이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u) von Chrolo (Seltsame Situationen) ================================================================================ Kapitel 2: Eine seltsame Bar ---------------------------- Nach einer weiteren halben Stunde kam ich an der Hangang-daero bei dem großen Gebäude an, in dem auch die Deutschen Botschaft und ein VISA-Center ansäßig waren. Ich war im vergangenen Jahr einmal hier, ebenso früher vor meinem längeren Deutschland-Aufenthalt zwecks Antrag für ein Visum. Und hinter diesem Kraftpaket aus Beton sollte nun diese mysteriöse SonderBAR zu finden sein. Plötzlich dachte ich zum ersten Mal daran, dass dieser seltsame Freak mich auch einfach hätte verarschen können und hoffte plötzlich inständig, dass das Gebäude auch wirklich existierte, ganz ungewiss was mich dort dann erwarten könnte. Aber zunächst hatte ich Glück. Der Haupteingang war zwar nicht direkt an der Hauptstraße, aber es gab immerhin ein Schild, auf dem (meiner Schätzung nach) im Schriftfont Matura MT die Lettern 'SonderBAR' prankten; jetzt etwas schmutzig matt, aber abends höchstwahrscheinlich beleuchtet. Ich überlegte kurz, wie man auf die Idee kommt, eine Bar so zu nennen. In Deutschland hatte ich mal eine Comedy-Serie im Fernsehen gesehen, welche WunderBar hieß. Auch wenn ich nicht jeden Witz verstand, empfand ich die Darstellung mit der Bar als Treffpunkt der verrückten Akteure recht amüsant, vor allem die kölsche Komödiantin Carolin Kebekus hatte ein gewisses Etwas. Während ich in derlei Erinnerungen schwelgte, öffnete sich die Eingangstür der Bar und ein langhaariger Mann, den Gesichtszügen nach zu urteilen Japaner, stürmte recht flott heraus und schnurstraks an mir vorbei. Er schien offenbar nicht ganz amüsiert zu sein. Aber er zerschlug meine nächste Sorge – dass die Bar eventuell erst abends geöffnet hätte. So konnte ich nun darauf hoffen, vielleicht sogar etwas Essbares zu bekommen, was mein Magen mittlerweile heftigst verlangte, wie er mir mit halbminütig einsetzendem Knurren mitteilte. Die morsche Holztür war ziemlich schwer, wahrscheinlich beidseitig dick beglast. Sie gab ein leises Knartschen von sich, als ich sie öffnete. Ich trat ein. Im Barinneren erspähte ich spontan drei Menschen, bevor ich den etwas düsteren Innenraum begutachtete – zweie saßen an verschiedenen Tischen, davon ein Mann mit einer Zeitung und Zigarre im Mund, sowie eine junge Frau, die auf mich einen adretten und ziemlich gutaussehenden Eindruck machte. Hinter der Bar wienerte ein wie ein typischer Barkeeper gekleideter Mann gerade Biergläser. Mit dem Rücken zu mir fragte er brummig: „もう一度 ... 今何かがあるか?“ „Entschuldigen Sie...“, begann ich, wusste aber nicht so Recht was ich zum Einstieg überhaupt sagen sollte. Aber der Barkeeper drehte sich überrascht um und unterbrach mich: „Entschuldigen Sie, ich hatte Sie verwechselt. Naja, wahrscheinlich sind Sie dem Burschen begegnet, der gerade hinausgestürmt ist.“ Ich nickte. „Ein unangenehmer Zeitgenosse... kommt manchmal mittags her und lässt hier seine schlechte Laune ab.“ „Einfach so...?“ „Nein nein... aber das ist eine lange Geschichte. Egal... was führt Sie um diese Zeit in meine Bar?“ „Sind Sie der Inhaber? Das ist gut... ehrlich gesagt weiß ich so Recht nicht, was mein Plan ist, aber Ihre Bar wurde mir als Stätte der Lösung für mein Problem empfohlen.“ „Oh... nun zunächst bin ich nicht der eigentliche Inhaber – aber ich mag es, den Schuppen als meine Bar zu bezeichnen.“, erwiderte er mit einem verschmitztem Lächeln und legte sein poliertes Bierglas aus der Hand, ehe er das Handtuch über einen Zapfhahn hängte und sich mir gänzlich zuwendete. „Lösung Ihrer Probleme... tja, wenn ich mir Ihren Magen anhöre, brauche ich nach diesem wohl nicht zu fragen. Oder steckt noch mehr dahinter?“ „Zweifellos. Ich habe nämlich nicht nur Hunger, sondern bin außerdem noch nicht im Besitz meiner Brieftasche und habe eine heftige Nacht hinter mir, an deren Ende ich mich kaum mehr erinnern kann.“ „Sowas kommt vor...“ „Und ein – pardon – sehr seltsamer Kerl hat mir die Lösung für mein Problem von einer fliederfarbenen Karte abgelesen. Die Karte wählte er aus einem Stapel mit Hilfe seiner...“ „Intuition?“ „Sie kennen ihn, schätze ich...?“ „Wahrscheinlich. Es gibt wohl nur eine Person, die mit bunten Karten durch die Gegend läuft und den Leuten etwas vom Himel erzählt.“ „Meine Hoffnung schwindet gerade dahin...“ „Muss sie nicht gänzlich! Sofern Sie mich später bezahlen, kann ich Ihnen zumindest ein Omelette zum Mittag braten. Das hatte ich eh gerade vor.“ Für einen Moment stieg eine ungeahnte Freude in mir auf, denn für etwas zu Essen hätte ich wohlmöglich noch ein Stück meines neuen Mantels abgeschnitten – sofern jemand ein Stück Stoff gebrauchen könnte. Ich faltete die Hände zu einer Dankesgeste zusammen und verbeugte mich kurz. Aber als der Barkeeper und erhoffte Meisterkoch sich an die Arbeit machen wollte, tippte mich jemand von hinten an der Schulter an. „Oh, Lydia...“, brummte der Barkeeper und zog seine buschige rechte Augenbraue hoch. Als ich meinen Kopf herumdrehte, identifizierte ich die Person als die zuvor am Tisch sitzende Schönheit. Überrascht schaute ich sie an. „Keine Sorge, Sie müssen sich nicht an seinen grausigen Kochkünsten quälen. Kommen Sie mit und erzählen Sie mir mehr über Ihre letzte Nacht.“ Äußerst überrascht überlegte ich nicht lange und nickte erneut. Während ich Ihr zu Ihrem Platz folgte, überlegte ich, ob Sie mich möglicherweise attraktiv fand, oder ob ich ganz im Gegenteil in größere Probleme rutschen könnte – wer weiß warum. Man denkt oft man habe nichts zu verlieren und nicht allzu selten wird man irgendwann eines Besseren belehrt. Ich hatte solche Erfahrungen bereits machen müssen.... aber dazu vielleicht später mehr. Die Dame nahm eine Zigarettenschachtel der Marke Arirang vom Tisch und bot mir einen Glimmstängel an. Trotz des schmucken Designs mit einer Hahoetal-Maske und goldener Schrift auf weißem Grund lehnte ich ab. Bei Zigaretten war ich streng genommen schon vor mehreren Jahren ausgestiegen und wenn ich tatsächlich mal das Bedürfnis hatte, gab es für mich nur noch Marlboro, die ich damals in Deutschland zu lieben gelernt hatte. Aber interessant zu sehen, dass es von Arirang also auch Zigaretten gab. Das Phänomen dieser Über-Marken in Korea war an sich kaum auszuhalten, aber zumindest war Arirang nicht ganz so allgegenwärtig wie Hyeondae, Lotte oder Samseong. In Folge machte die Dame eine für mich nicht interpretierbare Handbewegung in Richtung des lässig mit seiner Zeitung in einem breiten Holzstuhl verharrenden Herrn und schaute ihn streng an. Dieser quittierte die Mimik mit einem qualmenden Räuspern und nickte. Obwohl mich der Vorgang etwas in Unsicherheit wog, war es wahrscheinlich einfach nur ein Zeichen, dass der Herr auf ihren hübschen roten Mantel aufpassen sollte, denn in Folge nahm sie mich, den Mantel an ihrem Platz lassend, mit in Richtung einer Holztür, die mir an der Wand zuvor nicht aufgefallen war. Wortlos schloss Sie das Schloss auf und bot mir den Vortritt an. Beim Eintreten in einen überraschend großen und gut beleuchteten fensterlosen Raum fielen mir zuerst wieder die Leute auf, die sich dort befanden – obwohl die Tür abgeschlossen war. Links hinter einem großen Holztisch zwei sehr individuell aussehende, sich unterhaltende Männer; rechts eine etwas ältere Dame, die sich scheinbar um Trank und Speis kümmerte. Ohne uns zu beachten verschwand sie im nächsten Moment durch eine Tür, die offensichtlich zur Küche führte, wo der Raumaufteilung nach auch der Barkeeper sein Omelett braten könnte. Einer der beiden Männer, die just in diesem Moment zu uns herüber schauten und ihr Gespräch unterbrachen, war Ausländer, tendentiell Europäer. Er war ebenso adrett gekleidet wie die Lady, die ich begleitete; seine farbenfrohe Tracht erinnerte teilweise an alte deutsche oder französische Klamotten, in etwa so wie die des Schalkes Till Eulenspiegel, nur vielleicht etwas edler. Er trug dazu noch einen Schnauzbart, eine in Korea nicht gerade häufig zu sehende Sache. An seiner rechten Hand funkelten zwei goldene Ringe. Neben ihm wirkte der andere Mann total normal, aber bei genauerem Hinschauen veränderte sich dieser Eindruck von mir etwas. Er war Koreaner und trug einen teuer aussehenden Anzug, allerdings deutlich eine Größe zu klein. Die Ärmel reichten nur bis zur Hälfte seiner Unterarme und am Oberkörper machte der straff gezogene Stoff den Anschein, als würde die Brust darunter jeden Moment den Knopf des Sakkos und die des möglicherweise ebenso engen hellblauen Hemdes darunter sprengen. Sein Gesicht zierte zudem eine ziemlich fies aussehende rötliche Narbe, die sich vom Hals bis hin zu seinem linken Auge erstreckte. Entweder war sie nicht gut verheilt, oder die Verletzung war noch nicht allzu lange her. Für einen Moment war ich neugierig, aber wollte doch nicht wirklich wissen, was dem Herrn dort wiederfahren war. „Dieser Herr bedarf unserer Hilfe.“, entgegnete die hübsche Frau in Richtung der beiden Männer und beäugte mich dann einen Moment lang prüfend, ebenso wie die beiden Männer hinter dem Tisch. „Aber genehmigen wie uns zuerst ein Odeuvre.“ Ich wusste zufällig, dass das in gediegeneren Gegenden für 'Vorspeise' benutzte Wort Horsd’œuvre aus dem Französischen kam und so etwas wie 'Vor dem Kunstwerk' hieß, aber hier traf die Übersetzung offensichtlich nicht zu – in meinem ganzen Leben hatte ich noch keine so kunstvoll gestalteten Häppchen gesehen, wie die, welche ich in diesem Augenblick auf dem großen, mit einer hübsch designten Tischdecke belegten Holztisch erspähte. Man sagt ja „Das Auge isst mit“, aber anstatt mich zu freuen, verspürte ich eher eine Scheu davor, dieses Kunstwerk zu zerstören. War es mir überhaupt erlaubt, davon zu probieren? Oder würde im nächsten Moment die Küchendame mit einem Wagen hereinkommen, auf dem festlich mit Silberbesteck ein Extrateller serviert würde, unter dessen Käseglocke dann aber nur eine alte Scheibe Graubrot sein würde...? Ganz nebenbei... wo bin ich hier eigentlich? Während ich nun das Naschwerk mit unsicherem und zugleich fasziniertem Blick rundherum musterte, bemerkte ich auf dem Gesicht der Dame ein leichtes Grinsen: „Keine Sorge, warten Sie lieber ab, was danach kommt.“ „Melissa, ...“, wandte sich der etwas wie eine Mischung aus Pirat und reichem Kaufmann aus vergangener Zeit aussehende Mann mit dem Schnurrbart an die Frau zu meiner Linken: „Hast du etwas von Jihoon gehört?“ „Er rief vor einer halben Stunde an“, antwortete diese, den Blick wie ich auf die äußerst lecker aussehenden Häppchen gerichtet, „Wird wahrscheinlich etwas später, aber er kommt.“ Wohl zufrieden entschied sich der Fragende dazu, sich an den Tisch zu setzen und wenig später tat es ihm der Mann mit der Narbe gleich. Kurze Zeit später servierte die Frau aus der Küche wortlos ein zusätzliches Besteck-Service und ohne weitere Minuten zu sparen, begannen wir mit dem Schmaus. Da sich die anderen drei Essenden auffällig viel Ruhe und Zeit ließen, bemühte auch ich mich trotz meines Hungers um möglichst viel Contenance. Aber vor allem der Geschmack der kunstvoll arrangierten Muscheln, sowie der ohne Schale angenehm knusprig gebratenen Langusten ließen die volle Selbstbeherrschung nicht so ganz zu. Nach ein paar Minuten dachte ich mit vollem Mund daran, dass sich scheinbar keiner für meinen Namen zu interessieren schien, ebenso wenig wie ich bisher irgendetwas über irgendjemanden der hier Anwesenden wusste. Aber bevor ich fragen konnte, öffnete sich die Tür hinter mir und eine weitere Person trat ein. „Etwas Musik?“, fragte eine Frau, dessen Wurzeln ich wie auch die des Herrn mit dem Schnurrbart nach Europa zuordnen würde, und orientierte sich direkt nach links, wo ich bei genauem Hinsehen eine Wurlitzer Princess 1015 One More Time zu identifizieren vermochte. Ich hatte eine solche bei einem Freund in Europa gesehen, welcher sich als Sammler und Experte erwies und mich ohne Aufforderung in ein paar Lektionen der Geschichte der Jukebox unterwies. Er selbst besaß ganze sieben funktionierende Modelle verschiedener Jukeboxen in seinem nicht allzu großen Heim, sowie ein weiteres, welches er zur Zeit meines Besuches zu reparieren versuchte. Die Hochzeit der Jukebox waren zweifellos die Sechziger Jahre. Normalerweise wäre ich überrascht, eine solche Maschine im modernen Korea zu sehen, aber die festlichen 'Vorspeisen', die Kleidung der Leute und überhaupt die ganze Situation passten bestens zu weiteren nicht ganz alltäglichen Dingen. Die jüngst eingetretene Frau griff nach einer Fernbedienung – als spätes Modell des Baujahres 1983 besaß diese Jukebox schon eine – und wenig später erklangen die ersten Töne von einem Song, den ich spontan den europäischen oder amerikanischen Vierziger oder Fünfziger Jahren zuordnen wollte. Eine rauchige Männerstimme begann den Liedtext mit den Zeilen „Somewhere beyond the sea, somewhere waiting for me...“ und irgendwie passte die Stimmung des Songs zu der in dem Raum, welcher zu den Ecken hin relativ gedimmt beleuchtetet war. Der breite Holztisch stand ganz mittig im Raum und wurde von der Deckenlampe hell erleuchtet. Als sich die Frau zu uns an den Tisch sitzen wollte, erblickte sie mich etwas überrascht und streckte mir begrüßend ihre Hand hin: „Kang Hyeonjee, angenehm. Sie sind...?“ „Oh, angenehm. Mein Name ist Lee Jinhae.“, antwortete ich erfreut darüber, dass sich jemand so weit 'näher' für mich interessierte. Wobei ich etwas verwundert war, dass sie sich mit einem koreanischen Namen vorstellte. „Wahrheit, wie schön.“, bemerkte die Dame in Rot, die zu meiner Rechten saß. Ich erahnte, dass sie damit die Bedeutung meines Namens meinte, denn das hatte gepasst. Sie fuhr zu meiner Erleichterung fort: „Wir haben uns selbst noch gar nicht vorgestellt.“ „Oh, wie kommt das?“, fragte die andere Frau, während sie den Blick auf den Platz mit dem noch unbenutzten Service richtete, welcher wiederum zur Rechten der anderen Dame war. „Nun, er sah mir so aus, als sollte ich seinen Bauch lieber erst dann mit Fragen löchern, wenn dieser gefüllt wäre.“ Für so zuvorkommend hatte ich sie wirklich nicht gehalten. Ich quittierte es mit einem Lächeln und beendete meine Vorspeise, von der ich ungefähr soviel gegessen hatte, wie normale Leute von einer Hauptspeise malen würden. Die Jukebox spielte mittlerweile „Any old wind that blows“ von Johnny Cash. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)