt mach aber mal nen Punkt. Du hast mich schließlich auch schon im Schlafanzug gesehen – und in Mädchenkleidern. Und halbnackt in der Umkleidekabine. Da hast du dich auch nicht beschwert“, gab Takeda zurück. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Trotz mit. Hirakawas Lächeln wurde derweil immer breiter: „Ich habe mich ja nicht beschwert. Nur gewundert.“ Plötzlich fühlte sich Takeda tatsächlich ein wenig nackt. Es musste an Hirakawas Blick liegen, der ihn von den Zehen bis zur Haarspitze musterte. Oder an seinem Lächeln, das Takeda nicht recht zu deuten wusste und das doch sein Herz einen immer schnelleren Rhythmus gegen seine Rippen trommeln ließ. „Ich dachte, wir könnten noch ein bisschen Karten spielen“, versuchte Takeda Hirakawas Aufmerksamkeit von seinem Bademantel abzulenken und wich dabei seinen Blicken aus. „Du hältst mich zwar gerade von der Arbeit ab, aber ich kann wohl nicht nein sagen“, gab Hirakawa zurück, öffnete seine Schreibtischschublade und zog das abgegriffene Kartenspiel hervor, das sie in den letzten Tagen schon häufiger benutzt hatten – immer dann, wenn Takeda es hatte vermeiden wollen, in sein Zimmer zurückzukehren und damit Kimura begegnen zu müssen. Noch immer dieses merkwürdige Lächeln auf den Lippen, warf Hirakawa Takeda die Karten zu: „Du gibst. Wir spielen Blackjack. Der Verlierer muss jede Runde ein Kleidungsstück abgeben.“ Das würde mit Sicherheit nicht passieren. Nicht in diesem Leben. Manchmal hatte Hirakawa wirklich einen eigensinnigen Humor. Sie spielten so lange, bis sie durch das gekippte Fenster einen fernen Kirchturm zehn schlagen hörten. Dann stand Hirakawa vom Boden auf. „Ich muss jetzt abschließen“, sagte er und Takeda wusste, dass es eine Verabschiedung war. „Na gut. Wenn ich noch länger auf bleibe, komme ich morgen sowieso nicht aus dem Bett“, gab Takeda zurück und streckte sich, ehe er sich auf leisen Sohlen zurück in sein Zimmer schlich. Glücklicherweise begegnete er auf dem Flur niemanden und kurz darauf fiel seine Zimmertür hinter ihm ins Schloss. Leise trat er an die kleine Lampe am Kopfende seines Bettes heran, schaltete sie ein und wandte sich zu Kimuras Bett um, um sich davon zu überzeugen, dass sein Mitbewohner bereits schlief. Doch da war niemand. Wie eigenartig. Aber das war schließlich nicht sein Problem. Wahrscheinlich hing Kimura noch nebenan bei Sakana und Hinata herum. Von ihm aus hätte er auch ganz dort einziehen können. Und so streifte sich Takeda den Bademantel von den Schultern, schlüpfte in seinen Schlafanzug und krabbelte unter die warme Decke, ehe er mit einem genüsslichen Gähnen das Licht löschte. Takeda konnte noch nicht lange geschlafen haben, als ihn plötzlich ein eindringliches Klopfen an der Tür hochschrecken ließ. Er wollte sich schon auf die andere Seite drehen und weiterschlafen, als es noch einmal klopfte. Irritiert knipste Takeda seine kleine Nachttischlampe wieder an und setzte sich auf. „Was?!“, fauchte er die geschlossene Tür an, die daraufhin sofort aufschwang. Takeda war überrascht, Hinata auf der Schwelle stehen zu sehen. Er war nun wirklich der letzte, dem Takeda es zugetraut hatte, rechtschaffende Leute mitten in der Nacht aus ihren Betten zu holen. Und das konnte nur bedeuten, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. „Ist Kimura hier?“, fragte Hinata ohne Umschweife und trat zwei Schritte in den Raum hinein. Takeda folgte seinem Blick zum gegenüberliegenden Bett, das noch immer leer und unberührt dastand. „Scheinbar nicht“, gab Takeda verwirrt zurück. Er war noch nicht wach genug, um zu begreifen, was das alles bedeuten sollte. „Ist er etwa nicht nach Hause gekommen?“, fragte er verwirrt. Plötzlich tauchte ein Bild von Kimura vor seinem inneren Auge auf: Wie er mit dem Rücken flach an eine Hauswand gepresst dagestanden und mit angstverzerrtem Gesicht zum Himmel empor gestarrte. Takedas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Das war doch wohl ein schlechter Scherz. Er konnte sich kaum vorstellen, wie Kimura noch Stunden nach dem Gewitter angsterfüllt in irgendeiner Seitengasse kauerte. Das musste die Rache dafür sein, dass Takeda sich nicht bereit erklärt hatte, sich von Hirakawa abzuwenden. Kimura versuchte ihm irgendetwas anzuhängen. Und doch… Wieder erschien Kimuras Gesicht vor Takedas innerem Auge, die vor Entsetzen geweiteten Augen. Dann Kimura, wie er im Dunkeln auf dem Bett gekauert und ihn angestarrt hatte – und Takedas Herz setzte einen Schlag lang aus. „Du solltest eigentlich wissen, ob er nach Hause gekommen ist oder nicht, er ist schließlich dein Mitbewohner“, brach es aus Hinata heraus und Takeda zuckte zusammen. Er hatte ihn noch nie die Stimme erheben gehört, sonst war er immer so freundlich und einfühlsam. Er musste sich wirklich große Sorgen um Kimura machen. Plötzlich kam Takeda wieder in den Sinn, dass Kimura Hinata einmal ihm gegenüber beim Vornamen genannt hatte. Sie mussten sich schon sehr lange kennen. „Ich gehe jetzt zu Hirakawa“, fuhr Hinata fort und Takeda erstarrte. „Nein!“ Hirakawa würde ihm die Schuld dafür geben, dass Kimura nicht vor der Sperrstunde ins Wohnheim zurückgekehrt war. Und das schlimmste daran war, dass er damit vermutlich auch noch Recht hatte. Sie hatten sich gerade erst wieder versöhnt – Takeda wollte die Harmonie, die zwischen ihnen herrschte, um nichts in der Welt wieder zerstören. „Was meinst du damit: Nein? Hirakawa ist schließlich unser Wohnheimsprecher, wir müssen es ihm sagen!“, entfuhr es Hinata. Ein wenig zu laut, ein wenig zu schrill. Doch anstatt zu antworten, war Takeda bereits aus dem Bett gesprungen, hatte seinen Wandschrank aufgerissen und begann, sich hastig anzuziehen. „Was machst du denn?“ „Wir gehen ihn suchen.“ „Und wie soll das gehen? Um zehn war Sperrstunde und Hirakawa ist der einzige, der einen Schlüssel hat.“ „Wir gehen durch ein Fenster im Erdgeschoss.“ Als Takeda sich ein T-Shirt über den Kopf gestreift hatte und sich abmarschbereit zu Hinata umwandte, bemerkte er, dass dieser ihn unverhohlen anstarrte. „Kannst du mir einen vernünftigen Grund nennen, wieso wir Hirakawa nicht einfach Bescheid sagen können?“ Da wären Takeda gleich mehrere gute Gründe eingefallen, doch er sagte nichts und drängte sich an Hinata vorbei auf den Flur hinaus. „Wenn du nicht mitkommen willst, suche ich ihn eben alleine“, sagte er schlicht, während er die Treppe ins Erdgeschoss hinab stieg. Hinata antwortete nicht, doch Takeda konnte spüren, dass er dicht hinter ihm war. Kapitel 16: ------------ „Wo willst du eigentlich hin?“ Der Campus der Seikô Gakuen lag in völliger Stille da. Jetzt, nach Sperrstunde des Wohnheims, war außer Takeda und Hinata keine Menschenseele mehr unterwegs. Nur irgendwo in der Ferne meinte Takeda eine Nachtigall rufen zu hören. „Ich habe Kimura heute Nachmittag in der Stadt getroffen, als es angefangen hat zu gewittern. Ich dachte, wir fangen am besten da an zu suchen.“ Hinata fluchte. Als Takeda ihm den Kopf zuwandte, konnte er im Zwielicht der Straßenlaternen tiefe Sorgenfalten erkennen, die sich auf Hinatas Stirn abzeichneten. „Du hättest ihn nicht alleine lassen dürfen“, sagte er nach einer kurzen Pause. Seine Stimme klang nicht wütend, wie noch vorhin im Wohnheim. Nun war sie schwer vor Sorge. „Dann hat er also wirklich Angst vor Gewitter“, murmelte Takeda mehr zu sich selbst, denn an Hinata gewandt. „Die Kimuras sind eine sehr alte Familie. Sie haben ein großes Anwesen östlich von Osaka. Als Kimura noch klein war, ist dort einmal ein Blitz in einen Pflaumenbaum eingeschlagen, der dann auf das Haus gestürzt ist. Das ganze Anwesen ist in der Nacht vollständig abgebrannt. Kimuras Vater war gerade geschäftlich in Tokyo und die Bediensteten konnten Kimura und seine Schwester in Sicherheit bringen, aber seine Mutter ist in den Flammen umgekommen.“ Takeda schluckte, um den Knoten, der ihm die Kehle verschnürte, zu lösen. Doch es half nichts. „Das habe ich nicht gewusst“, sagte er mit heiserer Stimme und senkte den Blick. „Ich weiß“, gab Hinata sanft zurück und lächelte Takeda aufmunternd an. „Kimura gibt sich immer so kühl und selbstbewusst. Aber in Wirklichkeit ist er sehr schüchtern und lässt niemanden an sich ran. Er hat einfach nie gelernt, wie man anderen seine Gefühle zeigt.“ Takeda glaubte, dass eine ungefähre Ahnung davon hatte, was Hinata meinte. Am Ende der Straße, in die sie gerade einbogen, leuchtete die Neonreklame des Juweliers, vor dessen Schaufenstern Takeda Kimura zum letzten Mal gesehen hatte. „Hier ist es“, sagte er an Hinata gewandt, der sich daraufhin sofort suchend umblickte. „Haruki!“, rief er durch die Dunkelheit und Takeda zuckte zusammen. Er war sich nicht sicher, ob es die Lautstärke von Hinatas Stimme oder Kimuras Vorname war, der ihn erschreckt hatte. Besorgt ließ er den Blick durch die Straße wandern. In den Fenstern der Häuser brannte kein Licht. Wenn sie die Anwohner aufweckten, würde es eine Menge Ärger geben – und Ärger war das letzte, was Takeda im Moment gebrauchen konnte. „Haruki!“, rief Hinata erneut und Takeda folgte ihm in eine Seitengasse. Einen Augenblick lang zögerte er noch, dann fiel er in Hinatas Rufen ein: „Kimura, wo steckst du?“ Ein Scheppern am anderen Ende der Gasse ließ die beiden zusammenzucken. Hier, fernab der Straßenlaternen, war es so finster, dass Takeda kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. „Bist du das, Haruki?“, fragte Hinata vorsichtig. Einige Herzschläge lang war alles still. Dann wieder ein Scheppern und eine Bewegung am Ende der Gasse. Takeda wich erschrocken einige Schritte zurück, als eine schwarze Katze an ihm vorbei und auf die Straße hinaus huschte. Hinata konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen und Takeda warf ihm einen bösen Seitenblick zu, ehe er in sein Lachen einfiel. Auch wenn es Takedas erster Gedanke gewesen war – Kimura hatte sich wohl kaum hinter den Mülltonnen einer Seitengasse verkrochen. Sie lachten noch einen Augenblick länger, bis Hinata Takeda plötzlich am Arm packte: „Ich weiß, wo er ist!“ Irritiert folgte Takeda Hinata zum Ende der Gasse und ein Stück die Hauptstraße entlang. Er hatte Mühe, mit seinem Mitschüler Schritt zu halten. Doch es dauerte nicht lange, bis sie schließlich einen kleinen, von Sträuchern gerahmten Spielplatz erreichten. Ein leises Quietschen durchschnitt die Nacht und Hinata stieß erleichtert die Luft aus. „Haruki!“, rief er noch einmal, nun ein wenig gedämpft. Das leise Quietschen verstummte. Langsam trat Hinata zwischen den Sträuchern hindurch, Takeda dicht auf seinen Fersen. Dort, nur vom Mondlicht erhellt, saß ein Junge auf einer alten Schaukel und starrte den Neuankömmlingen entgegen. Kimura. Ganz langsam stand er von der Schaukel auf und tat einige unsichere Schritte auf sie zu, als könne er seinen Augen nicht trauen. „Keiji“, sagte er leise. Dann rannte er auf Hinata zu und schlang die Arme um ihn. „Wir haben dich überall Gesucht, du Idiot“, murmelte Hinata ihm zu, seine Stimme zu sanft für seine Worte. Takeda kam die ganze Situation merkwürdig unwirklich vor. Beinahe so wie die Szene in einem Film. Doch als Kimura sich von Hinata löste und zu Takeda hinüber starrte, schüttelte er den Gedanken ab. Er wappnete sich bereits gegen die nächste Spitzfindigkeit, die auf ihn lauerte, doch Kimura sagte nur: „Tut mir Leid.“ Mehr nicht. Und dann machten sie sich Seite an Seite auf den Weg zum Wohnheim zurück. Zu diesem Zeitpunkt konnte keiner von ihnen ahnen, dass ihnen noch eine sehr lange Nacht bevorstand. Kapitel 17: ------------ Als Takeda, Hinata und Kimura das Wohnheim erreichten, erwartete sie eine böse Überraschung: Offenbar hatte jemand das Fenster, durch das Takeda und Hinata nach draußen geklettert waren, geschlossen. Sie waren ausgesperrt. Kimura blickte irritiert zwischen Hinata und Takeda hin und her, als Hinata fluchte: „Was ist denn?“ „Irgendjemand hat wohl das Fenster zugemacht“, gab Takeda zurück. „Was für ein Fenster?“, setzte Kimura nach und schenkte Hinata einen zweifelnden Blick. „Wir sind vorhin aus dem Fenster geklettert, als wir nach dir gesucht haben“, erklärte dieser und seufzte. „Und wieso seid ihr nicht einfach durch die Tür gegangen?“, wollte Kimura daraufhin in abfälligem Tonfall wissen. Er hatte erstaunlich schnell zu seiner alten Form zurückgefunden – für Takedas Geschmack ein bisschen zu schnell. „Weil sie abgeschlossen war, du Genie“, fuhr Takeda ihn an. „Ich glaub das einfach nicht“, murmelte Kimura verdrießlich und trat frustriert gegen einen kleinen Stein, der auf dem Pflaster gelegen haben musste. „Jetzt halt mal die Luft an. Wenn wir dich nicht gefunden hätten, hättest du die Nacht doch sowieso draußen verbracht, oder etwa nicht?“ „Hört auf zu streiten, das nutzt jetzt doch auch nichts“, ging Hinata schließlich dazwischen und seufzte leicht. „Am besten rufen wir einfach Hirakawa an, damit er uns rein lässt.“ Takeda fluchte innerlich. Wenn sie Hirakawa jetzt um Hilfe baten, war die ganze Mühe umsonst gewesen. Es musste doch noch einen anderen Weg geben. Ohne Hinata zu antworten, begann Takeda, die Wand des Wohnheimblocks abzugehen. Vielleicht gab es irgendwo noch ein anderes offenes Fenster. Unglücklicherweise waren im Erdgeschoss ausschließlich Gemeinschaftsräume untergebracht, sodass die Möglichkeit, einfach an ein fremdes Zimmerfenster zu klopfen, leider ausfiel. Es dauerte einige Zeit, bis Takeda das Gebäude komplett umrundet hatte und zu Hinata und Kimura zurückkehrte. Frustriert schüttelte er den Kopf. Es war einfach noch zu frühlingshaft kühl, als dass jemand die ganze Nacht über ein Fenster offenstehen gelassen hätte. „Wir müssen Hirakawa anrufen“, wiederholte Hinata nun etwas eindringlicher und Takeda ließ den Kopf hängen. Was hatten sie schon für eine Wahl. Seinem Schicksal ergeben, wollte er sein Handy aus der Hosentasche ziehen. Doch da war nichts. „Scheiße“, entfuhr es ihm und er begann, auch die anderen Taschen zu überprüfen. „Du hast mich vorhin so überrumpelt, dass ich vergessen habe, mein Handy einzustecken.“ Hinatas Augen weiteten sich: „Ich habe meins auch nicht dabei. Haruki?“ Kimura schüttelte den Kopf. „Wow, wir sind sowas von am Arsch“, entfuhr es Hinata, ehe er sich mit dem Rücken zur Hauswand niederließ. Das war nun schon das dritte Mal, dass Takeda ihn heute heftig fluchen hörte und allmählich begann er sich zu fragen, ob das wirklich noch der Hinata war, den er damals im Kendô-Club kennengelernt hatte. Schon als sie beide zusammen auf Hirakawas Zimmer gesessen und gescherzt hatten, war Takeda diese raue Seite an ihm aufgefallen. Doch die meiste Zeit über hielt er sie verborgen. „Jeder normale Mensch, dessen Intelligenzquotient sich oberhalb der Grasnarbe befindet, wäre einfach durch die verdammte Tür gegangen“, entfuhr es Kimura mit Blick auf Hinata und Takeda spürte unwillig, wie sehr es ihn erleichterte, dass er dieses Mal nicht das alleinige das Ziel von Kimuras Gemeinheiten war. Auch wenn er es gewesen war, der den Plan mit dem Fenster ausgeheckt hatte. Kimura konnte das schließlich nicht wissen und Hinata machte nicht den Eindruck, als wollte er das Missverständnis aufklären. Mit einem Seufzen ließ sich Kimura neben Hinata an der Wand nieder und lehnte den Kopf an seine Schulter. „Spätestens um halb sechs gehen die ersten Sportler zum Training. Bis dahin sind es noch knapp vier Stunden“, sagte er und schloss die Augen. Takeda begegnete Hinatas Blick und zögerte. Doch dann kam auch er zu ihnen hinüber und setzte sich an Hinatas andere Seite. Noch vier Stunden, also. Und ehe Takeda sich versah, war er in den Schlaf hinüber geglitten. Kapitel 18: ------------ Takeda träumte von Hirakawa. Er kam mit zielstrebigen Schritten auf ihn zu, blieb direkt vor ihm stehen und blickte auf ihn hinab. Takeda wollte die Arme nach ihm ausstrecken, doch irgendetwas stimmte nicht. Es war Hirakawas Gesichtsausdruck, finster und verzerrt. „Was macht ihr hier draußen?“ Hirakawas kalte Stimme, so scharf wie zerbrochenes Glas. Takeda blinzelte. Das war kein Traum. Neben ihm zuckte Hinatas Kopf nach oben und Kimura gähnte. Es hatte ja so kommen müssen. So oder so ähnlich. „Wir machen Frühsport“, sagte Takeda so schnell, dass er sich dabei beinahe auf die Zunge gebissen hätte. Erst als die Worte seinen Mund bereits verlassen hatten, wurde ihm bewusst, wie dumm diese Ausrede klang. Es war einfach das erste gewesen, was ihm in den Sinn gekommen war – vermutlich weil Kimura gestern Abend davon gesprochen hatte. „Frühsport“, echote Hirakawa mit derselben kalten Stimme wie zuvor. Es war mehr als offensichtlich, dass er Takeda nicht glaubte. Kimura öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Hinata fuhr energisch dazwischen: „Genau, Frühsport. Wir sind gerade zurückgekommen und wollten uns noch ein bisschen ausruhen, bevor der Unterricht anfängt. Oder, Haruki?“ Kimura hatte das Gesicht verzogen, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, nickte zu Takedas Überraschung aber eifrig. Es war seltsam. Von einer Sekunde auf die andere waren sie drei zu Komplizen geworden. Beinahe so wie die drei Musketiere: Einer für alle und alle für einen. Doch diese schöne Phantasie hatte einen kleinen Haken: Hirakawa war nicht mit von der Partie. Und das schien ihm durchaus bewusst zu sein. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er bedachte Takeda mit einem eisigen Blick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, ehe er sagte: „Ich hasse es, wenn du mich anlügst.“ Takedas Herz setzte einen Schlag lang aus. Er war so besessen davon gewesen, den Vorfall mit Kimura vor Hirakawa geheim zu halten, dass er überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte, wie sehr er Hirakawa damit ausschloss. Ehe Takeda noch etwas erwidern konnte, wandte Hirakawa sich ab. Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang Takeda auf und rannte ihm nach, bis er ihn kurz vor der Eingangstür einholte und ihm den Weg versperrte. „Es tut mir Leid“, begann Takeda, während er nach Atem rang. Er wollte Hirakawa in die Augen sehen, doch er konnte es nicht. Also hielt er den Kopf gesenkt, als er fortfuhr: „Kimura ist gestern Abend nicht ins Wohnheim zurückgekommen und Hinata und ich haben ihn gesucht. Und als wir dann zurück waren, sind wir nicht mehr reingekommen.“ „Wieso habt ihr mir nicht Bescheid gesagt?“ Hirakawas glatte, kalte Stimme hatte einen Sprung. Die Enttäuschung, die daraus hervor sickerte, schien Takeda einzuhüllen und mit sich in einen schwarzen, bodenlosen Abgrund zu ziehen. „Ich wusste, dass du sauer sein würdest. Weil ich mich schon wieder mit Kimura gestritten habe“, gab Takeda zurück, seine Stimme nicht viel mehr als ein Flüstern. „Das heißt also, du konntest mir nichts sagen, weil du mir nicht vertraust.“ Jedes Wort war ein Nadelstich in Takedas Herz. Er spürte, wie die sich die Winkel seiner Augen mit Tränen füllten und senkte den Kopf noch tiefer, um es zu verbergen. Als er sprach, klang seine Stimme erstickt: „Ich bin ein Idiot.“ Einige Herzschläge lang herrschte Stille, dann sagte Hirakawa: „Ich weiß. Vertrau mir das nächste Mal einfach, in Ordnung?“ Seine Hand berührte Takedas Haar so flüchtig, dass er es kaum spürte. Dann ging er um ihn herum und verschwand im Wohnheimblock. Takeda verharrte noch einen Augenblick länger, bis er sich sicher war, das seine Tränen versiegt waren, ehe er den Kopf hob, und zu der Stelle blickte, an der er Hinata und Kimura zurückgelassen hatte. Hatten sie sein Gespräch mit Hirakawa verfolgt? Aber nein. Zu Takedas Überraschung waren die beiden wie vom Erdboden verschwunden. Dieser Hinata... Manchmal hatte Takeda das Gefühl, dass er mehr wusste, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Kapitel 19: ------------ Seit diesem Tag hatte Takeda aufgehört, Kimura aus dem Weg zu gehen. Sie kamen sogar recht gut miteinander aus, nun, da Takeda wusste, wie er Kimura zu nehmen hatte. Wahrscheinlich hätten sie Freunde sein können - wenn Takeda nicht immer wieder dieser eine Satz durch den Kopf geschwirrt wäre: Halte dich von jetzt an von Hirakawa fern. Kimura hatte an diesem Tag den Eindruck gemacht, dass es ihm damit bitterernst war. Doch als wären sie zu einer stillen Übereinkunft gekommen, hatten weder Takeda noch Kimura je wieder davon gesprochen. Trotzdem konnte Takeda das klamme Gefühl, das ihn ergriff, wenn er daran dachte, einfach nicht abschütteln. Es schien ein falscher, ein trügerischer Frieden zu sein, der in Zimmer 102 Einzug gehalten hatte. „Wenn du so unkonzentriert bist, wirst du dir nie ein Schwert verdienen.“ Die Stimme Kyosuke Murakamis riss Takeda aus seinen Gedanken. Er hatte beinahe vergessen, dass er immer noch in der Trainingshalle des Iaidô-Clubs war. Wie viele Wochen war es nun her, dass er beigetreten war? Takeda konnte es nicht genau sagen. Aber Murakamis tadelndem Blick nach zu urteilen rückte seine Chance auf ein eigenes Schwert gerade in weite Ferne. „Tut mir Leid“, gab Takeda zurück und schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Er warf einen Seitenblick auf Yamato Kuroi, der auf der anderen Seite der Halle noch immer seine Verbeugung übte. Takeda konnte selbst aus dieser Distanz auf den ersten Blick erkennen, dass er es nicht richtig machte. Die Bewegungen mochten stimmen, aber sie wirkten steril und abgehackt. Überhaupt nicht so, wie Murakami es ihm an seinem ersten Trainingstag gezeigt hatte oder wie die anderen Schüler es jedes Mal zu Beginn ihrer Trainingseinheit demonstrierten. „Wieso sagt ihm niemand, dass er es falsch macht?“, fragte Takeda geradeheraus, ehe er sich dessen überhaupt bewusst war. Murakami neigte den Kopf zur Seite und schob sich die schmalrandige Brille ein wenig weiter auf die Nase. Takeda war sich nicht sicher, doch er hatte das Gefühl, dass er leise lächelte: „Wieso sagst du es ihm nicht?“ Takeda zögerte. Er war sehr froh gewesen, Kuroi aus dem Weg gehen zu können, obwohl sie seit einigen Wochen denselben Club besuchten. Und doch... Wenn er daran dachte, dass Kuroi die Verbeugung nun schon über ein halbes übte, tat er Takeda Leid. Und vielleicht bewunderte er ihn auch ein bisschen. Dafür, dass er scheinbar nie auch nur eine Sekunde lang daran gedacht hatte, aufzugeben. Hirakawa hatte Recht: Takeda war ein Idiot und er dachte nie, nie nach. Und so fand er sich plötzlich Kuroi gegenüber ohne dass er hätte sagen können, wie er hier her gelangt war, obwohl seine Beine die ganze Halle für ihn durchquert haben mussten. „Du siehst aus, als würdest du es hassen“, hörte er sich sagen. Kuroi hob den Kopf und starrte ihn an, als käme Takeda von einem fernen Stern. Und vielleicht ist da auch was dran, dachte Takeda bei sich, während er in das Gesicht des Jungen starrte, der doch eigentlich sein Erzfeind hätte sein sollen. Doch das hinterlistige Glitzern in Kurois Augen war verschwunden, kein schiefes Grinsen verzerrte seine Züge. Er sah Takeda einfach nur an. Wie einen Fremden. „Was ich meine ist nur“, hob Takeda an, „du wünschst dir die ganze Zeit, irgendetwas anderes zu tun. Und das sieht man.“ Kuroi blinzelte. Dann richtete er sich zu voller Größe auf und nickte: „Du hast Recht.“ Er wandte den Kopf und starrte auf die gegenüberliegende Wand der Trainingshalle. Dieselbe Wand, auf die Takeda an seinem ersten Tag im Iaidô-Club gestarrt hatte. Die Wand, die diesen Raum von der Trainingshalle des Kendô-Clubs trennte. Sollte das etwa heißen, dass Kuroi den Kendô-Club noch immer nicht aufgegeben hatte? Was, wenn er bereits einen neuen Plan schmiedete, um Hirakawa zu schaden, wenn er auf Rache sinnte? Kuroi musste Takedas besorgten Blick bemerkt haben, zumindest klopfte er ihm mit seiner Pranke von Hand auf die Schulter. Takeda zuckte unter der Berührung unwillkürlich zusammen und Kuroi lachte leicht. „Keine Sorge, Junge. Das ist Schnee von gestern. Tut mir übrigens Leid, diese Sache. Es ist mir durchgegangen.“ Damit wandte er sich ab und widmete sich erneut seinen Übungen. Und während Takeda seine Bewegungen verfolgte, hatte er tatsächlich das Gefühl, dass sie ein wenig geschmeidiger geworden waren. Im Augenwinkel nahm Takeda wahr, wie der Clubvorsitzende Shirai Murakami zu sich heran winkte und leise zu ihm sprach. Takeda konnte aus dieser Entfernung kein einziges Wort verstehen, doch Murakami nickte mit ernster Miene. Als er sich daraufhin auf den Weg zurück zu den trainierenden Schülern machte, wandte Takeda rasch den Kopf ab. Doch zu seiner Überraschung steuerte Murakami direkt auf ihn zu. „Komm mit“, sagte er nur und Takeda folgte ihm mit weichen Knien aus der Halle hinaus. Hatte er etwa gehört, worüber er mit Kuroi gesprochen hatte? Wusste er, was im Kendô-Club vorgefallen war? Schließlich war es doch mehr als auffällig, wenn der Vorsitzende eines Clubs plötzlich mitten im Schuljahr zurücktrat und sich einem völlig anderen Sport zuwandte. Takedas Herz trommelte einen nervösen Rhythmus gegen seine Rippen, als Murakami plötzlich vor einer schmalen Tür stehen blieb. Takeda kannte diesen Raum. Kuroi hatte ihm darin an seinem ersten Trainingstag im Kendô-Club eine passende Uniform zusammengestellt. Als die Erkenntnis Takeda übermannte, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen. Nein, das war völlig unmöglich. Oder doch nicht? Ohne ein Wort zu verlieren, verschwand Murakami in der kleinen Kammer und kehrte nur wenige Augenblicke später zurück. „Shirai hat mich angewiesen, dir das zu geben.“ Damit überreichte er Takeda mit einer feierlichen Geste ein Schwert, das vollständig aus dunklem Holz gefertigt war. „Ab sofort kannst du zusammen mit den anderen an den Übungen der Kata teilnehmen. Wenn du dich gut machst, wird dir Shirai später ein richtiges Schwert besorgen. Aber für den Anfang ist das Trainieren damit zu gefährlich, auch wenn die Schwerter natürlich nicht geschliffen sind.“ Murakami wies auf das Schwert, das an seinem Hakama befestigt war. Doch Takeda war es völlig gleich, dass sein Schwert nur aus Holz war. Es in den Händen zu halten, ließ seine Brust vor Stolz anschwellen. Er hatte sich dieses Schwert hart erarbeitet – und er würde es in Ehren halten. Für immer. Murakami musterte Takeda noch einen Augenblick länger, ehe er sich die Brille zurechtrückte und nickte, was Takeda das merkwürdige Gefühl gab, dass er seine Gedanken gelesen hatte. „An unserer Demonstration für das Sommerfest wirst du noch nicht teilnehmen können. Dafür ist die Zeit zu knapp. Aber Shirai setzt große Hoffnungen in dich“, fuhr Murakami fort und Takeda blinzelte. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass Shirai ihn während des Trainings auch nur eine Sekunde lang beobachtet hatte. Was für ein rätselhafter Mensch. „Ah, und besorg dir bei Gelegenheit ein neues Oberteil. Du willst doch nicht ewig wie ein Kendô-Club-Mitglied aussehen, oder?“ Und damit wandte Murakami sich ab und führte Takeda in die Trainingshalle zurück. Er hatte Recht. Es war an der Zeit, die alten Kleider abzustreifen, Dunkelblau gegen Grau einzutauschen. Doch das würde noch eine Weile warten müssen. Zumindest so lange, bis Takeda wieder flüssig war. Seine Gedanken schweiften zu den beiden Silberarmbändern, die noch immer in der Schublade seines Nachttischs ruhten. Und in diesem Augenblick entschloss er sich, sie noch bis zum Sommerfest dort zu verwahren. Das Feuerwerk, das traditionell den Höhepunkt des Sommerfests bildete, war die perfekte Gelegenheit für ein so besonderes Geschenk. Kapitel 20: ------------ In den darauffolgenden Tagen hatte Takeda nur wenig Gelegenheit, Hirakawa zu sehen. Nach dem Unterricht verschwand er zumeist ohne Umschweife in die Bibliothek und am Abend ging er früh zu Bett. Als Vorsitzender des Kendô-Clubs und Klassensprecher hatte er alle Hände voll mit den Vorbereitungen für das Sommerfest zu tun, das immer näher rückte. Erst am Samstag gelang es Takeda, ihn um die Mittagszeit vor der Bibliothek abzufangen. „Hey, Hirakawa!“, rief er ihm zu, als er seinen Freund auf den Hof hinaus treten sah. Takeda hatte bereits eine ganze Zeit auf einer der nahen Bänke gewartet. Aber irgendwann mussten schließlich auch Workaholics wie Hirakawa etwas essen. Und diesen Zeitpunkt hatte Takeda mehr oder weniger gut abgepasst. „Hey“, gab Hirakawa zurück, ohne Takeda mehr als einen Seitenblick zu schenken. Er schien in Gedanken irgendwo weit fort von hier. Doch Takeda ließ sich nicht beirren: „Wollen wir zusammen essen? Ich hab Bentos mitgebracht.“ Hirakawas Blick glitt zu der Plastiktüte in Takedas Hand hinab. „Supermarkt-Bento? Du hättest es wenigstens selbst machen können“, gab er abweisend zurück, doch Takeda konnte sehen, dass seine Augen funkelten. „Bin ja nicht dein Hausmädchen.“ „Schade“, sagte Hirakawa mit ernster Stimme und schnaubte dann amüsiert, ehe er Takeda zu ihrem Lieblingsplatz unter den Kirschbäumen führte. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag und so waren sie nicht die einzigen, die ihr Mittagessen im Freien genossen. Nur wenige Meter von ihnen entfernt saßen drei Mittelschüler beieinander und schienen in ein Gespräch vertieft. Takeda zog die Bentos aus seiner Tüte und reichte eine der Plastikschachteln an Hirakawa weiter. Während er den Deckel aufklappte und eines der Reisbällchen probierte, starrte Hirakawa nur darauf. „Das sieht lecker aus“, stellte er fest und es klang überrascht. „Hier in der Nähe ist ein kleiner Laden, die machen die Bentos selber.“ „Man spricht nicht mit vollem Mund.“ Takeda verdrehte genervt die Augen, doch als er nun zu Hirakawa aufblickte, war sein Groll genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Er machte wirklich einen glücklichen und entspannten Eindruck – zum ersten Mal, seit die Vorbereitungen für das Sommerfest angefangen hatten. Und das erfüllte auch Takedas Herz mit Glück. Eine ganze Zeit lang saßen sie einfach nur schweigend beieinander und aßen ihre Bentos. Ein erfrischender Windhauch streifte über sie hinweg und brachte die üppig grünen Blätter der Bäume über ihren Köpfen zum Rascheln. „Das stimmt. Ich meine, guck dir die beiden doch an.“ Takedas Kopf ruckte nach oben. Der Wind hatte einen Gesprächsfetzen der Mittelschüler, die unweit entfernt saßen, zu Takeda und Hirkawa hinüber getragen. Und einer von ihnen starrte sie ganz offensichtlich an, bevor er Takedas Blick bemerkte, zusammenzuckte und den Kopf in einer hektischen Bewegung herumriss, um in die entgegengesetzte Richtung zu starren. „Reden die etwa über uns?“, entfuhr es Takeda wütend. Hirakawa schien noch immer mehr an seinem Bento interessiert. „Vergiss es.“ „Wie, vergiss es? Das heißt also, sie reden wirklich über uns. Und das nicht zum ersten Mal, habe ich Recht?“ Nun hob Hirakawa den Kopf und blickte Takeda direkt in die Augen: „Es macht mir nichts aus.“ „Das sollte es aber!“, fuhr Takeda noch einmal auf. Dann senkte er die Stimme ein wenig: „Woher wissen die von uns? Ich meine: Das sind Mittelschüler, denen laufen wir doch so gut wie nie über den Weg. Meinst du, einer von ihnen hat irgendwas gesehen? Oder...“ Takeda unterbrach sich. Er konnte spüren, wie nachdenkliche Fältchen seine Stirn kräuselten. „Vielleicht hat Kuroi Gerüchte gestreut, um sich an uns zu rächen.“ „Wie kommst du denn darauf?“, gab Hirakawa ebenso leise wie Takeda zurück. „Kuroi ist jetzt im Iaidô-Club. Und vor ein paar Tagen haben wir das erste Mal wieder miteinander gesprochen. Ich habe mein Schwert bekommen und Kuroi nicht, obwohl er schon länger dabei ist als ich. Das muss ihn wahnsinnig wütend gemacht haben.“ Hirakawa schüttelte leicht den Kopf: „Kuroi mag zwar skrupellos sein, aber er weiß, wann er verloren hat. Er ist nicht dumm.“ „Wie kannst du auch noch Partei für ihn ergreifen?“ Takeda verstand die Welt nicht mehr. „Ich ergreife keine Partei, ich denke logisch. Das solltest du auch mal versuchen.“ „Sehr witzig.“ Takeda warf noch einen Blick zu den Mittelschülern hinüber, die ihre Unterhaltung mittlerweile im Flüsterton fortsetzten. Es machte ihn fuchsteufelswild, dass sie hinter Hirakawas Rücken über ihn herzogen. Am liebsten wäre er zu ihnen hinüber gegangen und hätte ihnen mal ordentlich die Meinung gegeigt. Aber er war sich sicher, dass Hirakawa darüber nicht gerade glücklich gewesen wäre. Und so blieb ihm nichts, als böse Blicke wie Pfeilspitzen zu diesen Klatschmäulern hinüber zu schleudern. Wie hatte es nur so weit kommen können? Hatten sie sich einmal zu oft in der Öffentlichkeit gestritten? Oder hatte jemand beobachtet, wie Takeda im Bademantel in Hirakawas Zimmer geschlichen war? Nichts wäre schlimmer gewesen als das. Und doch… Wie hatte sich das bis zu den Mittelschülern durchsprechen können? Takeda konnte das Gefühl, dass Kuroi hier seine Finger im Spiel hatte, einfach nicht abschütteln. Hirakawa konnte schließlich nicht immer Recht haben. Oder? Mit einem Seufzer ließ sich Takeda rücklings ins Gras sinken und starrte in den ebenmäßig blauen Himmel empor, der zwischen den Kirschbaumblättern hervor glitzerte. In Zukunft würden sie noch viel vorsichtiger sein müssen, so viel stand fest. Schließlich stand Hirakawas Ruf auf dem Spiel. Kapitel 21: ------------ ‚Hey, Takeda! Wie läuft‘s bei dir so? Wir sehen uns auf dem Sommerfest. Halt die Ohren steif. Ishida‘ Takeda überflog die SMS noch einmal, während er durch die Menschenmenge watete, die sich auf dem Campus der Seikô Gakuen zusammengefunden hatte. Die meisten Schüler waren in Begleitung ihrer Eltern und Geschwister gekommen. Einige hatten sogar ihre Freundin dabei. Und tatsächlich schienen auch viele der Absolventen die Gelegenheit zu nutzen, ihrer alten Schule mal wieder einen Besuch abzustatten. Das Sommerfest war eben der Höhepunkt des Trimesters. Eine Gelegenheit für die Schüler, den Schulstress einen kurzen Augenblick lang zu vergessen und das Leben in vollen Zügen zu genießen - aber auch eine Prestige-Veranstaltung, die für das Ansehen der Schule von großer Bedeutung war. Die Vorführungen und Ausstellungen der unterschiedlichen Schulclubs sorgten für ein bunt gemischtes Unterhaltungsprogramm und demonstrierten zugleich die sportlichen, wie auch künstlerischen Talente der Schüler und deren Engagement. Takeda würde heute zum ersten Mal kein Teil dieses Spektakels sein. Der Gedanke daran, dass er nicht an der Vorführung des Iaidô-Clubs teilnehmen würde, erleichterte ihn zwar einerseits, löste aber andererseits auch eine seltsame Beklemmung in ihm aus. Es war das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, das sich ihm aufdrängte und das es ihm verwehrte, das Fest auf dieselbe Weise genießen zu können wie ein gewöhnlicher Besucher . Takeda schüttelte den Gedanken ab und hielt stattdessen weiter nach Ishida Ausschau. Vielleicht hatte er sich mit einigen der anderen Absolventen zusammen irgendwohin verzogen… Plötzlich entdeckte Takeda am anderen Ende des großen Platzes, zwischen den Säulen des Hauptgebäudes, ein bekanntes Gesicht. Doch es gehörte nicht Ishida. Hirakawa stand an eine der Säulen gelehnt da, die Arme vor der Brust verschränkt und schien in ein Gespräch vertieft. Ihm gegenüber, Takeda den Rücken zugewandt, stand Kimura. Sofort war Takedas Argwohn erwacht. Er hatte die beiden nie zuvor auch nur ein Wort wechseln sehen. Er hätte zu gern gewusst, worüber sie sprachen, doch sie waren zu weit entfernt und die Menschenmenge um Takeda her zu laut, als dass er auch nur einen Satzfetzen hätte aufschnappen können. „Halte dich von jetzt an von Hirakawa fern“, hallte es Takeda durch den Kopf und ein Schauder überlief ihn. Was hatte das zu bedeuten? Während Hirakawa sprach, begann er mit der linken Hand zu gestikulieren, wie er es immer tat, wenn er ein Thema sehr ernst diskutierte – was im übrigen nicht sehr häufig vorkam. Dann packte Kimura ihn am Arm. Takeda drehte sich der Magen um. Fass ihn nicht an, schrie eine verzweifelte Stimme in seiner Brust. Doch was konnte er tun? Sollte er zu ihnen hinüber gehen, oder... „Hey, Takeda!“ Ein Arm legte sich von hinten um seine Schultern und Takeda zuckte zusammen. Als er den Kopf wandte, sah er Ishidas strahlendes Gesicht neben sich. Sein einstiger Mitbewohner schien mit seiner Trainingshose und dem weite geschnittenen T-Shirt, das er trug, patu nicht in die Menge, die sich für das Sommerfest versammelt hatte, passen zu wollen. Doch Takeda war es nur recht so. Er konnte sich Ishida auch nicht in irgendeiner überkandidelten Uniform vorstellen. Wie es schien war er noch immer ganz der Alte. „Das nenn' ich mal eine überschwängliche Begrüßung“, kommentierte Ishida Takedas Schweigen und zog die Augenbrauen hoch. „Oh, ja, tut mir Leid. Wie läuft's auf der Uni?“, fragte Takeda daraufhin, doch er konnte den Gedanken an Hirakawa und Kimura einfach nicht abschütteln. Ishida verzog das Gesicht: „Die verlangen ganz schön viel. Vor allem in der Theorie, weißte. Naja, aber ich krieg das schon hin. Und wie läuft's bei dir? Du siehst schon wieder so aus, als wäre die Welt untergegangen.“ Takeda überlegte einen Augenblick lang, wie viel er Ishida sagen sollte. Sollte er ihm von der Sache mit Hirakawa und Kimura erzählen? Oder von Kuroi und Gerüchten, die über Hirakawa und ihn im Umlauf waren? Doch ehe Takeda sich entschieden hatte, winkte Ishida bereits ab: „Schon gut, so genau will ich's auch gar nicht wissen.“ Er grinste breit und Takeda konnte ein leichtes Seufzen nicht unterdrücken. Er wandte den Kopf wieder den Säulen vor dem Hauptgebäude zu – doch von Hirakawa und Kimura war nichts mehr zu sehen. Verdammt, wo waren sie hingegangen? „Suchst du jemanden?“, wollte Ishida daraufhin wissen, doch Takeda schüttelte heftig den Kopf. „Ich glaube, ich habe Lust auf Tintenfischbällchen.“ „Nichts leichter als das!“, flötete Ishida fröhlich und ehe sich Takeda versah, wurde er schon in Richtung der Stände davon geschoben. „Wo ist denn hier das Ende der Schlange?“, fragte sich Takeda laut, während er möglichst unauffällig weiterhin Ausschau nach Hirakawa und Kimura hielt. „Da stehen wir ja bis Neujahr.“ „Hat da jemand schlechte Laune?“, feixte Ishida, als plötzlich jemand Takedas Namen rief. Irritiert wandte er den Kopf und suchte zwischen all den Menschen nach einem bekannten Gesicht, bis er Hinata entdeckte, der ein ganzes Stück weiter vorne in der Schlange stand. „Ist das ein Freund von dir?“, wollte Ishida daraufhin wissen und Takeda nickte. „Na, dann stellen wir uns doch einfach dazu!“ „Warte Ishida, das können wir nicht machen“, versuchte Takeda ihn noch aufzuhalten, doch ehe er sich versah hatte Ishida ihn bereits zu Hinata hinüber manövriert. „Hey, ich bin Yuuki Ishida, Takedas alter Mitbewohner“, stellte sich Ishida vor und Hinata lächelte leicht. „Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Keiji Hinata. Ich bin erst seit diesem Jahr in der Oberstufe, wahrscheinlich sind wir uns deshalb noch nie begegnet. Was machst du eigentlich hier, Takeda? Bist du bei keiner Vorführung dabei?“ „Nein, ich bin noch zu neu im Idaidô-Club“, gab Takeda abwesend zurück. „Und deine Klasse?“ „Betreibt den Takoyaki-Stand hier. Das war Hirakawas Idee, er meinte, wir müssten die Klassenkasse ein bisschen aufbessern.“ „Ausgefuchst wie immer“, meldete sich Ishida zu Wort und grinste. „Lass Hirakawa deine Finanzen verwalten und du hast nie wieder Geldsorgen.“ Wenn Takeda an die Auswirkungen ihres gemeinsamen Aquariumbesuchs auf Hirakawas Privatvermögen dachte, konnte er dem zwar nicht ganz zustimmen, doch er verkniff sich die Bemerkung. Stattdessen fragte er an Hinata gewandt: „Und du? Müsstest du nicht beim Kendô-Club sein?“ Nun, wo Takeda daran dachte, wurde ihm auch klar, wohin Hirakawa vorhin verschwunden sein musste. „Ja, schon. Aber die Vorführung fängt erst in etwa einer Stunde an. Ich wollte mir vorher noch die Aufführung des Nô-Clubs ansehen. Kommt ihr mit?“ „Ich passe. Da gibt es noch ein paar mehr Leute, denen ich gerne mal wieder auf die Schulter klopfen möchte. Und du bist hier ja in guten Händen, Takeda“, gab Ishida zurück. „Drei mal Tintenfischbällchen, bitte.“ „Du musst die nicht für uns alle ausgeben“, fuhr Takeda dazwischen, doch Ishida winkte ab. „Hier, nimm. Und halt die Klappe.“ Damit drückte er erst Takeda und dann Hinata je eine Pappschale mit Tokiyaki in die Hand, bevor er sich mit einem kurzen Abschiedswinken zurück ins Getümmel warf. „Er ist sehr lebhaft“, meinte Hinata an Takeda gewandt und wirkte dabei recht vergnügt. Wahrscheinlich gab es keinen Menschen auf diesem Planeten, der Ishida nicht leiden konnte. Er war wirklich ein kleines Wunder. „Das Nô-Spiel fängt in zehn Minuten an“, ergänzte Hinata mit Blick auf die Uhr und die beiden beeilten sich, zu den Trainingshallen zu gelangen, vor denen eine Nebenbühne für die Aufführungen der kleineren Clubs aufgebaut worden war. Nichtsdestotrotz hatte sich auch hier bereits eine große Menschentraube gebildet, durch die sich Takeda und Hinata nun hindurch schlängelten, um einen Platz mit gutem Blick auf die Bühne zu ergattern. Takeda hatte gerade das letzte Tintenfischbällchen verspeist, als die Aufführung auch schon begann. Im hinteren Teil der Bühne hatten sich mehrere Schüler in schlichter dunkler Kleidung versammelt, von denen zwei nun zu trommeln begannen und ein weiterer kurz darauf mit einer Bambusflöte einstimmte. Es folgte ein kurzer Chorgesang, bevor ein Mädchen in einem wunderschönen Seidenkimono von der Seite her die Bühne betrat. Ihr Gesicht war von einer weißen Maske in Form eines Katzenkopfes verdeckt und ihre Bewegungen waren so weich und fließend, dass es Takeda beinahe so schien, als würde sie über den polierten Holzboden der Bühne dahin schweben. Sie drehte sich langsam um die eigene Achse und hielt inne, den Blick ins Publikum gerichtet. Takeda hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie ihm direkt in die Augen sah - und als sie nun zu tanzen begann, hatte sie ihn sofort in ihren Bann gezogen. Ihre Bewegungen waren kraftvoll und zugleich so weich und rund, wie es nur eine Frau vermochte. Die Zeit schien plötzlich keine Bedeutung mehr zu haben. Es war überwältigend. Takeda vergaß darüber sogar einen Augenblick lang seine Sorgen, bis die Musik schließlich verstummte und im Publikum ein tobender Beifallssturm losbrach. Das Mädchen verbeugte sich noch einmal, dann verschwand sie von der Bühne und durch die Tür in deren Rücken in das Trainingsgebäude dahinter. „Das war unglaublich“, meinte Takeda an Hinata gewandt und dieser strahlte ihn an. Offensichtlich hatte er großen Wert auf Takedas Urteil gelegt. Er musste ein richtiger Nô-Fan sein. „Komm mit“, sagte er daraufhin und führte Takeda durch die sich langsam auflösende Menschenmenge hindurch auf die Tür zur Trainingshalle zu. „Was wollen wir denn hier?“, wollte Takeda irritiert wissen, als sie den Flur betraten, der die einzelnen Trainingshallen und Umkleidekabinen miteinander verband. „Das wirst du gleich sehen“, gab Hinata zurück und delegierte Takeda noch ein Stück weiter in das Gebäude hinein. Überall wuselten Schüler durcheinander, die an einer der Aufführungen, die auf der Nebenbühne stattfanden, beteiligt sein mussten. Einige Mitglieder des Nô-Clubs standen unweit von Takeda und Hinata entfernt beisammen und schwatzten munter miteinander. Auch das Mädchen, das den Hauptteil getanzt hatte, war bei ihnen. Sie hatte die Maske, die sie während der Vorführung getragen hatte, abgelegt. In diesem Augenblick wandte sie den Kopf und sah zu Takeda und Hinata hinüber, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. Takeda erstarrte. Das konnte einfach nicht wahr sein! „Kimura“, brachte er mit heiserer Stimme hervor. „Das da draußen auf der Bühne – bist das etwa du gewesen?“ Kimuras Miene verfinsterte sich, als sein Blick auf Takeda fiel: „Was hast du denn gedacht? Mein Vater ist schließlich Kyosuke Kimura.“ „Dann ist er… ein Nô-Meister?“ „Richtig geraten. Um deinen Bildungsstand ist es wirklich noch schlechter bestellt als ich dachte“, gab Kimura in überheblichem Tonfall zurück. „Jetzt hör aber auf. Woher sollte ich das denn bitte wissen?“, fuhr Takeda ihn an. „Vielleicht wegen der Kimonos und Masken, die in meinem Schrank hängen? Oder was hast du gedacht, was ich damit will?“ Unwillkürlich fühlte sich Takeda an den Tag zurückversetzt, als er Kimura zum ersten Mal begegnet war. Damals hatte er einen riesigen Rollkoffer bei sich gehabt und Takedas Schrank okkupiert, um seinen ganzen Kram überhaupt irgendwo unterbringen zu können. Aber woher hätte Takeda wissen sollen, dass es sich dabei um eine Nô-Ausstattung gehandelt hatte? Im Gegensatz zu Kimura durchwühlte er schließlich keine fremden Schränke. Doch ehe Takeda sich entscheiden konnte, welchen seiner vielen Gedanken er aussprechen sollte, fuhr Kimura bereits fort: „In der Edo-Zeit war das Nô-Spiel den Samurai vorbehalten, deshalb wird die Familientradition auch heute noch an die männlichen Erben weitergegeben. Also hör endlich auf, mich so anzustarren.“ „Komm schon, reg dich nicht auf, Haruki. Du hast toll gespielt“, sagte Hinata mit sanfter Stimme und seine Fingerspitzen streiften flüchtig Kimuras Hand, während er ihn warm anlächelte. Mit einem Mal schien Kimura besänftigt. „Wirklich?“, fragte er in ernstem Tonfall, den Takeda bisher erst zwei Mal bei ihm gehört hatte. In der Nacht, als Kimura im Dunkeln auf seinem Bett gekauert hatte – und an jenem Tag vor dem Juwelier, als er ihm gesagt hatte, dass er sich von Hirakawa fernhalten sollte. Als Takeda nun den Blicken folgte, die Kimura und Hinata einander zuwarfen, traf ihn die Erkenntnis wie ein Donnerschlag: „Ihr zwei ihr seid doch nicht… Oder doch?“ Hinata wirkte ein wenig verlegen und senkte den Blick, doch Kimura ergriff seine Hand und drückte sie fest, während er Takeda direkt in die Augen starrte: „Hast du damit ein Problem?“ „Nein... Ich meine: Ja! Kannst du mir vielleicht verraten, was dieser ganze Quatsch von wegen 'Halt dich von Hirakawa fern' sollte, wenn du schon die ganze Zeit über mit Hinata zusammen bist?“ „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“ „Ach nein? Wenn das so ist, wüsste ich gerne mal, worüber du vorhin mit Hirakawa geredet hast.“ Hinata und Kimura tauschten einen vielsagenden Blick. Takeda wäre am liebsten vor Wut durch die Decke gegangen. Was zur Hölle wussten die beiden, was er nicht wusste? Schließlich erhob Kimura erneut die Stimme: „Ich war die ganze Zeit über hier. Wir spielen unser Stück zu jeder vollen Stunde, da hätte ich gar keine Zeit gehabt, woanders hinzugehen.“ „Wahrscheinlich hast du Harukis Schwester gesehen“, fügte Hinata vorsichtig hinzu. Takeda verstand die Welt nicht mehr: „Seine... Schwester?“ „Ja, Yukiko. Sie ist mit Hirakawa verlobt. Sag bloß, das wusstest du nicht.“ Takeda konnte spüren, wie der Boden unter seinen Füßen wegbrach, wie er in eine tiefe, bodenlose Schwärze stürzte, die ihn verschlang. Die Welt, die er gekannt hatte, existierte nicht mehr. Mit einem Mal war alles aus. Seine Knie drohten nachzugeben, doch er zwang sich, weiterhin aufrecht zu stehen. Dann wandte er sich ab. „Ich muss gehen“, sagte er mechanisch und steuerte wie in Trance auf die Tür zu, die ihn nach draußen bringen würde. Sie schien plötzlich so weit entfernt. „Warte doch mal. Takeda!“ Doch Hinatas besorgte Stimme verklang ungehört. Kapitel 22: ------------ Ein ohrenbetäubendes Krachen zerschnitt die Nachtluft und hallte von den Wänden der Gebäude ringsum wider. Das Feuerwerk hatte begonnen, doch Takeda sah nicht einmal zum Himmel auf. Er hatte sich auf eine der Banken nahe der Bibliothek zurückgezogen, fernab des Trubels, fernab der Lichter. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt, kein Bild vor seinem inneren Auge. Er hatte geglaubt, dass sein Herz in tausend Splitter zerspringen würde, doch alles was er fühlte, war diese Leere in ihm. Alles war fort, seine Wut, sein Kummer, sein Selbst. So war es also. Er war die ganze Zeit über nur ein Lückenbüßer für Hirakawa gewesen. Ein Zeitvertreib, bis er von der Schule abgehen und dieses Mädchen heiraten würde. Er hätte es wissen sollen, er hätte es wissen müssen. Das vergangene Jahr über hatte er einen Traum gelebt. Wie hätte so eine Beziehung auch eine Zukunft haben sollen? Er hätte es wissen müssen. Takeda konnte das Gewicht der Silberarmbänder in seiner Hosentasche spüren. Von Minute zu Minute schienen sie schwerer zu wiegen, ihn zu Boden ziehen zu wollen. Irgendwann verstummte die Welt um ihn her; war das Feuerwerk vorüber, lag der Campus nur mehr verlassen da. Erst jetzt stemmte sich Takeda auf die Füße, trugen seine Beine ihn langsam in Richtung der Wohnheime davon. Sein Weg führte ihn an dem großen Springbrunnen vorbei, der vor den Toren des Hauptgebäudes in sich ruhte. Man hatte ihn für die Nacht abgestellt. Ohne, dass sich Takeda bewusst dazu entschieden hatte, trat er an den Brunnen heran und blickte auf sein ruhiges Wasser hinab. Der halbe Mond spiegelte sich darin, doch sein eigens Gesicht konnte Takeda nicht erkennen. Vielleicht hatte ihn das Nichts, das ihn von innen heraus aufzufressen drohte, tatsächlich mit sich fortgerissen. Wieder spürte er das Gewicht in seiner Hosentasche. Die Armbänder... Langsam zog er sie heraus, wog sie in den Händen. Wie oft hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, sie Hirakawa zu geben. Seinen Gesichtsausdruck zu sehen. Langsam streckte Takeda den Arm aus und hielt inne. Nun würde es niemals geschehen. Dann öffnete er die Hand. Kapitel 23: ------------ Als Takeda zum Wohnheim zurückkehrte, nahm er kaum Notiz davon, dass die Eingangstür trotz der vorangeschrittenen Stunde noch offen war. Ohne Licht zu machen stieg er die Treppe in den ersten Stock hinauf und trat wie mechanisch in sein Zimmer. Kimura war noch wach und scheinbar gerade dabei gewesen, den Seidenkimono auszuziehen, den er den ganzen Tag über getragen haben musste, bevor er inne hielt und sich der Tür zu wandte. „Takeda...“, sagte er in einem merkwürdigen Tonfall, der irgendwo zwischen Wut und Besorgnis hin und her pendelte. Doch Takeda schenkte ihm keinerlei Beachtung. Stattdessen ließ er sich bäuchlinks auf sein Bett fallen, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, die Schuhe auszuziehen. Doch Kimura schien es nicht dabei belassen zu wollen: „Wir haben dich vorhin überall gesucht! Also ich meine, Hinata hat dich gesucht und...“ Er hielt kurz inne und Takeda konnte hören, wie seine Füße über den Boden scharrten. „Es tut mir Leid. Wenn ich gewusst hätte, dass du es nicht wusstest, hätte ich das nicht gemacht.“ „Was gemacht?“, fragte Takeda matt, obwohl es ihm im Grunde gleich war. Wieder entstand ein kurzes Schweigen, ehe aus Kimura herausbrach: „Überall herum erzählt, dass du mit Hirakawa zusammen bist, natürlich!“ Natürlich. Kimura war es gewesen, der die Gerüchte über Hirakawa und Takeda in Umlauf gebracht hatte, nicht Kuroi. Takeda hätte es wissen müssen. Aber was sollte ihm das jetzt noch? Es war völlig ohne Belang. „Sag was.“ „Was denn?“ „Sag, dass ich zur Hölle fahren soll. Sag, ich soll meine Sachen packen und verschwinden. Irgendwas!“ Doch diesen Gefallen würde Takeda ihm nicht tun. Stattdessen übergab er sich der Schwärze, die hinter seinen Augenlidern herrschte und ließ sich von ihr in einen unruhigen Schlaf davontragen. Kapitel 24: ------------ Nachdem Takeda den ganzen Sonntag über nicht aus dem Bett aufgestanden war, ließ er sich am Montagmorgen beim Anziehen besonders viel Zeit. Er wollte nicht in die Verlegenheit kommen, in der Klasse mit Hirakawa sprechen zu müssen, sodass er sich erst fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn auf den Weg machte und pünktlich zum Läuten der Glocke seinen Platz in der letzten Reihe einnahm. Hirakawa wandte sich zwar zu ihm um, doch Yamamura-Sensei stand bereits an der Tafel und begrüßte die Klasse, ehe er die Formel zur Berechnung von Trägheit anschrieb. Als das erneute Glockenläuten das Ende des Unterrichts verkündete, war Takeda der erste, der sich aus der Tür drängte. Auf dem Flur atmete er erleichtert auf, als Hirakawa ihn plötzlich zurückrief: „Takeda, warte.“ Aber Takeda dachte nicht daran. Er beschleunigte seinen Schritt und schlängelte sich zwischen den Schülern hindurch, die aus den Türen links und rechts des Ganges strömten. Doch Hirakawa hielt mit ihm Schritt: „Was ist denn los?“ „Nichts“, gab Takeda in einem Tonfall zurück, den er für besonders emotionslos hielt und bog um eine Ecke. „Und wo warst du Samstag? Ich dachte, wir wollten uns zusammen das Feuerwerk ansehen.“ Takeda gab keine Antwort. Der Ausgang kam immer näher, gleich würde er auf den Hof hinaus treten. Da berührte ihn etwas an der Schulter: „Jetzt warte doch mal.“ Mit einer blitzschnellen Bewegung wirbelte Takeda herum und schlug Hirakawas Hand weg. Ihre Blicke trafen sich. „Das mit uns ist vorbei“, hörte Takeda sich sagen, seine Stimme so fest, wie er es sich selbst niemals zugetraut hätte. In Hirakawas Blick zerbrach etwas. Takeda konnte spüren, wie die Splitter über ihm niederregneten, ihm unter die Haut drangen und wie rostige Klingen sein Herz zerfetzten. Er konnte nicht sagen, ob es Hirakawas Schmerz war oder sein eigener. Aber was machte das schon für einen Unterschied? Langsam wandte er sich ab und trat durch die nahe Tür ins warme Sonnenlicht hinaus. Hirakawa ließ er hinter sich zurück. Er hatte ihn aus seinem Herzen rissen und es blieb nichts als drückende Leere zurück. Kapitel 25: ------------ Seit diesem Tag hatte Hirakawa nie wieder versucht, Takeda anzusprechen. Eigentlich hätte er froh darüber sein sollen, doch kleiner ein Teil von ihm hatte immer noch die heimliche Hoffnung in sich getragen, dass Hirakawa versuchen würde, um ihn zu kämpfen. Dass er es nicht tat, führte Takeda nur noch einmal vor Augen, wie wenig er Hirakawa wert war. Ein Zeitvertreib, ein Lückenbüßer. Nicht mehr. Doch es half nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen und so hatte Takeda begonnen, all seine Energie in die Schule und das Training des Iaidô-Clubs zu stecken. Zumindest lenkte ihn das ab. Und er hatte wieder damit angefangen, Kimura aus dem Weg zu gehen. Sein Gesicht zu sehen, konnte Takeda kaum ertragen – es erinnerte ihn jedes Mal daran zurück, wie er Hirakawa und Kimuras Schwester zusammen auf dem Sommerfest gesehen hatte. Wie er sie angesehen hatte, wie sie seinen Arm ergriffen hatte... Am Freitagnachmittag konzentrierte sich Takeda voll und ganz auf das Iaidô-Training. Die Schüler übten gemeinsam das erste Kata des Seitei Iaidô, eine Abfolge von zwei Schwerthieben, gefolgt von dem symbolischen abschütteln des Blutes von der Klinge, die beinahe vollständig im Knien ausgeführt wird. Takeda hatte das Gefühl, sie noch immer nicht annähernd richtig zu beherrschen. Als er gerade einen weiteren Versuch wagen wollte, konnte er hören, wie hinter ihm die Tür zur Trainingshalle aufgestoßen wurde. Die Mitglieder des Iaidô-Clubs wandten sich irriert um und Takeda tat es ihnen gleich. „Was machst du denn hier?“ Takeda konnte seinen Augen kaum trauen. War es wirklich Kimura, der soeben die Halle betreten hatte und nun mit entschlossenen Schritten auf ihn zu steuerte? Doch Kimura schien nicht in der Stimmung, seine Frage zu beantworten. „Komm mit“, sagte er nur, packte Takeda am Arm und zog ihn hinter sich her auf die Tür zu. „Was soll das denn werden? Das Training ist noch nicht zu Ende.“ Doch auch dafür schien sich Kimura nicht im geringsten zu Interessieren. Stattdessen bugsierte er Takeda aus der Halle und auf den Hof hinaus. Plötzlich blieb Takeda wie angewurzelt stehen. Dort, nur wenige Meter von ihm entfernt, saß ein Mädchen mit kurzem, braun gefärbten Haar auf der Mauer, die den Hauptweg säumte, und starrte zu ihm hinüber. Die perfekte Kopie Kimuras – nur vielleicht noch ein bisschen weiblicher. Aber das war vermutlich nur dem leichten Sommerkleid geschuldet, das sie trug. Takeda machte auf dem Absatz Kehrt, doch Kimura versperrte ihm den Weg. „Hey, du kannst meine Schwester hier nicht einfach so sitzen lassen, du Ignorant“, fuhr Kimura ihn an und Takeda war überrascht, die Fürsorge eines großen Bruders in seiner Stimme mitschwingen zu hören. „Sie ist extra aus Kyoto hergekommen, um mit dir zu reden, also wirst du ihr auch zuhören, klar?“ Takeda warf dem Mädchen einen Seitenblick zu. Wenn es irgendetwas auf dieser Welt gab, das er in diesem Augenblick nicht tun wollte, dann war es mit Hirakawas Verlobten zu sprechen. Alleine bei dem Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. „Wieso aus Kyoto“, fragte er also ausweichend, während er im Kopf fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, sich der Situation zu entziehen zu können. Was, wenn er einen Schwindelanfall vortäuschen würde? „Ich wohne im Moment bei unserer Tante und gehe in Kyoto zur Schule.“ Überrascht zuckte Takeda zusammen. Das Mädchen musste zu ihnen hinüber gekommen sein, während Takeda in die entgegengesetzte Richtung gestarrt hatte. „Ich bin Yukiko Kimura, schön dich kennenzulernen“, sagte sie mit einer leisen, hohen Stimme. Sie machte auf Takeda einen eher schüchternen Eindruck. Es musste sie viel Überwindung gekostet haben, hierher zu kommen und mit ihm zu sprechen. Also musste es wohl auch einen guten Grund dafür geben. „Wenn du nicht mit mir reden willst, ist das in Ordnung“, fügte Yukiko vorsichtig hinzu, doch noch ehe Takeda antworten konnte, fuhr Kimura dazwischen. „Nein, das ist nicht in Ordnung. Du wirst ihr jetzt gefälligst zuhören! Denn du wirst es kaum glauben, die Welt dreht sich nicht immer nur um dich!“ „Ich höre doch schon zu“, gab Takeda matt zurück und bemerkte, dass er Yukiko die ganze Zeit über unverhohlen anstarrte. Rasch wandte er den Blick ab. „Also, worüber wolltest du mit mir reden?“ „Weißt du...“, begann sie unsicher, während ihre Augen einen Punkt irgendwo neben Takedas linkem Ohr fixierten. „Hirakawa und ich, wir sind schon seit der Grundschule verlobt. Mein Vater hat seinen Vater während einer seiner Nô-Aufführungen in Tokyo kennengelernt. Die Hirakawas sind erfolgreiche Geschäftsleute und wir sind eine alte Adelsfamilie. Da ist das nichts Ungewöhnliches.“ Yukiko machte eine Pause, als wartete sie auf eine Reaktion Takedas, doch diesem wollte beim besten Willen nichts einfallen, was er dazu hätte sagen können. Die Verlobung war also ein altes Arrangement. Aber was änderte das schon? Hirakawa hätte Takeda jederzeit davon erzählen können – doch er hatte es nicht getan. Er hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass das zwischen Ihnen etwas Festes war, während er es selbst die ganze Zeit über besser gewusst hatte. „Als ich Hirakawa zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich sofort in ihn verliebt. Er hat so einen klugen und unnahbaren Eindruck gemacht.“ Takedas Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. War es das, was Yukiko ihm hatte sagen wollen? Dass sie und Hirakawa zusammen glücklich sein würden? Schon wollte Takeda sich erneut abwenden, doch Yukiko war noch nicht fertig: „Danach haben wir lange nichts mehr voneinander gehört. Als Haruki mir erzählt hat, dass Hirakawa jetzt auf seine Schule geht, musste ich ihn unbedingt sehen.“ Sie machte eine Pause und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Aber er ist so ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe. So herrisch und kalt.“ Takeda schnaubte. Dieses Mädchen kannte Hirakawa wirklich überhaupt nicht. Sie wusste nicht, wie viel ihm Stolz und Ehre bedeuteten – und sie hatte noch nie das Glitzern seiner Augen bemerkt, das seine kalten Worte kontrastierte, wenn er glücklich war. Wie Takeda diese Augen geliebt hatte... „Er hat gesagt, dass wir unsere Verlobung auflösen sollen. Einfach so, als wäre nichts dabei.“ Takedas Kopf ruckte nach oben. Hatte er das gerade richtig gehört? „Zuerst war ich ziemlich erschrocken und traurig, ich wollte ihn überreden, das zurückzunehmen, aber...“ Vor Takedas innerem Auge blitzte wieder das Bild von Hirakawa und Yukiko auf. Wie er mit ihr diskutierte, wie sie ihn am Arm packte. Doch dieses Mal konnte Takeda ihre Stimmen hören: 'Ich will, dass wir unsere Verlobung auflösen.' 'Das meinst du doch nicht ernst!' Takedas Herzschlag beschleunigte sich, schlug es so heftig, als wollte es aus seiner Brust springen. „Aber dann habe ich es verstanden. Das Unternehmen der Hirakawas musste vor zwei Jahren Insolvenz anmelden. Damit ist der Vertrag zwischen uns hinfällig. Und eigentlich habe ich auch überhaupt keine Lust, Hirakawa zu heiraten. Ich habe das Bild geliebt, das ich mir von ihm gemacht hatte. Nicht ihn. Das ist mir klar geworden.“ Takeda hätte Yukiko am liebsten geküsst. Sie würde ihre Verlobung mit Hirakawa auflösen – und das beste von allem war: Es war Hirakawas Idee gewesen. Er hatte es gewollt. Sollte das etwa heißen...? Doch dann traf Takeda die Erkenntnis wie ein Donnerschlag: Er hatte Hirakawa zurückgewiesen. Und er hatte ihm nicht einmal gesagt wieso. Weil ich dachte, er wusste es, fuhr es ihm heiß durch den Kopf. Doch er hatte sich geirrt. Hirakawa hatte nicht ahnen können, was in seinem Kopf vorging, er hatte nichts falsch gemacht. Und Takeda hatte ihm so vor den Kopf gestoßen. Das konnte er unmöglich jemals wieder gutmachen. Die Stimme Kimuras riss Takeda aus seinen Gedanken: „Hier.“ Damit ließ er etwas in Takedas ausgestreckte Hand fallen. Zum zweiten Mal an diesem Tag konnte Takeda seinen Augen kaum trauen. In seiner Hand lagen zwei silberne Panzerarmbänder. „Wo hast du die her?“, brachte er hervor. „Sind im Fundbüro abgegeben worden. Wenn du das nächste Mal etwas loswerden willst, wirf es besser ins Meer, du Idiot“, gab Kimura in überheblich zurück und schüttelte mitleidig den Kopf. „Und jetzt mach was draus.“ Takedas Finger schlossen sich fest um die silbernen Glieder. Jedes von ihnen war untrennbar fest mit seinem Nachbarn verbunden. Sie waren gemeinsam durch die Finsternis gegangen und bis auf den Grund des Meeres getaucht. Und sie hatten ihren Weg zu Takeda zurückgefunden. Wenn ihre Herzen nur ein wenig so waren wie diese Glieder, dann war es noch nicht zu spät. Takeda warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Das Kendô-Training sollte seit etwa zehn Minuten zu Ende sein. Jetzt oder nie. „Danke, Kimura“, rief Takeda noch über die Schulter und meinte damit beide Geschwister gleichermaßen, während er mit schnellen Schritten auf das Trainingsgebäude zusteuerte. Auf seinem Weg kamen ihm bereits die ersten Kendo-Club-Mitglieder entgegen, doch Hirakawa war nicht unter ihnen. Dafür traf er vor der Umkleidekabine auf Hinata, der einen erschöpften Eindruck machte. „Ist Hirakawa noch da drin?“, fragte Takeda ihn und nickte zur Tür der Umkleidekabine hinüber, doch Hinata schüttelte den Kopf. „Dann ist er schon weg?“, folgerte Takeda und wollte sich schon abwenden, um in Richtung der Wohnheime davon zu stürmen, doch Hinata schüttelte wieder den Kopf. „Er war überhaupt nicht hier. Die ganze Woche nicht.“ Irritiert starrte Takeda ihn an: „Wieso das denn?“ „Ich dachte, das könntest du mir vielleicht sagen.“ Ein Stein sank in Takedas Magen. Hirakawa war also die ganze Woche nicht bei den Kendô-Club-Treffen gewesen und damit auch seinen Pflichten als Vorsitzender nicht nachgekommen. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Takeda konnte beinahe spüren, wie seinem Gesicht, alle Farbe entwich. „Ja, das habe ich auch gedacht“, fuhr Hinata, der seine Gedanken erraten haben musste, in ernstem Tonfall fort. „Ich bin schon zwei Mal nach dem Training zu seinem Zimmer gegangen, um mit ihm zu reden, aber er macht einfach nicht auf.“ Takeda konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. Im Unterricht hatte Hirakawa auf ihn einen ganz normalen Eindruck gemacht. Doch offensichtlich hatte Takeda ihn tiefer verletzt, als er es ihm hatte zeigen wollen. Viel tiefer… „Ich gehe ihn suchen.“ Damit machte Takeda auf dem Absatz kehrt. Hinata versuchte nicht, ihm zu folgen und Takeda war sich sicher, dass er wusste, dass er alleine mit Hirakawa sprechen musste. Als erstes versuchte es Takeda in der Bibliothek. Sie war schon immer Hirakawas liebster Rückzugsort gewesen. Kein Wunder, Takeda kannte keinen anderen Menschen, der Bücher so sehr liebte wie Hirakawa es tat. Doch er hatte kein Glück. Nachdem er den Lesesaal durchkämmt hatte, hielt er kurz an der Ausleihe inne. Die Bibliothekarin mit der eleganten Hochsteckfrisur saß dort hinter dem Tresen und schien in ihre Arbeit am Computer vertieft. Takeda konnte kaum glauben, dass er einmal eifersüchtig auf sie gewesen war. „Entschuldigung, haben Sie vielleicht Hirakawa gesehen?“, fragte er gedämpft und die Bibliothekarin hob den Kopf. Erst jetzt konnte Takeda sehen, dass ihre Stirn von tiefen Sorgenfalten durchzogen war. „Nein, er war schon lange nicht mehr hier. Dabei sind einige Bücher für ihn aus der Fernleihe angekommen.“ Genau wie im Kendô-Club, fuhr es Takeda durch den Kopf, ehe er sich höflich bedankte und die Bibliothek durch die große Flügeltür wieder verließ. Wo konnte Hirakawa nur stecken? Was tat er, wenn er nicht mit der Schule, Büchern und seinen Pflichten als Clubvorsitzender beschäftigt war? Während Takeda noch darüber nachdachte, hatten seine Füße ihn bereits ein ganzes Stück weiter den Hauptweg entlang, am Brunnen vorbei und zu den Kirschbäumen am Rande des Campus geführt. Wie viele Stunden hatte er hier mit Hirakawa im Gras gelegen und in den Himmel hinauf gestarrt, während er in einem seiner Bücher gelesen hatte? Hier hatte Hirakawa ihn geküsst. Und er hatte ihn zurückgewiesen. Hier hatte Takeda erfahren, dass die Mittelschüler hinter ihrem Rücken über sie zu tuscheln begonnen hatten. Takedas Herz wurde schwer. Warum musste nur immer alles so furchtbar kompliziert sein? Und dann sah er ihn. Er lag ausgestreckt unter einem der Kirschbäume und starrte zu den Ästen über seinem Kopf empor, als gäbe es dort oben etwas, das nur er sehen konnte. Hirakawa. Wie in einem Traum trat Takeda einige weitere unsichere Schritte auf Hirakawa zu, bis dieser schließlich den Kopf wandte. Er starrte ihm direkt in die Augen, ausdruckslos, als gehöre sein Körper nicht mehr ihm. Die Zeit schien einen Augenblick lang stillzustehen. Dann verengten sich Hirakawas Augen kaum merklich: „Was willst du?“ „Mit dir reden.“ „Worüber?“ Takeda erstarrte. Er war so versessen darauf gewesen, Hirkawa zu finden, dass er völlig vergessen hatte, sich zurechtzulegen, was er ihm sagen wollte. Hirakawas leerer Blick, der auf ihm ruhte, ließ seinen Mut sinken. Was, wenn es da nichts gab, was er sagen konnte? Was, wenn Worte nicht genügten, um wieder gutzumachen, was er Hirakawa angetan hatte? Wieder spürte Takeda das Gewicht der Silberarmbänder in der Tasche seines Hakama – er hatte nach dem Iaidô-Training keine Zeit gehabt, sich umzuziehen. Doch dieses Mal schienen sie ihn nicht zu Boden zu ziehen, im Gegenteil. Nun wollten sie ihn beflügeln, ihm zuflüstern, dass er nicht aufgeben durfte. Mit einer raschen Bewegung schob Takeda die Hand in die Tasche und zog die Armbänder hervor. Dann ging er in die Hocke und hielt sie Hirakawa mit ausgestrecktem Arm entgegen. „Ich wollte dir das schon lange geben. Wenn du es jetzt nicht mehr willst, kann ich das verstehen“, sagte er leise. Hirakawa starrte auf Takedas ausgestreckte Hand hinab, dann wieder hinauf in seine Augen. Takeda konnte nichts von seinem Gesicht ablesen. Sag was, fuhr es ihm durch den Kopf. Sag was, sag was! Doch Hirakawa sagte nichts. Er setzte sich auf und streckte die Hand aus. Das Gewicht in Takedas Hand nahm ab, als er eines der Armbänder an sich nahm und es zwischen den Fingern drehte. Takeda hielt das Schweigen einfach nicht mehr aus: „Es tut mir wirklich Leid. Ich habe dich auf dem Sommerfest zusammen mit Yukiko Kimura gesehen und dann hat mir Hinata erzählt, dass du mit ihr verlobt bist und dann…“ Takedas Stimme versagte. Er musste den Blick abwenden, doch seine Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten. Sein ausgestreckter Arm begann zu zittern und er wollte ihn schon zurückziehen, als er etwas Kühles an seinem Handgelenk spürte. Irritiert hob er den Kopf. Hirakawa hatte ihm das Armband umgelegt, das er noch bis eben in den Händen gewogen hatte. Und nun hielt er ihm seinen eigenen Arm entgegen. „Du bist ein Idiot“, sagte er leise und seine Stimme klang gebrochen. „Du bist so ein Idiot.“ Mehr musste er nicht sagen. Mit zittrigen Händen nahm Takeda das zweite Armband. Der Verschluss rastete mit einem leisen Klicken ein. Dann zog Hirakawa ihn in seine Arme, hielt ihn fest an seine Brust gedrückt, als wollte er ihn nie wieder loslassen. Und Takeda schluchzte und weinte, bis er keine Tränen mehr übrig hatte. Bis aller Kummer und aller Schmerz fortgespült war. Er konnte Hirakawas Hand spüren, wie sie leicht über sein Haar strich, als würde sie ihn kaum berühren. Sie verharrten noch einen Augenblick länger – dann durchfuhr Takeda der Schreck. Mit einer ruckhaften Bewegung löste er sich von Hirakawa und starrte ihn an: „Wir wollten das doch nicht mehr in der Öffentlichkeit machen.“ „Du hast wirklich überhaupt nicht verstanden, worum es geht, oder?“, gab Hirakawa in kühlem Tonfall zurück, doch Takeda konnte das Strahlen in seinen Augen sehen. Dieses Strahlen, nach dem er sich so gesehnt hatte. Dann drückte Hirakawa ihn mit dem Rücken ins Gras und beugte sich über ihn. Blickte ihm ins Gesicht, als wollte er sich jeden Zug, jede Wimper genau einprägen. Dann berührten sich ihre Lippen. Ein leichter Windhauch strich über sie hinweg und Takeda war sich sicher, es war Wind von ihrem ersten gemeinsamen Nachmittag unter den Kirschbäumen, der zu ihnen zurückgekehrt war. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)