이상한 경우 (Isanghan Kyeong'u) von Chrolo (Seltsame Situationen) ================================================================================ Prolog: -------- Die Polizei – unser Freund und Helfer. Das war wieder einer dieser hilfsbedürftigen Slogans, denen man jedwede Pauschalität absprechen konnte... zumindest dieser bornierte Krawattenträger meinte es ganz offensichtlich nicht sehr gut mit mir. Um ihm eine Chance zu geben, bastelte ich mir zunächst die Hypothese, dass er seit geschlagenen acht Stunden an seinem verstaubten Schreibtisch säße und wie ein Feldwebel durch den achtzig Zentimeter hohen Stapel an Akten gefegt wäre, so dass er sich nun seine wohlverdiente Mittagspause derart stark ersehnte, dass ihn – ganz verständlich! – für einen Moment seine Manieren verließen. Aber besagter Aktenstapel erwies sich schon bei einem flüchtigen Blick als ziemlich staubig und daher tendentiell seit einigen Tagen nicht angerührt; außerdem war noch keine Mittagszeit und die Wache erst seit mageren zwei Stunden besetzt. „Da lob ich mir die deutsche Arbeitsmoral!“, sagte ich mir innerlich, aber im nächsten Moment schossen mir schon eine Vielzahl an Beispielen durch den Kopf, welche diese gewagte Behauptung sofort wieder in all ihre Atome zerrissen. Im Folgenden dachte ich dann halbwegs zufrieden, dass man in Asien wenigstens pünktlich ein- und abfahrende Züge hatte; aber freilich, mein plötzlich zufriedener Gesichtsausdruck brachte wiederum den unfreundlichen Polizisten am anderen Ende des staubigen Tisches auf die Palme, wie er es mir nonverbal mit einem ganz finstereren Blick mitteilte. Ich entschied mich nach einem kurzen Abwägen zum Gehen und tat dies so wortlos, wie ich zuvor begrüßt wurde. Das Problem war nun, dass mein Anliegen noch Bestand hatte. Ich vermisste meine Brieftasche und mit ihr sämtliche Karten, mein Bargeld und zu allem Übel auch noch meinen Haustürschlüssel. „Gut, dass ich kein Auto besitze“, sagte ich mir zur Aufmunterung, aber einen zumeist großköpfigen Autoschlüssel hätte ich aufgrund Platzmangels in meinem Portemonnaie wahrscheinlich sowieso anderswo aufbewahrt. „...Mist!!!!“ Es soll ja Leute geben, die ihr Auto als Zuflucht oder sogar Wahres Zuhause bezeichnen. Mir fiel bei diesem Gedanken der Manga Homunculus ein, den ich einige Jahre zuvor gelesen hatte. Sicherlich traf auf diese Serie am ehesten das Prädikat „abgefahren“ zu, aber der Hauptcharakter sah sein Auto eindeutig als seine Heimat an und hätte mit dem Verlust eines Wohnungsschlüssels sicherlich weniger zu kämpfen gehabt, als ich in diesem Moment. „Nun was solls... der Herd ist aus, die Fenster geschlossen, Haustiere kaum vorhanden... nun ja, Spinnen verhalten sich tendentiell wie Kakteen, die gehen ohne Nahrung nicht so schnell ein.“ Während ich noch dabei war, meine zwischen totaler Frustration und verzweifelter Rosabrille steckenden Gedanken zu ordnen, erspähte ich zehn Meter vor mir auf dem Bürgersteig einen äußerst sonderbaren Menschen. Er fiel schon dadurch auf, dass er im trüben Novemberwetter oberkörperfrei auf einem umgedrehten Putzeimer stand und seinen präsentierten Körper einige interessante Tätowierungen und Piercings zierten. Erneut dachte ich für einen Moment an Homunculus, musterte den Kerl dann aber ohne Hinzuziehen irgendwelcher Referenzen. Er hatte auch immerhin ein paar Haare auf dem Kopf und unterschied sich so doch deutlich von der fiktiven Figur, die kurz zuvor in meinem Kopf herumspukte. Interessant wurde es, als ich schließlich die offensichtlich mit einem Pinsel hingeklecksten Lettern auf dem Schild erblickte, welches er in der Hand hielt: Ich WEIß, was Sie am MEISTEN begehren – unabhängig davon, ob Sie es selbst wissen Das war vielsagend. Auch ein wenig irreführend, aber in meiner verzweifelten Lage entschied ich mich spontan dazu, dem seltsamen Mann die provozierte Frage zu stellen: „Na, und was ist es, was ich derzeit am meisten begehre?“ Er musterte mich kurz mit leicht verdrehten Augen und antwortete dann mit überraschend tiefer Stimme: „Im Moment ganz offensichtlich ein heißes Bad und ein wenig Ruhe.“ Ganz abgesehen davon, dass er nicht Unrecht hatte, war ich über die ernste Antwort verwundert (erwartete ich doch irgendwas Abgefahrenes, wohl noch im Zusammenhang mit irgendeiner Sekte stehend). Überrascht führte ich den Dialog fort: „Verraten Sie mir, wie Sie darauf kommen?“ „Nun, das war nicht schwierig. Sie zittern wie Espenlaub und die Rotation ihrer Gesichtsmuskeln verrät eine große innere Spannung.“ Hatte er wirklich Rotation gesagt? Leicht amüsiert und umso mehr erstaunt bemerkte ich schnell, dass mein Körper tatsächlich auf die innere Unruhe reagierte. Seltsamerweise antwortete ich ohne groß nach zu denken „Es ist schon irre, dass Sie hier halbnackt bei 10 Grad im Freien stehen und kein bisschen zittern, während ich in meinem dicken Mantel nach einem wärmenden Bad lechze...“ „In der Tat. Sie können mir gerne erzählen, was Sie zu ihrem Gemütszustand geführt hat. Dann kann ich eventuell tatsächlich...“ „Helfen?“ „Natürlich.“ „Ganz schön selbstbewusst.“ „Nicht ohne Grund.“ „Ich bin skeptisch...“, sagte ich, meine ziemlich aufgeschmissene Situation bedenkend, ungewöhnlich voreingenommen. Aber wer wäre beim Anblick dieses sonderbaren Mannes nicht skeptisch... „Nicht ohne Grund.“, sagte er erneut, steckte die linke Hand in die linke Tasche seiner recht interessant designten Hose und holte einen Stapel verschiedenfarbiger Karten heraus, welche auf der Rückseite zudem mit je einem chinesischen Zeichen beschriftet waren. „Dies hier... keine Sorge, sind keine Karteikarten zum Lernen von Hancha. Es sind Visitenkarten von speziellen Orten. Manche der Orte befinden sich nicht in nächster Nähe, aber ich versichere Ihnen, dass sie Probleme lösen. Jedes Problem.“ „Aaaah ja“ war meine verdutzte Antwort. „Es ist allerdings nur ein einziger Ort für Sie bestimmt. Und diesen müssen wir zuerst herausfinden.“ „Und ist schon einmal jemand von seinem Ort zurückgekehrt?“, antwortete ich zunächst flapsig, wurde dann aber doch von einem gewissen Interesse bemannt, zu erfahren, welcher interessante Ort wohl für michbestimmt wäre. Den etwas ausdrucklosen Blick des Mannes wertete ich nicht als abschätzig und kam einer Antwort zuvor: „Unabhängig davon – wie finden Sie diesen einen zu mir passenden Ort heraus?“ „Im Grunde benötige ich ein paar Infos, aber das wichtigste ist meine Eingebung. Ich besitze so eine Art übernatürliche Begabung...“ Nun wurde ich beinahe etwas ungehalten, da er mich offensichtlich für dumm verkaufte, aber aus reiner Neugierde hielt ich mich trotzdem zurück und brachte mich sogar dazu, die grundsätzlichen Informationen über meine Situation preiszugeben, da ich meiner Meinung nach nichts mehr zu verlieren hatte. Außer vielleicht meinen Stolz. „Nun verstehe ich Ihre innere Unruhe.“, entgegnete der Tätowierte mit demselben ausdruckslosen Blick, machte mir aber mittels einer Geste mit seinem Zeigefinger unmissverständlich klar, dass er auch für derlei Probleme eine Lösung zu wissen schien. „Anhand dieser Informationen kann ich die Wahl bereits sicher auf zwei Orte einschränken. Den Rest...“ Er wählte aus seinem Stapel zielsicher eine lavendel-farbene Karte mit dem in seinen vielen Bedeutungen auf Geburt und Existenz zentrierten Zeichen 生und in Folge eine matt giftig-grüne mit dem Zeichen 虹 für Regenbogen hervor. Die anderen ließ er wieder in seiner Tasche verschwinden, bevor er die beiden ausgewählten Karte mit der Rückseite nach oben in die offene Handfläche seiner Linken legte. „Regenbogen klingt gut... ich habe gehört, dass man am Ende eines Regenbogens nach Gold suchen kann.“, murmelte ich etwas verdrossen, wartete aber gespannt auf die Wahl einer der Karten und vor allem dem sich dahinter versteckenden Ergebnis. Mit der rechten Hand fuhr der seltsame Mann in Folge fünfmal in einer Kreisbewegung über die beiden Karten in seiner linken, bis er die Bewegung abrupt anhielt und für etwa zehn Sekunden ausharrte. „Ja... das ist eine Entscheidung. Eine Lösung für Ihre Probleme werden Sie hier finden.“, sprach der Magier mit viel Selbstbewusstsein in der Stimme, und drehte mir unverzüglich die lavendel-farbene Karte hin, auf dessen Vorderseite nur drei Zeilen standen. SonderBAR – Entdecken Sie... 412, Hangang-daero Jung-gu, Seoul 100-714 Etwas verwirrt betrachtete ich die Zeilen eine Weile und schaute dann leicht argwöhnisch den Mann an, der mir den Ort meiner Bestimmung in die Hand gedrückt hatte. „Wenn Sie also Ihr wahres Glück suchen... finden Sie die SonderBAR und entdecken Sie...“ „Alles klar, dann weiß ich ja Bescheid.“ „Sie halten das für einen miesen Scherz.“ „Ich bin kein guter Schauspieler...“ „Wahrlich nicht.“ „Und was halten Sie davon, wenn ich trotzdem zu diesem Ort gehe?“ „Das bleibt allein Ihre Entscheidung. Ich helfe Leuten gerne... aber ich leite sie nur an“ „Ziemlich egoistisch“ „Ach...?“ Für einen kurzen Augenblick fühlte ich eine falsche Überlegenheit, aber nach einem Moment fand ich diese Unterstellung genau so daneben wie die Piercings im Gesicht des Mannes, welche sich an beiden Wangen, an der Nase, dem rechten Ohr und neben dem linken Auge befanden und in drei verschiedenen Größen und tendentiell bronzenem Farbton (mochte es leichter Rost sein?) einen wirklich seltsamen Eindruck machten. „Nein, Sie verlangen ja kein Geld.“ „Ist das so...?“ Für einen kurzen Moment erschauderte ich und fühlte einen kalten Stromschock durch meine Adern fließen, aber im nächsten schon lächelte der Mann und drückte amüsiert eine Entschuldigung für seine Neigung zu üblen Scherzen aus. „Nun, ich werde dann mal weitergehen. Passen Sie auf sich auf.“, waren letztendlich meine Abschiedsworte und sie waren genauso unsicher gewählt, wie der komplette Dialog mit dem tätowierten Zauberer. Ich ärgerte mich schon im selben Moment darüber. „Passen Sie auch auf. Viel Glück...... und... entdecken Sie!“ Ich drehte mich um und ging ohne groß darüber nachzudenken zurück in die Richtung aus der ich zuvor kam, an der Polizeistation und einigen Restaurants und Geschäften vorbei. Dabei ignorierte ich zwei hochmotivierte Straßenverkäufer, die mich wohl für Handyhüllen, Schals und seltsame Socken begeistern wollten. So etwas passierte öfters und ich schob es irgendwann auf mein leicht ausländisches Aussehen. Aber zu mir verliere ich später ein paar Worte... Nach einer Weile musterte ich die Umgebung und entschied, mit der U-Bahn zur Seoul Station zu fahren, von wo aus es nicht weit bis zu der auf dem Kärtchen angegebenen Adresse wäre. Ich wusste das zufällig genau, da zwei Häuser weiter die Deutsche Botschaft residierte. Auf dem Weg zum nächsten U-Bahnhof dachte ich darüber nach, was wohl auf der grünen Karte mit dem Zeichen für Regenbogen gestanden hätte. Ich überlegte kurz, ob ich zurückgehen und den Mann fragen sollte, aber als ich mich umdrehte, gab mir irgendetwas Unbegreifliches das Gefühl, dass ich den Mann nicht mehr an seinem Platz fände, falls ich zurückgehen würde. Ein weiterer Gedanke sagte mir im Kontrast dazu, dass ich den tätowierten Mann trotz allem nicht zum letzten Mal gesehen haben sollte – und während ich den ersten Gedanken bis heute nicht überprüfen kann, sollte ich mit dem zweiten Recht behalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)