Feenkreis von Salai ================================================================================ Kapitel 1: Lügner ----------------- Die Luft roch nach einer Regennacht und jungen Pilzen. Der Tau glitzerte schwach im sanften Morgenlicht, das Mühe hatte das Moos auf dem Waldboden durch das dichte Laub der Baumkronen zu erreichen. Die Sonne warf goldene Flecken auf den smaragdgrünen Samt der Flechten. Zwischen den dunklen Stämmen der majestätischen Eichen lag dichter Nebel, wie der Atemhauch eines Riesen im Winter. Hoch oben in den Ästen waren die Vögel schon munter und ab und an blitzte lautlos das glatte Gefieder einer Schwinge durch das Laubdach, nur um gleich darauf verschwunden zu sein, wie ein Blitz, der über den Himmel huschte, ehe der Donner den Gefährten einholen konnte. Ab und an drang der Ton eines entfernten Knacken von Holz an das Ohr des Jägers. Doch hatte er das Wild das er suchte noch nicht erspäht. Um einen Hirschen oder eine seiner Kühe zu schießen musste er erst noch eine Lichtung finden. Ein Rascheln ertönte im Geäst über seinem Kopf, dann fiel ein kleiner Bund aus drei braunen Eicheln vor Thors Füße und ein fuchsrotes Eichhörnchen huschte den Stamm hinauf, sprang mit einem kühnen Satz auf den benachbarten Baum und verschwand zwischen dem grünen Laub. Der junge Hüne bückte sich nach den Nüssen und steckte sie in den Beutel an seinem Gürtel. In dem Moment, da er den Blick wieder auf seinen Pfad richtete und zwischen zwei dicht beieinander stehenden Bäumen trat, konnte der Prinz Asgards fühlen, wie ihm unvermittelt der unsichtbare Schleier eines Spinnengewebes auf das Gesicht fiel. Die dünnen Fäden waren kalt und feucht vom Tau. Eng legte sich ihm das klebrige Gespinst über Augen, Mund und Wangen. Die Spinne, die im Zentrum gesessen hatte, lief ihm über die Wange und stakste mit den langen Beinen ungelenk durch das blonde Haar seines Barts um vor dem unbekannten Angreifer zu fliehen. Voller Ekel über den unvorhergesehenen Zusammenstoß fuhr Thor sich mit einem Fluch auf den Lippen über das Gesicht um Tier und Netz von sich zu streichen. Um das Gefühl der langen Beine an seinen Lippen zu vertreiben spuckte er aus. Thor horchte auf. Gerade noch hatte er gewiss zu viel Lärm gemacht als dass er sich nicht an etwaige Beute verraten hätte. Die Vögel in der Nähe waren misstrauisch verstummt während er modriges Holz unter seinen Stiefeln zertreten hatte. Ein aufgescheuchter Hase floh ins Dickicht. Das geschäftige Scharren im Schutz des Unterholzes war verklungen und der Wald schien den Atem anzuhalten und dem Eindringling zu lauschen. Doch in der plötzlichen Stille glaubte er ein geisterhaftes Lachen zu hören. Es klang wie das Läuten von kleinen Silberschellen am Zaumzeug mit dem eine hohe Herrin ihr Reittier schmückte, wie das Wispern von Wind, der das Rauschen einer kristallklaren Quelle mit sich führte oder Herbstlaub in einem wilden Tanz von den Kronen riss. Eine Bewegung am Rand seines Sichtfelds ließ ihn herumfahren. In derselben Bewegung lag ein Pfeil auf der Sehne seines Bogens, mit dem gefiederten Schaft an seiner Wange. Das Erstaunen über das spöttische Lachen hatte sich schnell zur wütenden Scham gewandelt, als ihm bewusst wurde, dass der fremde Beobachter sich über ihn amüsierte. Der Schemen einer schlanken Gestalt verschwand gerade im Nebel und Dickicht des Waldes, fast so schnell, dass Thor an seinem Augenlicht gezweifelt hätte, wäre nicht das Lachen erneut erklungen, dieses Mal deutlich zu vernehmen und ein böser Streich gegen seinen Stolz. „Dir werde ich das Lachen austreiben!“ Angetrieben vom Stachel des Spotts in seinem Fleisch setzte Thor dem Fremden nach, ohne auch nur kurz darüber nachzudenken. Dass der Lärm ihm die letzte Chance auf sein Jagdglück nahm, war ihm nun egal. Der feige Hase, der sich vor ihm durch das Gebüsch schlug, schien ihm gerade eine rechte Beute und dem Burschen konnte er das Fell genauso gut gerben. Die Antwort auf seinen Zorn war dasselbe Lachen, neckend und beißend im Hohn. Wo Thor zuvor vermieden hatte Äste zu brechen, stürmte er nun geradewegs hinter dem anderen drein, dass man meinen konnte, ein wilder Eber wäre rasend geworden. Der kurze Schmerz der dünnen Äste, die ihm ins Gesicht peitschten, ließ ihn nur schneller laufen. Aber egal wie sehr er es versuchte, der andere war ihm immer genauso weit voraus wie zuvor. Im nebelgrauen Wald sah er den dunklen Umriss, der zwischen den Büschen so Mühelos hindurch schnellte wie ein flinkes Hermelin, während er ständig im Gestrüpp hängen blieb. Als Thor endlich außer Atem, aber nicht gewillt war aufzugeben, wurde der Wald lichter und er stolperte auf eine Lichtung, in deren Mitte sich ein flacher Hügel wölbte. Sein Ziel war nun nicht mehr in dem dichten Nebel gehüllt. Thor konnte dunkles Haar erkennen, das um die schmalen Schultern flatterte. Kaum auf offenem Feld, setzte der Verfolgte zum Lauf an, aufrecht, mit weit ausholenden Schritten und scheinbar so unbeschwert wie eine schlanke Hirschkuh. Thor versuchte aufzuschließen, doch als er näher kam schlug der andere einen Haken und verschwand hinter dem Stamm einer knorrigen Esche, die so alt und so groß war, dass mancher Tölpel sie gewiss für Yggdrasil halten mochte. Thor rutschte in den ledernen Stiefeln auf dem noch nassen Gras und wäre beinahe gestolpert als er seinen Lauf bremste und die andere Richtung um den Stamm einschlug, immer darauf achtend, ob der andere nicht auf der anderen Seite wieder das Weite suchen würde. Allmählich fiel er von seinem Trab ins Gehen zurück, schwer nach Atem ringend. Wieder ertönte das helle Lachen, doch nicht von der anderen Seite des Stammes, sondern von oben. Thor knirschte mit den Zähnen und legte den Kopf in den Nacken. Mit den grünen Kleidern war der Junge im Blattwerk kaum auszumachen. Aber das schwarze Haar fing Thors suchenden Blick wieder. Fast über ihm, auf einem dicken Ast und außerhalb seiner Reichweite, saß der Kobold, der ihn zum Narren halten wollte, mit einem breiten Grinsen im Gesicht und mit Augen von so unbestimmbarem Charakter wie der Wald selbst. Gerade funkelte das Grün wie ein warmer Teich, über den Libellen mit ihren blitzenden Flügeln huschten und auf dessen tiefer Grund der Tod lag. Die schwarzen Strähnen waren durcheinander geraten und erinnerten an vom Sturm zerzauste Rabenschwingen, während die Haut so weiß war wie des Winters Stolz. Ein sehr hübscher Anblick, über den der Prinz seinen Zorn fast vergessen hätte, hätte der Kobold nicht den Mund aufgesperrt, um es Schande regnen zu lassen. „Kein Wunder, dass der Hase entwischt ist. Ungeschickter hätte sich nur ein dummer, fetter Troll angestellt.“ Thor verschlug es im ersten Augenblick über soviel Frechheit die Sprache. Schon fuhr der Plagegeist fort. „Ein Troll hätte wenigstens noch einen Stein hinterher geworfen und vielleicht getroffen.“ „Steine habe ich keine. Nimm doch mit einem Pfeil Vorlieb?“ Thor spannte den Bogen ein zweites Mal und richtete die Waffe nach oben. Der Junge regte sich nicht. Er schien sich nicht im Geringsten bedroht zu fühlen und Thor merkte, wie sie Spannung seinen Arm verließ. Der Junge hatte ihm wohl angemerkt, dass er ihn nicht einmal im Zorn erschossen hätte. Das triumphale Lächeln auf dem blassen Gesicht, als er die Waffe senkte, war jedoch Reisig auf seiner schwelenden Wut. Thor steckte den Pfeil zurück in den Köcher an seiner Hüfte und nahm den Bogen wieder auf den Rücken. „Komm herunter.“ „Komm herauf.“ „Irgendwann musst du vom Baum steigen und ich kann hier so lange ausharren. Wenn du jetzt runter kommst, werde ich ein Auge zudrücken anstatt dich zu versohlen.“ „Und wenn du lügst, prügelst du mich. Ich wäre schön blöd.“ Die Situation wurde Thor unangenehm. Er wusste schon nicht einmal mehr, warum er sich dazu hatte hinreißen lassen dem anderen nachzulaufen und er wüsste auch nicht, was er mit ihm gemacht hätte, hätte er ihn erwischt. Dass der Junge nun eine denkbar schlechte Meinung von ihm zu haben schien, kränkte Thor noch mehr im Stolz als es das spöttische Hohngelächter über seinen Misserfolg getan hatte. „Ich lüge nicht“, versuchte er es mit bestimmten Tonfall und versuchte dabei gleichzeitig ein wenig versöhnlich zu klingen. „Genau das würde ein Lügner behaupten“, konterte die Krähe auf dem Ast nonchalant und schlug die baumelnden Beine übereinander. Thor schnaubte. „Mir scheint, du hast Ahnung“, rief Thor hinauf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Würde ich lügen, hätte ich gelogen, würde ich behaupten, ich hätte nie gelogen?“ Mit dieser Wendung hatte Thor nicht gerechnet. Den Inhalt des Satzes verstand er nicht einmal zur Hälfte, aber sich eine weitere Blöße zu geben indem er es zugab, mochte er nicht riskieren. Mit leicht offenem Mund sah er nach oben, während ihm keine rechte Antwort auf das Rätsel einfallen wollte. „Dann willst du also dort oben sitzen bleiben, bist du runter fällst oder festwächst?“, versuchte Thor das Gespräch zum Ausgangspunkt zurück zu führen. „Hm. Ich merke, du bist vermutlich genauso stur wie ich, darum ein fairer Vorschlag: Wenn du mir deinen Namen verrätst, komme ich herunter“, rief der Junge, dem das alles noch immer viel zu großes Vergnügen zu bereiten schien. „Tust du das?“ Die Skepsis in der Stimme des blonden Hünen wurde wieder mit Lachen quittiert. Dieses Mal klang es sogar recht angenehm in Thors Ohren. „Jawohl“, versprach der Junge und malte mit dem Finger ein Kreuz in die Luft, um den mündlichen Pakt zu bezeichnen. Thor musterte ihn kurz, dann nickte er leicht und lege die Hände an die Hüften. „Mein Name ist Thor, Sohn des Odin.“ „Und von Stund an sollst du mein sein, Thor Odinson“, krähte der Kobold vergnügt und kam wirklich vom Ast herunter, indem er sich erst daran klammerte und dann ins weiche Gras fallen ließ. Die Geduld Thors war reichlich strapaziert worden. Als der Junge sich aufrappelte wollte er nach ihm greifen um ihn am Kragen zu packen. Schnell machte er einen Schritt auf ihn zu. Im nächsten Augenblick erstarrten seine Glieder, als wäre er zu Stein geworden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)