Fairyrytales von Apricot ================================================================================ Prolog: Once Upon A Time... --------------------------- „Ryder?“ Der Angesprochene gähnte leicht, öffnete aber nicht seine Augen. „Mh?“, fragte er müde. „Ich kann nich‘ schlafen.“, nuschelte Ryan. „Alles dreht sich. Das’s unangenehm.“ Ein Grinsen schlich über Ryders Züge. Ja, es war kein Wunder, dass sich alles drehte; Ryan hatte wirklich verdammt viel gebechert. Natürlich hatte er das – sonst wären sie jetzt nicht hier, in Ryders Bett, beide nur in Boxershorts. Ryan an Ryder gekuschelt, so, dass seine goldene Mitte jetzt an Ryders Hintern lag. Ryan mochte es, an Ryders Rücken zu sein; das hatte der schon damals vor mehreren Jahren herausgefunden, als sie sowas hier die ersten Male gemacht hatten. Sie hatten es nie ausgesprochen, aber Ryder war sehr zufrieden damit, immer der kleine Löffel zu sein, wenn sie zusammen im Bett lagen. „‘s tut mir Leid“, murmelte Ryder zurück, immer noch müde. Er selbst war nicht so betrunken wie Ryan, nicht mal annähernd. Aber er musste auch nicht betrunken sein wie Ryan, um das hier durchzuziehen. Wobei der Junge sich ja wirklich signifikant verbessert hatte! Immerhin machte er das hier komplett willentlich und man musste ihn nicht zu seinem Glück zwingen – und außerdem erinnerte er sich noch am nächsten Morgen an alles. Das war gut. Vor allem für Ryder: denn so hatte er hier wunderbar unverbindlichen Sex, ohne weiteres befürchten zu müssen. Okay, zugegeben, das hier war erst das zweite Mal, dass sie sowas gewagt hatten, seit dem, was vor einanhalb Jahren passiert war, aber… es war ein Fortschritt, definitiv. „Aber… was soll ich denn dagegen machen?“, vollendete er seine Frage. „Keine Ahnung.“ Ryan seufzte, wobei sein heißer Atem gegen Ryders Nacken schlug. Auf seinem Rücken bildete sich sofort eine Gänsehaut, während seine Lippen sich zu einem Grinsen formten. „Aber du muss was machen.“ „Runde Zwei?“, fragte Ryder zurück. Jetzt drehte er sich doch mal in Ryans Armen um und öffnete seine Augen, auch, wenn er in der Dunkelheit des Zimmers nicht viel erkennen konnte. „Glaub nich‘ dass ich noch einen hoch bekomme.“, gab Ryan zurück. „Wollen wir wetten, dass ich das ändern kann?“ Ryder lächelte, fing aber gar nicht erst an, vorzuschlagen, dass sie es auch anders rum machen könnten. Das ging nicht, natürlich nicht. Das war Ryan. Ryan war ‚hetero‘. Er machte schon das hier, zu mehr könnte er ihn wohl niemals zwingen. „Nah…“ Ryan lehnte seine Stirn gegen Ryders, bevor ein weiteres Seufzen folgte. „Was dann?“ Ryders Hand fuhr noch während der Frage über die Seite von Ryans nackten Oberkörper, einfach nur um die Seite von dem Six-Pack zu erfühlen, das Ryan da hatte. Der Junge war so verdammt muskulös, seit er vor zwei Jahren dem Football-Team beigetreten war; und Ryder hatte da anfangs sogar noch gegen protestiert! Zum Glück hatte Ryan nicht auf ihn gehört. „Keine Ahnung.“ Ryan gab einen Laut von sich, der verdächtig nach Schluckauf klang. Ob ihm schlecht war? Daaaas könnte verdammt unschön enden. „Mom hat mir früher Märchen erzählt, wenn ich nich‘ schlafen konnte.“ Ryder blinzelte ein paar Mal. Okay, Ryan musste wirklich betrunken sein, wenn er sogar schon von seiner Mutter erzählte. Das machte er sonst nie – also, wirklich nie. „Soll ich dir ein Märchen erzählen?“, fragte Ryder schließlich, ein Grinsen auf den Lippen. „Mhm.“, gab Ryan zurück. „Aber… nich‘ so’n Standard-Scheiß. Überleg dir was cooles. Und… kein Happy End.“ Ryder zögerte einen Moment lang. „Okay…“, murmelte er dann leise. „Was hältst du davon: ein Märchen von dir und mir?“ Ryan gluckste wieder. „Schieß los“, gab er schließlich schnell zurück. „Hm…“ Kurz überlegte Ryder noch, damit er besser ins Detail gehen konnte. „Magst du Arielle, die kleine Meerjungfrau?“ „Hab’ch als Kind oft gesehen.“ Ryan grinste kurz, „Wegen Joody. Aber ja… fang an.“ Ryder sortierte nochmal einen Moment seine Gedanken, aber wahrscheinlich würde sich sowieso ein Großteil der Geschichte beim Erzählen selber ergeben. Wobei er schon einen ungefähren Plan hatte… „Okay“, murmelte er dann schließlich. „Es war einmal…“ Kapitel 1: The Little Merman ---------------------------- Die Beine des dreijährigen Ryan tapsten ungeschickt über den Steg Richtung Meer. Seine Eltern bemerkten ihn nicht - sie lagen gerade am Strand und stritten sich, was Ryan in seinem Alter noch nicht so ganz verstand. Sie waren aber in letzter Zeit öfter so laut geworden, seit seine Mutter sein zukünftiges Geschwisterlein in ihrem Bauch spazieren trug. Ryan hatte noch nicht so wirklich verstanden, was seine Eltern damit meinten, aber offensichtlich würde er bald eine 'Schwester' bekommen - was auch immer das war. Was er aber wusste war, dass der Strand für ihn ein kleines Abenteuer war. Er war so groß und so voller Sand, das war total toll! Und er fand voll viele 'Muscheln' (das Wort hatte Mommy ihm erst heute Morgen erklärt… voll cool, oder?), die aber total leicht kaputt gingen. Mindestens so interessant wie der Strand war aber eben auch der hölzerne Steg, der immer so ein tolles Geräusch machte, wenn Ryan da mit vollem Körpergewicht drauf sprang. Genau das machte er auch, solange, bis er das Ende des Stegs erreicht hatte; immer ein bisschen Anlauf nehmen, Sprung, wumm, Anlauf nehmen, Sprung, wumm... Bis er schließlich das Ende des Stegs erreicht hatte. Hier hörte er seine Eltern gar nicht mehr streiten, was irgendwie ziemlich schön war. Außerdem konnte er von hier aus voll über das Meer sehen, was so unglaublich übergroß war, das Ryan es kaum glauben konnte. Vom Strand war das ja schon groß, aber hier am Ende des Stegs...! Boah! Ryan machte große Augen, wobei er gar nicht merkte, wie nah er am Rand des Stegs stand. Gut, genau genommen merkte er es schon, er dachte nur nicht darüber nach. Erst, als sich einer der 'Möwen' (ebenfalls ein Wort, dass seine Mutter ihm erst kürzlich beigebracht hatte) bemerkbar machte, drehte er sich geschockt um. Die Dinger waren riesig (jedenfalls in seinen Augen), mindestens so groß wie er und machten ihm ungeheuer Angst. Und gerade im Moment kreischte eine - direkt hinter ihm! Ryan machte einen kleinen, erschrockenen Sprung, der von der Distanz wahrscheinlich ziemlich lustig ausgesehen hätte. Dabei versuchte er sich zu drehen, um vor dem Bösewicht zu entkommen... Es war im Endeffekt kein Wunder, dass er das Gleichgewicht verlor. Instinktiv ruderten seine kleinen, möglicherweise etwas plumpen Arme, aber es war zu spät: Die Möwe hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er rückwärts von ihr weg fiel - also direkt ins Meer. Es blieb Ryan kaum noch Zeit, darüber nachzudenken, dass er keine Schwimmflügel anhatte und er ja gar nicht im Badeanzug war, als das kalte Meer ihn auch schon umschloss. Überrascht von der plötzlichen Kälte machte Ryan im ersten Moment gar nichts. Er wusste gar nicht, was er tun sollte, nur, dass seine Augen brannten, wenn er sie aufmachte. Deshalb kniff er sie zusammen und wollte einen tiefen Atemzug nehmen, was sich als Fehler herausstellte. Es war ein bisschen so, als ob er zu viel Orangensaft auf einmal getrunken und sich daran verschluckt hatte, nur konnte er es irgendwie nicht mal richtig aushusten. Nein, wenn er hustete wurde es sogar nur noch schlimmer! Je länger er unter Wasser war, desto schlimmer fühlte sich sein Körper an. Er konnte einfach nicht mehr atmen, das Wasser schmeckte ganz grausig und unerklärlicherweise bekam er zunehmend Angst. Sein Instinkt brachte ihn dazu, seine Arme und Beine schwach zu bewegen, aber das brachte ihm nichts - er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, er wusste gar nicht, wo er hin musste und ihm war nicht mal mehr wirklich klar, wo er genau war. Gerade, als er das Bewusstsein verlor und seine Augen panisch wieder öffnete, sah er ein Gesicht vor sich. Im letzten Moment spürte er noch, wie eine Hand sich um sein Handgelenk schloss. Als er wieder aufwachte, mit einem schrecklichen Husten der ihm im Brustkorb weh tat, lag er auf einer sandigen Fläche. „Ryan?!“, fiepste eine aufgeregte Frauenstimme - die seiner Mutter. „Ganz ruhig, Schatz“, murmelte sein Vater. „Es geht ihm gut. Ich hab dir doch gesagt, es geht ihm gut...“ Ryan merkte, wie ihm eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen wurde, aber das hielt ihm nicht vom Husten ab. Mensch, er wusste gar nicht, das husten so weh tun konnte! Aber obwohl er wieder an Land war, erinnerte er sich noch gut an das Gesicht, das er eben gesehen hatte - dieses Gesicht von der Person, die ihn gerade gerettet hatte. Als Sechsjähriger bekam Ryan erstmalig die Chance, ohne Schwimmflügel im Meer zu schwimmen. Er konnte zwar schon davor schwimmen, aber das war das erste Mal, dass sie seitdem als Familie an ein Meer gefahren waren. Naja, ohne Mama halt, weil die gerade irgendeinen Auftrag in einem anderen Land hatte. Irgendwas mit Biologie, glaubte Ryan, so etwas in der Art hatte sie jedenfalls gesagt. Sein Papa hatte erst Angst gehabt, weil Ryan seit drei Jahren nicht mehr am Meer gewesen war, aber Ryan freute sich unheimlich auf das Meer - und ab dem Zeitpunkt, ab dem sie am Strand waren, verbrachte Ryan fast jede Sekunde im Wasser. Sein Vater versuchte währenddessen sich um Ryans Baby-Schwester zu kümmern und gleichzeitig auf Ryan aufzupassen. Nur schien das nicht sonderlich leicht zu sein, denn es schien ihm im ersten Moment gar nicht aufzufallen, wie weit Ryan im Meer heraus schwamm. Es war schon spät, weshalb Ryan entschlossen hatte, zu der Sonne zu schwimmen, die schon so halb im Wasser war. Nur war das nach einer Weile echt anstrengend, aber er gab dennoch nicht auf - immerhin kam die Sonne mit jedem seiner Schwimmzüge näher! „Du solltest aufpassen“, hörte Ryan dann aber plötzlich eine tiefe, ruhige Stimme. „Nochmal rette ich dich nicht vorm Ertrinken.“ Tatsächlich hörte Ryan geschockt auf, weiter Richtung Sonne zu schwimmen. Stattdessen schwamm er auf der Stelle und drehte seinen Kopf schnell zu der Person, die da gerade zu ihm gesprochen hatte. Und... da, es war ein Junge! Ein echt alter Junge, so um die Achtzehn, der da genau vor ihm auf der Stelle schwamm. Aber... das war nicht irgendein Junge! Das Gesicht... Ryan merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. „Ich kenne dich!“, stellte er mit quietschiger und ein bisschen erschöpfter Stimme fest. Der Junge runzelte die Stirn. „Ich hoffe doch, das du mich noch kennst, Ryan“, erwiderte er. „Ich rette nicht jeden Tag Leute vorm Ertrinken.“ Ryan war zu verwirrt, um zu bemerken, dass der andere Junge – der Junge, der ihn damals gerettet hatte! – seinen Namen kannte, obwohl Ryan ihm den doch gar nicht verraten hatte. Dafür sah er jetzt zum ersten Mal seit einer Ewigkeit zurück zum Strand, der mittlerweile echt weit weg war. „Das schaff ich nicht...“, murmelte Ryan erlegen. Der Junge seufzte. „Ich weiß“, sagte er. „Deshalb bin ich hier.“ Und noch ohne groß was zu sagen drehte der andere Junge sich, sodass er Ryan den Rücken zu wandte. Ryan verstand, was er wollte, weshalb er rüber zu dem Jungen schwamm und seine Arme um dessen Hals legte. Nicht eine Sekunde dachte er an all die Male, an denen seine Eltern ihm gesagt hatten, dass man sich vor Fremden in acht nehmen sollte. Nicht unbedingt, weil er nicht daran vergaß – sondern weil er diesem Jungen einfach sofort vertraute. Dem Jungen mit dieser einwickelnden, faszinierend tiefen Stimme… „Wie bist du hierher gekommen“, murmelte Ryan, als der andere Junge sich in Bewegung setzte. Er schwamm irgendwie komisch, aber Ryan störte das nicht, solange sie ans Ziel kamen. Vielmehr fragte er sich, woher der andere Junge gerade so schnell gekommen war - der Strand war bis auf sie eigentlich ziemlich leer und außer Ryans Familie waren da nur ein altes Ehepaar und ein paar Mädchen gewesen, aber ganz sicher nicht dieser Junge. Jedenfalls nicht so nah im Wasser, das wäre Ryan doch beim ganzen schwimmen aufgefallen! Der Junge ließ sich ein bisschen Zeit, bevor er antwortete. „Ich komm immer, wenn du meine Hilfe brauchst, Ryan.“ Ryan überlegte kurz. „In Ordnung“, sagte er dann, bevor er seinen Kopf an die Haare des Jungens lehnte. Der brachte ihn aber nicht ganz zum Strand, sondern nur in die Nähe davon, bis er anhielt. „Ab hier schaffst du's alleine, oder?“ Ryan nickte und ließ von ihm ab. Er hatte sich gerade eh genug ausgeruht, das er wieder ein bisschen schwimmen konnte. „Danke“, sagte er, als sich der Junge wieder umdrehte. „Keine Ursache.“ Ryan lächelte nochmal verhalten, bevor er wieder zurück Richtung Strand schwamm. Erst nach ein paar Metern fiel ihm ein, dass er ja theoretisch noch nach seinem Namen fragen könnte – Dad sagte immer, das höflich –, aber als er über seine Schulter sagte, war der Junge schon wieder weg. „Wusstest du, dass der See zum Meer verbunden ist?“ Ryan schaute nur wenig interessiert zu seiner kleinen Schwester, die schon seit Stunden Infos über den See raus haute, an dem sie gerade campten. Infos, die sie von irgendeiner komischen Tafel abgelesen hatte - und die sie im Grunde nur raus posaunte, weil sie so stolz war, das sie überhaupt lesen konnte. Und das gerade mal mit fünf Jaaahren! Ja, echt, tolle Leistung, Judy. Nur weil Ryan länger gebraucht hatte… „Wieso ist er dann nicht salzig?“, fragte der mittlerweile achtjährige Ryan mürrisch. Aber statt auf seine Frage zu antworten, sagte das Mädchen nur: „Wusstest du, dass in dem See genug Wasser ist, um mindestens füüünfzig Schwimmbecken zu füllen?“ „Ich glaube, das reicht für mehr als fünfzig Schwimmbecken, Judy“, brummte ihr Vater, der neben ihnen auf einem Handtuch saß. „Gar nicht wahr!“, sagte Judith - und das nahm Ryan als Stichwort. Denn jetzt würde seine Schwester erstmal auf ihren Vater einreden und er hätte seine Ruhe. „Ich geh schwimmen!“, erklärte er, sprang auf die Füße und rannte so schnell weg, dass seine Schwester gar nicht sagen konnte, das sie mitwollte. Er rannte auch tatsächlich ins Wasser, direkt in den See rein, so schnell das eben ging. Er fing auch direkt an zu schwimmen (er liebte es einfach, zu schwimmen!), so weit, dass er die Stimme seiner Schwester erstmal nicht mehr hörte. Etwas weiter draußen fühlte er sich auch gleich wohler, auch, wenn ihm dieser eine Fakt seiner Schwester nicht mehr aus dem Kopf ging. Der See war verbunden zu dem Meer... aber hieß das dann nicht auch, das...? Nur wusste Ryan nicht, wie er ihn rufen sollte. Natürlich könnte er wieder so weit raus schwimmen, das er nicht mehr zurück kommen würde, aber wenn es nicht klappen und er nicht kommen würde? Immer noch überlegend schwamm Ryan weiter, bis er die kleine Holzinsel erreichte, die nicht sonderlich weit vom Strand auf dem See trieb. Sie war mit Ketten am Boden unten verbunden, wie Ryan in den letzten Tagen festgestellt hatte. Nichts weiter Besonderes, nur heute war diese kleine Holzinsel leer – was ziemlich perfekt für Ryan war. Über eine Leiter kletterte er nach oben, bevor er sich flach auf den Bauch legte. Die Insel war rechteckig gemacht worden, weshalb Ryan sich an den Holzrand legte, der weg von dem Ufer des Sees lag. Seinen Kopf hielt er ebenfalls über dem Rand, sodass er ins Wasser schauen konnte, während er seine Hände ein wenig ins Wasser tauchte. „Hey“, flüsterte er, während er mit seinen Fingerspitzen Kreise im Wasser zog. „Hey, hörst du mich?“ Keine Reaktion. Ryan kam sich auch ehrlich gesagt ein bisschen blöd vor, wie er so mit dem Wasser redete, aber er musste andauernd an diesen Jungen denken – vor allem, seit er etwas ganz Besonderes rausgefunden hatte! Er musste einfach nochmal mit ihm reden! „Hey!“, flüsterte Ryan nochmal ein bisschen lauter, aber das Wasser unter ihm blieb dunkel. Ein wenig frustriert zog er seine Unterlippe vor. Musste er erst simulieren, dass er ertrank oder wie? „Hey, hier ist Ryan!“, sagte er noch ein letztes Mal, ein bisschen lauter, während er seine Hände ganz ins Wasser eintauchte und ein paar Mal wirbelte. Aber natürlich kam da nichts. Seufzend ließ Ryan seine Hände wieder normal ins Wasser hängen. Ein paar Sekunden schaute er noch vorwurfsvoll auf die Wasseroberfläche, bevor er sich auf den Rücken drehte. Das war jetzt echt doooof und irgendwie echt frustrierend… Aber bevor er noch viel mehr darüber nachdenken konnte, packte ihn etwas an den Schultern und zog ihn rückwärts vom der Holzplattform runter. Ein Schrei entfuhr ihm, der aber gleich darauf vom Wasser erstickt wurde – aus dem er aber gleich wieder hoch getaucht wurde. „Wieso rufst du mich?“, hörte er eine Stimme, die ihm ins Ohr flüsterte. Ryan hielt sofort die Klappe, drehte sich im Wasser und grinste den älteren Jungen an. Ja, das war er – er hatte sich kein bisschen geändert. „Ich wollte dich sehen!“, sagte Ryan vergnügt. Wenn seine Freunde ihn im Schwimmbad tauchten, dann nervte ihn das meistens, aber wenn der Junge das machte… das war irgendwie voll okay und witzig. „Weiiil… ich weiß jetzt was du bist!“, redete er deshalb auch mit einem breiten Lächeln weiter. Der Junge zog seine Mundwinkel nach oben. „Ach ja?“, fragte er, woraufhin Ryan nickte. „Du bist…“ Der Junge legte seinen Finger an seine eigenen Lippen. Hm, ja, klar, war ja auch ein sensibles Thema, deshalb musste man leise reden, da hatte er schon recht. Deshalb senkte Ryan seine Stimme ein wenig und beugte sich vor, um fertig zu flüstern: „Du bist… ein Meerjungfrauman!“ Besagter Meerjungfraumann schaute erst verdutzt, bevor er zu lachen anfing. „Oh, Ryan…“, gab er amüsiert von sich, wobei der das Amüsement seines Gegenübers plötzlich gar nicht mehr so lustig fand. „Ey, ich bin mir ganz sicher“, murmelte Ryan. „Ich hab die kleine Meerjungfrau jetzt schon ganz oft gesehen“ – Genau genommen war es sein Lieblingsfilm – „und die ist voll wie du! Und ich hab letztes Mal gespürt, dass du… dass du…“ Ryan verstummte. „Eine Flosse hast?“, vervollständigte der Junge den Satz immer noch lachend. „Nein, keine Sorge – du hast recht. Aber der Begriff… Ich bevorzuge Meermann, weißt du? Ohne den ‚Frau‘-Part.“ Ryan merkte, wie ihm die Kinnlade runter klappte. „Echt jetzt?“, sagte er bei der plötzlichen Bestätigung seiner Aussage, auch, wenn er ja eigentlich damit gerechnet hätte – aber oha! „Ja“, erwiderte der Junge ganz ruhig. „Willst du sie mal sehen? Die Flosse?“ „Au ja!“ Ryan merkte, wie seine Augen funkelten. Der Andere lachte wieder, bevor er ein wenig weg von Ryan schwamm und sich ein bisschen auf den Rücken legte. Kurz darauf tauchte fast direkt vor Ryan die Flosse auf – in einem gräulichen Tonfall, überraschend… glatt. Ryan hätte gedacht, dass sie schuppiger wäre. „Fass ruhig an“, schlug der Junge vor, was Ryan sich nicht nehmen ließ. Er fuhr mit einer Hand über die Flosse, die sich auch tatsächlich sehr glatt anfühlte... „Die sieht gar nicht aus wie die von Arielle“, sagte Ryan schließlich. Der Junge lachte wieder. „Ja… Ich weiß. Arielle ist allgemein ein bisschen anders als ich.“ Ryan schaute verblüfft dem Gesicht des Jungens. „Du kennst Arielle persönlich?!“ Der Junge schien sich diesmal ein Lachen zu verkneifen, aber er grinste trotzdem. „Nein… aber ich kenne das Märchen.“ „Achso“, erwiderte Ryan nur etwas verlegen, ohne sich zu wundern, woher der Junge das Märchen kannte. „Und ich bin auch eher zur Hälfte Delfin, wenn du’s so willst.“, fügte der Junge noch lächelnd an. Ryan war jetzt wieder überrascht, weil das echt cool klang – und irgendwie komisch. Aber Delfine waren ja eigentlich auch echt cool! Jedenfalls die aus dem Fernsehen. „Also kannst du auch unter Wasser atmen, ja?“, fragte Ryan mit großen Augen nach. Der Junge schmunzelte, antwortete aber ohne groß zu Zögern: „Ja, kann ich.“ Und so ging das Spiel eine ganze Weile lang weiter. Ryan hatte eine Menge Fragen, die ihm auf der Seele brannten und der Junge hatte kein Problem damit, die Fragen zu beantworten. „Wie schnell kannst du denn schwimmen?“ „Ich kann das nicht wirklich messen, Ryan. Aber ein bisschen schneller als der Durchschnittsdelfin, würde ich sagen.“ „Gibt es mehr Meermenschen?“ „Ja, gibt es.“ „Gibt es dann auch so Städte wie die aus Arielle?“ „Nicht wirklich Städte – aber wir leben in Kolonien. So eine Art Höhlen-Netzwerk.“ „Oh, das ist cool! Wieso weiß dann niemand von euch?“ „Weil wir uns eigentlich nicht vor Menschen zeigen dürfen.“ „Wieso das denn nicht?“ „Nur eine dumme Regel… Hat was damit zu tun, wie viel Krieg ihr Menschen führt.“ „Achso! Okay! Und du kannst trotzdem Luft atmen?“ „Genauso wie ich unter Wasser atmen kann, ja.“ „Aber du kannst deine Flosse nicht in Beine verwandeln?“ „Nein, das kann ich nicht. Und es gibt auch keine Magie die das könnte.“ „Hmm… Hast du denn eine große Familie?“ „Nur meinen Vater und meine Mutter.“ „Ui! Ich hab nur meinen Papa und meine Schwester, Judith… Meine Mama ist irgendwie… verschwunden.“ Ryan räusperte sich. „Das ist irgendwie echt doof, ich weiß nicht, wo sie ist. Sie hat uns mal eine Postkarte geschrieben, das war aus Afrika, in der sie geschrieben hat, dass Papa uns das erklären soll. Aber Papa hat uns das nicht erklärt. Und jetzt weiß ich nicht so wirklich, was das soll, weil ich mag meine Mama mal schon wieder sehen, aber irgendwie will sie nicht wieder kommen und irgendwie ist das doof. Ich mein, Mama mag uns doch – wieso haut sie dann einfach ab? Naja… ist jetzt eh schon lange her und sie war uns noch nicht mal besuchen kommen…“ Ryan merkte gar nicht, wie sein Blick abdriftete – und sich erst wieder fokussierte, als er spürte, wie der Junge ihn einen Moment umarmte. Was zur…! Eigentlich mochte Ryan keine Umamrungen, aber das hier war… überraschend… beruhigend? „Denk dir nichts“, flüsterte er in Ryans Ohr, „Ich weiß, dass sie dich liebt. Mach dir keine Sorgen.“ Daraus schöpfte Ryan tatsächlich Mut, auch, nachdem sich der Junge wieder gelöst hatte. Dieser lächelte ihn noch an, aber das Lächeln starb gleich wieder. „Dein Vater sucht dich“, murmelte er, jetzt wieder deutlich leiser. „Wir sehen uns sicher irgendwann wieder, Ryan.“ Und dann war er auch schon wieder unter Wasser verschwunden. Ryan blinzelte verwirrt, weil er doch noch so viele Fragen hatte, aber dann tauchte sein Vater auch schon auf der Holzplatte auf. „Da bist du!“, rief er erleichtert. „Mensch, Ryan, wieso versteckst du dich denn hier?“ Aber Ryan schaute nur verwirrt auf die sich noch immer kräuselnde Wasserfläche, anstatt zu antworten. Und in dem Moment erinnerte er sich, dass er immer noch nicht den Namen von dem Jungen – oder eher dem ‚Meermann‘ wusste. Sie gingen lange nicht mehr ans Meer. Sein Vater hatte zu viel berufliche Arbeit, als dass er auf die ständigen Bitten seines Sohnes eingehen würde. Er schien sowieso nicht zu verstehen, wieso Ryan so unsterblich in das Meer verliebt war (immerhin war er darin doch sogar mal fast ertrunken!), weshalb er ihm immer wieder beständig erklärte, dass sie da nicht hin fahren konnten. Ryan akzeptierte es aber auch irgendwann, weshalb er aufhörte, sich andauernd zu beschweren. Erst mit Dreizehn änderte sich das alles wieder auf einen Schlag – und zwar an einem Tag, der so schrecklich für ihn war, dass er einfach ans Meer fahren musste. Aber seinen Vater brauchte er erst gar nicht zu fragen. Deshalb machte er das Nächstbeste, was ihm einfiel: Ohne einen Koffer oder sonst was zu packen ging er zur nächsten Bahnstation und suchte sich einen Zug, der immerhin in die Nähe vom Meer fuhr. In den setzte er sich auch prompt rein – wobei er sogar gerade genug Geld für eine Karte dabei hatte, leider nur für die Hinfahrt – und fuhr dann auch schon los. Das Meer war weniger weit entfernt, als er gedacht hatte. Er hätte auch mal früher auf die Idee kommen können, sich einfach in einen Zug zu setzen, ernsthaft. Nur hatte er eben bisher eben auch andere Menschen gehabt, mit denen er hatte reden können. Aber jetzt… nein, er musste zum Meer, dringend! An der Zugstation, an der er ausstieg, war es auch scheinbar gar nicht mehr weit bis zum Meer. Er folgte den Schildern und musste so ungefähr drei Kilometer laufen, bis er an einem sehr, sehr steinigen Strand ankam – ein Strand, der komplett leer war. Kein Wunder, es war elf Uhr Nachts und es war echt kalt. Aber umso besser für Ryan. An dem Strand, an dem er war, reichten einige steinerne Zungen ins Meer. Ryan sprang über die glitschigen Steine, bis er so weit weg vom Land war wie möglich, ohne direkt ins Wasser zu gehen. Hier setzte er sich auf einen der Steine und schaute ins Meer, wobei er sich auf einmal echt blöd vorkam. Was um alles in der Welt machte er hier…? Seine Erinnerung an den Jungen war wahrscheinlich nicht mal echt. Und jetzt war bis ans Meer gefahren! „Hey“, sagte er nichtsdestotrotz mit brüchiger Stimme. Erstmalig an diesem grauenvollen Tag kamen ihm die Tränen hoch und er versuchte gar nicht erst, sie zurück zu halten. „Hey, h-hier’s Ryan.“ Ryan schniefte und steckte seine Hände unter die Achselhöhlen, weil es mittlerweile echt recht kalt geworden war. Aber natürlich kam niemand, was Ryans restlichen Mut auch noch kaputt machte. „B-bitte komm“, murmelte Ryan, während die erste Träne über seine Wange rollte. Und noch bevor die Träne in den Ozean fiel, sah Ryan ihn tatsächlich: Erst nur ein dunkler Schatten, der wenige Momente später die Wasseroberfläche durchbrach. „Hey“, grüßte ihn der Junge, auch wenn er dabei sein Gesicht verzog. „Hast dir einen ganz schön unschönen Ort ausgesucht. Die Felsen hier sind echt – au! – unangenehm. Ach…“ Der Junge schaute sich einen Moment am Strand um, bevor er sich einen Felsen griff und sich einfach auf den Felsen schwang, direkt neben Ryan. „So, und jetzt erzähl, Ryan. Was ist los?“, fragte er, aber Ryan war viel zu verwundert, um darauf zu antworten. So, wie der Junge neben ihm saß, konnte er erstmals die Flosse richtig sehen; die Flosse, die so viel eindrucksvoller aussah als in seiner Erinnerung. Zum ersten Mal sah er auch den Übergang von der Flosse zu dem Oberkörper, der überraschend fließend war; das grau ging in die normale Hautfarbe über und – woah, der Junge hatte echt einen richtig muskulösen Oberkörper. „Ryan?“, wiederholte der Junge, woraufhin Ryan dann doch wieder zu weinen anfing. Er rutschte zu dem Jungen rüber und drückte sein Gesicht gegen dessen Schulter, während er seine Oberarme um ihn schlang, auch, wenn der Junge noch echt nass war. Aber da war es wieder, dieses dringende Verlangen nach Körperkontakt, das Ryan so in der Form eigentlich noch nie gehabt hatte… oder eben nur, wenn er bei Ryder war. „Oh.. hey, ganz ruhig, Ryan“, fügte der Junge an, bevor er ebenfalls seine Arme um Ryan legte. Eine Weile blieben sie einfach in der Position. Irgendwann fing Ryan dann aber doch mit einem Schluchzen an zu reden: „I-ich hab mich in ein M-mädchen verliebt“, schniefte er, „u-und sie mag mich auch… u-und wir wollten miteinander sch-schlafen, aber sie… hat jetzt doch meinen besten Kumpel mehr gemocht u-und das.. ist echt gemein.“ Ryan verzog sein Gesicht. „Und… heute ist noch eine Postkarte von M-mama angekommen, und das… war alles so gelogen! U-und dann hat mein Dad mir noch H-hausarrest gegeben, weil ich beim Abendessen schlecht drauf war… D-deshalb musste ich jetzt einfach zu dir kommen, weißt du?“ Der Junge fuhr ihm während der ganzen Zeit, in der er redete, beruhigend über die Schulter. „Ja, versteh ich“, erwiderte er in seiner gewohnt ruhigen Stimme. „Aber du darfst dir nicht zu viel daraus denken, Ryan. Du bist erst dreizehn, du solltest noch gar nicht an…“ Er stockte einen Moment, „sowas denken – also an das, was du mit deiner Freundin machen wolltest. Und Mütter können manchmal grausam sein, Ryan, du solltest nicht mehr so oft an sie denken. Sie hat euch jetzt schon zehn Jahre im Stich gelassen, ich glaube nicht, dass das wieder besser wird. Und dein Vater macht sich jetzt sicher große Sorgen um dich…“ Ryan schniefte und schüttelte seinen Kopf. „Früher hast du noch gesagt, dass meine Mom mich liebt, egal was passiert…“ „Da warst du auch noch jünger, Ryan.“ Der Junge drückte ihn einen Moment. „Du bist jetzt ein halber Mann, ich muss bei sowas jetzt einfach ehrlich zu dir sein.“ Das baute Ryan tatsächlich ein bisschen auf. Nicht weil Ryder auch keine Hoffnung wegen seiner Mom hatte, sondern weil er ein halber Mann war und diese Bezeichnung ihm echt richtig, richtig gefiel. Genug sogar, dass er schnell über seine Augen wischte, damit er nicht länger weinte – das war nämlich nicht sonderlich männlich. „Danke…“, flüsterte er, bevor er stockte. „Wie heißt du eigentlich?“ Der Junge ließ sich eine Weile Zeit mit dem Antworten. „Ryder.“, erwiderte er dann. „Ryder… das klingt fast wie mein Name“, stellte Ryan fest. „Ja“, erwiderte Ryder. „Lustig, was?“ Ryan grinste sogar wirklich ein bisschen, lehnte sich dann aber gleich wieder an Ryder. Der wurde nämlich immer wärmer, je mehr er trocknete, was er echt gebrauchen konnte – denn es war eben immer noch ziemlich kalt. Aber so mit Ryder an der Seite war es eigentlich echt okay, einfach, weil er sich bei keiner ‚Person‘ so sicher fühlte wie bei Ryder. Und dabei könnte er nicht mal sagen, woran das genau lag… aber selbst seine Probleme, die ihn heute so fertig gemacht hatten, schienen jetzt überhaupt nicht mehr schlimm. „Ich mag dich echt gerne, Ryder“, murmelte Ryan schließlich. „Richtig, richtig gerne. Und nicht nur, weil du mir zweimal das Leben gerettet hast…“ „Ich mag dich auch richtig gerne, Ryan.“ Ryder lächelte nochmal, was Ryan noch ein bisschen glücklicher machte. In genau der Position blieben sie die halbe Nacht, ohne sich groß zu bewegen oder viel zu sagen. Irgendwann rief Ryans Vater ihn auf seinem Handy an, um ihn wütend zu fragen, wo um alles in der Welt er denn war. Ryan erklärte es ihm und sein Vater fuhr los, um ihn dort in der Nähe, am Bahnhof, abzuholen. Ryan hatte jetzt schon Angst vor der Standpauke, aber Ryder beschwichtigte ihn, dass es sicher nicht so schlimm werden würde. Und es gab einfach keinen Grund, Ryder jemals zu misstrauen. Das Salzwasser umspielte Ryans Fußknöchel, wobei sie seine Jeans untenrum schon ein wenig nass machten. Schuhe und Socken hatte er sich schon ausgezogen, aber sonst seine Klamotten anbehalten; das war ihm irgendwie gut und richtig so erschienen. Er hickste und hielt sich deshalb schnell die Faust vor den Mund, bevor er sich räusperte und wieder konzentrierte. Das wäre das letzte Mal, das er es auf die nette Art versuchte. „Ryder?“, fragte er in einem lallenden Tonfall. „Ryder, hier’s Ryan.“ Wieder ein Hicksen. „Mal wieder.“ Das Meer zeigte keine Reaktion. Warum sollte es das auch, hm? Es rauschte nur unangenehm weiter, umspielte weiter seine Fußknöchel und nervte ihn weiterhin so sehr, dass ihm ein frustriertes Stöhnen entfuhr. Wäre er nicht so betrunken und auf Drogen gewesen, wäre es wahrscheinlich ein Schrei geworden, aber so blieb nur noch das Stöhnen übrig. „Ryder, ich will, dass du jetz‘ kommst.“, nuschelte Ryan weiter, aber das Meer zeigte keine Reaktion. Bitte, jetzt hatte Ryder also das, was er wollte. Ryan hatte es auf wirklich jede erdenkliche Art und Weise versucht, Ryder zu erreichen, seit er hierher gezogen war. Schon am ersten Tag war er an den Strand gegangen, am Tag, in der Nacht – und auch an jedem darauffolgenden Tag war niemand gekommen. Seine Freunde wunderten sich schon, wieso er so in den Strand vernarrt war, aber er konnte es ja schlecht erklären, was? Ryan hatte schon Dinge in den Ozean geworfen, eine Flaschenpost geschrieben, war unzählige Male nachts alleine schwimmen gegangen, mal in Klamotten, mal in Badehose, mal nackt – er hatte sogar schon mehrmals am Strand Sex gehabt, einfach nur, um Ryder zu provozieren. Aber er war einfach nicht gekommen. Aber jetzt war er lange genug ruhig geblieben. Wenn Ryder nicht auf seine ‚netten‘ Anrufe reagierte, dann musste er eben härtere Geschütze auffahren – und das würde er jetzt auch tun. Er musste Ryder wieder sehen, diese Konstante in seinem Leben, die ihm aus unerklärlichen Gründen so viel Kraft gab und so sehr anzog, egal, was es ihn kostete. Und jetzt, betrunken und auf Drogen, erschien ihm die Antwort so simpel… „Wenn du jetzt nicht kommst, Ryder, dann werde ich ganz schön sauer“, lallte er weiter, aber natürlich kam der Drecksack nicht. Gut, dann eben nicht! Ryan ging einfach weiter ins Wasser, immer weiter, bis er schließlich bis zur Hüfte drinnen war. Es war tief in der Nacht, weshalb das Wasser entsprechend kalt war, aber daran störte sich Ryan nicht. Er ließ sich einfach ins Wasser fallen und schwamm raus, Richtung Mond, weg vom Strand – so weit und lange, bis er keine Kraft mehr hatte. Ein Blick über seinem Rücken zeigte ihm, dass der Strand ziemlich schnell gefährlich weit weg gekommen war. Gut so. Wahrscheinlich würde Ryan noch irgendwie zurückkommen, auch wenn er dann an Kraftenzug sterben würde, aber das war gar nicht sein Ziel. Nein, nein, ganz im Gegenteil… Ohne seinen Plan nochmal zu überdenken hielt Ryan die Luft an und tauchte unter Wasser. Sofort schrie sein Körper danach, wieder nach oben zu schwimmen, aber er widersetzte sich seinen Instinkten. Stattdessen drehte er seinen Körper und schwamm Richtung Meeresboden, auch, wenn der viel zu weit entfernt war, als dass er ihn jemals erreichen könnte. Gegenüber aller Vernunft hörte er einfach nicht auf, zu schwimmen; sehr schnell spürte Ryan, wie ihm das Blut zu Kopf stieg und sein Körper immer mehr Atem wollte. Aber das Problem war ja, er musste das hier tun. Es ging nicht anders. Selbst wenn er bei dem Versuch sterben würde, dann würde er immerhin ertrinken – und das war so nahe an Ryder, das es wohl auch okay wäre. Irgendwann hatte er keine Kraft mehr in den Gliedmaßen und fühlte sich sowieso so an, als würde sein Kopf gleich platzen. Zufrieden hörte er auf sich zu bewegen, öffnete seinen Mund und nahm einen tiefen Atemzug… Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war, wie er hustete. Ein unangenehmes Husten, das er schon mal in seinem Leben gehabt hatte; ein Husten, bei dem man all das Salzwasser, das in der Lunge saß, in den Sand neben sich würgte. Es brannte auf eine echt abscheuliche Weise, aber gleichzeitig war sein Körper unendlich dankbar, wieder Luft zu haben. „Bist du wahnsinnig?!“, hörte er eine erstickte Stimme. Eine sehr vertraute Stimme. Aber nein, keiner seiner ‚echten Freunde‘ klang so. Das… das musste Ryder sein. Mit einem gewinnenden Lächeln schlug Ryan die Augen auf, um zu sehen, dass da tatsächlich Ryder neben ihm lag, gestützt auf seine Unterarme. Sie lagen Beide noch so halb im Wasser – wahrscheinlich war Ryder nicht weiter raus gekommen. „Nee“, erwiderte Ryan, wobei seine Stimme extrem heiser und immer noch leicht lallend klang, „Ich bin ziemlich klug.“ Aber Ryder schien das nicht lustig zu finden. Stattdessen drückte er sein Gesicht in Ryans Brust, verkrampfte seine Hand in seinem Shirt, wobei Ryan spürte und hörte, wie der andere Junge schluchzte. „Du hättest sterben können, du Vollidiot“, brachte er gedämpft hervor. „Nee“, gab Ryan wieder zurück, „Ich hab doch dich…“ Er fuhr mit seiner Hand über Ryders Rücken, der immer noch bebte. Ryder schüttelte nur den Kopf. „Ich war nicht da“, schluchzte Ryder. „Du zurückgebliebener Idiot… Du wärst fast gestorben…“ Ryan verstand immer noch nicht, in was für einer Gefahr er gestanden hatte. Ryder hatte ihn doch gerettet! Sein Körper fühlte sich zwar an, als ob er gleich verrecken würde, aber das war eigentlich gar nicht so schlimm. Ryder war ja da. Und wenn Ryder da war, war alles gut. „Du darfst sowas nie wieder machen“, murmelte Ryder weiter, bevor er sich auf Ryans Brust stützte und seinen Kopf so ein wenig anhob, damit er zu Ryan schauen konnte. Ryder heulte ja echt, ey – aber er sah trotzdem verboten gut dabei aus! „Hörst du!?“, wiederholte Ryder, als Ryan keine Antwort gab, „Du darfst. Sowas. Nie. Wieder. Machen!“ Ryan blinzelte, verzog dann aber träge sein Gesicht. „Wenn d’dich nich‘ wieder versteckst und einfach nie wieder kommst… sicher.“ Ryan spürte, wie Ryder seine Hand an Ryans Hals legte und mit dem Daumen über seinen Adamsapfel fuhr. Ryan schluckte, während Ryder nur seinen Kopf schüttelte. „Ich wollte dich doch nur schützen, du Idiot…“ „Vor dir?“, fragte Ryan mit heiserer Stimme. Seine Hand ließ er dabei von Ryders Rücken bis zu dessen Nacken wandern, wo seine Fingerspitzen sich in dessen Haaransatz gruben. „Du bringst mich nicht in Gefahr, Ryder… Du rettest mich davor.“ Ryder drückte seine Lippen zusammen, wischte sich mit einer Hand schnell über seine Augen und schüttelte anschließend seinen Kopf. „Was du da gerade getan hast… war doch nur der Beweis, dass dir das nicht gut tut, Ryan…“ Jetzt reichte es Ryan aber echt! Man, der Junge war ja kompliziert… Er musste jetzt nur überlegen, wie er sich am besten erklären sollte. Glücklicherweise war sein Verstand gerade relativ simpel gestrickt, deshalb machte er das für ihn Logischste. „Aber ich liebe dich doch, Ryder“, flüsterte er deshalb leise, bevor er Ryder mit der Hand an seinem Nacken zu sich runter zog. Ryan beugte sich auch ein bisschen hoch, um die Lippen des Anderen mit seinen zu empfangen. Es schmeckte… ungewohnt salzig?, aber es war gut. Verdammt gut. Oh, er hatte das schon eine ganze Weile machen wollen… Aber Ryder löste sich überraschend schnell von ihm. Ryan entfuhr ein Quengeln, während sein Kopf Ryders hinterher fuhr, um möglichst lange die Lippen des Anderen berühren zu können. Gleich danach ließ sich Ryan aber wieder kraftlos in den Sand fallen. „Wieso hast du das gemacht?“ Ryan hob jetzt doch wieder seinen Kopf, um zu Ryder schielen zu können. Der hatte immer noch getrocknete Tränen auf seinem Gesicht, schaute jetzt aber hauptsächlich verwirrt zu Ryan. „Weil ich dich liebe“, erklärte Ryan munter. „Hab ich doch gesagt.“ Ryder schaute immer noch verwirrt zu ihm, woraufhin Ryan abwartend die Augenbrauen hoch hob. Als eine Weile nichts kam, setzte er sich auch langsam mal auf, auch wenn seine Lunge immer noch höllisch brannte. Ryder ging dabei runter von Ryan und grub seine Hände in den Sand, wandte aber den Blick dabei nicht von ihm ab. „Was?“, fragte Ryan schließlich, weil er sich irgendwie dämlich vorkam. „Du solltest schlafen gehen“, erwiderte Ryder. „Geh schlafen. Versprich mir, dass du schlafen gehst.“ Ryan schaute fassungslos zu Ryder. War das jetzt sein ernst? Das war die ganze Antwort, die er bekam? Genervt kam er auf die Füße, wobei er nur ein bisschen schwankte. „Klar“, knurrte er. „Ich geh schlafen. Und du…“ Ryan vergaß mitten im Satz, was er eigentlich hatte sagen wollen, weshalb er nur ein paar Mal blinzelte und danach böse zu Ryder runter sah. „Fick dich, Alter“, sagte er schlussendlich nur, bevor er sich weg drehte und weg vom Strand torkelte. Er hielt sich ein bisschen besser auf den Füßen als auf den Hinweg, was wahrscheinlich der Effekt vom Fast-Ertrinken war. Bevor Ryan den Strand aber verlassen hatte, schaute er doch nochmal zurück. Ehrlich gesagt hatte er ja schon gehofft, Ryder nochmal nach ihm rufen zu hören, aber er hatte nichts gehört. Und hinter ihm war außer dem Meer auch nichts mehr zu sehen. Ryan fühlte sich echt beschissen. Und nein, das lag nicht am Kater – immerhin war diese eine Nacht, in der er so sehr auf Drogen gewesen war, schon länger als eine Woche her. Nein, er fühlte sich aus einem ganz anderen Grund beschissen. Die Woche über hatte er dieses Gefühl aber echt gut unterdrücken können. Kein Wunder, er hatte eine ganze Menge Schularbeiten und musste wenigstens so tun, als ob er lernen würde, sonst würde er ein schlechtes Gewissen bekommen. Noch dazu gab es da so ein paar Mädchen, mit denen er am Wochenende (unbeabsichtigt!) was gehabt hatte und die ihn jetzt die ganze Zeit zu texteten. Und dann hatte dieses eine schwule Pärchen, das er erst kannte seit er hier wohnte – Aaron und Caleb – noch Dauerstress, wobei er auch immer den psychologischen Berater spielen durfte… Kurzum, er hatte echt viel um sich abzulenken. Aber irgendwann hatte er sich dann auch genug abgelenkt. Deshalb war er jetzt hier, wieder am Strand, wieder in der Nacht. Ein paar Leute machten noch einen Nachtspaziergang, weshalb Ryan sich für die sicherste Variante entschied und einfach unterhalb einer höher gelegenen Brücke ans Meer ging. Er setzte sich so nah es ging an den Strand und schaute ein bisschen nervös auf die unruhige Wasseroberfläche, nicht sicher, was er jetzt tun sollte. Schließlich räusperte er sich aber doch. „Ryder?“, fragte er zögerlich, wobei er sich wie immer ein bisschen blöd vorkam, dass er mit dem Meer redete. „Ryder, hier’s Ryan… Kommst duuu… bitte?“ Ryan hatte eigentlich keine großen Hoffnungen gehabt, aber nur wenige Sekunden nachdem er das gesagt hatte, tauchte Ryder ein bisschen entfernt von ihm im Wasser auf. Wortlos schwamm er so nahe an das Ufer, wie es für ihn ging, wobei er seine Flosse im Wasser behielt… Wahrscheinlich, damit niemand sie sah, wenn er einfach vorbei kam. Dennoch schien er überraschend unvorsichtig zu sein, wenn man das mit den sonstigen Malen verglich. „Hey, Ryan“, grüßte der Andere ihn mit einem schiefen Lächeln. Ryan fuhr sich mit einer Hand nervös über seinen Oberarm, während er das Lächeln knapp zurück warf. „Hey, Ryder…“, grüßte er zurück, wobei er sich immer noch mies vorkam. Klar erinnerte er sich daran, was passiert war – man vergaß es nicht so einfach, wenn man fast ertrank und Ryder wiedertraf. Egal wie high und besoffen man dabei war. „Geht’s dir wieder besser?“ Ryder legte seine Ellbogen auf den Sand und stützte seinen Kopf auf beide Hände. „Jaaa… klar… bin noch ein bisschen heiser, aber sonst ist alles gut.“ Ryan räusperte sich, um den Frosch aus dem Hals zu bekommen. Es kostete ein bisschen Überwindung, weiter zu reden, aber das war er Ryder schuldig. „Hey, es tut mir Leid, was ich da gemacht hab… also… alles tut mir Leid, Ryder.“ Ryder hob seine Augenbrauen. „Das muss dir nicht Leid tun“, sagte er so schnell, dass Ryan verwirrt zu ihm aufschaute. „Gut, dass du dich ertränken wolltest – das muss dir Leid tun“, korrigierte er sich selber. „Aber das, was du danach gemacht hast… Das nicht. Das muss dir wirklich nicht Leid tun.“ Ryan glaubte ihm kein Wort. Das war doch nur, weil Ryder wieder einen auf nett machen wollte… er kannte ihn doch! Und er wusste, dass das was er gemacht hatte, falsch gewesen war. „Aber du hast nicht sonderlich begeistert reagiert…“, warf er ein. Ryder ließ seine Hände von seinem Gesicht sinken, wobei er mit einer in das Wasser griff und mit dem Sand unter der Oberfläche spielte. „Jaaah…“, erwiderte er abwesend. „Ryan, ich war nur… verwirrt. Das hat noch nie jemand mit mir gemacht.“ Jetzt war Ryan wirklich überrascht. „Du hast noch nie jemand anderen geküsst?“, präzisierte er Ryders Aussage. Der schüttelte aber nur den Kopf. „Ich wurde nur noch nie von jemandem geküsst.“, erklärte er. „Und dass gerade du das gemacht hast, war… verwirrend.“ Ryder lächelte ein wenig entschuldigend, aber Ryan stimmte diese Aussage nicht wirklich zufrieden. Eher im Gegenteil. „Es tut mir trotzdem Leid, dich verwirrt zu haben“, erwiderte er also nur, wobei er ein wenig verstimmt klang. Ryder schien diese Verstimmung zu bemerken. „Ryan…“, fing er deshalb an, bevor er sich selbst mit einem Seufzen unterbrach. „Du verstehst das falsch. Es war eine Art… positive Verwirrung.“ Ryan schaute ihn skeptisch an, weshalb Ryder sich räusperte und nochmal ein wenig genauer erklärte: „Ryan, du hast mich damit ein bisschen überrumpelt, aber der Kuss hat sich gut angefühlt. Überraschend gut.“ Jetzt lächelte Ryan doch ein bisschen. „Wenn du willst, können wir schauen, ob es sich noch ein bisschen besser anfühlt, wenn ich nüchtern bin…“, schlug er vor. Er merkte, dass er von ganz alleine diese flirty Stimme angenommen hatte, die er immer annahm, wenn er jemand um den Finger wickeln wollte. Ryder legte seinen Kopf ein wenig schräg. „Wir können es versuchen, jaaa…“ Ryan lächelte, bevor er sich schnell seine Schuhe auszog, gefolgt von seinem Shirt und seiner Hose. Er hatte nicht vor, wieder komplett nass heim zu laufen, und in Boxershorts zu schwimmen war ja wohl voll okay. Nachdem er sein Zeug in den Sand gelegt hatte, krabbelte er auf allen Vieren ins Wasser, überwand die kurze Distanz und erreichte so schließlich Ryder, der so weit draußen war, dass Ryan sich vor ihm knien musste, damit sie auf Augenhöhe waren. Ryan schaute eine Weile in die Augen des Anderen, der den Blick stand hielt. Zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder auch noch unglaublich faszinierende Augen hatte. Sie wirkten irgendwie nicht natürlich – so, als wären sie ganz besonders glasig, als wäre eine weitere Schicht über den Augen. Die Iris war dagegen ungewöhnlich dunkel, mit ein paar hellen Strahlen durchzogen… aber wahrscheinlich war es nicht seltsam, wenn man bedachte, dass Ryder unter Wasser wahrscheinlich perfekt sehen konnte. Bevor er sich jetzt aber noch mehr Gedanken über Ryders Körper machte, beugte er sich einfach vor und küsste den Jungen wieder. Diesmal war Ryder nicht mehr so zögerlich wie letztes Mal; mit einer Grazilität, die Ryan überraschte, empfing er den Kuss und erwiderte ihn sofort. Es dauerte nicht lange, bis Ryder mit seiner Zunge fordernder wurde. Ryan ließ sich komplett in dem Kuss gehen, auch, wenn er sich ein bisschen seltsam vorkam, so wie er hier auf allen Vieren vor Ryder kniete… aber der zeigte ein so ungeahntes Talent mit seiner Zunge, dass Ryan einfach nicht anders konnte, als all seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf diesen einen, verdammt perfekten Kuss zu lenken. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Ryan wieder, um ein bisschen zu Atem zu kommen. „Wow“, keuchte er, wobei er seinen Kopf ein wenig hängen ließ. „Shit, das ist gut, Ryder… Woher kannst du sowas?“ „Glaubst du, ich bin den ganzen Tag nur am Fische jagen, wenn ich nicht gerade bei dir bin?“, fragte Ryder zurück. Ryan schaute verwirrt zu dem Anderen hoch. „Oh…“, murmelte er, woraufhin Ryder ihm wieder zu lächelte. „Hey, schau nicht so“, murmelte er und nahm wieder eine Hand vom Sand weg, um damit stattdessen über Ryans Schulter zu fahren. „Du bist was Besonderes… was Einzigartiges. Anders als alle, bei denen ich gelernt habe, wie man andere küsst.“ Das verschaffte Ryan tatsächlich ein annähernd wohliges Gefühl in der Magengegend, auch wenn er sich jetzt immer noch seltsam vorkam. Um das zu verdrängen, drückte er seine Lippen einfach wieder auf Ryders – was seinen Verstand wieder innerhalb von Sekunden klärte. Die folgenden Tage, Wochen, Monate, Jahre liefen alle ähnlich ab. Ryder kam immer, wenn Ryan ihn brauchte oder wenn er mit ihm reden wollte; und das war auffällig oft. Ja, es gab auch Zeiten, in denen Ryan Ryder irgendwie für zwei, drei Wochen einfach vergaß, aber Ryder war ihm dafür niemals wirklich böse. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, konnten sie stundenlang reden, wiederholten auch oftmals den Kuss... aber machten niemals mehr als das. Manchmal schwamm Ryan auch mit Ryder raus oder tauchte mit ihm, was immer ganz besonders lustig war – vor allem, wenn es darin endete, dass sie sich mitten im Meer umarmten und Ryan abermals diese salzigen, perfekten Lippen küssen konnte. Es wäre gelogen zu sagen, dass Ryan nicht auch andere Menschen küsste, nicht auch mit anderen Menschen schlief… aber für niemanden empfand er so viel und lange etwas wie für Ryder. Ryder schien auch davon zu wissen, aber er sagte fast nie was dazu – nein, ganz im Gegenteil, er gab Ryan sogar Beziehungstipps, wenn er die mal brauchte. Es war einfach perfekt. Ryan bezweifelte, jemals im Leben so glücklich gewesen zu sein. Nur leider hatte jeder glückliche Moment im Leben sein Ende. Und dieses kam bei Ryan in Form eines Colleges. Heute war genau genommen einer seiner letzten Tage, bevor Ryan auf eben dieses College gehen würde. Um ehrlich zu sein hatte er noch gar nicht daran gedacht, dass er dadurch Ryder nicht mehr jeden Tag sehen könnte; dieses kleine Detail ignorierte er einfach, auch, wenn es für ihn etwas lebensveränderndes werden würde. Aber wieso sollte er sich auch darum kümmern? Gerade war es Mitternacht und Ryan saß im Schneidersitz am Strand. Vor ihm lag bäuchlings Ryder, die Arme unter seinem Kopf verschränkt und zu Ryan hoch schauend, der ihm gerade von seinem College erzählte. „Und die College-Partys sollen richtig episch sein“, erzählte er grinsend. „Ich mein, die Professoren sollen auch richtig geil sein, aber die College-Partys! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf die College-Partys freue! Dagegen wird meine gesamte High School-Zeit wahrscheinlich richtig lahm aussehen, ey! Und Cally und Aaron kommen mit, das wird sicher sowieso Bombe. Schon überlegt, wie ich mal wieder mit Aaron feiern könnte? Ich glaub, das würde unserer Freundschaft echt mal wieder helfen und das wär echt geil, weil, Aaron ist eben doch mein bester Freund auf zwei Beinen…“ – ‚Bester Freund auf zwei Beinen‘, der Begriff hatte sich schon eine Weile etabliert. Sollte halt heißen, dass Ryder sein bester Freund war und er wollte auch, dass der Junge das wusste. Apropos Ryder… „Freust du dich nicht für mich?“, unterbrach Ryan seine Ausführungen und hob seine Augenbrauen, um zu Ryder zu schauen. Der blinzelte überrascht, als er plötzlich angesprochen wurde (Ryan hatte jetzt eine ganze Weile einen Monolog gehalten), hob seinen Kopf dann aber ein wenig von seinen Armen. „Doch, sorry, natürlich freue ich mich für dich“, erwiderte er lächelnd. „Es ist nur so faszinierend, dir dabei zuzuschauen, wie du vom College redest. Deine Augen fangen dann immer so an zu leuchten und du fängst so viel an zu gestikulieren und… das ist echt süß. Ich könnte dir stundenlang dabei zuschauen.“ Ryan merkte, wie ihm bei dieser Aussage Blut in die Wangen schoss. Es gab keine einzige Person auf diesen Planeten, die jemals dazu in der Lage war ihn verlegen zu machen – bis auf Ryder. Und der machte das dafür fast jedes verdammte Mal, wenn sie sich trafen. Auch wenn Ryan das echt nicht schlimm fand… Aber… aaah! „Du hast mir also gar nicht zugehört?“, fragte Ryan stattdessen, nicht mal annähernd so vorwurfsvoll wie er das gewollt hätte. „Doch“, gab Ryder zurück und stützte seinen Oberkörper ein bisschen mehr auf. „Erst hast du davon erzählt, dass du die besten Medizin-Professoren an deinem College hast – ‚die haben sogar an Harvard studiert‘, waren deine genauen Worte. Auch wenn du verwirrt warst, wieso sie dann College-Professoren sind… und du freust dich auf die Partys. Und Aaron.“ Bei Aarons Namen umspielte Ryders Lippen ein irgendwie traurig wirkendes, wissendes Lächeln, während er gleichzeitig den Namen so komisch aussprach. Ryan überlegte sich erst das zu ignorieren, aber dann fiel ihm, auf, dass er keine Ahnung hatte was er sonst sagen sollte. „Was ist mit Aaron?“, murmelte er also. „Du redest nur sehr häufig über ihn“, stellte Ryder fest. „Du scheinst ihn echt zu mögen. Das ist niedlich.“ Ryan biss sich auf die Unterlippe, während eine seiner Hände automatisch über seinen Nacken fuhr. „Er ist halt ein echt guter Kumpel…“ „Könntest du dir nicht vorstellen…?“ Ryder legte seinen Kopf schräg und legte gleichzeitig eine Hand auf Ryans Knie. Sein Daumen wanderte über den Stoff, während Ryan schluckte. „Ryder, Aaron is in ‘ner Beziehung“, erwiderte er ein bisschen verlegen. „Und wenn er es nicht wäre?“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Dann wäre er immer noch ein Junge“, fuhr Ryan fort. „Das geht nicht.“ Auch Ryders andere Hand legte sich an Ryans anderes Knie, woran er sich ein bisschen näher zu Ryan zog. „Ryan… Du weißt schon, dass ich auch männlich bin, ja? Also auch ein… Junge?“ Ryan stöhnte leise auf, lehnte sich aber ein bisschen zu Ryder runter, um seinem Gesicht näher zu kommen. „Das ist was ganz Anderes“, murmelte er verteidigend. „Du bist…“ Er zögerte, wobei er eine seiner Hände an Ryders Gesicht legte. Langsam fuhr er mit seinem Daumen über Ryders Wange, wobei er seine Augenbrauen zusammenzog. „Du bist… was Besonderes. Einzigartiges.“ Ryder lächelte auf diese Aussage hin schief, hielt dabei aber den Blick von Ryan stand. „Bist du nicht neugierig?“, flüsterte er leise. „Neugierig, wie es mit einem Jungen wäre?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander, aber bevor er etwas erwidern konnte, beugte Ryder sich ein bisschen weiter hoch und drückte seine Lippen auf Ryans. Ohne zu Zögern erwiderte der den Kuss, wobei er fast sofort das Gespräch vergessen hätte. Wie immer bei einem Kuss; wenn Ryder ihn auch nur küsste, war es, als ob sein Verstand einfach aussetzte… „Willst du es ausprobieren?“, wisperte Ryder schließlich in den Kuss rein, ohne wirklich ihre Lippen voneinander zu trennen. „Wie es vielleicht sein könnte…?“ Für einen Moment setzte Ryans Herz aus. Meinte Ryder das da gerade ernst? Sie waren Beide nie übers Küssen hinweg gekommen, auch wenn Ryan gerne mehr gewollt hätte, aber er hatte auch gar keine Ahnung wie um alles in der Welt das funktionieren sollte. Jetzt, wo er das Angebot wirklich bekam, fühlte er wie sich ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch ausbreitete, durch seinen Körper fuhr und schließlich bei seiner goldenen Mitte landete. „Ich…“, brachte er mit brüchiger Stimme hervor, bevor er nur schnell sagte: „Ja.“ Ryan spürte, wie Ryder gegen seine Lippen lächelte. Gleichzeitig spürte er auch, wie eine von Ryders Händen sich unter den Saum von Ryans Shirt schlich, während Ryder seinen Oberkörper ein wenig sinken ließ um Ryans Hals für einen Moment zu küssen. „Ich kann dir wahrscheinlich nichts zeigen, was du nicht sowieso schon kennst“, erklärte er schließlich leise, „Aber ich glaub trotzdem, dass es dir gefallen könnte…“ Nun, das bezweifelte Ryan ganz sicherlich nicht. Immer noch mit trockenem Hals versuchte er einen klaren Kopf zu bekommen, während Ryder ihm mit einer Hand das Shirt auszog – oder es wenigstens versuchte. Ryan half schnell nach, indem er sich das Shirt selber über den Kopf zog. Dafür lächelte Ryder ihm kurz zu, befasste sich aber gleich danach wieder mit dem küssen… und fuck, wieso um alles in der Welt konnten Ryders Lippen ihn so unglaublich gut ablenken?! Sie fühlten sich so weich, aber trotzdem so bestimmt auf Ryans Haut an. Und hey, das war sicher nicht das erste Mal, das jemand seinen Oberkörper küsste! Aber ernsthaft, das hier sendete mit fast jeder Berührung eine heiße Welle durch seinen Körper, die unglaublich atemberaubend war. Und Ryder war gerade mal beim Oberkörper…! Ryan spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinen Unterarmen aufrichteten, als die Lippen schließlich einen seiner Brustwarzen umschlossen. Ryders Zunge fuhr spielerisch darüber, wodurch sich diese sofort verhärtete und Ryan seine Lippen aufeinander drückte. Bevor Ryder aber noch weiter nach unten ging, drückte er Ryans Oberkörper nach hinten, sodass der sich mit den Unterarmen im Sand abstützte. Ryder grinste ihm nochmal zu, bevor er wieder seinen Oberkörper küsste – nur knapp unter seiner Brust, am Bauch – wodurch Ryans Arme sofort anfingen zu zittern. Dieses übermenschliche Verlangen killte ihn, weshalb er gar nicht anders konnte, als sich ganz in den Sand zu legen; sonst wäre er sicher gleich zusammen gebrochen. Ryder störte sich daran aber gar nicht, sondern fuhr stattdessen mit seiner Hand langsam an Ryans Körper herab. Die Fingerspitzen berührten seine Haut dabei nur flüchtig, aber dennoch spürte Ryan jede einzelne Berührung überdeutlich auf seiner Brust, seinem Bauch, seiner Hüfte… Bis der Kontakt abrupt abbrach als Ryders Hand sich auf Ryans kurze Hose legte. Zwar meinte Ryan Ryders Finger noch durch die zwei Lagen Stoff zu spüren, die er ja noch anhatte, aber das war nichts verglichen zu dem Gefühl von dem direkten Körperkontakt. Glücklicherweise küsste Ryder sich ja auch weiter an seinem Körper herunter, bis zu seinem Bauchnabel und… darunter… Wieder schluckte der Achtzehnjährige, während Ryder mit einer seiner Hände den Bund von seiner Hose öffnete. Dabei strich Ryders Hand über Ryans Erregung, was diesem ein leichtes Keuchen entlockte. „Fuck“, gab er hervor, schluckte nochmal heftig und murmelte dann: „Fuck. Ich glaub ich war noch nie so beschissen hart, Ryder…“ Der andere Junge erwiderte darauf nichts, aber aus den Augenwinkeln konnte Ryan gerade noch so den Anflug eines Grinsens auf seinen Zügen erhaschen. Hrm! Vielleicht hätte er sich ja darüber beschwert, wenn er da nicht einen weiteren Kuss gespürt hätte, direkt über dem Bund seiner Unterhose. Und gleich darauf folgte ein weiterer Kuss – diesmal auf Ryans Unterhose, direkt an der Spitze seiner Erregung. Die war mittlerweile sowieso schon feucht geworden, was man auch durch die Unterhose echt gut erkennen konnte und… woah, Ryan hatte das Gefühl, das er sowieso gleich kommen würde. Dabei machte Ryder doch noch gar nichts Besonderes! Auch Ryders Hand legte sich an Ryans noch verpackte Männlichkeit, wobei er laaangsam rieb. Das entlockte Ryan ein weiteres Stöhnen, welches Ryder mit einem weiteren Kuss auf Ryans Spitze beantwortete. Der biss sich dafür auf die Unterlippe, so fest, dass er fast schon Angst haben müsste Blut zu schmecken. Aber er merkte halt schon einfach, wie er zu zucken begann und er konnte sich gerade nichts Schlimmeres vorstellen, als zu früh zu kommen. Bevor dieser Fall aber tatsächlich eintrat, löste Ryder sich wieder von Ryan. Er stützte sich mit einer Hand immer noch im Sand ab, um sich aufrecht zu halten, aber mit der anderen Hand zog er an Ryans Unterhose – und ebenfalls an seiner Hose, wie Ryan bemerkte. Er half ihm dabei auch ein bisschen und strampelte die Hose so gut es ging ab, wodurch er kurz darauf komplett nackt im Strand lag. Auch nicht unbedingt ein neues Gefühl, aber mit Ryder an seiner Seite war das einfach… anders? Und auch das bewies Ryder gleich wieder, indem er mit seiner Hand über die Innenseite des jetzt nackten Oberschenkels von Ryan fuhr. Ryans Atem beschleunigte sich automatisch, während Ryder ihn wieder küsste – direkt neben dem Ansatz von Ryans Glied, so, dass dieses so halb an die warme Haut des Jungens gelangte. Ryan wurde so langsam aber sicher wahnsinnig von dem ganzen Fast-Berühren, dass er Ryder schon fast zu mehr aufgefordert hätte, aber gerade in der Sekunde spürte er die Lippen an dem Ansatz seiner Erregung. Es war wieder nur ein federleichter Kuss, gefolgt von der Zungenspitze die über die sensible Haut wanderte, aber es reichte, um Ryan wieder ein Keuchen zu entlocken. Ryder ließ seine Zunge über die gesamte Erregung wandern, bis er bei der Spitze angelangt war – die er ebenfalls mit seiner Zunge leicht umspielte, gerade so, dass es Ryan wieder nur noch wahnsinniger und erregter machte. Aber diesmal wartete Ryder nicht so lange, bis er schließlich seine Lippen ganz um Ryans Eichel legte. Wieder biss sich Ryan auf die Unterlippe, konnte aber dennoch nicht die Geräusche unterdrücken, die ihm entfuhren als Ryder seinen Kopf das erste Mal sinken ließ. Dabei benutzte er seine Zunge weiterhin so verdammt göttlich, dass es Ryan beinahe den Verstand raubte. Und die Hand, die gleichzeitig den Ansatz von Ryans Erregung sowie dessen Hoden bearbeiteten, machte das Ganze echt noch viel, viel besser. Erstmal hielt Ryder seinen Kopf im oberen Bereich, aber nach einer Weile senkte er seinen Kopf noch viel, viel weiter – und kam mit einer solchen Leichtigkeit bis zum Ansatz von Ryans Erregung, dass es diesem den Atem raubte. Also, das war neu für ihn. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während Ryder ohne sich komplett zu lösen wieder nach oben ging… und schließlich seinen Mund wieder mit unglaublicher Leichtigkeit bis zum Ansatz sinken ließ. Das wiederholte er, immer wieder, aber immer noch teuflisch langsam, dass es Ryan nicht ganz zum Höhepunkt brachte. Aber das, seine Zunge und seine Hand brachte ihn dafür echt verdammt nahe… Aber bevor er dann tatsächlich seinen Höhepunkt erreichte, löste sich Ryder doch komplett. Ein klagendes Wimmern verließ Ryans Lippen, aber Ryder ließ sich davon nicht weiter beirren. Mit seinen Händen drückte er stattdessen Ryans Beine noch mehr auseinander, als sie wegen Ryders Körper sowieso schon waren. Gleich darauf hob er Ryans Hintern ein wenig an, was den für einen Moment nur irritierte; sein Kopf war vor Erregung einfach zu schwammig, um logisch darüber nachzudenken, was Ryder ihm da natürlich zeigen wollte. Aber als er dann Ryders feuchte, warme Zunge an einer ganz anderen Stelle spürte, fehlte ihm wieder der Atem. Okay, die Stellte hatte bei ihm bisher wirklich noch nie irgendeins von den Mädchen beachtet, mit denen er was gehabt hatte. Gerade konnte er aber kein Stück weit verstehen, wieso nicht, weil das Gefühl ungefähr das allergeilste war, das er jemals gehabt hatte. Ryders Zunge fuhr so geschickt darüber, dass es ihm bei dem Kontakt eine Gänsehaut bereitete. Aber als die Zungenspitze dann sogar tatsächlich noch ein wenig in ihn eindrang, war sowieso alles für ihn vorbei. Er fühlte sich gerade so unglaublich erregt, dass er glaubte, gleich platzen zu müssen… Und als Ryder einfach so weiter machte, ihn da unten mit seiner Zunge zu bearbeiten, glaubte er, dass das auch wirklich gleich passieren würde. Jedenfalls zuckte sein kleiner Freund da unten schon ganz verdächtig, in seinem Bauch hatte sich diese übliche, heiße Welle aufgestaut und auch, wenn seine Erregung gerade gar nicht bearbeitet wurde, wusste er, dass es jetzt nicht mehr lange dauern konnte. Ryders Zungenspitze fuhr abermals über Ryans super sensiblen Part, was ihm den Rest gab und – Ryans Atem stockte, als Ryders Hand sich überraschend fest um den Ansatz seiner Erregung schloss. „Noch nicht“, murmelte der Meermann mit noch leicht rauer, aber trotzdem freundlicher Stimme. „Ein bisschen musst du noch durchhalten…“ Ryan antwortete nicht, sondern schluckte nur ein paar Mal heftig. Langsam ebbte der fast gekommene Orgasmus wieder ab, aber er wusste, dass er es trotzdem nicht lange aushalten würde, egal wie sehr Ryder ihn davon abhalten wollte. Das wollte er auch gerade wieder äußern, als er abermals etwas spürte – diesmal war es aber nicht Ryders Mund, sondern lediglich dessen Finger. Als dieser wenige Momente darauf in Ryan eindrang, stieß der ein weiteres, überraschtes Keuchen aus. Woaaah, das fühlte sich ja direkt… gut an?! Das hätte er jetzt echt nie erwartet, aber irgendwie machte Ryder da was, dass sich das hier überhaupt nicht dumm anfühlte, sondern eben einfach nur… geil. Es dauerte nicht lange bis sich zu dem Finger ein zweiter und ein dritter gesellten, aber Ryan fiel das gar nicht groß auf. Er genoss einfach nur dieses unglaubliche Gefühl davon, wie Ryders Finger immer wieder in ihn eindrangen. Nur irgendwann traf Ryder irgendeine Stelle, die Ryans fast abgeflauten Fast-Orgasmus wieder in einem Ruck aufbauten, ihm eine weitere Welle der Erregung durch den Körper jagten und ihn erneut aufstöhnen ließ. „Shit“, brachte er gerade noch so hervor, während Ryder seine Hand wieder ein wenig rauszog, zustieß – und die Stelle erneut traf. Ryans Zehen verkrümmten sich, als Ryder auch wieder seine Lippen um Ryans Erregung schlossen und wieder mit dieser extremen Leichtigkeit bis zu seinem Ansatz kamen. Dabei hörte er aber nicht auf, immer und immer wieder diese eine Stelle mit den Fingern zu treffen, wobei Ryan fast schon taumelig vor Lust wurde. Selbstverständlich dauerte es ab dem Zeitpunkt einfach nicht mehr lange, bis der Orgasmus doch durch Ryan jagte. Ryder hörte dabei weder mit seinen Mund- noch seinen Fingerbewegungen auf, was den Orgasmus nur viel intensiver machte. Erst, als Ryder jeden Tropfen geschluckt hatte und Ryans Körper nicht mehr von den Nachwellen des Orgasmus zuckte, ließ Ryder ab und zog seine Hand komplett aus Ryan zurück. Ryan atmete noch immer extrem schwer, als Ryder zu ihm nach oben robbte. Er stützte seinen Ellbogen im Sand und seinen Kopf auf seiner Hand ab, um Ryan von oben amüsiert anzuschauen. „Und?“, fragte er leise nach. „So schlimm ist das mit einem Jungen nicht, oder?“ Ryan versuchte seine Gedanken zu sortieren, merkte aber, dass ihm die Lust tatsächlich irgendwie die Denkfähigkeit genommen hatte. Es dauerte ein wenig, bis er schwer atmend murmelte: „Das war besser als jeder Sex, den ich bisher hatte“, gefolgt von einem Schlucken. „Aber ich glaub nich‘, dass das irgendwer so gut wie du kann…“ Ryders Hand legte sich auf Ryans Brust, wodurch er sicherlich Ryans viel zu schnell schlagendes Herz spüren konnte. „Ich hatte auch viel Übung“, murmelte Ryder schließlich, was Ryan wieder zum Grinsen brachte. „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte er, während er eine seiner Hände auf Ryders Hand legte. „Aber ich schätze, jetzt hast du jeden Sex auf der Welt für mich versaut, weil das nie wieder so gut wie jetzt werden kann…“ Und in dem Moment, in dem Ryan es aussprach, wusste er auch irgendwie, dass das stimmte – aber es war ja egal. Schließlich hatte er ja Ryder. Oder auch nicht. Denn das College war eine überraschend harte Zeit, die überraschend viel von Ryans Aufmerksamkeit verlangte – egal ob wegen Lernen, ob wegen Mädchen, wegen Stress mit Aaron oder wegen der ganzen Partys und dem ganzen Schmarn mit den Verbindungen, Ryan hatte kaum Zeit, irgendwelche freie Zeit zu bekommen. Er nahm sich zwar immer vor, in den Ferien mal wieder ans Meer zu fahren, aber irgendwie fehlte ihm dann in den eigentlichen Ferien doch immer die tatsächliche Motivation dazu. Außerdem fühlte er sich mit jeder Person, mit der er schlief, ein bisschen schlechter gegenüber Ryder, obwohl er gar nicht erklären könnte wieso; früher, bevor Ryder das mit ihm am Strand gemacht hatte, war das auch nicht so gewesen. Aber mittlerweile war Ryan einfach nur nervös, seinem früheren Schwarm wieder gegenüber zu treten und – um ehrlich zu sein – er vergaß ihn auch ein bisschen. Ryans College-Zeit war eben fordernd und anstrengend, aber gleichzeitig auch irgendwie eine der geilsten Zeiten seines Lebens. Er hatte kaum Stress… war es ihm da zu verdenken, dass er Ryder eben nicht dauernd im Kopf hatte? Aber an einem Tag, der für ihn eigentlich der wahrscheinlich wichtigste Tag im Leben sein sollte, konnte er Ryder nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Genau deshalb schnappte er sich auch an diesem einen Tag Aarons Motorrad und fuhr zum Strand, weg von all den schlechten Gedanken die er hatte und hin zu der einzigen Person, die ihn wahrscheinlich gerade wirklich verstehen würde. Es dauerte nicht lange, bis er einen Strand gefunden hatte, der abgelegener als die Anderen waren. Ohne lange darüber nachzudenken stellte Ryan das Motorrad ab, rannte förmlich bis zu dem Wasser und merkte, wie sein Mund noch vorm Ankommen anfing, zu rufen; „Ryder?! Ryder, bitte, Ryder, ich brauche dich, dringend!“ Gerade, als er am Ufer des Strandes ankam, sah er auch, wie der Mann aus dem Wasser auftauchte. Ein bisschen entfernt vom Strand, aber trotzdem eindeutig dieselbe Person, mit der Ryan früher jeden Tag geredet hatte. „Ryan“, stellte er mit einer beruhigenden, sanften Stimme fest. Noch während er näher schwamm, redete er weiter; „Alles gut bei dir?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander und merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Gosh. Anstatt also verbal zu antworten und in Gefahr zu laufen, in Tränen auszubrechen – er war ein erwachsener Mann von 27 Jahren, er fing nicht einfach an, zu heulen! – schüttelte er nur den Kopf, bevor er sich in den Strand setzte, so nah am Wasser wie er sein konnte, ohne wirklich nass zu werden. „Ich hab dich noch nie im Anzug gesehen“, stellte Ryder fest, während er schließlich am Strand ankam und sich daran ein bisschen hinaus zog, sodass er in die Nähe von Ryan kam. Er schien keine sonderlich große Sorge zu haben, dass hier irgendwer kommen würde, denn er kam mit seiner Flosse relativ nonchalant ganz aus dem Wasser. „Das sieht gut aus, Ryan.“ Als ob es das besser machen würde! Ryan merkte, wie seine Augen immer mehr brannten. Frustriert zog er seine Beine an seinen Oberkörper, umarmte sie und versenkte sein Gesicht in seinen Knien. „Hey, alles ist gut“, hörte er Ryders Stimme neben sich, während eine nasse Hand sich auf Ryans Schulter legte. Dann war er also mittlerweile tatsächlich bis zu Ryan gerobbt… Gott, scheiße, hatte er Ryder in den letzten Jahren vermisst! Das war ihm noch nie so klar gewesen wie jetzt, wo er dem Jungen wieder so nahe saß und das Herz in seiner Brust wieder anfing, zu pochen. „Also, wahrscheinlich ist es das nicht, sonst wärst du nicht hier“, fuhr Ryder fort, „Aber ich glaube, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, Ryan. Und wenn du mir von deinen Problemen erzählen willst… lass dir alle Zeit der Welt.“ Ryan ließ sich auch tatsächlich ein bisschen Zeit, solange, bis das Gefühl einer drohenden Heulattacke von ihm gegangen war. Daraufhin stützte er sein Kinn auf seinen Knien ab und nahm nochmal einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Ryder…“, fing er dann nervös an. Er hatte keine Ahnung, wie er das alles erklären sollte, weshalb er einfach mit dem leichtesten anfing: „Ryder, heute ist – heute ist mein Hochzeitstag.“ Das Schweigen, das danach einkehrte, dauerte allerhöchstens fünf Sekunden. Aber Ryan machte es verrückt, dass Ryder in diesen fünf Sekunden nicht antwortete, weshalb er seine Aussage gleich noch ein wenig anpasste. „Oder heute wäre mein Hochzeitstag, aber… ich pack das nicht. Also, ich weiß nicht, ob ich das nicht packe, ich – das… das ist alles so viel. Und so plötzlich und so verdammt schnell und…“ Ryan stockte wieder, nahm einen weiteren Atemzug und wollte weiter reden, aber ihm fiel auf, dass ihm da gerade nicht noch mehr einfiel – deshalb schwieg er erstmal. „Wen heiratest du denn?“, fragte Ryder schließlich nach. Seine Stimme klang irgendwie komisch, aber wahrscheinlich bildete Ryan sich das nur ein. „Ihr Name is‘… Rachel. Rachel Dunstock… oder eben bald Adams“, murmelte Ryan. „Sie ist meine Freundin seit… einanhalb Jahren, ungefähr? Ich mein… ich kenn sie noch nicht mal richtig gut, ich mein, was sind schon einanhalb Jahre? Aber... heute – heute heiraten wir. Am Strand. Gar nicht weit weg von hier…“ Ryder erwiderte wieder eine Weile lang nichts. „Wieso willst du sie dann überhaupt heiraten?“, fragte er dann, was Ryan wieder frustriert sein Gesicht verziehen ließ. „S-sie.. sie ist schwanger von mir. Sie wird in fünf Monaten das Kind bekommen… unser… gemeinsames Kind. Ich weiß noch nicht mal, ob ich bereit bin, Vater zu sein, Ryder… Und ich liebe sie eigentlich und ich glaube, dass ich auch unser Kind lieben werde, aber gerade klingt das alles nach einem so unglaublich gewaltigen Schritt und ich weiß nicht, ob ich mein restliches Leben lang zufrieden mit diesem Schritt sein kann und – und ich weiß überhaupt nichts mehr und eigentlich will ich das alles nicht und… und eigentlich will ich gerade einfach nur bei dir sein, dich umarmen und mir von dir anhören, das alles wieder gut wird, weil du der einzige Mensch bist, dem ich das glaube.“ Nach diesem kleinen Monolog, der nach dem Aussprechen irgendwie peinlicher war als davor, versenkte er sein Gesicht wieder in seinen Knien… wurde aber kurz darauf tatsächlich von Ryder in den Arm genommen, der ihn ein wenig an sich drückte. Nur allzu bereitwillig lehnte Ryan seinen Kopf gegen die Schulter des Mannes. „Ich kann dir nicht sagen, dass alles gut wird“, flüsterte Ryder schließlich leise, während er mit seiner Hand über Ryans Schulter fuhr. „Aber ich kann dir sagen, dass du ein unglaublicher Vater sein wirst. Ich kann dir versprechen, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Probleme hast und dass ich immer bei dir bin, auch, wenn du nicht zum Meer kommst. Hey, ich werde wahrscheinlich auch bei deiner Hochzeit irgendwo im Meer in der Nähe sein… hast du schon einen Trauzeugen?“ Ryan wollte eigentlich gar nicht reden – er wollte weiter Ryders Stimme hören, noch mehr aufmunternde Worte von ihm… aber er nickte dennoch schnell. „Erinnerst du dich an Aaron?“, gab er zurück, woraufhin Ryder wieder nickte. „Natürlich erinnere ich mich an Aaron“, murmelte er, während er Ryan wieder an sich zog. „Und Aaron steht dir sicher auch zur Seite, wenn du Hilfe brauchst, Ryan“, redete Ryder also gleich weiter. „Du musst dir keine Sorgen machen, Ryan – wirklich nicht. Ich weiß, dass du dir nur die richtigen Menschen in deinem Leben aussuchst… und wenn du Rachel heiratest, dann glaube ich auch, dass sie die Richtige für dich ist. Sie, und das Kind, das du mit ihr bekommen wirst.“ Wieder sagte Ryan nichts, aber Tatsache war, das diese wenigen Worte von Ryder ihm unendlich mal mehr wert waren als jedes Wort, das Aaron oder Rachel über diese Hochzeit gesagt hatten. Er könnte nicht erklären wieso, aber sie beruhigten ihn auch tatsächlich und bereiteten ihn auf die Hochzeit vor – Aber als er später das Ja-Wort sagte, musste er immer noch nur an Ryder denken. „Du solltest dich darum kümmern!“ Ryan entfuhr ein frustriertes Schrauben, als Rachel das zum hundertsten Mal wiederholte. Wieso konnte diese Frau nicht einfach einsehen, dass sie falsch lag?! „Weißt du, seit wann diese OP geplant ist? Seit einem halben Jahr. Ein halbes Jahr, Rachel, plane ich diesen Termin schon! Meinst du ernsthaft, ich hätte dir gesagt, dass ich mich an dem Tag dann auch noch um den Elternabend von Noah kümmere?!“ „Ja, das dachte ich!“ Rachel schnaubte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ryan rollte mit den Augen, einfach, weil er dieses ständige, kindische Getue von seiner Frau sowas von satt hatte, das man es kaum noch in Worte fassen konnte. Seit vier Jahren machte er diesen Nonsens jetzt schon mit und langsam aber sicher fehlte ihm einfach der Nerv dazu. „Das denkst du wenn dann“, korrigierte Ryan sie. „Was?“ Rachel blinzelte verwirrt, aber Ryan schüttelte einfach nur den Kopf. „Schüttel nicht ständig den Kopf, wenn ich mit dir rede!“, fuhr sie fort – und wieder schüttelte Ryan nur den Kopf, aber diesmal folgten seine Finger, die genervt an seiner Nasenwurzel rieben. „Ich fasse es nicht“, keifte Rachel. „Wieso weichst du ständig jedem Gespräch mit mir aus?!“ „Weil das keine Gespräche sind, sondern ein einziges Anschreien“, knurrte Ryan genervt. „Ich kann’s dir nicht recht machen, mal abgesehen davon, dass du mir zu 90% der Zeit ganz offensichtlich sowieso nicht zuhörst.“ „Das sagt der Richtige!“ Rachel stapfte mit ihrem Fuß in den Sand. „Wie kannst du sagen, ich höre dir nicht zu? Gerade du?! Muss ich dich erst daran erinnern, wer unsere Ehe schon in der Nacht der Eheschließung gefährdet hat?!“ Ryan stockte, bevor er seinen Kopf zu ihr drehte und sie fassungslos anschaute. Sie machte es tatsächlich schon wieder! Immer, wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, kam diese verdammte Hochzeitsnacht auf – und dabei hatte sie schon so oft behauptete, dass sie darüber hinweg sei. Ja, gut, natürlich verstand Ryan, wieso seine Frau es nicht gerade anregend gefunden hatte, dass sie ihren Bräutigam in der Besenkammer des gemeinsamen Hotels auf seinen Knien gefunden hatte, den Mund buchstäblich voll mit der Männlichkeit seines Trauzeugens… aber das hieß noch lange nicht, dass sie immer wieder darauf rum hacken musste! Vor allem nicht in diesem verdammten Urlaub, in dem sie doch endlich mal entspannen und sich nicht andauernd nur anzicken wollten… Aber statt darüber noch ein Wort zu verlieren, unterbrach Ryan den Blickkontakt einfach mit einem Schnauben und schaute stattdessen nach wo sein Sohn, Noah, sich schon wieder rum trieb. Eigentlich nur eine flüchtige, kleine Geste, die ihn aber innerhalb von Sekunden fesselte. Der Strand war de facto leer. Noah, der eben noch im Sand gespielt hatte, hatte sich verdrückt und war nirgends zu sehen; und dann war da dieser Steg, der so gefährlich weit ins Meer jagte. Ryans Herz pochte ihm bis zum Hals, als er auf der Decke aufsprang. Er hörte, wie Rachel sich über den Sand beschwerte, den er damit aufwirbelte, aber er ignorierte das. „Noah?!“, rief er über den Strand hinweg, was wohl auch Rachels Aufmerksamkeit anstachelte. Noch bevor sie sich aufrichtete, fing Ryan panisch an zu laufen. Bitte, oh, bitte, Noah durfte nichts passiert sein! „Noah Ryder Adams, komm sofort her!“, hörte er Rachel hinter sich rufen, während seine Beine über den Strand flogen. Scheiße. Scheiße. Scheiße! Wo war Noah?! Er merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, aber in seinem Kopf spielten sich die unheimlichsten Szenarien aus, in denen sein Sohn ertrunken, entführt oder einfach nur wegen der Hitze zusammengebrochen war… Aber er kam nicht sonderlich weit, da er kurz darauf fast schon über Noah stolperte. Er lag am Strand, völlig durchnässt. Ryan könnte schwören, dass er vor wenigen Sekunden noch nicht dort gelegen hatte, aber anstatt darüber nachzudenken hechtete er sofort zu seinem Sohn. Er kniete sich neben ihm und hätte fast Erste-Hilfe-Maßnahmen ergriffen, wenn er nicht im letzten Moment bemerkt hätte, dass sein Sohn atmete… komplett normal. „Noah?“, flüsterte er leise, mit Tränen in den Augen, während er sich zu seinem Sohn herab beugte. Der hob nur langsam seine Augenlider, aber es schien ihm gut zu gehen… glaubte Ryan jedenfalls. „Ich hab keine Luft mehr bekommen, Papa“, murmelte Noah, was Ryans schlimmste Vermutung bestätigte. „Aber ein Mann hat mich gerettet…“ Bevor Noah noch weiter reden konnte, hörte Ryan einen glücklichen Aufschrei von Rachel, die zu ihnen rannte, auf die Knie fiel und Noah umarmte. Aber Ryans Herzschlag hatte sich schon wieder beruhigt. Wie hatte er jemals Angst um sein Kind haben können? Nicht hier, nicht am Meer – das hatte er schon gewusst, bevor er in den Urlaub gefahren war. Deshalb fuhr sein Blick auch vorbei an seinem Sohn und seiner Frau, zu dem Meer, das so ruhig wirkte wie schon den ganzen Tag. „Danke, Ryder“, flüsterte er leise. „Ryder?“ Ryan ließ seine Füße ins Meer sinken und ein wenig auf den Wellen treiben. Er saß auf einem Holzsteg, einen, der nicht so weit ins Meer ragte und ziemlich zerfallen und alt aussah, der seinen Dienst aber noch wunderbar tat. „Ryder, bist du da?“, wiederholte er leise, aber hatte wie üblich keine große Hoffnung, ihn wirklich zu sehen. Er hatte seit sieben Jahren nicht mehr mit Ryder geredet – sieben Jahre! – auch, wenn er sich sicher war, das er vor drei Jahren Noah das Leben gerettet hatte. Dennoch, wirklich geredet hatten sie seit seinem Hochzeitstag nicht mehr… was eine wirklich ernüchternde Vorstellung war. Aber wie immer, wenn er Ryder um Hilfe bat, überraschte dieser ihn. Diesmal sah Ryan zuerst seine graue Flosse, bevor Ryder die Wasseroberfläche durchbrach und zu ihm schaute. „Hallo, Ryan“, grüßte er den Anderen – und zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder ihn immer so begrüßte, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Er schien ihm nie böse zu sein, wenn er ihn ewig nicht gesehen hatte… „Hallo, Ryder“, grüßte Ryan ihn lächelnd zurück, was auch Ryder ein Grinsen auf die Lippen zauberte. Ryder sah immer noch so jung aus; zwar hatte er mittlerweile einen Bartschatten, aber er war körperlich mittlerweile definitiv jünger als Ryan. Eine wirklich komische Vorstellung, wenn man darüber nachdachte… „Geht’s dir gut?“ Ryder legte den Kopf von seiner Position aus ein bisschen schräg. „Ja“, stimmte Ryan zu, während er mit seiner Hand über seinen Nacken fuhr. „Mir geht es so gut wie seit der Scheidung mit Rachel nicht mehr…“ Ryder schien dieses Tatsache einfach hinzunehmen. Er schien zu wissen, dass Ryan nicht darüber reden wollte, nicht nochmal diese grausamen, dummen Details wiederholen wollte. Ja, die Scheidung von Rachel war kein Zuckerschlecken gewesen, aber es war ein wunderbares Geschenk zum fünften Hochzeitstag gewesen. „Hat das irgendeinen bestimmten Grund?“, fragte Ryder nach, während er seine Hände an den Steg legte. Mit einem Ruck hatte er sich nach oben gezogen, sodass er neben Ryan sitzen konnte. „Eigentlich nicht“, erwiderte Ryan, während er Ryder ein schiefes Lächeln schenkte. „Das heißt… ich hatte gerade eine Woche Roadtrip hinter mir und das heute ist mein letzter Tag. Die Woche war unglaublich schön, alleine, weil ich sie mit Aaron verbringen konnte…“ – Ryan stockte kurz. „Aaron ist mittlerweile übrigens mein Freund“, erklärte er rasch. „Seit zwei Jahren, um genau zu sein… Gleich nachdem ich mit Rachel Schluss gemacht habe.“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Ich hab dir immer gesagt, dass du mehr für ihn empfindest“, stellte er amüsiert fest. Ryan lachte nervös und fuhr dich durch die Haare, bevor er langsam nickte. „Und du hattest immer recht“, erwiderte er. „So wie du über alle Dinge in meinem Leben immer recht hattest, Ryder.“ „Mit Rachel hatte ich nicht recht.“ Ryder runzelte die Stirn, aber Ryan schüttelte nur seinen Kopf. „Doch, hattest du – du hast gesagt, die Menschen, die ich mir aussuche… aber ich hab sie nie ausgesucht.“ Ryan seufzte, bevor er seine Hand langsam auf Ryders ablegte. „Du glaubst es mir vielleicht nicht, weil ich dich so selten besuchen komme“, murmelte er, „Aber du bist mir wirklich unendlich wichtig. Du bist mir der wichtigste Mensch auf der Welt, um genau zu sein…“ Ryan schaute zu Ryder, aber der richtete seinen Blick in die Ferne. Seine Finger spielten aber ein wenig mit denen von Ryan, was diesem ein unglaublich wohliges Gefühl verschaffte… ein so wohliges Gefühl, das ihn jegliche Form von Liebe für Aaron in Frage stellen ließ und nur noch Raum für Ryder ließ. „Sicher, dass ich nicht doch eher dein liebster Meerjungfraumann bin?“, fragte Ryder schließlich zurück, während er seinen Kopf mit einem schiefen Grinsen zu Ryan drehte. Der blinzelte erst verwirrt, bevor er zu lachen anfing . „Du bist auf jeden Fall meine liebste Meerjungfrau“, stimmte er dann aber zu. „Wusstest du, dass Aaron ‚Arielle – die kleine Meerjungfrau‘ liebt? Also den Film? Und immer, wenn er einen Song daraus singt, muss ich an dich denken… an Ryder, meinen kleinen Meermann.“ „Klein?“, wiederholte Ryder amüsiert, aber mit einer unüberhörbaren Melancholie in der Stimme. „Nicht so überheblich, Ryan… Ich weiß zufälligerweise ganz genau, dass mein Schwanz länger als deiner ist.“ Zum Beweis hob Ryder seine Flosse auch ein wenig, nur, um sie wieder ins Wasser sausen zu lassen – und Ryan damit nass zu spritzen. Der lachte zwar nur wieder, aber irgendwie merkte er, dass Ryder… nicht ganz zufrieden war. Irgendwas störte ihn, aber Ryan könnte nicht mal sagen, was; er wusste schließlich nicht viel über Ryder. Selbst die zwei Jahre, in denen sie jeden Tag miteinander geredet hatten, hatten sie hauptsächlich über Ryan geredet, nicht über Ryder. Aber was sollte er tun? Ryan hatte darauf immer noch keine Antwort, als er wenige Stunden später auf den Weg zurück zu Aaron war. Das Wasser umspielte Ryans Fußknöchel. Das Meer war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit, aber wahrscheinlich lag das einfach daran, dass es nachts war. Und war das Meer in Churningham um diese Zeit nicht sowieso immer überraschend kalt gewesen? Ryan spürte einen Kloß in seinem Hals, den er aber erfolgreich runter schluckte. Er machte einen weiteren Schritt ins Wasser, die Kälte ausblendend. Das Wasser durchtränkte erst seine Socken, dann seinen Saum der Hose und war schließlich bei seinen Knien angelangt, was Ryan aber nicht stoppte. Egal wie kalt es war, er konnte einfach nicht mehr anhalten. Also ging er weiter, bis er mit der Hüfte drinnen war, bis zum Bauchnabel, bis zur Brust… Und schließlich schwamm er, wobei seine nassen Klamotten sofort zur Last wurden. Aber auch das ignorierte er geflissentlich. „Ryder?“, flüsterte er stattdessen ins Meer, nachdem er endlich angefangen hatte, richtig zu schwimmen. Es dauerte nicht lange, bis Ryder neben ihm auftauchte. Ryan spürte, wie ihm sofort Tränen in den Augen brannten, die er diesmal aber nicht versuchte zu unterdrücken. Als die erste Träne über seine Wange rollte, spürte er, wie Ryder seine Hand an Ryans Schulter legte. „Was tust du da?“, fragte er, mit einem definitiv besorgten Tonfall in seiner Stimme. „Du weißt, dass ich nicht zulasse, dass du dich ertränkst, oder…?“ Ja, ja, das wusste Ryan. Immer noch weinend drehte er sich zu Ryder, schaute ihn kurz an und schloss ihn dann in die Arme; wobei er seine Arme um dessen Hals schlang, sodass Ryder ihn mit der Flosse oben behalten konnte. „Ich will bei dir sein, Ryder“, flüsterte er. „Bitte. Bitte lass mich sterben.“ Eine Zeit lang spürte Ryan nichts bis auf den stetigen Atem von Ryder. Er schien nicht wissen, was er dazu sagen sollte – aber was sollte er auch schon dazu sagen? Ryan wusste, wie seine Worte klangen. Aber was sollte er tun? „Was ist mit Aaron? Und mit Noah?“ Ryan schluckte. „Aaron… liebt mich nicht. Und ich – ich liebe ihn nicht. Er wird glücklicher sein, wenn ich weg bin. Noah weiß nicht mal mehr, wer ich bin, außer der Mann, der ihm regelmäßig Geschenke bringt… meine Familie vergisst mich, mein Job treibt mich in den Wahnsinn… Aber selbst wenn das alles nicht wäre, Ryder, ich kann das nicht mehr.“ Er schnappte nach Luft, aber erklärte gleich weiter: „Ich habe lange darüber nachgedacht… so… lange. Ich hab mir eingeredet, dass Rachel und Aaron mich glücklich machen, das Noah mich glücklich macht, aber – ich habe mich niemals in meinem Leben wirklich ganz gefühlt. Ich dachte immer, dass ich irgendwas wichtiges im Leben verpasse, dass alle anderen Menschen um mich herum etwas wissen, was ich nicht weiß und hab immer versucht, glücklicher zu werden, aber…“ Ryan löste sich ein bisschen, um Ryder durch den Tränenschleier in die Augen schauen zu können. „Mir ist klar geworden, dass ich schon so glücklich war. Schon so oft… aber… auch viel zu selten. Ryder, du bist – du bist die einzige Person, bei der ich mich jemals richtig gefühlt habe und… ich hasse mich dafür, dass mir das nicht früher klar geworden ist. Aber ich kann nicht mehr ohne dich leben, Ryder, und ich will das auch gar nicht mehr. Es reicht nicht, einfach wieder ans Meer zu ziehen, ich… brauche dich… so sehr, aber – ich kann auch nicht mehr leben. Ich will nicht mehr. Bitte, bitte nimm mich zu dir mit…“ Ryan merkte, dass auch Ryder Tränen in den Augen hatte, was sich mit dem Meerwasser in seinem Gesicht vermengte. „R-ryan“, murmelte er, wobei seine Stimme überraschend zittrig klang. „Bitte… tu das nicht. Ich kann das nicht…“ „Wenn du es nicht tust“, murmelte Ryan, „töte ich mich anders selber. Nicht im Meer – mit Tabletten, einer Pistole, irgendwie.“ Er schluckte wieder, weil er merkte, dass seine Stimme belegt war. „Bitte, Ryder, tu mir den Gefallen. Ich weiß, dass ich dich nach so unendlich vielen Gefallen gefragt habe, aber ich bitte dich inständig, gib mir nur noch diesen letzten…“ Ein Schluchzen durchfuhr Ryder. Ryan spürte es an jeder einzelnen Faser seines Körpers und hasste sich dafür, dass er Ryder zum Weinen brachte… aber er konnte seine Worte auch schlecht einfach zurücknehmen. Nein, stattdessen schaute er Ryder flehend an, schaute in diese Augen, in die er sich vor so vielen Jahren verliebt hatte – und die er immer noch liebte, wie er abermals feststellen musste. Die er immer lieben würde. „Ich liebe dich, Ryan“, flüsterte Ryder leise. Ein erlöstes Lächeln legte sich auf Ryans Züge. „Ich liebe dich auch, Ryder“, flüsterte er zurück. Gleich darauf zog Ryder ihn an sich und küsste ihn. Noch während dem Kuss schlang er seine Arme enger um Ryan, um ihn mit sich zu ziehen – mit unters Wasser. Ryan drückte seine Arme ebenfalls fester um Ryder, während der innerhalb von wenigen Sekunden in unglaubliche Tiefen schwamm, dabei aber nie den Kuss löste. Es fühlte sich nicht schlimm. Nein, im Gegenteil, Ryan fühlte nicht mal, dass er ertrank – stattdessen spürte er, wie sein Körper immer jünger würde. Er fühlte sich wieder wie 18. Er konnte klar vor Augen sehen, wie er ins Wasser ging, wie aus seinen Beinen eine Flosse wurde und wie Ryder mit ihm nach unten zog – zum Meeresgrund. Ryan konnte sehen, wie Ryder ihm sein Leben zeigte, wie sie sich gegenseitig aufeinander einließen. Er sah, wie sein Leben eine so unglaubliche Form angenommen hatte, dass er absolut nichts mehr im Leben außer Ryder brauchte. Die Vision, die Ryder mit ihm teilte, hielt bis zum Ende an. Bis Ryan in den Armen von Ryder ertrank. Kapitel 2: The Little Merman [ohne Smut] ---------------------------------------- Die Beine des dreijährigen Ryan tapsten ungeschickt über den Steg Richtung Meer. Seine Eltern bemerkten ihn nicht - sie lagen gerade am Strand und stritten sich, was Ryan in seinem Alter noch nicht so ganz verstand. Sie waren aber in letzter Zeit öfter so laut geworden, seit seine Mutter sein zukünftiges Geschwisterlein in ihrem Bauch spazieren trug. Ryan hatte noch nicht so wirklich verstanden, was seine Eltern damit meinten, aber offensichtlich würde er bald eine 'Schwester' bekommen - was auch immer das war. Was er aber wusste war, dass der Strand für ihn ein kleines Abenteuer war. Er war so groß und so voller Sand, das war total toll! Und er fand voll viele 'Muscheln' (das Wort hatte Mommy ihm erst heute Morgen erklärt… voll cool, oder?), die aber total leicht kaputt gingen. Mindestens so interessant wie der Strand war aber eben auch der hölzerne Steg, der immer so ein tolles Geräusch machte, wenn Ryan da mit vollem Körpergewicht drauf sprang. Genau das machte er auch, solange, bis er das Ende des Stegs erreicht hatte; immer ein bisschen Anlauf nehmen, Sprung, wumm, Anlauf nehmen, Sprung, wumm... Bis er schließlich das Ende des Stegs erreicht hatte. Hier hörte er seine Eltern gar nicht mehr streiten, was irgendwie ziemlich schön war. Außerdem konnte er von hier aus voll über das Meer sehen, was so unglaublich übergroß war, das Ryan es kaum glauben konnte. Vom Strand war das ja schon groß, aber hier am Ende des Stegs...! Boah! Ryan machte große Augen, wobei er gar nicht merkte, wie nah er am Rand des Stegs stand. Gut, genau genommen merkte er es schon, er dachte nur nicht darüber nach. Erst, als sich einer der 'Möwen' (ebenfalls ein Wort, dass seine Mutter ihm erst kürzlich beigebracht hatte) bemerkbar machte, drehte er sich geschockt um. Die Dinger waren riesig (jedenfalls in seinen Augen), mindestens so groß wie er und machten ihm ungeheuer Angst. Und gerade im Moment kreischte eine - direkt hinter ihm! Ryan machte einen kleinen, erschrockenen Sprung, der von der Distanz wahrscheinlich ziemlich lustig ausgesehen hätte. Dabei versuchte er sich zu drehen, um vor dem Bösewicht zu entkommen... Es war im Endeffekt kein Wunder, dass er das Gleichgewicht verlor. Instinktiv ruderten seine kleinen, möglicherweise etwas plumpen Arme, aber es war zu spät: Die Möwe hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er rückwärts von ihr weg fiel - also direkt ins Meer. Es blieb Ryan kaum noch Zeit, darüber nachzudenken, dass er keine Schwimmflügel anhatte und er ja gar nicht im Badeanzug war, als das kalte Meer ihn auch schon umschloss. Überrascht von der plötzlichen Kälte machte Ryan im ersten Moment gar nichts. Er wusste gar nicht, was er tun sollte, nur, dass seine Augen brannten, wenn er sie aufmachte. Deshalb kniff er sie zusammen und wollte einen tiefen Atemzug nehmen, was sich als Fehler herausstellte. Es war ein bisschen so, als ob er zu viel Orangensaft auf einmal getrunken und sich daran verschluckt hatte, nur konnte er es irgendwie nicht mal richtig aushusten. Nein, wenn er hustete wurde es sogar nur noch schlimmer! Je länger er unter Wasser war, desto schlimmer fühlte sich sein Körper an. Er konnte einfach nicht mehr atmen, das Wasser schmeckte ganz grausig und unerklärlicherweise bekam er zunehmend Angst. Sein Instinkt brachte ihn dazu, seine Arme und Beine schwach zu bewegen, aber das brachte ihm nichts - er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war, er wusste gar nicht, wo er hin musste und ihm war nicht mal mehr wirklich klar, wo er genau war.  Gerade, als er das Bewusstsein verlor und seine Augen panisch wieder öffnete, sah er ein Gesicht vor sich. Im letzten Moment spürte er noch, wie eine Hand sich um sein Handgelenk schloss. Als er wieder aufwachte, mit einem schrecklichen Husten der ihm im Brustkorb weh tat, lag er auf einer sandigen Fläche. „Ryan?!“, fiepste eine aufgeregte Frauenstimme - die seiner Mutter. „Ganz ruhig, Schatz“, murmelte sein Vater. „Es geht ihm gut. Ich hab dir doch gesagt, es geht ihm gut...“ Ryan merkte, wie ihm eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen wurde, aber das hielt ihm nicht vom Husten ab. Mensch, er wusste gar nicht, das husten so weh tun konnte! Aber obwohl er wieder an Land war, erinnerte er sich noch gut an das Gesicht, das er eben gesehen hatte - dieses Gesicht von der Person, die ihn gerade gerettet hatte. Als Sechsjähriger bekam Ryan erstmalig die Chance, ohne Schwimmflügel im Meer zu schwimmen. Er konnte zwar schon davor schwimmen, aber das war das erste Mal, dass sie seitdem als Familie an ein Meer gefahren waren. Naja, ohne Mama halt, weil die gerade irgendeinen Auftrag in einem anderen Land hatte. Irgendwas mit Biologie, glaubte Ryan, so etwas in der Art hatte sie jedenfalls gesagt. Sein Papa hatte erst Angst gehabt, weil Ryan seit drei Jahren nicht mehr am Meer gewesen war, aber Ryan freute sich unheimlich auf das Meer - und ab dem Zeitpunkt, ab dem sie am Strand waren, verbrachte Ryan fast jede Sekunde im Wasser. Sein Vater versuchte währenddessen sich um Ryans Baby-Schwester zu kümmern und gleichzeitig auf Ryan aufzupassen. Nur schien das nicht sonderlich leicht zu sein, denn es schien ihm im ersten Moment gar nicht aufzufallen, wie weit Ryan im Meer heraus schwamm. Es war schon spät, weshalb Ryan entschlossen hatte, zu der Sonne zu schwimmen, die schon so halb im Wasser war. Nur war das nach einer Weile echt anstrengend, aber er gab dennoch nicht auf - immerhin kam die Sonne mit jedem seiner Schwimmzüge näher! „Du solltest aufpassen“, hörte Ryan dann aber plötzlich eine tiefe, ruhige Stimme. „Nochmal rette ich dich nicht vorm Ertrinken.“ Tatsächlich hörte Ryan geschockt auf, weiter Richtung Sonne zu schwimmen. Stattdessen schwamm er auf der Stelle und drehte seinen Kopf schnell zu der Person, die da gerade zu ihm gesprochen hatte. Und... da, es war ein Junge! Ein echt alter Junge, so um die Achtzehn, der da genau vor ihm auf der Stelle schwamm. Aber... das war nicht irgendein Junge! Das Gesicht... Ryan merkte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete. „Ich kenne dich!“, stellte er mit quietschiger und ein bisschen erschöpfter Stimme fest. Der Junge runzelte die Stirn. „Ich hoffe doch, das du mich noch kennst, Ryan“, erwiderte er. „Ich rette nicht jeden Tag Leute vorm Ertrinken.“ Ryan war zu verwirrt, um zu bemerken, dass der andere Junge – der Junge, der ihn damals gerettet hatte! – seinen Namen kannte, obwohl Ryan ihm den doch gar nicht verraten hatte. Dafür sah er jetzt zum ersten Mal seit einer Ewigkeit zurück zum Strand, der mittlerweile echt weit weg war.  „Das schaff ich nicht...“, murmelte Ryan erlegen.  Der Junge seufzte. „Ich weiß“, sagte er. „Deshalb bin ich hier.“ Und noch ohne groß was zu sagen drehte der andere Junge sich, sodass er Ryan den Rücken zu wandte. Ryan verstand, was er wollte, weshalb er rüber zu dem Jungen schwamm und seine Arme um dessen Hals legte. Nicht eine Sekunde dachte er an all die Male, an denen seine Eltern ihm gesagt hatten, dass man sich vor Fremden in acht nehmen sollte. Nicht unbedingt, weil er nicht daran vergaß – sondern weil er diesem Jungen einfach sofort vertraute. Dem Jungen mit dieser einwickelnden, faszinierend tiefen Stimme… „Wie bist du hierher gekommen“, murmelte Ryan, als der andere Junge sich in Bewegung setzte. Er schwamm irgendwie komisch, aber Ryan störte das nicht, solange sie ans Ziel kamen. Vielmehr fragte er sich, woher der andere Junge gerade so schnell gekommen war - der Strand war bis auf sie eigentlich ziemlich leer und außer Ryans Familie waren da nur ein altes Ehepaar und ein paar Mädchen gewesen, aber ganz sicher nicht dieser Junge. Jedenfalls nicht so nah im Wasser, das wäre Ryan doch beim ganzen schwimmen aufgefallen! Der Junge ließ sich ein bisschen Zeit, bevor er antwortete. „Ich komm immer, wenn du meine Hilfe brauchst, Ryan.“ Ryan überlegte kurz. „In Ordnung“, sagte er dann, bevor er seinen Kopf an die Haare des Jungens lehnte. Der brachte ihn aber nicht ganz zum Strand, sondern nur in die Nähe davon, bis er anhielt.  „Ab hier schaffst du's alleine, oder?“ Ryan nickte und ließ von ihm ab. Er hatte sich gerade eh genug ausgeruht, das er wieder ein bisschen schwimmen konnte. „Danke“, sagte er, als sich der Junge wieder umdrehte. „Keine Ursache.“ Ryan lächelte nochmal verhalten, bevor er wieder zurück Richtung Strand schwamm. Erst nach ein paar Metern fiel ihm ein, dass er ja theoretisch noch nach seinem Namen fragen könnte – Dad sagte immer, das höflich –, aber als er über seine Schulter sagte, war der Junge schon wieder weg. „Wusstest du, dass der See zum Meer verbunden ist?“ Ryan schaute nur wenig interessiert zu seiner kleinen Schwester, die schon seit Stunden Infos über den See raus haute, an dem sie gerade campten. Infos, die sie von irgendeiner komischen Tafel abgelesen hatte - und die sie im Grunde nur raus posaunte, weil sie so stolz war, das sie überhaupt lesen konnte. Und das gerade mal mit fünf Jaaahren! Ja, echt, tolle Leistung, Judy. Nur weil Ryan länger gebraucht hatte… „Wieso ist er dann nicht salzig?“, fragte der mittlerweile achtjährige Ryan mürrisch. Aber statt auf seine Frage zu antworten, sagte das Mädchen nur: „Wusstest du, dass in dem See genug Wasser ist, um mindestens füüünfzig Schwimmbecken zu füllen?“ „Ich glaube, das reicht für mehr als fünfzig Schwimmbecken, Judy“, brummte ihr Vater, der neben ihnen auf einem Handtuch saß. „Gar nicht wahr!“, sagte Judith - und das nahm Ryan als Stichwort. Denn jetzt würde seine Schwester erstmal auf ihren Vater einreden und er hätte seine Ruhe.  „Ich geh schwimmen!“, erklärte er, sprang auf die Füße und rannte so schnell weg, dass seine Schwester gar nicht sagen konnte, das sie mitwollte. Er rannte auch tatsächlich ins Wasser, direkt in den See rein, so schnell das eben ging. Er fing auch direkt an zu schwimmen (er liebte es einfach, zu schwimmen!), so weit, dass er die Stimme seiner Schwester erstmal nicht mehr hörte. Etwas weiter draußen fühlte er sich auch gleich wohler, auch, wenn ihm dieser eine Fakt seiner Schwester nicht mehr aus dem Kopf ging. Der See war verbunden zu dem Meer... aber hieß das dann nicht auch, das...? Nur wusste Ryan nicht, wie er ihn rufen sollte. Natürlich könnte er wieder so weit raus schwimmen, das er nicht mehr zurück kommen würde, aber wenn es nicht klappen und er nicht kommen würde?  Immer noch überlegend schwamm Ryan weiter, bis er die kleine Holzinsel erreichte, die nicht sonderlich weit vom Strand auf dem See trieb. Sie war mit Ketten am Boden unten verbunden, wie Ryan in den letzten Tagen festgestellt hatte. Nichts weiter Besonderes, nur heute war diese kleine Holzinsel leer – was ziemlich perfekt für Ryan war. Über eine Leiter kletterte er nach oben, bevor er sich flach auf den Bauch legte. Die Insel war rechteckig gemacht worden, weshalb Ryan sich an den Holzrand legte, der weg von dem Ufer des Sees lag. Seinen Kopf hielt er ebenfalls über dem Rand, sodass er ins Wasser schauen konnte, während er seine Hände ein wenig ins Wasser tauchte. „Hey“, flüsterte er, während er mit seinen Fingerspitzen Kreise im Wasser zog. „Hey, hörst du mich?“ Keine Reaktion. Ryan kam sich auch ehrlich gesagt ein bisschen blöd vor, wie er so mit dem Wasser redete, aber er musste andauernd an diesen Jungen denken – vor allem, seit er etwas ganz Besonderes rausgefunden hatte! Er musste einfach nochmal mit ihm reden! „Hey!“, flüsterte Ryan nochmal ein bisschen lauter, aber das Wasser unter ihm blieb dunkel. Ein wenig frustriert zog er seine Unterlippe vor. Musste er erst simulieren, dass er ertrank oder wie? „Hey, hier ist Ryan!“, sagte er noch ein letztes Mal, ein bisschen lauter, während er seine Hände ganz ins Wasser eintauchte und ein paar Mal wirbelte. Aber natürlich kam da nichts. Seufzend ließ Ryan seine Hände wieder normal ins Wasser hängen. Ein paar Sekunden schaute er noch vorwurfsvoll auf die Wasseroberfläche, bevor er sich auf den Rücken drehte. Das war jetzt echt doooof und irgendwie echt frustrierend… Aber bevor er noch viel mehr darüber nachdenken konnte, packte ihn etwas an den Schultern und zog ihn rückwärts vom der Holzplattform runter. Ein Schrei entfuhr ihm, der aber gleich darauf vom Wasser erstickt wurde – aus dem er aber gleich wieder hoch getaucht wurde. „Wieso rufst du mich?“, hörte er eine Stimme, die ihm ins Ohr flüsterte. Ryan hielt sofort die Klappe, drehte sich im Wasser und grinste den älteren Jungen an. Ja, das war er – er hatte sich kein bisschen geändert. „Ich wollte dich sehen!“, sagte Ryan vergnügt. Wenn seine Freunde ihn im Schwimmbad tauchten, dann nervte ihn das meistens, aber wenn der Junge das machte… das war irgendwie voll okay und witzig. „Weiiil… ich weiß jetzt was du bist!“, redete er deshalb auch mit einem breiten Lächeln weiter. Der Junge zog seine Mundwinkel nach oben. „Ach ja?“, fragte er, woraufhin Ryan nickte.  „Du bist…“ Der Junge legte seinen Finger an seine eigenen Lippen. Hm, ja, klar, war ja auch ein sensibles Thema, deshalb musste man leise reden, da hatte er schon recht. Deshalb senkte Ryan seine Stimme ein wenig und beugte sich vor, um fertig zu flüstern: „Du bist… ein Meerjungfrauman!“ Besagter Meerjungfraumann schaute erst verdutzt, bevor er zu lachen anfing. „Oh, Ryan…“, gab er amüsiert von sich, wobei der das Amüsement seines Gegenübers plötzlich gar nicht mehr so lustig fand. „Ey, ich bin mir ganz sicher“, murmelte Ryan. „Ich hab die kleine Meerjungfrau jetzt schon ganz oft gesehen“ – Genau genommen war es sein Lieblingsfilm – „und die ist voll wie du! Und ich hab letztes Mal gespürt, dass du… dass du…“ Ryan verstummte. „Eine Flosse hast?“, vervollständigte der Junge den Satz immer noch lachend. „Nein, keine Sorge – du hast recht. Aber der Begriff… Ich bevorzuge Meermann, weißt du? Ohne den ‚Frau‘-Part.“ Ryan merkte, wie ihm die Kinnlade runter klappte. „Echt jetzt?“, sagte er bei der plötzlichen Bestätigung seiner Aussage, auch, wenn er ja eigentlich damit gerechnet hätte – aber oha!  „Ja“, erwiderte der Junge ganz ruhig. „Willst du sie mal sehen? Die Flosse?“ „Au ja!“ Ryan merkte, wie seine Augen funkelten. Der Andere lachte wieder, bevor er ein wenig weg von Ryan schwamm und sich ein bisschen auf den Rücken legte. Kurz darauf tauchte fast direkt vor Ryan die Flosse auf – in einem gräulichen Tonfall, überraschend… glatt. Ryan hätte gedacht, dass sie schuppiger wäre. „Fass ruhig an“, schlug der Junge vor, was Ryan sich nicht nehmen ließ. Er fuhr mit einer Hand über die Flosse, die sich auch tatsächlich sehr glatt anfühlte... „Die sieht gar nicht aus wie die von Arielle“, sagte Ryan schließlich. Der Junge lachte wieder. „Ja… Ich weiß. Arielle ist allgemein ein bisschen anders als ich.“ Ryan schaute verblüfft dem Gesicht des Jungens. „Du kennst Arielle persönlich?!“ Der Junge schien sich diesmal ein Lachen zu verkneifen, aber er grinste trotzdem. „Nein… aber ich kenne das Märchen.“ „Achso“, erwiderte Ryan nur etwas verlegen, ohne sich zu wundern, woher der Junge das Märchen kannte. „Und ich bin auch eher zur Hälfte Delfin, wenn du’s so willst.“, fügte der Junge noch lächelnd an. Ryan war jetzt wieder überrascht, weil das echt cool klang – und irgendwie komisch. Aber Delfine waren ja eigentlich auch echt cool! Jedenfalls die aus dem Fernsehen. „Also kannst du auch unter Wasser atmen, ja?“, fragte Ryan mit großen Augen nach. Der Junge schmunzelte, antwortete aber ohne groß zu Zögern: „Ja, kann ich.“ Und so ging das Spiel eine ganze Weile lang weiter. Ryan hatte eine Menge Fragen, die ihm auf der Seele brannten und der Junge hatte kein Problem damit, die Fragen zu beantworten. „Wie schnell kannst du denn schwimmen?“ „Ich kann das nicht wirklich messen, Ryan. Aber ein bisschen schneller als der Durchschnittsdelfin, würde ich sagen.“ „Gibt es mehr Meermenschen?“ „Ja, gibt es.“ „Gibt es dann auch so Städte wie die aus Arielle?“ „Nicht wirklich Städte – aber wir leben in Kolonien. So eine Art Höhlen-Netzwerk.“ „Oh, das ist cool! Wieso weiß dann niemand von euch?“ „Weil wir uns eigentlich nicht vor Menschen zeigen dürfen.“ „Wieso das denn nicht?“ „Nur eine dumme Regel… Hat was damit zu tun, wie viel Krieg ihr Menschen führt.“ „Achso! Okay! Und du kannst trotzdem Luft atmen?“ „Genauso wie ich unter Wasser atmen kann, ja.“ „Aber du kannst deine Flosse nicht in Beine verwandeln?“ „Nein, das kann ich nicht. Und es gibt auch keine Magie die das könnte.“ „Hmm… Hast du denn eine große Familie?“ „Nur meinen Vater und meine Mutter.“ „Ui! Ich hab nur meinen Papa und meine Schwester, Judith… Meine Mama ist irgendwie… verschwunden.“ Ryan räusperte sich. „Das ist irgendwie echt doof, ich weiß nicht, wo sie ist. Sie hat uns mal eine Postkarte geschrieben, das war aus Afrika, in der sie geschrieben hat, dass Papa uns das erklären soll. Aber Papa hat uns das nicht erklärt. Und jetzt weiß ich nicht so wirklich, was das soll, weil ich mag meine Mama mal schon wieder sehen, aber irgendwie will sie nicht wieder kommen und irgendwie ist das doof. Ich mein, Mama mag uns doch – wieso haut sie dann einfach ab? Naja… ist jetzt eh schon lange her und sie war uns noch nicht mal besuchen kommen…“ Ryan merkte gar nicht, wie sein Blick abdriftete – und sich erst wieder fokussierte, als er spürte, wie der Junge ihn einen Moment umarmte. Was zur…! Eigentlich mochte Ryan keine Umamrungen, aber das hier war… überraschend… beruhigend? „Denk dir nichts“, flüsterte er in Ryans Ohr, „Ich weiß, dass sie dich liebt. Mach dir keine Sorgen.“ Daraus schöpfte Ryan tatsächlich Mut, auch, nachdem sich der Junge wieder gelöst hatte. Dieser lächelte ihn noch an, aber das Lächeln starb gleich wieder. „Dein Vater sucht dich“, murmelte er, jetzt wieder deutlich leiser. „Wir sehen uns sicher irgendwann wieder, Ryan.“ Und dann war er auch schon wieder unter Wasser verschwunden. Ryan blinzelte verwirrt, weil er doch noch so viele Fragen hatte, aber dann tauchte sein Vater auch schon auf der Holzplatte auf. „Da bist du!“, rief er erleichtert. „Mensch, Ryan, wieso versteckst du dich denn hier?“ Aber Ryan schaute nur verwirrt auf die sich noch immer kräuselnde Wasserfläche, anstatt zu antworten. Und in dem Moment erinnerte er sich, dass er immer noch nicht den Namen von dem Jungen – oder eher dem ‚Meermann‘ wusste. Sie gingen lange nicht mehr ans Meer. Sein Vater hatte zu viel berufliche Arbeit, als dass er auf die ständigen Bitten seines Sohnes eingehen würde. Er schien sowieso nicht zu verstehen, wieso Ryan so unsterblich in das Meer verliebt war (immerhin war er darin doch sogar mal fast ertrunken!), weshalb er ihm immer wieder beständig erklärte, dass sie da nicht hin fahren konnten. Ryan akzeptierte es aber auch irgendwann, weshalb er aufhörte, sich andauernd zu beschweren. Erst mit Dreizehn änderte sich das alles wieder auf einen Schlag – und zwar an einem Tag, der so schrecklich für ihn war, dass er einfach ans Meer fahren musste.  Aber seinen Vater brauchte er erst gar nicht zu fragen. Deshalb machte er das Nächstbeste, was ihm einfiel: Ohne einen Koffer oder sonst was zu packen ging er zur nächsten Bahnstation und suchte sich einen Zug, der immerhin in die Nähe vom Meer fuhr. In den setzte er sich auch prompt rein – wobei er sogar gerade genug Geld für eine Karte dabei hatte, leider nur für die Hinfahrt – und fuhr dann auch schon los. Das Meer war weniger weit entfernt, als er gedacht hatte. Er hätte auch mal früher auf die Idee kommen können, sich einfach in einen Zug zu setzen, ernsthaft. Nur hatte er eben bisher eben auch andere Menschen gehabt, mit denen er hatte reden können. Aber jetzt… nein, er musste zum Meer, dringend! An der Zugstation, an der er ausstieg, war es auch scheinbar gar nicht mehr weit bis zum Meer. Er folgte den Schildern und musste so ungefähr drei Kilometer laufen, bis er an einem sehr, sehr steinigen Strand ankam – ein Strand, der komplett leer war. Kein Wunder, es war elf Uhr Nachts und es war echt kalt. Aber umso besser für Ryan. An dem Strand, an dem er war, reichten einige steinerne Zungen ins Meer. Ryan sprang über die glitschigen Steine, bis er so weit weg vom Land war wie möglich, ohne direkt ins Wasser zu gehen. Hier setzte er sich auf einen der Steine und schaute ins Meer, wobei er sich auf einmal echt blöd vorkam. Was um alles in der Welt machte er hier…? Seine Erinnerung an den Jungen war wahrscheinlich nicht mal echt. Und jetzt war bis ans Meer gefahren! „Hey“, sagte er nichtsdestotrotz mit brüchiger Stimme. Erstmalig an diesem grauenvollen Tag kamen ihm die Tränen hoch und er versuchte gar nicht erst, sie zurück zu halten.  „Hey, h-hier’s Ryan.“ Ryan schniefte und steckte seine Hände unter die Achselhöhlen, weil es mittlerweile echt recht kalt geworden war. Aber natürlich kam niemand, was Ryans restlichen Mut auch noch kaputt machte. „B-bitte komm“, murmelte Ryan, während die erste Träne über seine Wange rollte. Und noch bevor die Träne in den Ozean fiel, sah Ryan ihn tatsächlich: Erst nur ein dunkler Schatten, der wenige Momente später die Wasseroberfläche durchbrach.  „Hey“, grüßte ihn der Junge, auch wenn er dabei sein Gesicht verzog. „Hast dir einen ganz schön unschönen Ort ausgesucht. Die Felsen hier sind echt – au! – unangenehm. Ach…“ Der Junge schaute sich einen Moment am Strand um, bevor er sich einen Felsen griff und sich einfach auf den Felsen schwang, direkt neben Ryan. „So, und jetzt erzähl, Ryan. Was ist los?“, fragte er, aber Ryan war viel zu verwundert, um darauf zu antworten. So, wie der Junge neben ihm saß, konnte er erstmals die Flosse richtig sehen; die Flosse, die so viel eindrucksvoller aussah als in seiner Erinnerung. Zum ersten Mal sah er auch den Übergang von der Flosse zu dem Oberkörper, der überraschend fließend war; das grau ging in die normale Hautfarbe über und – woah, der Junge hatte echt einen richtig muskulösen Oberkörper. „Ryan?“, wiederholte der Junge, woraufhin Ryan dann doch wieder zu weinen anfing. Er rutschte zu dem Jungen rüber und drückte sein Gesicht gegen dessen Schulter, während er seine Oberarme um ihn schlang, auch, wenn der Junge noch echt nass war. Aber da war es wieder, dieses dringende Verlangen nach Körperkontakt, das Ryan so in der Form eigentlich noch nie gehabt hatte… oder eben nur, wenn er bei Ryder war. „Oh.. hey, ganz ruhig, Ryan“, fügte der Junge an, bevor er ebenfalls seine Arme um Ryan legte. Eine Weile blieben sie einfach in der Position. Irgendwann fing Ryan dann aber doch mit einem Schluchzen an zu reden: „I-ich hab mich in ein M-mädchen verliebt“, schniefte er, „u-und sie mag mich auch… u-und wir wollten miteinander sch-schlafen, aber sie… hat jetzt doch meinen besten Kumpel mehr gemocht u-und das.. ist echt gemein.“ Ryan verzog sein Gesicht. „Und… heute ist noch eine Postkarte von M-mama angekommen, und das… war alles so gelogen! U-und dann hat mein Dad mir noch H-hausarrest gegeben, weil ich beim Abendessen schlecht drauf war… D-deshalb musste ich jetzt einfach zu dir kommen, weißt du?“ Der Junge fuhr ihm während der ganzen Zeit, in der er redete, beruhigend über die Schulter. „Ja, versteh ich“, erwiderte er in seiner gewohnt ruhigen Stimme. „Aber du darfst dir nicht zu viel daraus denken, Ryan. Du bist erst dreizehn, du solltest noch gar nicht an…“ Er stockte einen Moment, „sowas denken – also an das, was du mit deiner Freundin machen wolltest. Und Mütter können manchmal grausam sein, Ryan, du solltest nicht mehr so oft an sie denken. Sie hat euch jetzt schon zehn Jahre im Stich gelassen, ich glaube nicht, dass das wieder besser wird. Und dein Vater macht sich jetzt sicher große Sorgen um dich…“ Ryan schniefte und schüttelte seinen Kopf. „Früher hast du noch gesagt, dass meine Mom mich liebt, egal was passiert…“ „Da warst du auch noch jünger, Ryan.“ Der Junge drückte ihn einen Moment. „Du bist jetzt ein halber Mann, ich muss bei sowas jetzt einfach ehrlich zu dir sein.“ Das baute Ryan tatsächlich ein bisschen auf. Nicht weil Ryder auch keine Hoffnung wegen seiner Mom hatte, sondern weil er ein halber Mann war und diese Bezeichnung ihm echt richtig, richtig gefiel. Genug sogar, dass er schnell über seine Augen wischte, damit er nicht länger weinte – das war nämlich nicht sonderlich männlich. „Danke…“, flüsterte er, bevor er stockte. „Wie heißt du eigentlich?“ Der Junge ließ sich eine Weile Zeit mit dem Antworten. „Ryder.“, erwiderte er dann. „Ryder… das klingt fast wie mein Name“, stellte Ryan fest. „Ja“, erwiderte Ryder. „Lustig, was?“ Ryan grinste sogar wirklich ein bisschen, lehnte sich dann aber gleich wieder an Ryder. Der wurde nämlich immer wärmer, je mehr er trocknete, was er echt gebrauchen konnte – denn es war eben immer noch ziemlich kalt. Aber so mit Ryder an der Seite war es eigentlich echt okay, einfach, weil er sich bei keiner ‚Person‘ so sicher fühlte wie bei Ryder. Und dabei könnte er nicht mal sagen, woran das genau lag… aber selbst seine Probleme, die ihn heute so fertig gemacht hatten, schienen jetzt überhaupt nicht mehr schlimm. „Ich mag dich echt gerne, Ryder“, murmelte Ryan schließlich. „Richtig, richtig gerne. Und nicht nur, weil du mir zweimal das Leben gerettet hast…“ „Ich mag dich auch richtig gerne, Ryan.“ Ryder lächelte nochmal, was Ryan noch ein bisschen glücklicher machte.  In genau der Position blieben sie die halbe Nacht, ohne sich groß zu bewegen oder viel zu sagen. Irgendwann rief Ryans Vater ihn auf seinem Handy an, um ihn wütend zu fragen, wo um alles in der Welt er denn war. Ryan erklärte es ihm und sein Vater fuhr los, um ihn dort in der Nähe, am Bahnhof, abzuholen. Ryan hatte jetzt schon Angst vor der Standpauke, aber Ryder beschwichtigte ihn, dass es sicher nicht so schlimm werden würde. Und es gab einfach keinen Grund, Ryder jemals zu misstrauen. Das Salzwasser umspielte Ryans Fußknöchel, wobei sie seine Jeans untenrum schon ein wenig nass machten. Schuhe und Socken hatte er sich schon ausgezogen, aber sonst seine Klamotten anbehalten; das war ihm irgendwie gut und richtig so erschienen. Er hickste und hielt sich deshalb schnell die Faust vor den Mund, bevor er sich räusperte und wieder konzentrierte. Das wäre das letzte Mal, das er es auf die nette Art versuchte. „Ryder?“, fragte er in einem lallenden Tonfall. „Ryder, hier’s Ryan.“ Wieder ein Hicksen. „Mal wieder.“  Das Meer zeigte keine Reaktion. Warum sollte es das auch, hm? Es rauschte nur unangenehm weiter, umspielte weiter seine Fußknöchel und nervte ihn weiterhin so sehr, dass ihm ein frustriertes Stöhnen entfuhr. Wäre er nicht so betrunken und auf Drogen gewesen, wäre es wahrscheinlich ein Schrei geworden, aber so blieb nur noch das Stöhnen übrig. „Ryder, ich will, dass du jetz‘ kommst.“, nuschelte Ryan weiter, aber das Meer zeigte keine Reaktion. Bitte, jetzt hatte Ryder also das, was er wollte.  Ryan hatte es auf wirklich jede erdenkliche Art und Weise versucht, Ryder zu erreichen, seit er hierher gezogen war. Schon am ersten Tag war er an den Strand gegangen, am Tag, in der Nacht – und auch an jedem darauffolgenden Tag war niemand gekommen. Seine Freunde wunderten sich schon, wieso er so in den Strand vernarrt war, aber er konnte es ja schlecht erklären, was? Ryan hatte schon Dinge in den Ozean geworfen, eine Flaschenpost geschrieben, war unzählige Male nachts alleine schwimmen gegangen, mal in Klamotten, mal in Badehose, mal nackt – er hatte sogar schon mehrmals am Strand Sex gehabt, einfach nur, um Ryder zu provozieren. Aber er war einfach nicht gekommen. Aber jetzt war er lange genug ruhig geblieben. Wenn Ryder nicht auf seine ‚netten‘ Anrufe reagierte, dann musste er eben härtere Geschütze auffahren – und das würde er jetzt auch tun. Er musste Ryder wieder sehen, diese Konstante in seinem Leben, die ihm aus unerklärlichen Gründen so viel Kraft gab und so sehr anzog, egal, was es ihn kostete. Und jetzt, betrunken und auf Drogen, erschien ihm die Antwort so simpel… „Wenn du jetzt nicht kommst, Ryder, dann werde ich ganz schön sauer“, lallte er weiter, aber natürlich kam der Drecksack nicht. Gut, dann eben nicht! Ryan ging einfach weiter ins Wasser, immer weiter, bis er schließlich bis zur Hüfte drinnen war. Es war tief in der Nacht, weshalb das Wasser entsprechend kalt war, aber daran störte sich Ryan nicht. Er ließ sich einfach ins Wasser fallen und schwamm raus, Richtung Mond, weg vom Strand – so weit und lange, bis er keine Kraft mehr hatte. Ein Blick über seinem Rücken zeigte ihm, dass der Strand ziemlich schnell gefährlich weit weg gekommen war. Gut so. Wahrscheinlich würde Ryan noch irgendwie zurückkommen, auch wenn er dann an Kraftenzug sterben würde, aber das war gar nicht sein Ziel. Nein, nein, ganz im Gegenteil… Ohne seinen Plan nochmal zu überdenken hielt Ryan die Luft an und tauchte unter Wasser. Sofort schrie sein Körper danach, wieder nach oben zu schwimmen, aber er widersetzte sich seinen Instinkten. Stattdessen drehte er seinen Körper und schwamm Richtung Meeresboden, auch, wenn der viel zu weit entfernt war, als dass er ihn jemals erreichen könnte. Gegenüber aller Vernunft hörte er einfach nicht auf, zu schwimmen; sehr schnell spürte Ryan, wie ihm das Blut zu Kopf stieg und sein Körper immer mehr Atem wollte. Aber das Problem war ja, er musste das hier tun. Es ging nicht anders. Selbst wenn er bei dem Versuch sterben würde, dann würde er immerhin ertrinken – und das war so nahe an Ryder, das es wohl auch okay wäre.  Irgendwann hatte er keine Kraft mehr in den Gliedmaßen und fühlte sich sowieso so an, als würde sein Kopf gleich platzen. Zufrieden hörte er auf sich zu bewegen, öffnete seinen Mund und nahm einen tiefen Atemzug… Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war, wie er hustete. Ein unangenehmes Husten, das er schon mal in seinem Leben gehabt hatte; ein Husten, bei dem man all das Salzwasser, das in der Lunge saß, in den Sand neben sich würgte. Es brannte auf eine echt abscheuliche Weise, aber gleichzeitig war sein Körper unendlich dankbar, wieder Luft zu haben. „Bist du wahnsinnig?!“, hörte er eine erstickte Stimme. Eine sehr vertraute Stimme. Aber nein, keiner seiner ‚echten Freunde‘ klang so. Das… das musste Ryder sein. Mit einem gewinnenden Lächeln schlug Ryan die Augen auf, um zu sehen, dass da tatsächlich Ryder neben ihm lag, gestützt auf seine Unterarme. Sie lagen Beide noch so halb im Wasser – wahrscheinlich war Ryder nicht weiter raus gekommen. „Nee“, erwiderte Ryan, wobei seine Stimme extrem heiser und immer noch leicht lallend klang, „Ich bin ziemlich klug.“ Aber Ryder schien das nicht lustig zu finden. Stattdessen drückte er sein Gesicht in Ryans Brust, verkrampfte seine Hand in seinem Shirt, wobei Ryan spürte und hörte, wie der andere Junge schluchzte. „Du hättest sterben können, du Vollidiot“, brachte er gedämpft hervor. „Nee“, gab Ryan wieder zurück, „Ich hab doch dich…“ Er fuhr mit seiner Hand über Ryders Rücken, der immer noch bebte. Ryder schüttelte nur den Kopf. „Ich war nicht da“, schluchzte Ryder. „Du zurückgebliebener Idiot… Du wärst fast gestorben…“  Ryan verstand immer noch nicht, in was für einer Gefahr er gestanden hatte. Ryder hatte ihn doch gerettet! Sein Körper fühlte sich zwar an, als ob er gleich verrecken würde, aber das war eigentlich gar nicht so schlimm. Ryder war ja da. Und wenn Ryder da war, war alles gut. „Du darfst sowas nie wieder machen“, murmelte Ryder weiter, bevor er sich auf Ryans Brust stützte und seinen Kopf so ein wenig anhob, damit er zu Ryan schauen konnte. Ryder heulte ja echt, ey – aber er sah trotzdem verboten gut dabei aus! „Hörst du!?“, wiederholte Ryder, als Ryan keine Antwort gab, „Du darfst. Sowas. Nie. Wieder. Machen!“ Ryan blinzelte, verzog dann aber träge sein Gesicht. „Wenn d’dich nich‘ wieder versteckst und einfach nie wieder kommst… sicher.“ Ryan spürte, wie Ryder seine Hand an Ryans Hals legte und mit dem Daumen über seinen Adamsapfel fuhr. Ryan schluckte, während Ryder nur seinen Kopf schüttelte. „Ich wollte dich doch nur schützen, du Idiot…“ „Vor dir?“, fragte Ryan mit heiserer Stimme. Seine Hand ließ er dabei von Ryders Rücken bis zu dessen Nacken wandern, wo seine Fingerspitzen sich in dessen Haaransatz gruben. „Du bringst mich nicht in Gefahr, Ryder… Du rettest mich davor.“ Ryder drückte seine Lippen zusammen, wischte sich mit einer Hand schnell über seine Augen und schüttelte anschließend seinen Kopf. „Was du da gerade getan hast… war doch nur der Beweis, dass dir das nicht gut tut, Ryan…“ Jetzt reichte es Ryan aber echt! Man, der Junge war ja kompliziert… Er musste jetzt nur überlegen, wie er sich am besten erklären sollte. Glücklicherweise war sein Verstand gerade relativ simpel gestrickt, deshalb machte er das für ihn Logischste. „Aber ich liebe dich doch, Ryder“, flüsterte er deshalb leise, bevor er Ryder mit der Hand an seinem Nacken zu sich runter zog. Ryan beugte sich auch ein bisschen hoch, um die Lippen des Anderen mit seinen zu empfangen. Es schmeckte… ungewohnt salzig?, aber es war gut. Verdammt gut. Oh, er hatte das schon eine ganze Weile machen wollen… Aber Ryder löste sich überraschend schnell von ihm. Ryan entfuhr ein Quengeln, während sein Kopf Ryders hinterher fuhr, um möglichst lange die Lippen des Anderen berühren zu können. Gleich danach ließ sich Ryan aber wieder kraftlos in den Sand fallen. „Wieso hast du das gemacht?“ Ryan hob jetzt doch wieder seinen Kopf, um zu Ryder schielen zu können. Der hatte immer noch getrocknete Tränen auf seinem Gesicht, schaute jetzt aber hauptsächlich verwirrt zu Ryan. „Weil ich dich liebe“, erklärte Ryan munter. „Hab ich doch gesagt.“ Ryder schaute immer noch verwirrt zu ihm, woraufhin Ryan abwartend die Augenbrauen hoch hob. Als eine Weile nichts kam, setzte er sich auch langsam mal auf, auch wenn seine Lunge immer noch höllisch brannte. Ryder ging dabei runter von Ryan und grub seine Hände in den Sand, wandte aber den Blick dabei nicht von ihm ab. „Was?“, fragte Ryan schließlich, weil er sich irgendwie dämlich vorkam. „Du solltest schlafen gehen“, erwiderte Ryder. „Geh schlafen. Versprich mir, dass du schlafen gehst.“ Ryan schaute fassungslos zu Ryder. War das jetzt sein ernst? Das war die ganze Antwort, die er bekam? Genervt kam er auf die Füße, wobei er nur ein bisschen schwankte. „Klar“, knurrte er. „Ich geh schlafen. Und du…“ Ryan vergaß mitten im Satz, was er eigentlich hatte sagen wollen, weshalb er nur ein paar Mal blinzelte und danach böse zu Ryder runter sah. „Fick dich, Alter“, sagte er schlussendlich nur, bevor er sich weg drehte und weg vom Strand torkelte. Er hielt sich ein bisschen besser auf den Füßen als auf den Hinweg, was wahrscheinlich der Effekt vom Fast-Ertrinken war. Bevor Ryan den Strand aber verlassen hatte, schaute er doch nochmal zurück. Ehrlich gesagt hatte er ja schon gehofft, Ryder nochmal nach ihm rufen zu hören, aber er hatte nichts gehört. Und hinter ihm war außer dem Meer auch nichts mehr zu sehen. Ryan fühlte sich echt beschissen. Und nein, das lag nicht am Kater – immerhin war diese eine Nacht, in der er so sehr auf Drogen gewesen war, schon länger als eine Woche her. Nein, er fühlte sich aus einem ganz anderen Grund beschissen. Die Woche über hatte er dieses Gefühl aber echt gut unterdrücken können. Kein Wunder, er hatte eine ganze Menge Schularbeiten und musste wenigstens so tun, als ob er lernen würde, sonst würde er ein schlechtes Gewissen bekommen. Noch dazu gab es da so ein paar Mädchen, mit denen er am Wochenende (unbeabsichtigt!) was gehabt hatte und die ihn jetzt die ganze Zeit zu texteten. Und dann hatte dieses eine schwule Pärchen, das er erst kannte seit er hier wohnte – Aaron und Caleb – noch Dauerstress, wobei er auch immer den psychologischen Berater spielen durfte… Kurzum, er hatte echt viel um sich abzulenken. Aber irgendwann hatte er sich dann auch genug abgelenkt. Deshalb war er jetzt hier, wieder am Strand, wieder in der Nacht. Ein paar Leute machten noch einen Nachtspaziergang, weshalb Ryan sich für die sicherste Variante entschied und einfach unterhalb einer höher gelegenen Brücke ans Meer ging. Er setzte sich so nah es ging an den Strand und schaute ein bisschen nervös auf die unruhige Wasseroberfläche, nicht sicher, was er jetzt tun sollte. Schließlich räusperte er sich aber doch. „Ryder?“, fragte er zögerlich, wobei er sich wie immer ein bisschen blöd vorkam, dass er mit dem Meer redete. „Ryder, hier’s Ryan… Kommst duuu… bitte?“ Ryan hatte eigentlich keine großen Hoffnungen gehabt, aber nur wenige Sekunden nachdem er das gesagt hatte, tauchte Ryder ein bisschen entfernt von ihm im Wasser auf. Wortlos schwamm er so nahe an das Ufer, wie es für ihn ging, wobei er seine Flosse im Wasser behielt… Wahrscheinlich, damit niemand sie sah, wenn er einfach vorbei kam. Dennoch schien er überraschend unvorsichtig zu sein, wenn man das mit den sonstigen Malen verglich. „Hey, Ryan“, grüßte der Andere ihn mit einem schiefen Lächeln. Ryan fuhr sich mit einer Hand nervös über seinen Oberarm, während er das Lächeln knapp zurück warf. „Hey, Ryder…“, grüßte er zurück, wobei er sich immer noch mies vorkam. Klar erinnerte er sich daran, was passiert war – man vergaß es nicht so einfach, wenn man fast ertrank und Ryder wiedertraf. Egal wie high und besoffen man dabei war. „Geht’s dir wieder besser?“ Ryder legte seine Ellbogen auf den Sand und stützte seinen Kopf auf beide Hände. „Jaaa… klar… bin noch ein bisschen heiser, aber sonst ist alles gut.“ Ryan räusperte sich, um den Frosch aus dem Hals zu bekommen. Es kostete ein bisschen Überwindung, weiter zu reden, aber das war er Ryder schuldig. „Hey, es tut mir Leid, was ich da gemacht hab… also… alles tut mir Leid, Ryder.“ Ryder hob seine Augenbrauen. „Das muss dir nicht Leid tun“, sagte er so schnell, dass Ryan verwirrt zu ihm aufschaute. „Gut, dass du dich ertränken wolltest – das muss dir Leid tun“, korrigierte er sich selber. „Aber das, was du danach gemacht hast… Das nicht. Das muss dir wirklich nicht Leid tun.“ Ryan glaubte ihm kein Wort. Das war doch nur, weil Ryder wieder einen auf nett machen wollte… er kannte ihn doch! Und er wusste, dass das was er gemacht hatte, falsch gewesen war. „Aber du hast nicht sonderlich begeistert reagiert…“, warf er ein. Ryder ließ seine Hände von seinem Gesicht sinken, wobei er mit einer in das Wasser griff und mit dem Sand unter der Oberfläche spielte. „Jaaah…“, erwiderte er abwesend. „Ryan, ich war nur… verwirrt. Das hat noch nie jemand mit mir gemacht.“ Jetzt war Ryan wirklich überrascht. „Du hast noch nie jemand anderen geküsst?“, präzisierte er Ryders Aussage. Der schüttelte aber nur den Kopf. „Ich wurde nur noch nie von jemandem geküsst.“, erklärte er. „Und dass gerade du das gemacht hast, war… verwirrend.“ Ryder lächelte ein wenig entschuldigend, aber Ryan stimmte diese Aussage nicht wirklich zufrieden. Eher im Gegenteil. „Es tut mir trotzdem Leid, dich verwirrt zu haben“, erwiderte er also nur, wobei er ein wenig verstimmt klang. Ryder schien diese Verstimmung zu bemerken. „Ryan…“, fing er deshalb an, bevor er sich selbst mit einem Seufzen unterbrach. „Du verstehst das falsch. Es war eine Art… positive Verwirrung.“ Ryan schaute ihn skeptisch an, weshalb Ryder sich räusperte und nochmal ein wenig genauer erklärte: „Ryan, du hast mich damit ein bisschen überrumpelt, aber der Kuss hat sich gut angefühlt. Überraschend gut.“ Jetzt lächelte Ryan doch ein bisschen. „Wenn du willst, können wir schauen, ob es sich noch ein bisschen besser anfühlt, wenn ich nüchtern bin…“, schlug er vor. Er merkte, dass er von ganz alleine diese flirty Stimme angenommen hatte, die er immer annahm, wenn er jemand um den Finger wickeln wollte. Ryder legte seinen Kopf ein wenig schräg. „Wir können es versuchen, jaaa…“ Ryan lächelte, bevor er sich schnell seine Schuhe auszog, gefolgt von seinem Shirt und seiner Hose. Er hatte nicht vor, wieder komplett nass heim zu laufen, und in Boxershorts zu schwimmen war ja wohl voll okay. Nachdem er sein Zeug in den Sand gelegt hatte, krabbelte er auf allen Vieren ins Wasser, überwand die kurze Distanz und erreichte so schließlich Ryder, der so weit draußen war, dass Ryan sich vor ihm knien musste, damit sie auf Augenhöhe waren. Ryan schaute eine Weile in die Augen des Anderen, der den Blick stand hielt. Zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder auch noch unglaublich faszinierende Augen hatte. Sie wirkten irgendwie nicht natürlich – so, als wären sie ganz besonders glasig, als wäre eine weitere Schicht über den Augen. Die Iris war dagegen ungewöhnlich dunkel, mit ein paar hellen Strahlen durchzogen… aber wahrscheinlich war es nicht seltsam, wenn man bedachte, dass Ryder unter Wasser wahrscheinlich perfekt sehen konnte. Bevor er sich jetzt aber noch mehr Gedanken über Ryders Körper machte, beugte er sich einfach vor und küsste den Jungen wieder. Diesmal war Ryder nicht mehr so zögerlich wie letztes Mal; mit einer Grazilität, die Ryan überraschte, empfing er den Kuss und erwiderte ihn sofort. Es dauerte nicht lange, bis Ryder mit seiner Zunge fordernder wurde. Ryan ließ sich komplett in dem Kuss gehen, auch, wenn er sich ein bisschen seltsam vorkam, so wie er hier auf allen Vieren vor Ryder kniete… aber der zeigte ein so ungeahntes Talent mit seiner Zunge, dass Ryan einfach nicht anders konnte, als all seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf diesen einen, verdammt perfekten Kuss zu lenken. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Ryan wieder, um ein bisschen zu Atem zu kommen. „Wow“, keuchte er, wobei er seinen Kopf ein wenig hängen ließ. „Shit, das ist gut, Ryder… Woher kannst du sowas?“ „Glaubst du, ich bin den ganzen Tag nur am Fische jagen, wenn ich nicht gerade bei dir bin?“, fragte Ryder zurück. Ryan schaute verwirrt zu dem Anderen hoch. „Oh…“, murmelte er, woraufhin Ryder ihm wieder zu lächelte. „Hey, schau nicht so“, murmelte er und nahm wieder eine Hand vom Sand weg, um damit stattdessen über Ryans Schulter zu fahren. „Du bist was Besonderes… was Einzigartiges. Anders als alle, bei denen ich gelernt habe, wie man andere küsst.“ Das verschaffte Ryan tatsächlich ein annähernd wohliges Gefühl in der Magengegend, auch wenn er sich jetzt immer noch seltsam vorkam. Um das zu verdrängen, drückte er seine Lippen einfach wieder auf Ryders – was seinen Verstand wieder innerhalb von Sekunden klärte. Die folgenden Tage, Wochen, Monate, Jahre liefen alle ähnlich ab. Ryder kam immer, wenn Ryan ihn brauchte oder wenn er mit ihm reden wollte; und das war auffällig oft. Ja, es gab auch Zeiten, in denen Ryan Ryder irgendwie für zwei, drei Wochen einfach vergaß, aber Ryder war ihm dafür niemals wirklich böse. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, konnten sie stundenlang reden, wiederholten auch oftmals den Kuss... aber machten niemals mehr als das. Manchmal schwamm Ryan auch mit Ryder raus oder tauchte mit ihm, was immer ganz besonders lustig war – vor allem, wenn es darin endete, dass sie sich mitten im Meer umarmten und Ryan abermals diese salzigen, perfekten Lippen küssen konnte. Es wäre gelogen zu sagen, dass Ryan nicht auch andere Menschen küsste, nicht auch mit anderen Menschen schlief… aber für niemanden empfand er so viel und lange etwas wie für Ryder. Ryder schien auch davon zu wissen, aber er sagte fast nie was dazu – nein, ganz im Gegenteil, er gab Ryan sogar Beziehungstipps, wenn er die mal brauchte. Es war einfach perfekt. Ryan bezweifelte, jemals im Leben so glücklich gewesen zu sein. Nur leider hatte jeder glückliche Moment im Leben sein Ende. Und dieses kam bei Ryan in Form eines Colleges. Heute war genau genommen einer seiner letzten Tage, bevor Ryan auf eben dieses College gehen würde. Um ehrlich zu sein hatte er noch gar nicht daran gedacht, dass er dadurch Ryder nicht mehr jeden Tag sehen könnte; dieses kleine Detail ignorierte er einfach, auch, wenn es für ihn etwas lebensveränderndes werden würde. Aber wieso sollte er sich auch darum kümmern? Gerade war es Mitternacht und Ryan saß im Schneidersitz am Strand. Vor ihm lag bäuchlings Ryder, die Arme unter seinem Kopf verschränkt und zu Ryan hoch schauend, der ihm gerade von seinem College erzählte. „Und die College-Partys sollen richtig episch sein“, erzählte er grinsend. „Ich mein, die Professoren sollen auch richtig geil sein, aber die College-Partys! Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf die College-Partys freue! Dagegen wird meine gesamte High School-Zeit wahrscheinlich richtig lahm aussehen, ey! Und Cally und Aaron kommen mit, das wird sicher sowieso Bombe. Schon überlegt, wie ich mal wieder mit Aaron feiern könnte? Ich glaub, das würde unserer Freundschaft echt mal wieder helfen und das wär echt geil, weil, Aaron ist eben doch mein bester Freund auf zwei Beinen…“ – ‚Bester Freund auf zwei Beinen‘, der Begriff hatte sich schon eine Weile etabliert. Sollte halt heißen, dass Ryder sein bester Freund war und er wollte auch, dass der Junge das wusste. Apropos Ryder… „Freust du dich nicht für mich?“, unterbrach Ryan seine Ausführungen und hob seine Augenbrauen, um zu Ryder zu schauen. Der blinzelte überrascht, als er plötzlich angesprochen wurde (Ryan hatte jetzt eine ganze Weile einen Monolog gehalten), hob seinen Kopf dann aber ein wenig von seinen Armen. „Doch, sorry, natürlich freue ich mich für dich“, erwiderte er lächelnd. „Es ist nur so faszinierend, dir dabei zuzuschauen, wie du vom College redest. Deine Augen fangen dann immer so an zu leuchten und du fängst so viel an zu gestikulieren und… das ist echt süß. Ich könnte dir stundenlang dabei zuschauen.“ Ryan merkte, wie ihm bei dieser Aussage Blut in die Wangen schoss. Es gab keine einzige Person auf diesen Planeten, die jemals dazu in der Lage war ihn verlegen zu machen – bis auf Ryder. Und der machte das dafür fast jedes verdammte Mal, wenn sie sich trafen. Auch wenn Ryan das echt nicht schlimm fand… Aber… aaah! „Du hast mir also gar nicht zugehört?“, fragte Ryan stattdessen, nicht mal annähernd so vorwurfsvoll wie er das gewollt hätte. „Doch“, gab Ryder zurück und stützte seinen Oberkörper ein bisschen mehr auf. „Erst hast du davon erzählt, dass du die besten Medizin-Professoren an deinem College hast – ‚die haben sogar an Harvard studiert‘, waren deine genauen Worte. Auch wenn du verwirrt warst, wieso sie dann College-Professoren sind… und du freust dich auf die Partys. Und Aaron.“ Bei Aarons Namen umspielte Ryders Lippen ein irgendwie traurig wirkendes, wissendes Lächeln, während er gleichzeitig den Namen so komisch aussprach. Ryan überlegte sich erst das zu ignorieren, aber dann fiel ihm, auf, dass er keine Ahnung hatte was er sonst sagen sollte. „Was ist mit Aaron?“, murmelte er also. „Du redest nur sehr häufig über ihn“, stellte Ryder fest. „Du scheinst ihn echt zu mögen. Das ist niedlich.“ Ryan biss sich auf die Unterlippe, während eine seiner Hände automatisch über seinen Nacken fuhr. „Er ist halt ein echt guter Kumpel…“ „Könntest du dir nicht vorstellen…?“ Ryder legte seinen Kopf schräg und legte gleichzeitig eine Hand auf Ryans Knie. Sein Daumen wanderte über den Stoff, während Ryan schluckte. „Ryder, Aaron is in ‘ner Beziehung“, erwiderte er ein bisschen verlegen. „Und wenn er es nicht wäre?“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Dann wäre er immer noch ein Junge“, fuhr Ryan fort. „Das geht nicht.“ Auch Ryders andere Hand legte sich an Ryans anderes Knie, woran er sich ein bisschen näher zu Ryan zog. „Ryan… Du weißt schon, dass ich auch männlich bin, ja? Also auch ein… Junge?“ Ryan stöhnte leise auf, lehnte sich aber ein bisschen zu Ryder runter, um seinem Gesicht näher zu kommen. „Das ist was ganz Anderes“, murmelte er verteidigend. „Du bist…“ Er zögerte, wobei er eine seiner Hände an Ryders Gesicht legte. Langsam fuhr er mit seinem Daumen über Ryders Wange, wobei er seine Augenbrauen zusammenzog. „Du bist… was Besonderes. Einzigartiges.“ Ryder lächelte auf diese Aussage hin schief, hielt dabei aber den Blick von Ryan stand. „Bist du nicht neugierig?“, flüsterte er leise. „Neugierig, wie es mit einem Jungen wäre?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander, aber bevor er etwas erwidern konnte, beugte Ryder sich ein bisschen weiter hoch und drückte seine Lippen auf Ryans. Ohne zu Zögern erwiderte der den Kuss, wobei er fast sofort das Gespräch vergessen hätte. Wie immer bei einem Kuss; wenn Ryder ihn auch nur küsste, war es, als ob sein Verstand einfach aussetzte… „Willst du es ausprobieren?“, wisperte Ryder schließlich in den Kuss rein, ohne wirklich ihre Lippen voneinander zu trennen. „Wie es vielleicht sein könnte…?“ Für einen Moment setzte Ryans Herz aus. Meinte Ryder das da gerade ernst? Sie waren Beide nie übers Küssen hinweg gekommen, auch wenn Ryan gerne mehr gewollt hätte, aber er hatte auch gar keine Ahnung wie um alles in der Welt das funktionieren sollte. Jetzt, wo er das Angebot wirklich bekam, fühlte er wie sich ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch ausbreitete, durch seinen Körper fuhr und schließlich bei seiner goldenen Mitte landete. „Ich…“, brachte er mit brüchiger Stimme hervor, bevor er nur schnell sagte: „Ja.“ Ryan spürte, wie Ryder gegen seine Lippen lächelte. Gleichzeitig spürte er auch, wie eine von Ryders Händen sich unter den Saum von Ryans Shirt schlich, während Ryder seinen Oberkörper ein wenig sinken ließ um Ryans Hals für einen Moment zu küssen. „Ich kann dir wahrscheinlich nichts zeigen, was du nicht sowieso schon kennst“, erklärte er schließlich leise, „Aber ich glaub trotzdem, dass es dir gefallen könnte…“ Nun, das bezweifelte Ryan ganz sicherlich nicht. Immer noch mit trockenem Hals versuchte er einen klaren Kopf zu bekommen, während Ryder ihm mit einer Hand das Shirt auszog – oder es wenigstens versuchte. Ryan half schnell nach, indem er sich das Shirt selber über den Kopf zog. Dafür lächelte Ryder ihm kurz zu, befasste sich aber gleich danach wieder mit dem küssen… und fuck, wieso um alles in der Welt konnten Ryders Lippen ihn so unglaublich gut ablenken?! Sie fühlten sich so weich, aber trotzdem so bestimmt auf Ryans Haut an. Und hey, das war sicher nicht das erste Mal, das jemand seinen Oberkörper küsste! Aber ernsthaft, das hier sendete mit fast jeder Berührung eine heiße Welle durch seinen Körper, die unglaublich atemberaubend war. Und Ryder war gerade mal beim Oberkörper…! ... Ryan atmete noch immer extrem schwer, als Ryder zu ihm nach oben robbte. Er stützte seinen Ellbogen im Sand und seinen Kopf auf seiner Hand ab, um Ryan von oben amüsiert anzuschauen. „Und?“, fragte er leise nach. „So schlimm ist das mit einem Jungen nicht, oder?“ Ryan versuchte seine Gedanken zu sortieren, merkte aber, dass ihm die Lust tatsächlich irgendwie die Denkfähigkeit genommen hatte. Es dauerte ein wenig, bis er schwer atmend murmelte: „Das war besser als jeder Sex, den ich bisher hatte“, gefolgt von einem Schlucken. „Aber ich glaub nich‘, dass das irgendwer so gut wie du kann…“ Ryders Hand legte sich auf Ryans Brust, wodurch er sicherlich Ryans viel zu schnell schlagendes Herz spüren konnte. „Ich hatte auch viel Übung“, murmelte Ryder schließlich, was Ryan wieder zum Grinsen brachte. „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte er, während er eine seiner Hände auf Ryders Hand legte. „Aber ich schätze, jetzt hast du jeden Sex auf der Welt für mich versaut, weil das nie wieder so gut wie jetzt werden kann…“ Und in dem Moment, in dem Ryan es aussprach, wusste er auch irgendwie, dass das stimmte – aber es war ja egal. Schließlich hatte er ja Ryder. Oder auch nicht. Denn das College war eine überraschend harte Zeit, die überraschend viel von Ryans Aufmerksamkeit verlangte – egal ob wegen Lernen, ob wegen Mädchen, wegen Stress mit Aaron oder wegen der ganzen Partys und dem ganzen Schmarn mit den Verbindungen, Ryan hatte kaum Zeit, irgendwelche freie Zeit zu bekommen. Er nahm sich zwar immer vor, in den Ferien mal wieder ans Meer zu fahren, aber irgendwie fehlte ihm dann in den eigentlichen Ferien doch immer die tatsächliche Motivation dazu. Außerdem fühlte er sich mit jeder Person, mit der er schlief, ein bisschen schlechter gegenüber Ryder, obwohl er gar nicht erklären könnte wieso; früher, bevor Ryder das mit ihm am Strand gemacht hatte, war das auch nicht so gewesen. Aber mittlerweile war Ryan einfach nur nervös, seinem früheren Schwarm wieder gegenüber zu treten und – um ehrlich zu sein – er vergaß ihn auch ein bisschen. Ryans College-Zeit war eben fordernd und anstrengend, aber gleichzeitig auch irgendwie eine der geilsten Zeiten seines Lebens. Er hatte kaum Stress… war es ihm da zu verdenken, dass er Ryder eben nicht dauernd im Kopf hatte? Aber an einem Tag, der für ihn eigentlich der wahrscheinlich wichtigste Tag im Leben sein sollte, konnte er Ryder nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Genau deshalb schnappte er sich auch an diesem einen Tag Aarons Motorrad und fuhr zum Strand, weg von all den schlechten Gedanken die er hatte und hin zu der einzigen Person, die ihn wahrscheinlich gerade wirklich verstehen würde. Es dauerte nicht lange, bis er einen Strand gefunden hatte, der abgelegener als die Anderen waren. Ohne lange darüber nachzudenken stellte Ryan das Motorrad ab, rannte förmlich bis zu dem Wasser und merkte, wie sein Mund noch vorm Ankommen anfing, zu rufen; „Ryder?! Ryder, bitte, Ryder, ich brauche dich, dringend!“ Gerade, als er am Ufer des Strandes ankam, sah er auch, wie der Mann aus dem Wasser auftauchte. Ein bisschen entfernt vom Strand, aber trotzdem eindeutig dieselbe Person, mit der Ryan früher jeden Tag geredet hatte. „Ryan“, stellte er mit einer beruhigenden, sanften Stimme fest. Noch während er näher schwamm, redete er weiter; „Alles gut bei dir?“ Ryan drückte seine Lippen aufeinander und merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Gosh. Anstatt also verbal zu antworten und in Gefahr zu laufen, in Tränen auszubrechen – er war ein erwachsener Mann von 27 Jahren, er fing nicht einfach an, zu heulen! – schüttelte er nur den Kopf, bevor er sich in den Strand setzte, so nah am Wasser wie er sein konnte, ohne wirklich nass zu werden. „Ich hab dich noch nie im Anzug gesehen“, stellte Ryder fest, während er schließlich am Strand ankam und sich daran ein bisschen hinaus zog, sodass er in die Nähe von Ryan kam. Er schien keine sonderlich große Sorge zu haben, dass hier irgendwer kommen würde, denn er kam mit seiner Flosse relativ nonchalant ganz aus dem Wasser. „Das sieht gut aus, Ryan.“ Als ob es das besser machen würde! Ryan merkte, wie seine Augen immer mehr brannten. Frustriert zog er seine Beine an seinen Oberkörper, umarmte sie und versenkte sein Gesicht in seinen Knien. „Hey, alles ist gut“, hörte er Ryders Stimme neben sich, während eine nasse Hand sich auf Ryans Schulter legte. Dann war er also mittlerweile tatsächlich bis zu Ryan gerobbt… Gott, scheiße, hatte er Ryder in den letzten Jahren vermisst! Das war ihm noch nie so klar gewesen wie jetzt, wo er dem Jungen wieder so nahe saß und das Herz in seiner Brust wieder anfing, zu pochen. „Also, wahrscheinlich ist es das nicht, sonst wärst du nicht hier“, fuhr Ryder fort, „Aber ich glaube, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, Ryan. Und wenn du mir von deinen Problemen erzählen willst… lass dir alle Zeit der Welt.“ Ryan ließ sich auch tatsächlich ein bisschen Zeit, solange, bis das Gefühl einer drohenden Heulattacke von ihm gegangen war. Daraufhin stützte er sein Kinn auf seinen Knien ab und nahm nochmal einen tiefen, zittrigen Atemzug. „Ryder…“, fing er dann nervös an. Er hatte keine Ahnung, wie er das alles erklären sollte, weshalb er einfach mit dem leichtesten anfing: „Ryder, heute ist – heute ist mein Hochzeitstag.“ Das Schweigen, das danach einkehrte, dauerte allerhöchstens fünf Sekunden. Aber Ryan machte es verrückt, dass Ryder in diesen fünf Sekunden nicht antwortete, weshalb er seine Aussage gleich noch ein wenig anpasste. „Oder heute wäre mein Hochzeitstag, aber… ich pack das nicht. Also, ich weiß nicht, ob ich das nicht packe, ich – das… das ist alles so viel. Und so plötzlich und so verdammt schnell und…“ Ryan stockte wieder, nahm einen weiteren Atemzug und wollte weiter reden, aber ihm fiel auf, dass ihm da gerade nicht noch mehr einfiel – deshalb schwieg er erstmal. „Wen heiratest du denn?“, fragte Ryder schließlich nach. Seine Stimme klang irgendwie komisch, aber wahrscheinlich bildete Ryan sich das nur ein. „Ihr Name is‘… Rachel. Rachel Dunstock… oder eben bald Adams“, murmelte Ryan. „Sie ist meine Freundin seit… einanhalb Jahren, ungefähr? Ich mein… ich kenn sie noch nicht mal richtig gut ich mein, was sind schon einanhalb Jahre? Aber... heute – heute heiraten wir. Am Strand. Gar nicht weit weg von hier…“ Ryder erwiderte wieder eine Weile lang nichts. „Wieso willst du sie dann überhaupt heiraten?“, fragte er dann, was Ryan wieder frustriert sein Gesicht verziehen ließ. „S-sie.. sie ist schwanger von mir. Sie wird in fünf Monaten das Kind bekommen… unser… gemeinsames Kind. Ich weiß noch nicht mal, ob ich bereit bin, Vater zu sein, Ryder… Und ich liebe sie eigentlich und ich glaube, dass ich auch unser Kind lieben werde, aber gerade klingt das alles nach einem so unglaublich gewaltigen Schritt und ich weiß nicht, ob ich mein restliches Leben lang zufrieden mit diesem Schritt sein kann und – und ich weiß überhaupt nichts mehr und eigentlich will ich das alles nicht und… und eigentlich will ich gerade einfach nur bei dir sein, dich umarmen und mir von dir anhören, das alles wieder gut wird, weil du der einzige Mensch bist, dem ich das glaube.“ Nach diesem kleinen Monolog, der nach dem Aussprechen irgendwie peinlicher war als davor, versenkte er sein Gesicht wieder in seinen Knien… wurde aber kurz darauf tatsächlich von Ryder in den Arm genommen, der ihn ein wenig an sich drückte. Nur allzu bereitwillig lehnte Ryan seinen Kopf gegen die Schulter des Mannes. „Ich kann dir nicht sagen, dass alles gut wird“, flüsterte Ryder schließlich leise, während er mit seiner Hand über Ryans Schulter fuhr. „Aber ich kann dir sagen, dass du ein unglaublicher Vater sein wirst. Ich kann dir versprechen, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Probleme hast und dass ich immer bei dir bin, auch, wenn du nicht zum Meer kommst. Hey, ich werde wahrscheinlich auch bei deiner Hochzeit irgendwo im Meer in der Nähe sein… hast du schon einen Trauzeugen?“ Ryan wollte eigentlich gar nicht reden – er wollte weiter Ryders Stimme hören, noch mehr aufmunternde Worte von ihm… aber er nickte dennoch schnell. „Erinnerst du dich an Aaron?“, gab er zurück, woraufhin Ryder wieder nickte. „Natürlich erinnere ich mich an Aaron“, murmelte er, während er Ryan wieder an sich zog. „Und Aaron steht dir sicher auch zur Seite, wenn du Hilfe brauchst, Ryan“, redete Ryder also gleich weiter. „Du musst dir keine Sorgen machen, Ryan – wirklich nicht. Ich weiß, dass du dir nur die richtigen Menschen in deinem Leben aussuchst… und wenn du Rachel heiratest, dann glaube ich auch, dass sie die Richtige für dich ist. Sie, und das Kind, das du mit ihr bekommen wirst.“ Wieder sagte Ryan nichts, aber Tatsache war, das diese wenigen Worte von Ryder ihm unendlich mal mehr wert waren als jedes Wort, das Aaron oder Rachel über diese Hochzeit gesagt hatten. Er könnte nicht erklären wieso, aber sie beruhigten ihn auch tatsächlich und bereiteten ihn auf die Hochzeit vor – Aber als er später das Ja-Wort sagte, musste er immer noch nur an Ryder denken. „Du solltest dich darum kümmern!“ Ryan entfuhr ein frustriertes Schrauben, als Rachel das zum hundertsten Mal wiederholte. Wieso konnte diese Frau nicht einfach einsehen, dass sie falsch lag?! „Weißt du, seit wann diese OP geplant ist? Seit einem halben Jahr. Ein halbes Jahr, Rachel, plane ich diesen Termin schon! Meinst du ernsthaft, ich hätte dir gesagt, dass ich mich an dem Tag dann auch noch um den Elternabend von Noah kümmere?!“ „Ja, das dachte ich!“ Rachel schnaubte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ryan rollte mit den Augen, einfach, weil er dieses ständige, kindische Getue von seiner Frau sowas von satt hatte, das man es kaum noch in Worte fassen konnte. Seit vier Jahren machte er diesen Nonsens jetzt schon mit und langsam aber sicher fehlte ihm einfach der Nerv dazu. „Das denkst du wenn dann“, korrigierte Ryan sie. „Was?“ Rachel blinzelte verwirrt, aber Ryan schüttelte einfach nur den Kopf. „Schüttel nicht ständig den Kopf, wenn ich mit dir rede!“, fuhr sie fort – und wieder schüttelte Ryan nur den Kopf, aber diesmal folgten seine Finger, die genervt an seiner Nasenwurzel rieben. „Ich fasse es nicht“, keifte Rachel. „Wieso weichst du ständig jedem Gespräch mit mir aus?!“ „Weil das keine Gespräche sind, sondern ein einziges Anschreien“, knurrte Ryan genervt. „Ich kann’s dir nicht recht machen, mal abgesehen davon, dass du mir zu 90% der Zeit ganz offensichtlich sowieso nicht zuhörst.“ „Das sagt der Richtige!“ Rachel stapfte mit ihrem Fuß in den Sand. „Wie kannst du sagen, ich höre dir nicht zu? Gerade du?! Muss ich dich erst daran erinnern, wer unsere Ehe schon in der Nacht der Eheschließung gefährdet hat?!“ Ryan stockte, bevor er seinen Kopf zu ihr drehte und sie fassungslos anschaute. Sie machte es tatsächlich schon wieder! Immer, wenn sie nicht wusste, was sie sagen sollte, kam diese verdammte Hochzeitsnacht auf – und dabei hatte sie schon so oft behauptete, dass sie darüber hinweg sei. Ja, gut, natürlich verstand Ryan, wieso seine Frau es nicht gerade anregend gefunden hatte, dass sie ihren Bräutigam in der Besenkammer des gemeinsamen Hotels auf seinen Knien gefunden hatte, den Mund buchstäblich voll mit der Männlichkeit seines Trauzeugens… aber das hieß noch lange nicht, dass sie immer wieder darauf rum hacken musste! Vor allem nicht in diesem verdammten Urlaub, in dem sie doch endlich mal entspannen und sich nicht andauernd nur anzicken wollten… Aber statt darüber noch ein Wort zu verlieren, unterbrach Ryan den Blickkontakt einfach mit einem Schnauben und schaute stattdessen nach wo sein Sohn, Noah, sich schon wieder rum trieb. Eigentlich nur eine flüchtige, kleine Geste, die ihn aber innerhalb von Sekunden fesselte. Der Strand war de facto leer. Noah, der eben noch im Sand gespielt hatte, hatte sich verdrückt und war nirgends zu sehen; und dann war da dieser Steg, der so gefährlich weit ins Meer jagte. Ryans Herz pochte ihm bis zum Hals, als er auf der Decke aufsprang. Er hörte, wie Rachel sich über den Sand beschwerte, den er damit aufwirbelte, aber er ignorierte das. „Noah?!“, rief er über den Strand hinweg, was wohl auch Rachels Aufmerksamkeit anstachelte. Noch bevor sie sich aufrichtete, fing Ryan panisch an zu laufen. Bitte, oh, bitte, Noah durfte nichts passiert sein! „Noah Ryder Adams, komm sofort her!“, hörte er Rachel hinter sich rufen, während seine Beine über den Strand flogen. Scheiße. Scheiße. Scheiße! Wo war Noah?! Er merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, aber in seinem Kopf spielten sich die unheimlichsten Szenarien aus, in denen sein Sohn ertrunken, entführt oder einfach nur wegen der Hitze zusammengebrochen war… Aber er kam nicht sonderlich weit, da er kurz darauf fast schon über Noah stolperte. Er lag am Strand, völlig durchnässt. Ryan könnte schwören, dass er vor wenigen Sekunden noch nicht dort gelegen hatte, aber anstatt darüber nachzudenken hechtete er sofort zu seinem Sohn. Er kniete sich neben ihm und hätte fast Erste-Hilfe-Maßnahmen ergriffen, wenn er nicht im letzten Moment bemerkt hätte, dass sein Sohn atmete… komplett normal. „Noah?“, flüsterte er leise, mit Tränen in den Augen, während er sich zu seinem Sohn herab beugte. Der hob nur langsam seine Augenlider, aber es schien ihm gut zu gehen… glaubte Ryan jedenfalls. „Ich hab keine Luft mehr bekommen, Papa“, murmelte Noah, was Ryans schlimmste Vermutung bestätigte. „Aber ein Mann hat mich gerettet…“ Bevor Noah noch weiter reden konnte, hörte Ryan einen glücklichen Aufschrei von Rachel, die zu ihnen rannte, auf die Knie fiel und Noah umarmte. Aber Ryans Herzschlag hatte sich schon wieder beruhigt. Wie hatte er jemals Angst um sein Kind haben können? Nicht hier, nicht am Meer – das hatte er schon gewusst, bevor er in den Urlaub gefahren war. Deshalb fuhr sein Blick auch vorbei an seinem Sohn und seiner Frau, zu dem Meer, das so ruhig wirkte wie schon den ganzen Tag. „Danke, Ryder“, flüsterte er leise. „Ryder?“ Ryan ließ seine Füße ins Meer sinken und ein wenig auf den Wellen treiben. Er saß auf einem Holzsteg, einen, der nicht so weit ins Meer ragte und ziemlich zerfallen und alt aussah, der seinen Dienst aber noch wunderbar tat. „Ryder, bist du da?“, wiederholte er leise, aber hatte wie üblich keine große Hoffnung, ihn wirklich zu sehen. Er hatte seit sieben Jahren nicht mehr mit Ryder geredet – sieben Jahre! – auch, wenn er sich sicher war, das er vor drei Jahren Noah das Leben gerettet hatte. Dennoch, wirklich geredet hatten sie seit seinem Hochzeitstag nicht mehr… was eine wirklich ernüchternde Vorstellung war. Aber wie immer, wenn er Ryder um Hilfe bat, überraschte dieser ihn. Diesmal sah Ryan zuerst seine graue Flosse, bevor Ryder die Wasseroberfläche durchbrach und zu ihm schaute. „Hallo, Ryan“, grüßte er den Anderen – und zum ersten Mal fiel Ryan auf, dass Ryder ihn immer so begrüßte, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Er schien ihm nie böse zu sein, wenn er ihn ewig nicht gesehen hatte… „Hallo, Ryder“, grüßte Ryan ihn lächelnd zurück, was auch Ryder ein Grinsen auf die Lippen zauberte. Ryder sah immer noch so jung aus; zwar hatte er mittlerweile einen Bartschatten, aber er war körperlich mittlerweile definitiv jünger als Ryan. Eine wirklich komische Vorstellung, wenn man darüber nachdachte… „Geht’s dir gut?“ Ryder legte den Kopf von seiner Position aus ein bisschen schräg. „Ja“, stimmte Ryan zu, während er mit seiner Hand über seinen Nacken fuhr. „Mir geht es so gut wie seit der Scheidung mit Rachel nicht mehr…“ Ryder schien dieses Tatsache einfach hinzunehmen. Er schien zu wissen, dass Ryan nicht darüber reden wollte, nicht nochmal diese grausamen, dummen Details wiederholen wollte. Ja, die Scheidung von Rachel war kein Zuckerschlecken gewesen, aber es war ein wunderbares Geschenk zum fünften Hochzeitstag gewesen. „Hat das irgendeinen bestimmten Grund?“, fragte Ryder nach, während er seine Hände an den Steg legte. Mit einem Ruck hatte er sich nach oben gezogen, sodass er neben Ryan sitzen konnte. „Eigentlich nicht“, erwiderte Ryan, während er Ryder ein schiefes Lächeln schenkte. „Das heißt… ich hatte gerade eine Woche Roadtrip hinter mir und das heute ist mein letzter Tag. Die Woche war unglaublich schön, alleine, weil ich sie mit Aaron verbringen konnte…“ – Ryan stockte kurz. „Aaron ist mittlerweile übrigens mein Freund“, erklärte er rasch. „Seit zwei Jahren, um genau zu sein… Gleich nachdem ich mit Rachel Schluss gemacht habe.“ Ryders Lächeln wurde ein wenig breiter. „Ich hab dir immer gesagt, dass du mehr für ihn empfindest“, stellte er amüsiert fest. Ryan lachte nervös und fuhr dich durch die Haare, bevor er langsam nickte. „Und du hattest immer recht“, erwiderte er. „So wie du über alle Dinge in meinem Leben immer recht hattest, Ryder.“ „Mit Rachel hatte ich nicht recht.“ Ryder runzelte die Stirn, aber Ryan schüttelte nur seinen Kopf. „Doch, hattest du – du hast gesagt, die Menschen, die ich mir aussuche… aber ich hab sie nie ausgesucht.“ Ryan seufzte, bevor er seine Hand langsam auf Ryders ablegte. „Du glaubst es mir vielleicht nicht, weil ich dich so selten besuchen komme“, murmelte er, „Aber du bist mir wirklich unendlich wichtig. Du bist mir der wichtigste Mensch auf der Welt, um genau zu sein…“ Ryan schaute zu Ryder, aber der richtete seinen Blick in die Ferne. Seine Finger spielten aber ein wenig mit denen von Ryan, was diesem ein unglaublich wohliges Gefühl verschaffte… ein so wohliges Gefühl, das ihn jegliche Form von Liebe für Aaron in Frage stellen ließ und nur noch Raum für Ryder ließ. „Sicher, dass ich nicht doch eher dein liebster Meerjungfraumann bin?“, fragte Ryder schließlich zurück, während er seinen Kopf mit einem schiefen Grinsen zu Ryan drehte. Der blinzelte erst verwirrt, bevor er zu lachen anfing . „Du bist auf jeden Fall meine liebste Meerjungfrau“, stimmte er dann aber zu. „Wusstest du, dass Aaron ‚Arielle – die kleine Meerjungfrau‘ liebt? Also den Film? Und immer, wenn er einen Song daraus singt, muss ich an dich denken… an Ryder, meinen kleinen Meermann.“ „Klein?“, wiederholte Ryder amüsiert, aber mit einer unüberhörbaren Melancholie in der Stimme. „Nicht so überheblich, Ryan… Ich weiß zufälligerweise ganz genau, dass mein Schwanz länger als deiner ist.“ Zum Beweis hob Ryder seine Flosse auch ein wenig, nur, um sie wieder ins Wasser sausen zu lassen – und Ryan damit nass zu spritzen. Der lachte zwar nur wieder, aber irgendwie merkte er, dass Ryder… nicht ganz zufrieden war. Irgendwas störte ihn, aber Ryan könnte nicht mal sagen, was; er wusste schließlich nicht viel über Ryder. Selbst die zwei Jahre, in denen sie jeden Tag miteinander geredet hatten, hatten sie hauptsächlich über Ryan geredet, nicht über Ryder. Aber was sollte er tun? Ryan hatte darauf immer noch keine Antwort, als er wenige Stunden später auf den Weg zurück zu Aaron war. Das Wasser umspielte Ryans Fußknöchel. Das Meer war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit, aber wahrscheinlich lag das einfach daran, dass es nachts war. Und war das Meer in Churningham um diese Zeit nicht sowieso immer überraschend kalt gewesen? Ryan spürte einen Kloß in seinem Hals, den er aber erfolgreich runter schluckte. Er machte einen weiteren Schritt ins Wasser, die Kälte ausblendend. Das Wasser durchtränkte erst seine Socken, dann seinen Saum der Hose und war schließlich bei seinen Knien angelangt, was Ryan aber nicht stoppte. Egal wie kalt es war, er konnte einfach nicht mehr anhalten. Also ging er weiter, bis er mit der Hüfte drinnen war, bis zum Bauchnabel, bis zur Brust… Und schließlich schwamm er, wobei seine nassen Klamotten sofort zur Last wurden. Aber auch das ignorierte er geflissentlich. „Ryder?“, flüsterte er stattdessen ins Meer, nachdem er endlich angefangen hatte, richtig zu schwimmen. Es dauerte nicht lange, bis Ryder neben ihm auftauchte. Ryan spürte, wie ihm sofort Tränen in den Augen brannten, die er diesmal aber nicht versuchte zu unterdrücken. Als die erste Träne über seine Wange rollte, spürte er, wie Ryder seine Hand an Ryans Schulter legte. „Was tust du da?“, fragte er, mit einem definitiv besorgten Tonfall in seiner Stimme. „Du weißt, dass ich nicht zulasse, dass du dich ertränkst, oder…?“ Ja, ja, das wusste Ryan. Immer noch weinend drehte er sich zu Ryder, schaute ihn kurz an und schloss ihn dann in die Arme; wobei er seine Arme um dessen Hals schlang, sodass Ryder ihn mit der Flosse oben behalten konnte. „Ich will bei dir sein, Ryder“, flüsterte er. „Bitte. Bitte lass mich sterben.“ Eine Zeit lang spürte Ryan nichts bis auf den stetigen Atem von Ryder. Er schien nicht wissen, was er dazu sagen sollte – aber was sollte er auch schon dazu sagen? Ryan wusste, wie seine Worte klangen. Aber was sollte er tun? „Was ist mit Aaron? Und mit Noah?“ Ryan schluckte. „Aaron… liebt mich nicht. Und ich – ich liebe ihn nicht. Er wird glücklicher sein, wenn ich weg bin. Noah weiß nicht mal mehr, wer ich bin, außer der Mann, der ihm regelmäßig Geschenke bringt… meine Familie vergisst mich, mein Job treibt mich in den Wahnsinn… Aber selbst wenn das alles nicht wäre, Ryder, ich kann das nicht mehr.“ Er schnappte nach Luft, aber erklärte gleich weiter: „Ich habe lange darüber nachgedacht… so… lange. Ich hab mir eingeredet, dass Rachel und Aaron mich glücklich machen, das Noah mich glücklich macht, aber – ich habe mich niemals in meinem Leben wirklich ganz gefühlt. Ich dachte immer, dass ich irgendwas wichtiges im Leben verpasse, dass alle anderen Menschen um mich herum etwas wissen, was ich nicht weiß und hab immer versucht, glücklicher zu werden, aber…“ Ryan löste sich ein bisschen, um Ryder durch den Tränenschleier in die Augen schauen zu können. „Mir ist klar geworden, dass ich schon so glücklich war. Schon so oft… aber… auch viel zu selten. Ryder, du bist – du bist die einzige Person, bei der ich mich jemals richtig gefühlt habe und… ich hasse mich dafür, dass mir das nicht früher klar geworden ist. Aber ich kann nicht mehr ohne dich leben, Ryder, und ich will das auch gar nicht mehr. Es reicht nicht, einfach wieder ans Meer zu ziehen, ich… brauche dich… so sehr, aber – ich kann auch nicht mehr leben. Ich will nicht mehr. Bitte, bitte nimm mich zu dir mit…“ Ryan merkte, dass auch Ryder Tränen in den Augen hatte, was sich mit dem Meerwasser in seinem Gesicht vermengte. „R-ryan“, murmelte er, wobei seine Stimme überraschend zittrig klang. „Bitte… tu das nicht. Ich kann das nicht…“ „Wenn du es nicht tust“, murmelte Ryan, „töte ich mich anders selber. Nicht im Meer – mit Tabletten, einer Pistole, irgendwie.“ Er schluckte wieder, weil er merkte, dass seine Stimme belegt war. „Bitte, Ryder, tu mir den Gefallen. Ich weiß, dass ich dich nach so unendlich vielen Gefallen gefragt habe, aber ich bitte dich inständig, gib mir nur noch diesen letzten…“ Ein Schluchzen durchfuhr Ryder. Ryan spürte es an jeder einzelnen Faser seines Körpers und hasste sich dafür, dass er Ryder zum Weinen brachte… aber er konnte seine Worte auch schlecht einfach zurücknehmen. Nein, stattdessen schaute er Ryder flehend an, schaute in diese Augen, in die er sich vor so vielen Jahren verliebt hatte – und die er immer noch liebte, wie er abermals feststellen musste. Die er immer lieben würde. „Ich liebe dich, Ryan“, flüsterte Ryder leise. Ein erlöstes Lächeln legte sich auf Ryans Züge. „Ich liebe dich auch, Ryder“, flüsterte er zurück. Gleich darauf zog Ryder ihn an sich und küsste ihn. Noch während dem Kuss schlang er seine Arme enger um Ryan, um ihn mit sich zu ziehen – mit unters Wasser. Ryan drückte seine Arme ebenfalls fester um Ryder, während der innerhalb von wenigen Sekunden in unglaubliche Tiefen schwamm, dabei aber nie den Kuss löste. Es fühlte sich nicht schlimm. Nein, im Gegenteil, Ryan fühlte nicht mal, dass er ertrank – stattdessen spürte er, wie sein Körper immer jünger würde. Er fühlte sich wieder wie 18. Er konnte klar vor Augen sehen, wie er ins Wasser ging, wie aus seinen Beinen eine Flosse wurde und wie Ryder mit ihm nach unten zog – zum Meeresgrund. Ryan konnte sehen, wie Ryder ihm sein Leben zeigte, wie sie sich gegenseitig aufeinander einließen. Er sah, wie sein Leben eine so unglaubliche Form angenommen hatte, dass er absolut nichts mehr im Leben außer Ryder brauchte. Die Vision, die Ryder mit ihm teilte, hielt bis zum Ende an. Bis Ryan in den Armen von Ryder ertrank. Kapitel 3: Erstes Zwischenspiel ------------------------------- „Was?!“ Ryder runzelte seine Stirn. Ryan saß mittlerweile im Bett gegenüber von ihm, im Schneidersitz. „Die Vision, die Ryder mit ihm teilte, hielt… –“, wiederholte Ryder seinen letzten Satz, aber Ryan schüttelte schnell seinen Kopf. „So kann das nicht ausgehen!“, beharrte er. Er hatte, wie Ryder überrascht feststellte, Tränen in den Augen. „Das ist viel zu traurig!“ „Du wolltest kein Happy End…“ Ryan schüttelte seinen Kopf. „Oh maaaaaan… das war… viel zu hart!“ Und bevor Ryder sich überhaupt wehren konnte, war Ryan wieder zu ihm gerutscht – und umarmte ihn, obwohl sie Beide gegenüber voneinander saßen und das nur so halb funktionierte. Ryans Gesicht drückte sich in Ryders Halsgrube und der spürte, wie der andere Junge jetzt sogar ein leichtes Schluchzen ausstieß. Wow! Ryder hätte nicht mit so einer Reaktion gerechnet! Okay, die Geschichte war lang gewesen, so lange, dass jetzt schon die ersten Sonnenstrahlen des Tages ins Zimmer schienen, aber dass Ryan so mitgenommen sein würde… „Ich würde dich niemals vergessen“, murmelte Ryan. „Niemals.“ Ryders Herz blieb für einen Moment stehen. Aber schlussendlich erwiderte er nichts, sondern umarmte Ryan einfach zurück. - „Ryder…?“ „Hm?“ Ryder schaute auf zu Ryan. Sie lagen wieder im Bett, diesmal in Ryans Bett; und wieder war es zu mehr gekommen, als der Andere wohl erwartet hätte. Das war jetzt das fünfte Mal, das das passiert war – und das in kürzester Zeit. Es war noch nicht mal sonderlich spät, erst so gegen 23 Uhr. Der Mond schien ziemlich hell in Ryans Zimmer, weshalb Ryder den Anderen perfekt erkennen konnte. „Meinst du…“ Ryan seufzte. Ryder lag in seinen Armen, so, dass er sein Kopf auf Ryans Schulter legen konnte. Ryan lag damit auf den Rücken – was okay so war, weil so konnte Ryans Hand noch immer über Ryders Rücken wandern, wenn er das wollte. Gerade fuhr er mit seiner Hand aber nur geistesabwesend über Ryders Oberarm. „Ah.“ Ryan grinste kurz, schaute dann aber auch mal direkt zu Ryder. „Vergiss es. Doofer Gedanke.“ Ryan war betrunken. Klar war er das, genau wie die letzten vier Male. Aber diesmal war er sogar noch richtig ansprechbar, was fast schon ein wenig neu war. „Was denn?“ Ryder rutschte im Bett ein bisschen nach oben, sodass sein Kopf neben Ryans lag. „Äh…“ Ryan drehte seinen Kopf zu Ryder und runzelte seine Stirn. „‘ch hab mich gefragt… weißt du noch… also, erinnerst du dich noch an Ryder, den Meermann?“ Ryder grinste schief. „Klar“, erwiderte er. „Wieso?“ „Kannst du mir nochmal ein Märchen erzählen?“ Ryan schluckte. „Wenn du magst. Das war irgendwie ganz nett.“ Er zögerte nochmal. „Also, verdammt nett.“ „Hm…“ Ryder fuhr mit seiner Hand nachdenklich über Ryans Brust. „Klar kann ich. Das hat Spaß gemacht.“ „Ja?“ Ryans Augen leuchteten auf, aber dann fiel ihm wohl wieder ein, dass er einen Ruf zu wahren hatte. „Ich mein, äh – das wäre echt super.“ Ryder lachte leise, bevor er wieder ein paar Minuten überlegte. „Okay…“, sagte er nach einer Weile. „Was hältst du von Rotkäppchen?“ Ryan grinste breit. „Perfekt“, kommentierte er. Ryder erwiderte das Grinsen. „Okay, dann…“ Wieder ein Zögern. Die Grundstory stand schon so halb in seinem Kopf, aber letztes Mal hatte es auch super geklappt, das alles spontan zu erklären – und das würde sicher auch diesmal super klappen. „Also… früher, vor laaaanger, langer Zeit, da gab es mal einen Jungen namens Ryan…“ „Oh! Red Riding Ryan?“ Ryan lachte. Ryder stimmte in das Lachen mit ein. „Klappe!“, sagte er dann aber grinsend. „Keine Kommentare! Also, dann nochmal: es war einmal vor langer Zeit, ein Junge namens Ryan. Ryan…“ Kapitel 4: Red Riding Ryan -------------------------- Ryan hasste sein Dorf. Gut – hassen war wohl ein sehr starkes Wort, das Ryan natürlich niemals laut aussprechen würde. Dafür war er zu höflich, zu lieb… und vor allem würde er dafür zu viele geschockte Blicke von seinen Mitmenschen kassieren, weil in diesem Dorf so gut wie jedes negative Wort den Schock des Jahrzehnts auslöste. Dennoch, Ryan konnte sein Dorf wirklich nicht leiden. Er war sich nicht ganz sicher, womit diese plötzliche Erkenntnis kam: vielleicht weil seine Arme bis zu seinen Ellbogen im Mehl steckten, vielleicht aber auch, weil sich gestern seine Verlobung aufgelöst hatte. Nicht, weil Rachel ihn nicht geliebt hatte, nein, sie hatte ihn sogar vergöttert und Ryan hatte sogar wirklich geglaubt, dass es diesmal klappen würde. Hatte es aber nicht. Rachel – oder besser gesagt ihre Überreste – waren gestern Morgen am Waldrand gefunden worden. Bis auf ihren Kopf war da allerdings nicht mehr viel gewesen, aber hey, immerhin hatte man sie erkennen können. Wie üblich. Ryan würde wirklich gerne von sich selbst behaupten, dass er geschockt gewesen war. Dass er sich ehemalige Klamotten von ihr genommen, umarmt und sich in den Schlaf geweint hätte, weil er die Vorstellung so grausam fand, ein Leben ohne Rachel zu leben und weil er einfach ständig an sie denken musste… Aber nein, dem war wirklich nicht so. Beim fünften Mal war das eben einfach nicht mehr so emotional. Und mittlerweile war er schon 18, was hieß, er würde höchstwahrscheinlich bald nicht mehr so leicht seine nächste Verlobte finden können – und das alles nur wegen diesem vermaledeiten Wolf, der immer gerade seine Verlobte umbringen musste! Ja, Rachel hatte er nicht wirklich geliebt. Genauso wenig wie seine vierte Verlobte, Rosie, seine dritte Verlobte, Melissa und seine zweite Verlobte, Rain. Lediglich seiner ersten Verlobten, Thalia, hatte er noch annähernd sowas wie Gefühle entgegen gebracht. Sie war auch sowas wie seine Kindheitsfreundin gewesen und er hatte sich mehr als nur gefreut, als er sich mit 15 mit ihr verlobt hatte. Nur hatte der Wolf sie auch gefressen! Natürlich hatte er ihren Kopf verschont, wie immer, der Wolf aß nie den Kopf. Wahrscheinlich zu viel Gehirn oder sowas, oder, damit man die Leichen tatsächlich erkennen konnte. Jedenfalls fühlte Ryan sich mittlerweile wirklich abgestumpft, was seine Verlobten anging. Er hätte aber so gerne eine Verlobte, eine Familie – er wollte nicht wie sein Vater enden, ein trauriger Mann mit einem Sohn und einer nichtsnutzigen Tochter, während seine Frau sich sogar lieber in den Wald verkrümelt hatte, als sich länger mit ihm zu befassen. Die Leute redeten ja auch schon über ihn, verdammt! Als Bäckerssohn hatte er in ihrem kleinen Dorf immer gute Chancen gehabt, verlobt zu werden. Früher hatte man sogar über seinen Charme geredet und was er doch für ein toller Mann wäre, der auch noch so unglaublich gut aussah. Sie liebten ihn auch alle immer noch. Jeder liebte ihn, hielt ihn für diesen kleinen, unschuldigen Jungen. Durch seinen roten Mantel, dessen dicke Kapuze er sich immer über die Augen zog, hatte er sich sogar diesen unheimlich unschuldigen Namen ‚Rotkäppchen‘ eingehandelt. Keiner schien es seltsam zu finden, dass Ryans Verlobte wie die Fliegen umfielen, noch immer buhlten alle Mädchen um ihn. Beziehungsweise bei seinem Vater, weil hier im Dorf alles durch die Eltern geregelt wurde; der Vater verlobte seine Söhne, die Mütter ihre Töchter. Einfaches Prinzip. Ryan aber hatte die mitleidigen Blicke satt, die tausend Entschuldigungen erst recht und vor allem nervte es ihn, wie die unfähigen Kämpfer und Jäger des Dorfes immer wieder betonten, dass sie doch den Wolf nicht töten konnten und dass er zu groß, zu stark und zu unmenschlich sei. Pah, von wegen! Unfähigkeit nannte man das! Ryan wischte sich mit mehligen Händen über seine schweißüberströmte Stirn, während er den gefühlt tausendsten, noch ungebackenen Brotlaib neben sich ablegte. Frustrierenderweise waren es aber noch nicht tausend, sondern erst vier – und er musste noch viel, viel mehr machen, aber das war so unheimlich an-streng-end. Am Liebsten würde er das Dorf einfach verlassen. Wegrennen, so wie seine Mutter… aber wohin? Das Dorf wurde von Wald umgehen und außerhalb des Waldes war – nichts. Jedenfalls nichts, von dem irgendwer etwas wusste. Nur wenige wagten sich überhaupt in den Wald zu gehen, schließlich lauerten dort Millionen an Gefahren und bla, bla, bla, man sollte ja niiie weg gehen. Nur die Jäger und Sammler trauten sich für die Nahrung raus, aber sonst… „Du machst doch das Brot ganz kaputt!“, jammerte sein Vater. Ryan schaute verblüfft auf den Brotlaib, den er gerade geknetet hatte – und sah, dass er ihn tatsächlich eher zerrissen als wirklich in Form gebracht hatte. Man, er sollte in der Arbeit aufhören an solche nervenaufreibenden Themen zu denken. „Lass mich das machen“, fügte er noch seufzend an. „Mach du mal eine Pause, Ryan. Ich hätte dich heute noch nicht arbeiten lassen sollen… du trauerst noch um Rachel, das verstehe ich.“ Er warf ein mitleidsvolles Lächeln in Ryans Richtung und klopfte ihm auch gleich auf die Schulter. „Du findest nochmal die Liebe deines Lebens, ich glaube daran.“ ‚Wenn sie nicht wieder gefressen wird, ja.‘ Die Worte lagen auf Ryans Zunge, aber er sprach sie natürlich nicht aus. Er war ja höflich. Deshalb lächelte er nur stumm, nickte und verließ anschließend so schnell es ging die Bäckerei. Seine Schürze band er dabei schnell ab und hängte sie neben der Tür an den Haken, machte sich sonst aber nicht sauber. Störte hier ja sowieso niemanden, wie er aussah… solange er sein Markenzeichen, den roten Umhang, noch anhatte jedenfalls. Und den legte er sowieso nie ab, immerhin war das das letzte Geschenk seiner Mutter, das er noch hatte. Ja, gut, der Mantel sah auch dementsprechend aus; er war fransig und hatte schon ein paar Löcher, die Ryan aber immer gewissenhaft genäht hatte. Zudem befanden sich darauf mehrere weiße, Waschgänge überstehende Flecken vom Mehl (und nicht nur vom Mehl, wenn Ryan ehrlich zu sich selbst war), da er selbst beim backen niemals den Mantel auszog. Aber immerhin stank er nicht! Ryan wusch ihn ja auch oft genug, dass das nicht der Fall war. Er verließ die Bäckerei in die Richtung seines eigenen Hauses, wo er kurz darauf schon das einzige Mädchen sah, das ihn gerade aufheitern konnte. Judith, die am Esstisch saß und irgendwas aus dem Stroh vor sich bastelte, das sie sicher wieder vom Pferdemeister gestohlen hatte. Wahrscheinlich ihre x-Millionste Puppe, von denen sowieso alle gleich aussahen. Grinsend schlich er sich an das Mädchen ran. „Hallo, Joody“, grüßte er sie, wobei sie gar nicht erst von ihrer Arbeit aufschaute. Gerade band sie eine Schnur um ein Bündel Stroh herum, die wohl die Taille der Puppe festlegen sollte. „Hi, Ryan“, sagte sie. „Was machst du denn da?“ Er legte seine Hände auf die Rückenlehne des Stuhles und beugte sich über seine kleine Schwester. „Schon wieder eine Puuuppe?“ „Mhm.“ Judith schaute immer noch nicht auf. „Ui. Lässt du dann die Puppen miteinander heiraten und Kinder kriegen, hm?“ Ryan ging an dem Stuhl vorbei und griff sich einen Bündel losen Stroh. Er drückte ihn in der Mitte zusammen und ‚stellte‘ die Figur neben Judiths. „Hallo, großer Pupperich“, sagte er mit einer tiefen, verstellten Stimme, während er mit dem Stroh zwischen seinen Fingern wackelte. „Lass mich an deiner grohoooßen Weisheit teilhaben! Was plant die große Joody, Schöpferin allen Lebens in dieser tristen Stroh-Welt?“ Judith presste ihre Lippen aufeinander, um ein Grinsen zu unterdrücken. „Du bist soooo peinlich“, sagte sie dann schließlich, wobei sie doch mal aufschaute. Ihre hellblauen, kristallklaren Augen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, fixierten direkt ihren großen Bruder. „Echt mal. Hör auf damit!“ Ryan lachte leise. „Ich bin gar nicht peinlich!“, sagte er dann, bevor er wieder zu dem Stroh in seinen Fingern schaute. „Oder, bin ich peinlich, Puppe?“ Er verstellte wieder seine Stimme und antwortete sich per ‚Puppe‘ selbst: „Nöööö.“ „Oh man.“ Judith rollte mit ihren Augen, grinste jetzt aber doch. „Du bist super doof.“ „Vielleicht ein bisschen.“ Ryan grinste wieder, legte aber die Puppe wieder ab und wuschelte Judith durch die Haare. „Aber du bist viel doooofer.“ „Mh-mh!“ Judith lachte. „Streich mir nicht durch die Haare als wäre ich ein kleines Kiiind!“ Ach… Judiths Lachen war wirklich besser als jede Medizin. Ryan grinste, aber plötzlich hörte Joody dann doch wieder auf zu lachen. „Tut mir Leid wegen Rachel…“, sagte sie leise. „Ach… nicht so schlimm.“ Ryan löste sich wieder von ihr. „Echt nicht.“ „Hm.“ Judith runzelte die Stirn, sagte aber nichts mehr dazu. Und plötzlich war die Situation gar nicht mehr lustig und schön, also seufzte Ryan nur und wuschelte ihr nochmal durch die Haare. „Bis später, Joody“, sagte er, bevor er auch ihr Haus verließ. Na, das lief ja heute echt alles ganz Klasse. Aber gut, es gab ja noch mehr Optionen für ihn. Also ging er weg von ihrem Haus, über die Lehmstraße, wo ihn schlagartig jeder grüßte der ihn sah. Ryan war das gewohnt. In diesem Dorf kannte ihn absolut jeder, obwohl er bei Weitem nicht jeden kannte – das Dorf war zwar klein, aber eben doch nicht so klein. Ryan grüßte immer zurück, mit einem Lächeln und einer erhobenen Hand. Dennoch verschwendete er nicht allzu viel Zeit an seine Mitmenschen, damit er auch irgendwann mal bei seinem Ziel ankam… das er auch zum Glück schnell erreichte. Die Schmiede, die nur ein paar Häuser weiter war. Ryan schlich sich an die Tür, die wie immer offen stand. Von innen strömte ihm die Hitze des Feuers entgegen. Das Rotkäppchen lehnte sich grinsend gegen den Türrahmen, wobei er die Arme vor der Brust verhschränkte. Vor sich sah er einen Jungen, der ihm den Rücken zugewandt hatte und gerade mit dem Hammer ein Schwert für die Jäger bearbeitete. Er arbeitete wie meist oberkörperfrei, weshalb Ryan einen perfekten Blick auf seinen Rücken hatte: die Muskeln, die sich durch das jahrelange Schmieden gestählt hatten und bei jedem Schlag anspannten und unter der Haut bewegten… überzogen von einem leichten Schweißfilm, der diesen perfekten Rücken leicht glänzen ließ… es war nicht zum ersten Mal, dass Ryan diesen Anblick sah und ein bisschen zu sehr genoss. Aber ehrlich, er hatte keine Ahnung, was das für eine Bedeutung haben sollte. Sich einen Typen zum Verlobten zu nehmen war für ihn genauso fremd wie der Gedanke, ein Schimpfwort laut auszusprechen. „Schaut so aus, als ob die Arbeit gut läuft“, kommentierte Ryan grinsend. Der Junge vor sich stoppte, um einen Blick über seine Schulter zu werfen. „Ryan“, stellte er grinsend fest… hörte aber schnell wieder auf zu Grinsen. „Ich hab das mit Rachel gehört“, schob er an, während er den Hammer sinken ließ und schließlich neben dem Schwert ablegte. „Das tut mir wirklich richtig Leid für dich. Ich dachte echt, dass das mit dir und Rachel was werden würde.“ Ryan zuckte mit den Schultern. „Komm schon, Ryder, du weißt, das sie genervt hat. Und du musst hier keine Schmierenkomödie veranstalten, ich mein, ich – “ Ryder hatte sich schnell zu ihm gedreht, die kurze Distanz zu ihm schon fast unmenschlich schnell überwunden und ihm am Arm gepackt. „Sei leise“, zischte er ihm zu. „Nicht, dass dich noch irgendwer hört.“ Ryan seufzte, nickte aber und betrat die Schmiede richtig. Nicht, dass es hier drinnen sicherer war, hier waren tausend Fenster, damit es hier drinnen nicht zu heiß werden würde. „Lass mich noch schnell fertig arbeiten, dann können wir rein gehen, ja?“, murmelte Ryder, woraufhin Ryan nur wieder nickte. Der Schmiede-Lehrling lächelte ihm nochmal zu, bevor er sich wieder abwandte und wieder den Hammer griff, um das Schwert fertig zu machen. Ryan strich von hinten an ihn heran und linste ihm über die Schulter, während er weiter auf das noch glühende Eisen einschlug. Komischer Anblick. Wenn Ryders Dad das machte, wirkte es irgendwie immer professioneller… aber wer war er schon, dass er da irgendwas beurteilen konnte? „Krass, dass du an einem so heißen Tag immer noch Lust auf arbeiten hast“, stellte Ryan nüchtern fest. „Krass, dass du an so einem heißen Tag immer noch Lust auf deinen Mantel hast.“ Ryder warf ihm ein rasches Lächeln zu, kümmerte sich aber gleich danach weiter um das Schwert; „Es ist sowieso gleich fertig. Schau mal her, das Eisen glüht sowieso schon kaum mehr und nochmal schmeiß ich’s nicht in die Schmiede.“ Zwei, drei Mal hämmerte Ryder noch zu, bevor er den Hammer wieder neben dem Amboss ablegte und seine Hand über seine Stirn wischte. „Eigentlich passt das schon so… solange es einigermaßen Balance hat – die Jäger können doch sowieso nicht richtig damit umgehen und der Wolf hat sowieso zu dicke Haut, um sie mit bloßem Metall zu durchbohren. Und wofür sonst brauchen sie schon Schwerter?“ Ryan merkte, wie sich bei den Worten seines besten Freundes die Nackenhaare aufstellten. „Wieso sagst du das?“, murmelte Ryan. „Du kannst das gar nicht wissen. Niemand hat den Wolf jemals gesehen und es überlebt. Irgendwie kann man dieses scheiß Viech sicher abschlachten.“ Außerdem wollte Ryan sich persönlich schon noch die Hoffnung bewahren, dass man das Ungetüm wenigstens irgendwie besiegen könnte. „Aber auf den Schwertern von den gefressenen Jägern war niemals Blut“, gab Ryder zurück. Er klang irgendwie verstimmt; vielleicht weil Ryan ihm widersprochen hatte. „Höchstens Blutspritzer von ihnen selber… Aber welche Vorstellung hast du denn lieber? Dass unsere Jäger unglaublich unfähig sind oder dass die Schwerter nichts taugen?“ Ryan drückte verstimmt seine Lippen aufeinander. Ryder, der gerade seine rußverschmierten, verschwitzten Hände an seiner Hose abwischte, runzelte die Stirn. Kurz schien er zu zögern, bevor er daraufhin näher trat und seine Hand an Ryans Schulter legte. „Jetzt schau nicht so, Ryan“, fügte er dann mit wesentlich sanfterer Stimme an. „Ich glaube nicht, dass du in Gefahr schwebst. Bleib einfach in meiner Nähe und ich passe auf dich auf, okay?“ „Und wie willst du auf mich aufpassen, wenn du selber sagst, dass man ihn nicht töten kann?“ Obwohl Ryan sich irgendwie trotzdem wohl fühlte, wenn Ryder sowas sagte… „Vertrau mir einfach.“ Ryder fixierte Ryans Augen, was diesem für einen Moment Herzklopfen bereitete. „Wenn es hart auf hart kommst, würde ich den Wolf von dir ablenken. Solange du entkommst…“ Ryans Gesichtszüge entglitten ihm. „Aber ich will auch nicht, dass du stirbst!“ „Werde ich auch nicht, weil der Wolf dich niemals angreifen wird.“ Ryder lächelte schief, „Aber selbst wenn, dann bist du nicht in Gefahr. Mach dir bitte einfach nicht so viele Sorgen darum, Ryan.“ Ryans Mund öffnete sich ein wenig zum Protest, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte Ryder auch gar nicht widersprechen und erst recht keinen Streit anfangen, also hielt er im Endeffekt doch einfach die Klappe – und sah wahrscheinlich ziemlich doof aus, so mit offenem Mund. „Du solltest dich lieber mal baden“, stellte Ryder ein wenig amüsierter fest. „Du hast überall Mehl.“ Mit den Worten löste er seine Hand von Ryans Schulter und fuhr stattdessen mit seinem Daumen über Ryans Wange, wobei sein Grinsen breiter wurde. „Und Ruß… an der Wange hast du auch noch Ruß.“ „Du bist ein Vollidiot“, stellte Ryan lachend fest. Das ungefähr schlimmste Schimpfwort, das er in diesem Dorf laut aussprechen würde – und dann auch nur vor Ryder, weil es vor Ryder nicht weiter schlimm war. „Das bin ich!“, stimmte Ryder zu, bevor er sich wieder ganz von Ryan löste. „Also dann – reingehen, baden?“ Ryan nickte zufrieden, woraufhin Ryder nochmal lächelte und seine Hände an der Hose abwischte. Währenddessen ging er auch schon zur Tür, die er, sobald er sie geöffnet hatte und drinnen war, für Ryan aufhielt. „Sind deine Eltern da?“, fragte Ryan nach während er die Hütte betrat. Ryder schüttelte seinen Kopf. „Treiben sich bei unseren Nachbarn rum“, erklärte er, während er durch die viel zu große Hütte ging. „Willst du was essen?“ „Nee. Ich hab heute genug mit essen zu tun gehabt, um das nicht zu wollen“, erwiderte das Rotkäppchen und schloss dabei auch gleich die Tür zu der Hütte. Private Zeit mit Ryder, yay! Aber noch viel mehr freute Ryan sich auf die Wanne der Flynns… „Dann mach ich mir nur selbst was. Du kannst schon mal in die Wanne“, sagte Ryder noch, bevor er schon in der Küche verschwand. Also, ‚Küche‘: Bei den Flynns war alles eigentlich ein großer Raum, abgesehen von den Schlafzimmern (Ryder hatte sogar ein eigenes!!!) und der Toilette. Es war eines der größten Häuser aus den Dorf, was wahrscheinlich daran lag, dass Ryders Vater mit seiner Schmiede wirklich gut verdiente. Und naja, irgendwie war er auch sowas wie der Oberhaupt des Dorfes – genauso wie seine Frau. Im Grunde schaute jeder zu denen auf, woran auch immer das lag. Höchstwahrscheinlich waren es die übertrieben Muskeln des Typen, ha. Aber wie dem auch sei; in einer Ecke stand das Ding, von dem Ryan schon träumte. Die beste Wanne ever, ernsthaft! Die hatte Ryders Vater gemacht, so halb aus Eisen, halb aus Holz – und sie war riesig! Aber das Beste von allen: sie hatten eine Apparatur darunter gemacht, sodass man sie ohne Gefahr mit Feuer erhitzen und man dadurch immer in unglaublichem warmen Wasser baden konnte. Und perfekt wie Ryder war, hatte er die Wanne natürlich bereits gefüllt und erhitzt – als ob er geahnt hätte, dass Ryan kommen würde! (Oder, weil er nach der Arbeit ein Bad hatte nehmen wollen…) Ohne groß zu zögern ging Ryan also nach hinten, grinste dabei über beide Ohren und verkündete: „Ich liebe dich für diese Wanne.“ „Weiß ich doch“, erwiderte Ryder, während Ryan seinen roten Umhang von sich band und auf den Boden fallen ließ. Der Boden war hier eh immer sauber, war also nicht so wichtig; auch das Leinenhemd hatte Ryan sich schnell über den Kopf gezogen. Vor dem Rest zögerte er aber nochmal und warf einen Blick über die Schulter. Ryder hatte ihm den Rücken zugewandt, was ihm wieder ein bisschen Mut machte. Und eigentlich sollte es ihn sowieso nicht kümmern, weil er schon wirklich, wirklich oft in Ryders Wanne gebadet hatte. Halt immer, wenn dessen Eltern nicht da waren. Und da hatte Ryder ihn schon mehrmals nackt gesehen, aber es war halt doch irgendwie immer wieder komisch! Deshalb entledigte Ryan sich auch schnell seiner restlichen Klamotten, bevor er auch schon direkt in die Wanne hüpfte. Es war unglaublich heiß, so heiß, dass es schon dampfte, aber das passte so; denn heißer würde es nicht werden (Ryan hatte keine Ahnung wieso, das lag irgendwie an der Art, wie diese Wanne gebaut war – viel zu verwirrend für Ryan, als dass er Ryders Erklärung dazu jemals verstanden hätte) und er liebte diese anfängliche Hitze. Sofort entspannten sich Ryans Muskeln und er schloss seine Augen, während er sich in der Wanne sinken ließ. Solange, bis sein Nacken den Holzrand berührte. Sein Gesicht müsste er auch noch sauber machen, aber diese Entspannung war gerade viel zu göttlich, um sie nicht zu genießen… „Kann ich dazu kommen?“ Ryan öffnete schnell blinzelnd seine Augen. „Huuuh…“, gab er von sich. War er gerade kurz eingenickt? „Ja, klar“, sagte er dann aber noch schnell, „Ist ja deine Wanne.“ Ryder lächelte, bevor er sich ohne große Scham entkleidete. Zeit für Ryan, ein bisschen tiefer in die Wanne zu sinken. Oder jedenfalls so weit, dass wenigstens sein Mund und seine Wangen im Wasser waren und er nur noch mit den Augen über der Wasseroberfläche war. Dann sah man wenigstens nicht, wie rot er anlief – auch wenn er wegen der Hitze des Wassers wahrscheinlich sowieso schon knallrot war. Aber trotzdem… Und wie immer fiel sein Blick sofort auf Ryders Mitte, nachdem der komplett nackt war und in die Wanne trat. Es war aber auch einfach krass!! Ryder war… unglaublich. Er hatte so einen unglaublich großen, äh… Ryan wusste nicht wirklich, wie er das benennen sollte, aber er wusste, dass es riesig war. Fast schon übernatürlich! Und aus irgendeinem Grund heraus machte der Anblick davon Ryans eigenen Klein-Ryan… größer. Außerdem gab er ihm so ein Gefühl, das unweigerlich Erregung war, die man aber logischerweise nur für Frauen empfinden konnte – und wie immer fand Ryan das unheimlich seltsam. Das Wasser war auch nicht sonderlich gut darin das zu verstecken, aber Ryan wollte seine Beine nicht anziehen. Denn wenn er so sitzen blieb, berührten sich seine und Ryders Beine und das war sooo schööön… „Und, Ryan? Irgendwelche Pläne für später?“ Ryan blinzelte, guckte von Ryders Mitte, die mittlerweile unter Wasser war, überrascht zu Ryder hoch und tauchte auch gleich wieder auf. „Jaaah“, sagte er ein wenig verplant, bevor er sich mit der Hand übers Gesicht wischte. „Ich will meine Großmutter besuchen.“ „Die im Wald?“ Ryder zog seine Augenbrauen zusammen. „Sicher? Es ist schon spät… und du weißt, dass es im Wald nicht sicher ist.“ „Mir ist noch nie was passiert…“, gab Ryan zurück, während er sich wieder an den Rand der Holzwanne lehnte. Ryders Fuß war mittlerweile bei Ryans Oberschenkel gelandet, über den er scheinbar gedankenverloren strich – was furchtbar ablenkend war. „Und außerdem brauch ich einfach Abstand von allen. Und meine Großmutter weiß sicher nichts davon, dass Rachel gestorben ist… genau genommen weiß sie wahrscheinlich nicht mal was von der Verlobung“, redete er dennoch tapfer weiter. Das, was er sagte, stimmte auch: seine Großmutter war komplett abgeschottet von der Außenwelt. „Kann ich mitkommen?“, fragte Ryder sofort nach. Ryan seufzte leise. „Ryder, komm schon, du kannst nicht lange weg… und außerdem mag meine Großmutter dich nicht, das weißt du ganz genau.“ Ryder verzog sein Gesicht. „Aber ich mag es nicht, wenn du alleine in den Wald gehst… Das ist gefährlich.“ „Ach, komm schon…“ Ryan grinste und stupste mit seinem Fuß gegen Ryans Unterschenkel. „Ich hab den Dolch noch, den du mir gegeben hast, ja? Und ich werde ihn einsetzen, wenn es hart auf hart kommt.“ Ryder drückte seine Lippen aufeinander. „Meinetwegen…“, sagte er schließlich, woraufhin Ryan zufrieden grinste. Ryder hielt immer seine Klappe, wenn er diesen Dolch erwähnte. Den Dolch, den er Ryan schon zu dessen erster Verlobung geschenkt hatte… und den er schon seit Ewigkeiten verloren hatte. Aber hey, das musste Ryder ja nicht wissen. „Soll ich deinen Rücken sauber machen?“ Mit den Worten lenkte Ryder die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ryan merkte, wie sich trotz der Hitze eine Gänsehaut auf seinem Rücken bildete. „Jap…“, erwiderte er mit vor Aufregung leicht zittriger Stimme. Ah, er liebte diesen Part so sehr… Also war es auch kein Wunder, dass er sich kurz darauf drehte. Er positionierte sich zwischen Ryders Beinen, so, dass seine Hüfte hinten schon den Mittelpart von Ryder berührte. Ryders Hände fingen dann auch gleich mit der Arbeit an: sie strichen sanft über Ryans Rücken, fuhren ihm durch die Haare und kurz darauf begann er mit dem, was Ryan am Allerliebsten mochte. Er begann, Ryans Schultern und Rücken zu massieren. „Gott, Ryder…“ Ryan ließ seine Augen zufallen, während ihm immer wieder ein leichtes Stöhnen entfuhr. „Deine Hände sind magisch…“, fügte er noch an. „Weiß ich“, erwiderte Ryder – und obwohl er ihn nicht sehen konnte, hörte Ryan dieses Grinsen einfach. Aber hey, darüber durfte Ryder ruhig grinsen, es war ja auch die Wahrheit. Ryders magische Hände arbeiteten sich weiter an den Schultern entlang, bis sie schließlich an Ryans Vorderkörper gelangten. Ryan lehnte sich dabei an Ryders (so unglaublich muskulösen) Oberkörper – machte er immer – und ließ sich weiter von Ryder durchkneten, der bei Ryans (nicht ganz so eindrucksvollen…) Brustmuskeln weiter machte. Ryan fühlte Ryders Lippen an seinem Ohr, als der immer weiter nach unten massierte. Es dauerte nicht lange, bis Ryder schließlich an Ryans goldener Mitte angelangt war; wo er sich schließlich erstmal um Ryans Hoden kümmerte, den er sanft mit beiden Händen im Wasser massierte. Gawd, diese Massagen waren so unglaublich episch! Ryan fühlte, wie Klein-Ryan zuckte und sich ein schläfriges Grinsen auf seinen Lippen bildete. Er liebte es einfach unglaublich, wenn Ryder ihn an dieser Stelle anfasste; es war so entspannend, fühlte sich einfach gut und… mmh. Schwer zu erklären. Ryders eine Hand knetete weiter, während die andere Hand sich um den Ansatz von Klein-Ryan legte und zudrückte. Wieder stöhnte Ryan, auch wenn das jetzt anderer Natur war als das eben noch – auch wenn er selber nicht wirklich einen Unterschied darin sah. War ja auch immer noch Teil der Massage, ne? Nach dem zudrücken begann Ran langsam und sanft, seine Hand auf und ab zu bewegen. Dabei drückte er immer wieder leicht zu, oder nutzte seinen Daumen um über die Spitze zu fahren; etwas, was Ryan immer wieder ein weiteres Stöhnen entlockte. „Du kannst das… wirklich… gut, Ryder“, murmelte Ryan. Er sagte das nicht zum ersten Mal, und Ryder erwiderte auch nicht zum ersten Mal nichts. Er machte einfach weiter mit seinen Handbewegungen, massierte brav weiter auf und ab. Seine andere Hand sank dabei immer tiefer zwischen Ryans Beine, wo er dicht unter Klein-Ryan weiter die sensible Stellen massierte. Dabei spürte Ryan auch kurz darauf, wie sich Ryders kleiner Freund ebenfalls in Ryans Rücken drückte, was die Massage irgendwie sogar noch besser machte. Ryder rollte auch seine Hüfte gegen Ryans Rücken, was zusätzlich entspannend war. Oder erregend… wie dem auch sei, es war ein gutes Gefühl und machte Ryan noch ein bisschen glücklicher. Ryders Hand fuhr auch weiter geübt auf und ab, immer schneller, so gut das in dem heißen Wasser eben möglich war. Immer, sobald Ryders Hand sich einen Moment über Ryans Eichel schloss, fuhren heiße Wellen durch dessen Körper, seine Muskeln an- und entspannten sich abwechselnd, während seine Zähne sich in seine Unterlippe bohrten. Zudem drückte er sich mehr gegen Ryders Oberkörper, wodurch er sich auch mehr gegen Ryders Erregung drückte… Und da, da kam es auch langsam wieder. Dieses Gefühl, das immer kam, wenn Ryder ihn lange genug massierte, wenn er lange genug seine Arbeit machte. Ryans Erregung begann langsam zu zucken, was Ryders Hand dazu brachte, wieder sanft zuzudrücken, sich aber auch gleichzeitig schneller zu bewegen. Die Hand zwischen seinen Beinen massierte sanft weiter, bevor sie wieder zu den Hoden übergingen und diese abermals leicht massierten. Lange dauerte es da nicht mehr, bis der absolute Höhepunkt der Massage kam. Ryan stöhnte abermals leise, als ihn wieder Wellen durchfuhren und er einen Moment puren Glücks erreichte. Dennoch hörte Ryder nicht auf damit, seine Hand langsam auf und ab zu bewegen, was dieses Gefühl noch verlängerte und noch ein bisschen besser machte. Erst nach einer Weile, als Ryans Herzklopfen sich wieder gelegt und sein Atem sich wieder normalisiert hatte, ließ Ryder wieder von ihm ab. „Du wirst… jedes Mal besser, glaub ich“, stellte Ryan fest, woraufhin er ein Lachen von Ryder erntete. Er liebte dieses Lachen; es bewegte Ryders Brustkorb so hübsch, direkt gegen seinen Rücken… „Ich glaube, ich war am Anfang schon nicht schlecht im massieren.“, gab Ryder grinsend zurück. Und oh ja, da hatte er recht – Ryan konnte sich noch allzu gut an das erste Mal erinnern… Damals war Ryan noch viel, viel nervöser gewesen, nackt mit Ryder zu baden. Das Angebot mit dem massieren hatte er nur widerwillig angenommen und als Ryder nach vorne gegangen war… Also, Ryan war dezent gesagt ziemlich ausgeflippt. Aber dann hatte Ryder es erklärt – dass das nur dafür gedacht war, dass Ryan sich gut fühlte und dass das ungefähr jeder im Dorf miteinander machte und dass daran absolut nichts verwerflich war. Natürlich sollte er trotzdem niemanden davon erzählen! Ja, okay, Ryan war nicht dumm. Er wusste, wie die ganze Sache mit dem Sex ging und in gewisser Maßen war das ja schon was ähnliches. Und dass Ryder sagte, er dürfte es niemanden sagen; also, Ryan ahnte schon, dass diese Art der ‚Massage‘ schon irgendwie verwerflich war. Sprach ja auch dafür, dass sie das absolut niemals machten wenn Ryders Eltern da waren. Aber ehrlich, solange Ryder immer wieder betonte, dass daran nichts schlimm war hatte Ryan ein reines Gewissen. In gewissermaßen war er auch süchtig nach Ryders Berührungen und solange niemand dabei zu Schaden kam… war das doch nicht weiter schlimm, oder? Jetzt löste Ryan sich aber doch mal von Ryder. „Warst du“, stimmte er zu, während er grinsend wieder aus der Wanne stieß. „Und… danke für die Entspannung, Ryder.“ „Kein Problem…“, gab der zurück, während er wieder in die Wanne sank. Ryan konnte sehen, wie er begann, sich selbst zu massieren. Es war ein unglaublich erregender Anblick – und alleine deshalb beeilte Ryan sich dabei, sich mit ein paar Leinentüchern die neben dem Bad lagen zu trocknen. „Ich geh dann gleich los, okay?“, fragte Ryan dann nach, während er mit noch nassen Haaren in seine Klamotten schlüpfte. „Klar…“, gab Ryder zurück, wobei er ein leichtes Keuchen unterdrückte. „Bis morgen.“ Ryan band sich noch seinen roten Umhang um, bevor er noch einmal einen Blick über seine Schulter warf. Ryder kniff gerade seine Augen zusammen und drückte seinen Rücken durch, während seine Schultern sich schon etwas schneller hoben und senkten. „Und nochmal danke…“ Gott, er liebte dieses Bild so sehr… „Immer wieder gerne.“ Ryder öffnete seine Augen, warf ihm ein Lächeln zu und Ryan spürte, wie sofort Blut in seine Wangen schoss. Oh man! Bevor er da aber zu viel drüber nachdachte, verließ er doch schnell wieder das Hause der Flynns. Er fühlte sich wie immer ein klitzekleines bisschen schlecht, weil er ja doch irgendwie wusste, dass das was hier passierte nicht hundert Prozent richtig war. Aber, phew, der Gedanke war schnell beiseite geschoben und Ryan machte sich auf den schnellsten Weg nach Hause. Dabei ging er nicht durch die Bäckerei, sondern über einen Umweg direkt ins Haus. Es wäre leichter, seinen Dad vor vollendete Tatsachen zu stellen anstatt ihn um Erlaubnis zu fragen, ob er denn zu Großmutter gehen dürfte. Im Haus selber schnappte er sich einen Korb, in den er ein bisschen Essen packte: Brot, ein paar Kräuter und ein wenig Gemüse. Zudem noch eine Flasche Wein, den hier doch sowieso niemand trinken würde. Seine Großmutter kam im Wald zwar auch gut alleine klar, aber dennoch war ein wenig Essen für sie sicher gut – manchmal fühlte Ryan sich einfach schlecht, wenn so eine alte Frau ganz alleine im Wald war und niemand hier half. Das war doch verständlich, oder? Nachdem er sich um den Korb gekümmert und alles verstaut hatte, machte er noch einem kurzen Abstecher zu seinem Vater. Der knetete gerade wie erwartet an irgendeinem Teig rum, was es für Ryan noch viel leichter machte. „Ich besuch Großmutter“, verkündete er, gefolgt von einem Lächeln. Sein Vater schaute auf von seiner Arbeit. „Aber Ryan…“ „Ich werde auch ganz brav übernachten, weil ich natürlich niemals nachts durch den Wald gehen würde“, fuhr Ryan fort, mit seiner liebreizendsten Stimme. „Ich grüße sie von dir, Vater.“ Ryans Vater blinzelte noch ein, zweimal, aber bevor er nochmal reagieren konnte hatte Ryan schon die Bäckerei verlassen. Sein Vater würde nicht hinterher kommen, immerhin arbeitete er gerade und, wie er immer erklärte, man unterbrach seine Arbeit nicht einfach so! Ryan nahm den Korb in eine Hand und ging pfeifend weiter, grüßte ein paar der Leute, die ihm sicherlich ihr Mitleid bekunden wollten und erreichte glücklicherweise sehr schnell den Waldrand. Okay… Ja, es war schon immer ein bisschen gruselig hier. Auch tagsüber. Man konnte nicht sonderlich weit in den Wald sehen, denn obwohl es einen Weg gab, schlängelte der sich durch die dicht stehenden Bäume. Und wenn man bedachte, was da für Kreaturen lauerten… Aber wie auch immer! Ryan war ja schließlich keine Memme. Also zögerte er nur kurz mal am Waldrand, bevor er den plattgetretenen Weg betrat. Es war nur ein kleiner Weg, der am südlichen Teil der Stadt lag und den man eigentlich kaum beachten musste. Nichts im Vergleich zu dem größeren Weg im Norden, den die Soldaten manchmal gingen, wenn sie tiefer in den Wald vordrangen um Proviant zu holen. Oder den nordwestlichen Weg, auf die man Verstoßene mit drei Tagesrationen Essen schickte! Nein, dieser Weg war einzig und allein dafür da, um zu dem Haus seiner Großmutter zu führen. Das Haus, das schon seit mehreren Generationen bewohnt wurde und in das vielleicht auch Ryans Vater ziehen würde, wenn er alt war. Und dann irgendwann Ryan, wenn er ein verrückter Alter werden und tatsächlich denken würde, dass die Hütte im Wald sicher war. Jedenfalls folgte das Rotkäppchen dem Weg, immer noch pfeifend. Es dauerte nicht lange, bis auch das Dorf hinter ihm von Bäumen verschluckt wurde, aber zum Glück hatte der Weg keine Abzweigungen. Deshalb konnte er sich immerhin nicht verlaufen… auch wenn der Weg lange war, viel zu lange, wie Ryan jedes Mal wieder fand. Irgendwann hörte er dann auch auf zu pfeifen – es wurde dunkler, je tiefer er in den Wald ging und die Atmosphäre gefiel ihm langsam überhaupt nicht mehr. Wieso nochmal überwandte er sich immer, zu seiner Großmutter zu gehen? Ah ja, richtig, weil er weg von den anderen Leuten aus dem Dorf wollte. Aber war es das wirklich wert, dafür umgebracht zu werden? Hmmm? Naja, umkehren brauchte er jetzt auch nicht mehr. Außerdem war es ja auch ganz natürlich, hier immer ein wenig Angst zu bekommen. Das Rascheln der Blätter unter seinen Schuhen, das Geräusch von knackenden Stöcken in den Baumreihen… und noch dazu dieses grausame Gefühl, immer beobachtet zu werden. Ein Frösteln überkam Ryan. Mit seiner freien Hand zog er den roten Umhang enger um sich und die Kapuze direkt über seinen Kopf, damit er wenigstens die Geräusche einigermaßen ausblenden konnte. Geräusche, die er sich sicherlich sowieso nur einbildete. Tat man immer, wenn man den Weg hier entlang ging. Nur – Moment. Da war was. Nicht irgendein Geräusch, dass er sich einbildete. Sondern vielmehr etwas ganz anderes, etwas, das fast schon so klang wie ein… Kichern? Ryan blieb wie erstarrt auf dem Weg stehen. Wieso um alles in der Welt hörte er hier ein Kichern? Er hatte viele Legenden von den Kreaturen im Wald gehört. Und eine davon war die Geschichte von kleinen Kindern, die sich im Wald verlaufen und ihre Seelen dabei schließlich verloren hatten. Sie hatten weiße Pupillen, aschfahle Haut und ihre Fingernägel waren abgebrochen und blutig geworden, als sie im Wahn versucht hatten, die Erde aufzukratzen, um einen Ausweg zu finden… Ryan verschwand vom Weg. Er drückte sich gegen einen der Bäume, atmete flach und schloss seine Augen. Wenn er jetzt nur Ryders Dolch noch hätte! Wobei er natürlich nicht an diese dämliche Geschichte mit den Kindern glaubte – die seelenlose Kinder waren ein Ammenmärchen, das man sich erzählte, um Kleinkinder von den Wäldern fernzuhalten. Andererseits gab es hier schon sehr viele, magische Kreaturen im Wald und die meisten Ammenmärchen hatten schließlich einen Ursprung… „Hier entlang, Aary!“, sagte die Stimme, die eben noch gekichert hatte. In einem Schlag fiel Ryans komplette Anspannung von ihm ab. Er kannte die Stimme! „Aaah… nich‘ so schnell, Danny!“ Wieder folgte ein Lachen, diesmal von der anderen Stimme. Ryan schnaubte, bevor er sich von dem Baum abstieß. Solche Idioten… was machten sie so tief im Wald? Und noch dazu abseits der Wege? „Ey!“, rief Ryan so laut es ging. Die Schritte der Beiden verstummten, aber Ryan hatte schon erkannt, dass sie ganz nahe waren. Also wagte er sich abseits der Wege zu gehen, womit er kurz darauf in die Zwei lief – von denen auch gleich jede Anspannung abfiel, als sie ihn erkannten. „Hallo, Rotkäppchen!“, grüßten die Zwei ihn (gruselig) synchron, gefolgt von einem Lächeln. „Hey… Aaron und Dan.“ Die zwei Brüder. Rotläppchen konnte sie gut leiden, vor allem Aaron, auch wenn die Zwei manchmal ein bisschen seltsam waren. Zum Beispiel, wie sie nahezu ständig Händchen hielten. Übrigens auch gerade im Moment! Sie verdienten sogar ihr Geld zusammen, indem sie auf dem Marktplatz und in den zwei Tavernen sangen und Gitarre spielten. Viele Menschen gaben ihnen viel Geld dafür… so sehr, dass sie schon ein kleiner Hit in dem Dorf waren, in dem sowieso fast jeder jeden kannte. Sie hatten beide weiße Mäntel, die ähnlich wie der von Ryan fast schon ihre Erkennungsmerkmale waren. Nur hatten sie dafür keine Spitznamen bekommen, aber ‚Die Zwei Brüder‘ war ja eigentlich auch Spitzname genug. „Was macht ihr hier?“ Ryan runzelte seine Stirn. „Es ist ganz schön weit weg vom Dorf… ich mein, ich besuch meine Großmutter, aber ihr?“ Sie hatten zwar auch einen Großvater, aber der lebte ebenfalls im Dorf. Die zwei Sänger wechselten einen kurzen Blick. „Wir sind nur…“, fing Dan langsam an, bevor Aaron wieder zu Ryan schaute. „… in den Wald gegangen, um ein bisschen Ruhe für uns zu haben“, vollendete er den Satz. Auch Dan schaute wieder zu Ryan. „Ja, im Dorf… haben wir so selten… Zeit für uns.“ Ryan schaute von Aaron zu Dan. „Aha“, sagte er schließlich nur, langsam, unsicher. Er hatte irgendwie das Gefühl, als ob er irgendeinen Witz gerade nicht verstand, aber gleichzeitig glaubte er auch, dass er ihn gar nicht verstehen wollte. „Aber ihr könnt doch nicht einfach so in den Wald rennen… ihr findet doch nie mehr zurück, wenn ihr nicht auf den Wegen bleibt!“ Aaron und Dan wechselten wieder einen Blick. „Wir hinterlassen Brotkrumen“, sagte Aaron dann. „Wir finden zurück, ganz sicher. Mach dir keine Sorgen, Rotkäppchen.“ „Okay…“ Ryan schaute nochmal skeptisch zwischen Aaron und Dan hin und her. „Dann… viel Spaß euch noch. Morgen Abend schau ich mal in der Taverne vorbei, okay?“ Aaron und Dan nickten Beide. Sie schienen auch gleich weiter gehen zu wollen, aber Aaron stoppte dann doch nochmal: „Und es tut mir Leid wegen…“ Ryan winkte ab. „Vergiss es“, sagte er und lächelte Aaron nochmal schief an. „Ach, Rotkäppchen…“ Aaron schüttelte den Kopf, löste seine Hand kurz von Dan und zog Ryan schnell in eine Umarmung. „Das wird schon wieder“, versprach er, während Ryan leise seufzte. Oh man… wie die ganze Welt ihn wegen seiner toten Verlobten bedauern wollte… Nachdem Aaron sich aber wieder gelöst hatte, verabschiedeten sich die Brüder auch gleich wieder – und auch Ryan ging zurück auf den Weg, um in Richtung des Hauses seiner Großmutter zu gehen. Lange würde es nicht mehr dauern und diese Begegnung gerade hatte ihr Übriges getan, die düstere Stimmung des Waldes wieder ein wenig zu lockern. Deshalb ging Ryan auch relativ sorglos weiter den Weg entlang. Nach einer Weile sah er auch die Umrisse des Hauses seiner Großmutter und peilte es natürlich auch an, nun doch ein wenig glücklich, den Waldweg jetzt hinter sich gebracht zu haben. Vor der Tür strich er sich nochmal die Klamotten glatt, damit seine Großmutter nicht wieder meckern würde, nahm die Kapuze von seinem Kopf und klopfte – ein, zwei, dreimal. Keine Antwort. Ryan klopfte nochmal, lauter, indem er seine Hand zur Faust ballte und damit gegen die hölzerne Tür öffnete. Wieder keine Reaktion. Ryan seufzte und fuhr sich durch die Haare. Wenn seine Großmutter gerade dabei war, zu sammeln, dann hätte er natürlich schlechte Karten, jetzt in dieses Haus zu kommen. Immerhin war es gesichert und – „Wer ist da?“ – Na endlich. Die ältere, zittrige Stimme seiner Großmutter drang durch das Holz der Tür. „Ich bin’s“, erwiderte er. „Ryan.“ Seine Großmutter reagierte natürlich wieder nicht, aber nach wenigen Momente hörte Ryan, wie die Eisenriegel der Tür zur Seite geschoben wurden. Wenige Momente später wurde die Tür geöffnet – aber auch nur so weit, wie es eine kleine Kette an der Innenseite erlaubte. Eine ältere Frau schaute durch den so entstehenden Türschlitz. „Hallo, Ryan“, sagte sie und grinste, wobei sie zwei Reihen lückenloser, weißer Zähne entblößte. Ryan hatte sich schon immer gewundert, wie einfach alles an seiner Großmutter so alt aussehen konnte – alles, bis auf die Zähne, die immer noch in ihren alten Jahren so perfekt waren! Sie schloss die Tür wieder, entfernte auch die Kette und öffnete die Tür dann ganz. „Komm doch herein, mein Junge“, fuhr sie fort. „Ich habe gerade Kekse gebacken. Du kommst genau perfekt.“ Noch so eine Sache. Seine Großmutter machte immer Kekse, wenn Ryan kam. Ryan war sich nicht ganz sicher, ob das daran lag, dass sie irgendeinen magischen, überirdischen Sinn dafür hatte, wann er sie besuchen wollte oder ob sie einfach den ganzen Tag nichts anderes machte, außer Kekse zu backen. Trotzdem leuchteten Ryans Augen natürlich auf. „Ich liebe deine Kekse!“, frohlockte er, was ebenfalls nicht gelogen war. Wie konnte man auch nicht die Kekse seiner Großmutter lieben? Ryan betrat das Haus, aber bevor er allzu weit gehen konnte, kam auch schon die übliche Attacke seiner Großmutter. Ausgeführt mit lediglich zwei Fingern, ihrem Daumen und ihren Zeigefinger, aber das mit einer solchen Präzision und Schnelligkeit, dass es Ryan immer wieder überwältigte. Sie kniff in seine Wange, drückte sie und zog daran, als wäre er immer noch das kleine Kind von damals; und nicht ungefähr zwei Köpfe größer als sie, so wie jetzt. „Du bist schon wieder so gewachsen! Hast du etwa einen Zauberspruch benutzt?“ Sie gackerte, bevor sie ihre Finger wieder von Ryan nahm. Ryan strich sich mit der Handfläche über die schmerzende Wange, wohl darauf bedacht, dass seine Großmutter das nicht sah. Er wollte doch nicht ihre Gefühle verletzen. „Nein, das ist ganz natürlich“, erwiderte er, wobei er versuchte, ernst zu klingen. Seine Großmutter war sehr in Magie und derlei Dinge vernarrt, obwohl doch jeder wusste, das Menschen sowas nicht bewirken konnten. Aber seine Großmutter glaubte daran und ehrlich, so abgefahren wie ihre Hütte war, würde es Ryan nicht wundern, wenn sie tatsächlich eine Hexe wäre. Die Hütte war steinalt und es gab tatsächlich einen Kamin, über den ein altertümlicher Kessel hing. Dann gab es hier unglaublich viele Wurzeln und andere Pflanzen und es lag immer dieser eigentümliche, exotische Geruch in der Luft. Der gerade aber ganz stark von dem Geruch nach frisch gebackenen Keksen überdeckt wurde. Ryan stellte seinen Korb auf einem Tisch ab, bevor er zu dem Ofen ging. „Oh, die sehen toll aus!“, stellte er fest und schnappte sich gleich einen – ließ ihn aber gleich wieder mit einem „Au…!“ fallen, als er feststellte wie heiß sie noch waren. Seine Großmutter gackerte wieder. „Ich sag doch, ganz frisch.“ Sie hatte gerade die Tür wieder komplett geschlossen, bevor sie in Richtung Ryan trottete. Der nuckelte gerade an seinem Daumen und an Zeige- und Mittelfinger, schaute aber mit großen Augen zu der alten Frau. Sie machte Halt an dem Korb und durchstöberte ihn. Besonders schien sie sich an dem Wein zu freuen, aber das machte sie eigentlich immer. Deshalb nahm Ryan ja auch immer eine Flasche Wein mit, ganz vorsorglich. „Wie geht es eigentlich Rosie?“, fragte seine Großmutter schließlich ganz beiläufig. Ryan seufzte. Seine Großmutter war mit seinen Verlobten sogar noch zwei im Rückstand, so schnell starben die immer. Das war echt bescheuert! Aber gut, dann dürfte er jetzt wohl wieder erzählen… Ein schriller Aufschrei weckte Ryan. Müde richtete er sich so halb auf, rieb sich die Müdigkeit aus den Augen und brauchte erstmal ein paar Sekunden, um zu realisieren, wo er war: bei seiner Großmutter, auf der alten Matratze, die er direkt vor den Kamin geschoben hatte. Sein roter Umhang hatte bis eben noch als Decke gedient… Und es dauerte ein wenig, bis ihm wieder einfiel, wieso er gerade überhaupt aufgewacht war. Ein Schrei…? Hier, im tiefsten Wald? Hatte er sich das nur eingebildet? Ryan lauschte angestrengt, aber bis auf das Rauschen der Blätter außerhalb der Hütte und den regelmäßigen Atem seiner Großmutter, die nicht mal das stärkste aller Gewitter jemals wecken würde, konnte er absolut nichts hören. Hm! Also doch nur ein Traum? Aber da, da kam es nochmal. Nur diesmal nicht schrill, sondern eher ein kehliger, tiefer Schrei. Ganz in der Nähe der Hütte – fast schon direkt daneben. Ryans Nackenhaare stellten sich zu Berge, während sein Mund ganz trocken wurde. Dieser tiefe Schrei, es – es klang so furchteinflößend. Als ob die Person wirkliche Todesängste durchlitt. Ryan glaubte nicht, jemals was so furchtbares gehört zu haben. Aber… noch schlimmer als das war die Tatsache, dass er glaubte die Stimme zu kennen. Es war unglaublich verzerrt, alleine durch den Schrei, aber… er würde zwar seine Hand dafür nicht ins Feuer legen… aber es klang ein bisschen – nun, es klang nach Aaron. Innerhalb weniger Sekunden war Ryan auf den Füßen. Er wusste nicht, was oder wer da draußen war, aber wenn es Aaron war, dann musste er ihm helfen. Sie waren verdammt gut befreundet und nach Ryder war Aaron der für ihn sogar vielleicht wichtigste Freund, den er hatte! Er machte also das Erstbeste, was ihm einfiel: er griff den eisernen Schürstab des Kamins, bevor er zur Tür huschte. Er zog nicht mal mehr seine Stiefel an, sondern entriegelte die Tür so schnell es ging und verließ die Hütte. Dennoch ließ er das Holz hinter sich noch schnell ins Schloss fallen, weil er auch nicht wollte, dass seine Großmutter in Gefahr wäre. Nachdem er das gemacht hatte, rannte er los in Richtung des Schreis, den er eben gehört hatte; und als er ihn nochmal hörte, legte er noch seinen Zahn zu. Unter seinen nackten Füßen spürte er, wie Äste brachen und er auf spitze Steine trat, aber er kümmerte sich nicht darum. Er musste zu Aaron, so schnell es ging! Wieder ein Schrei. Nur diesmal nicht von Aaron, aber von einer ebenfalls vertrauen Stimme. Dan. Wenn Ryan jemals ernsthafte Zweifel daran gehabt hätte, dass es sich um Aaron handelte, so waren sie spätestens jetzt verflogen. Er rannte, rannte und rannte, schon mit der Angst, zu spät zu kommen. Aber dann, noch ehe er sich versah, rannte er frontal in Aaron rein. Ein überraschter Aufschrei entfuhr ihm, während sie Beide auf den Boden landeten. Ryan rieb sich über den schmerzenden Kopf, aber er sah, wie kurz darauf Dan erschien und Aaron auf die Füße zog – oder es wenigstens versuchte. „Beeil dich!“, zischte er. Seine Stimme klang erstickt vor… Tränen? Ryan schluckte. „Es macht keinen Sinn“, gab Aaron zurück. Er ließ sich nicht hochheben. „Er ist schneller, Dan, es bringt nichts, zu rennen, Danny… Und es tut so weh, es tut so weh…“ Seine Lippen begannen zu zittern. Dan zog an ihm, aber Aaron ließ sich nur sehr widerwillig und langsam bewegen. Ryan rappelte sich ebenfalls auf und huschte schnell rüber zu Aaron und seinem Bruder. „Was ist los?“, fragte er schnell, den Blick nervös in die Dunkelheit um sie herum gerichtet. „Wir…“ Danny schluckte. „Das Monster, der – der Wolf. Er…“ Ryan nickte. „Die Hütte meiner Großmutter ist in der Nähe“, sagte er. „Kommt mit. Schnell!“ Ryan wollte sich schon in Bewegung setzen, aber Aaron stand immer noch nicht auf. „Hast du das gehört, Aary?“, fragte Dan, seine Stimme immer zittriger. „R-rotkäppchen bringt uns in Sicherheit, Aary, bitte, steh auf, bitte… bitte…“ „Was ist los?“ Ryan schaute verwirrt von Dan zu Aaron, der zwar einen dunklen Umhang auf seine Brust gepresst hatte, aber sonst konnte Ryan in der Dunkelheit nichts erkennen. „E-er… er hat ihn erwischt, dieses… dieses…“ Dan brach plötzlich in Tränen aus. Ryans Herz schlug ihm mittlerweile bis zum Hals, weil er einfach wusste, dass das Monster jeden Moment auftauchen konnte. Sie konnten es sich nicht leisten, hier so viel Drama zu machen! Ryans Kopf dröhnte auch, aber sie mussten hier einfach weg! „Warte. Ich helf‘ dir. Stützen wir ihn!“ Ryan ging in die Knie, wobei er das Schüreisen ablegte. Stattdessen zog er mit beiden Händen an Aarons Schulter. Dan schlug seine Hand vor den Mund und unterdrückte ein Schluchzen, griff sich aber schließlich doch auch Aarons andere Schulter. Aaron ließ sich wie ein nasser Sack Kartoffeln auf die Beine ziehen, aber es funktionierte. Ryan drapierte einen Arm um seine Schultern und Dan machte auf der anderen Seite dasselbe, so, dass sie wenigstens einigermaßen losgehen konnten. Aaron war dabei so gut wie keine Hilfe, aber sie mussten es einfach schaffen! Zum Glück war der Rückweg bei Weitem nicht so lang, wie er Ryan beim Hinweg vorgekommen war. Trotzdem war es ein ganzes Stück, vor allem mit Aaron unterm Arm… und Aaron murmelte die ganze Zeit was vor sich hin, was Ryan unmöglich verstehen konnte. Es waren wahrscheinlich nicht mal Worte. Ganz selten hörte Ryan sowas wie ‚sterben‘ heraus, neigte aber dazu das zu ignorieren. Dann war da noch Dan, der stumm vor sich hin weinte und nicht unbedingt zur allgemeinen Motivation beitrug. Erst, als sie die Hütte tatsächlich erreicht hatten und Ryan die schwere Holztür aufdrücken konnte, meldete sich Dan zu Wort. „Er ist da“, sagte er mit panischer Stimme. „Er ist da, im Holz, oh Gott, Rotkäppchen – “ Aber Ryan drehte sich gar nicht erst um, sondern zog die Zwei einfach schnell in die Hütte. Er schloss die Tür hinter sich mit beiden Händen, wobei er Dan einfach mal zumutete, dass er Aaron kurz alleine tragen konnte. Schlagartig prallte von der anderen Seite etwas gegen die Tür, was Ryan eine weitere Gänsehaut verschaffte. Mit zittrigen Händen schob er den Eisenriegel vor und hängte die Kette ein. Seine Lippen bebten, als nochmal etwas gegen die Tür pochte. Sie hielt, natürlich hielt sie, immerhin war diese Hütte seit mehreren Generationen im Wald und konnte selbst stärkste Kreaturen aushalten. Aber trotzdem hatte Ryan unmenschliche Angst, dass sie genau heute brechen würde... Und bei dem dritten Pochen sah es tatsächlich so aus, als ob das Holz gleich nachgeben würde. Es barst bereits – und beim nächsten Pochen fuhr ein Riss durch die Tür. Ryans Herz blieb stehen, während er wie gebannt auf die Tür schaute. Wieder ein Pochen, gefolgt von einem Scharren diesmal: die Tür bog sich vor Ryans Augen und, bei Gott, er wusste, noch ein einziger Schlag würde reichen und es würde brechen, sie würden alle hier sterben und – Das Scharren und das Pochen hörte schlagartig auf. Ryan meinte noch zu hören, wie Tatzen von dem Ort hier weg rannten, bevor wieder Stille einkehrte. Einige Momente lang schaute Ryan noch auf die Tür, die immer noch aussah, als würde sie jeden Moment einbrechen. Wieso… „Rotkäppchen!“ Dans tränenerstickte, leise Stimme hinter ihm ließ Ryan die Frage erstmal beiseite schieben. „Rotkäppchen, Aaron, er… ich glaub er atmet nicht…“ Ryans Herz blieb ein weiteres Mal stehen, als er sich von dem Anblick der Tür löste und zu Dan drehte. Dan hatte Aaron bis zur Matratze gebracht und darauf gelegt – und er hatte den Umhang von seinem Körper genommen. Erst im Feuerschein des Kamins fiel Ryan auf, wieso er von dem eigentlich weißen Umhang von Aaron angenommen hatte, dass er dunkel war. Er war seit ihrer Begegnung früher am Tag auch tatsächlich dunkel geworden. Genauer, dunkelrot. Er war mit purem Blut durchtränkt. Und jetzt verstand Ryan auch, wieso Aaron nicht mehr hatte gehen können. Ryans Kinnlade sackte nach unten, als er sah, wie schlimm Aaron zugerichtet war. Sein kompletter Brustkorb war aufgerissen; anders konnte man das nicht beschreiben. Er war voller Kratzer und… man konnte nicht mal mehr erkennen, was zum Stoff seiner Kleidung gehörte und was Haut war… Ryan schnappte nach Luft, trat aber an die Matratze mit Aaron. Vor dieser sank er auf die Knie, bevor er sich ganz zu Boden setzte – einfach nur, weil er Angst hatte, dass seine Beine ihn nicht mehr tragen konnten. „Er atmet nicht mehr“, wiederholte Dan. Mittlerweile war sein ganzes Gesicht verzogen vor Trauer und seelischen Schmerz, der wahrscheinlich so groß war, dass Ryan es sich kaum vorstellen konnte. „Es… tut mir Leid, Dan“, erwiderte Ryan. Er wagte es nicht mal, Aaron anzufassen: ganz im Gegensatz zu Dan, der den Kopf seines kleinen Bruders in seinen Schoß gebettet hatte und ihm durch die Haare fuhr. An Aarons Mund klebte Blut, aber es sah tatsächlich so aus, als würde er nicht mehr atmen. „Aber immerhin sind seine Schmerzen jetzt vorbei…“ Dan schluchzte. „E-er a-atmet nicht“, wiederholte er. „E-er atmet nicht, Rotkäppchen. Er atmet nicht.“ Tränen taten in Ryans Augen. Das mit anzusehen, das – das war fast noch schlimmer als der Schmerz, den er nur wegen Aaron empfinden würde. „Er atmet nicht…“ Dan schluchzte ein weiteres Mal. „A-aary… Aary, du musst…“ Seine Stimme verlor sich. „E-er atmet n-nicht mehr…“ „Und das wird er auch nie mehr, wenn du das einfach nur die ganze Zeit wiederholst, Freundchen.“ Ryan, dem mittlerweile auch schon Tränen über die Wangen gekullert waren, schaute auf. Seine Großmutter war im Dunkel der Nacht aufgestanden, ohne, dass irgendwer was gemerkt hätte. Sie trottete ganz seelenruhig an Dan und Aaron vorbei, zu einem der Tischchen. „Wurde er gebissen?“ Ihre Stimme war so unwirklich ruhig, dass Ryan fast vergaß, weiter zu weinen. Dan schien es ähnlich zu ergehen, auch wenn seine Hand immer noch automatisch damit weiter machte, durch Aarons Haare zu fahren. Ryans Großmutter fing damit an, irgendwelche Kräuter und Pflanzen zusammen zu stampfen. Sie machte das höllisch schnell, schneller, als Ryan überhaupt schauen konnte. „Wurde er gebissen?“, wiederholte sie geduldig, als sie zu den Kräutern noch irgendwelche Flüssigkeiten dazu schüttete. „N-nein“, gab Dan jetzt zurück. „N-nur… zerkratzt…“ „Gut für ihn.“ Seine Großmutter verrührte alles in einem steinernen Krug mit einem Holzlöffel, während sie an Aaron und Dan heran trat. „Sonst hätten wir ihn töten müssen.“ Sie schüttete den Inhalt des Steinkrug in den Kessel, unter dem immer noch glücklich das Feuer loderte. Sie stellte den Krug neben dem Kamin ab, während sie mit dem Holzlöffel die Masse im Kessel rührte. Nach einer Zeit ließ sie davon ab, um sich wieder an Aaron zu wenden. Die geschockten Blicke von Dan und Ryan ignorierte sie, während sie sich über Aaron beugte und anfing, Fetzen von seinem Körper zu beseitigen. „Was wird da- ?!“, fragte Dan schließlich. Er klang wütend, wurde aber unterbrochen, als Ryans Großmutter aufschaute und ihn mit einem durchbohrenden Blick anschaute. „Ich rette deinem Bruder das Leben“, fauchte sie. „Aber das überlege ich mir gleich zweimal, wenn du noch einmal so unartig bist, Jüngelchen.“ Dans Kinnlade sackte nach unten, aber er klappte sie gleich wieder zu. Ryans Großmutter zupfte weiter an Aarons Körper herum und wenig später erkannte Ryan auch, wieso; sie beseitigte die Reste seiner Klamotten, so, dass schließlich sein Oberkörper frei lag. „Was für ein Chaos“, grunzte sie, bevor sie sich wieder drehte und mit dem Holzlöffel etwas von dem Sud aus dem Kessel nahm. Ehe Dan oder Ryan reagieren konnten, hatte sie den brennend heißen Inhalt des Löffels auf Aarons Körper verteilt. Dan schnappte nach Luft. „Das… das tut doch weh…“ Er klang nicht so, als ob er noch groß protestieren konnte. Kein Wunder, er hatte gerade seinen Bruder sterben sehen! „Besser als zu sterben, was?“ Sie gackerte wieder, bevor sie noch ein paar Löffel nahm. Die Masse war grünlich-weiß, ziemlich dickflüssig und war so heiß, dass sogar Rauch von ihr aufstieg. Gott… Nach einer Weile fing Aaron an, zu reagieren. Sein Körper verspannte sich, gerade, als seine Großmutter noch mehr von der heißen Flüssigkeit auf ihn verteilt hatte. Sie schaute nur unbeeindruckt zu ihm nach oben. „Haltet ihn fest“, sagte sie. „Bis wir fertig sind.“ Aber Dan war zu beschäftigt damit, sich zu freuen. „Aary! Oh Gott, Aary, Aary, du lebst! Aary…“ Seine Augen füllten sich wieder mit Tränen, aber diesmal wohl Tränen des Glücks. Er nahm Aarons Gesicht in beide Hände… „Er wird gleich nicht mehr leben, wenn du ihn nicht festhältst“, knurrte Ryans Großmutter. „Also, los jetzt. Ryan, du hältst seine Füße fest.“ Ryan hörte auf seine Großmutter, einfach, weil sie wirklich was von dem was sie hier machte zu verstehen schien. Zu allen anderen Zeitpunkten hätte er gedacht, dass das nur wieder eine verrückte Spinnerei einer alten Frau war, aber gerade war genau das ihre einzige Hoffnung. Er hielt also Aarons Füße fest, während Dan dasselbe mit Aarons Händen machte. Dabei legte er Aarons Kopf sanft auf die Matratze, und setzte sich an den Kopfteil, damit er das besser machen konnte. Während Ryans Großmutter weiter machte, wurde Aaron immer wacher: und jedes Mal verspannte er sich mehr, gefolgt von einem kleinen Wimmern. „Aary, ganz ruhig…“ Dan flüsterte zwar, aber Ryan hörte ihn trotzdem. „Du bist in Sicherheit, Aary, ich bin ja da… hab keine Angst… alles wird gut…“ Und einmal, als es ganz schlimm wurde und Tränen über Aarons Schläfen fuhren, machte Dan noch etwas unerwartetes. Er lehnte sich, kopfüber wie er eben war, über Aaron drüber und vereinigte ihre Lippen miteinander. Und das sogar eine ganze Weile, nicht nur ein kleiner Kuss, sondern ein richtiger, langer Kuss… Lange genug, dass Ryan irgendwann beschämt weg schaute. Aber er spürte, wie Aaron unter seinen Händen ruhiger wurde, also funktionierte es scheinbar wunderbar. Auch seine Großmutter sagte nichts, bis sie schließlich fertig war. Dan hatte Aaron seit diesem einen Mal nicht mehr geküsst, wohl auch, weil Aaron mittlerweile wieder in eine Art Ohnmacht gefallen war. „Er wird wahrscheinlich eine Weile schlafen“, grummelte Ryans Großmutter. „Achte darauf, dass er sich nicht dreht. Er braucht frische Luft auf der Salbe.“ Dan rutschte wieder auf die Matratze und bettete Aarons Kopf auf seinem Schoß, während er ein weiteres Mal schniefte. „Und er wird überleben?“, fragte er. „Ja“, gab sie zurück. „Ganz sicher. Aber pass auf ihn auf. Er wird dein Gesicht sehen wollen, wenn er aufwacht. Es wird sehr weh tun, also könnte er ein bisschen gute Einstellung ihm gegenüber gut vertragen.“ Sie lächelte sogar nochmal kurz, bevor sie sich wieder aufrichtete und zurück ins Bett ging. „Und jetzt will ich kein Wort mehr bis morgen hören. So viel Drama in einer Nacht…“ Sie machte noch ein ‚ts, ts, ts!‘-Geräusch, bevor sie sich auf ihrer Matratze weg drehte. Ryan setzte sich wieder ein wenig höher an Aaron, sagte aber nichts. Stattdessen schaute er dabei zu, wie Dan wieder durch seine Haare fuhr und abermals Sachen flüsterte, die aber nicht mal Ryan verstehen konnte, so leise waren sie. „Warum wart ihr so spät überhaupt noch im Wald?“, flüsterte Ryan schließlich. An Schlaf war jetzt sowieso nicht zu denken. Dan schaute auf, seine Augen immer noch feucht. „W-wir haben uns verlaufen“, erwiderte er, gefolgt von einem Schnauben. „Jemand hat die Brotkrumen gegessen, wir… wir haben einfach nicht daran gedacht, dass das passieren könnte, normalerweise klappt es…“ Dan schluckte. „U-und es war so finster und bitterkalt, also hab ich – hab ich Aaron meinen Umhang geben wollen, aber er wollte ihn nicht. D-damit mir nicht kalt wird. Er ist so tapfer und so… toll… er ist der tollste Mensch der Welt, Rotkäppchen…“ Ryan räusperte sich kurz. „Und dann?“ Dan schaute nicht auf, aber fing sich scheinbar wieder. „W-wir kamen an ein Häuschen… ganz aus Pfefferkuchen, was echt fein aussah. Wir haben uns gefragt, wer wohl der Herr von dem Häuschen sein mag und dann… w-wir haben da nicht wirklich drüber nachgedacht… wir hatten so Hunger, also haben wir einfach davon genascht…“ Er schluchzte wieder kurz, erzählte dann aber weiter. „Eine Hexe… das Haus… gehörte einer Hexe. Sie hat uns ausgetrickst und – und sie wollte Aaron essen, Rotkäppchen, verstehst du? Ihn kochen und essen… Ich… ich konnte nichts tun. Sie hat mich verzaubert… A-aary wäre fast gestorben, wenn nicht… wenn nicht…“ Dan verstummte. Ryan runzelte seine Stirn leicht. „Wenn nicht was, Dan?“ „… wenn der Wolf nicht gekommen wäre.“ Dan schaute auf zu ihm. „E-er ist einfach in das Haus geplatzt und h-hat die Hexe gefressen, mit Haut und Haar. Vor unseren Augen…“ „Der Wolf?“, fragte Ryan ungläubig. „Der Wolf, der euch angegriffen hat?“ Dan nickte langsam. „Nachdem er sie getötet hat, ist er auf Aaron los gegangen… Er hat – hat seinen Brustkorb – seine Klauen haben sich in ihn gebohrt und…“ „Schon gut.“ Ryan lächelte ganz kurz, „Ich versteh schon… und dann?“ „Er hat einfach aufgehört. A-aary war schon voller Blut, aber bevor er ihn ganz getötet hat… hat er einfach aufgehört… E-er hat ausgeschaut, als würde er mit sich selbst kämpfen und leiden, aber… er hat aufgehört…“ Dan wischte sich mit den Händen über die Augen. „A-also sind wir weg gerannt… und kurz darauf hat er uns doch wieder verfolgt. Und dann kamst du…“ Ryan nickte langsam. Okay, das klang sinnvoll – gleichzeitig aber auch überhaupt nicht. Wieso hatte der Wolf sie gerettet? Und wieso hatte er Aaron und Dan verschont, aber Aaron trotzdem angegriffen? Als Ryan sich schließlich auf seinem Umhang am Boden zusammen kauerte, plagten ihn diese Frage immer noch. Der Schaden an der Hütte war grausam gewesen. Die ganze Tür war voller, tiefer Kratzer gewesen, tiefere Kratzer, als sie ein Mensch oder ein normales Tier jemals hätte graben können. Seine Großmutter hatte darauf bestanden, trotzdem in der Hütte zu bleiben und das selber zu reparieren, aber Ryan hatte ihr nicht so wirklich geglaubt; deshalb war er mit ein paar Männern zusammen wieder in den Wald gegangen. Sie hatten sich um die Tür gekümmert – unter der zeternden Anweisung von Ryans Großmutter, versteht sich. Aarons Zustand verbesserte sich langsam, aber stetig. Es dauerte eine Woche, bis er überhaupt sein Bett verlassen hatte (in das Ryan und Dan ihn mit einer provisorischen Trage gebracht hatten, weil Ryans Großmutter, Zitat, nicht genug Platz für alle gehabt hätte und Dan natürlich nicht von Aarons Seite weichen wollte). Es hatte vier Wochen gedauert, bis er das geschafft hatte, ohne gleich umzufallen. Aber schließlich, nach zwei Monden, schaffte er es sogar wieder mit Dan zusammen zu singen. Nach drei Monden ging es ihm wieder so gut wie eh und je. Ryan selber hatte sich in der Zeit ein wenig… nun, geändert. Er hatte mit seiner Großmutter geredet, weil sie offensichtlich mehr Ahnung von der Kreatur hatte, als er geahnt hätte. Und tatsächlich hatte sie ein altes Buch aus einem Schrank herausgeholt; und Ryan erklärt, dass diese Bücher im Besitz der ganzen Familie Adams‘ immer weitergegeben wurde, von Frau zu Frau. Scheinbar war in der weiblichen Blutlinie der Adams‘ zwar keine Hexen, aber doch die Möglichkeit, mit Kräutern und Elixieren Tränke zu erschaffen. Die Bücher waren Überbleibsel einer mythischen Rasse, den Waldfeen, die in den tiefsten der Wäldern gelebt hatten – und womöglich immer noch lebten, so seine Großmutter. Jedenfalls hatte sie ihm eines dieser Bücher geschenkt. „Hier wirst du Antworten finden“, hatte sie erklärt, aber nicht mehr Auskunft geben wollen. Ryan hatte das Buch gelesen. Nicht alleine, sondern bei Ryder. Immer, wenn der arbeitete und schmiedete, hatte Ryan es ihm vorgelesen. Oder wenn sie zusammen etwas aßen, oder wenn sie zusammen in der Stadt waren und am Springbrunnen saßen… Ryder mochte es, wenn Ryan ihm aus dem Buch vorlas; und Ryan mochte es, dass Ryder dieselben Informationen wie er hatte. Wenn sie zusammen arbeiten würden, würden sie dem Monster vielleicht auf die Schliche kommen! Und er hatte viele Dinge herausgefunden. Erstens, es handelte sich tatsächlich um einen Werwolf. Zweitens, der Mensch war wahrscheinlich ein Bewohner des Dorfes. Drittens, der Werwolf war in Menschengestalt wohl auch viel stärker: also, muskulös, mit mehr Instinkten und einem besseren Gehör und sowas. Und viertens, als Wolf hatte man sich kaum mehr unter Kontrolle. Es gab nur bestimmte Markenzeichen, die den Menschen zurück aus der Bestie bringen konnten. Markenzeichen, die sie mit ihrem Seelenverwandten verbanden. Ein bestimmter Geruch oder eine Kette, die nur ihr Liebster trug oder sonst was. Die letzte Erkenntnis hatte Ryan sich erst heute erschlossen. Es war schwer, aus dem Buch zu lesen, weil alles irgendwie verschlüsselt klang und er hatte es auch gerne mal zur Seite gelegt, wenn Ryder ihn zum Beispiel massiert hatte. Oder wenn er mit Aaron und Dan darüber reden wollte. Nur schienen die gar nicht so interessiert daran zu sein, den Wolf zu finden. Ganz im Gegenteil, sie sagten, er hatte ihr Leben gerettet – und dass sie ja sowieso gestorben wären, wenn er nicht gekommen wäre. Das mit Aaron war also nur ein Unfall gewesen, meinten sie. Ryan glaubte ihnen kein Wort. Und heute hatte er auch endlich einen Grund für sein Misstrauen gefunden, genau in diesem Buch. Er war mit Ryder an einem der Bäume, die etwas vor dem Wald standen. Hier gab es eine alte Schaukel, die von einem der höheren Äste nach unten hängte. Ryan saß mit dem Buch im Schoß auf der Schaukel, während Ryder im Gras saß und an den Baumstamm gelehnt war. „Hast du das gehört?!“ Ryans Herz pochte bis zum Hals. Ryder schaute von dem Gras auf, an dem er gerade gezupft hatte. „Was meinst du?“ „Hier steht, dass ein Merkmal eines Seelenverwandten jemanden zurück in die Menschlichkeit bringen kann“, sagte Ryan und tippte auf die Zeile im Buch. „Ryder! Weißt du, was das heißt?! Ich hab dir doch erzählt, dass der Wolf Aaron nicht ganz getötet hat… sondern ihn verschont hat!“ Oh Gott. Es fügte sich alles zusammen! Ryans Worte überschlugen sich vor lauter Aufregung fast in seinem eigenen Mund. „Das heißt, Aaron ist der Seelenverwandte von dem Wolf, Ryder. Der Seelenverwandte. Und wer glaubst du ist Aarons Seelenverwandter?!“ Ryder schwieg einen Moment lang. „Du willst doch nicht sagen…“ „Ich weiß, es ist ganz schlimm, aber – “ Ryan stockte. „Es erklärt auch, wieso Aaron und Dan nicht darüber reden und den Verantwortlichen finden wollen…“ „Ryan…“ Ryder klang zweifelnd. Aber Ryan schaute nur nochmal ins Buch, las nochmal die Zeilen und ja, daran gab es nichts falsch zu verstehen. Es war ganz eindeutig. Bevor er sich aber weiter darum Sorgen machen konnte, legten sich von hinten Arme um seinen Nacken. Ryder legte seinen Kopf auf Ryans Schulter und lehnte ihn gegen Ryans, während er mit seiner Hand abwesend seine Brust kraulte. „Vielleicht ist das ein wenig voreilig, oder? Nur weil es in diesem Buch steht…“ Ryan seufzte ebenfalls. „Ja, schon, ich weiß… ich will auch niemanden verdächtigen oder so. Aber es würde halt wirklich perfekt passen und ist die einzige Erklärung dafür, wieso er Aaron im Endeffekt doch verschont hat…“ „Hm.“ Ryder fuhr mit seinem Daumen kleine Kreise über Ryans Oberteil, womit er genau Ryans Brustwarze umrandete, die sich darunter befand. Ein sehr, sehr ablenkendes Gefühl, aber Ryan musste trotzdem weiter an die wahre Gestalt des Werwolfs denken. „Das stimmt schon“, lenkte Ryder ein. „Aber wenn es wirklich so ist… denk an all die anderen, die gestorben sind.“ „Vielleicht gibt es ja mehr Wölfe.“ Ryan wurde langsam ungeduldig. Wieso widersprach Ryder ihm überhaupt? „Aber für diesen einen, bestimmten Tag – da macht nur das Sinn, Ryder. Es muss Dan gewesen sein.“ „Ich kann einfach nicht glauben, dass Dan Aaron etwas antun würde… egal in welchem Zustand.“ „Er hat ihn nicht erkannt, Ryder. Das ist der Punkt.“ „Und wieso dann doch plötzlich?“ „Das weiß ich nicht so genau. Er hat irgendwie Aaron erkannt, schätz ich mal. Und dann…“ Ryan zuckte mit seinen Schultern. Ryder schüttelte seinen Kopf leicht. „Du bist dir wirklich sehr sicher, oder?“ „Das bin ich wirklich.“ „Und was machen wir mit der Information?“ Das… war eine wirklich gute Frage. Immerhin war Dan ein wirklich guter Freund von ihnen Beiden, vor allem von Ryder. Ihn sich als blutrünstige Bestie vorzustellen, das – das schien einfach nicht zu passen. Nachdem Ryan eine Weile nichts gesagt hatte, fing Ryder wieder an zu reden. „Und hast du nicht gesagt, die Zwei sind vor etwas geflohen? Vor was denn, wenn Dan der Wolf war? Und wer hat dann gegen die Tür deiner Großmutter gehämmert?“ Ryan verzog sein Gesicht. „Ich bin zuerst nur in Aaron gerannt…“, murmelte er. „Vielleicht ist Aaron vor Dan geflohen, aber dann hat Dan sich zurück verwandelt und ist zurück zu ihm gegangen…“ Okay, das hatte er echt nicht so wirklich durchdacht und er merkte auch, dass die Version jetzt plötzlich nicht mehr so gut klang. „Ich will ja nicht explizit sagen, dass du unrecht hast…“, lenkte Ryder ein. „Aber vielleicht sollten wir uns noch ein paar andere Alternativen durch den Kopf gehen lassen – und ein paar mehr Beweise suchen.“ Ryan drehte seinen Kopf zu Ryder. Das Gesicht des anderen Jungens war jetzt gefährlich nahe an seinem dran; Ryan spürte sogar, wie der Atem des Anderen an seine Lippen schlug. Ryans Herz begann zu klopfen. Seit dem Zeitpunkt, an dem er gesehen hatte, wie Dan Aaron geküsst hatte, war ihm etwas ganz anderes in den Sinn gekommen; etwas, an das er vorher so noch nie gedacht hätte. Er hatte weder mit Ryder noch mit Dan über diesen Kuss geredet, aber trotzdem hatte es in Ryan etwas entfacht – und deshalb sah er Ryder jetzt auch mit anderen Augen. Auch, wenn er das bisher gut verdrängte. „Also hilfst du mir weiter?“, fragte Ryan leise. „Natürlich.“, erwiderte Ryder. „Immer.“ Sie gingen das ganze Dorf durch. Jeder, der Kontakt zu allen Opfern oder auch nur ein paar der Opfern hatte, wurde genauestens unter die Lupe genommen. Und ihren Hauptverdächtigen, sollte es wirklich nur einen Wolf geben, hatten sie so sehr schnell gefunden: Ryan. Alle Mädchen, die gerissen wurden, waren seine Verlobten gewesen. Und Aaron, nun, mit dem war er auch befreundet. Ryan befürchtete eine Weile tatsächlich, dass er selbst der Wolf war, aber diese Zweifel hatten sie schnell beiseite geräumt. Es würde einfach keinen Sinn machen! Wieso hätte er sie alle töten können? Dann war natürlich naheliegenderweise Judith und sein Vater unter näheren Verdacht gefallen, gefolgt von Ryder. Und es gab irgendwie keine Möglichkeit, wirklich zu widerlegen, dass es sich bei einer bestimmten Person nicht um den Wolf handelte. Außer natürlich, man würde besagte Person an Vollmond beobachten, aber wie oft passierte sowas schon? Gut, natürlich einmal im Monat – aber bei so vielen Verdächtigten würde das doch Ewigkeiten dauern. Ryan hatte sogar überlegt, sich einfach an den Bürgermeister zu wenden, damit sie einfach jeden eine Nacht lang gleichzeitig beobachten würde, aber andererseits war es auch nicht unbedingt klug, alle Leute mit einem potenziellen, riesigen und vor allem unverletzlichen Wolf in einen kleinen Raum zu stecken. Wahrscheinlich war es nicht mal klug, dem Wolf hinterher zu jagen. Aber wenn die Person verletzlich wäre, dann ja wohl in ihrer normalen, menschlichen Gestalt! Nur, wenn es wirklich jemand wäre, der ihm nahe stand… „Das muss nicht unbedingt sein.“ Ryder saß hinter Ryan, in der Badewanne. Er hatte seine Arme um Ryan gelegt, wobei seine Hände aber auf Ryans Bauch ruhten. Der wiederum hatte seine Hände auch auf Ryders gelegt, während er seinen Kopf auf Ryders Schulter gelegt hatte. Sie hatten die Massage schon hinter sich. Manchmal blieben sie dann gerne einfach noch so in der heißen Wanne liegen und redeten. Zum Beispiel jetzt, über den Wolf. „Es sind auch andere Menschen außer deine Verlobten gestorben“, fuhr Ryder fort. „Vielleicht ist es doch einfach nur Zufall.“ „Aber das wäre schon ein harter Zufall…“ Ryan seufzte, seine Augen geschlossen. „Aber vielleicht gibt es ja wirklich mehr Wölfe.“ „Vielleicht.“ Ryan fühlte, wie Ryders Lippen sich auf seinen Hals lagen. Nur ganz leicht, aber direkt an seiner Halsschlagader. Sicher nicht beabsichtigt, aber… trotzdem sehr ablenkend. Sehr, sehr ablenkend. „Ryan… kann ich ganz ehrlich zu dir sein?“, flüsterte er. „Natürlich… was ist los?“ „Ich weiß, dass du wirklich gute Ziele hast… und es ist auch wirklich toll, mit dir darüber zu rätseln, wer der Wolf sein könnte. Aber – “ Er stockte. „Ryan, ich will, dass du damit aufhörst.“ Ryans Augen kniffen sich einen Moment zusammen, bevor er seinen Kopf von Ryders Schulter nahm. Er drehte sich so halb zu ihm, so gut das eben ging, ohne wirklich weg zu rutschen, um ihn anzuschauen. „Wieso?“, fragte er ihn, seine Augenbrauen verwirrt zusammen gezogen. „Ich will nicht…“ Ryder drückte seine Lippen zusammen. „Ich hab Angst, dass es für dich gefährlich werden könnte, Ryan.“ Ryan schwieg einen Moment lang. Ja, logisch, er hatte auch schon irgendwie nachgedacht, dass es wahrscheinlich nicht das klügste war, dem Monster direkt hinterher zu jagen. Aber irgendwer musste es ja wohl tun! „Nicht mal die Soldaten schaffen es, ihm auch nur was anzutun“, fuhr Ryder fort. „Und außer in deinem Buch steht noch irgendwo, wie man sie töten kann…“ „Aber in seiner menschlichen Gestalt…“ „Und wenn er sich dann einfach schnell verwandelt?“ Ryder drückte Ryan ein wenig enger an sich. „Dir soll nur nichts passieren, Ryan.“ Ryan knirschte ein wenig mit seinen Zähnen. „Aber sonst geht es weiter…“ „Irgendwer wird es sicher schaffen, ihn aufzuhalten. Wieso musst dieser jemand unbedingt du sein?“ Ryan seufzte, wusste aber nicht, was er darauf sagen sollte. Also schloss er nur wieder seine Augen und lehnte sich gegen Ryder, während er sich das durch den Kopf gehen ließ. Vielleicht hatte er ja wirklich recht. Vielleicht sollte er es einfach auf sich beruhen lassen, bis wer anders das Problem gelöst hatte. „Joody?!“ Ryan rannte mit pochendem Herzen durch das dichte Gestrüpp des Waldes. „Joody!““, wiederholte er nochmal, lauter. Aber bis auf das Echo seiner eigenen Stimme hörte er absolut nichts. Judith war früher an diesem Tag in den Wald gegangen, um ein paar Kräuter für die Spezial-Brotlaibe zu besorgen, die ihr Vater machen wollte. Normalerweise kam Judith von solchen Aufträgen immer schon mittags wieder zurück – und jetzt war es schon frühe Nacht. Ryan hatte ganz einfach Panik bekommen. Sein Vater hatte gesagt, dass sie Soldaten los schicken würden, aber das war Ryan egal gewesen. Es ging um seine kleine Schwester! Und dass die Soldaten unfähig waren, das hatte er ja schon längst festgestellt. Also war er zu Ryder in die Schmiede gegangen, hatte seinen besten Freund dort aber nirgends getroffen. Trotzdem hatte er sich einfach eines der Schwerter geschnappt, das ganz sicher von Ryder geschmiedet worden war (Ryder würde das sicher nicht schlimm finden), bevor er sich Hals über Kopf in den Wald gestürzt hatte – in die Richtung, aus der seine Schwester eigentlich die Kräuter holen wollte. Natürlich hatten alle versucht ihn aufzuhalten, aber Ryan war eben einfach schneller gewesen; weshalb er jetzt durch das dunkle Dickicht rannte, spürte, wie ihm immer wieder Äste ins Gesicht peitschten und sein Bestes dabei gab, bei den ganzen Geäst sein Schwert und die Orientierung nicht zu verlieren. „Judith!“, wiederholte er ein weiteres Mal. Und da – da war etwas. Ganz, ganz leise, noch viel tiefer im Wald, hörte Ryan einen Ruf, der zurückkam. „Ryan?“ „Joody!“ Ryan fühlte wie Erleichterung über ihn einbrach, aber es war trotzdem noch lange nicht geschafft. „Joody! Ich bin hier! Joody, wo bist du?!“ „Ryan… Ich bin hier!“ Die Stimme war leise, aber Ryan hatte so eine ungefähre Ahnung, aus welcher Richtung sie kam. Er merkte auch, dass seine Schwester alles andere als okay klang, aber darüber durfte er sich jetzt nicht sofort Gedanken machen. „Joody, ich bin gleich da!“, rief er. „Du musst nur weiter rufen!“ „Ryan, schnell! Ich hab Angst!“ „Ich bin jeden Moment da!“ Oh, und wie er rannte! Er stolperte ein paar Mal über Wurzeln, fing sich aber immer relativ schnell wieder. Er bezweifelte, jemals so schnell in seinem Leben gerannt zu sein, aber immerhin ging es hier um das Leben seiner Schwester. Und wenn ihr etwas passieren würde… Ryan wollte gar nicht erst daran denken. Sie riefen sich noch ein paar Mal gegenseitig zu – aber dann plötzlich entfuhr Joody ein schriller, markerschütternder Schrei. „Judith?!“, rief Ryan ein weiteres Mal, bekam diesmal aber keine Antwort. Ryans Herzschlag verwandelte sich in ein immer schnelleres Pochen, das gegen Ryans Kopf hämmerte, je schneller er rannte. Sein Brustkorb rebellierte schon gegen diese körperliche Überforderung, aber das Adrenalin überschüttete dieses Empfinden. Er konnte nur an den Schrei seiner Schwester denken, der immer noch in seinen Ohren nachhallte. Wenn ihr was zugestoßen wäre… „Ryan!“ Das Mädchen kam zwischen den Bäumen angerannt. Ryan hätte sie wegen ihrer dunklen Kleidung fast übersehen, aber er hielt an – und Sekunden später umarmte Judith ihn. Oder eher: klammerte sich an ihn. Ganz selbstverständlich fuhr er mit seiner freien Hand zu ihrem Kopf. Sie standen mitten am Rand einer kleinen Lichtung, die spärlich vom Mondschein beleuchtet wurde. „Judith…“, sagte Ryan schwer atmend, aber unglaublich erleichtert. „R-ryan“, wimmerte Judith. „Er.. R-ryan, es ist… ich…“ „Ganz ruhig, Judith.“ Er streichelte ihr durch die Haare. „Was is…“ Ein kurzes Verschnaufen, „los?“ „D-der Wolf… er… ist hinter mir…“ Und schon wieder waren Ryans Sinne auf 180. Er wusste nicht, ob Judith sich das eingebildet hatte – hier im Dunkeln konnte man sich sicher eine Menge einbilden – aber er musste auf Nummer sicher gehen. Seine Finger schlossen sich enger um den Knauf des Schwertes, von dem er natürlich keine Ahnung hatte, wie man es benutzen musste. „Ganz ruhig, Joody“, murmelte er, behielt aber zeitgleich seine Umgebung konzentriert im Auge. „Er kann dir nichts tun… ich werde dich beschützen.“ Judith klammerte sich an ihn. Ryan wollte gerade vorschlagen, dass sie zurückgehen sollten – aber dann hörte er das Knacken von Ästen. Nein, nicht nur von Ästen – es klang eher nach einer Steinlawine, die sich durch das Unterholz walzte, jedes Mal gefolgt von einem schweren Pochen, sobald die entfernte Figur auf den Boden aufkam. Nicht nur Ryans Gehör, nein, auch sein ganzer Körper spürte, dass da etwas riesiges auf sie zukam. Eine größere Gestalt, als er sie jemals gesehen hatte. Etwas unmenschliches, bestialisches… Es klang genau so wie damals, als Ryan Aaron mit Dan getragen hatte – nur hatte er die Geräusche da kaum wahrgenommen, sie ignoriert. Ryans Nackenhaare stellten sich auf. Die Geräusche wurden viel zu schnell lauter; die Geschwindigkeit der Bestie schien unglaublich zu sein. Wie hatten sie ihr nur jemals entkommen können?! Ryans Atem flachte ab, nur um dann noch viel schneller zu gehen. Es konnte sich nur um Sekunden handeln, seit Judith sich eng an ihn geschlungen hatte, aber die Momente zogen sich zäh und langsam. Als wollte das Schicksal ihnen eine letzte Gelegenheit geben, eine Strategie zurecht zu legen. „Geh hinter mich“, flüsterte Ryan, ohne darüber nachzudenken. „Versteck dich hinter mir.“ Judith protestierte nicht, wie sie es sonst bei ungefähr allem gemacht hätte, was Ryan ihr sagte. Stumm löste sie sich, nur um sich hinter Ryan und seinen großen, roten Umhang zu kauern. Ob sie es auch spürte? Ob sie ihn auch spürte? Ryans Blick war starr in die Dunkelheit gerichtet, aus der die Kreatur unaufhaltsam näher kam. Nur noch wenige Augenblicke trennten sie voneinander; nur noch eine hauchdünne Wand aus Dunkelheit hielt Ryan davon ab, dem Wolf endlich in die Augen schauen zu können. Er richtete sein Schwert aus. Er wusste, dass er keine Chance hatte, dass er ganz sicher sterben würde – aber er würde Judith bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen. Und dann erschien die Kreatur tatsächlich. Das erste, was Ryan von ihr sehen konnte, waren die in der Dunkelheit blitzenden, riesigen Augen. Sie waren von einem glänzenden, ruhigen und unglaublich dunklen Braun. Darunter leuchtete wenige Momente später zwei Reihen spitzer, rasiermesserscharfer Zähne auf, deren Anblick alleine Ryans Schwert nur wie einen billigen Zahnstocher aussehen ließ. Die Gestalt hörte auf zu rennen, sobald Ryan sie richtig erkennen konnte. Sie trat mehr in das Licht des Mondes und das auf eine, wie Ryan geschockt feststellen musste, unglaublich anmutige Art und Weise. Die Vordertatzen des Monsters waren zwar jeweils mindestens so groß wie Ryans Kopf, aber es machte kaum ein Geräusch, als sich die Klauen in die Erde bohrten. Das Fell des Tieres war schwarz und zottelig. An manchen Stellen klebte Blut das Fell zusammen, an anderen Plätzen war es Erde – in dem schwachen Licht war der Unterschied schwer zu erkennen. Die Beine der Kreatur waren allesamt unglaublich dick, wahrscheinlich dicker als Ryans kompletter Körperumfang. Ryans Hand mit dem Schwert begann schwer zu werden. Er umklammerte auch mit seiner anderen Hand den Griff, um das zu stabilisieren, während er das Monster fixierte. Und das Monster, es… es fixierte ihn auch. Es wirkte nicht so, als ob er wie ein normales Tier handeln würde. Er schaute nicht normal zu Ryan, nein, er fixierte ihn. Schien zu verstehen, was er da sah und schien es auch verarbeiten zu können… Langsam trat das Tier näher. Ein Grollen kam aus seiner Kehle, ein Grollen, das so tief und eindrucksvoll war, dass es sich anfühlte, als würde die Erde unter Ryan erbeben. Aber er behielt das Schwert in den Händen, auch, als das Tier näher kam. Zwar schaffte er es aus Schock nicht, sich zu bewegen, aber immerhin ließ er es nicht fallen. Das Tier trat wieder näher, auf seine bizarr-grazile Art und Weise. Bevor es Rotkäppchen aber ganz erreichen konnte, überraschte es diesen nochmal komplett: es stellte sich auf seine Hinterläufe, so, als ob das die normalste Tätigkeit der Welt wäre. Ryan erkannte jetzt auch, dass seine Vorderpfoten nicht unbedingt Pfoten waren, sondern fast schon menschliche Züge hatte – auch wenn jeder einzelne ‚Finger‘ in einer Kralle endete. Der Wolf trat noch ein wenig näher. Jetzt, stehend, überragte er Ryan um mindestens die Hälfte seiner eigenen Körpergröße, wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr. Er trat näher an Ryan, der das Schwert nach wie vor fest in der Hand hielt und auf zu dem Kopf der Kreatur schaute. Die Hand des Monsters streckte sich nach ihm aus. Aber nicht bedrohlich oder in Form eines Angriffs, sondern langsam. Ryan schluckte, umklammerte das Schwert fester und wollte fast schon auf die Hand einschlagen, als die Kreatur die Situation noch bizarrer machte, als sie sowieso schon war. Sie begann etwas zu machen, was Ryan komplett den Boden unter den Füßen wegriss. Sie redete. „Ryan…“ Die Stimme des Monsters war genauso wie das Grollen, tief, kehlig und bedrohlich. Aber Ryan verstand, was er sagte – er verstand seinen Namen. „Nicht… verletzen.“ Ryan fühlte, wie sein Mund sich öffnete. Was…?! Hatte die Kreatur da gerade etwa – hatte sie seinen Namen gesagt?! Wie um alles in der Welt…?! Bevor er aber noch etwas sagen konnte, horchte der Werwolf auf. Seine übergroßen Ohren spitzten sich, er schnüffelte ein, zwei Mal mit seiner Schnauze und ließ sich anschließend wieder auf alle Viere fallen. Es sah unglaublich natürlich aus, wie aus den Armen innerhalb weniger Sekunden wieder Beine wurden und er wieder zu rennen anfingen, leiser diesmal. Er verschwand von der Lichtung zwischen den Bäumen und hinterließ sie alleine zurück; Ryan noch immer mit dem Schwert in der Hand, Judith hinter ihm wimmernd. Ryan starrte dem Monster hinterher. Er wusste nicht, ob er hinterher rennen sollte, oder ob er Joody trösten sollte oder was er überhaupt tun sollte, er starrte einfach nur hinterher… Und dann durchbrach wieder jemand das Dickicht, direkt hinter ihnen. Ryan, der offensichtlich viel zu wenig auf sein Gehör geachtet hatte, jagte herum und richtete das Schwert mit zittriger Spitze auf die Gestalt, die da kam. „Ganz ruhig, ‘Käppchen.“ Spellman. Einer der Soldaten des Dorfes; einer der sehr nervigen, idiotischen Soldaten des Dorfes. Spellman drehte sich so halb um und rief hinter sich in den Wald: „Ich hab sie gefunden!“, bevor er sich wieder an Ryan wandte. „Du hast deinem Vater einen fürchterlichen Schrecken eingejagt. Warum lässt du nicht uns die Arbeit machen? Das…“ „Ryan ist ein Held“, warf Judith ein. Ihre Stimme klang noch immer zittrig. „Er hat mich vor dem Wolf gerettet.“ „Vor dem Wolf?“ Spellman lachte. „Mädchen, das ist sicher nicht passiert. Niemand überlebt den Wolf.“ „Ryan…“ „Was auch immer.“ Spellman trat näher und hielt seine offene Handfläche vor Ryan. „Gib mir das Schwert, bevor du dir oder irgendwem damit noch weh tust. Woher hast du das überhaupt? Wenn du es gestohlen hast, dann…“ „Ryder hat es mir geliehen.“ Die Lüge ging Ryan glatt über die Lippen und er wusste, dass Ryder zustimmen würde, wenn Spellman nachfragen würde. Spellman verzog sein Gesicht – offensichtlich gefiel es ihm nicht, dauernd unterbrochen zu werden – aber weil Ryan ganz sicher keinen Streit anfangen wollte, überreichte er ihm das Schwert einfach. „Vernünftig“, kommentierte Spellman noch, bevor auch der Rest der Garde langsam eintraf. Judith und Ryan wurden zurück zum Dorf eskortiert, wobei niemand viel redete. Judith erzählte die Geschichte von dem Wolf kein zweites Mal, einfach weil sie wusste, dass man es ihr nicht glauben würde. Auch später am Tag erzählte sie niemanden mehr von dem Wolf – und auch nicht davon, wie er auf Ryan reagiert hatte. Sie erzählte nur, dass sie sich verlaufen und Ryan sie schließlich gefunden hatte. Ryan selber erzählte natürlich auch nichts. Er wusste ja nicht mal, wie er sich das selbst erklären sollte! Er wollte Ryder davon erzählen, aber der war an diesem Tag gar nicht mehr zu finden. Und erst später, als Ryan schon im Bett lag und wieder den stetigen Atem seiner Schwester hörte, mit der er sich ein Zimmer teilte, fiel ihm auf, dass da noch etwas Seltsames bei der Begegnung gewesen war. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Wolf auf zwei Beinen gegangen war und mit ihm geredet hatte. Da war noch etwas gewesen, was Ryan bis jetzt gar nicht wirklich bedacht hatte. Der Wolf war riesig gewesen, mit so dicken Muskeln unter dem zottigen Fell, dass es sicher nur einen Hieb gebraucht hätte, um Ryan auf der Stelle zu töten. Aber – Ryan hatte keine Angst gehabt. Nein, ganz im Gegenteil. Die Gegenwart des Wolfes hatte sich auf eine bizarre Art und Weise vertraut angefühlt. „Wo warst du gestern?“ Ryans Kehle fühlte sich trocken an, als er die Frage stellte. Er klang vorwurfsvoll, viel vorwurfsvoller als er geplant hatte zu klingen. „Was?“ Ryder legte den Hammer nieder, mit dem er gerade eines der Schwerter bearbeitet hatte. „Ryan?“ Er rieb sich über den Nacken, während er sich in all seiner oberkörperfreien, verschwitzten Pracht umdrehte. Nur konnte Ryan das gerade wirklich nicht beachten. „Wo du gestern warst“, fragte er nochmal. „Du warst gestern nicht da. Ich hab dich gesucht.“ „Stimmt, ich hab davon gehört…“ Ryder griff sich einen der Lumpen neben dem Amboss. Damit tupfte er sich die Stirn ab und wischte seine Hände, wodurch seine Stirn ein paar, schwarze Flecken bekam. „Ich wollte dich sofort besuchen kommen, als Spellman mir das Schwert gebracht hat und dabei gleich noch gesagt hat, dass du nachts in den Wald gegangen bist. Was hast du dir dabei nur gedacht?“ „Ich hab mir Joody dabei gedacht“, erwiderte Ryan bissig. „Wo – warst – du?“ „Das ist ja auch mehr als recht“, gab Ryder zurück. „Aber ich hab mir trotzdem Sorgen gemacht…“ „Sorgen.“, wiederholte Ryan. Es fühlte sich gelogen an, sogar, wenn er es nur selbst aussprach. „Und wieso bist du mich dann nicht besuchen gekommen? Wo warst du?“ Ryder verstummte. „Ryan, bist du wütend auf mich?“, fragte er schließlich. Ryan hätte vor Frustration fast aufgeschrien – wie penetrant konnte man eine Frage ignorieren?! Dennoch antwortete er darauf nicht, bis Ryder schließlich den Lumpen wieder ablegte und zu Ryan ging. „Hey, was ist los?“, fragte er. „Hab ich dir was getan? Ich…“ Seine Hand legte sich auf Ryans Schulter. Oder jedenfalls versuchte er es; Ryan zog seine Schulter weg, bevor er sie berühren konnte. „Fass mich nicht an“, zischte Ryan. „Ich weiß, wer du bist. Was du bist.“ Ryders Mimik entglitt ihm. Ryan konnte eine ganze Menge daraus ablesen, über Frustration und Verletzung bis hin zu blankem Schock. „Ryan, was…“ „Ich hab deine Augen erkannt.“ Ryan merkte, wie seine Kehle sich zuschnürte und wie seine Augen feucht wurden, aber er versuchte nicht darauf zu achten. „Und das Gefühl. Verdammt, ich hab’s sogar an diesem schwarzen Fell bemerkt!“ Eigentlich hatte Ryan nur kommen wollen, um mit Ryder darüber zu reden. Vernünftig, ohne gleich Vorwürfe zu machen. Aber ihn zu sehen hatte die Gefühle wieder aufleben lassen und während er sich selbst erklärte, merkte er auch, dass er sich wirklich sicher war. Auch, wenn er es die ganze Zeit nicht wahrhaben wollte. „Du bist der Wolf“, fasste er seine Vermutung zusammen. „Der Werwolf, der alle umgebracht hat.“ Ryder zuckte leicht zusammen. Ryan war sich nicht ganz sicher, ob das wegen seiner harschen Aussprache war, oder weil er ihn entlarvt hatte – aber vermutlich war es Beides. „Ryan… du verstehst das ganz falsch“, fing Ryder an. „Ich…“ „Was soll ich daran falsch verstehen?!“ Er stand jetzt gerade wirklich sehr kurz davor, tatsächlich los zu heulen. „Sag mir einfach, Ryder, warst du das? Warst du der Wolf den ich gestern gesehen habe?“ Einen Moment lang sagte Ryder nichts. „Können wir wenigstens reingehen?“, murmelte er dann. „Dann hört uns niemand…“ „Wozu? Damit du mich drinnen auffressen kannst, weil ich dein Geheimnis rausgefunden habe?!“ „Ryan, das – “ Er stockte. „Ich würde dir nie, niemals etwas antun!“ „Aber Thalia, Rosie, Rachel – denen könntest du allen was antun, ja?!“ Jetzt weinte Ryan tatsächlich. Kein Wunder, er fühlte sich so unendlich verraten und so unendlich dumm, weil er Ryder vertraut hatte… Mehr als nur vertraut… „Das war ich nicht“, erwiderte Ryder verzweifelt. „Bitte, das musst du mir glauben. Ich würde doch nie jemanden etwas antun, der dir wichtig ist…“ „Dann warst du wohl auch nicht der Wolf bei Aaron, was?“ Ryan schluckte, gefolgt von ein paar zittrigen Atemzügen. Ryders Kiefer spannte sich an. „Ich hab sie doch nur beschützen wollen…“ „Und dabei seinen halben Brustkorb rausgerissen, ja?!“ Ryan konnte es kaum fassen. Ryder war doch selbst mit Aaron und Dan befreundet! Ja, mit Aaron kam er vielleicht nicht immer gut aus, aber das war doch kein Grund dafür, so etwas zu tun! „Es ist mit mir durchgegangen, Ryan, aber – ich hab doch aufgehört! Und sonst wäre er gestorben, Ryan, ich hab wirklich alles getan…“ „Und wieso bist du dann nicht gekommen?! Er wäre fast gestorben, wenn meine Großmutter nicht gewesen wäre!“ „Ich war da, Ryan, ich… ich hab zugehört, gewartet, bis es Aaron gut geht…“ Ryder stockte einen Moment lang. „Bitte, Ryan, du kennst mich! Ich würde doch niemals was böses tun! Und – und ich kann dir das beweisen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte er sich Ryans Handgelenk und zog ihn einfach mit sich. Nicht sonderlich sanft und Ryan versuchte auch, sich zu wehren; es klappte nur nicht sonderlich gut. Ryder zog ihn bis in sein eigenes Zimmer, wo er die Tür hinter sich schloss. „Bitte“, sagte er, während er Ryans Handgelenk losließ. „Schau einfach her.“ Ryan wollte nicht zuschauen. Er wollte hier weg, ganz weit weg von Ryder, einfach nur weil er nicht wusste, wie er mit all dem hier umgehen sollte. Aber andererseits wollte er auch unglaublich gerne Ryder glauben können… Also kam er zögerlich ein wenig näher, als Ryder in seinem Nachtschrank kramte, der neben seinem Bett stand. „Hier.“ Er drehte sich um – und Ryan wich gleich einen Schritt zurück, als Ryder einen gezückten, glänzenden Dolch nach oben hielt. Kurz huschte Enttäuschung über Ryders Gesicht. „Du musst keine Angst vor mir haben“, murmelte er. „Der Dolch hier is‘ genauso wie der, den ich dir geschenkt hab. Er ist aus purem Silber, weißt du?“ Er klang nervös, aber er trat näher an Ryan heran, der aber gleichzeitig einen Schritt zurück ging. „Ryan, das ist… die einzige Art einen Werwolf zu töten, weißt du? Und – u-und weißt du, wieso ich so einen genau neben meinem Bett hab? Weißt du das?“ Seine Stimme klang verzweifelt. Ryan schaute von dem Dolch zu dem Gesicht des Schmiede-Lehrlings, seine Unterlippe leicht bebend. „Wieso…?“, fragte er schließlich. „Ich habe mir vorgenommen – dass… sollte ich jemals einen Menschen willentlich töten, während ich verwandelt bin… dass ich mich dann selbst töten werde.“ Er schluckte. „Verstehst du das? Bei Aaron war ich verdammt kurz davor, aber – er hat ja überlebt und…“ Ryan starrte wieder ein paar Sekunden auf das Messer, bevor er leicht seinen Kopf schüttelte. „Wieso sollte ich dir das glauben? Du hast das Messer doch sicher nur zur Verteidigung hier…“ Und natürlich musste man sich auch mal so verteidigen können, wenn man eine zweite Identität als Massenmörder hatte. „M-moment… schau her.“ Ryder nahm noch einen tiefen Atemzug, bevor er mit dem Silbermesser einmal quer über seinen Unterarm schnitt. Eine dünne Blutlinie kam an der Stelle – bevor die Wunde auch tatsächlich zu dampfen anfing, während Ryders Hand sich zur Faust ballte. Sein Körper verspannte sich, er kniff seine Augen zusammen und sein Kopf drehte sich ein bisschen zur Seite. Aus seiner Kehle entfuhr ein tiefes Knurren, während Reißzähne zwischen seinen Lippen entstanden. Und weil Ryan langsam Panik bekam, stolperte er rückwärts zurück. Als er schließlich die Tür im Rücken spürte, drehte er sich rum, drückte die Tür runter und wollte raus rennen; bevor er das aber konnte, wurde die Tür vor ihm wieder mit einer Hand zugeschlagen. „Geh nicht“, schnaufte er. „Ryan…“ „Ryder!“ Ryan drehte sich um, wobei er jetzt sehen konnte, wie verdammt nahe Ryder ihm war. Er war ein wenig gewachsen und seine Zähne waren immer noch spitz, aber seine Augen… sie waren so groß, glänzten leicht – so verletzlich, traurig… „R-ryder, lass mich gehen…“, brachte Ryan trotzdem raus. „Du… du bist ein Monster.“ Diese Reißzähne und sein Wachstumsschub sprachen ja für sich, oder?! Ryder atmete noch zwei, dreimal tief durch – und dann konnte Ryan dabei zusehen, wie seine Reißzähne sich langsam wieder zurückbildeten. „Ryan, bitte“, sagte er nochmal. „Geh nicht weg… bitte…“ „Ryder – d-du machst mir Angst.“ Ryans Handflächen drückten sich an die Tür. „I-ich verrate es Niemanden, aber… bitte lass mich gehen…“ „Aber – “ Ryder nahm seine Hand tatsächlich von der Tür weg, legte sie aber stattdessen an Ryans Gesicht. Überraschend sanft… und seine Zähne bildeten sich jetzt auch komplett zurück. „Aber i-ich liebe dich, Ryan…“, vollendete er seinen Satz schließlich. Ryans Herz blieb für einen Moment stehen. Das war jetzt langsam einfach zu viel: erst die Sache mit dem Wolf, dann Ryder, der sich direkt vor ihm verwandelte und jetzt – jetzt das. „Was?“ Seine eigene Stimme klang viel zu hoch, viel zu atemlos. „Ich liebe dich, Ryan“, wiederholte Ryder. „Ich liebe dich so sehr und schon so lange, ich… bitte hab keine Angst vor mir, Ryan, ich könnte dir nie, nie was tun…“ Ryan starrte immer noch in Ryders Augen. „Der Mantel“, murmelte Ryan schließlich. „A-aarons Mantel ist durch sein Blut rot geworden… wie meiner. Es hat dich an mich erinnert…“ Ryder nickte langsam. „Es hat mich aus meinem Blutrausch gerissen, ja. Weil… du scheinbar mein Seelenverwandter bist, Ryan.“ Ryan wusste wieder nicht, was er sagen sollte. Er schaute nur in seine Augen, versuchte sich selbst davon zu überzeugen, das er immer noch weg rennen sollte und dass das hier wirklich nicht sicher sein konnte – aber andererseits fühlte er, wie sich langsam doch ein Gefühl des Vertrauens in ihm festsetzte. Aber wie konnte er Ryder auch misstrauen, wenn er sowas sagte?! Schließlich konnte er also nicht mehr verhindern, das auszuprobieren, was er jetzt schon seit einer halben Ewigkeit hatte ausprobieren wollen. Er überwand die Distanz zwischen ihren Lippen, drückte seine auf Ryders und ließ den Kuss für ein, zwei Momente anhalten. Es fühlte sich überhaupt nicht so an, als wäre Ryder ein Monster, ganz im Gegenteil: seine Lippen waren weich, warm und einfach nur unglaublich perfekt. Es dauerte eine Weile, bis Ryan die Motivation dazu aufbringen konnte, den Kuss wieder zu lösen. „Und was ist mit all meinen Verlobten?“, fragte er leise. „Kannst du dich an alles erinnern, was du jemals getan hast?“ Ryder nahm einen zittrigen Atemzug. „Nicht alles, ich… wenn ich in einen Blutrausch falle – oder an Vollmond – dann… vergess‘ ich manchmal, was passiert ist.“ Er klang so unsicher, dass Ryan ihm am Liebsten gleich selber bestätigt hätte, dass es sicher nicht so war. „Aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich es war“, schob Ryder dann aber doch selber noch an. „Ich glaube es einfach nicht. Ich glaube… ich wüsste es, wenn ich jemanden getötet hätte.“ Aber wenn Ryder ihm sagte, dass er ihn liebte – es war doch naheliegend, dass er dann Ryans Verlobte im Blutrausch getötet hatte, oder? Und wer um alles in der Welt sollte es denn sonst sein? Aber andererseits war das hier Ryder! Und wenn Ryder sagte, dass er glaubte, dass er niemanden umgebracht hatte… „Ich glaub dir“, murmelte Ryan also schließlich. Ryders Augen leuchteten auf, genauso wie seine Mundwinkel sich ein wenig nach oben zogen. „Danke…“, murmelte er, bevor er ihre Lippen ein weiteres Mal versiegelte. Ryan hatte immer noch Probleme damit, alles, was er eben erlebt hatte, zu verarbeiten. Aber glücklicherweise setzte sein Gehirn sowieso aus, wenn Ryder ihn so küsste. Es war so perfekt. Ryder behandelte ihn so gut, dass Ryan in den meisten Momenten komplett vergessen konnte, was Ryder eigentlich war und was er getan hatte. Die meiste Zeit verbrachten sie in Ryders Zimmer, weil sie hier die meiste Privatsphäre hatten; und dort lagen sie meistens in Ryders Bett, aber ohne jemals irgendetwas Sexuelles zu machen. Ryan mochte das Gefühl, eng an Ryder zu liegen und ihm nur im Arm halten zu können. Und ganz besonders mochte er es natürlich, seine Lippen auf Ryders zu drücken… Wenn sie das aber gerade nicht taten, dann hörte Ryan auch einfach nur gerne den Klang von Ryders Stimme. Sie redeten über eine Menge dir, mehr Dinge, als sie das als bloße Freunde gemacht hatten. Aber natürlich redeten sie niemals über dieses eine Thema, dieses unleidliche Thema mit den Morden. Mussten sie ja auch gar nicht, immerhin starb auch niemand mehr. Und Ryan mochte den Gedanken, dass es an ihm lag. Manchmal verbrachten sie aber auch Zeit mit Judith. Judith hatte Ryder schon immer sehr gerne gemocht, wahrscheinlich, weil Judith so gut wie jeden Kerl mochte, mit dem Ryan Zeit verbrachte. Sie war in ihren jungen Jahren eben sehr, sehr von gutaussehenden Jungs angetan. Und von Ryder eben ganz besonders… Vielleicht hatten sie in der Familie ja den selben Männergeschmack? Einmal statteten sie auch der Taverne einen ziemlich lustigen Besuch ab. Aaron und Dan sangen ihnen ein Ständchen, sie tranken danach noch eine Weile zu viert weiter und Ryder und Ryan erzählten davon, was sie jetzt für eine Beziehung miteinander hatten. Vor Dan und Aaron konnte das ja auch nicht wirklich peinlich sein, schließlich hatten sie ja eine ganz ähnliche, noch viel verwerflichere Beziehung! „Glückwunsch, Rotkäppchen“, war Aarons Kommentar gewesen, gefolgt von einem breiten Grinsen. „Vielleicht musst du ja jetzt…“ „… nicht mehr ständig an den Wolf denken“, vollendete Dan seinen Satz. „Keine Sorge – an mir hat er genug Wölfisches.“ Ryder war offensichtlich schon ziemlich angetrunken gewesen, sonst wäre ihm so ein dümmlicher Kommentar kaum eingefallen. „Aber sowas von“, hatte Ryan grinsend erwidert. Sie hatten sich schnell umgeschaut, bevor Ryan sich rüber gebeugt und Ryder einen sehr wölfischen Kuss auf die Wange gegeben hatte. „Awwww!“, hatten Dan und Aaron gleichzeitig gesagt. „Das ist…“ – „… echt süß!“ Diesmal hatte Aaron den Satz vollendet, wobei sich die zwei Brüder auch gleich einen verliebten Blick zuwarfen. Ryan hatte das zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr komisch gefunden, ganz im Gegenteil, er hatte es Aaron und Dan unglaublich gegönnt. Auch wenn er insgeheim gehofft hatte, dass er niemals den Satz von Ryder vollenden würde. Heute jedenfalls hatte Ryan wieder vorgehabt, seine Großmutter zu besuchen. Ursprünglich alleine, aber er konnte ja auch nicht nein zu Ryder sagen! Und wenn sowohl Ryan als auch Ryder in den Wald gingen, wollte Joody sich natürlich anhängen. Dazu kam natürlich auch noch ein Korb voller Essen und Wein, wie er ihn eben immer für seine Großmutter hatte. Im Endeffekt gingen sie also zu dritt durch den Wald, wobei Judith wie immer an Ryder klebte. So sehr, dass sie sich auch gar nicht daran störte, dass Ryan seine eine Hand mit dem anderen Jungen verschränkte. Aber hey, was Aaron und Dan konnten, konnten sie ja schon lange, oder? An Ryders anderer Hand hängte Judith, aber Ryan störte sich da gar nicht groß dran. Judith erzählte Ryder die meiste Zeit irgendwelche unwichtigen Dinge, bei denen Ryder so tun müsste, als fände er sie unheimlich interessant. Ryan selber machte sich gar nicht erst die Mühe, überhaupt zuzuhören, weil seine Gedanken schon längst bei seiner Großmutter hingen. Hoffentlich würde sie heute nicht so ein Drama machen! Immerhin konnte sie Ryder nicht sonderlich leiden, aber Ryan wäre es irgendwie schon wichtig, wenn seine Großmutter und Ryder sich verstehen würden. Vor allem jetzt, wo Ryan nach und nach die Leute wissen lassen wollte, was er an Ryder fand – ganz egal, ob das jetzt eine gute Idee war oder nicht. „Ryan, alles klar?“ Der Angesprochene blinzelte ein paar Mal, bevor er zu dem älteren Jungen neben sich schaute. „Klar“, erwiderte er. „Alles gut…“ Ryder runzelte seine Stirn, bevor er ihre Hände voneinander löste. Stattdessen legte er einen Arm um Ryans Hüfte und zog ihn an sich ran, was diesem einen zarten Rotschimmer auf die Wangen zauberte. „Ganz sicher?“, fragte Ryder nochmal leiser nach. „Mhm.“ Jetzt erst recht. Ryan legte seinen Arm ebenfalls um Ryders Hüfte, auch wenn sich das vor Judith nicht unbedingt richtig anfühlte. Judith fragte aber erst gar nicht nach, nein, sie beachtete es eigentlich nicht mal groß. Klar, Ryan hatte auch nie an die alleinige Möglichkeit gedacht, dass zwei Jungs überhaupt dazu in der Lage wären, solche Gefühle füreinander zu empfinden… „Du schaust aber nicht so aus“, erwiderte Ryder. „An was denkst du?“ Das Rotkäppchen drehte seinen Kopf ein wenig, bevor er die Stirn runzelte. „Echt nichts. Aber süß, dass du dir so viel Gedanken machst…“ Ryder lächelte auf diese Aussage hin kurz. „Immer doch“, versprach er. Ryan lächelte ihm zu, bevor Judith wieder das Wort ergriff und weiter davon erzählte, wie eine ihrer besten Freundinnen sich total in einen Jungen verliebt hatte, der unglaublich ungehobelt war. Als sie schließlich in die Nähe der Hütte kamen, löste Ryan sich von Ryder. Stattdessen ging er ein bisschen vor, um an die Tür seiner Großmutter zu klopfen. „Grandma? Ich bin’s“, rief er durch die neue, dichte Holztür hindurch. Seine Großmutter öffnete die Tür wieder erstmal nur mit Kette, sah nur ihn und öffnete daraufhin auch schon die Tür ganz. „Hallo, Ryan!“, grüßte sie ihn grinsend. „Du kommst gerade richtig! Ich hab Kekse – “ Ihr Blick wanderte von Ryan zu Ryder. „Oh.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Hallo, Grandmaaaa!“, grüßte Joody sie, löste sich jetzt endlich auch mal von Ryder und umarmte ihre Großmutter dann auch schon. „Auch hallo, Kleines“, erwiderte die ältere Frau gackernd, bevor sie ihr über den Kopf streichelte. „Guten Mittag…“, grüßte schließlich auch Ryder, woraufhin die kleine Frau ihn nur wieder abschätzig anschaute. „Hallo“, erwiderte sie trocken. Und dann wieder in Richtung ihrer Enkelkinder: „Kommt doch rein!“ Sie öffnete die Tür ganz und verschwand in der Hütte. Judith folgte ihr, während Ryder neben Ryan trat. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mitzukommen“, flüsterte er ihm zu. „Wenn du willst, kann ich auch wieder zurückgehen. Wir können uns ja heute Abend treffen…“ „Nein.“ Ryan hatte keine Lust, dass er nur wegen seiner Großmutter weniger Zeit mit seinem quasi-Seelenverwandten verbringen konnte! Deshalb drückte er doch nochmal kurz Ryders Hand, gefolgt von einem Lächeln. „Das wird schon…“ Ryder erwiderte das Lächeln und nickte langsam. „Wenn du das sagst.“ – Natürlich wurde es absolut nichts. Im Verlaufe der nächsten Minuten ließ Ryans Großmutter immer wieder abschätzige Kommentare fallen, die Ryder aber ziemlich gut einsteckte. Ryan war immer wieder positiv überrascht, wie stoisch sein bester Freund sich darüber verhielt – aber wahrscheinlich strengte er sich auch nur wegen Ryan so an. Richtig schlimm wurde es aber erst, als ihre Großmutter vorschlug, was sie zum Abendessen machen konnten. Zuerst war der Vorschlag ganz normal, Pilze mit Gemüse und einer von ihr selbstgemachten Soße… aber dabei konnte sie es natürlich nicht belassen. Sie schaute einmal in die Runde, um Zustimmung für ihren Vorschlag zu finden, ließ ihren Blick aber schließlich an Ryder hängen. „Und für dich Hundekuchen?“, schlug sie vor. „Oder willst du dir dein Essen lieber selber reißen?“ Stille kehrte in die Hütte ein. Judith sagte nichts, weil sie verwirrt war; und Ryan und Ryder waren schlichtweg zu geschockt. „Wieso schaust du denn so, Jüngelchen?“ Sie schnaubte. „Meintest du, es ist nicht offensichtlich genug? Ich wusste ja schon immer, dass du unreine Gedanken mit meinem Enkel hast… aber ich dachte, er wäre klug genug, das richtig einschätzen zu können. Aber jetzt schon seine Freunde anzugreifen? Das ging eindeutig zu weit.“ „Großmutter…“, versuchte Ryan einzulenken. „Misch dich da nicht ein.“ Sie blitzte ihn kurz an, bevor sie wieder zu Ryder schaute. „Und? Willst du es bestreiten?“ Ryders blick huschte für einen Moment panisch zu Judith. „Nein, Ma’am“, sagte er schließlich mit zittriger Stimme. „Aber ich habe niemanden was getan…“ „Dann hast du keine unreinen Gedanke mit meinem Enkel gehabt?“ Jetzt schaute Ryder panisch zu Ryan. Der glaubte sogar zu spüren, wie das Herz seines besten Freundes klopfte, aber er wusste nicht, was er tun sollte – er war selber wie gelähmt. „Und du warst nicht eifersüchtig auf seine Verlobungen, ja?“ Ryders Atem flachte ab. „Ich…“ „Eifersucht ist ein starker Auslöser.“ Ryans Großmutter schnaubte abermals. Sie richtete ihren Blick auf ihren Enkel, ihre Stirn gerunzelt. „Was hat er dir erzählt? Dass er es nicht war? Dass er unschuldig ist? Oh, ich dachte du wärst klüger, Ryan…“ Sie schüttelte mit einem abwertenden ‚ts, ts, ts‘ ihren Kopf. „Ma’am, ich bin mir sicher…“, fing Ryder aber trotzdem wieder an. „Dass du der Wolf bist?“ Sie grunzte. „Ja, das mag ich dir wohl glauben. Du hast schon immer so nach Hundefell gestunken.“ Wieder sagte niemand etwas. Ryder, der mittlerweile fassungslos auf einem der Stühle Platz genommen hatte, wirkte komplett zerstört – und Ryan sah wahrscheinlich nicht besser aus. „Was?“, war alles, was Judith dazu sagte, aber niemand beachtete sie groß. Ryans Großmutter handelte schneller, als Ryan es für möglich gehalten hätte. Innerhalb weniger Sekunden schnappte sie sich ein Messer von den Tresen und drückte einen ihrer Gehstöcke an Ryders Hals. „Ist es nicht so?“, fauchte sie. Ryder sagte wieder nichts, aber natürlich brauchte die Frau auch gar keine Bestätigung mehr. Sie schnitt einmal mit dem Messer über die Seite von Ryders Hals – und als es dampfte und Ryder ein grauenvolles Grollen ausstieß, schaute ihre Großmutter zu Judith. „Siehst du das?“, fragte sie, bevor sie zu Ryan schaute. „Wie konntest du so ein Monster nur in die Nähe deiner Schwester lassen?“ Ryans Handflächen wurden schwitzig. Er…. Er wusste ja, dass es nicht richtig gewesen war, dass Ryder nicht gut war – aber er hatte ihm doch so sehr vertrauen wollen! „Zum Glück bin ich nicht so schwach.“, redete sie weiter. Ryder reagierte immer noch nicht richtig, als diese alte, unscheinbare Frau mit dem Messer ausholte. Sie schien ihm die Luft abzuschnüren und Gott, sie würde gleich zustechen, sie würde Ryder töten… Ryans Körper reagierte schneller, als sein Verstand die Situation eigentlich verarbeitet hatte. Mit voller Körperwucht stieß er seine Großmutter von Ryder herunter, bevor er dem Jungen auf die Beine half. „Ryan!“ Seine Großmutter rappelte sich schnell wieder auf. Sie stellte sich zwischen Ryan und die Tür, das Messer in der Hand. „Wieso verteidigst du ihn? Hast du nicht gelesen, was ich dir gegeben habe? Er ist ein Monster, er manipuliert dich!“ Ryan schluckte schwer. „Großmutter, geh uns aus dem Weg“, kommandierte er mit überraschend fester Stimme. „Du wirst Ryder kein Haar krümmen. Er ist kein Monster!“ „Natürlich ist er das! Sieh doch seine Zähne an!“ Ryan schaute rüber zu Ryder. Ja, natürlich, seine Zähne hatten sich noch nicht zurück gebildet, aber… nein – nein, Ryder war kein Monster. „Lass uns durch“, sagte er also nochmal, seine Stimme immer noch fest. Seine Großmutter schüttelte ihren Kopf abwertend. „Versuch doch an mir vorbei zu kommen, Bestie.“ Das ging zwar (offensichtlich) an Ryder, aber das war Ryan egal. Er ging zu seiner Großmutter – sollte sie ihn doch angreifen! – und baute sich vor ihr auf. „Willst du dich wirklich nochmal gegen deine Großmutter stellen?“ Sie verengte ihre Augen, als sie zu ihm aufschaute. „Ich will nicht. Aber wenn du Ryder nicht gehen lässt…“ „Ryan, ich – das ist schon gut…“ Ryder kam jetzt doch von hinten, um eine Hand auf Ryans Schulter zu legen. Aber wie konnte er finden, dass hier an dieser Situation auch nur irgendwas gut fand?! Nichts war gut! Das war grausam! Seine Großmutter war grausam ungerecht zu Ryder! „Ich sag es noch ein letztes Mal“, warnte Ryan also. „Geh jetzt aus dem Weg oder ich werde dich dazu zwingen müssen!“ Seine Großmutter knirschte mit den Zähnen, aber sie ging tatsächlich aus dem Weg. „Du machst einen riesigen Fehler, Ryan“, sagte sie. „Er war es. Auch wenn er sagt, er erinnert sich nicht, er war es. Wölfe haben sich nie unter Kontrolle!“ Aber Ryan hörte ihr gar nicht mehr zu. Er öffnete die Tür und stellte sich zwischen Ryder und seine Großmutter, damit die gar nicht auf falsche Gedanken kommen würde. Ihn würde sie sicher nicht angreifen. „Geh raus, Ryder… und du auch, Joody.“ Ryan behielt seine Großmutter im Blick, bis die Zwei auch verschwunden waren. Seine Großmutter schnaubte, kam dann am Ende aber doch nochmal näher. „Wenn du jemals zu Verstand kommen solltest“, sagte sie, „Dann nimm wenigstens das hier.“ Sie drückte ihm den Dolch in die Hand. Ryan starrte den Dolch ein paar Sekunden fassungslos an, legte ihn dann aber weg. „Tschüss, Großmutter“, sagte er, bevor er die kleine Hütte verließ. Er könnte Ryder nicht umbringen. Niemals. Sie legten ihren Heimweg rennend zurück. Erst, nachdem sie eine sichere Distanz erreicht hatten (auch wenn Ryan sowieso bezweifelte, dass seine Großmutter ihnen folgte) wurden sie ein wenig langsamer. „Joody“, wies Ryan seine kleine Schwester dann noch an, „Du darfst niemals jemanden sagen, was da drinnen passiert ist. Okay? Vor allem nicht, was du bei Ryder gesehen hast.“ Seine Schwester drückte ihre Lippen zusammen, nickte aber. „Großmutter wird Ryder doch nichts tun?“, fragte sie leise. „Natürlich nicht.“ Ryan glaubte da zwar selber nicht hundertprozentig dran, aber wenigstens seiner kleinen Schwester konnte er das ja wohl erzählen. „Okay.“, erwiderte sie nur – und klang überhaupt nicht so, als ob sie ihm auch nur im Entferntesten glauben würde. Auch von Ryder erntete Ryan einen skeptischen Blick, den Judith nicht sehen konnte. Aber was sollte Ryan denn dagegen tun? Kaum, dass sie Judith bei sich daheim abgesetzt hatten und zu Ryder gegangen waren, fing Ryder auch schon an, zu reden. „Ich muss weg gehen“, waren seine erste Worte. Ryan hatte sowas schon erwartet, aber… „Meine Großmutter wird es niemanden sagen“, versicherte Ryan. „Sie war das letzte Mal vor einer halben Ewigkeit im Dorf, da kann ich mich nicht mal dran erinnern. Ich bin mir sicher, dass nichts passieren wird…“ „Ryan – ich wünschte, das wäre die Wahrheit.“ Er warf ihm noch ein verzweifeltes Lächeln zu, aber dann ging er auch schon los in die Richtung seines Zimmers. Ryan folgte ihm, noch während Ryder redete. „Sie wird es irgendwem sagen, oder Judith wird es irgendwem sagen. Sie werden mich ergreifen und sie werden mich töten und – wahrscheinlich haben sie alles recht dazu. Ich bin schließlich ein Monster…“ „Du bist kein Monster!“ Wieso glaubte Ryder das denn jetzt schon selber?! „Nur weil dich irgendein Viech gebissen hat bist du noch lange kein Monster, Ryder, okay!? Du kannst nichts dafür. Du hast dich unter Kontrolle!“ „Ich kann mich nicht an alles erinnern“, erwiderte sein bester Freund. „Okay? Es kann sein, dass ich deine Verlobten umgebracht hab. Ich war eifersüchtig, Ryan, ich war verdammt eifersüchtig, aber ich hab dir das Glück auch gegönnt… aber was, wenn das der Wolf in mir nicht getan hat?!“ Ryan wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Wenn jetzt sogar Ryder glaubte, dass er es gewesen war – dann gab es wirklich nichts mehr, was Ryan an seine Unschuld glauben ließ. Aber er würde es so gerne glauben können, er wäre so gerne glücklich mit Ryder… „Ich gehe mit dir.“ Die Worte verließen ihn schneller, als er darüber überhaupt nachgedacht hatte. „Ich lass dich nicht alleine weg gehen“, wiederholte er nochmal, fester. „Wenn dann verlasse ich das Dorf mit dir.“ Ein paar Momente lang hielt Ryder in der Bewegung inne – aber dann drehte er sich doch zu ihm, überwand die kurze Distanz und legte seine Hände an Ryans Gesicht, um ihm einen Kuss zu geben. „Ich liebe dich so sehr, Ryan“, flüsterte er. „Ich liebe dich auch…“ – Und auch, wenn Ryan das jetzt das erste Mal sagte, wusste er, dass es stimmte. Ryder fuhr mit seinem Daumen nochmal über Ryans Wange, bevor er sich wieder löste. „Wir dürfen nur das Nötigste mitnehmen. Du hast doch sowieso nicht so viel, oder? Und vielleicht zwei Schwerter, um uns zu verteidigen…“ „Ryder, warte mal.“ Ryan ging zu Ryder rüber, der schon voller Tatendrang sein Zeug aufs Bett schmiss. „Vielleicht sollten wir wenigstens nochmal kurz darüber nachdenken…“ „Wir sollten keine Zeit verlieren, Ryan.“ Er schaute kurz über seine Schulter. „Was gibt es da zu überlegen?“ „Vielleicht sollte ich nochmal mit meiner Großmutter reden.“ Als Ryder wieder ganz ungehemmt Sachen auf sein Bett schmiss, packte Ryan ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich um, damit er ihm auch mal wirklich zuhörte. „Ryder – du hast auch mich überzeugt, okay? Gib mir wenigstens die Möglichkeit, zu versuchen, meine Großmutter zu überzeugen. In aller Ruhe.“ „Ich glaub nicht, dass du jetzt nochmal ruhig mit ihr reden kannst…“ „Dann eben nicht jetzt, sondern morgen! Aber gib mir wenigstens noch die Möglichkeit, bevor wir Hals über Kopf abhauen, okay? Sie wird heute nichts mehr machen, es ist schon dunkel, sie wäre wahnsinnig jetzt noch durch den Wald zu gehen…“ Ryder schaute ein paar Momente noch zweifelnd zu ihm, ließ dann aber seine Schultern hängen. „Okay…“, murmelte er. „Aber wenn es nicht klappt, verschwinden wir, ja?“ „Versprochen.“ Ryan atmete erleichtert auf. „Aber heute beruhigst du dich erstmal.“ Ryders Mundwinkel zuckten kurz nach oben, gefolgt von einem Nicken. „Okay…“ Er rieb sich über den Nacken. „Wollen wir dann schlafen gehen? Auch wenn ich nicht glaub, dass ich schlafen kann, aber ich will…“ „Mit mir kuscheln?“ Ryan grinste. „Verdammt gerne.“ „Mhm.“ Ryder lächelte nochmal, schob dann aber das Zeug auf seinem Bett zur Seite und zog ihn zu sich. Ryan ließ sich nur allzu gerne aufs Bett ziehen; genauso wie er sich allzu gerne in Ryders Arme ziehen ließ. Ah, es fühlte sich einfach sooo gut und so schön ablenkend an! Aber dann ging Ryder noch ein bisschen weiter. Er drückte seine Lippen auf Ryans, erstmal ganz, ganz sanft. Ryan erwiderte den Kuss, während er seine Arme um Ryder legte und ihn an sich drückte. Es fühlte sich gut an, so nahe am Körper von dem anderen Jungen zu liegen und irgendwie machte es den Kuss noch ein wenig intensiver. Noch intensiver machte den Kuss allerdings, als Ryder anfing, seinen Mund leicht gegen Ryans zu bewegen. Dadurch öffnete sich Ryans Mund, schließlich weit genug, dass Ryders Zunge gegen seine stupste. Das hatten sie bisher nicht oft gemacht, aber Ryan ließ sich gerne von seinem besten Freund leiten. Zwar hatte der bisher noch viel weniger Erfahrung als Ryan, immerhin war er nie verlobt gewesen, aber trotzdem schien er genau zu wissen, was Ryan gefiel. Und ja, es gefiel ihm gerade wirklich gut, wie Ryder seinen Körper gegen seinen rieb, wie er es durch seine Berührungen schaffte, dass Ryans ganzer Körper sich heiß anfühlte. Er mochte es auch, wie die sonst so sanften Hände von Ryder ihn fast schon ein wenig grob enger drückten, wie er durch seine Haare fuhr und dadurch ein ganz leichtes Ziehen verursachte… Ryan wollte nicht, dass er damit wieder aufhörte. Aber schließlich tat er es doch, jedenfalls für wenige Sekunden, indem er mitten in den Kuss herein redete. „Ryan…“, brachte er hervor, küsste ihn nochmal – löste sich dann aber doch ein wenig mehr, damit er ihn sehen konnte. „Ryan, ich weiß nicht, ob wir noch viel Zeit füreinander haben…“ Ryans Hände krallten sich automatisch in das Hemd von Ryder. „Sag sowas nicht…“ „Aber wir haben ganz sicher diese Nacht, egal, was passiert. Und vielleicht werden wir auch lange nicht mehr so eine private, gemütliche Liegemöglichkeit haben…“ Ryan konnte sehen, wie der Adamsapfel des Schmiede-Lehrlings leicht hüpfte. „Und, Ryan, ich will dich wirklich nicht überfordern oder sonst was, aber denkst du wir könnten… heute Nacht…“ Ryan zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen. „Was?“ Ryder nahm einen tiefen Atemzug. „Miteinander schlafen?“ Okaaay? Äh… „Was?“ Und vor allem: „Wie?“ Ryder blinzelte ein paar Mal verblüfft. „Kannst du dir nicht vorstellen, wie?“ „Uh…“ Nein, wenn er ehrlich war nicht. Aber jetzt kam es ihm irgendwie blöd vor, dass er da bisher noch gar nicht richtig drüber nachgedacht hatte. „Wenn du willst, dann – dann kann ich dir das zeigen, okay?“ ‚Aber wir sind doch nicht verheiratet!‘ – Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber er sprach sie nicht aus. Ryder und er waren noch so viel mehr nicht, was eine Voraussetzung für das konforme, normale miteinander schlafen wäre, also wen kümmerte es? Und wenn es helfen würde, diesen unbändigen Druck in seiner Hose zu verarbeiten, und das auch noch auf eine wahrscheinlich unheimlich schöne Art und Weise, dann war Ryan mehr als bereit das zu tun. „Okay.“, erwiderte er also am Ende schließlich nur, vielleicht auch ein wenig zögerlich. Er mochte zwar den Gedanken daran nicht, dass Ryder dachte das hier wäre ihre womöglich letzte wirkliche Möglichkeit dazu, aber er wollte es trotzdem. Also warum nicht? „Sicher?“ Ryders Wangen waren vor Aufregung schon ganz rot. „Sicher!“ Ryan lächelte nochmal kurz. Ryder überwand wieder die Distanz zwischen ihnen, um ihn kurz zu küssen. „Dann… müssen wir uns zuerst ausziehen. Ganz.“ Ja, das machte wirklich Sinn. Ryan wollte gerade nach seinem Umhang griffen, doch Ryders Hände waren ihm voraus und lösten den Konten genauso schnell und geschickt, wie Ryans Hände das getan hätte. „Kann ich dich ausziehen?“, fragte Ryder leise. „Das wollte ich schon immer machen.“ Ryan fühlte sein Herz pochen, aber er nickte schnell. Mit großen Augen sah er Ryders Händen dabei zu, wie sie erst unter den roten Mantel schlüpften und schließlich so sanft über seine Schulter fuhren, um den Mantel darüber zu ziehen. Das klappte aber nur an einer Seite wirklich gut, sodass Ryan und Ryder sich schließlich im Bett aufsetzen mussten, bevor Ryder weiter machen konnte. Den Mantel faltete Ryder schließlich sorgsam zusammen, bevor er ihn über die Bettkante legte – und sich anschließend vorbeugte, um Ryans Hals zu küssen. „Ich glaube, ich hab dir zu selten gesagt, wie unglaublich gut du aussiehst“, murmelte Ryder gegen Ryans Hals, während seine Hände an dessen Seiten herab wanderten und sich unter den Stoff des Hemdes schlichen. So eine Aussage hörte Ryan nicht zum ersten Mal, immerhin hatte es schon einen Grund, wieso er so viele Verlobte gehabt hatte. Aber das von Ryder zu hören bedeutete ihm viel mehr, aus irgendeinem Grund heraus. Genauso wie sich sicher noch nie Lippen so gut angefühlte hatten, die einfach nur seinen Hals küssten… Ryders Hände fuhren an Ryans nackter Seite entlang, unter dem Hemd. Sie wanderten zu seinem Rücken, den Ryan alleine wegen dieser Berührung und vor Erregung leicht durch drückte. Ryder hinderte das aber nicht daran, seine Handflächen nach oben wandern zu lassen, wobei seine Fingerspitzen über Ryans Wirbelsäule strichen. Schließlich waren Ryders Hände so weit oben, dass Ryan seine Arme nur noch leicht hoch nehmen musste, damit er ihm das Hemd über den Kopf ziehen konnte. Das machte er auch, küsste aber gleich wieder seinen Hals, nachdem er auch das Hemd über die Bettkante gelegt hatte. „Deine Lippen sind so…“ – Ryan vollendete den Satz nicht, weil sein Vokabular nicht umfangreich genug war um zu beschreiben, wie sich Ryders Lippen anfühlten. Ryder sagte dazu auch nichts, sondern fuhr mit seinen Händen stattdessen wieder an Ryans Körper herab. Ryan wollte noch was sagen, aber plötzlich wurde er in einem Ruck wieder zurück aufs Bett gelegt. Ryder beugte sich über ihn; und als er ihm in die Augen schaute, meinte Ryan etwas Animalisches darin aufblitzen zu sehen. Fast schon sowas wie… Hunger? Unter Ryders Lippen wölbten sich auch langsam Reißzähne. Ryan würde ja gerne sagen, dass er Angst davor hatte, aber leider war genau das Gegenteil der Fall. Ryder schaute ihm auch nicht lange in die Augen. Stattdessen rutschte er ein wenig herunter, sodass er Ryan in einem Ruck seine Hose und Unterhose herunterziehen konnte. Nicht mal mehr annähernd so sanft wie eben noch am Mantel, sogar rasch genug, dass seine Fingernägel kurz über Ryans Hüfte kratzten. Er zog weiter, zog auch gleich die Schuhe und Socken mit und schmiss dann alles auf die Seite, anstatt es sorgsam zu den anderen Sachen zu legen. Es wunderte Ryan selbst nicht, dass er schon komplett erregt war. Bevor Ryder sich aber tatsächlich damit befasste, zog er sich selber aus. Und er riss sich tatsächlich fast die Klamotten vom Leib; sein Shirt zog er unglaublich schnell über den Kopf, bevor er sich aus seiner Hose kämpfte und abstrampelte, noch während er sich wieder zurück auf Ryan legte, um seinen Hals zu küssen. Aber nicht nur seinen Hals, er küsste auch sein Schlüsselbein, seine Schulter – und während er das tat, drückten sich auch zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Erregungen gegeneinander. Ryder, dessen Größe Ryan ja schon immer irgendwie monströs gefunden hatte, fühlte sich warm und – und einfach unglaublich an ihm an. Aber auch sein restlicher Körper war eine richtig sinnliche Erfahrung! Wie heiß er war, wie sich ihre Oberkörper gegeneinander rieben, wie Ryders Beine sich irgendwie mit seinen verhakten… Ryan merkte, wie ihm ein leichtes Keuchen entfuhr, das Ryder kurz darauf begierig mit seinen Lippen auffing. Während er das tat, drückte er auch rhythmisch seine Hüfte gegen Ryans, was immer wieder eine Welle der Erregung durch Ryan jagte. „Du musst… selber“, keuchte Ryder schließlich irgendwann. „Meine Finger…“ Er fuhr mit seiner Hand nach oben und hielt sie kurz hoch. Ryan konnte sehen, wie schon leichte Krallen daraus wuchsen. „Ich hab sie nicht ganz unter Kontrolle und… ich will dir nich‘ weh tun…“ „Was muss ich tun?“ Was auch immer er tun musste, er wollte es jetzt und schnell und sofort haben! Ryder lächelte kurz, bevor er linkisch nach Ryans Hand griff. „Deine Finger…“ Er zögerte, bevor er seine Lippen um drei von Ryans Finger legte. Er fuhr mit seiner Zunge darum, befeuchtete sie, saugte ein wenig daran – kurzum, er machte Ryan nur noch viel erregter als schon davor und das nur, indem er an seinen Fingern saugte. Wenn Ryan sich vorstellte, dass da anstatt seinen Fingern etwas anderes wäre… Ryan spürte sogar, ganz selten spitze Reißzähne seine Finger streiften, aber niemals schnitten. Irgendwann hörte Ryder dann aber auch damit auf und rutschte zu allem Überfluss auch noch ein wenig von Ryan runter. „Du musst mit deinen Fingern…“ Ryder setzte sich zwischen Ryans Beinen auf und schob sie ein wenig auseinander, was der willentlich mit sich machen ließ. „Hier…“ Ryder rieb seine Finger flach gegen Ryans sensible Stelle, dessen Zehen sich allein durch die Berührung schon zur Fußsohle krümmten. „Klar…“ Ryan atmete nochmal tief durch, bevor er mit seinen befeuchteten Fingern zwischen seine Beine griff. „Fang mit einem Finger an“, riet Ryder ihm, woraufhin Ryan nur auf seine Unterlippe biss. Die Vorstellung war immer noch komisch, aber jetzt gab es kein zurück mehr! Also drückte er mit seinem einen Finger leicht in sich selbst. Funktionierte sogar überraschend gut, so, dass er schließlich sogar in sich war. Es war ein… ein echt komisches Gefühl, das er nicht wirklich erregend, aber auch nicht schmerzhaft finden konnte. Einfach nur… komisch, eben. „Du gewöhnst dich daran“, versicherte Ryder. „Nimm… noch einen Finger dazu.“ Ryan nickte, bevor er einen zweiten Finger in sich drückte; was dann schon ein bisschen schwerer war, aber er schaffte es. „Beweg sie… ein bisschen raus und dann wieder rein“, wies Ryder ihm jetzt an, was Ryan langsam befolgte. Fühlte sich dadurch nicht besser an, aber er gewöhnte sich tatsächlich langsam daran… irgendwie. „Und noch den dritten…“ – Klar, gut. Ryan nahm noch einen dritten Finger dazu, was jetzt doch relativ schwer war. Er atmete ein paar Mal zittrig ein und aus, aber schließlich war auch der Finger in ihm. Es fühlte sich langsam aber sicher doch irgendwie gut an, je länger er seine Finger raus und rein bewegte – aber leider viel zu langsam. Er wollte Ryder wieder an sich spüren, wie sich sein nackter Körper gegen seinen rieb und vor allem wollte er jetzt endlich ausprobieren, wie es sich mit Ryder anfühlte! Also hörte er auch schließlich auf mit seinen Fingern. „Ich glaub wir können jetzt richtig anfangen“, sagte er leise. Ryder schien nur auf dieses Stichwort gewartet zu haben. Ohne zu Zögern spuckte er in seine Handfläche, bevor er den Speichel auf seiner Länge verrieb und dabei wieder zu Ryan aufschaute – wieder mit diesem Hunger in den Augen. „Sicher?“, fragte er. Aber seine Stimme klang so erregt, dass Ryan bezweifelte, dass er es lange aushalten würde, wenn Ryan jetzt ‚Nein‘ sagen würde. „Mhm“, gab er also zurück, bevor er seine Finger doch ganz aus sich nahm. Ryder leckte sich über die Oberlippe, während ihm ein ganz leichtes, unterschwelliges Knurren entfuhr. Er spuckte nochmal auf seine Hand und verrieb den Speichel nochmal – „nur zur Sicherheit…“, wie er betonte – bevor er anschließend wieder seine Hände an Ryans Hüfte legte. Die eine Handfläche war zwar noch feucht, aber das störte ihn gar nicht. Ryder zog ihn wieder mühelos näher und auch ein bisschen nach oben, so, dass Ryans Hüfte jetzt ein wenig auf Ryders Beinen lag; gerade weit genug oben, dass Ryder seine Eichel an Ryans sensibler Stelle ansetzen konnte. Ryan schluckte, um seine trockene Kehle irgendwie zu befeuchten. Ryder hatte ja wirklich diese monströse Größe und wenn sich schon ein paar Finger so eng angefühlt hatten… aber er versuchte nicht darüber nachzudenken, denn andererseits war der Gedanke Ryder gleich in sich zu haben auch furchtbar erregend für ihn. Ryder schien es auch nicht mehr aushalten zu können, denn er wartete gar nicht noch ein Signal von Ryan ab. Stattdessen drückte er seine Hüfte nach vorne und zog Ryan dabei noch enger, wobei er dafür ganz offensichtlich alle Willenskraft benötigte, um nicht gleich komplett in Ryan zu stoßen. Sobald Ryder angefangen hatte, in ihn einzudringen, fühlte Ryan wie sich sein ganzer Körper anspannte. Gott, er war so… dick – und er war ja noch nicht mal annähernd drinnen! Ryan drückte seinen Kopf ins Kissen, kniff seine Augen zusammen und atmete tief ein und aus, während Ryder tiefer in ihn eindrang. „B-bist du schon ganz drinnen?“, fragte Ryan irgendwann. Die Frage klang blöd, aber er hoffte, dass es so war. „Das… war ungefähr die Hälfte…“ Ryan stöhnte, halb aus Erregung, halb aus Schmerz. Ah, wie sollte er das aushalten!? Es ging so quälend langsam voran und er hatte noch so viel vor sich - Aber dann überraschte Ryder ihn doch nochmal. Offensichtlich ging ihm die Geduld aus, denn die letzte Hälfte rammte er doch in einem mal rein, während er Ryans Hüfte enger zog. Ein überraschter Aufschrei entfuhr Ryan, indem aber auch abermals Erregung mitspielte. „Fuck!“, stieß er dann aus, auch wenn er normalerweise doch so vorsichtig mit Schimpfwörtern war. „Heilige verfickte Scheiße, Alter, bist du groß! Fuuuck!“ Ryder schaute verblüfft zu ihm, offensichtlich, weil er noch nie so viele Schimpfwörter von Ryan auf einmal gehört hatte. Seine Mimik klärte sich aber gleich wieder, bis schließlich sogar ein schiefes Grinsen darauf auftauchte. „Tut mir Leid…“ „Nein – nein, das ist verfickt geil. Gib mir nur ‘n paar Sekunden.“ Denn diese paar Sekunden hatte Ryan jetzt bitter nötig, um sich an diese Länge und Dicke in ihm zu gewöhnen. Aber andererseits fühlte es sich auch echt gar nicht so schlimm an, wie er sich das jetzt vorgestellt hatte und der Schmerz war eigentlich doch ziemlich nebensächlich. „Jetzt“, sagte er schließlich wieder. Ryder reagierte sofort; er löste sich wieder ein wenig aus Ryan, wobei er auch wieder seine Hüfte locker ließ – bevor er wieder zustieß und ihn auch an der Hüfte wieder zurückzog. Das wiederholte er diesmal ziemlich schnell, sodass in wenigen Momenten ein Rhythmus entstand, in dem Ryan sich immer mehr daran gewöhnte. Fast bei jedem Stoß entfuhr ihm ein Stöhnen. Und schließlich erwischte Ryder eine Stelle – keine Ahnung, was er machte, aber es tanzten sofort Sternchen vor Ryans Augen und er stöhnte wieder, diesmal nur echt laut. „Nochmal, mach das – nochmal“, bettelte er förmlich und Ryder gab sich Mühe, den Punkt wieder zu finden. Und natürlich schaffte er es auch, immer und immer wieder, bis die Stelle und Ryans ganzer Körper sich schon unglaublich gut und wund zugleich anfühlten… Irgendwann stoppte Ryder aber doch. Aber nicht lange: er bewegte sich nur ein wenig unter Ryan, schob die Hüfte ein wenig runter von sich und beugte sich selbst vor, so, dass er jetzt in einem ganz anderen Winkel in Ryan eindrang. Das machte er dann auch gleich wieder, aber nicht, ohne dabei seine Lippen dabei hungrig auf Ryans zu drücken. Ryan schlang seine Arme sofort um Ryder, während der in der neuen Position jetzt noch viel, viel besser zu dieser einen Stelle kam. Der Kuss war dementsprechend schludrig, weil Ryan selber ihn immer wieder stöhnend unterbrach und weil auch Ryder öfters keuchen musste. Aber, Gott, es fühlte sich langsam so gut an, so unendlich gut, dass Ryan schon schwindlig vor lauter Lust wurde. Und dass Ryder ihn zeitgleich küsste machte es noch besser! Dabei merkte er natürlich auch, wie animalisch Ryders Züge wurden. Er grollte jetzt öfter unterschwellig in den Kuss herein, während seine Fingerspitzen, die immer noch an Ryans Hüfte lagen, zu leichten Krallen wurden und sich in Ryans Haut bohrten. Aber den störte das überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, es machte ihn sogar noch viel, viel mehr an. Langsam bahnte sich auch wieder dieses Gefühl in ihm an, dass er immer bei Ryders Massagen bekam, nur tausend Mal stärker – und ganz ohne, dass er untenrum eine Massage bekommen hätte… Bevor er aber tatsächlich zu diesem Höhepunkt kam, wurde Ryder langsamer. Ganz in Ryan eingedrungen verharrte er schließlich komplett, schwer keuchend. Er erklärte sich aber nicht, auch dann nicht, als er seine Hand von Ryans Hüfte nahm und wieder in seine Handfläche spuckte. „Wechseln“, brachte er dann schließlich nur atemlos hervor, bevor er Ryans Erregung mit seinem Speichel einrieb. Er ließ dabei keine Stelle aus und ließ sich besonders viel Zeit an der Eichel, die unter Ryders Berührungen schon vorfreudig zuckte. Auch Ryder zuckte daraufhin in ihm, Ryan spürte das. Oh, so würde er es ganz sicher nicht lange aushalten… Aber schließlich zog Ryder sich wieder aus hm raus – stieß aber im Gegensatz zu sonst nicht mehr zu, sondern zog sich wirklich ganz aus ihm raus. Sofort fühlte Ryan komisch, weil er sich jetzt untenrum irgendwie gedehnt und… leer vorkam. „Okay…“, brachte Ryan schwer atmend und viel zu spät zustande. Ryder positionierte sich neu, aber diesmal direkt über Ryan. Er griff unter sich, so, dass er Ryans Erregung weg von seinem Bauch drückte und eher aufrecht richtete; wogegen sich Ryans Körper weigerte, weil er einfach schon vollkommen hart war und nur noch eine Position haben wollte. Als Ryder seine Spitze aber direkt an seinem Hintereingang positionierte, zuckte Ryan doch schon wieder. Argh! Ein wenig gierig drückte er seine Hüfte nach oben, um den Prozess zu beschleunigen. Gleichzeitig legte Ryan automatisch seine Hände an Ryders Hüfte. Ryder schien das ziemlich zu begrüßen, denn er drückte sich ebenfalls ein wenig nach unten. „Du bist so…“, fing Ryan an, was dann aber nur in einem atemlosen Keuchen endete. „Eng“, vollendete Ryder den Satz für ihn. Er grinste kurz, bevor er sich ganz absenkte – sodass Ryan ganz in ihm war. Was schon wieder so ein verdammt geiles Gefühl war! Ryan könnte nicht sagen, was sich besser anfühlte, aber das hier war definitiv auch unglaublich gut. Aber natürlich auch nichts im Vergleich dazu, als Ryder dann seine Hüfte auch noch bewegte. Es war wahrscheinlich nicht unglaublich leicht, sich selbst aufzusetzen und Ryan dann wieder komplett eindringen zu lassen, weshalb Ryan versuchte, mit seinen eigenen Hüftbewegungen noch mehr als sowieso schon raus zu holen. Ryder stützte sich an Ryans Schultern ab und beugte sich ein wenig vor, in dem Versuch, seine Hüfte schneller zu bewegen. Jetzt stöhnte er fast so oft wie Ryan es immer noch tat, der seine eigenen Finger in Ryders Hüfte gekrallt hatte. Ryder hatte seinen Rhythmus schnell beschleunigt, auch wenn es ihn immer wieder raus zu bringen schien, wenn Ryan etwas unkontrolliert in ihm nach oben stieß. Und jetzt langsam war es auch einfach zu viel für Ryan! Eben noch hatte er sich an Ryder in ihm gewöhnt, mehr noch, er hatte gelernt dieses Gefühl zu lieben, bevor er auch nur wenige Sekunden später auch zu lieben gelernt hatte, in Ryder zu sein. Und mit allem, was Ryder jetzt tat – mit all der Bewegung – argh! Aber auch Ryder schien es nicht mehr lange auszuhalten. Um es für Ryder besser zu machen, nahm Ryan eine seiner Hände, um dasselbe zu machen, was Ryder schon seit Ewigkeiten für ihn machte: er griff sich Ryders Erregung und fing an, sie zu massieren. Rauf und runter, so wie Ryder das immer machte. Wahrscheinlich nicht mal annähernd so langsam und sinnlich, aber jetzt war auch keine Zeit mehr für langsam und sinnlich! Ryans Hand bewegte sich linkisch und schnell auf und ab, drückte immer mal wieder zu und so, wie Ryders Stöhnen sich noch verstärkte, schien das auch wirklich ein gutes Gefühl zu sein. „R-ry, ich – “ Aber Ryder brachte den Satz gar nicht mehr fertig. Ryders gesamte Länge begann in Ryans Hand zu zucken, als Ryder seinen Höhepunkt kam. Sein Erguss verteilte sich auf ganz Ryan, auch bis an seinem Kinn, aber Ryder hörte nicht auf, sich zu bewegen, genauso wenig wie Ryan aufhörte zu reiben. Aber dass Ryder sich bei jedem zucken auch einmal um ihn verengte, wie sich Ryders Enge pulsierend um Ryan drückte – das war dann doch zu viel. Ryan konnte es nicht mehr lange aushalten, stieß noch ein paar Mal hoch und kam dann auch schon selber. Er spürte, wie sein eigener, warmer Samen sich in Ryder ergoss und auch ihn selbst berührte, während Ryder nach wie vor seine Hüfte bewegte, wenn auch immer langsamer. Schließlich hörte Ryder auch wieder auf, sich zu bewegen. Stattdessen löste er wenigstens seine Hüfte ganz von Ryder, aber nur, um sich besser zu Ryan runter zu beugen und ihn zu küssen. Ryan empfing seine Lippen bereitwillig und küsste ihn atemlos zurück. Ryder ließ sich neben Ryan ins Bett fallen, zog ihn aber gleich in seine Arme. Er lachte, auch wenn man das unter dem schweren Atmen kaum hören konnte. Auch Ryan grinste zufrieden, während er den warmen Körper seines besten Freundes (und wahrscheinlich mehr, jia) an sich zog. Hätte er gewusst, dass das hier möglich war, dann hätte Ryan das schon bei der ersten Massage vorgeschlagen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag er alleine im Bett. Verwirrt und noch etwas schlaftrunken richtete er sich auf, während er mit seinen Händen die Müdigkeit aus seinen Augen rieb. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend kamen sehr schnell wieder und zauberten ihn auch ein Grinsen auf die Lippen, aber trotzdem fragte er sich auch, wo Ryder denn jetzt war. Die Frage beantwortete sich dann aber doch ziemlich schnell, als die Tür zu Ryders Zimmer aufging. „Oh… du bist wach“, stellte Ryder (der übrigens bloß in Unterwäsche war…) fest. „Schau, ich hab hier ein bisschen Brot aus eurer Bäckerei für dich… mit ein bisschen Käse.“ Er hielt einen Holzteller hoch, bevor er zu Ryan ans Bett ging und sich neben ihm setzte. Er küsste ihn auch schnell, wobei er den Holzteller neben Ryan aufs Bett legte. „Danke“, erwiderte Ryan, immer noch grinsend als er nach dem Teller griff und auch gleich anfing, das noch warme Brot zu essen. Mh, köstlich! Die einzige Beschwerde, die Ryan jetzt noch hatte war, dass sein Hintern weh tat, aber damit konnte er ehrlich gesagt gerade echt gut leben. „Kein Problem…“ Ryder fuhr mit seiner Hand nachdenklich über Ryans nacktes Knie, während der das Brot ganz gemächlich verschlang. Nachdem er alles vertilgt hatte, was auf dem Teller war, beugte er sich nochmal zu Ryder rüber, um ihn einen Kuss auf die Wange zu hauchen. „Mit dir zu leben wird das Beste, was mir je passiert ist.“ Das hier jeden Tag zu haben wäre jedenfalls ganz sicher die Erfüllung all seiner Träume. „Das kann ich nur zurückgeben…“ Ryder lächelte. „Aber bevor du das machst…“ „Ja – ja, ich sollte zu Großmutter.“ Ryan seufzte, rutschte aber vom Bett und klaubte auch schnell die Klamotten auf, von denen Ryder mittlerweile auch die Restlichen sorgsam über die Bettkante gelegt hatte. „Auch wenn ich gerade nichts dagegen hätte, sofort mit dir weg zu rennen…“ „Vielleicht müssen wir das ja auch gar nicht“, lenkte Ryder ein. „Aber dann würde ich trotzdem wollen, dass du bei mir einziehst.“ Ryan lächelte breit. „Unbedingt.“ Konnte das Leben überhaupt noch perfekter werden? Egal was heute passieren würde, er würde seine restliche Zeit des Lebens mit Ryder verbringen können. Nichts konnte das jetzt noch verhindern, wirklich gar nichts. „Packst du dann schon mal unser Zeug zusammen? Damit wir dann direkt abhauen können?“, fragte Ryan nach, als er sich gerade sein Hemd überwarf. „Aber ich weiß nicht, ob ich dich alleine gehen lassen will…“ Ryder seufzte. „Ich mein, natürlich würde deine Großmutter dir nie was tun, aber – “ „Genau. Es wird nichts passieren, Ryder, okay? Kümmer‘ du dich einfach um unser Zeug. Du kannst einfach bei uns reingehen, du weißt ja sicher, was ich alles mitnehmen will, richtig?“ Ryder nickte langsam. Natürlich wusste er es, er war immerhin sein bester Freund! Und es war zugegeben nicht ihr erstes Mal der Plan, weg zu rennen, auch wenn sie es wohl nie so ernst wie jetzt gemeint hatten. „Vielleicht sollten wir aber auch gleich gehen. Ich meine, deine Großmutter…“ „Nein, bitte. Ich muss es wenigstens versuchen.“ Ryder schien von der Tatsache wirklich nicht begeistert zu sein. Um ihn zu beruhigen, küsste Ryan ihn auch gleich nochmal, bevor er ihm ein Lächeln schenkte. „Danach können wir sofort verschwinden.“ „Ich weiß nicht…“ Ryder zuckte leicht mit seinen Schultern. „Ich hab das Gefühl, dass es nicht gut endet, wenn du jetzt noch zu deiner Großmutter gehst…“ „Dann hör mal auf mein Gefühl, denn das sagt mir, dass wir heute Abend das von letzter Nacht wiederholen werden.“ Er grinste, beugte sich nochmal vor und gab Ryder einen weiteren Kuss. „Verstanden?“ Ryder erwiderte seinen Blick. Er sah immer noch nicht 100%ig überzeugt aus, aber er nickte schließlich doch langsam. „Okay…“ „Gut. Dann bis später.“ Ryan lächelte nochmal, bevor er sich auch seinen Mantel schnappte, um seine Schultern warf und das Zimmer verließ. Es widerstrebte ihm ehrlich gesagt auch, sich jetzt überhaupt nochmal von Ryder zu trennen, aber es war ja auch nicht für lange. Er würde schließlich sehr bald zurückkommen. Ryders Eltern saßen schon am Esstisch (daher hatte Ryder das Brot also!) und schauten auf, als Ryan das Zimmer verließ. „Guten Morgen, Ryan“, grüßte sein Vater ihn. In seiner Stimme lag ein unverhohlenes Amüsement. „Hast du gut… geschlafen?“ Oh, wow. Okay, sie waren ja gestern auch nicht gerade leise gewesen. Aber… oh, das war jetzt schon ziemlich peinlich. „Mhm.“ Ryan merkte, wie er rot anlief. „Ich… muss zu meiner Großmutter. Auf Wiedersehen…“ Und dann hatte Ryan auch so schnell es ging die Hütte verlassen, bevor es noch peinlicher werden würde. Also dann – auf zu seiner Großmutter! Auf dem Weg überlegte Ryan sich schon, was er alles genau sagen würde. Er tendierte zu einer Standpauke, aber er wollte seine Großmutter auch nicht unbedingt aufregen; das wäre sicher nicht förderlich. Aber ganz nett konnte er auch nicht sein… und er wusste, dass seine Großmutter unheimlich stur sein konnte… Trotzdem hatte er sich doch ziemlich festgelegt, als er die Hütte schon fast erreicht hatte. Er würde sie für gestern schimpfen, aber er würde auch gleichzeitig auf die Tränendrüse drücken müssen, um ihr zu erklären, wie unglaublich wichtig ihm Ryder war. War er ja auch! Er musste es nur irgendwie klar machen und wie funktionierte das bei alten Menschen besser als ein bisschen zu weinen? Wahrscheinlich würde es trotzdem nicht klappen, aber den Gedanken mit Ryder weg zu rennen fand Ryan auch überhaupt nicht mehr schlimm. Ryder konnte ihn ja auch beschützen, so in seiner Wolfsgestalt, richtig? Aber zu Ende konnte er das alles dann doch nicht mehr richtig denken. Denn kaum, dass er die Hütte seiner Großmutter erreicht hatte, merkte er, dass hier irgendwas gewaltig schief lief. Die Tür der Hütte war aus ihren Angeln gerissen – was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war, wenn man bedachte, wie geschützt diese Tür war. „Großmutter?“, fragte Ryan. Seine Stimme klang panisch, das merkte er selber. Plötzlich waren all die vorwurfsvollen Gedanken wie weggewischt, als er zu dem Türrahmen rannte, sich rein stellte… und bei dem Anblick, der sich ihm bot, fast in Ohnmacht fiel. Überall war Blut. Wirklich überall, selbst auf einem vergessenen Blech voller Kekse, das auf dem Ofen stand. Aber auch auf dem Esstisch, an der Feuerstelle, auf den sorgsam aufgestellten Kräutern… und da, auf dem Boden, direkt vor dem Kamin, an der Stelle an der vor noch ein paar Monden Aaron gelegen hatte; da lag seine Großmutter. Oder eher das, was von ihr übrig geblieben war. Ihr ganzer Körper war zerfetzt, ihr Kopf davon abgetrennt. Oder eher abgerissen, wenn man sich ansah, wie viele Reste noch daran waren. Der Anblick war nicht nur unglaublich schockierend, sondern natürlich auch dementsprechend ekelerregend: Ryan schaffte es gerade noch bis vor die Tür, bis ihm das Brötchen vom Morgen wieder hochkam. Anschließend an das Erbrechen kamen Tränen. Das, was er da gerade gesehen hatte, das… konnte nur ein bestimmtes Wesen gemacht haben. Und zwar ganz sicher kein Mensch… Und natürlich, seine Großmutter war eine Bedrohung gewesen, sie hatte gestern versucht, Ryder umzubringen… und Ryder war heute Morgen nicht neben ihm aufgewacht… er hatte nicht mal gewollt, dass Ryan zu seiner Großmutter ging… Ihm wurde fast wieder schlecht. Seine Großmutter war tot und, schlimmer noch, Ryder hatte sie umgebracht. All die Euphorie, die er eben noch gespürt hatte, die Visionen vom perfekten Leben waren sofort wie weg gewischt. Er konnte nicht mit Ryder weg rennen, das hatte er nie gekonnt. Ryder war ein Mörder, seine Großmutter hatte recht gehabt. Nur weil Ryan so verdammt stur gewesen war, war sie jetzt tot. Er war schuld an dem Tod seiner eigenen Großmutter; nur, weil er Ryder hatte vertrauen wollen! Er kam sich so nutzlos vor. So nutzlos und verloren… was sollte er denn jetzt tun? Natürlich, er konnte Ryder das nicht durchgehen lassen. Er hatte ihn sowieso viel zu viel durchgehen lassen. Wenn er auch das mit seinen Verlobten gewesen war, wenn er all diese Menschen getötet hatte – und wer sonst wenn nicht er soll das gewesen sein? – dann hätte Ryan wirklich schon längst handeln müssen. Und das… das würde er jetzt tun. Er wusste zwar, dass er auch das Silbermesser aus der Hütte seiner Großmutter holen könnte, aber er wusste auch, dass er nicht nochmal dieses Massaker anschauen konnte. Wirklich alles, nur nicht das. Stattdessen versuchte er erstmal vor der Hütte, all seine Sinne zu sammeln. Er brauchte eine ganze Weile, aber schließlich schaffte er es doch, sich wieder aufzurappeln. Okay, dann musste er jetzt wohl zurückgehen und – und tun, was getan werden musste. Irgendwie. Auch wenn er nicht wusste, wie er das schaffen sollte, aber es musste jetzt passieren. Immer noch wie gelähmt trottete Ryan langsam zurück, über den Weg, der ihm jetzt ungefähr zehn Mal so lang vorkam wie normalerweise. Wahrscheinlich brauchte er auch zehn Mal so lange, aber sein ganzer Körper und all seine Gefühle fühlten sich sowieso taub an. Doch auch das änderte sich wieder, als er in die Nähe des Dorfs kam. Schon aus der Ferne waren Schreie zu hören, Schreie, die viel zu lange in Ryans Ohren widerhallten. Panische Schreie. Wie von alleine wurden Ryans Schritte schneller, bis er schließlich über den Waldboden huschte, zwischen den Bäumen hervor rannte… und dann erstmal ein paar Sekunden brauchte, um das Bild zu verarbeiten. Ja, dort mitten auf dem Platz war Ryder. Und ja, er war verwandelt; und Ryan erkannte auch sofort den Grund, wieso er noch nicht weg gerannt war. Er war umzingelt von Leuten, die ihn mit Schwertern, Fackeln und sogar Heugabeln angriffen. Ein wenig entfernt lagen zwei Leichen, von denen Ryan sich nicht sicher war, ob sie von dem wütenden Mob um Ryder kamen, oder ob es tatsächlich Ryder gewesen war. Ein paar der Hütten um Ryder standen in Flammen, aber jedenfalls das musste an der Unvorsichtigkeit der Bürger liegen. Als Ryan sich aber ein bisschen näher voran arbeitete, erkannte er, dass Ryder noch einen Grund hatte wieso er noch nicht geflohen war. Seine ganze Seite war zerfetzt und blutig. Das Fell des Wolfes war an der Seite de facto nicht mehr da, es war, als hätte jemand ihm ganz einfach den halben Körper rausgerissen. Aber wie?! Und wer?! Keine menschliche Waffe konnte ihm etwas anhaben! Selbst wenn, wie sollte ein Silbermesser so einen animalischen, riesigen Schaden anrichten? Ryder war schwach. Er kämpfte nicht, er jaulte nur dann und wann schmerzerfüllt auf. Das Bild sah im Schein der Flammen noch viel grausamer aus und Ryan merkte, wie sich sein Herz zum zweiten Mal an diesem Tag zusammenzog. Ja, er hatte selber entschlossen, Ryder zu töten, aber Ryder tatsächlich so zu sehen, zu sehen, wie der wütende Mob ihn zurichtete: es war zu viel, viel zu viel. Er musste etwas tun. Und er wusste auch so ziemlich genau, was. Ohne Rücksicht auf die spitzen Gegenstände und Fackeln schlug er sich durch die Leute durch, die sich nur schwer bewegen ließen. Ein paar versuchten ihn zurückzuhalten und ihm zuzuschreien, dass das hier kein Ort für ihn wäre, aber natürlich ignorierte er das. Weiter mittig kamen mehr Soldaten, an denen Ryan sich aber auch achtlos vorbei arbeitete. Er hatte nur ein Ziel vor Augen und wenn er das nicht mehr rechtzeitig erreichte, wäre es vielleicht zu spät. Zu spät für alle Umstehenden, aber vor allem zu spät für Ryder. Aber er schaffte es. An dem letzten, innersten Kreis kämpfte er sich noch mit einiger Mühe vorbei, bevor er in eine nähere Fläche kam. So nah traute sich doch niemand an den Wolf, hier vertrauten sie nur dem kühlen Eisen und Fackeln, die sie aber jedenfalls auf Ryans Seite wegzogen, als er so nahe ging. „Geh zurück, Rotkäppchen!“, hörte Ryan ein paar Leute grölen, gefolgt von „Er wird dich töten!“ Doch Ryan wusste, dass er das nicht tun würde. Jetzt, aus der Nähe, konnte er die Verletzung des riesigen Wolfes noch viel besser erkannte. Die Risse waren tief, viel zu tief. Da, wo die Risse noch nicht genug ausgemacht hatten, waren Schnittwunden mitten in der schon blutenden, offenen Stelle. Offensichtlich waren die inneren Organe von Ryder nicht ganz so geschützt, wenn die beschützende Haut ihm abgerissen wurde. „Ryder…“ – Es war mehr ein atemloses Wort als dass er es wirklich aussprach und es ging sowieso in dem Gejohle der Menschenmenge unter. Aber Ryders Werwolfsinne schienen es trotzdem zu hören, denn seine Ohren zuckten schwach nach oben, als er sich so halb drehte, um zu Ryan zu schauen. Seine großen, braunen Augen richteten sich auf Ryan. Er ging mittlerweile schon auf allen vieren, wahrscheinlich, weil zwei Beine seinen verletzten Körper nicht halten konnten. So war er fast sogar ein bisschen kleiner als Ryan, aber sie waren fast auf Augenhöhe; und so konnte Ryan jetzt auch seine Hand ausstrecken, um seine Hand an Ryders Gesicht zu legen, so, wie er es bei ihm so oft gemacht hatte. „Ryder…“, flüsterte Ryan nochmal. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er die Augen seines besten Freundes sah. Natürlich, er hatte die Wunden gesehen, aber nichts auf der Welt hätte ihn auf den Schmerz in Ryders Augen vorbereiten können. Wie hatten die Leute nur immer weiter machen können!? Wie hatte irgendwer es wagen können, dieser armen Kreatur weiter Schmerzen zuzufügen…? „Oh, Ryder…“ Mittlerweile hatten die Leute aufgehört, auf Ryder einzustechen, aber Ryan bemerkte das gar nicht. Er schlang seine Arme um den Wolfskopf seines besten Freundes, ungeachtet dessen großer Zähne, ungeachtet seiner furchteinflößenden Gestalt. Er schluchzte in das Fell des Wolfes, wobei seine Hände sich in das dichte Fell gruben. „E-es tut mir so Leid, Ryder“, schniefte er. „Ich hätte dich nie… n-nie alleine lassen dürfen…“ Das ganze Dorf schien verstummt zu sein. Das einzige, was man im ganzen Ort hören konnte, war das Flackern der Feuer, das schmerzerfüllte Winseln des riesigen Wolfes und das Schluchzen von dem Rotkäppchen, das um eben diesen Wolf weinte. Schließlich spürte Ryan, wie das Fell unter seinen Fingern sich zurückbildete. Er presste seine Augen zusammen, als der Wolf kleiner wurde und Ryan dementsprechend in die Knie ging, weil er ihn ganz sicher nicht loslassen wollte. Schließlich schaffte es der Wolf – oder mittlerweile eher der Mensch – seine Arme ebenfalls um Ryan zu legen, wenn auch viel schwächer als Ryan das tat. Wahrscheinlich machten die Umstehenden in dem Moment ein paar erschrockene Geräusche, aber Ryan blendete das aus. Für ihn zählte nur noch Ryder, der jetzt nochmal in seinen Armen liegen konnte. Durch den Tränenschleier hindurch konnte Ryan zwar nicht viel erkennen, aber genug um zu sehen, dass die Wunde in der menschlichen Gestalt noch viel schlimmer aussahen als eben noch. Nicht nur, dass Ryders halbe Seite aus ihm heraus gerissen wurde, sondern auch an seinem restlichen Körper waren überall Kampfspuren. Kratzer, vielleicht von den Heugabeln und Schwertern. Ryder konnte nicht mal mehr richtig atmen. Er hustete dauernd, wobei sein ganzer Körper mit erbebte. „R-ryan…“ Seine Stimme klang noch schwächer. Ryan drückte ihn enger und fuhr mit seiner Hand über Ryders Nacken, wobei seine eigene Hand auch zitterte. „Sssh…“, gab Ryan zittrig zurück. „E-es ist gut… Alles ist gut…“ „I-ich…“ Er hustete wieder, wobei er sich ein wenig enger an Ryan krallte. Nur hatte er keine Kraft mehr, man fühlte es kaum – und verglichen damit, wie viel Kraft er davor gehabt hatte, war das nur noch viel trauriger. „… w-war’s nicht. H-hab… n-niemanden…“ Er hustete wieder, scheinbar unfähig, den Satz zu vollenden. „D-du hast niemanden getötet“, vollendete Ryan den Satz für ihn. „Ich glaube dir. Du bist kein Monster, Ryder… I-ich…. Ich liebe dich…“ Ryder schluckte. „Ich… liebe…“ Seine Stimme wurde immer schwächer. Noch bevor er den Satz vollenden konnte, erstarb sie ganz; genauso wie auch das Zittern von Ryders Körper erstarb, von einem Schlag auf den Anderen. Ryan wusste, was das bedeutete. Sein eigenes Schluchzen wurde heftiger, während er den Körper des jetzt toten Jungens an sich drückte. Um ihn herum begannen die Leute was zu sagen, einer, vielleicht Ryders Vater, schrie sogar nach seinem Sohn. Viele begannen durcheinander zu reden, darüber, was sie gerade gesehen hatten und überschlugen sich mit ihren eigenen Erzählungen. Für Ryan fühlten sich diese ganze Stimmen aber nur wie ein weit entferntes Rauschen an. Es gab für ihn nur sich selbst und den leblosen Körper, den er stumm schluchzend an sich drückte, während er seinen Oberkörper leicht vor und zurück wippte. Er konnte sich nicht daran erinnern, Ryder jemals losgelassen zu haben. Trotzdem lag er jetzt hier, alleine und zusammengekauert in seinem Bett. Tage vergingen, ohne dass Ryan viel essen oder trinken würde. Die Leute wunderten sich über ihn, aber er sagte zu niemanden mehr auch nur ein Wort. Nicht zu seiner Familie, nicht zu seinen Freunden, nicht zu den Ärzten, die ihn besuchen kamen. Er wurde krank, entweder vor Trauer oder weil er so wenig Nahrung in sich aufnahm. Wahrscheinlich war es Beides. Aus den Tagen wurden Wochen, aus den Wochen wurden Monate. Die Leute begannen ihn wieder zu vergessen, begannen wieder, Ryder zu vergessen. Ryan wurde zu nichts mehr als einem Pflegefall, der ein traumatisches Erlebnis gehabt hatte. Erst Monate später sollten wieder Schreie durch das Dorf jagen. Ryan, der nur monoton im Bett gelegen hatte, schaute auf. Diese Klänge erinnerten ihn zu sehr an diese eine Nacht. Viel zu sehr… Ryan stand sogar alleine vom Bett auf, etwas, wofür ihn sein Vater wahrscheinlich gelobt hätte. Barfuß tapste er bis zu dem Fenster seines Zimmers. Vom Bett aus her hatte er eben noch gedacht, dass es Tag war. Jetzt, am Fenster, konnte er erkennen dass es eigentlich tiefste Nacht war und lediglich einige Hütten so lichterloh brannten, dass sie ihre Umgebung in furchteinflößendes Licht einhüllten. Alarmiert band er sich seinen Umhang um. Das erinnerte ihn noch mehr an diese eine Nacht – und es machte ihn noch viel nervöser. Er verließ schnell seine Hütte. Die Leute rannten panisch durcheinander, wobei ein paar zu Ryan schauten und geschockt wirkten, dass er überhaupt auf den Füßen war. Auf dem Boden lagen einige, zerfetzte Leichen, die Ryan nicht weiter beachtete. Er wollte nicht noch mehr bekannte, tote Gesichter sehen. Je länger Ryan durch das verwüstete Dorf ging, desto mehr Leichen fand er, die meisten bis zur Unkenntlichkeit zerrissen. Ein paar Leute kamen ihm entgegen und riefen ihm zu, dass er in die andere Richtung gehen sollte, aber Ryan hatte in den letzten Monaten gelernt, Menschen einfach zu ignorieren. Schließlich fand Ryan das, was er gesucht hatte. Ein riesiger Wolf, der auf zwei Beinen ging. Auf offener Straße zerriss er den Brustkorb eines Menschen, während er mit seinem riesigen Kiefer den Kopf der Person abriss. Ryan erstarrte bei dem Anblick, merkte aber sofort, dass das nicht Ryder war. Dieser Wolf hatte braunes Fell, dieser Wolf wirkte noch größer. Als der Wolf zu ihm schaute, schaute Ryan immer noch taub zu ihm. Langsam schlich sich der Wolf näher, ließ sich dabei auf alle Viere fallen und zeigte die gleiche Anmut, die auch Ryder in seiner Wolfsgestalt immer gezeigt hatte. Er kam näher, kein bisschen bedrohlich. Ryan fühlte sich auch nicht bedroht, nein, auch wenn er wusste, das von dem Wolf eine Gefahr anging. Zwar fühlte es sich ähnlich wie bei Ryder damals vertraut in seiner Gegenwart an, aber trotzdem wusste Ryan, dass er in Lebensgefahr war. Denn als Ryan in die Augen des Wolfs schaute, waren sie nicht braun. Ryan musste an seine Schwester denken. Judith, die immer eifersüchtig auf Ryans Verlobte gewesen war. Judith, die Ryder aus irgendeinem Grund in Wolfsgestalt verfolgt hatte. Judith, die Ryder so sehr gemocht hatte. Judith, die gesehen hatte, wie ihre Großmutter Ryder bedroht hatte. Judith, die Ryder an dem Tag getroffen hatte, nachdem Ryan auch mit ihm geschlafen hatte – an dem Tag, an dem Ryder angegriffen worden war. Judith, seine kleine, unschuldige Schwester, die nicht mal einem Schmetterling etwas tun könnte. Judith, dessen kristallklaren, blauen Augen ihn jetzt fixierten. Kapitel 5: Red Riding Ryan [ohne Smut] -------------------------------------- Ryan hasste sein Dorf. Gut – hassen war wohl ein sehr starkes Wort, das Ryan natürlich niemals laut aussprechen würde. Dafür war er zu höflich, zu lieb… und vor allem würde er dafür zu viele geschockte Blicke von seinen Mitmenschen kassieren, weil in diesem Dorf so gut wie jedes negative Wort den Schock des Jahrzehnts auslöste. Dennoch, Ryan konnte sein Dorf wirklich nicht leiden. Er war sich nicht ganz sicher, womit diese plötzliche Erkenntnis kam: vielleicht weil seine Arme bis zu seinen Ellbogen im Mehl steckten, vielleicht aber auch, weil sich gestern seine Verlobung aufgelöst hatte. Nicht, weil Rachel ihn nicht geliebt hatte, nein, sie hatte ihn sogar vergöttert und Ryan hatte sogar wirklich geglaubt, dass es diesmal klappen würde. Hatte es aber nicht. Rachel – oder besser gesagt ihre Überreste – waren gestern Morgen am Waldrand gefunden worden. Bis auf ihren Kopf war da allerdings nicht mehr viel gewesen, aber hey, immerhin hatte man sie erkennen können. Wie üblich. Ryan würde wirklich gerne von sich selbst behaupten, dass er geschockt gewesen war. Dass er sich ehemalige Klamotten von ihr genommen, umarmt und sich in den Schlaf geweint hätte, weil er die Vorstellung so grausam fand, ein Leben ohne Rachel zu leben und weil er einfach ständig an sie denken musste… Aber nein, dem war wirklich nicht so. Beim fünften Mal war das eben einfach nicht mehr so emotional. Und mittlerweile war er schon 18, was hieß, er würde höchstwahrscheinlich bald nicht mehr so leicht seine nächste Verlobte finden können – und das alles nur wegen diesem vermaledeiten Wolf, der immer gerade seine Verlobte umbringen musste! Ja, Rachel hatte er nicht wirklich geliebt. Genauso wenig wie seine vierte Verlobte, Rosie, seine dritte Verlobte, Melissa und seine zweite Verlobte, Rain. Lediglich seiner ersten Verlobten, Thalia, hatte er noch annähernd sowas wie Gefühle entgegen gebracht. Sie war auch sowas wie seine Kindheitsfreundin gewesen und er hatte sich mehr als nur gefreut, als er sich mit 15 mit ihr verlobt hatte. Nur hatte der Wolf sie auch gefressen! Natürlich hatte er ihren Kopf verschont, wie immer, der Wolf aß nie den Kopf. Wahrscheinlich zu viel Gehirn oder sowas, oder, damit man die Leichen tatsächlich erkennen konnte. Jedenfalls fühlte Ryan sich mittlerweile wirklich abgestumpft, was seine Verlobten anging. Er hätte aber so gerne eine Verlobte, eine Familie – er wollte nicht wie sein Vater enden, ein trauriger Mann mit einem Sohn und einer nichtsnutzigen Tochter, während seine Frau sich sogar lieber in den Wald verkrümelt hatte, als sich länger mit ihm zu befassen. Die Leute redeten ja auch schon über ihn, verdammt! Als Bäckerssohn hatte er in ihrem kleinen Dorf immer gute Chancen gehabt, verlobt zu werden. Früher hatte man sogar über seinen Charme geredet und was er doch für ein toller Mann wäre, der auch noch so unglaublich gut aussah. Sie liebten ihn auch alle immer noch. Jeder liebte ihn, hielt ihn für diesen kleinen, unschuldigen Jungen. Durch seinen roten Mantel, dessen dicke Kapuze er sich immer über die Augen zog, hatte er sich sogar diesen unheimlich unschuldigen Namen ‚Rotkäppchen‘ eingehandelt. Keiner schien es seltsam zu finden, dass Ryans Verlobte wie die Fliegen umfielen, noch immer buhlten alle Mädchen um ihn. Beziehungsweise bei seinem Vater, weil hier im Dorf alles durch die Eltern geregelt wurde; der Vater verlobte seine Söhne, die Mütter ihre Töchter. Einfaches Prinzip. Ryan aber hatte die mitleidigen Blicke satt, die tausend Entschuldigungen erst recht und vor allem nervte es ihn, wie die unfähigen Kämpfer und Jäger des Dorfes immer wieder betonten, dass sie doch den Wolf nicht töten konnten und dass er zu groß, zu stark und zu unmenschlich sei. Pah, von wegen! Unfähigkeit nannte man das! Ryan wischte sich mit mehligen Händen über seine schweißüberströmte Stirn, während er den gefühlt tausendsten, noch ungebackenen Brotlaib neben sich ablegte. Frustrierenderweise waren es aber noch nicht tausend, sondern erst vier – und er musste noch viel, viel mehr machen, aber das war so unheimlich an-streng-end. Am Liebsten würde er das Dorf einfach verlassen. Wegrennen, so wie seine Mutter… aber wohin? Das Dorf wurde von Wald umgehen und außerhalb des Waldes war – nichts. Jedenfalls nichts, von dem irgendwer etwas wusste. Nur wenige wagten sich überhaupt in den Wald zu gehen, schließlich lauerten dort Millionen an Gefahren und bla, bla, bla, man sollte ja niiie weg gehen. Nur die Jäger und Sammler trauten sich für die Nahrung raus, aber sonst… „Du machst doch das Brot ganz kaputt!“, jammerte sein Vater. Ryan schaute verblüfft auf den Brotlaib, den er gerade geknetet hatte – und sah, dass er ihn tatsächlich eher zerrissen als wirklich in Form gebracht hatte. Man, er sollte in der Arbeit aufhören an solche nervenaufreibenden Themen zu denken. „Lass mich das machen“, fügte er noch seufzend an. „Mach du mal eine Pause, Ryan. Ich hätte dich heute noch nicht arbeiten lassen sollen… du trauerst noch um Rachel, das verstehe ich.“ Er warf ein mitleidsvolles Lächeln in Ryans Richtung und klopfte ihm auch gleich auf die Schulter. „Du findest nochmal die Liebe deines Lebens, ich glaube daran.“ ‚Wenn sie nicht wieder gefressen wird, ja.‘ Die Worte lagen auf Ryans Zunge, aber er sprach sie natürlich nicht aus. Er war ja höflich. Deshalb lächelte er nur stumm, nickte und verließ anschließend so schnell es ging die Bäckerei. Seine Schürze band er dabei schnell ab und hängte sie neben der Tür an den Haken, machte sich sonst aber nicht sauber. Störte hier ja sowieso niemanden, wie er aussah… solange er sein Markenzeichen, den roten Umhang, noch anhatte jedenfalls. Und den legte er sowieso nie ab, immerhin war das das letzte Geschenk seiner Mutter, das er noch hatte. Ja, gut, der Mantel sah auch dementsprechend aus; er war fransig und hatte schon ein paar Löcher, die Ryan aber immer gewissenhaft genäht hatte. Zudem befanden sich darauf mehrere weiße, Waschgänge überstehende Flecken vom Mehl (und nicht nur vom Mehl, wenn Ryan ehrlich zu sich selbst war), da er selbst beim backen niemals den Mantel auszog. Aber immerhin stank er nicht! Ryan wusch ihn ja auch oft genug, dass das nicht der Fall war. Er verließ die Bäckerei in die Richtung seines eigenen Hauses, wo er kurz darauf schon das einzige Mädchen sah, das ihn gerade aufheitern konnte. Judith, die am Esstisch saß und irgendwas aus dem Stroh vor sich bastelte, das sie sicher wieder vom Pferdemeister gestohlen hatte. Wahrscheinlich ihre x-Millionste Puppe, von denen sowieso alle gleich aussahen. Grinsend schlich er sich an das Mädchen ran. „Hallo, Joody“, grüßte er sie, wobei sie gar nicht erst von ihrer Arbeit aufschaute. Gerade band sie eine Schnur um ein Bündel Stroh herum, die wohl die Taille der Puppe festlegen sollte. „Hi, Ryan“, sagte sie. „Was machst du denn da?“ Er legte seine Hände auf die Rückenlehne des Stuhles und beugte sich über seine kleine Schwester. „Schon wieder eine Puuuppe?“ „Mhm.“ Judith schaute immer noch nicht auf. „Ui. Lässt du dann die Puppen miteinander heiraten und Kinder kriegen, hm?“ Ryan ging an dem Stuhl vorbei und griff sich einen Bündel losen Stroh. Er drückte ihn in der Mitte zusammen und ‚stellte‘ die Figur neben Judiths. „Hallo, großer Pupperich“, sagte er mit einer tiefen, verstellten Stimme, während er mit dem Stroh zwischen seinen Fingern wackelte. „Lass mich an deiner grohoooßen Weisheit teilhaben! Was plant die große Joody, Schöpferin allen Lebens in dieser tristen Stroh-Welt?“ Judith presste ihre Lippen aufeinander, um ein Grinsen zu unterdrücken. „Du bist soooo peinlich“, sagte sie dann schließlich, wobei sie doch mal aufschaute. Ihre hellblauen, kristallklaren Augen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, fixierten direkt ihren großen Bruder. „Echt mal. Hör auf damit!“ Ryan lachte leise. „Ich bin gar nicht peinlich!“, sagte er dann, bevor er wieder zu dem Stroh in seinen Fingern schaute. „Oder, bin ich peinlich, Puppe?“ Er verstellte wieder seine Stimme und antwortete sich per ‚Puppe‘ selbst: „Nöööö.“ „Oh man.“ Judith rollte mit ihren Augen, grinste jetzt aber doch. „Du bist super doof.“ „Vielleicht ein bisschen.“ Ryan grinste wieder, legte aber die Puppe wieder ab und wuschelte Judith durch die Haare. „Aber du bist viel doooofer.“ „Mh-mh!“ Judith lachte. „Streich mir nicht durch die Haare als wäre ich ein kleines Kiiind!“ Ach… Judiths Lachen war wirklich besser als jede Medizin. Ryan grinste, aber plötzlich hörte Joody dann doch wieder auf zu lachen. „Tut mir Leid wegen Rachel…“, sagte sie leise. „Ach… nicht so schlimm.“ Ryan löste sich wieder von ihr. „Echt nicht.“ „Hm.“ Judith runzelte die Stirn, sagte aber nichts mehr dazu. Und plötzlich war die Situation gar nicht mehr lustig und schön, also seufzte Ryan nur und wuschelte ihr nochmal durch die Haare. „Bis später, Joody“, sagte er, bevor er auch ihr Haus verließ. Na, das lief ja heute echt alles ganz Klasse. Aber gut, es gab ja noch mehr Optionen für ihn. Also ging er weg von ihrem Haus, über die Lehmstraße, wo ihn schlagartig jeder grüßte der ihn sah. Ryan war das gewohnt. In diesem Dorf kannte ihn absolut jeder, obwohl er bei Weitem nicht jeden kannte – das Dorf war zwar klein, aber eben doch nicht so klein. Ryan grüßte immer zurück, mit einem Lächeln und einer erhobenen Hand. Dennoch verschwendete er nicht allzu viel Zeit an seine Mitmenschen, damit er auch irgendwann mal bei seinem Ziel ankam… das er auch zum Glück schnell erreichte. Die Schmiede, die nur ein paar Häuser weiter war. Ryan schlich sich an die Tür, die wie immer offen stand. Von innen strömte ihm die Hitze des Feuers entgegen. Das Rotkäppchen lehnte sich grinsend gegen den Türrahmen, wobei er die Arme vor der Brust verhschränkte. Vor sich sah er einen Jungen, der ihm den Rücken zugewandt hatte und gerade mit dem Hammer ein Schwert für die Jäger bearbeitete. Er arbeitete wie meist oberkörperfrei, weshalb Ryan einen perfekten Blick auf seinen Rücken hatte: die Muskeln, die sich durch das jahrelange Schmieden gestählt hatten und bei jedem Schlag anspannten und unter der Haut bewegten… überzogen von einem leichten Schweißfilm, der diesen perfekten Rücken leicht glänzen ließ… es war nicht zum ersten Mal, dass Ryan diesen Anblick sah und ein bisschen zu sehr genoss. Aber ehrlich, er hatte keine Ahnung, was das für eine Bedeutung haben sollte. Sich einen Typen zum Verlobten zu nehmen war für ihn genauso fremd wie der Gedanke, ein Schimpfwort laut auszusprechen. „Schaut so aus, als ob die Arbeit gut läuft“, kommentierte Ryan grinsend. Der Junge vor sich stoppte, um einen Blick über seine Schulter zu werfen. „Ryan“, stellte er grinsend fest… hörte aber schnell wieder auf zu Grinsen. „Ich hab das mit Rachel gehört“, schob er an, während er den Hammer sinken ließ und schließlich neben dem Schwert ablegte. „Das tut mir wirklich richtig Leid für dich. Ich dachte echt, dass das mit dir und Rachel was werden würde.“ Ryan zuckte mit den Schultern. „Komm schon, Ryder, du weißt, das sie genervt hat. Und du musst hier keine Schmierenkomödie veranstalten, ich mein, ich – “ Ryder hatte sich schnell zu ihm gedreht, die kurze Distanz zu ihm schon fast unmenschlich schnell überwunden und ihm am Arm gepackt. „Sei leise“, zischte er ihm zu. „Nicht, dass dich noch irgendwer hört.“ Ryan seufzte, nickte aber und betrat die Schmiede richtig. Nicht, dass es hier drinnen sicherer war, hier waren tausend Fenster, damit es hier drinnen nicht zu heiß werden würde. „Lass mich noch schnell fertig arbeiten, dann können wir rein gehen, ja?“, murmelte Ryder, woraufhin Ryan nur wieder nickte. Der Schmiede-Lehrling lächelte ihm nochmal zu, bevor er sich wieder abwandte und wieder den Hammer griff, um das Schwert fertig zu machen. Ryan strich von hinten an ihn heran und linste ihm über die Schulter, während er weiter auf das noch glühende Eisen einschlug. Komischer Anblick. Wenn Ryders Dad das machte, wirkte es irgendwie immer professioneller… aber wer war er schon, dass er da irgendwas beurteilen konnte? „Krass, dass du an einem so heißen Tag immer noch Lust auf arbeiten hast“, stellte Ryan nüchtern fest. „Krass, dass du an so einem heißen Tag immer noch Lust auf deinen Mantel hast.“ Ryder warf ihm ein rasches Lächeln zu, kümmerte sich aber gleich danach weiter um das Schwert; „Es ist sowieso gleich fertig. Schau mal her, das Eisen glüht sowieso schon kaum mehr und nochmal schmeiß ich’s nicht in die Schmiede.“ Zwei, drei Mal hämmerte Ryder noch zu, bevor er den Hammer wieder neben dem Amboss ablegte und seine Hand über seine Stirn wischte. „Eigentlich passt das schon so… solange es einigermaßen Balance hat – die Jäger können doch sowieso nicht richtig damit umgehen und der Wolf hat sowieso zu dicke Haut, um sie mit bloßem Metall zu durchbohren. Und wofür sonst brauchen sie schon Schwerter?“ Ryan merkte, wie sich bei den Worten seines besten Freundes die Nackenhaare aufstellten. „Wieso sagst du das?“, murmelte Ryan. „Du kannst das gar nicht wissen. Niemand hat den Wolf jemals gesehen und es überlebt. Irgendwie kann man dieses scheiß Viech sicher abschlachten.“ Außerdem wollte Ryan sich persönlich schon noch die Hoffnung bewahren, dass man das Ungetüm wenigstens irgendwie besiegen könnte. „Aber auf den Schwertern von den gefressenen Jägern war niemals Blut“, gab Ryder zurück. Er klang irgendwie verstimmt; vielleicht weil Ryan ihm widersprochen hatte. „Höchstens Blutspritzer von ihnen selber… Aber welche Vorstellung hast du denn lieber? Dass unsere Jäger unglaublich unfähig sind oder dass die Schwerter nichts taugen?“ Ryan drückte verstimmt seine Lippen aufeinander. Ryder, der gerade seine rußverschmierten, verschwitzten Hände an seiner Hose abwischte, runzelte die Stirn. Kurz schien er zu zögern, bevor er daraufhin näher trat und seine Hand an Ryans Schulter legte. „Jetzt schau nicht so, Ryan“, fügte er dann mit wesentlich sanfterer Stimme an. „Ich glaube nicht, dass du in Gefahr schwebst. Bleib einfach in meiner Nähe und ich passe auf dich auf, okay?“ „Und wie willst du auf mich aufpassen, wenn du selber sagst, dass man ihn nicht töten kann?“ Obwohl Ryan sich irgendwie trotzdem wohl fühlte, wenn Ryder sowas sagte… „Vertrau mir einfach.“ Ryder fixierte Ryans Augen, was diesem für einen Moment Herzklopfen bereitete. „Wenn es hart auf hart kommst, würde ich den Wolf von dir ablenken. Solange du entkommst…“ Ryans Gesichtszüge entglitten ihm. „Aber ich will auch nicht, dass du stirbst!“ „Werde ich auch nicht, weil der Wolf dich niemals angreifen wird.“ Ryder lächelte schief, „Aber selbst wenn, dann bist du nicht in Gefahr. Mach dir bitte einfach nicht so viele Sorgen darum, Ryan.“ Ryans Mund öffnete sich ein wenig zum Protest, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte Ryder auch gar nicht widersprechen und erst recht keinen Streit anfangen, also hielt er im Endeffekt doch einfach die Klappe – und sah wahrscheinlich ziemlich doof aus, so mit offenem Mund. „Du solltest dich lieber mal baden“, stellte Ryder ein wenig amüsierter fest. „Du hast überall Mehl.“ Mit den Worten löste er seine Hand von Ryans Schulter und fuhr stattdessen mit seinem Daumen über Ryans Wange, wobei sein Grinsen breiter wurde. „Und Ruß… an der Wange hast du auch noch Ruß.“ „Du bist ein Vollidiot“, stellte Ryan lachend fest. Das ungefähr schlimmste Schimpfwort, das er in diesem Dorf laut aussprechen würde – und dann auch nur vor Ryder, weil es vor Ryder nicht weiter schlimm war. „Das bin ich!“, stimmte Ryder zu, bevor er sich wieder ganz von Ryan löste. „Also dann – reingehen, baden?“ Ryan nickte zufrieden, woraufhin Ryder nochmal lächelte und seine Hände an der Hose abwischte. Währenddessen ging er auch schon zur Tür, die er, sobald er sie geöffnet hatte und drinnen war, für Ryan aufhielt. „Sind deine Eltern da?“, fragte Ryan nach während er die Hütte betrat. Ryder schüttelte seinen Kopf. „Treiben sich bei unseren Nachbarn rum“, erklärte er, während er durch die viel zu große Hütte ging. „Willst du was essen?“ „Nee. Ich hab heute genug mit essen zu tun gehabt, um das nicht zu wollen“, erwiderte das Rotkäppchen und schloss dabei auch gleich die Tür zu der Hütte. Private Zeit mit Ryder, yay! Aber noch viel mehr freute Ryan sich auf die Wanne der Flynns… „Dann mach ich mir nur selbst was. Du kannst schon mal in die Wanne“, sagte Ryder noch, bevor er schon in der Küche verschwand. Also, ‚Küche‘: Bei den Flynns war alles eigentlich ein großer Raum, abgesehen von den Schlafzimmern (Ryder hatte sogar ein eigenes!!!) und der Toilette. Es war eines der größten Häuser aus den Dorf, was wahrscheinlich daran lag, dass Ryders Vater mit seiner Schmiede wirklich gut verdiente. Und naja, irgendwie war er auch sowas wie der Oberhaupt des Dorfes – genauso wie seine Frau. Im Grunde schaute jeder zu denen auf, woran auch immer das lag. Höchstwahrscheinlich waren es die übertrieben Muskeln des Typen, ha. Aber wie dem auch sei; in einer Ecke stand das Ding, von dem Ryan schon träumte. Die beste Wanne ever, ernsthaft! Die hatte Ryders Vater gemacht, so halb aus Eisen, halb aus Holz – und sie war riesig! Aber das Beste von allen: sie hatten eine Apparatur darunter gemacht, sodass man sie ohne Gefahr mit Feuer erhitzen und man dadurch immer in unglaublichem warmen Wasser baden konnte. Und perfekt wie Ryder war, hatte er die Wanne natürlich bereits gefüllt und erhitzt – als ob er geahnt hätte, dass Ryan kommen würde! (Oder, weil er nach der Arbeit ein Bad hatte nehmen wollen…) Ohne groß zu zögern ging Ryan also nach hinten, grinste dabei über beide Ohren und verkündete: „Ich liebe dich für diese Wanne.“ „Weiß ich doch“, erwiderte Ryder, während Ryan seinen roten Umhang von sich band und auf den Boden fallen ließ. Der Boden war hier eh immer sauber, war also nicht so wichtig; auch das Leinenhemd hatte Ryan sich schnell über den Kopf gezogen. Vor dem Rest zögerte er aber nochmal und warf einen Blick über die Schulter. Ryder hatte ihm den Rücken zugewandt, was ihm wieder ein bisschen Mut machte. Und eigentlich sollte es ihn sowieso nicht kümmern, weil er schon wirklich, wirklich oft in Ryders Wanne gebadet hatte. Halt immer, wenn dessen Eltern nicht da waren. Und da hatte Ryder ihn schon mehrmals nackt gesehen, aber es war halt doch irgendwie immer wieder komisch! Deshalb entledigte Ryan sich auch schnell seiner restlichen Klamotten, bevor er auch schon direkt in die Wanne hüpfte. Es war unglaublich heiß, so heiß, dass es schon dampfte, aber das passte so; denn heißer würde es nicht werden (Ryan hatte keine Ahnung wieso, das lag irgendwie an der Art, wie diese Wanne gebaut war – viel zu verwirrend für Ryan, als dass er Ryders Erklärung dazu jemals verstanden hätte) und er liebte diese anfängliche Hitze. Sofort entspannten sich Ryans Muskeln und er schloss seine Augen, während er sich in der Wanne sinken ließ. Solange, bis sein Nacken den Holzrand berührte. Sein Gesicht müsste er auch noch sauber machen, aber diese Entspannung war gerade viel zu göttlich, um sie nicht zu genießen… „Kann ich dazu kommen?“ Ryan öffnete schnell blinzelnd seine Augen. „Huuuh…“, gab er von sich. War er gerade kurz eingenickt? „Ja, klar“, sagte er dann aber noch schnell, „Ist ja deine Wanne.“ Ryder lächelte, bevor er sich ohne große Scham entkleidete. Zeit für Ryan, ein bisschen tiefer in die Wanne zu sinken. Oder jedenfalls so weit, dass wenigstens sein Mund und seine Wangen im Wasser waren und er nur noch mit den Augen über der Wasseroberfläche war. Dann sah man wenigstens nicht, wie rot er anlief – auch wenn er wegen der Hitze des Wassers wahrscheinlich sowieso schon knallrot war. Aber trotzdem… Und wie immer fiel sein Blick sofort auf Ryders Mitte, nachdem der komplett nackt war und in die Wanne trat. Es war aber auch einfach krass!! Ryder war… unglaublich. Er ihm so ein Gefühl, das unweigerlich Erregung war, die man aber logischerweise nur für Frauen empfinden konnte – und wie immer fand Ryan das unheimlich seltsam. Das Wasser war auch nicht sonderlich gut darin das zu verstecken, aber Ryan wollte seine Beine nicht anziehen. Denn wenn er so sitzen blieb, berührten sich seine und Ryders Beine und das war sooo schööön… „Und, Ryan? Irgendwelche Pläne für später?“ Ryan blinzelte, guckte von Ryders Mitte, die mittlerweile unter Wasser war, überrascht zu Ryder hoch und tauchte auch gleich wieder auf. „Jaaah“, sagte er ein wenig verplant, bevor er sich mit der Hand übers Gesicht wischte. „Ich will meine Großmutter besuchen.“ „Die im Wald?“ Ryder zog seine Augenbrauen zusammen. „Sicher? Es ist schon spät… und du weißt, dass es im Wald nicht sicher ist.“ „Mir ist noch nie was passiert…“, gab Ryan zurück, während er sich wieder an den Rand der Holzwanne lehnte. Ryders Fuß war mittlerweile bei Ryans Oberschenkel gelandet, über den er scheinbar gedankenverloren strich – was furchtbar ablenkend war. „Und außerdem brauch ich einfach Abstand von allen. Und meine Großmutter weiß sicher nichts davon, dass Rachel gestorben ist… genau genommen weiß sie wahrscheinlich nicht mal was von der Verlobung“, redete er dennoch tapfer weiter. Das, was er sagte, stimmte auch: seine Großmutter war komplett abgeschottet von der Außenwelt. „Kann ich mitkommen?“, fragte Ryder sofort nach. Ryan seufzte leise. „Ryder, komm schon, du kannst nicht lange weg… und außerdem mag meine Großmutter dich nicht, das weißt du ganz genau.“ Ryder verzog sein Gesicht. „Aber ich mag es nicht, wenn du alleine in den Wald gehst… Das ist gefährlich.“ „Ach, komm schon…“ Ryan grinste und stupste mit seinem Fuß gegen Ryans Unterschenkel. „Ich hab den Dolch noch, den du mir gegeben hast, ja? Und ich werde ihn einsetzen, wenn es hart auf hart kommt.“ Ryder drückte seine Lippen aufeinander. „Meinetwegen…“, sagte er schließlich, woraufhin Ryan zufrieden grinste. Ryder hielt immer seine Klappe, wenn er diesen Dolch erwähnte. Den Dolch, den er Ryan schon zu dessen erster Verlobung geschenkt hatte… und den er schon seit Ewigkeiten verloren hatte. Aber hey, das musste Ryder ja nicht wissen. „Soll ich deinen Rücken sauber machen?“ Mit den Worten lenkte Ryder die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ryan merkte, wie sich trotz der Hitze eine Gänsehaut auf seinem Rücken bildete. „Jap…“, erwiderte er mit vor Aufregung leicht zittriger Stimme. Ah, er liebte diesen Part so sehr… Also war es auch kein Wunder, dass er sich kurz darauf drehte. Er positionierte sich zwischen Ryders Beinen, immer noch weit weg genug, dass er Ryder nicht direkt berührte. Ryders Hände fingen dann auch gleich mit der Arbeit an: sie strichen sanft über Ryans Rücken, fuhren ihm durch die Haare und kurz darauf begann er mit dem, was Ryan am Allerliebsten mochte. Er begann, Ryans Schultern und Rücken zu massieren. „Gott, Ryder…“ Ryan ließ seine Augen zufallen, während ihm immer wieder ein leichtes Stöhnen entfuhr. „Deine Hände sind magisch…“, fügte er noch an. „Weiß ich“, erwiderte Ryder – und obwohl er ihn nicht sehen konnte, hörte Ryan dieses Grinsen einfach. Aber hey, darüber durfte Ryder ruhig grinsen, es war ja auch die Wahrheit. Ryders magische Hände arbeiteten sich weiter an den Schultern entlang, bis sie schließlich an Ryans Vorderkörper gelangten. Ryan lehnte sich dabei an Ryders (so unglaublich muskulösen) Oberkörper – machte er immer – und ließ sich weiter von Ryder durchkneten, der bei Ryans (nicht ganz so eindrucksvollen…) Brustmuskeln weiter machte. „Du kannst das… wirklich… gut, Ryder“, murmelte Ryan. Er sagte das nicht zum ersten Mal, und Ryder erwiderte auch nicht zum ersten Mal nichts. Die Massage ging immer weiter, immer besser – und ging auch weiter bis zu einem... eher intimen Part von Ryan. „Du wirst… jedes Mal besser, glaub ich“, stellte Ryan fest, nachdem Ryder fertig war, woraufhin er ein Lachen von Ryder erntete. Er liebte dieses Lachen; es bewegte Ryders Brustkorb so hübsch, direkt gegen seinen Rücken… „Ich glaube, ich war am Anfang schon nicht schlecht im massieren.“, gab Ryder grinsend zurück. Und oh ja, da hatte er recht – Ryan konnte sich noch allzu gut an das erste Mal erinnern… Damals war Ryan noch viel, viel nervöser gewesen, nackt mit Ryder zu baden. Das Angebot mit dem massieren hatte er nur widerwillig angenommen und als Ryder nach vorne gegangen war… Also, Ryan war dezent gesagt ziemlich ausgeflippt. Aber dann hatte Ryder es erklärt – dass das nur dafür gedacht war, dass Ryan sich gut fühlte und dass das ungefähr jeder im Dorf miteinander machte und dass daran absolut nichts verwerflich war. Natürlich sollte er trotzdem niemanden davon erzählen! Ja, okay, Ryan war nicht dumm. Er wusste, wie die ganze Sache mit dem Sex ging und in gewisser Maßen war das ja schon was ähnliches. Und dass Ryder sagte, er dürfte es niemanden sagen; also, Ryan ahnte schon, dass diese Art der ‚Massage‘ schon irgendwie verwerflich war. Sprach ja auch dafür, dass sie das absolut niemals machten wenn Ryders Eltern da waren. Aber ehrlich, solange Ryder immer wieder betonte, dass daran nichts schlimm war hatte Ryan ein reines Gewissen. In gewissermaßen war er auch süchtig nach Ryders Berührungen und solange niemand dabei zu Schaden kam… war das doch nicht weiter schlimm, oder? Jetzt löste Ryan sich aber doch mal von Ryder. „Warst du“, stimmte er zu, während er grinsend wieder aus der Wanne stieß. „Und… danke für die Entspannung, Ryder.“ „Kein Problem…“, gab der zurück, während er wieder in die Wanne sank. „Ich geh dann gleich los, okay?“, fragte Ryan dann nach, während er mit noch nassen Haaren in seine Klamotten schlüpfte. „Klar…“, gab Ryder zurück, wobei er ein leichtes Keuchen unterdrückte. „Bis morgen.“ Ryan band sich noch seinen roten Umhang um, bevor er noch einmal einen Blick über seine Schulter warf. „Und nochmal danke…“ „Immer wieder gerne.“ Ryder öffnete seine Augen, warf ihm ein Lächeln zu und Ryan spürte, wie sofort Blut in seine Wangen schoss. Oh man! Bevor er da aber zu viel drüber nachdachte, verließ er doch schnell wieder das Hause der Flynns. Er fühlte sich wie immer ein klitzekleines bisschen schlecht, weil er ja doch irgendwie wusste, dass das was hier passierte nicht hundert Prozent richtig war. Aber, phew, der Gedanke war schnell beiseite geschoben und Ryan machte sich auf den schnellsten Weg nach Hause. Dabei ging er nicht durch die Bäckerei, sondern über einen Umweg direkt ins Haus. Es wäre leichter, seinen Dad vor vollendete Tatsachen zu stellen anstatt ihn um Erlaubnis zu fragen, ob er denn zu Großmutter gehen dürfte. Im Haus selber schnappte er sich einen Korb, in den er ein bisschen Essen packte: Brot, ein paar Kräuter und ein wenig Gemüse. Zudem noch eine Flasche Wein, den hier doch sowieso niemand trinken würde. Seine Großmutter kam im Wald zwar auch gut alleine klar, aber dennoch war ein wenig Essen für sie sicher gut – manchmal fühlte Ryan sich einfach schlecht, wenn so eine alte Frau ganz alleine im Wald war und niemand hier half. Das war doch verständlich, oder? Nachdem er sich um den Korb gekümmert und alles verstaut hatte, machte er noch einem kurzen Abstecher zu seinem Vater. Der knetete gerade wie erwartet an irgendeinem Teig rum, was es für Ryan noch viel leichter machte. „Ich besuch Großmutter“, verkündete er, gefolgt von einem Lächeln. Sein Vater schaute auf von seiner Arbeit. „Aber Ryan…“ „Ich werde auch ganz brav übernachten, weil ich natürlich niemals nachts durch den Wald gehen würde“, fuhr Ryan fort, mit seiner liebreizendsten Stimme. „Ich grüße sie von dir, Vater.“ Ryans Vater blinzelte noch ein, zweimal, aber bevor er nochmal reagieren konnte hatte Ryan schon die Bäckerei verlassen. Sein Vater würde nicht hinterher kommen, immerhin arbeitete er gerade und, wie er immer erklärte, man unterbrach seine Arbeit nicht einfach so! Ryan nahm den Korb in eine Hand und ging pfeifend weiter, grüßte ein paar der Leute, die ihm sicherlich ihr Mitleid bekunden wollten und erreichte glücklicherweise sehr schnell den Waldrand. Okay… Ja, es war schon immer ein bisschen gruselig hier. Auch tagsüber. Man konnte nicht sonderlich weit in den Wald sehen, denn obwohl es einen Weg gab, schlängelte der sich durch die dicht stehenden Bäume. Und wenn man bedachte, was da für Kreaturen lauerten… Aber wie auch immer! Ryan war ja schließlich keine Memme. Also zögerte er nur kurz mal am Waldrand, bevor er den plattgetretenen Weg betrat. Es war nur ein kleiner Weg, der am südlichen Teil der Stadt lag und den man eigentlich kaum beachten musste. Nichts im Vergleich zu dem größeren Weg im Norden, den die Soldaten manchmal gingen, wenn sie tiefer in den Wald vordrangen um Proviant zu holen. Oder den nordwestlichen Weg, auf die man Verstoßene mit drei Tagesrationen Essen schickte! Nein, dieser Weg war einzig und allein dafür da, um zu dem Haus seiner Großmutter zu führen. Das Haus, das schon seit mehreren Generationen bewohnt wurde und in das vielleicht auch Ryans Vater ziehen würde, wenn er alt war. Und dann irgendwann Ryan, wenn er ein verrückter Alter werden und tatsächlich denken würde, dass die Hütte im Wald sicher war. Jedenfalls folgte das Rotkäppchen dem Weg, immer noch pfeifend. Es dauerte nicht lange, bis auch das Dorf hinter ihm von Bäumen verschluckt wurde, aber zum Glück hatte der Weg keine Abzweigungen. Deshalb konnte er sich immerhin nicht verlaufen… auch wenn der Weg lange war, viel zu lange, wie Ryan jedes Mal wieder fand. Irgendwann hörte er dann auch auf zu pfeifen – es wurde dunkler, je tiefer er in den Wald ging und die Atmosphäre gefiel ihm langsam überhaupt nicht mehr. Wieso nochmal überwandte er sich immer, zu seiner Großmutter zu gehen? Ah ja, richtig, weil er weg von den anderen Leuten aus dem Dorf wollte. Aber war es das wirklich wert, dafür umgebracht zu werden? Hmmm? Naja, umkehren brauchte er jetzt auch nicht mehr. Außerdem war es ja auch ganz natürlich, hier immer ein wenig Angst zu bekommen. Das Rascheln der Blätter unter seinen Schuhen, das Geräusch von knackenden Stöcken in den Baumreihen… und noch dazu dieses grausame Gefühl, immer beobachtet zu werden. Ein Frösteln überkam Ryan. Mit seiner freien Hand zog er den roten Umhang enger um sich und die Kapuze direkt über seinen Kopf, damit er wenigstens die Geräusche einigermaßen ausblenden konnte. Geräusche, die er sich sicherlich sowieso nur einbildete. Tat man immer, wenn man den Weg hier entlang ging. Nur – Moment. Da war was. Nicht irgendein Geräusch, dass er sich einbildete. Sondern vielmehr etwas ganz anderes, etwas, das fast schon so klang wie ein… Kichern? Ryan blieb wie erstarrt auf dem Weg stehen. Wieso um alles in der Welt hörte er hier ein Kichern? Er hatte viele Legenden von den Kreaturen im Wald gehört. Und eine davon war die Geschichte von kleinen Kindern, die sich im Wald verlaufen und ihre Seelen dabei schließlich verloren hatten. Sie hatten weiße Pupillen, aschfahle Haut und ihre Fingernägel waren abgebrochen und blutig geworden, als sie im Wahn versucht hatten, die Erde aufzukratzen, um einen Ausweg zu finden… Ryan verschwand vom Weg. Er drückte sich gegen einen der Bäume, atmete flach und schloss seine Augen. Wenn er jetzt nur Ryders Dolch noch hätte! Wobei er natürlich nicht an diese dämliche Geschichte mit den Kindern glaubte – die seelenlose Kinder waren ein Ammenmärchen, das man sich erzählte, um Kleinkinder von den Wäldern fernzuhalten. Andererseits gab es hier schon sehr viele, magische Kreaturen im Wald und die meisten Ammenmärchen hatten schließlich einen Ursprung… „Hier entlang, Aary!“, sagte die Stimme, die eben noch gekichert hatte. In einem Schlag fiel Ryans komplette Anspannung von ihm ab. Er kannte die Stimme! „Aaah… nich‘ so schnell, Danny!“ Wieder folgte ein Lachen, diesmal von der anderen Stimme. Ryan schnaubte, bevor er sich von dem Baum abstieß. Solche Idioten… was machten sie so tief im Wald? Und noch dazu abseits der Wege? „Ey!“, rief Ryan so laut es ging. Die Schritte der Beiden verstummten, aber Ryan hatte schon erkannt, dass sie ganz nahe waren. Also wagte er sich abseits der Wege zu gehen, womit er kurz darauf in die Zwei lief – von denen auch gleich jede Anspannung abfiel, als sie ihn erkannten. „Hallo, Rotkäppchen!“, grüßten die Zwei ihn (gruselig) synchron, gefolgt von einem Lächeln. „Hey… Aaron und Dan.“ Die zwei Brüder. Rotkäppchen konnte sie gut leiden, vor allem Aaron, auch wenn die Zwei manchmal ein bisschen seltsam waren. Zum Beispiel, wie sie nahezu ständig Händchen hielten. Übrigens auch gerade im Moment! Sie verdienten sogar ihr Geld zusammen, indem sie auf dem Marktplatz und in den zwei Tavernen sangen und Gitarre spielten. Viele Menschen gaben ihnen viel Geld dafür… so sehr, dass sie schon ein kleiner Hit in dem Dorf waren, in dem sowieso fast jeder jeden kannte. Sie hatten beide weiße Mäntel, die ähnlich wie der von Ryan fast schon ihre Erkennungsmerkmale waren. Nur hatten sie dafür keine Spitznamen bekommen, aber ‚Die Zwei Brüder‘ war ja eigentlich auch Spitzname genug. „Was macht ihr hier?“ Ryan runzelte seine Stirn. „Es ist ganz schön weit weg vom Dorf… ich mein, ich besuch meine Großmutter, aber ihr?“ Sie hatten zwar auch einen Großvater, aber der lebte ebenfalls im Dorf. Die zwei Sänger wechselten einen kurzen Blick. „Wir sind nur…“, fing Dan langsam an, bevor Aaron wieder zu Ryan schaute. „… in den Wald gegangen, um ein bisschen Ruhe für uns zu haben“, vollendete er den Satz. Auch Dan schaute wieder zu Ryan. „Ja, im Dorf… haben wir so selten… Zeit für uns.“ Ryan schaute von Aaron zu Dan. „Aha“, sagte er schließlich nur, langsam, unsicher. Er hatte irgendwie das Gefühl, als ob er irgendeinen Witz gerade nicht verstand, aber gleichzeitig glaubte er auch, dass er ihn gar nicht verstehen wollte. „Aber ihr könnt doch nicht einfach so in den Wald rennen… ihr findet doch nie mehr zurück, wenn ihr nicht auf den Wegen bleibt!“ Aaron und Dan wechselten wieder einen Blick. „Wir hinterlassen Brotkrumen“, sagte Aaron dann. „Wir finden zurück, ganz sicher. Mach dir keine Sorgen, Rotkäppchen.“ „Okay…“ Ryan schaute nochmal skeptisch zwischen Aaron und Dan hin und her. „Dann… viel Spaß euch noch. Morgen Abend schau ich mal in der Taverne vorbei, okay?“ Aaron und Dan nickten Beide. Sie schienen auch gleich weiter gehen zu wollen, aber Aaron stoppte dann doch nochmal: „Und es tut mir Leid wegen…“ Ryan winkte ab. „Vergiss es“, sagte er und lächelte Aaron nochmal schief an. „Ach, Rotkäppchen…“ Aaron schüttelte den Kopf, löste seine Hand kurz von Dan und zog Ryan schnell in eine Umarmung. „Das wird schon wieder“, versprach er, während Ryan leise seufzte. Oh man… wie die ganze Welt ihn wegen seiner toten Verlobten bedauern wollte… Nachdem Aaron sich aber wieder gelöst hatte, verabschiedeten sich die Brüder auch gleich wieder – und auch Ryan ging zurück auf den Weg, um in Richtung des Hauses seiner Großmutter zu gehen. Lange würde es nicht mehr dauern und diese Begegnung gerade hatte ihr Übriges getan, die düstere Stimmung des Waldes wieder ein wenig zu lockern. Deshalb ging Ryan auch relativ sorglos weiter den Weg entlang. Nach einer Weile sah er auch die Umrisse des Hauses seiner Großmutter und peilte es natürlich auch an, nun doch ein wenig glücklich, den Waldweg jetzt hinter sich gebracht zu haben. Vor der Tür strich er sich nochmal die Klamotten glatt, damit seine Großmutter nicht wieder meckern würde, nahm die Kapuze von seinem Kopf und klopfte – ein, zwei, dreimal. Keine Antwort. Ryan klopfte nochmal, lauter, indem er seine Hand zur Faust ballte und damit gegen die hölzerne Tür öffnete. Wieder keine Reaktion. Ryan seufzte und fuhr sich durch die Haare. Wenn seine Großmutter gerade dabei war, zu sammeln, dann hätte er natürlich schlechte Karten, jetzt in dieses Haus zu kommen. Immerhin war es gesichert und – „Wer ist da?“ – Na endlich. Die ältere, zittrige Stimme seiner Großmutter drang durch das Holz der Tür. „Ich bin’s“, erwiderte er. „Ryan.“ Seine Großmutter reagierte natürlich wieder nicht, aber nach wenigen Momente hörte Ryan, wie die Eisenriegel der Tür zur Seite geschoben wurden. Wenige Momente später wurde die Tür geöffnet – aber auch nur so weit, wie es eine kleine Kette an der Innenseite erlaubte. Eine ältere Frau schaute durch den so entstehenden Türschlitz. „Hallo, Ryan“, sagte sie und grinste, wobei sie zwei Reihen lückenloser, weißer Zähne entblößte. Ryan hatte sich schon immer gewundert, wie einfach alles an seiner Großmutter so alt aussehen konnte – alles, bis auf die Zähne, die immer noch in ihren alten Jahren so perfekt waren! Sie schloss die Tür wieder, entfernte auch die Kette und öffnete die Tür dann ganz. „Komm doch herein, mein Junge“, fuhr sie fort. „Ich habe gerade Kekse gebacken. Du kommst genau perfekt.“ Noch so eine Sache. Seine Großmutter machte immer Kekse, wenn Ryan kam. Ryan war sich nicht ganz sicher, ob das daran lag, dass sie irgendeinen magischen, überirdischen Sinn dafür hatte, wann er sie besuchen wollte oder ob sie einfach den ganzen Tag nichts anderes machte, außer Kekse zu backen. Trotzdem leuchteten Ryans Augen natürlich auf. „Ich liebe deine Kekse!“, frohlockte er, was ebenfalls nicht gelogen war. Wie konnte man auch nicht die Kekse seiner Großmutter lieben? Ryan betrat das Haus, aber bevor er allzu weit gehen konnte, kam auch schon die übliche Attacke seiner Großmutter. Ausgeführt mit lediglich zwei Fingern, ihrem Daumen und ihren Zeigefinger, aber das mit einer solchen Präzision und Schnelligkeit, dass es Ryan immer wieder überwältigte. Sie kniff in seine Wange, drückte sie und zog daran, als wäre er immer noch das kleine Kind von damals; und nicht ungefähr zwei Köpfe größer als sie, so wie jetzt. „Du bist schon wieder so gewachsen! Hast du etwa einen Zauberspruch benutzt?“ Sie gackerte, bevor sie ihre Finger wieder von Ryan nahm. Ryan strich sich mit der Handfläche über die schmerzende Wange, wohl darauf bedacht, dass seine Großmutter das nicht sah. Er wollte doch nicht ihre Gefühle verletzen. „Nein, das ist ganz natürlich“, erwiderte er, wobei er versuchte, ernst zu klingen. Seine Großmutter war sehr in Magie und derlei Dinge vernarrt, obwohl doch jeder wusste, das Menschen sowas nicht bewirken konnten. Aber seine Großmutter glaubte daran und ehrlich, so abgefahren wie ihre Hütte war, würde es Ryan nicht wundern, wenn sie tatsächlich eine Hexe wäre. Die Hütte war steinalt und es gab tatsächlich einen Kamin, über den ein altertümlicher Kessel hing. Dann gab es hier unglaublich viele Wurzeln und andere Pflanzen und es lag immer dieser eigentümliche, exotische Geruch in der Luft. Der gerade aber ganz stark von dem Geruch nach frisch gebackenen Keksen überdeckt wurde. Ryan stellte seinen Korb auf einem Tisch ab, bevor er zu dem Ofen ging. „Oh, die sehen toll aus!“, stellte er fest und schnappte sich gleich einen – ließ ihn aber gleich wieder mit einem „Au…!“ fallen, als er feststellte wie heiß sie noch waren. Seine Großmutter gackerte wieder. „Ich sag doch, ganz frisch.“ Sie hatte gerade die Tür wieder komplett geschlossen, bevor sie in Richtung Ryan trottete. Der nuckelte gerade an seinem Daumen und an Zeige- und Mittelfinger, schaute aber mit großen Augen zu der alten Frau. Sie machte Halt an dem Korb und durchstöberte ihn. Besonders schien sie sich an dem Wein zu freuen, aber das machte sie eigentlich immer. Deshalb nahm Ryan ja auch immer eine Flasche Wein mit, ganz vorsorglich. „Wie geht es eigentlich Rosie?“, fragte seine Großmutter schließlich ganz beiläufig. Ryan seufzte. Seine Großmutter war mit seinen Verlobten sogar noch zwei im Rückstand, so schnell starben die immer. Das war echt bescheuert! Aber gut, dann dürfte er jetzt wohl wieder erzählen… Ein schriller Aufschrei weckte Ryan. Müde richtete er sich so halb auf, rieb sich die Müdigkeit aus den Augen und brauchte erstmal ein paar Sekunden, um zu realisieren, wo er war: bei seiner Großmutter, auf der alten Matratze, die er direkt vor den Kamin geschoben hatte. Sein roter Umhang hatte bis eben noch als Decke gedient… Und es dauerte ein wenig, bis ihm wieder einfiel, wieso er gerade überhaupt aufgewacht war. Ein Schrei…? Hier, im tiefsten Wald? Hatte er sich das nur eingebildet? Ryan lauschte angestrengt, aber bis auf das Rauschen der Blätter außerhalb der Hütte und den regelmäßigen Atem seiner Großmutter, die nicht mal das stärkste aller Gewitter jemals wecken würde, konnte er absolut nichts hören. Hm! Also doch nur ein Traum? Aber da, da kam es nochmal. Nur diesmal nicht schrill, sondern eher ein kehliger, tiefer Schrei. Ganz in der Nähe der Hütte – fast schon direkt daneben. Ryans Nackenhaare stellten sich zu Berge, während sein Mund ganz trocken wurde. Dieser tiefe Schrei, es – es klang so furchteinflößend. Als ob die Person wirkliche Todesängste durchlitt. Ryan glaubte nicht, jemals was so furchtbares gehört zu haben. Aber… noch schlimmer als das war die Tatsache, dass er glaubte die Stimme zu kennen. Es war unglaublich verzerrt, alleine durch den Schrei, aber… er würde zwar seine Hand dafür nicht ins Feuer legen… aber es klang ein bisschen – nun, es klang nach Aaron. Innerhalb weniger Sekunden war Ryan auf den Füßen. Er wusste nicht, was oder wer da draußen war, aber wenn es Aaron war, dann musste er ihm helfen. Sie waren verdammt gut befreundet und nach Ryder war Aaron der für ihn sogar vielleicht wichtigste Freund, den er hatte! Er machte also das Erstbeste, was ihm einfiel: er griff den eisernen Schürstab des Kamins, bevor er zur Tür huschte. Er zog nicht mal mehr seine Stiefel an, sondern entriegelte die Tür so schnell es ging und verließ die Hütte. Dennoch ließ er das Holz hinter sich noch schnell ins Schloss fallen, weil er auch nicht wollte, dass seine Großmutter in Gefahr wäre. Nachdem er das gemacht hatte, rannte er los in Richtung des Schreis, den er eben gehört hatte; und als er ihn nochmal hörte, legte er noch seinen Zahn zu. Unter seinen nackten Füßen spürte er, wie Äste brachen und er auf spitze Steine trat, aber er kümmerte sich nicht darum. Er musste zu Aaron, so schnell es ging! Wieder ein Schrei. Nur diesmal nicht von Aaron, aber von einer ebenfalls vertrauen Stimme. Dan. Wenn Ryan jemals ernsthafte Zweifel daran gehabt hätte, dass es sich um Aaron handelte, so waren sie spätestens jetzt verflogen. Er rannte, rannte und rannte, schon mit der Angst, zu spät zu kommen. Aber dann, noch ehe er sich versah, rannte er frontal in Aaron rein. Ein überraschter Aufschrei entfuhr ihm, während sie Beide auf den Boden landeten. Ryan rieb sich über den schmerzenden Kopf, aber er sah, wie kurz darauf Dan erschien und Aaron auf die Füße zog – oder es wenigstens versuchte. „Beeil dich!“, zischte er. Seine Stimme klang erstickt vor… Tränen? Ryan schluckte. „Es macht keinen Sinn“, gab Aaron zurück. Er ließ sich nicht hochheben. „Er ist schneller, Dan, es bringt nichts, zu rennen, Danny… Und es tut so weh, es tut so weh…“ Seine Lippen begannen zu zittern. Dan zog an ihm, aber Aaron ließ sich nur sehr widerwillig und langsam bewegen. Ryan rappelte sich ebenfalls auf und huschte schnell rüber zu Aaron und seinem Bruder. „Was ist los?“, fragte er schnell, den Blick nervös in die Dunkelheit um sie herum gerichtet. „Wir…“ Danny schluckte. „Das Monster, der – der Wolf. Er…“ Ryan nickte. „Die Hütte meiner Großmutter ist in der Nähe“, sagte er. „Kommt mit. Schnell!“ Ryan wollte sich schon in Bewegung setzen, aber Aaron stand immer noch nicht auf. „Hast du das gehört, Aary?“, fragte Dan, seine Stimme immer zittriger. „R-rotkäppchen bringt uns in Sicherheit, Aary, bitte, steh auf, bitte… bitte…“ „Was ist los?“ Ryan schaute verwirrt von Dan zu Aaron, der zwar einen dunklen Umhang auf seine Brust gepresst hatte, aber sonst konnte Ryan in der Dunkelheit nichts erkennen. „E-er… er hat ihn erwischt, dieses… dieses…“ Dan brach plötzlich in Tränen aus. Ryans Herz schlug ihm mittlerweile bis zum Hals, weil er einfach wusste, dass das Monster jeden Moment auftauchen konnte. Sie konnten es sich nicht leisten, hier so viel Drama zu machen! Ryans Kopf dröhnte auch, aber sie mussten hier einfach weg! „Warte. Ich helf‘ dir. Stützen wir ihn!“ Ryan ging in die Knie, wobei er das Schüreisen ablegte. Stattdessen zog er mit beiden Händen an Aarons Schulter. Dan schlug seine Hand vor den Mund und unterdrückte ein Schluchzen, griff sich aber schließlich doch auch Aarons andere Schulter. Aaron ließ sich wie ein nasser Sack Kartoffeln auf die Beine ziehen, aber es funktionierte. Ryan drapierte einen Arm um seine Schultern und Dan machte auf der anderen Seite dasselbe, so, dass sie wenigstens einigermaßen losgehen konnten. Aaron war dabei so gut wie keine Hilfe, aber sie mussten es einfach schaffen! Zum Glück war der Rückweg bei Weitem nicht so lang, wie er Ryan beim Hinweg vorgekommen war. Trotzdem war es ein ganzes Stück, vor allem mit Aaron unterm Arm… und Aaron murmelte die ganze Zeit was vor sich hin, was Ryan unmöglich verstehen konnte. Es waren wahrscheinlich nicht mal Worte. Ganz selten hörte Ryan sowas wie ‚sterben‘ heraus, neigte aber dazu das zu ignorieren. Dann war da noch Dan, der stumm vor sich hin weinte und nicht unbedingt zur allgemeinen Motivation beitrug. Erst, als sie die Hütte tatsächlich erreicht hatten und Ryan die schwere Holztür aufdrücken konnte, meldete sich Dan zu Wort. „Er ist da“, sagte er mit panischer Stimme. „Er ist da, im Holz, oh Gott, Rotkäppchen – “ Aber Ryan drehte sich gar nicht erst um, sondern zog die Zwei einfach schnell in die Hütte. Er schloss die Tür hinter sich mit beiden Händen, wobei er Dan einfach mal zumutete, dass er Aaron kurz alleine tragen konnte. Schlagartig prallte von der anderen Seite etwas gegen die Tür, was Ryan eine weitere Gänsehaut verschaffte. Mit zittrigen Händen schob er den Eisenriegel vor und hängte die Kette ein. Seine Lippen bebten, als nochmal etwas gegen die Tür pochte. Sie hielt, natürlich hielt sie, immerhin war diese Hütte seit mehreren Generationen im Wald und konnte selbst stärkste Kreaturen aushalten. Aber trotzdem hatte Ryan unmenschliche Angst, dass sie genau heute brechen würde... Und bei dem dritten Pochen sah es tatsächlich so aus, als ob das Holz gleich nachgeben würde. Es barst bereits – und beim nächsten Pochen fuhr ein Riss durch die Tür. Ryans Herz blieb stehen, während er wie gebannt auf die Tür schaute. Wieder ein Pochen, gefolgt von einem Scharren diesmal: die Tür bog sich vor Ryans Augen und, bei Gott, er wusste, noch ein einziger Schlag würde reichen und es würde brechen, sie würden alle hier sterben und – Das Scharren und das Pochen hörte schlagartig auf. Ryan meinte noch zu hören, wie Tatzen von dem Ort hier weg rannten, bevor wieder Stille einkehrte. Einige Momente lang schaute Ryan noch auf die Tür, die immer noch aussah, als würde sie jeden Moment einbrechen. Wieso… „Rotkäppchen!“ Dans tränenerstickte, leise Stimme hinter ihm ließ Ryan die Frage erstmal beiseite schieben. „Rotkäppchen, Aaron, er… ich glaub er atmet nicht…“ Ryans Herz blieb ein weiteres Mal stehen, als er sich von dem Anblick der Tür löste und zu Dan drehte. Dan hatte Aaron bis zur Matratze gebracht und darauf gelegt – und er hatte den Umhang von seinem Körper genommen. Erst im Feuerschein des Kamins fiel Ryan auf, wieso er von dem eigentlich weißen Umhang von Aaron angenommen hatte, dass er dunkel war. Er war seit ihrer Begegnung früher am Tag auch tatsächlich dunkel geworden. Genauer, dunkelrot. Er war mit purem Blut durchtränkt. Und jetzt verstand Ryan auch, wieso Aaron nicht mehr hatte gehen können. Ryans Kinnlade sackte nach unten, als er sah, wie schlimm Aaron zugerichtet war. Sein kompletter Brustkorb war aufgerissen; anders konnte man das nicht beschreiben. Er war voller Kratzer und… man konnte nicht mal mehr erkennen, was zum Stoff seiner Kleidung gehörte und was Haut war… Ryan schnappte nach Luft, trat aber an die Matratze mit Aaron. Vor dieser sank er auf die Knie, bevor er sich ganz zu Boden setzte – einfach nur, weil er Angst hatte, dass seine Beine ihn nicht mehr tragen konnten. „Er atmet nicht mehr“, wiederholte Dan. Mittlerweile war sein ganzes Gesicht verzogen vor Trauer und seelischen Schmerz, der wahrscheinlich so groß war, dass Ryan es sich kaum vorstellen konnte. „Es… tut mir Leid, Dan“, erwiderte Ryan. Er wagte es nicht mal, Aaron anzufassen: ganz im Gegensatz zu Dan, der den Kopf seines kleinen Bruders in seinen Schoß gebettet hatte und ihm durch die Haare fuhr. An Aarons Mund klebte Blut, aber es sah tatsächlich so aus, als würde er nicht mehr atmen. „Aber immerhin sind seine Schmerzen jetzt vorbei…“ Dan schluchzte. „E-er a-atmet nicht“, wiederholte er. „E-er atmet nicht, Rotkäppchen. Er atmet nicht.“ Tränen taten in Ryans Augen. Das mit anzusehen, das – das war fast noch schlimmer als der Schmerz, den er nur wegen Aaron empfinden würde. „Er atmet nicht…“ Dan schluchzte ein weiteres Mal. „A-aary… Aary, du musst…“ Seine Stimme verlor sich. „E-er atmet n-nicht mehr…“ „Und das wird er auch nie mehr, wenn du das einfach nur die ganze Zeit wiederholst, Freundchen.“ Ryan, dem mittlerweile auch schon Tränen über die Wangen gekullert waren, schaute auf. Seine Großmutter war im Dunkel der Nacht aufgestanden, ohne, dass irgendwer was gemerkt hätte. Sie trottete ganz seelenruhig an Dan und Aaron vorbei, zu einem der Tischchen. „Wurde er gebissen?“ Ihre Stimme war so unwirklich ruhig, dass Ryan fast vergaß, weiter zu weinen. Dan schien es ähnlich zu ergehen, auch wenn seine Hand immer noch automatisch damit weiter machte, durch Aarons Haare zu fahren. Ryans Großmutter fing damit an, irgendwelche Kräuter und Pflanzen zusammen zu stampfen. Sie machte das höllisch schnell, schneller, als Ryan überhaupt schauen konnte. „Wurde er gebissen?“, wiederholte sie geduldig, als sie zu den Kräutern noch irgendwelche Flüssigkeiten dazu schüttete. „N-nein“, gab Dan jetzt zurück. „N-nur… zerkratzt…“ „Gut für ihn.“ Seine Großmutter verrührte alles in einem steinernen Krug mit einem Holzlöffel, während sie an Aaron und Dan heran trat. „Sonst hätten wir ihn töten müssen.“ Sie schüttete den Inhalt des Steinkrug in den Kessel, unter dem immer noch glücklich das Feuer loderte. Sie stellte den Krug neben dem Kamin ab, während sie mit dem Holzlöffel die Masse im Kessel rührte. Nach einer Zeit ließ sie davon ab, um sich wieder an Aaron zu wenden. Die geschockten Blicke von Dan und Ryan ignorierte sie, während sie sich über Aaron beugte und anfing, Fetzen von seinem Körper zu beseitigen. „Was wird da- ?!“, fragte Dan schließlich. Er klang wütend, wurde aber unterbrochen, als Ryans Großmutter aufschaute und ihn mit einem durchbohrenden Blick anschaute. „Ich rette deinem Bruder das Leben“, fauchte sie. „Aber das überlege ich mir gleich zweimal, wenn du noch einmal so unartig bist, Jüngelchen.“ Dans Kinnlade sackte nach unten, aber er klappte sie gleich wieder zu. Ryans Großmutter zupfte weiter an Aarons Körper herum und wenig später erkannte Ryan auch, wieso; sie beseitigte die Reste seiner Klamotten, so, dass schließlich sein Oberkörper frei lag. „Was für ein Chaos“, grunzte sie, bevor sie sich wieder drehte und mit dem Holzlöffel etwas von dem Sud aus dem Kessel nahm. Ehe Dan oder Ryan reagieren konnten, hatte sie den brennend heißen Inhalt des Löffels auf Aarons Körper verteilt. Dan schnappte nach Luft. „Das… das tut doch weh…“ Er klang nicht so, als ob er noch groß protestieren konnte. Kein Wunder, er hatte gerade seinen Bruder sterben sehen! „Besser als zu sterben, was?“ Sie gackerte wieder, bevor sie noch ein paar Löffel nahm. Die Masse war grünlich-weiß, ziemlich dickflüssig und war so heiß, dass sogar Rauch von ihr aufstieg. Gott… Nach einer Weile fing Aaron an, zu reagieren. Sein Körper verspannte sich, gerade, als seine Großmutter noch mehr von der heißen Flüssigkeit auf ihn verteilt hatte. Sie schaute nur unbeeindruckt zu ihm nach oben. „Haltet ihn fest“, sagte sie. „Bis wir fertig sind.“ Aber Dan war zu beschäftigt damit, sich zu freuen. „Aary! Oh Gott, Aary, Aary, du lebst! Aary…“ Seine Augen füllten sich wieder mit Tränen, aber diesmal wohl Tränen des Glücks. Er nahm Aarons Gesicht in beide Hände… „Er wird gleich nicht mehr leben, wenn du ihn nicht festhältst“, knurrte Ryans Großmutter. „Also, los jetzt. Ryan, du hältst seine Füße fest.“ Ryan hörte auf seine Großmutter, einfach, weil sie wirklich was von dem was sie hier machte zu verstehen schien. Zu allen anderen Zeitpunkten hätte er gedacht, dass das nur wieder eine verrückte Spinnerei einer alten Frau war, aber gerade war genau das ihre einzige Hoffnung. Er hielt also Ryans Füße fest, während Dan dasselbe mit Aarons Händen machte. Dabei legte er Aarons Kopf sanft auf die Matratze, und setzte sich an den Kopfteil, damit er das besser machen konnte. Während Ryans Großmutter weiter machte, wurde Aaron immer wacher: und jedes Mal verspannte er sich mehr, gefolgt von einem kleinen Wimmern. „Aary, ganz ruhig…“ Dan flüsterte zwar, aber Ryan hörte ihn trotzdem. „Du bist in Sicherheit, Aary, ich bin ja da… hab keine Angst… alles wird gut…“ Und einmal, als es ganz schlimm wurde und Tränen über Aarons Schläfen fuhren, machte Dan noch etwas unerwartetes. Er lehnte sich, kopfüber wie er eben war, über Aaron drüber und vereinigte ihre Lippen miteinander. Und das sogar eine ganze Weile, nicht nur ein kleiner Kuss, sondern ein richtiger, langer Kuss… Lange genug, dass Ryan irgendwann beschämt weg schaute. Aber er spürte, wie Aaron unter seinen Händen ruhiger wurde, also funktionierte es scheinbar wunderbar. Auch seine Großmutter sagte nichts, bis sie schließlich fertig war. Dan hatte Aaron seit diesem einen Mal nicht mehr geküsst, wohl auch, weil Aaron mittlerweile wieder in eine Art Ohnmacht gefallen war. „Er wird wahrscheinlich eine Weile schlafen“, grummelte Ryans Großmutter. „Achte darauf, dass er sich nicht dreht. Er braucht frische Luft auf der Salbe.“ Dan rutschte wieder auf die Matratze und bettete Aarons Kopf auf seinem Schoß, während er ein weiteres Mal schniefte. „Und er wird überleben?“, fragte er. „Ja“, gab sie zurück. „Ganz sicher. Aber pass auf ihn auf. Er wird dein Gesicht sehen wollen, wenn er aufwacht. Es wird sehr weh tun, also könnte er ein bisschen gute Einstellung ihm gegenüber gut vertragen.“ Sie lächelte sogar nochmal kurz, bevor sie sich wieder aufrichtete und zurück ins Bett ging. „Und jetzt will ich kein Wort mehr bis morgen hören. So viel Drama in einer Nacht…“ Sie machte noch ein ‚ts, ts, ts!‘-Geräusch, bevor sie sich auf ihrer Matratze weg drehte. Ryan setzte sich wieder ein wenig höher an Aaron, sagte aber nichts. Stattdessen schaute er dabei zu, wie Dan wieder durch seine Haare fuhr und abermals Sachen flüsterte, die aber nicht mal Ryan verstehen konnte, so leise waren sie. „Warum wart ihr so spät überhaupt noch im Wald?“, flüsterte Ryan schließlich. An Schlaf war jetzt sowieso nicht zu denken. Dan schaute auf, seine Augen immer noch feucht. „W-wir haben uns verlaufen“, erwiderte er, gefolgt von einem Schnauben. „Jemand hat die Brotkrumen gegessen, wir… wir haben einfach nicht daran gedacht, dass das passieren könnte, normalerweise klappt es…“ Dan schluckte. „U-und es war so finster und bitterkalt, also hab ich – hab ich Aaron meinen Umhang geben wollen, aber er wollte ihn nicht. D-damit mir nicht kalt wird. Er ist so tapfer und so… toll… er ist der tollste Mensch der Welt, Rotkäppchen…“ Ryan räusperte sich kurz. „Und dann?“ Dan schaute nicht auf, aber fing sich scheinbar wieder. „W-wir kamen an ein Häuschen… ganz aus Pfefferkuchen, was echt fein aussah. Wir haben uns gefragt, wer wohl der Herr von dem Häuschen sein mag und dann… w-wir haben da nicht wirklich drüber nachgedacht… wir hatten so Hunger, also haben wir einfach davon genascht…“ Er schluchzte wieder kurz, erzählte dann aber weiter. „Eine Hexe… das Haus… gehörte einer Hexe. Sie hat uns ausgetrickst und – und sie wollte Aaron essen, Rotkäppchen, verstehst du? Ihn kochen und essen… Ich… ich konnte nichts tun. Sie hat mich verzaubert… A-aary wäre fast gestorben, wenn nicht… wenn nicht…“ Dan verstummte. Ryan runzelte seine Stirn leicht. „Wenn nicht was, Dan?“ „… wenn der Wolf nicht gekommen wäre.“ Dan schaute auf zu ihm. „E-er ist einfach in das Haus geplatzt und h-hat die Hexe gefressen, mit Haut und Haar. Vor unseren Augen…“ „Der Wolf?“, fragte Ryan ungläubig. „Der Wolf, der euch angegriffen hat?“ Dan nickte langsam. „Nachdem er sie getötet hat, ist er auf Aaron los gegangen… Er hat – hat seinen Brustkorb – seine Klauen haben sich in ihn gebohrt und…“ „Schon gut.“ Ryan lächelte ganz kurz, „Ich versteh schon… und dann?“ „Er hat einfach aufgehört. A-aary war schon voller Blut, aber bevor er ihn ganz getötet hat… hat er einfach aufgehört… E-er hat ausgeschaut, als würde er mit sich selbst kämpfen und leiden, aber… er hat aufgehört…“ Dan wischte sich mit den Händen über die Augen. „A-also sind wir weg gerannt… und kurz darauf hat er uns doch wieder verfolgt. Und dann kamst du…“ Ryan nickte langsam. Okay, das klang sinnvoll – gleichzeitig aber auch überhaupt nicht. Wieso hatte der Wolf sie gerettet? Und wieso hatte er Aaron und Dan verschont, aber Aaron trotzdem angegriffen? Als Ryan sich schließlich auf seinem Umhang am Boden zusammen kauerte, plagten ihn diese Frage immer noch. Der Schaden an der Hütte war grausam gewesen. Die ganze Tür war voller, tiefer Kratzer gewesen, tiefere Kratzer, als sie ein Mensch oder ein normales Tier jemals hätte graben können. Seine Großmutter hatte darauf bestanden, trotzdem in der Hütte zu bleiben und das selber zu reparieren, aber Ryan hatte ihr nicht so wirklich geglaubt; deshalb war er mit ein paar Männern zusammen wieder in den Wald gegangen. Sie hatten sich um die Tür gekümmert – unter der zeternden Anweisung von Ryans Großmutter, versteht sich. Aarons Zustand verbesserte sich langsam, aber stetig. Es dauerte eine Woche, bis er überhaupt sein Bett verlassen hatte (in das Ryan und Dan ihn mit einer provisorischen Trage gebracht hatten, weil Ryans Großmutter, Zitat, nicht genug Platz für alle gehabt hätte und Dan natürlich nicht von Aarons Seite weichen wollte). Es hatte vier Wochen gedauert, bis er das geschafft hatte, ohne gleich umzufallen. Aber schließlich, nach zwei Monden, schaffte er es sogar wieder mit Dan zusammen zu singen. Nach drei Monden ging es ihm wieder so gut wie eh und je. Ryan selber hatte sich in der Zeit ein wenig… nun, geändert. Er hatte mit seiner Großmutter geredet, weil sie offensichtlich mehr Ahnung von der Kreatur hatte, als er geahnt hätte. Und tatsächlich hatte sie ein altes Buch aus einem Schrank herausgeholt; und Ryan erklärt, dass diese Bücher im Besitz der ganzen Familie Adams‘ immer weitergegeben wurde, von Frau zu Frau. Scheinbar war in der weiblichen Blutlinie der Adams‘ zwar keine Hexen, aber doch die Möglichkeit, mit Kräutern und Elixieren Tränke zu erschaffen. Die Bücher waren Überbleibsel einer mythischen Rasse, den Waldfeen, die in den tiefsten der Wäldern gelebt hatten – und womöglich immer noch lebten, so seine Großmutter. Jedenfalls hatte sie ihm eines dieser Bücher geschenkt. „Hier wirst du Antworten finden“, hatte sie erklärt, aber nicht mehr Auskunft geben wollen. Ryan hatte das Buch gelesen. Nicht alleine, sondern bei Ryder. Immer, wenn der arbeitete und schmiedete, hatte Ryan es ihm vorgelesen. Oder wenn sie zusammen etwas aßen, oder wenn sie zusammen in der Stadt waren und am Springbrunnen saßen… Ryder mochte es, wenn Ryan ihm aus dem Buch vorlas; und Ryan mochte es, dass Ryder dieselben Informationen wie er hatte. Wenn sie zusammen arbeiten würden, würden sie dem Monster vielleicht auf die Schliche kommen! Und er hatte viele Dinge herausgefunden. Erstens, es handelte sich tatsächlich um einen Werwolf. Zweitens, der Mensch war wahrscheinlich ein Bewohner des Dorfes. Drittens, der Werwolf war in Menschengestalt wohl auch viel stärker: also, muskulös, mit mehr Instinkten und einem besseren Gehör und sowas. Und viertens, als Wolf hatte man sich kaum mehr unter Kontrolle. Es gab nur bestimmte Markenzeichen, die den Menschen zurück aus der Bestie bringen konnten. Markenzeichen, die sie mit ihrem Seelenverwandten verbanden. Ein bestimmter Geruch oder eine Kette, die nur ihr Liebster trug oder sonst was. Die letzte Erkenntnis hatte Ryan sich erst heute erschlossen. Es war schwer, aus dem Buch zu lesen, weil alles irgendwie verschlüsselt klang und er hatte es auch gerne mal zur Seite gelegt, wenn Ryder ihn zum Beispiel massiert hatte. Oder wenn er mit Aaron und Dan darüber reden wollte. Nur schienen die gar nicht so interessiert daran zu sein, den Wolf zu finden. Ganz im Gegenteil, sie sagten, er hatte ihr Leben gerettet – und dass sie ja sowieso gestorben wären, wenn er nicht gekommen wäre. Das mit Aaron war also nur ein Unfall gewesen, meinten sie. Ryan glaubte ihnen kein Wort. Und heute hatte er auch endlich einen Grund für sein Misstrauen gefunden, genau in diesem Buch. Er war mit Ryder an einem der Bäume, die etwas vor dem Wald standen. Hier gab es eine alte Schaukel, die von einem der höheren Äste nach unten hängte. Ryan saß mit dem Buch im Schoß auf der Schaukel, während Ryder im Gras saß und an den Baumstamm gelehnt war. „Hast du das gehört?!“ Ryans Herz pochte bis zum Hals. Ryder schaute von dem Gras auf, an dem er gerade gezupft hatte. „Was meinst du?“ „Hier steht, dass ein Merkmal eines Seelenverwandten jemanden zurück in die Menschlichkeit bringen kann“, sagte Ryan und tippte auf die Zeile im Buch. „Ryder! Weißt du, was das heißt?! Ich hab dir doch erzählt, dass der Wolf Aaron nicht ganz getötet hat… sondern ihn verschont hat!“ Oh Gott. Es fügte sich alles zusammen! Ryans Worte überschlugen sich vor lauter Aufregung fast in seinem eigenen Mund. „Das heißt, Aaron ist der Seelenverwandte von dem Wolf, Ryder. Der Seelenverwandte. Und wer glaubst du ist Aarons Seelenverwandter?!“ Ryder schwieg einen Moment lang. „Du willst doch nicht sagen…“ „Ich weiß, es ist ganz schlimm, aber – “ Ryan stockte. „Es erklärt auch, wieso Aaron und Dan nicht darüber reden und den Verantwortlichen finden wollen…“ „Ryan…“ Ryder klang zweifelnd. Aber Ryan schaute nur nochmal ins Buch, las nochmal die Zeilen und ja, daran gab es nichts falsch zu verstehen. Es war ganz eindeutig. Bevor er sich aber weiter darum Sorgen machen konnte, legten sich von hinten Arme um seinen Nacken. Ryder legte seinen Kopf auf Ryans Schulter und lehnte ihn gegen Ryans, während er mit seiner Hand abwesend seine Brust kraulte. „Vielleicht ist das ein wenig voreilig, oder? Nur weil es in diesem Buch steht…“ Ryan seufzte ebenfalls. „Ja, schon, ich weiß… ich will auch niemanden verdächtigen oder so. Aber es würde halt wirklich perfekt passen und ist die einzige Erklärung dafür, wieso er Aaron im Endeffekt doch verschont hat…“ „Hm.“ Ryder fuhr mit seinem Daumen kleine Kreise über Ryans Oberteil, womit er genau Ryans Brustwarze umrandete, die sich darunter befand. Ein sehr, sehr ablenkendes Gefühl, aber Ryan musste trotzdem weiter an die wahre Gestalt des Werwolfs denken. „Das stimmt schon“, lenkte Ryder ein. „Aber wenn es wirklich so ist… denk an all die anderen, die gestorben sind.“ „Vielleicht gibt es ja mehr Wölfe.“ Ryan wurde langsam ungeduldig. Wieso widersprach Ryder ihm überhaupt? „Aber für diesen einen, bestimmten Tag – da macht nur das Sinn, Ryder. Es muss Dan gewesen sein.“ „Ich kann einfach nicht glauben, dass Dan Aaron etwas antun würde… egal in welchem Zustand.“ „Er hat ihn nicht erkannt, Ryder. Das ist der Punkt.“ „Und wieso dann doch plötzlich?“ „Das weiß ich nicht so genau. Er hat irgendwie Aaron erkannt, schätz ich mal. Und dann…“ Ryan zuckte mit seinen Schultern. Ryder schüttelte seinen Kopf leicht. „Du bist dir wirklich sehr sicher, oder?“ „Das bin ich wirklich.“ „Und was machen wir mit der Information?“ Das… war eine wirklich gute Frage. Immerhin war Dan ein wirklich guter Freund von ihnen Beiden, vor allem von Ryder. Ihn sich als blutrünstige Bestie vorzustellen, das – das schien einfach nicht zu passen. Nachdem Ryan eine Weile nichts gesagt hatte, fing Ryder wieder an zu reden. „Und hast du nicht gesagt, die Zwei sind vor etwas geflohen? Vor was denn, wenn Dan der Wolf war? Und wer hat dann gegen die Tür deiner Großmutter gehämmert?“ Ryan verzog sein Gesicht. „Ich bin zuerst nur in Aaron gerannt…“, murmelte er. „Vielleicht ist Aaron vor Dan geflohen, aber dann hat Dan sich zurück verwandelt und ist zurück zu ihm gegangen…“ Okay, das hatte er echt nicht so wirklich durchdacht und er merkte auch, dass die Version jetzt plötzlich nicht mehr so gut klang. „Ich will ja nicht explizit sagen, dass du unrecht hast…“, lenkte Ryder ein. „Aber vielleicht sollten wir uns noch ein paar andere Alternativen durch den Kopf gehen lassen – und ein paar mehr Beweise suchen.“ Ryan drehte seinen Kopf zu Ryder. Das Gesicht des anderen Jungens war jetzt gefährlich nahe an seinem dran; Ryan spürte sogar, wie der Atem des Anderen an seine Lippen schlug. Ryans Herz begann zu klopfen. Seit dem Zeitpunkt, an dem er gesehen hatte, wie Dan Aaron geküsst hatte, war ihm etwas ganz anderes in den Sinn gekommen; etwas, an das er vorher so noch nie gedacht hätte. Er hatte weder mit Ryder noch mit Dan über diesen Kuss geredet, aber trotzdem hatte es in Ryan etwas entfacht – und deshalb sah er Ryder jetzt auch mit anderen Augen. Auch, wenn er das bisher gut verdrängte. „Also hilfst du mir weiter?“, fragte Ryan leise. „Natürlich.“, erwiderte Ryder. „Immer.“ Sie gingen das ganze Dorf durch. Jeder, der Kontakt zu allen Opfern oder auch nur ein paar der Opfern hatte, wurde genauestens unter die Lupe genommen. Und ihren Hauptverdächtigen, sollte es wirklich nur einen Wolf geben, hatten sie so sehr schnell gefunden: Ryan. Alle Mädchen, die gerissen wurden, waren seine Verlobten gewesen. Und Aaron, nun, mit dem war er auch befreundet. Ryan befürchtete eine Weile tatsächlich, dass er selbst der Wolf war, aber diese Zweifel hatten sie schnell beiseite geräumt. Es würde einfach keinen Sinn machen! Wieso hätte er sie alle töten können? Dann war natürlich naheliegenderweise Judith und sein Vater unter näheren Verdacht gefallen, gefolgt von Ryder. Und es gab irgendwie keine Möglichkeit, wirklich zu widerlegen, dass es sich bei einer bestimmten Person nicht um den Wolf handelte. Außer natürlich, man würde besagte Person an Vollmond beobachten, aber wie oft passierte sowas schon? Gut, natürlich einmal im Monat – aber bei so vielen Verdächtigten würde das doch Ewigkeiten dauern. Ryan hatte sogar überlegt, sich einfach an den Bürgermeister zu wenden, damit sie einfach jeden eine Nacht lang gleichzeitig beobachten würde, aber andererseits war es auch nicht unbedingt klug, alle Leute mit einem potenziellen, riesigen und vor allem unverletzlichen Wolf in einen kleinen Raum zu stecken. Wahrscheinlich war es nicht mal klug, dem Wolf hinterher zu jagen. Aber wenn die Person verletzlich wäre, dann ja wohl in ihrer normalen, menschlichen Gestalt! Nur, wenn es wirklich jemand wäre, der ihm nahe stand… „Das muss nicht unbedingt sein.“ Ryder saß hinter Ryan, in der Badewanne. Er hatte seine Arme um Ryan gelegt, wobei seine Hände aber auf Ryans Bauch ruhten. Der wiederum hatte seine Hände auch auf Ryders gelegt, während er seinen Kopf auf Ryders Schulter gelegt hatte. Sie hatten die Massage schon hinter sich. Manchmal blieben sie dann gerne einfach noch so in der heißen Wanne liegen und redeten. Zum Beispiel jetzt, über den Wolf. „Es sind auch andere Menschen außer deine Verlobten gestorben“, fuhr Ryder fort. „Vielleicht ist es doch einfach nur Zufall.“ „Aber das wäre schon ein harter Zufall…“ Ryan seufzte, seine Augen geschlossen. „Aber vielleicht gibt es ja wirklich mehr Wölfe.“ „Vielleicht.“ Ryan fühlte, wie Ryders Lippen sich auf seinen Hals lagen. Nur ganz leicht, aber direkt an seiner Halsschlagader. Sicher nicht beabsichtigt, aber… trotzdem sehr ablenkend. Sehr, sehr ablenkend. „Ryan… kann ich ganz ehrlich zu dir sein?“, flüsterte er. „Natürlich… was ist los?“ „Ich weiß, dass du wirklich gute Ziele hast… und es ist auch wirklich toll, mit dir darüber zu rätseln, wer der Wolf sein könnte. Aber – “ Er stockte. „Ryan, ich will, dass du damit aufhörst.“ Ryans Augen kniffen sich einen Moment zusammen, bevor er seinen Kopf von Ryders Schulter nahm. Er drehte sich so halb zu ihm, so gut das eben ging, ohne wirklich weg zu rutschen, um ihn anzuschauen. „Wieso?“, fragte er ihn, seine Augenbrauen verwirrt zusammen gezogen. „Ich will nicht…“ Ryder drückte seine Lippen zusammen. „Ich hab Angst, dass es für dich gefährlich werden könnte, Ryan.“ Ryan schwieg einen Moment lang. Ja, logisch, er hatte auch schon irgendwie nachgedacht, dass es wahrscheinlich nicht das klügste war, dem Monster direkt hinterher zu jagen. Aber irgendwer musste es ja wohl tun! „Nicht mal die Soldaten schaffen es, ihm auch nur was anzutun“, fuhr Ryder fort. „Und außer in deinem Buch steht noch irgendwo, wie man sie töten kann…“ „Aber in seiner menschlichen Gestalt…“ „Und wenn er sich dann einfach schnell verwandelt?“ Ryder drückte Ryan ein wenig enger an sich. „Dir soll nur nichts passieren, Ryan.“ Ryan knirschte ein wenig mit seinen Zähnen. „Aber sonst geht es weiter…“ „Irgendwer wird es sicher schaffen, ihn aufzuhalten. Wieso musst dieser jemand unbedingt du sein?“ Ryan seufzte, wusste aber nicht, was er darauf sagen sollte. Also schloss er nur wieder seine Augen und lehnte sich gegen Ryder, während er sich das durch den Kopf gehen ließ. Vielleicht hatte er ja wirklich recht. Vielleicht sollte er es einfach auf sich beruhen lassen, bis wer anders das Problem gelöst hatte. „Joody?!“ Ryan rannte mit pochendem Herzen durch das dichte Gestrüpp des Waldes. „Joody!““, wiederholte er nochmal, lauter. Aber bis auf das Echo seiner eigenen Stimme hörte er absolut nichts. Judith war früher an diesem Tag in den Wald gegangen, um ein paar Kräuter für die Spezial-Brotlaibe zu besorgen, die ihr Vater machen wollte. Normalerweise kam Judith von solchen Aufträgen immer schon mittags wieder zurück – und jetzt war es schon frühe Nacht. Ryan hatte ganz einfach Panik bekommen. Sein Vater hatte gesagt, dass sie Soldaten los schicken würden, aber das war Ryan egal gewesen. Es ging um seine kleine Schwester! Und dass die Soldaten unfähig waren, das hatte er ja schon längst festgestellt. Also war er zu Ryder in die Schmiede gegangen, hatte seinen besten Freund dort aber nirgends getroffen. Trotzdem hatte er sich einfach eines der Schwerter geschnappt, das ganz sicher von Ryder geschmiedet worden war (Ryder würde das sicher nicht schlimm finden), bevor er sich Hals über Kopf in den Wald gestürzt hatte – in die Richtung, aus der seine Schwester eigentlich die Kräuter holen wollte. Natürlich hatten alle versucht ihn aufzuhalten, aber Ryan war eben einfach schneller gewesen; weshalb er jetzt durch das dunkle Dickicht rannte, spürte, wie ihm immer wieder Äste ins Gesicht peitschten und sein Bestes dabei gab, bei den ganzen Geäst sein Schwert und die Orientierung nicht zu verlieren. „Judith!“, wiederholte er ein weiteres Mal. Und da – da war etwas. Ganz, ganz leise, noch viel tiefer im Wald, hörte Ryan einen Ruf, der zurückkam. „Ryan?“ „Joody!“ Ryan fühlte wie Erleichterung über ihn einbrach, aber es war trotzdem noch lange nicht geschafft. „Joody! Ich bin hier! Joody, wo bist du?!“ „Ryan… Ich bin hier!“ Die Stimme war leise, aber Ryan hatte so eine ungefähre Ahnung, aus welcher Richtung sie kam. Er merkte auch, dass seine Schwester alles andere als okay klang, aber darüber durfte er sich jetzt nicht sofort Gedanken machen. „Joody, ich bin gleich da!“, rief er. „Du musst nur weiter rufen!“ „Ryan, schnell! Ich hab Angst!“ „Ich bin jeden Moment da!“ Oh, und wie er rannte! Er stolperte ein paar Mal über Wurzeln, fing sich aber immer relativ schnell wieder. Er bezweifelte, jemals so schnell in seinem Leben gerannt zu sein, aber immerhin ging es hier um das Leben seiner Schwester. Und wenn ihr etwas passieren würde… Ryan wollte gar nicht erst daran denken. Sie riefen sich noch ein paar Mal gegenseitig zu – aber dann plötzlich entfuhr Joody ein schriller, markerschütternder Schrei. „Judith?!“, rief Ryan ein weiteres Mal, bekam diesmal aber keine Antwort. Ryans Herzschlag verwandelte sich in ein immer schnelleres Pochen, das gegen Ryans Kopf hämmerte, je schneller er rannte. Sein Brustkorb rebellierte schon gegen diese körperliche Überforderung, aber das Adrenalin überschüttete dieses Empfinden. Er konnte nur an den Schrei seiner Schwester denken, der immer noch in seinen Ohren nachhallte. Wenn ihr was zugestoßen wäre… „Ryan!“ Das Mädchen kam zwischen den Bäumen angerannt. Ryan hätte sie wegen ihrer dunklen Kleidung fast übersehen, aber er hielt an – und Sekunden später umarmte Judith ihn. Oder eher: klammerte sich an ihn. Ganz selbstverständlich fuhr er mit seiner freien Hand zu ihrem Kopf. Sie standen mitten am Rand einer kleinen Lichtung, die spärlich vom Mondschein beleuchtet wurde. „Judith…“, sagte Ryan schwer atmend, aber unglaublich erleichtert. „R-ryan“, wimmerte Judith. „Er.. R-ryan, es ist… ich…“ „Ganz ruhig, Judith.“ Er streichelte ihr durch die Haare. „Was is…“ Ein kurzes Verschnaufen, „los?“ „D-der Wolf… er… ist hinter mir…“ Und schon wieder waren Ryans Sinne auf 180. Er wusste nicht, ob Judith sich das eingebildet hatte – hier im Dunkeln konnte man sich sicher eine Menge einbilden – aber er musste auf Nummer sicher gehen. Seine Finger schlossen sich enger um den Knauf des Schwertes, von dem er natürlich keine Ahnung hatte, wie man es benutzen musste. „Ganz ruhig, Joody“, murmelte er, behielt aber zeitgleich seine Umgebung konzentriert im Auge. „Er kann dir nichts tun… ich werde dich beschützen.“ Judith klammerte sich an ihn. Ryan wollte gerade vorschlagen, dass sie zurückgehen sollten – aber dann hörte er das Knacken von Ästen. Nein, nicht nur von Ästen – es klang eher nach einer Steinlawine, die sich durch das Unterholz walzte, jedes Mal gefolgt von einem schweren Pochen, sobald die entfernte Figur auf den Boden aufkam. Nicht nur Ryans Gehör, nein, auch sein ganzer Körper spürte, dass da etwas riesiges auf sie zukam. Eine größere Gestalt, als er sie jemals gesehen hatte. Etwas unmenschliches, bestialisches… Es klang genau so wie damals, als Ryan Aaron mit Dan getragen hatte – nur hatte er die Geräusche da kaum wahrgenommen, sie ignoriert. Ryans Nackenhaare stellten sich auf. Die Geräusche wurden viel zu schnell lauter; die Geschwindigkeit der Bestie schien unglaublich zu sein. Wie hatten sie ihr nur jemals entkommen können?! Ryans Atem flachte ab, nur um dann noch viel schneller zu gehen. Es konnte sich nur um Sekunden handeln, seit Judith sich eng an ihn geschlungen hatte, aber die Momente zogen sich zäh und langsam. Als wollte das Schicksal ihnen eine letzte Gelegenheit geben, eine Strategie zurecht zu legen. „Geh hinter mich“, flüsterte Ryan, ohne darüber nachzudenken. „Versteck dich hinter mir.“ Judith protestierte nicht, wie sie es sonst bei ungefähr allem gemacht hätte, was Ryan ihr sagte. Stumm löste sie sich, nur um sich hinter Ryan und seinen großen, roten Umhang zu kauern. Ob sie es auch spürte? Ob sie ihn auch spürte? Ryans Blick war starr in die Dunkelheit gerichtet, aus der die Kreatur unaufhaltsam näher kam. Nur noch wenige Augenblicke trennten sie voneinander; nur noch eine hauchdünne Wand aus Dunkelheit hielt Ryan davon ab, dem Wolf endlich in die Augen schauen zu können. Er richtete sein Schwert aus. Er wusste, dass er keine Chance hatte, dass er ganz sicher sterben würde – aber er würde Judith bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen. Und dann erschien die Kreatur tatsächlich. Das erste, was Ryan von ihr sehen konnte, waren die in der Dunkelheit blitzenden, riesigen Augen. Sie waren von einem glänzenden, ruhigen und unglaublich dunklen Braun. Darunter leuchtete wenige Momente später zwei Reihen spitzer, rasiermesserscharfer Zähne auf, deren Anblick alleine Ryans Schwert nur wie einen billigen Zahnstocher aussehen ließ. Die Gestalt hörte auf zu rennen, sobald Ryan sie richtig erkennen konnte. Sie trat mehr in das Licht des Mondes und das auf eine, wie Ryan geschockt feststellen musste, unglaublich anmutige Art und Weise. Die Vordertatzen des Monsters waren zwar jeweils mindestens so groß wie Ryans Kopf, aber es machte kaum ein Geräusch, als sich die Klauen in die Erde bohrten. Das Fell des Tieres war schwarz und zottelig. An manchen Stellen klebte Blut das Fell zusammen, an anderen Plätzen war es Erde – in dem schwachen Licht war der Unterschied schwer zu erkennen. Die Beine der Kreatur waren allesamt unglaublich dick, wahrscheinlich dicker als Ryans kompletter Körperumfang. Ryans Hand mit dem Schwert begann schwer zu werden. Er umklammerte auch mit seiner anderen Hand den Griff, um das zu stabilisieren, während er das Monster fixierte. Und das Monster, es… es fixierte ihn auch. Es wirkte nicht so, als ob er wie ein normales Tier handeln würde. Er schaute nicht normal zu Ryan, nein, er fixierte ihn. Schien zu verstehen, was er da sah und schien es auch verarbeiten zu können… Langsam trat das Tier näher. Ein Grollen kam aus seiner Kehle, ein Grollen, das so tief und eindrucksvoll war, dass es sich anfühlte, als würde die Erde unter Ryan erbeben. Aber er behielt das Schwert in den Händen, auch, als das Tier näher kam. Zwar schaffte er es aus Schock nicht, sich zu bewegen, aber immerhin ließ er es nicht fallen. Das Tier trat wieder näher, auf seine bizarr-grazile Art und Weise. Bevor es Rotkäppchen aber ganz erreichen konnte, überraschte es diesen nochmal komplett: es stellte sich auf seine Hinterläufe, so, als ob das die normalste Tätigkeit der Welt wäre. Ryan erkannte jetzt auch, dass seine Vorderpfoten nicht unbedingt Pfoten waren, sondern fast schon menschliche Züge hatte – auch wenn jeder einzelne ‚Finger‘ in einer Kralle endete. Der Wolf trat noch ein wenig näher. Jetzt, stehend, überragte er Ryan um mindestens die Hälfte seiner eigenen Körpergröße, wahrscheinlich sogar noch ein bisschen mehr. Er trat näher an Ryan, der das Schwert nach wie vor fest in der Hand hielt und auf zu dem Kopf der Kreatur schaute. Die Hand des Monsters streckte sich nach ihm aus. Aber nicht bedrohlich oder in Form eines Angriffs, sondern langsam. Ryan schluckte, umklammerte das Schwert fester und wollte fast schon auf die Hand einschlagen, als die Kreatur die Situation noch bizarrer machte, als sie sowieso schon war. Sie begann etwas zu machen, was Ryan komplett den Boden unter den Füßen wegriss. Sie redete. „Ryan…“ Die Stimme des Monsters war genauso wie das Grollen, tief, kehlig und bedrohlich. Aber Ryan verstand, was er sagte – er verstand seinen Namen. „Nicht… verletzen.“ Ryan fühlte, wie sein Mund sich öffnete. Was…?! Hatte die Kreatur da gerade etwa – hatte sie seinen Namen gesagt?! Wie um alles in der Welt…?! Bevor er aber noch etwas sagen konnte, horchte der Werwolf auf. Seine übergroßen Ohren spitzten sich, er schnüffelte ein, zwei Mal mit seiner Schnauze und ließ sich anschließend wieder auf alle Viere fallen. Es sah unglaublich natürlich aus, wie aus den Armen innerhalb weniger Sekunden wieder Beine wurden und er wieder zu rennen anfingen, leiser diesmal. Er verschwand von der Lichtung zwischen den Bäumen und hinterließ sie alleine zurück; Ryan noch immer mit dem Schwert in der Hand, Judith hinter ihm wimmernd. Ryan starrte dem Monster hinterher. Er wusste nicht, ob er hinterher rennen sollte, oder ob er Joody trösten sollte oder was er überhaupt tun sollte, er starrte einfach nur hinterher… Und dann durchbrach wieder jemand das Dickicht, direkt hinter ihnen. Ryan, der offensichtlich viel zu wenig auf sein Gehör geachtet hatte, jagte herum und richtete das Schwert mit zittriger Spitze auf die Gestalt, die da kam. „Ganz ruhig, ‘Käppchen.“ Spellman. Einer der Soldaten des Dorfes; einer der sehr nervigen, idiotischen Soldaten des Dorfes. Spellman drehte sich so halb um und rief hinter sich in den Wald: „Ich hab sie gefunden!“, bevor er sich wieder an Ryan wandte. „Du hast deinem Vater einen fürchterlichen Schrecken eingejagt. Warum lässt du nicht uns die Arbeit machen? Das…“ „Ryan ist ein Held“, warf Judith ein. Ihre Stimme klang noch immer zittrig. „Er hat mich vor dem Wolf gerettet.“ „Vor dem Wolf?“ Spellman lachte. „Mädchen, das ist sicher nicht passiert. Niemand überlebt den Wolf.“ „Ryan…“ „Was auch immer.“ Spellman trat näher und hielt seine offene Handfläche vor Ryan. „Gib mir das Schwert, bevor du dir oder irgendwem damit noch weh tust. Woher hast du das überhaupt? Wenn du es gestohlen hast, dann…“ „Ryder hat es mir geliehen.“ Die Lüge ging Ryan glatt über die Lippen und er wusste, dass Ryder zustimmen würde, wenn Spellman nachfragen würde. Spellman verzog sein Gesicht – offensichtlich gefiel es ihm nicht, dauernd unterbrochen zu werden – aber weil Ryan ganz sicher keinen Streit anfangen wollte, überreichte er ihm das Schwert einfach. „Vernünftig“, kommentierte Spellman noch, bevor auch der Rest der Garde langsam eintraf. Judith und Ryan wurden zurück zum Dorf eskortiert, wobei niemand viel redete. Judith erzählte die Geschichte von dem Wolf kein zweites Mal, einfach weil sie wusste, dass man es ihr nicht glauben würde. Auch später am Tag erzählte sie niemanden mehr von dem Wolf – und auch nicht davon, wie er auf Ryan reagiert hatte. Sie erzählte nur, dass sie sich verlaufen und Ryan sie schließlich gefunden hatte. Ryan selber erzählte natürlich auch nichts. Er wusste ja nicht mal, wie er sich das selbst erklären sollte! Er wollte Ryder davon erzählen, aber der war an diesem Tag gar nicht mehr zu finden. Und erst später, als Ryan schon im Bett lag und wieder den stetigen Atem seiner Schwester hörte, mit der er sich ein Zimmer teilte, fiel ihm auf, dass da noch etwas Seltsames bei der Begegnung gewesen war. Mal ganz abgesehen davon, dass ein Wolf auf zwei Beinen gegangen war und mit ihm geredet hatte. Da war noch etwas gewesen, was Ryan bis jetzt gar nicht wirklich bedacht hatte. Der Wolf war riesig gewesen, mit so dicken Muskeln unter dem zottigen Fell, dass es sicher nur einen Hieb gebraucht hätte, um Ryan auf der Stelle zu töten. Aber – Ryan hatte keine Angst gehabt. Nein, ganz im Gegenteil. Die Gegenwart des Wolfes hatte sich auf eine bizarre Art und Weise vertraut angefühlt. „Wo warst du gestern?“ Ryans Kehle fühlte sich trocken an, als er die Frage stellte. Er klang vorwurfsvoll, viel vorwurfsvoller als er geplant hatte zu klingen. „Was?“ Ryder legte den Hammer nieder, mit dem er gerade eines der Schwerter bearbeitet hatte. „Ryan?“ Er rieb sich über den Nacken, während er sich in all seiner oberkörperfreien, verschwitzten Pracht umdrehte. Nur konnte Ryan das gerade wirklich nicht beachten. „Wo du gestern warst“, fragte er nochmal. „Du warst gestern nicht da. Ich hab dich gesucht.“ „Stimmt, ich hab davon gehört…“ Ryder griff sich einen der Lumpen neben dem Amboss. Damit tupfte er sich die Stirn ab und wischte seine Hände, wodurch seine Stirn ein paar, schwarze Flecken bekam. „Ich wollte dich sofort besuchen kommen, als Spellman mir das Schwert gebracht hat und dabei gleich noch gesagt hat, dass du nachts in den Wald gegangen bist. Was hast du dir dabei nur gedacht?“ „Ich hab mir Joody dabei gedacht“, erwiderte Ryan bissig. „Wo – warst – du?“ „Das ist ja auch mehr als recht“, gab Ryder zurück. „Aber ich hab mir trotzdem Sorgen gemacht…“ „Sorgen.“, wiederholte Ryan. Es fühlte sich gelogen an, sogar, wenn er es nur selbst aussprach. „Und wieso bist du mich dann nicht besuchen gekommen? Wo warst du?“ Ryder verstummte. „Ryan, bist du wütend auf mich?“, fragte er schließlich. Ryan hätte vor Frustration fast aufgeschrien – wie penetrant konnte man eine Frage ignorieren?! Dennoch antwortete er darauf nicht, bis Ryder schließlich den Lumpen wieder ablegte und zu Ryan ging. „Hey, was ist los?“, fragte er. „Hab ich dir was getan? Ich…“ Seine Hand legte sich auf Ryans Schulter. Oder jedenfalls versuchte er es; Ryan zog seine Schulter weg, bevor er sie berühren konnte. „Fass mich nicht an“, zischte Ryan. „Ich weiß, wer du bist. Was du bist.“ Ryders Mimik entglitt ihm. Ryan konnte eine ganze Menge daraus ablesen, über Frustration und Verletzung bis hin zu blankem Schock. „Ryan, was…“ „Ich hab deine Augen erkannt.“ Ryan merkte, wie seine Kehle sich zuschnürte und wie seine Augen feucht wurden, aber er versuchte nicht darauf zu achten. „Und das Gefühl. Verdammt, ich hab’s sogar an diesem schwarzen Fell bemerkt!“ Eigentlich hatte Ryan nur kommen wollen, um mit Ryder darüber zu reden. Vernünftig, ohne gleich Vorwürfe zu machen. Aber ihn zu sehen hatte die Gefühle wieder aufleben lassen und während er sich selbst erklärte, merkte er auch, dass er sich wirklich sicher war. Auch, wenn er es die ganze Zeit nicht wahrhaben wollte. „Du bist der Wolf“, fasste er seine Vermutung zusammen. „Der Werwolf, der alle umgebracht hat.“ Ryder zuckte leicht zusammen. Ryan war sich nicht ganz sicher, ob das wegen seiner harschen Aussprache war, oder weil er ihn entlarvt hatte – aber vermutlich war es Beides. „Ryan… du verstehst das ganz falsch“, fing Ryder an. „Ich…“ „Was soll ich daran falsch verstehen?!“ Er stand jetzt gerade wirklich sehr kurz davor, tatsächlich los zu heulen. „Sag mir einfach, Ryder, warst du das? Warst du der Wolf den ich gestern gesehen habe?“ Einen Moment lang sagte Ryder nichts. „Können wir wenigstens reingehen?“, murmelte er dann. „Dann hört uns niemand…“ „Wozu? Damit du mich drinnen auffressen kannst, weil ich dein Geheimnis rausgefunden habe?!“ „Ryan, das – “ Er stockte. „Ich würde dir nie, niemals etwas antun!“ „Aber Thalia, Rosie, Rachel – denen könntest du allen was antun, ja?!“ Jetzt weinte Ryan tatsächlich. Kein Wunder, er fühlte sich so unendlich verraten und so unendlich dumm, weil er Ryder vertraut hatte… Mehr als nur vertraut… „Das war ich nicht“, erwiderte Ryder verzweifelt. „Bitte, das musst du mir glauben. Ich würde doch nie jemanden etwas antun, der dir wichtig ist…“ „Dann warst du wohl auch nicht der Wolf bei Aaron, was?“ Ryan schluckte, gefolgt von ein paar zittrigen Atemzügen. Ryders Kiefer spannte sich an. „Ich hab sie doch nur beschützen wollen…“ „Und dabei seinen halben Brustkorb rausgerissen, ja?!“ Ryan konnte es kaum fassen. Ryder war doch selbst mit Aaron und Dan befreundet! Ja, mit Aaron kam er vielleicht nicht immer gut aus, aber das war doch kein Grund dafür, so etwas zu tun! „Es ist mit mir durchgegangen, Ryan, aber – ich hab doch aufgehört! Und sonst wäre er gestorben, Ryan, ich hab wirklich alles getan…“ „Und wieso bist du dann nicht gekommen?! Er wäre fast gestorben, wenn meine Großmutter nicht gewesen wäre!“ „Ich war da, Ryan, ich… ich hab zugehört, gewartet, bis es Aaron gut geht…“ Ryder stockte einen Moment lang. „Bitte, Ryan, du kennst mich! Ich würde doch niemals was böses tun! Und – und ich kann dir das beweisen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte er sich Ryans Handgelenk und zog ihn einfach mit sich. Nicht sonderlich sanft und Ryan versuchte auch, sich zu wehren; es klappte nur nicht sonderlich gut. Ryder zog ihn bis in sein eigenes Zimmer, wo er die Tür hinter sich schloss. „Bitte“, sagte er, während er Ryans Handgelenk losließ. „Schau einfach her.“ Ryan wollte nicht zuschauen. Er wollte hier weg, ganz weit weg von Ryder, einfach nur weil er nicht wusste, wie er mit all dem hier umgehen sollte. Aber andererseits wollte er auch unglaublich gerne Ryder glauben können… Also kam er zögerlich ein wenig näher, als Ryder in seinem Nachtschrank kramte, der neben seinem Bett stand. „Hier.“ Er drehte sich um – und Ryan wich gleich einen Schritt zurück, als Ryder einen gezückten, glänzenden Dolch nach oben hielt. Kurz huschte Enttäuschung über Ryders Gesicht. „Du musst keine Angst vor mir haben“, murmelte er. „Der Dolch hier is‘ genauso wie der, den ich dir geschenkt hab. Er ist aus purem Silber, weißt du?“ Er klang nervös, aber er trat näher an Ryan heran, der aber gleichzeitig einen Schritt zurück ging. „Ryan, das ist… die einzige Art einen Werwolf zu töten, weißt du? Und – u-und weißt du, wieso ich so einen genau neben meinem Bett hab? Weißt du das?“ Seine Stimme klang verzweifelt. Ryan schaute von dem Dolch zu dem Gesicht des Schmiede-Lehrlings, seine Unterlippe leicht bebend. „Wieso…?“, fragte er schließlich. „Ich habe mir vorgenommen – dass… sollte ich jemals einen Menschen willentlich töten, während ich verwandelt bin… dass ich mich dann selbst töten werde.“ Er schluckte. „Verstehst du das? Bei Aaron war ich verdammt kurz davor, aber – er hat ja überlebt und…“ Ryan starrte wieder ein paar Sekunden auf das Messer, bevor er leicht seinen Kopf schüttelte. „Wieso sollte ich dir das glauben? Du hast das Messer doch sicher nur zur Verteidigung hier…“ Und natürlich musste man sich auch mal so verteidigen können, wenn man eine zweite Identität als Massenmörder hatte. „M-moment… schau her.“ Ryder nahm noch einen tiefen Atemzug, bevor er mit dem Silbermesser einmal quer über seinen Unterarm schnitt. Eine dünne Blutlinie kam an der Stelle – bevor die Wunde auch tatsächlich zu dampfen anfing, während Ryders Hand sich zur Faust ballte. Sein Körper verspannte sich, er kniff seine Augen zusammen und sein Kopf drehte sich ein bisschen zur Seite. Aus seiner Kehle entfuhr ein tiefes Knurren, während Reißzähne zwischen seinen Lippen entstanden. Und weil Ryan langsam Panik bekam, stolperte er rückwärts zurück. Als er schließlich die Tür im Rücken spürte, drehte er sich rum, drückte die Tür runter und wollte raus rennen; bevor er das aber konnte, wurde die Tür vor ihm wieder mit einer Hand zugeschlagen. „Geh nicht“, schnaufte er. „Ryan…“ „Ryder!“ Ryan drehte sich um, wobei er jetzt sehen konnte, wie verdammt nahe Ryder ihm war. Er war ein wenig gewachsen und seine Zähne waren immer noch spitz, aber seine Augen… sie waren so groß, glänzten leicht – so verletzlich, traurig… „R-ryder, lass mich gehen…“, brachte Ryan trotzdem raus. „Du… du bist ein Monster.“ Diese Reißzähne und sein Wachstumsschub sprachen ja für sich, oder?! Ryder atmete noch zwei, dreimal tief durch – und dann konnte Ryan dabei zusehen, wie seine Reißzähne sich langsam wieder zurückbildeten. „Ryan, bitte“, sagte er nochmal. „Geh nicht weg… bitte…“ „Ryder – d-du machst mir Angst.“ Ryans Handflächen drückten sich an die Tür. „I-ich verrate es Niemanden, aber… bitte lass mich gehen…“ „Aber – “ Ryder nahm seine Hand tatsächlich von der Tür weg, legte sie aber stattdessen an Ryans Gesicht. Überraschend sanft… und seine Zähne bildeten sich jetzt auch komplett zurück. „Aber i-ich liebe dich, Ryan…“, vollendete er seinen Satz schließlich. Ryans Herz blieb für einen Moment stehen. Das war jetzt langsam einfach zu viel: erst die Sache mit dem Wolf, dann Ryder, der sich direkt vor ihm verwandelte und jetzt – jetzt das. „Was?“ Seine eigene Stimme klang viel zu hoch, viel zu atemlos. „Ich liebe dich, Ryan“, wiederholte Ryder. „Ich liebe dich so sehr und schon so lange, ich… bitte hab keine Angst vor mir, Ryan, ich könnte dir nie, nie was tun…“ Ryan starrte immer noch in Ryders Augen. „Der Mantel“, murmelte Ryan schließlich. „A-aarons Mantel ist durch sein Blut rot geworden… wie meiner. Es hat dich an mich erinnert…“ Ryder nickte langsam. „Es hat mich aus meinem Blutrausch gerissen, ja. Weil… du scheinbar mein Seelenverwandter bist, Ryan.“ Ryan wusste wieder nicht, was er sagen sollte. Er schaute nur in seine Augen, versuchte sich selbst davon zu überzeugen, das er immer noch weg rennen sollte und dass das hier wirklich nicht sicher sein konnte – aber andererseits fühlte er, wie sich langsam doch ein Gefühl des Vertrauens in ihm festsetzte. Aber wie konnte er Ryder auch misstrauen, wenn er sowas sagte?! Schließlich konnte er also nicht mehr verhindern, das auszuprobieren, was er jetzt schon seit einer halben Ewigkeit hatte ausprobieren wollen. Er überwand die Distanz zwischen ihren Lippen, drückte seine auf Ryders und ließ den Kuss für ein, zwei Momente anhalten. Es fühlte sich überhaupt nicht so an, als wäre Ryder ein Monster, ganz im Gegenteil: seine Lippen waren weich, warm und einfach nur unglaublich perfekt. Es dauerte eine Weile, bis Ryan die Motivation dazu aufbringen konnte, den Kuss wieder zu lösen. „Und was ist mit all meinen Verlobten?“, fragte er leise. „Kannst du dich an alles erinnern, was du jemals getan hast?“ Ryder nahm einen zittrigen Atemzug. „Nicht alles, ich… wenn ich in einen Blutrausch falle – oder an Vollmond – dann… vergess‘ ich manchmal, was passiert ist.“ Er klang so unsicher, dass Ryan ihm am Liebsten gleich selber bestätigt hätte, dass es sicher nicht so war. „Aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich es war“, schob Ryder dann aber doch selber noch an. „Ich glaube es einfach nicht. Ich glaube… ich wüsste es, wenn ich jemanden getötet hätte.“ Aber wenn Ryder ihm sagte, dass er ihn liebte – es war doch naheliegend, dass er dann Ryans Verlobte im Blutrausch getötet hatte, oder? Und wer um alles in der Welt sollte es denn sonst sein? Aber andererseits war das hier Ryder! Und wenn Ryder sagte, dass er glaubte, dass er niemanden umgebracht hatte… „Ich glaub dir“, murmelte Ryan also schließlich. Ryders Augen leuchteten auf, genauso wie seine Mundwinkel sich ein wenig nach oben zogen. „Danke…“, murmelte er, bevor er ihre Lippen ein weiteres Mal versiegelte. Ryan hatte immer noch Probleme damit, alles, was er eben erlebt hatte, zu verarbeiten. Aber glücklicherweise setzte sein Gehirn sowieso aus, wenn Ryder ihn so küsste. Es war so perfekt. Ryder behandelte ihn so gut, dass Ryan in den meisten Momenten komplett vergessen konnte, was Ryder eigentlich war und was er getan hatte. Die meiste Zeit verbrachten sie in Ryders Zimmer, weil sie hier die meiste Privatsphäre hatten; und dort lagen sie meistens in Ryders Bett, aber ohne jemals irgendetwas Sexuelles zu machen. Ryan mochte das Gefühl, eng an Ryder zu liegen und ihm nur im Arm halten zu können. Und ganz besonders mochte er es natürlich, seine Lippen auf Ryders zu drücken… Wenn sie das aber gerade nicht taten, dann hörte Ryan auch einfach nur gerne den Klang von Ryders Stimme. Sie redeten über eine Menge dir, mehr Dinge, als sie das als bloße Freunde gemacht hatten. Aber natürlich redeten sie niemals über dieses eine Thema, dieses unleidliche Thema mit den Morden. Mussten sie ja auch gar nicht, immerhin starb auch niemand mehr. Und Ryan mochte den Gedanken, dass es an ihm lag. Manchmal verbrachten sie aber auch Zeit mit Judith. Judith hatte Ryder schon immer sehr gerne gemocht, wahrscheinlich, weil Judith so gut wie jeden Kerl mochte, mit dem Ryan Zeit verbrachte. Sie war in ihren jungen Jahren eben sehr, sehr von gutaussehenden Jungs angetan. Und von Ryder eben ganz besonders… Vielleicht hatten sie in der Familie ja den selben Männergeschmack? Einmal statteten sie auch der Taverne einen ziemlich lustigen Besuch ab. Aaron und Dan sangen ihnen ein Ständchen, sie tranken danach noch eine Weile zu viert weiter und Ryder und Ryan erzählten davon, was sie jetzt für eine Beziehung miteinander hatten. Vor Dan und Aaron konnte das ja auch nicht wirklich peinlich sein, schließlich hatten sie ja eine ganz ähnliche, noch viel verwerflichere Beziehung! „Glückwunsch, Rotkäppchen“, war Aarons Kommentar gewesen, gefolgt von einem breiten Grinsen. „Vielleicht musst du ja jetzt…“ „… nicht mehr ständig an den Wolf denken“, vollendete Dan seinen Satz. „Keine Sorge – an mir hat er genug Wölfisches.“ Ryder war offensichtlich schon ziemlich angetrunken gewesen, sonst wäre ihm so ein dümmlicher Kommentar kaum eingefallen. „Aber sowas von“, hatte Ryan grinsend erwidert. Sie hatten sich schnell umgeschaut, bevor Ryan sich rüber gebeugt und Ryder einen sehr wölfischen Kuss auf die Wange gegeben hatte. „Awwww!“, hatten Dan und Aaron gleichzeitig gesagt. „Das ist…“ – „… echt süß!“ Diesmal hatte Aaron den Satz vollendet, wobei sich die zwei Brüder auch gleich einen verliebten Blick zuwarfen. Ryan hatte das zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr komisch gefunden, ganz im Gegenteil, er hatte es Aaron und Dan unglaublich gegönnt. Auch wenn er insgeheim gehofft hatte, dass er niemals den Satz von Ryder vollenden würde. Heute jedenfalls hatte Ryan wieder vorgehabt, seine Großmutter zu besuchen. Ursprünglich alleine, aber er konnte ja auch nicht nein zu Ryder sagen! Und wenn sowohl Ryan als auch Ryder in den Wald gingen, wollte Joody sich natürlich anhängen. Dazu kam natürlich auch noch ein Korb voller Essen und Wein, wie er ihn eben immer für seine Großmutter hatte. Im Endeffekt gingen sie also zu dritt durch den Wald, wobei Judith wie immer an Ryder klebte. So sehr, dass sie sich auch gar nicht daran störte, dass Ryan seine eine Hand mit dem anderen Jungen verschränkte. Aber hey, was Aaron und Dan konnten, konnten sie ja schon lange, oder? An Ryders anderer Hand hängte Judith, aber Ryan störte sich da gar nicht groß dran. Judith erzählte Ryder die meiste Zeit irgendwelche unwichtigen Dinge, bei denen Ryder so tun müsste, als fände er sie unheimlich interessant. Ryan selber machte sich gar nicht erst die Mühe, überhaupt zuzuhören, weil seine Gedanken schon längst bei seiner Großmutter hingen. Hoffentlich würde sie heute nicht so ein Drama machen! Immerhin konnte sie Ryder nicht sonderlich leiden, aber Ryan wäre es irgendwie schon wichtig, wenn seine Großmutter und Ryder sich verstehen würden. Vor allem jetzt, wo Ryan nach und nach die Leute wissen lassen wollte, was er an Ryder fand – ganz egal, ob das jetzt eine gute Idee war oder nicht. „Ryan, alles klar?“ Der Angesprochene blinzelte ein paar Mal, bevor er zu dem älteren Jungen neben sich schaute. „Klar“, erwiderte er. „Alles gut…“ Ryder runzelte seine Stirn, bevor er ihre Hände voneinander löste. Stattdessen legte er einen Arm um Ryans Hüfte und zog ihn an sich ran, was diesem einen zarten Rotschimmer auf die Wangen zauberte. „Ganz sicher?“, fragte Ryder nochmal leiser nach. „Mhm.“ Jetzt erst recht. Ryan legte seinen Arm ebenfalls um Ryders Hüfte, auch wenn sich das vor Judith nicht unbedingt richtig anfühlte. Judith fragte aber erst gar nicht nach, nein, sie beachtete es eigentlich nicht mal groß. Klar, Ryan hatte auch nie an die alleinige Möglichkeit gedacht, dass zwei Jungs überhaupt dazu in der Lage wären, solche Gefühle füreinander zu empfinden… „Du schaust aber nicht so aus“, erwiderte Ryder. „An was denkst du?“ Das Rotkäppchen drehte seinen Kopf ein wenig, bevor er die Stirn runzelte. „Echt nichts. Aber süß, dass du dir so viel Gedanken machst…“ Ryder lächelte auf diese Aussage hin kurz. „Immer doch“, versprach er. Ryan lächelte ihm zu, bevor Judith wieder das Wort ergriff und weiter davon erzählte, wie eine ihrer besten Freundinnen sich total in einen Jungen verliebt hatte, der unglaublich ungehobelt war. Als sie schließlich in die Nähe der Hütte kamen, löste Ryan sich von Ryder. Stattdessen ging er ein bisschen vor, um an die Tür seiner Großmutter zu klopfen. „Grandma? Ich bin’s“, rief er durch die neue, dichte Holztür hindurch. Seine Großmutter öffnete die Tür wieder erstmal nur mit Kette, sah nur ihn und öffnete daraufhin auch schon die Tür ganz. „Hallo, Ryan!“, grüßte sie ihn grinsend. „Du kommst gerade richtig! Ich hab Kekse – “ Ihr Blick wanderte von Ryan zu Ryder. „Oh.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Hallo, Grandmaaaa!“, grüßte Joody sie, löste sich jetzt endlich auch mal von Ryder und umarmte ihre Großmutter dann auch schon. „Auch hallo, Kleines“, erwiderte die ältere Frau gackernd, bevor sie ihr über den Kopf streichelte. „Guten Mittag…“, grüßte schließlich auch Ryder, woraufhin die kleine Frau ihn nur wieder abschätzig anschaute. „Hallo“, erwiderte sie trocken. Und dann wieder in Richtung ihrer Enkelkinder: „Kommt doch rein!“ Sie öffnete die Tür ganz und verschwand in der Hütte. Judith folgte ihr, während Ryder neben Ryan trat. „Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mitzukommen“, flüsterte er ihm zu. „Wenn du willst, kann ich auch wieder zurückgehen. Wir können uns ja heute Abend treffen…“ „Nein.“ Ryan hatte keine Lust, dass er nur wegen seiner Großmutter weniger Zeit mit seinem quasi-Seelenverwandten verbringen konnte! Deshalb drückte er doch nochmal kurz Ryders Hand, gefolgt von einem Lächeln. „Das wird schon…“ Ryder erwiderte das Lächeln und nickte langsam. „Wenn du das sagst.“ – Natürlich wurde es absolut nichts. Im Verlaufe der nächsten Minuten ließ Ryans Großmutter immer wieder abschätzige Kommentare fallen, die Ryder aber ziemlich gut einsteckte. Ryan war immer wieder positiv überrascht, wie stoisch sein bester Freund sich darüber verhielt – aber wahrscheinlich strengte er sich auch nur wegen Ryan so an. Richtig schlimm wurde es aber erst, als ihre Großmutter vorschlug, was sie zum Abendessen machen konnten. Zuerst war der Vorschlag ganz normal, Pilze mit Gemüse und einer von ihr selbstgemachten Soße… aber dabei konnte sie es natürlich nicht belassen. Sie schaute einmal in die Runde, um Zustimmung für ihren Vorschlag zu finden, ließ ihren Blick aber schließlich an Ryder hängen. „Und für dich Hundekuchen?“, schlug sie vor. „Oder willst du dir dein Essen lieber selber reißen?“ Stille kehrte in die Hütte ein. Judith sagte nichts, weil sie verwirrt war; und Ryan und Ryder waren schlichtweg zu geschockt. „Wieso schaust du denn so, Jüngelchen?“ Sie schnaubte. „Meintest du, es ist nicht offensichtlich genug? Ich wusste ja schon immer, dass du unreine Gedanken mit meinem Enkel hast… aber ich dachte, er wäre klug genug, das richtig einschätzen zu können. Aber jetzt schon seine Freunde anzugreifen? Das ging eindeutig zu weit.“ „Großmutter…“, versuchte Ryan einzulenken. „Misch dich da nicht ein.“ Sie blitzte ihn kurz an, bevor sie wieder zu Ryder schaute. „Und? Willst du es bestreiten?“ Ryders blick huschte für einen Moment panisch zu Judith. „Nein, Ma’am“, sagte er schließlich mit zittriger Stimme. „Aber ich habe niemanden was getan…“ „Dann hast du keine unreinen Gedanke mit meinem Enkel gehabt?“ Jetzt schaute Ryder panisch zu Ryan. Der glaubte sogar zu spüren, wie das Herz seines besten Freundes klopfte, aber er wusste nicht, was er tun sollte – er war selber wie gelähmt. „Und du warst nicht eifersüchtig auf seine Verlobungen, ja?“ Ryders Atem flachte ab. „Ich…“ „Eifersucht ist ein starker Auslöser.“ Ryans Großmutter schnaubte abermals. Sie richtete ihren Blick auf ihren Enkel, ihre Stirn gerunzelt. „Was hat er dir erzählt? Dass er es nicht war? Dass er unschuldig ist? Oh, ich dachte du wärst klüger, Ryan…“ Sie schüttelte mit einem abwertenden ‚ts, ts, ts‘ ihren Kopf. „Ma’am, ich bin mir sicher…“, fing Ryder aber trotzdem wieder an. „Dass du der Wolf bist?“ Sie grunzte. „Ja, das mag ich dir wohl glauben. Du hast schon immer so nach Hundefell gestunken.“ Wieder sagte niemand etwas. Ryder, der mittlerweile fassungslos auf einem der Stühle Platz genommen hatte, wirkte komplett zerstört – und Ryan sah wahrscheinlich nicht besser aus. „Was?“, war alles, was Judith dazu sagte, aber niemand beachtete sie groß. Ryans Großmutter handelte schneller, als Ryan es für möglich gehalten hätte. Innerhalb weniger Sekunden schnappte sie sich ein Messer von den Tresen und drückte einen ihrer Gehstöcke an Ryders Hals. „Ist es nicht so?“, fauchte sie. Ryder sagte wieder nichts, aber natürlich brauchte die Frau auch gar keine Bestätigung mehr. Sie schnitt einmal mit dem Messer über die Seite von Ryders Hals – und als es dampfte und Ryder ein grauenvolles Grollen ausstieß, schaute ihre Großmutter zu Judith. „Siehst du das?“, fragte sie, bevor sie zu Ryan schaute. „Wie konntest du so ein Monster nur in die Nähe deiner Schwester lassen?“ Ryans Handflächen wurden schwitzig. Er…. Er wusste ja, dass es nicht richtig gewesen war, dass Ryder nicht gut war – aber er hatte ihm doch so sehr vertrauen wollen! „Zum Glück bin ich nicht so schwach.“, redete sie weiter. Ryder reagierte immer noch nicht richtig, als diese alte, unscheinbare Frau mit dem Messer ausholte. Sie schien ihm die Luft abzuschnüren und Gott, sie würde gleich zustechen, sie würde Ryder töten… Ryans Körper reagierte schneller, als sein Verstand die Situation eigentlich verarbeitet hatte. Mit voller Körperwucht stieß er seine Großmutter von Ryder herunter, bevor er dem Jungen auf die Beine half. „Ryan!“ Seine Großmutter rappelte sich schnell wieder auf. Sie stellte sich zwischen Ryan und die Tür, das Messer in der Hand. „Wieso verteidigst du ihn? Hast du nicht gelesen, was ich dir gegeben habe? Er ist ein Monster, er manipuliert dich!“ Ryan schluckte schwer. „Großmutter, geh uns aus dem Weg“, kommandierte er mit überraschend fester Stimme. „Du wirst Ryder kein Haar krümmen. Er ist kein Monster!“ „Natürlich ist er das! Sieh doch seine Zähne an!“ Ryan schaute rüber zu Ryder. Ja, natürlich, seine Zähne hatten sich noch nicht zurück gebildet, aber… nein – nein, Ryder war kein Monster. „Lass uns durch“, sagte er also nochmal, seine Stimme immer noch fest. Seine Großmutter schüttelte ihren Kopf abwertend. „Versuch doch an mir vorbei zu kommen, Bestie.“ Das ging zwar (offensichtlich) an Ryder, aber das war Ryan egal. Er ging zu seiner Großmutter – sollte sie ihn doch angreifen! – und baute sich vor ihr auf. „Willst du dich wirklich nochmal gegen deine Großmutter stellen?“ Sie verengte ihre Augen, als sie zu ihm aufschaute. „Ich will nicht. Aber wenn du Ryder nicht gehen lässt…“ „Ryan, ich – das ist schon gut…“ Ryder kam jetzt doch von hinten, um eine Hand auf Ryans Schulter zu legen. Aber wie konnte er finden, dass hier an dieser Situation auch nur irgendwas gut fand?! Nichts war gut! Das war grausam! Seine Großmutter war grausam ungerecht zu Ryder! „Ich sag es noch ein letztes Mal“, warnte Ryan also. „Geh jetzt aus dem Weg oder ich werde dich dazu zwingen müssen!“ Seine Großmutter knirschte mit den Zähnen, aber sie ging tatsächlich aus dem Weg. „Du machst einen riesigen Fehler, Ryan“, sagte sie. „Er war es. Auch wenn er sagt, er erinnert sich nicht, er war es. Wölfe haben sich nie unter Kontrolle!“ Aber Ryan hörte ihr gar nicht mehr zu. Er öffnete die Tür und stellte sich zwischen Ryder und seine Großmutter, damit die gar nicht auf falsche Gedanken kommen würde. Ihn würde sie sicher nicht angreifen. „Geh raus, Ryder… und du auch, Joody.“ Ryan behielt seine Großmutter im Blick, bis die Zwei auch verschwunden waren. Seine Großmutter schnaubte, kam dann am Ende aber doch nochmal näher. „Wenn du jemals zu Verstand kommen solltest“, sagte sie, „Dann nimm wenigstens das hier.“ Sie drückte ihm den Dolch in die Hand. Ryan starrte den Dolch ein paar Sekunden fassungslos an, legte ihn dann aber weg. „Tschüss, Großmutter“, sagte er, bevor er die kleine Hütte verließ. Er könnte Ryder nicht umbringen. Niemals. Sie legten ihren Heimweg rennend zurück. Erst, nachdem sie eine sichere Distanz erreicht hatten (auch wenn Ryan sowieso bezweifelte, dass seine Großmutter ihnen folgte) wurden sie ein wenig langsamer. „Joody“, wies Ryan seine kleine Schwester dann noch an, „Du darfst niemals jemanden sagen, was da drinnen passiert ist. Okay? Vor allem nicht, was du bei Ryder gesehen hast.“ Seine Schwester drückte ihre Lippen zusammen, nickte aber. „Großmutter wird Ryder doch nichts tun?“, fragte sie leise. „Natürlich nicht.“ Ryan glaubte da zwar selber nicht hundertprozentig dran, aber wenigstens seiner kleinen Schwester konnte er das ja wohl erzählen. „Okay.“, erwiderte sie nur – und klang überhaupt nicht so, als ob sie ihm auch nur im Entferntesten glauben würde. Auch von Ryder erntete Ryan einen skeptischen Blick, den Judith nicht sehen konnte. Aber was sollte Ryan denn dagegen tun? Kaum, dass sie Judith bei sich daheim abgesetzt hatten und zu Ryder gegangen waren, fing Ryder auch schon an, zu reden. „Ich muss weg gehen“, waren seine erste Worte. Ryan hatte sowas schon erwartet, aber… „Meine Großmutter wird es niemanden sagen“, versicherte Ryan. „Sie war das letzte Mal vor einer halben Ewigkeit im Dorf, da kann ich mich nicht mal dran erinnern. Ich bin mir sicher, dass nichts passieren wird…“ „Ryan – ich wünschte, das wäre die Wahrheit.“ Er warf ihm noch ein verzweifeltes Lächeln zu, aber dann ging er auch schon los in die Richtung seines Zimmers. Ryan folgte ihm, noch während Ryder redete. „Sie wird es irgendwem sagen, oder Judith wird es irgendwem sagen. Sie werden mich ergreifen und sie werden mich töten und – wahrscheinlich haben sie alles recht dazu. Ich bin schließlich ein Monster…“ „Du bist kein Monster!“ Wieso glaubte Ryder das denn jetzt schon selber?! „Nur weil dich irgendein Viech gebissen hat bist du noch lange kein Monster, Ryder, okay!? Du kannst nichts dafür. Du hast dich unter Kontrolle!“ „Ich kann mich nicht an alles erinnern“, erwiderte sein bester Freund. „Okay? Es kann sein, dass ich deine Verlobten umgebracht hab. Ich war eifersüchtig, Ryan, ich war verdammt eifersüchtig, aber ich hab dir das Glück auch gegönnt… aber was, wenn das der Wolf in mir nicht getan hat?!“ Ryan wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Wenn jetzt sogar Ryder glaubte, dass er es gewesen war – dann gab es wirklich nichts mehr, was Ryan an seine Unschuld glauben ließ. Aber er würde es so gerne glauben können, er wäre so gerne glücklich mit Ryder… „Ich gehe mit dir.“ Die Worte verließen ihn schneller, als er darüber überhaupt nachgedacht hatte. „Ich lass dich nicht alleine weg gehen“, wiederholte er nochmal, fester. „Wenn dann verlasse ich das Dorf mit dir.“ Ein paar Momente lang hielt Ryder in der Bewegung inne – aber dann drehte er sich doch zu ihm, überwand die kurze Distanz und legte seine Hände an Ryans Gesicht, um ihm einen Kuss zu geben. „Ich liebe dich so sehr, Ryan“, flüsterte er. „Ich liebe dich auch…“ – Und auch, wenn Ryan das jetzt das erste Mal sagte, wusste er, dass es stimmte. Ryder fuhr mit seinem Daumen nochmal über Ryans Wange, bevor er sich wieder löste. „Wir dürfen nur das Nötigste mitnehmen. Du hast doch sowieso nicht so viel, oder? Und vielleicht zwei Schwerter, um uns zu verteidigen…“ „Ryder, warte mal.“ Ryan ging zu Ryder rüber, der schon voller Tatendrang sein Zeug aufs Bett schmiss. „Vielleicht sollten wir wenigstens nochmal kurz darüber nachdenken…“ „Wir sollten keine Zeit verlieren, Ryan.“ Er schaute kurz über seine Schulter. „Was gibt es da zu überlegen?“ „Vielleicht sollte ich nochmal mit meiner Großmutter reden.“ Als Ryder wieder ganz ungehemmt Sachen auf sein Bett schmiss, packte Ryan ihn an der Schulter und drehte ihn zu sich um, damit er ihm auch mal wirklich zuhörte. „Ryder – du hast auch mich überzeugt, okay? Gib mir wenigstens die Möglichkeit, zu versuchen, meine Großmutter zu überzeugen. In aller Ruhe.“ „Ich glaub nicht, dass du jetzt nochmal ruhig mit ihr reden kannst…“ „Dann eben nicht jetzt, sondern morgen! Aber gib mir wenigstens noch die Möglichkeit, bevor wir Hals über Kopf abhauen, okay? Sie wird heute nichts mehr machen, es ist schon dunkel, sie wäre wahnsinnig jetzt noch durch den Wald zu gehen…“ Ryder schaute ein paar Momente noch zweifelnd zu ihm, ließ dann aber seine Schultern hängen. „Okay…“, murmelte er. „Aber wenn es nicht klappt, verschwinden wir, ja?“ „Versprochen.“ Ryan atmete erleichtert auf. „Aber heute beruhigst du dich erstmal.“ Ryders Mundwinkel zuckten kurz nach oben, gefolgt von einem Nicken. „Okay…“ Er rieb sich über den Nacken. „Wollen wir dann schlafen gehen? Auch wenn ich nicht glaub, dass ich schlafen kann, aber ich will…“ „Mit mir kuscheln?“ Ryan grinste. „Verdammt gerne.“ „Mhm.“ Ryder lächelte nochmal, schob dann aber das Zeug auf seinem Bett zur Seite und zog ihn zu sich. Ryan ließ sich nur allzu gerne aufs Bett ziehen; genauso wie er sich allzu gerne in Ryders Arme ziehen ließ. Ah, es fühlte sich einfach sooo gut und so schön ablenkend an! Aber dann ging Ryder noch ein bisschen weiter. Er drückte seine Lippen auf Ryans, erstmal ganz, ganz sanft. Ryan erwiderte den Kuss, während er seine Arme um Ryder legte und ihn an sich drückte. Es fühlte sich gut an, so nahe am Körper von dem anderen Jungen zu liegen und irgendwie machte es den Kuss noch ein wenig intensiver. Noch intensiver machte den Kuss allerdings, als Ryder anfing, seinen Mund leicht gegen Ryans zu bewegen. Dadurch öffnete sich Ryans Mund, schließlich weit genug, dass Ryders Zunge gegen seine stupste. Das hatten sie bisher nicht oft gemacht, aber Ryan ließ sich gerne von seinem besten Freund leiten. Zwar hatte der bisher noch viel weniger Erfahrung als Ryan, immerhin war er nie verlobt gewesen, aber trotzdem schien er genau zu wissen, was Ryan gefiel. Und ja, es gefiel ihm gerade wirklich gut, wie Ryder seinen Körper gegen seinen rieb, wie er es durch seine Berührungen schaffte, dass Ryans ganzer Körper sich heiß anfühlte. Er mochte es auch, wie die sonst so sanften Hände von Ryder ihn fast schon ein wenig grob enger drückten, wie er durch seine Haare fuhr und dadurch ein ganz leichtes Ziehen verursachte… Ryan wollte nicht, dass er damit wieder aufhörte. Aber schließlich tat er es doch, jedenfalls für wenige Sekunden, indem er mitten in den Kuss herein redete. „Ryan…“, brachte er hervor, küsste ihn nochmal – löste sich dann aber doch ein wenig mehr, damit er ihn sehen konnte. „Ryan, ich weiß nicht, ob wir noch viel Zeit füreinander haben…“ Ryans Hände krallten sich automatisch in das Hemd von Ryder. „Sag sowas nicht…“ „Aber wir haben ganz sicher diese Nacht, egal, was passiert. Und vielleicht werden wir auch lange nicht mehr so eine private, gemütliche Liegemöglichkeit haben…“ Ryan konnte sehen, wie der Adamsapfel des Schmiede-Lehrlings leicht hüpfte. „Und, Ryan, ich will dich wirklich nicht überfordern oder sonst was, aber denkst du wir könnten… heute Nacht…“ Ryan zog verwirrt seine Augenbrauen zusammen. „Was?“ Ryder nahm einen tiefen Atemzug. „Miteinander schlafen?“ Okaaay? Äh… „Was?“ Und vor allem: „Wie?“ Ryder blinzelte ein paar Mal verblüfft. „Kannst du dir nicht vorstellen, wie?“ „Uh…“ Nein, wenn er ehrlich war nicht. Aber jetzt kam es ihm irgendwie blöd vor, dass er da bisher noch gar nicht richtig drüber nachgedacht hatte. „Wenn du willst, dann – dann kann ich dir das zeigen, okay?“ ‚Aber wir sind doch nicht verheiratet!‘ – Die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber er sprach sie nicht aus. Ryder und er waren noch so viel mehr nicht, was eine Voraussetzung für das konforme, normale miteinander schlafen wäre, also wen kümmerte es? Und wenn es helfen würde, diesen unbändigen Druck in seiner Hose zu verarbeiten, und das auch noch auf eine wahrscheinlich unheimlich schöne Art und Weise, dann war Ryan mehr als bereit das zu tun. „Okay.“, erwiderte er also am Ende schließlich nur, vielleicht auch ein wenig zögerlich. Er mochte zwar den Gedanken daran nicht, dass Ryder dachte das hier wäre ihre womöglich letzte wirkliche Möglichkeit dazu, aber er wollte es trotzdem. Also warum nicht? „Sicher?“ Ryders Wangen waren vor Aufregung schon ganz rot. „Sicher!“ Ryan lächelte nochmal kurz. Ryder überwand wieder die Distanz zwischen ihnen, um ihn kurz zu küssen. „Dann… müssen wir uns zuerst ausziehen. Ganz.“ Ja, das machte wirklich Sinn. Ryan wollte gerade nach seinem Umhang griffen, doch Ryders Hände waren ihm voraus und lösten den Konten genauso schnell und geschickt, wie Ryans Hände das getan hätte. „Kann ich dich ausziehen?“, fragte Ryder leise. „Das wollte ich schon immer machen.“ Ryan fühlte sein Herz pochen, aber er nickte schnell. Mit großen Augen sah er Ryders Händen dabei zu, wie sie erst unter den roten Mantel schlüpften und schließlich so sanft über seine Schulter fuhren, um den Mantel darüber zu ziehen. Das klappte aber nur an einer Seite wirklich gut, sodass Ryan und Ryder sich schließlich im Bett aufsetzen mussten, bevor Ryder weiter machen konnte. Den Mantel faltete Ryder schließlich sorgsam zusammen, bevor er ihn über die Bettkante legte – und sich anschließend vorbeugte, um Ryans Hals zu küssen. „Ich glaube, ich hab dir zu selten gesagt, wie unglaublich gut du aussiehst“, murmelte Ryder gegen Ryans Hals, während seine Hände an dessen Seiten herab wanderten und sich unter den Stoff des Hemdes schlichen. So eine Aussage hörte Ryan nicht zum ersten Mal, immerhin hatte es schon einen Grund, wieso er so viele Verlobte gehabt hatte. Aber das von Ryder zu hören bedeutete ihm viel mehr, aus irgendeinem Grund heraus. Genauso wie sich sicher noch nie Lippen so gut angefühlte hatten, die einfach nur seinen Hals küssten… Ryders Hände fuhren an Ryans nackter Seite entlang, unter dem Hemd. Sie wanderten zu seinem Rücken, den Ryan alleine wegen dieser Berührung und vor Erregung leicht durch drückte. Ryder hinderte das aber nicht daran, seine Handflächen nach oben wandern zu lassen, wobei seine Fingerspitzen über Ryans Wirbelsäule strichen. Schließlich waren Ryders Hände so weit oben, dass Ryan seine Arme nur noch leicht hoch nehmen musste, damit er ihm das Hemd über den Kopf ziehen konnte. Das machte er auch, küsste aber gleich wieder seinen Hals, nachdem er auch das Hemd über die Bettkante gelegt hatte. „Deine Lippen sind so…“ – Ryan vollendete den Satz nicht, weil sein Vokabular nicht umfangreich genug war um zu beschreiben, wie sich Ryders Lippen anfühlten. Ryder erwiderte nichts – aber er musste auch gar nichts mehr sagen. Sie brauchten keine Worte mehr, um weiter zu machen; es reichte, sich einfach darauf einzulassen. Ryder ließ sich neben Ryan ins Bett fallen, zog ihn aber gleich in seine Arme. Er lachte, auch wenn man das unter dem schweren Atmen kaum hören konnte. Auch Ryan grinste zufrieden, während er den warmen Körper seines besten Freundes (und wahrscheinlich mehr, jia) an sich zog. Hätte er gewusst, dass das hier möglich war, dann hätte Ryan das schon bei der ersten Massage vorgeschlagen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag er alleine im Bett. Verwirrt und noch etwas schlaftrunken richtete er sich auf, während er mit seinen Händen die Müdigkeit aus seinen Augen rieb. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend kamen sehr schnell wieder und zauberten ihn auch ein Grinsen auf die Lippen, aber trotzdem fragte er sich auch, wo Ryder denn jetzt war. Die Frage beantwortete sich dann aber doch ziemlich schnell, als die Tür zu Ryders Zimmer aufging. „Oh… du bist wach“, stellte Ryder (der übrigens bloß in Unterwäsche war…) fest. „Schau, ich hab hier ein bisschen Brot aus eurer Bäckerei für dich… mit ein bisschen Käse.“ Er hielt einen Holzteller hoch, bevor er zu Ryan ans Bett ging und sich neben ihm setzte. Er küsste ihn auch schnell, wobei er den Holzteller neben Ryan aufs Bett legte. „Danke“, erwiderte Ryan, immer noch grinsend als er nach dem Teller griff und auch gleich anfing, das noch warme Brot zu essen. Mh, köstlich! Die einzige Beschwerde, die Ryan jetzt noch hatte war, dass sein Hintern weh tat, aber damit konnte er ehrlich gesagt gerade echt gut leben. „Kein Problem…“ Ryder fuhr mit seiner Hand nachdenklich über Ryans nacktes Knie, während der das Brot ganz gemächlich verschlang. Nachdem er alles vertilgt hatte, was auf dem Teller war, beugte er sich nochmal zu Ryder rüber, um ihn einen Kuss auf die Wange zu hauchen. „Mit dir zu leben wird das Beste, was mir je passiert ist.“ Das hier jeden Tag zu haben wäre jedenfalls ganz sicher die Erfüllung all seiner Träume. „Das kann ich nur zurückgeben…“ Ryder lächelte. „Aber bevor du das machst…“ „Ja – ja, ich sollte zu Großmutter.“ Ryan seufzte, rutschte aber vom Bett und klaubte auch schnell die Klamotten auf, von denen Ryder mittlerweile auch die Restlichen sorgsam über die Bettkante gelegt hatte. „Auch wenn ich gerade nichts dagegen hätte, sofort mit dir weg zu rennen…“ „Vielleicht müssen wir das ja auch gar nicht“, lenkte Ryder ein. „Aber dann würde ich trotzdem wollen, dass du bei mir einziehst.“ Ryan lächelte breit. „Unbedingt.“ Konnte das Leben überhaupt noch perfekter werden? Egal was heute passieren würde, er würde seine restliche Zeit des Lebens mit Ryder verbringen können. Nichts konnte das jetzt noch verhindern, wirklich gar nichts. „Packst du dann schon mal unser Zeug zusammen? Damit wir dann direkt abhauen können?“, fragte Ryan nach, als er sich gerade sein Hemd überwarf. „Aber ich weiß nicht, ob ich dich alleine gehen lassen will…“ Ryder seufzte. „Ich mein, natürlich würde deine Großmutter dir nie was tun, aber – “ „Genau. Es wird nichts passieren, Ryder, okay? Kümmer‘ du dich einfach um unser Zeug. Du kannst einfach bei uns reingehen, du weißt ja sicher, was ich alles mitnehmen will, richtig?“ Ryder nickte langsam. Natürlich wusste er es, er war immerhin sein bester Freund! Und es war zugegeben nicht ihr erstes Mal der Plan, weg zu rennen, auch wenn sie es wohl nie so ernst wie jetzt gemeint hatten. „Vielleicht sollten wir aber auch gleich gehen. Ich meine, deine Großmutter…“ „Nein, bitte. Ich muss es wenigstens versuchen.“ Ryder schien von der Tatsache wirklich nicht begeistert zu sein. Um ihn zu beruhigen, küsste Ryan ihn auch gleich nochmal, bevor er ihm ein Lächeln schenkte. „Danach können wir sofort verschwinden.“ „Ich weiß nicht…“ Ryder zuckte leicht mit seinen Schultern. „Ich hab das Gefühl, dass es nicht gut endet, wenn du jetzt noch zu deiner Großmutter gehst…“ „Dann hör mal auf mein Gefühl, denn das sagt mir, dass wir heute Abend das von letzter Nacht wiederholen werden.“ Er grinste, beugte sich nochmal vor und gab Ryder einen weiteren Kuss. „Verstanden?“ Ryder erwiderte seinen Blick. Er sah immer noch nicht 100%ig überzeugt aus, aber er nickte schließlich doch langsam. „Okay…“ „Gut. Dann bis später.“ Ryan lächelte nochmal, bevor er sich auch seinen Mantel schnappte, um seine Schultern warf und das Zimmer verließ. Es widerstrebte ihm ehrlich gesagt auch, sich jetzt überhaupt nochmal von Ryder zu trennen, aber es war ja auch nicht für lange. Er würde schließlich sehr bald zurückkommen. Ryders Eltern saßen schon am Esstisch (daher hatte Ryder das Brot also!) und schauten auf, als Ryan das Zimmer verließ. „Guten Morgen, Ryan“, grüßte sein Vater ihn. In seiner Stimme lag ein unverhohlenes Amüsement. „Hast du gut… geschlafen?“ Oh, wow. Okay, sie waren ja gestern auch nicht gerade leise gewesen. Aber… oh, das war jetzt schon ziemlich peinlich. „Mhm.“ Ryan merkte, wie er rot anlief. „Ich… muss zu meiner Großmutter. Auf Wiedersehen…“ Und dann hatte Ryan auch so schnell es ging die Hütte verlassen, bevor es noch peinlicher werden würde. Also dann – auf zu seiner Großmutter! Auf dem Weg überlegte Ryan sich schon, was er alles genau sagen würde. Er tendierte zu einer Standpauke, aber er wollte seine Großmutter auch nicht unbedingt aufregen; das wäre sicher nicht förderlich. Aber ganz nett konnte er auch nicht sein… und er wusste, dass seine Großmutter unheimlich stur sein konnte… Trotzdem hatte er sich doch ziemlich festgelegt, als er die Hütte schon fast erreicht hatte. Er würde sie für gestern schimpfen, aber er würde auch gleichzeitig auf die Tränendrüse drücken müssen, um ihr zu erklären, wie unglaublich wichtig ihm Ryder war. War er ja auch! Er musste es nur irgendwie klar machen und wie funktionierte das bei alten Menschen besser als ein bisschen zu weinen? Wahrscheinlich würde es trotzdem nicht klappen, aber den Gedanken mit Ryder weg zu rennen fand Ryan auch überhaupt nicht mehr schlimm. Ryder konnte ihn ja auch beschützen, so in seiner Wolfsgestalt, richtig? Aber zu Ende konnte er das alles dann doch nicht mehr richtig denken. Denn kaum, dass er die Hütte seiner Großmutter erreicht hatte, merkte er, dass hier irgendwas gewaltig schief lief. Die Tür der Hütte war aus ihren Angeln gerissen – was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war, wenn man bedachte, wie geschützt diese Tür war. „Großmutter?“, fragte Ryan. Seine Stimme klang panisch, das merkte er selber. Plötzlich waren all die vorwurfsvollen Gedanken wie weggewischt, als er zu dem Türrahmen rannte, sich rein stellte… und bei dem Anblick, der sich ihm bot, fast in Ohnmacht fiel. Überall war Blut. Wirklich überall, selbst auf einem vergessenen Blech voller Kekse, das auf dem Ofen stand. Aber auch auf dem Esstisch, an der Feuerstelle, auf den sorgsam aufgestellten Kräutern… und da, auf dem Boden, direkt vor dem Kamin, an der Stelle an der vor noch ein paar Monden Aaron gelegen hatte; da lag seine Großmutter. Oder eher das, was von ihr übrig geblieben war. Ihr ganzer Körper war zerfetzt, ihr Kopf davon abgetrennt. Oder eher abgerissen, wenn man sich ansah, wie viele Reste noch daran waren. Der Anblick war nicht nur unglaublich schockierend, sondern natürlich auch dementsprechend ekelerregend: Ryan schaffte es gerade noch bis vor die Tür, bis ihm das Brötchen vom Morgen wieder hochkam. Anschließend an das Erbrechen kamen Tränen. Das, was er da gerade gesehen hatte, das… konnte nur ein bestimmtes Wesen gemacht haben. Und zwar ganz sicher kein Mensch… Und natürlich, seine Großmutter war eine Bedrohung gewesen, sie hatte gestern versucht, Ryder umzubringen… und Ryder war heute Morgen nicht neben ihm aufgewacht… er hatte nicht mal gewollt, dass Ryan zu seiner Großmutter ging… Ihm wurde fast wieder schlecht. Seine Großmutter war tot und, schlimmer noch, Ryder hatte sie umgebracht. All die Euphorie, die er eben noch gespürt hatte, die Visionen vom perfekten Leben waren sofort wie weg gewischt. Er konnte nicht mit Ryder weg rennen, das hatte er nie gekonnt. Ryder war ein Mörder, seine Großmutter hatte recht gehabt. Nur weil Ryan so verdammt stur gewesen war, war sie jetzt tot. Er war schuld an dem Tod seiner eigenen Großmutter; nur, weil er Ryder hatte vertrauen wollen! Er kam sich so nutzlos vor. So nutzlos und verloren… was sollte er denn jetzt tun? Natürlich, er konnte Ryder das nicht durchgehen lassen. Er hatte ihn sowieso viel zu viel durchgehen lassen. Wenn er auch das mit seinen Verlobten gewesen war, wenn er all diese Menschen getötet hatte – und wer sonst wenn nicht er soll das gewesen sein? – dann hätte Ryan wirklich schon längst handeln müssen. Und das… das würde er jetzt tun. Er wusste zwar, dass er auch das Silbermesser aus der Hütte seiner Großmutter holen könnte, aber er wusste auch, dass er nicht nochmal dieses Massaker anschauen konnte. Wirklich alles, nur nicht das. Stattdessen versuchte er erstmal vor der Hütte, all seine Sinne zu sammeln. Er brauchte eine ganze Weile, aber schließlich schaffte er es doch, sich wieder aufzurappeln. Okay, dann musste er jetzt wohl zurückgehen und – und tun, was getan werden musste. Irgendwie. Auch wenn er nicht wusste, wie er das schaffen sollte, aber es musste jetzt passieren. Immer noch wie gelähmt trottete Ryan langsam zurück, über den Weg, der ihm jetzt ungefähr zehn Mal so lang vorkam wie normalerweise. Wahrscheinlich brauchte er auch zehn Mal so lange, aber sein ganzer Körper und all seine Gefühle fühlten sich sowieso taub an. Doch auch das änderte sich wieder, als er in die Nähe des Dorfs kam. Schon aus der Ferne waren Schreie zu hören, Schreie, die viel zu lange in Ryans Ohren widerhallten. Panische Schreie. Wie von alleine wurden Ryans Schritte schneller, bis er schließlich über den Waldboden huschte, zwischen den Bäumen hervor rannte… und dann erstmal ein paar Sekunden brauchte, um das Bild zu verarbeiten. Ja, dort mitten auf dem Platz war Ryder. Und ja, er war verwandelt; und Ryan erkannte auch sofort den Grund, wieso er noch nicht weg gerannt war. Er war umzingelt von Leuten, die ihn mit Schwertern, Fackeln und sogar Heugabeln angriffen. Ein wenig entfernt lagen zwei Leichen, von denen Ryan sich nicht sicher war, ob sie von dem wütenden Mob um Ryder kamen, oder ob es tatsächlich Ryder gewesen war. Ein paar der Hütten um Ryder standen in Flammen, aber jedenfalls das musste an der Unvorsichtigkeit der Bürger liegen. Als Ryan sich aber ein bisschen näher voran arbeitete, erkannte er, dass Ryder noch einen Grund hatte wieso er noch nicht geflohen war. Seine ganze Seite war zerfetzt und blutig. Das Fell des Wolfes war an der Seite de facto nicht mehr da, es war, als hätte jemand ihm ganz einfach den halben Körper rausgerissen. Aber wie?! Und wer?! Keine menschliche Waffe konnte ihm etwas anhaben! Selbst wenn, wie sollte ein Silbermesser so einen animalischen, riesigen Schaden anrichten? Ryder war schwach. Er kämpfte nicht, er jaulte nur dann und wann schmerzerfüllt auf. Das Bild sah im Schein der Flammen noch viel grausamer aus und Ryan merkte, wie sich sein Herz zum zweiten Mal an diesem Tag zusammenzog. Ja, er hatte selber entschlossen, Ryder zu töten, aber Ryder tatsächlich so zu sehen, zu sehen, wie der wütende Mob ihn zurichtete: es war zu viel, viel zu viel. Er musste etwas tun. Und er wusste auch so ziemlich genau, was. Ohne Rücksicht auf die spitzen Gegenstände und Fackeln schlug er sich durch die Leute durch, die sich nur schwer bewegen ließen. Ein paar versuchten ihn zurückzuhalten und ihm zuzuschreien, dass das hier kein Ort für ihn wäre, aber natürlich ignorierte er das. Weiter mittig kamen mehr Soldaten, an denen Ryan sich aber auch achtlos vorbei arbeitete. Er hatte nur ein Ziel vor Augen und wenn er das nicht mehr rechtzeitig erreichte, wäre es vielleicht zu spät. Zu spät für alle Umstehenden, aber vor allem zu spät für Ryder. Aber er schaffte es. An dem letzten, innersten Kreis kämpfte er sich noch mit einiger Mühe vorbei, bevor er in eine nähere Fläche kam. So nah traute sich doch niemand an den Wolf, hier vertrauten sie nur dem kühlen Eisen und Fackeln, die sie aber jedenfalls auf Ryans Seite wegzogen, als er so nahe ging. „Geh zurück, Rotkäppchen!“, hörte Ryan ein paar Leute grölen, gefolgt von „Er wird dich töten!“ Doch Ryan wusste, dass er das nicht tun würde. Jetzt, aus der Nähe, konnte er die Verletzung des riesigen Wolfes noch viel besser erkannte. Die Risse waren tief, viel zu tief. Da, wo die Risse noch nicht genug ausgemacht hatten, waren Schnittwunden mitten in der schon blutenden, offenen Stelle. Offensichtlich waren die inneren Organe von Ryder nicht ganz so geschützt, wenn die beschützende Haut ihm abgerissen wurde. „Ryder…“ – Es war mehr ein atemloses Wort als dass er es wirklich aussprach und es ging sowieso in dem Gejohle der Menschenmenge unter. Aber Ryders Werwolfsinne schienen es trotzdem zu hören, denn seine Ohren zuckten schwach nach oben, als er sich so halb drehte, um zu Ryan zu schauen. Seine großen, braunen Augen richteten sich auf Ryan. Er ging mittlerweile schon auf allen vieren, wahrscheinlich, weil zwei Beine seinen verletzten Körper nicht halten konnten. So war er fast sogar ein bisschen kleiner als Ryan, aber sie waren fast auf Augenhöhe; und so konnte Ryan jetzt auch seine Hand ausstrecken, um seine Hand an Ryders Gesicht zu legen, so, wie er es bei ihm so oft gemacht hatte. „Ryder…“, flüsterte Ryan nochmal. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er die Augen seines besten Freundes sah. Natürlich, er hatte die Wunden gesehen, aber nichts auf der Welt hätte ihn auf den Schmerz in Ryders Augen vorbereiten können. Wie hatten die Leute nur immer weiter machen können!? Wie hatte irgendwer es wagen können, dieser armen Kreatur weiter Schmerzen zuzufügen…? „Oh, Ryder…“ Mittlerweile hatten die Leute aufgehört, auf Ryder einzustechen, aber Ryan bemerkte das gar nicht. Er schlang seine Arme um den Wolfskopf seines besten Freundes, ungeachtet dessen großer Zähne, ungeachtet seiner furchteinflößenden Gestalt. Er schluchzte in das Fell des Wolfes, wobei seine Hände sich in das dichte Fell gruben. „E-es tut mir so Leid, Ryder“, schniefte er. „Ich hätte dich nie… n-nie alleine lassen dürfen…“ Das ganze Dorf schien verstummt zu sein. Das einzige, was man im ganzen Ort hören konnte, war das Flackern der Feuer, das schmerzerfüllte Winseln des riesigen Wolfes und das Schluchzen von dem Rotkäppchen, das um eben diesen Wolf weinte. Schließlich spürte Ryan, wie das Fell unter seinen Fingern sich zurückbildete. Er presste seine Augen zusammen, als der Wolf kleiner wurde und Ryan dementsprechend in die Knie ging, weil er ihn ganz sicher nicht loslassen wollte. Schließlich schaffte es der Wolf – oder mittlerweile eher der Mensch – seine Arme ebenfalls um Ryan zu legen, wenn auch viel schwächer als Ryan das tat. Wahrscheinlich machten die Umstehenden in dem Moment ein paar erschrockene Geräusche, aber Ryan blendete das aus. Für ihn zählte nur noch Ryder, der jetzt nochmal in seinen Armen liegen konnte. Durch den Tränenschleier hindurch konnte Ryan zwar nicht viel erkennen, aber genug um zu sehen, dass die Wunde in der menschlichen Gestalt noch viel schlimmer aussahen als eben noch. Nicht nur, dass Ryders halbe Seite aus ihm heraus gerissen wurde, sondern auch an seinem restlichen Körper waren überall Kampfspuren. Kratzer, vielleicht von den Heugabeln und Schwertern. Ryder konnte nicht mal mehr richtig atmen. Er hustete dauernd, wobei sein ganzer Körper mit erbebte. „R-ryan…“ Seine Stimme klang noch schwächer. Ryan drückte ihn enger und fuhr mit seiner Hand über Ryders Nacken, wobei seine eigene Hand auch zitterte. „Sssh…“, gab Ryan zittrig zurück. „E-es ist gut… Alles ist gut…“ „I-ich…“ Er hustete wieder, wobei er sich ein wenig enger an Ryan krallte. Nur hatte er keine Kraft mehr, man fühlte es kaum – und verglichen damit, wie viel Kraft er davor gehabt hatte, war das nur noch viel trauriger. „… w-war’s nicht. H-hab… n-niemanden…“ Er hustete wieder, scheinbar unfähig, den Satz zu vollenden. „D-du hast niemanden getötet“, vollendete Ryan den Satz für ihn. „Ich glaube dir. Du bist kein Monster, Ryder… I-ich…. Ich liebe dich…“ Ryder schluckte. „Ich… liebe…“ Seine Stimme wurde immer schwächer. Noch bevor er den Satz vollenden konnte, erstarb sie ganz; genauso wie auch das Zittern von Ryders Körper erstarb, von einem Schlag auf den Anderen. Ryan wusste, was das bedeutete. Sein eigenes Schluchzen wurde heftiger, während er den Körper des jetzt toten Jungens an sich drückte. Um ihn herum begannen die Leute was zu sagen, einer, vielleicht Ryders Vater, schrie sogar nach seinem Sohn. Viele begannen durcheinander zu reden, darüber, was sie gerade gesehen hatten und überschlugen sich mit ihren eigenen Erzählungen. Für Ryan fühlten sich diese ganze Stimmen aber nur wie ein weit entferntes Rauschen an. Es gab für ihn nur sich selbst und den leblosen Körper, den er stumm schluchzend an sich drückte, während er seinen Oberkörper leicht vor und zurück wippte. Er konnte sich nicht daran erinnern, Ryder jemals losgelassen zu haben. Trotzdem lag er jetzt hier, alleine und zusammengekauert in seinem Bett. Tage vergingen, ohne dass Ryan viel essen oder trinken würde. Die Leute wunderten sich über ihn, aber er sagte zu niemanden mehr auch nur ein Wort. Nicht zu seiner Familie, nicht zu seinen Freunden, nicht zu den Ärzten, die ihn besuchen kamen. Er wurde krank, entweder vor Trauer oder weil er so wenig Nahrung in sich aufnahm. Wahrscheinlich war es Beides. Aus den Tagen wurden Wochen, aus den Wochen wurden Monate. Die Leute begannen ihn wieder zu vergessen, begannen wieder, Ryder zu vergessen. Ryan wurde zu nichts mehr als einem Pflegefall, der ein traumatisches Erlebnis gehabt hatte. Erst Monate später sollten wieder Schreie durch das Dorf jagen. Ryan, der nur monoton im Bett gelegen hatte, schaute auf. Diese Klänge erinnerten ihn zu sehr an diese eine Nacht. Viel zu sehr… Ryan stand sogar alleine vom Bett auf, etwas, wofür ihn sein Vater wahrscheinlich gelobt hätte. Barfuß tapste er bis zu dem Fenster seines Zimmers. Vom Bett aus her hatte er eben noch gedacht, dass es Tag war. Jetzt, am Fenster, konnte er erkennen dass es eigentlich tiefste Nacht war und lediglich einige Hütten so lichterloh brannten, dass sie ihre Umgebung in furchteinflößendes Licht einhüllten. Alarmiert band er sich seinen Umhang um. Das erinnerte ihn noch mehr an diese eine Nacht – und es machte ihn noch viel nervöser. Er verließ schnell seine Hütte. Die Leute rannten panisch durcheinander, wobei ein paar zu Ryan schauten und geschockt wirkten, dass er überhaupt auf den Füßen war. Auf dem Boden lagen einige, zerfetzte Leichen, die Ryan nicht weiter beachtete. Er wollte nicht noch mehr bekannte, tote Gesichter sehen. Je länger Ryan durch das verwüstete Dorf ging, desto mehr Leichen fand er, die meisten bis zur Unkenntlichkeit zerrissen. Ein paar Leute kamen ihm entgegen und riefen ihm zu, dass er in die andere Richtung gehen sollte, aber Ryan hatte in den letzten Monaten gelernt, Menschen einfach zu ignorieren. Schließlich fand Ryan das, was er gesucht hatte. Ein riesiger Wolf, der auf zwei Beinen ging. Auf offener Straße zerriss er den Brustkorb eines Menschen, während er mit seinem riesigen Kiefer den Kopf der Person abriss. Ryan erstarrte bei dem Anblick, merkte aber sofort, dass das nicht Ryder war. Dieser Wolf hatte braunes Fell, dieser Wolf wirkte noch größer. Als der Wolf zu ihm schaute, schaute Ryan immer noch taub zu ihm. Langsam schlich sich der Wolf näher, ließ sich dabei auf alle Viere fallen und zeigte die gleiche Anmut, die auch Ryder in seiner Wolfsgestalt immer gezeigt hatte. Er kam näher, kein bisschen bedrohlich. Ryan fühlte sich auch nicht bedroht, nein, auch wenn er wusste, das von dem Wolf eine Gefahr anging. Zwar fühlte es sich ähnlich wie bei Ryder damals vertraut in seiner Gegenwart an, aber trotzdem wusste Ryan, dass er in Lebensgefahr war. Denn als Ryan in die Augen des Wolfs schaute, waren sie nicht braun. Ryan musste an seine Schwester denken. Judith, die immer eifersüchtig auf Ryans Verlobte gewesen war. Judith, die Ryder aus irgendeinem Grund in Wolfsgestalt verfolgt hatte. Judith, die Ryder so sehr gemocht hatte. Judith, die gesehen hatte, wie ihre Großmutter Ryder bedroht hatte. Judith, die Ryder an dem Tag getroffen hatte, nachdem Ryan auch mit ihm geschlafen hatte – an dem Tag, an dem Ryder angegriffen worden war. Judith, seine kleine, unschuldige Schwester, die nicht mal einem Schmetterling etwas tun könnte. Judith, dessen kristallklaren, blauen Augen ihn jetzt fixierten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)