Er liebt mich, er liebt mich nicht 2 von Hoellenhund ([Secret Love]) ================================================================================ Kapitel 21: ------------ ‚Hey, Takeda! Wie läuft‘s bei dir so? Wir sehen uns auf dem Sommerfest. Halt die Ohren steif. Ishida‘ Takeda überflog die SMS noch einmal, während er durch die Menschenmenge watete, die sich auf dem Campus der Seikô Gakuen zusammengefunden hatte. Die meisten Schüler waren in Begleitung ihrer Eltern und Geschwister gekommen. Einige hatten sogar ihre Freundin dabei. Und tatsächlich schienen auch viele der Absolventen die Gelegenheit zu nutzen, ihrer alten Schule mal wieder einen Besuch abzustatten. Das Sommerfest war eben der Höhepunkt des Trimesters. Eine Gelegenheit für die Schüler, den Schulstress einen kurzen Augenblick lang zu vergessen und das Leben in vollen Zügen zu genießen - aber auch eine Prestige-Veranstaltung, die für das Ansehen der Schule von großer Bedeutung war. Die Vorführungen und Ausstellungen der unterschiedlichen Schulclubs sorgten für ein bunt gemischtes Unterhaltungsprogramm und demonstrierten zugleich die sportlichen, wie auch künstlerischen Talente der Schüler und deren Engagement. Takeda würde heute zum ersten Mal kein Teil dieses Spektakels sein. Der Gedanke daran, dass er nicht an der Vorführung des Iaidô-Clubs teilnehmen würde, erleichterte ihn zwar einerseits, löste aber andererseits auch eine seltsame Beklemmung in ihm aus. Es war das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, das sich ihm aufdrängte und das es ihm verwehrte, das Fest auf dieselbe Weise genießen zu können wie ein gewöhnlicher Besucher . Takeda schüttelte den Gedanken ab und hielt stattdessen weiter nach Ishida Ausschau. Vielleicht hatte er sich mit einigen der anderen Absolventen zusammen irgendwohin verzogen… Plötzlich entdeckte Takeda am anderen Ende des großen Platzes, zwischen den Säulen des Hauptgebäudes, ein bekanntes Gesicht. Doch es gehörte nicht Ishida. Hirakawa stand an eine der Säulen gelehnt da, die Arme vor der Brust verschränkt und schien in ein Gespräch vertieft. Ihm gegenüber, Takeda den Rücken zugewandt, stand Kimura. Sofort war Takedas Argwohn erwacht. Er hatte die beiden nie zuvor auch nur ein Wort wechseln sehen. Er hätte zu gern gewusst, worüber sie sprachen, doch sie waren zu weit entfernt und die Menschenmenge um Takeda her zu laut, als dass er auch nur einen Satzfetzen hätte aufschnappen können. „Halte dich von jetzt an von Hirakawa fern“, hallte es Takeda durch den Kopf und ein Schauder überlief ihn. Was hatte das zu bedeuten? Während Hirakawa sprach, begann er mit der linken Hand zu gestikulieren, wie er es immer tat, wenn er ein Thema sehr ernst diskutierte – was im übrigen nicht sehr häufig vorkam. Dann packte Kimura ihn am Arm. Takeda drehte sich der Magen um. Fass ihn nicht an, schrie eine verzweifelte Stimme in seiner Brust. Doch was konnte er tun? Sollte er zu ihnen hinüber gehen, oder... „Hey, Takeda!“ Ein Arm legte sich von hinten um seine Schultern und Takeda zuckte zusammen. Als er den Kopf wandte, sah er Ishidas strahlendes Gesicht neben sich. Sein einstiger Mitbewohner schien mit seiner Trainingshose und dem weite geschnittenen T-Shirt, das er trug, patu nicht in die Menge, die sich für das Sommerfest versammelt hatte, passen zu wollen. Doch Takeda war es nur recht so. Er konnte sich Ishida auch nicht in irgendeiner überkandidelten Uniform vorstellen. Wie es schien war er noch immer ganz der Alte. „Das nenn' ich mal eine überschwängliche Begrüßung“, kommentierte Ishida Takedas Schweigen und zog die Augenbrauen hoch. „Oh, ja, tut mir Leid. Wie läuft's auf der Uni?“, fragte Takeda daraufhin, doch er konnte den Gedanken an Hirakawa und Kimura einfach nicht abschütteln. Ishida verzog das Gesicht: „Die verlangen ganz schön viel. Vor allem in der Theorie, weißte. Naja, aber ich krieg das schon hin. Und wie läuft's bei dir? Du siehst schon wieder so aus, als wäre die Welt untergegangen.“ Takeda überlegte einen Augenblick lang, wie viel er Ishida sagen sollte. Sollte er ihm von der Sache mit Hirakawa und Kimura erzählen? Oder von Kuroi und Gerüchten, die über Hirakawa und ihn im Umlauf waren? Doch ehe Takeda sich entschieden hatte, winkte Ishida bereits ab: „Schon gut, so genau will ich's auch gar nicht wissen.“ Er grinste breit und Takeda konnte ein leichtes Seufzen nicht unterdrücken. Er wandte den Kopf wieder den Säulen vor dem Hauptgebäude zu – doch von Hirakawa und Kimura war nichts mehr zu sehen. Verdammt, wo waren sie hingegangen? „Suchst du jemanden?“, wollte Ishida daraufhin wissen, doch Takeda schüttelte heftig den Kopf. „Ich glaube, ich habe Lust auf Tintenfischbällchen.“ „Nichts leichter als das!“, flötete Ishida fröhlich und ehe sich Takeda versah, wurde er schon in Richtung der Stände davon geschoben. „Wo ist denn hier das Ende der Schlange?“, fragte sich Takeda laut, während er möglichst unauffällig weiterhin Ausschau nach Hirakawa und Kimura hielt. „Da stehen wir ja bis Neujahr.“ „Hat da jemand schlechte Laune?“, feixte Ishida, als plötzlich jemand Takedas Namen rief. Irritiert wandte er den Kopf und suchte zwischen all den Menschen nach einem bekannten Gesicht, bis er Hinata entdeckte, der ein ganzes Stück weiter vorne in der Schlange stand. „Ist das ein Freund von dir?“, wollte Ishida daraufhin wissen und Takeda nickte. „Na, dann stellen wir uns doch einfach dazu!“ „Warte Ishida, das können wir nicht machen“, versuchte Takeda ihn noch aufzuhalten, doch ehe er sich versah hatte Ishida ihn bereits zu Hinata hinüber manövriert. „Hey, ich bin Yuuki Ishida, Takedas alter Mitbewohner“, stellte sich Ishida vor und Hinata lächelte leicht. „Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Keiji Hinata. Ich bin erst seit diesem Jahr in der Oberstufe, wahrscheinlich sind wir uns deshalb noch nie begegnet. Was machst du eigentlich hier, Takeda? Bist du bei keiner Vorführung dabei?“ „Nein, ich bin noch zu neu im Idaidô-Club“, gab Takeda abwesend zurück. „Und deine Klasse?“ „Betreibt den Takoyaki-Stand hier. Das war Hirakawas Idee, er meinte, wir müssten die Klassenkasse ein bisschen aufbessern.“ „Ausgefuchst wie immer“, meldete sich Ishida zu Wort und grinste. „Lass Hirakawa deine Finanzen verwalten und du hast nie wieder Geldsorgen.“ Wenn Takeda an die Auswirkungen ihres gemeinsamen Aquariumbesuchs auf Hirakawas Privatvermögen dachte, konnte er dem zwar nicht ganz zustimmen, doch er verkniff sich die Bemerkung. Stattdessen fragte er an Hinata gewandt: „Und du? Müsstest du nicht beim Kendô-Club sein?“ Nun, wo Takeda daran dachte, wurde ihm auch klar, wohin Hirakawa vorhin verschwunden sein musste. „Ja, schon. Aber die Vorführung fängt erst in etwa einer Stunde an. Ich wollte mir vorher noch die Aufführung des Nô-Clubs ansehen. Kommt ihr mit?“ „Ich passe. Da gibt es noch ein paar mehr Leute, denen ich gerne mal wieder auf die Schulter klopfen möchte. Und du bist hier ja in guten Händen, Takeda“, gab Ishida zurück. „Drei mal Tintenfischbällchen, bitte.“ „Du musst die nicht für uns alle ausgeben“, fuhr Takeda dazwischen, doch Ishida winkte ab. „Hier, nimm. Und halt die Klappe.“ Damit drückte er erst Takeda und dann Hinata je eine Pappschale mit Tokiyaki in die Hand, bevor er sich mit einem kurzen Abschiedswinken zurück ins Getümmel warf. „Er ist sehr lebhaft“, meinte Hinata an Takeda gewandt und wirkte dabei recht vergnügt. Wahrscheinlich gab es keinen Menschen auf diesem Planeten, der Ishida nicht leiden konnte. Er war wirklich ein kleines Wunder. „Das Nô-Spiel fängt in zehn Minuten an“, ergänzte Hinata mit Blick auf die Uhr und die beiden beeilten sich, zu den Trainingshallen zu gelangen, vor denen eine Nebenbühne für die Aufführungen der kleineren Clubs aufgebaut worden war. Nichtsdestotrotz hatte sich auch hier bereits eine große Menschentraube gebildet, durch die sich Takeda und Hinata nun hindurch schlängelten, um einen Platz mit gutem Blick auf die Bühne zu ergattern. Takeda hatte gerade das letzte Tintenfischbällchen verspeist, als die Aufführung auch schon begann. Im hinteren Teil der Bühne hatten sich mehrere Schüler in schlichter dunkler Kleidung versammelt, von denen zwei nun zu trommeln begannen und ein weiterer kurz darauf mit einer Bambusflöte einstimmte. Es folgte ein kurzer Chorgesang, bevor ein Mädchen in einem wunderschönen Seidenkimono von der Seite her die Bühne betrat. Ihr Gesicht war von einer weißen Maske in Form eines Katzenkopfes verdeckt und ihre Bewegungen waren so weich und fließend, dass es Takeda beinahe so schien, als würde sie über den polierten Holzboden der Bühne dahin schweben. Sie drehte sich langsam um die eigene Achse und hielt inne, den Blick ins Publikum gerichtet. Takeda hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie ihm direkt in die Augen sah - und als sie nun zu tanzen begann, hatte sie ihn sofort in ihren Bann gezogen. Ihre Bewegungen waren kraftvoll und zugleich so weich und rund, wie es nur eine Frau vermochte. Die Zeit schien plötzlich keine Bedeutung mehr zu haben. Es war überwältigend. Takeda vergaß darüber sogar einen Augenblick lang seine Sorgen, bis die Musik schließlich verstummte und im Publikum ein tobender Beifallssturm losbrach. Das Mädchen verbeugte sich noch einmal, dann verschwand sie von der Bühne und durch die Tür in deren Rücken in das Trainingsgebäude dahinter. „Das war unglaublich“, meinte Takeda an Hinata gewandt und dieser strahlte ihn an. Offensichtlich hatte er großen Wert auf Takedas Urteil gelegt. Er musste ein richtiger Nô-Fan sein. „Komm mit“, sagte er daraufhin und führte Takeda durch die sich langsam auflösende Menschenmenge hindurch auf die Tür zur Trainingshalle zu. „Was wollen wir denn hier?“, wollte Takeda irritiert wissen, als sie den Flur betraten, der die einzelnen Trainingshallen und Umkleidekabinen miteinander verband. „Das wirst du gleich sehen“, gab Hinata zurück und delegierte Takeda noch ein Stück weiter in das Gebäude hinein. Überall wuselten Schüler durcheinander, die an einer der Aufführungen, die auf der Nebenbühne stattfanden, beteiligt sein mussten. Einige Mitglieder des Nô-Clubs standen unweit von Takeda und Hinata entfernt beisammen und schwatzten munter miteinander. Auch das Mädchen, das den Hauptteil getanzt hatte, war bei ihnen. Sie hatte die Maske, die sie während der Vorführung getragen hatte, abgelegt. In diesem Augenblick wandte sie den Kopf und sah zu Takeda und Hinata hinüber, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. Takeda erstarrte. Das konnte einfach nicht wahr sein! „Kimura“, brachte er mit heiserer Stimme hervor. „Das da draußen auf der Bühne – bist das etwa du gewesen?“ Kimuras Miene verfinsterte sich, als sein Blick auf Takeda fiel: „Was hast du denn gedacht? Mein Vater ist schließlich Kyosuke Kimura.“ „Dann ist er… ein Nô-Meister?“ „Richtig geraten. Um deinen Bildungsstand ist es wirklich noch schlechter bestellt als ich dachte“, gab Kimura in überheblichem Tonfall zurück. „Jetzt hör aber auf. Woher sollte ich das denn bitte wissen?“, fuhr Takeda ihn an. „Vielleicht wegen der Kimonos und Masken, die in meinem Schrank hängen? Oder was hast du gedacht, was ich damit will?“ Unwillkürlich fühlte sich Takeda an den Tag zurückversetzt, als er Kimura zum ersten Mal begegnet war. Damals hatte er einen riesigen Rollkoffer bei sich gehabt und Takedas Schrank okkupiert, um seinen ganzen Kram überhaupt irgendwo unterbringen zu können. Aber woher hätte Takeda wissen sollen, dass es sich dabei um eine Nô-Ausstattung gehandelt hatte? Im Gegensatz zu Kimura durchwühlte er schließlich keine fremden Schränke. Doch ehe Takeda sich entscheiden konnte, welchen seiner vielen Gedanken er aussprechen sollte, fuhr Kimura bereits fort: „In der Edo-Zeit war das Nô-Spiel den Samurai vorbehalten, deshalb wird die Familientradition auch heute noch an die männlichen Erben weitergegeben. Also hör endlich auf, mich so anzustarren.“ „Komm schon, reg dich nicht auf, Haruki. Du hast toll gespielt“, sagte Hinata mit sanfter Stimme und seine Fingerspitzen streiften flüchtig Kimuras Hand, während er ihn warm anlächelte. Mit einem Mal schien Kimura besänftigt. „Wirklich?“, fragte er in ernstem Tonfall, den Takeda bisher erst zwei Mal bei ihm gehört hatte. In der Nacht, als Kimura im Dunkeln auf seinem Bett gekauert hatte – und an jenem Tag vor dem Juwelier, als er ihm gesagt hatte, dass er sich von Hirakawa fernhalten sollte. Als Takeda nun den Blicken folgte, die Kimura und Hinata einander zuwarfen, traf ihn die Erkenntnis wie ein Donnerschlag: „Ihr zwei ihr seid doch nicht… Oder doch?“ Hinata wirkte ein wenig verlegen und senkte den Blick, doch Kimura ergriff seine Hand und drückte sie fest, während er Takeda direkt in die Augen starrte: „Hast du damit ein Problem?“ „Nein... Ich meine: Ja! Kannst du mir vielleicht verraten, was dieser ganze Quatsch von wegen 'Halt dich von Hirakawa fern' sollte, wenn du schon die ganze Zeit über mit Hinata zusammen bist?“ „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“ „Ach nein? Wenn das so ist, wüsste ich gerne mal, worüber du vorhin mit Hirakawa geredet hast.“ Hinata und Kimura tauschten einen vielsagenden Blick. Takeda wäre am liebsten vor Wut durch die Decke gegangen. Was zur Hölle wussten die beiden, was er nicht wusste? Schließlich erhob Kimura erneut die Stimme: „Ich war die ganze Zeit über hier. Wir spielen unser Stück zu jeder vollen Stunde, da hätte ich gar keine Zeit gehabt, woanders hinzugehen.“ „Wahrscheinlich hast du Harukis Schwester gesehen“, fügte Hinata vorsichtig hinzu. Takeda verstand die Welt nicht mehr: „Seine... Schwester?“ „Ja, Yukiko. Sie ist mit Hirakawa verlobt. Sag bloß, das wusstest du nicht.“ Takeda konnte spüren, wie der Boden unter seinen Füßen wegbrach, wie er in eine tiefe, bodenlose Schwärze stürzte, die ihn verschlang. Die Welt, die er gekannt hatte, existierte nicht mehr. Mit einem Mal war alles aus. Seine Knie drohten nachzugeben, doch er zwang sich, weiterhin aufrecht zu stehen. Dann wandte er sich ab. „Ich muss gehen“, sagte er mechanisch und steuerte wie in Trance auf die Tür zu, die ihn nach draußen bringen würde. Sie schien plötzlich so weit entfernt. „Warte doch mal. Takeda!“ Doch Hinatas besorgte Stimme verklang ungehört. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)