이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u) von Chrolo (Seltsame Situationen) ================================================================================ Kapitel 8: Seltsames Träumen ---------------------------- 5 Uhr morgens. Mit einem unüblich lauten Gähner entstieg ich einem eher seltsamen Traum, gerade noch bevor dieser mich in einen unheilvollen Abgrund stoßen wollte. Ich war eine Mischung aus froh und genervt, aber meine Träume waren in den letzten Woche alle ähnlich abstrus und schlugen teilweise ihre Kerben in meine mentale Verfassung. Genau genommen war die Uhrzeit gar nicht so unpassend, denn ich hatte am Vorabend mit Hilfe der Klänge von Parliaments 'Chocolate City' relativ früh Schlaf gefunden und mich in meiner Gedankenwelt verloren. Aber was ist schon 'passend', wenn man so eigenwillige Träume hat, die einen zu jeder x-beliebigen Zeit zurück ins Wach schießen können... Ich schaute mich kurz um und realisierte, dass ich nicht zu Hause war. Tatsächlich störte mich der Umstand im ersten Moment nicht sonderlich, da das Gästebett in Earl Grays schickem Anwesen längst nicht so durchgelegen wie mein eigenes war, darüber hinaus mit einer Federkernmatratze und einer angenehm fluffigen Decke ziemlich gemütlich. Ich entschied, die Zeit bis zum Morgengrauen abzuwarten, welches Mitte November meiner Schätzung nach so gegen sieben Uhr eintreten würde. Etwas anderes blieb mir auch kaum übrig, da ich mit dem Earl nicht weiter geredet hatte, wie man verfahren würde. Es hieß nur ich könne mich ausruhen und die Nacht verbringen. Abendessen hatte ich keines, ich wusste nicht mal wo ein Kühlschrank stand. Vielleicht in dem Zimmer mit der Bar, aber weder wollte ich mich einfach bedienen, noch unbedingt im Dunkeln in einem fremden Anwesen rum...'schnüffeln'. Also dachte ich stattdessen weiter über die Traumwelten nach, welche mir mein Erinnerungsvermögen noch preisgab. Das waren gar nicht allzu viele, selbst die seltsamsten verblieben oft nur zwischen fünf und zehn Sekunden in meinem Gedächtnis, ehe sie komplett verschwanden und mich geradezu nackt in der Realität liegen ließen. Es gab Momente, wo ich darüber nachgedacht hatte, ob ich vielleicht geistig nicht ganz auf der Höhe war. Eine Bekannte hatte mal erzählt, dass sie ihre Träume sogar lenken konnte. Erst nachdem ich mich im Internet über 'Luzide Träume' weitergebildet hatte, kam ich erleichtert zu dem Entschluss, dass solch ein Talent nicht direkt mit Intelligenz zutun hatte. Wohl durchaus mit geistigem Potential, aber es war nicht so, dass ich mich deshalb in Ärgernis oder Depressionen stürzen musste. Nichts desto trotz gab es immer mal wieder vereinzelt Träume, welche es irgendwie in meinen Geist schafften und sich dort festsetzten. Manche nur szenenhaft, manch andere tatsächlich mit einer Art 'Story'. Einige waren so bemerkenswert seltsam, dass ich bereits mit dem Gedanken spielte, Schriftsteller zu werden und meine Träume in eine Art Roman umzuschreiben. Ich nahm sogar einmal Tinte und Feder zur Hand, scheiterte dann aber in einem etwas erzwungenen Akt daran, mir Zusammenhänge, sowie generell eine Art Rahmen für einen solche zu erdenken. Der seltsamste und zugleich allgegenwärtigste meiner abstrusen Träume der letzten Wochen war einer, in dem ich fliegen und alles aus einer Art 'Dritter Person' sehen konnte. Obwohl ich mich an die meisten meiner Träume kein bisschen erinnern konnte, war mir nach dem Aufwachen sofort klar, dass dies zum allerersten Mal passiert war. Noch heute kann ich dieses Gefühl des Fliegens nachempfinden und frage ich mich dazu ein wenig, ob es in meinem verbleibenden Leben noch dazu kommen wird, das Fliegen (ohne Flugzeug) zu einer menschlichen Realität zu entwickeln und ob es sich dann genauso anfühlen würde, wie in meinem Traum. Die Welt in diesem Traum setzte sich wie so oft aus vielen verschiedenen Szenen aus meinem Leben zusammen; verschiedenen Orten, verschiedenen Menschen und, soweit ich es zu bewerten vermag, auch verschiedenen Gedanken, welche mit bestimmten Situationen aus meinem Leben zusammenhingen. Im Grunde machte das die Sache erst so richtig absurd, denn es fehlte komplett ein roter Faden, fühlte sich mehr wie eine Sammlung von Fragmenten aus verschiedenen Geschichten an – und ich mich wie ein Wesen, welches diese Fragmente logisch zusammenbauen sollte. Dennoch war es keineswegs ein Klartraum; ich stellte – wie in ausschließlich jedem meiner Träume – keine Fragen bezüglich Logik, Sinnhaftigkeit, der Natürlichkeit von Dingen oder gar die Frage nach der Realität an sich. Immer wieder gibt auch genau dies mir nach dem Aufwachen zu Denken, aber ich hatte bisweilen trotzdem nie die Idee, mich über dieses Thema mit anderen Menschen auszutauschen. Es ist nicht so, dass ich keine Freunde hätte, mit denen man über derlei Themen plaudern könnte, aber irgendwie kam es nie dazu. Wenn tatsächlich mal der Gedanke über Träume in einer Situation auffunkte, in der ich ihn hätte ansprechen können, fühlte ich mich doch immer unwohl oder nicht in der Stimmung dafür. Und so führte ich diese Gedankenspiele bis heute mit mir alleine... wobei es eher offene Fragen als fertige Thesen waren. Allen voran diese, wieso ich ganz oft von Leuten träumte, die in meinem Leben praktisch keine Rolle gespielt hatten, während die wichtigsten Menschen aus meiner Realität nur allzu selten den Weg in meine Träume fanden. Oder daran angelehnt, wieso ich mich oft an Orten wiederfand, die ich seit zwanzig Jahren nicht gesehen hatte. In der Regel vermischten sich sogar reale – manchmal auch äußerst irreale – Orte zu einem im Traum ganz wirren Konstrukt, ohne dass ich dort wie schon erwähnt je einen Gedanken an die Sinnhaftigkeit dessen verlieren würde. Vor einer Woche gab es in einem meiner wenigen im Gedächtnis kleben bleibenden Träumen zum Beispiel ein Gebäude, was zur Hälfte aus meiner früher besuchten Mittelschule bestand, während der Rest eine Art Fantasywelt darstellte, mit deutlich sichtbarem Bezug auf das Videospiel Skyrim aus der von mir geliebten The Elder Scrolls-Reihe. Ich bewegte mich den ganzen Traum hindurch zwischen bemerkenswert akkurat wiederaufbereiteten Situationen aus meiner tatsächlichen Vergangenheit und reinem Kopfkino – sozusagen auf der Schwelle zwischen einer Prise 'Realität' und totaler Fiktion. Eine weitere für mich eminent wichtige Frage war, inwiefern die im Traum erlebte Gefühlswelt ein Abbild meiner tatsächlichen Gedanken darstellen könnte. Um ein Beispiel dafür zu geben, erlebte ich unlängst einen Traum, in dem meine Ex-Freundin (die bereits erwähnte, welche mich im Wachzustand auch heute noch nur mit unangenehmen Erinnerungen plagen würde – geradezu eine personifizierte negative Konnotation) und ich zusammen, froh und glücklich unser Leben lebten. Ohne den Hauch eines negativen Gedankens. Das führte mich nach dem Aufwachen unweigerlich zu der Frage, ob ich hinter den Mauern der negativen Emotionen am Ende tatsächlich noch etwas Gegenteiliges für diese Frau empfinden könnte. Ich hatte schon von Leuten gehört, welche sich von ihren Träumen leiten ließen – sei es ein spezieller Traum gewesen, oder eine generelle Einstellung. Zudem gab es ja auch sogenannte Traumdeutung. Zumeist käuflich zu erwerben, so dass ich es eine Zeit lang für einen Kandidaten für die lächerlichste Methode der Beschaffung von Lebensunterhalt hielt. Aber nach einer Weile und einigen seltsamen Träumen begann ich mir zunehmend mehr Gedanken über Träume, das menschliche Unterbewusstsein und eventuelle Bedeutungen von Ereignissen in Träumen zu machen. Eine Traumdeuterin habe ich jedoch nicht besucht. Das würde mir zwar nicht direkt mein Stolz verbieten, aber nach den abfälligen Gedanken würde es definitiv eine gewisse Überwindung kosten. In dem jüngst erfahrenen Traum, in welchem ich als 'Konstrukteur' über dem Geschehen flog, verflechtete ich einmal mehr Realität und Fiktion miteinander – nur zur Abwechslung von oben. Ich träumte mich dabei nicht selbst, sondern sah die ausgewählten Inhalte meiner Erinnerungen und die Ergüsse meiner Fantasie miteinander koexistieren. Solange ich nur zuschaute, war es sozusagen der Inbegriff des Wortes Kopfkino, aber mitunter griff ich gefühlt ein und lenkte die Geschichte in bestimmte Bahnen, ohne körperlich zu intervenieren. Dies alles kam mir im Anschluss so seltsam und unbegreiflich vor, dass ich am Folgeabend eine Kamera mit Nachtsichtfunktion neben mein Bett stellte, um mein Schlafverhalten aufzuzeichnen – in der Erwartung, einen solchen Traum gleich noch einmal zu träumen. So genau erklären konnte ich mir diese Idee nicht, ebenso wenig die daran geknüpften Erwartungen. Und es war auch nur logisch, dass ich in der Folgenacht ganz normal träumte. So normal, dass meine Synapsen nach dem Aufwachen wieder binnen fünf Sekunden komplett abschalteten und ich nach einigen weiteren Sekunden anfing, leise über mich selbst zu lachen. Die Kamera liegt seitdem wieder an dem Platz, wo ich sie zuvor hergeholt hatte. Während ich bis sechs Uhr einfach nur reglos, in Gedanken versunken im Bett verharrte, betätigte ich im Folgenden wieder das Grammophon, um erneut George Clintons musikalischen Ergüssen zu lauschen, welche ich zuvor nur durch seine andere Band Funkadelic kannte. Dazu nahm ich mir eine Lektüre aus dem Nachtschrank, welcher neben dem Bett stand. An sich war ich verwundert, dass dort Bücher verstaut waren, wo der Earl doch eine so stattliche Bibliothek besaß – aber in diesem Moment war es eindeutig zu meinem Vorteil, da das oben aufliegende Buch ein etwas eigenwillig designter Sammelband von koreanischen Mythen und Erzählungen war und unter Anderem eine moderne Version des in Korea so berühmten Chunhyang-ka enthielt, was mir ohnehin schon sehr gefiel und in dieser Fassung durch eine bemerkenswert clever gestreute Portion Humor verfeinert wurde, was die folgenden dreißig Minuten wie im Fluge vergehen ließ. Zwischendurch stand ich auf, um die moderne Schallplatte für die restlichen Songs umzudrehen und passend zum Ausklang des letzten Songs der Rückseite fielen schließlich die ersten Sonnenstrahlen durch das schmale, von matt-lachsfarbenen Gardinen gesäumte Fenster – direkt auf das offen auf dem Bett liegende Buch, vor welchem ich im Schneidersitz saß, die Bettdecke über meine Beine gelegt. In diesem Moment begann auch mein bisher sanftmütig reagierender Magen zu knurren. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis der Gastgeber in mein Zimmer schritt und mit leichten Augenringen nach meinem Wohlbefinden fragte. Das Frühstück nahmen wir dann anschließend in der Küche ein, die sich unten im Erdgeschoss befand. Auf dem Weg dorthin schaute ich wieder äußerst interessiert auf alles, was meine Augen erfassten. Der Raum vor der geräumigen Küche definierte den Luxemburger endgültig als Kunstfan und offensichtlich auch -kenner; es hingen unter Anderem Kopien von zwei sehr unterschätzten koreanischen Werken und auch ein weiterer Hundertwasser, mit dem ironisch der Gegenwart fröhnenden Titel Das Ende Griechenlands. Bei den koreanischen Gemälden kam ich nicht drum herum, Earl Gray zu fragen, wie oder wo er so hochqualitative Drucke herstellen ließ, aber seine Antwort war, dass die aushängenden Werke alle Originale waren, wie auch der Yu Sok in seiner Bibliothek. „...Was für ein Mensch ist dieser Earl eigentlich?“, fragte ich mich einmal mehr in Gedanken. War er überhaupt ein Earl? Er und die anderen Gesellen aus der Bar benutzten dieses Wort eher wie einen gewöhnlichen Vornamen, noch dazu ohne Anrede-Suffix. Als er mir kurz darauf Earl Grey zum Trinken anbot, musste ich schmunzeln und hätte ihn fast über seinen Namen ausgefragt, ließ es aber bleiben. Ich trank den schwarzen Tee mit Honig und einem guten Schuss Milch – eine Marotte, die ich mir nicht nehmen ließ, zumal ich schwarzen Tee für gewöhnlich direkt mit Milch aufkochte. Der Kleiderschrank hatte an diesem Morgen noch nichts Besonderes für den Earl ausgespuckt und so sah ich ihn nun in einem ganz gewöhnlichen T-Shirt und einer Anzughose durch die Küche traben, im gefühlten Halbschlaf einige Lebensmittel aus einem großen Kühlschrank nehmend. „Deutsches Frühstück?“, fragte er mich mit einem Gähnen. „Sehr gerne. Hatte ich lange nicht mehr.“ „Omelett mit Pilzen oder Tomaten? Oder moment... bist du Vegetarier?“ Ich verneinte und lernte ein paar Minuten später ein klassisches Deutsches Arbeiter-Frühstück kennen; Strammer Max nannte der Earl die Kombination aus Graubrot, Leberkäse, Sauerkraut und Spiegelei. Mich wunderte etwas, dass er mir ein Deutsches Frühstück anbot, obwohl er nichts über meine Zeit in Deutschland, oder allgemein in Europa wissen dürfte. Da aber Luxemburg sich an der deutschen Grenze befand, legte ich das als Zufall aus, der mit seiner eigenen Herkunft zusammenhing. Jedenfalls freute ich mich über die willkommene Abwechslung. In einer von gefräßigen Pausen durchzogenen Unterhaltung erfuhr ich im Folgenden, dass mein Gesprächspartner oft zu hören bekam, dass sein Name (englisch 'grau') nicht zu seiner Natur oder seinem Aussehen passte, er dem vorangegangenen Präsidenten Lee Myung-bak fast einmal die Hand geschüttelt hatte und in seiner Freizeit gerne Billard spielte – eine Leidenschaft, die ich mit ihm teilte. „Meine Spezialität sind Gather Shots. Bei Carom Billard fühle ich mich generell am wohlsten.“, führte er weiter aus. Bei mir war es eher Kneipenbillard, aber das wollte ich in diesem Moment nicht sagen und beließ es bei einem anerkennenden „Aah“. Ich war mir fast sicher, dass er in seinem Anwesen auch ein Billardzimmer hatte, wollte aber nicht riskieren, dort durch Unwissen oder mangelnde Fähigkeiten aufzufallen. In Bars wiederum hätte ich ein Heimspiel, da scheute ich mich von jeher vor keiner Herausforderung. „Nun zu deiner Situation... ich schätze du willst zunächst den Ersatzschlüssel holen?“, fragte er mich einen Moment später, abrupt das Thema wechselnd. „Scheint mir das Schlauste zu sein. In meine Wohnung zu kommen, ist auf jeden Fall kein Nachteil.“ „Wohl wahr.“ „Apropos, ich hab gestern nicht groß auf den Weg geachtet... wo sind wir hier?“ „Seocho-gu. Das Haus ist eines der fünf südlichsten Anwesen in Seoul.“, antwortete der Gefragte mit einem amüsanten Stolz in der Stimme. An Informationen reichte mir das; allzu weit von dem Haus meines Vermieters konnte es nicht sein. Nun musste ich erneut hoffen, dass er zumindest heute zu Hause war... „Ich kann dich hinfahren, ist kein Umstand.“, bekam ich dafür ein weiteres Mal ein freundliches Mitfahrangebot vom Earl, was ich dankend mit dem Versprechen annahm, dass ich ihm etwas schulde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)