Are you mine von attackonpsycho (ErenxLevi) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Auch weiterhin werden die Temperaturen nicht unter 30 Grad sinken“, erklang die monotone Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem alten Radio. „Kleinere Schauer wird es erst am Wochenende geben, danach wird es wieder sonnig und...“, Jean seufzte eine Spur zu theatralisch auf und schaltete das Radio mit einem Knopfdruck aus. Sein verschwitzter Kopf landete mit einem lauten Knall auf der kühlen Ladentheke. Angesichts der Hitze hätte ich es ihm liebend gern nachgemacht, allerdings musste wenigstens einer von uns ansprechbar sein, wenn Kunden diese Bruchbude betraten. Glücklicherweise kam dies nicht allzu oft vor. Meistens begaben sich nur Stammkunden oder Touristen in den unscheinbaren Laden und das nur zu bestimmten Uhrzeiten. „Es ist so warm“, quengelte Jean lautstark. Seinen Kopf drehte er in meine Richtung, sodass ich direkt in seine verzweifelt wirkende Visage sehen konnte. Ich blickte ihn außerordentlich genervt an. Mittlerweile war er sicherlich schon seit Stunden nur am Meckern! So langsam hatte ich echt genug von ihm. Obwohl, das hatte ich schon nach nicht einmal wenigen Sekunden, in denen ich seine Anwesenheit genießen durfte. Es brauchte nie viele Worte seinerseits, damit ich mir wünschte, dass er sich auf der Stelle auf dem Mars befand. Dass er dort aufgrund des Sauerstoffmangels im Endeffekt sterben würde, versteht sich von selbst. „Das ist nicht normal“, beteuerte der Braunhaarige noch, als ob mich dies überzeugend einstimmen werden ließe, ehe er sein Pferdegesicht langsam von der kühlen Platte hob und anschließend an der Rückseite der Theke erschöpft zu Boden rutschte. Ich knurrte leise, als ich sah, wie Jean sich ebenfalls die Freiheit nahm, den Ventilator in seine Richtung zu drehen und kurz darauf auch noch weiter meckerte. „Sogar diese Luft ist warm!“, beschwerte er sich lautstark, als ob ich etwas dafür konnte. Ich wette, wenn ein paar Mädchen in seiner Nähe wären, würde das Ganze hier schon ganz anders aussehen. Dann wäre ich derjenige, der nörgelnd am Boden sitzen würde und Jean würde sich vor jenen mit seinem Aussehen aufspielte, obwohl ich das an seiner Stelle unterlassen würde. Es gab zwei Gründe dafür. Erstens sah Jean meiner Meinung nach total scheiße aus, besonders mit dem halben Liter Schweiß, welcher über seinen Körper floss. Der zweite Grund war sogar noch viel einfacher. Nach allen weiblichen Wesen, die ich kannte, glaubte ich, dass es nur wenige Mädchen gab, die wortwörtlich mit ihm in den Sonnenuntergang reiten wollten. Vielleicht wenn man sie mit Geld dazu zwingen würde – freiwillig würde sicherlich niemand gerne diesen Part übernehmen. Ich musterte meinen am Boden sitzenden Kollegen erneut. Manchmal fragte ich mich wirklich, wofür man dieses nervige Etwas eigentlich bezahlte, wenn dieser ständig Pausen machte und mir die ganze Arbeit überließ. Ich warf Jean einen bitterbösen Blick zu, den er allerdings nicht bemerkte. Und wenn doch, dann ignorierte er ihn. Dieses kleine Arschloch. Soweit ich wusste, kam er aus dem Norden und war diese Temperaturen nicht gewohnt. Vielleicht hatte er auch noch nie einen richtigen Sommer erlebt, ich wusste es nicht. Warum sollte ich mir auch merken, aus welchem Drecksloch die Pferdefresse stammte? Mich interessierte dies herzlich wenig. Ich war einfach nur froh, wenn ich meine Schicht mit jemand anderem teilte, auch wenn es keine große Auswahl an Mitarbeitern gab. Gut, das war nicht sehr verwunderlich, trotzdem nervte es mich, mit ihm zusammen zu arbeiten. Wenn ich nicht gerade mit dem Pferdegesicht Jean abhängen musste, der sich meistens damit beschäftigte, erfolgreich nichts zu tun, war Sasha anwesend, auf die man mehr achten musste, als auf sonst jemanden. Ließ man sie einmal aus den Augen, herrschte im Süßigkeitenregal plötzlich eine seltsame, gähnende Leere, die am Ende wieder ich erklären musste. Doch auch wenn Hanji, meine Chefin, hier war, war es nicht immer einfach. Diese Frau, die ich schon seit mehreren Jahren kannte, war oftmals der pure Horror. Besonders, wenn sie gute Laune hatte. Dann sprang und tanzte sie nämlich herum, als hätte sie Drogen genommen. Zu gut, dass sie meistens in ihrem winzigem Büro war und sich um den Papierkram kümmerte. Die einzige entspannende Schicht hatte ich, wenn ich sie mir mit Annie teilen durfte. Das blonde Mädchen war zwar ziemlich oft ein wenig merkwürdig und verhielt sich allen anderen gegenüber ziemlich kühl, allerdings musste ich bei ihr auf nichts achten. Ich musste mich nicht einmal mit ihr unterhalten, was bei den ganzen Freaks, die sich hier umhertrieben nun wirklich eine große Erleichterung war. Doch leider hatte ich Schichten dieser Art viel zu selten. Ganz zu schweigen davon, dass meine beste Freundin meine Kollegin Annie überhaupt nicht leiden konnte und sie jedes Mal zu streiten anfingen, wenn Mikasa auch nur den Laden betrat. Dieser Ort war einfach viel zu Nerven auftreibend. Vielleicht lag ja so etwas wie ein Fluch darauf? Das musste es sein! Seufzend fuhr mein Blick über Jean, welcher seine Augen inzwischen geschlossen hatte. Seine Haare waren bereits nass und sein weißes T-Shirt klebte, genauso wie die Shorts die er trug, an seinem Körper. Vielleicht hatte er ja einen Hitzeschock oder so etwas. Nun mir war eigentlich egal, was er hatte. Ich wäre ihn schließlich los, wenn er in der Hitze eingehen würde. Abgesehen davon, dass niemand mehr da sein würde, der ständig nichts tat, quengelte oder beleidigende Bemerkungen durch den Raum warf, würde das wahrscheinlich nicht viel an der Ausgangssituation ändern. Wenn man es freundlich ausdrücken würde, wäre sein Verrecken also sehr zu meinem Vorteil. „Du, Eren? Kannst du mir mal das Wasser geben?“, gab Jean ein Lebenszeichen von sich. Er zeigte mit einer Hand auf den Boden, wo eine Flasche direkt neben der Theke stand. Meine Augen folgten automatisch seiner Hand, jedoch zuckte ich nur mit den Schultern. „Hol sie dir doch selbst“, gab ich mit leicht hochgezogenen Augenbrauen von mir und versuchte krampfhaft, es nicht schadenfreudig klingen zu lassen. Jean knurrte darauf. „Du bist ein beschissenes Arschloch, Jäger“, meinte er angesäuert und warf mir einen Blick zu, der mir wohl Angst einjagen sollte. Vielleicht würde ihm das gelingen, wenn er nicht kurz davor wäre, zu kollabieren. Oder zu sterben. Was auch immer er gerade tat. „Sagst du“, erwiderte ich darauf amüsiert klingend und stemmte meine Ellbogen auf die Ladentheke. Streitigkeiten dieser Art gehörten schon lange zu unserem Tagesablauf, auch wenn sie heute ziemlich lasch ausfielen, da Jean, wie bereits angemerkt, bald umkippen müsste, wenn er mich nicht vorher mit der Glasflasche schlagen würde. Leider wurde ich jeden Tag mit meinem pferdeartigen Bekannten konfrontiert, ob ich nun wollte oder nicht. Er wohnte mit seiner Familie unter mir, arbeitete ebenfalls hier im „Sunny“ und besuchte fast alle Kurse an unser Schule, in denen ich auch war. Wir hatten sogar dieselben Leistungskurse gewählt, ohne es zu wollen. Ich nannte es Zufall, während Armin jedes Mal irgendetwas von Schicksal schwafelte. Wäre er nicht der intelligenteste Schüler unserer Stufe, würde ich sagen, dass er einen Knall hatte. Sah man sich allerdings an, wie viel Zeit ich mit ihm verbringen musste, wäre es eigentlich von Vorteil, gut mit Jean auszukommen. Ein großer Vorteil sogar, wenn man bedachte, dass ich ihm mindestens fünf Mal pro Tag aus reiner Routine über dem Weg lief. Doch egal wann ich mir dies vornahm, der Anblick seiner Pferdefresse zerstörte jedes Mal jegliche Pläne. Dass es allerdings nur Zufall war, dass wir fast überall zusammen waren, hatte ich erst später verstanden. Anfangs dachten ich und mein bester Freund Armin, dass Jean ein Stalker war. Wahrscheinlich war dies auch der Grund dafür, dass wir uns noch nie gut verstanden hatten. Als ich ihn mit der Frage konfrontiert hatte, ob er tatsächlich mein Stalker sei, war jegliche Freundlichkeit zwischen uns beiden verschwunden. Allerdings würde ich wohl niemals den Gesichtsausdruck vergessen, der sich auf Jeans Gesicht abgebildet hatte, als ich ihn fragte. Oh Gott, ich würde alles für ein Foto davon tun. Doch, wie sich viel zu spät herausstellte, war Jean nicht mein Stalker. Natürlich nicht. Allein der Gedanke war im Nachhinein so bescheuert, dass ich mich am Liebsten selbst dafür schlagen würde. Ehrlich Eren, wie konntest du nur so etwas vermuten? In Wirklichkeit war er mit seiner Mutter hierher gezogen, da es seiner Großmutter nicht gut ging und diese unter mir wohnte. Die jüngere Mrs. Kirschstein war eine wirklich freundliche Frau, auch wenn es mich nervte, dass sie mich bei jeder Gelegenheit zum Essen einlud. Sie ging davon aus, dass ich in meiner kleinen Wohnung vereinsamte und viel lieber mit ihrer Familie essen würde. Natürlich wusste sie nicht, dass ihr Sohn mich mit allem was er tat in den Wahnsinn trieb und das es andersrum genauso aussah. Jean musste ihr wohl von dem Tod meiner Mum erzählt haben, sicherlich hatte er es von Hanji erfahren. Vielleicht erweckte das irgendeinen merkwürdigen Mutterkomplex in Ms. Kirschstein. Ich verzog mein Gesicht. So genau wollte ich gar nicht darüber nachdenken, bevor ich noch dümmere Vermutungen aufstellte, als bei der Jean-Stalker-Geschichte. Dass der Braunhaarige die meisten Kurse mit mir hatte, konnte ich mir selbst nicht erklären. Genauso wie den Tag, an welchem er plötzlich angefangen hatte, hier zu arbeiten. Hanji hatte ihn an irgendeiner Ecke aufgesammelt wie irgendeinen Straßenpenner und dann, ganz plötzlich, war er hier gewesen. Wirklich toll, wie ich fand. Mittlerweile wusste ich nicht wirklich, was das zwischen mir und Jean war. Einerseits konnte ich ihn überhaupt nicht leiden und neigte dazu, ihm am Liebsten alle zwei Sekunden in die Fresse schlagen zu wollen, andererseits war es merkwürdig, wenn er fehlte. Doch das würde ich niemals öffentlich zugeben. Niemals. Nicht nach den ganzen Mordplänen, die ich bereits geschmiedet hatte. Seufzend nahm ich zur Kenntnis, dass die laute Glocke der Ladentür geradezu bellte und mich damit aus den Gedanken riss. Mit einer Mischung aus Ekel und Entsetzen musste ich dann auch noch feststellen, dass sich diese Gedanken um Jean gedreht hatten. Heute lief mit mir irgendetwas schief. Verdammt schief. Normalerweise verschwendete ich kaum eine Sekunde an ihn. Ich blickte zu der Ladentür und entdeckte einen schwarzen Haarschopf, der mich dann doch noch leicht lächeln ließ. Angesichts der Tatsache, dass ich dies bis jetzt den ganzen Tagt über noch nicht getan hatte, war es etwas wirklich Neues. Die Person, welche in diesem Moment den Laden betrat, war Mikasa, meine beste Freundin. Ihre Anwesenheit entspannte mich automatisch ein wenig, was im Angesicht der Tatsache, dass sie immerzu die Ruhe selbst war, nicht sonderbar klang. Nun ja, zumindest war sie dies solange mich niemand beleidigte oder gewalttätig wurde. Glaubt mir, niemand wollte sie erleben, wenn jemand sich mir gegenüber unfair verhalten hatte. Wahrscheinlich war sie hier, um mich abzuholen. Wir waren heute nämlich mit Armin verabredet, so wie jeden Mittwoch. Ich hatte zwar oftmals keine Lust dazu, so wie auch heute, jedoch wurde ich immer wieder von ihnen dazu gezwungen. Auch sie gingen davon aus, dass ich in seiner Wohnung irgendwann noch vereinsamen würde. Doch wenn wir mal ernsthaft darüber nachdachten, war dieser Gedanke wirklich suspekt. Immerhin bewältigte ich täglich durchschnittlich sechs Stunden in der Schule und drei im Sunny, da konnte ich gar nicht wirklich viel alleine sein. Doch natürlich, wie sollte es auch anders sein, nahmen sie mir dies nicht ab. „Hey“, lächelte meine beste Freundin mich an. Ihre schwarzen Haare lagen heute leicht gewellt auf ihren Schultern, wahrscheinlich, weil ich einmal gesagt hatte, dass ihr dies stehen würde. Das war schon so lange her, dass ich es nur noch vage in Erinnerung hatte. Sie hörte allerdings immer darauf, was ich bezüglich ihres Aussehen sagte, selbst wenn ich es nicht wollte. Mikasa merkte sich sogar genau meine Worte, was bei Streitigkeiten ziemlich schnell nervig wurde. Ihre braunen, geschminkten Augen funkelten freudig, während sie mir dabei zusah, wie ich mich aufrichtete und meine Hände leicht von meinem Körper streckte. „Hi“, erwiderte ich und rang mir ein deutlicheres Lächeln als zu Beginn ab, obwohl mir nicht wirklich danach war. Allerdings begann ich zu schmunzeln, als ich bemerkte, wie Jean sich urplötzlich erhob, so als wäre er auf einmal wieder zum Leben erwacht. Dabei schmiss er fast die Wasserflasche ab, für die er vor wenigen Sekunden noch wie ein Kleinkind über den Boden gekrabbelt war. Ich beobachtete überaus amüsiert, wie er sich seine nassen Haare glatt strich und noch einige Male über seine Kleidung fuhr. Es war kein Geheimnis, dass er ein Auge auf die hübsche Schülerin geworfen hatte. Wahrscheinlich war ihr die Hälfte der Jahrgangsstufe verfallen. Komisch, dass sie sich trotzdem nur mit Armin, mir und wenigen Mädchen abgab, wenn sie doch so viel mehr haben könnte. Wahrscheinlich war das wieder ein Thema, welches nur mit dem Schlagwort „Frauenlogik“ argumentiert werden konnte. Sie schlängelte sich zwischen den Regalen und Tischen hinter die Ladentheke durch und zog mich in eine kurze, warme Umarmung, welche ich, wenn auch etwas halbherzig, erwiderte. Ihre Figur, die in der kurzen Shorts und dem engen Top besonders gut zur Geltung kam, wurde begierig von Jean betrachtet, der allerdings nicht einen Funken Aufmerksamkeit von der Schwarzhaarigen bekam. Im Prinzip könnte er auch einfach nicht im Raum sein, Mikasa würde sich so verhalten, wie jetzt auch. Dies schien nun auch er enttäuscht zur Kenntnis zu nehmen, da er resigniert den Kopf senkte, was mich fast schon Lachen ließ. Jean war wirklich ein armer Idiot. Halt, nein. Das `arm´ müsst ihr euch unbedingt wegdenken. „Können wir gehen?“, fragte Mikasa nach, während sie sich auf einen alten Holzstuhl in der Nähe der Theke stützte. Er sah nicht so aus, als würde er noch lange halten. Also so, wie die gesamte Einrichtung. Hanji betonte zwar immer wieder, dass hier nichts kaputt war, sondern einfach nur antik aussehen sollte, allerdings wussten wir alle, dass sie es sich einfach nicht leisten konnte, Geld in diesen Schuppen zu investieren. Im Grunde genommen, könnte man hier nämlich alles erneuern. Ob es nun der knarrende Holzboden, die hässliche Tapete, die zerkratzte Theke, die alten Fenster oder die „antike“ Einrichtung war. „Ich weiß nicht“, ich warf einen kurzen, ziemlich genervten Blick auf Jean, der etwas wacklig auf den Beinen zu sein schien. Er versuchte wohl cool zu wirken, so wie er an der Theke lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Gott, manchmal tat er mir fast schon Leid. Allerdings lag die Betonung weiterhin auf `fast´. Ich seufzte nur und wandte mich wieder meiner besten Freundin zu. „Ich muss auf diesen Idioten aufpassen“, gab ich genervt zu bedenken. Ich fühlte mich in diesem Moment, als ob er mein kleiner Bruder wäre, auf den ich aufpassen musste. „Wen nennst du hier Idioten?“, fragte Jean spitz und musterte mich überaus verärgert. Ich war mir fast schon sicher, dass er sich in diesem Moment am Liebsten mit mir prügeln würde, wäre nicht Mikasa dagewesen, vor der dies alles andere als einen guten Eindruck machen würde. Schließlich bemutterte Mikasa mich nahezu schon und nun ja, keine Mutter würde einen Typen gut finden, der ihren Sohn verprügelte. Auch, wenn ich nicht ihr Sohn, sondern ihr bester Freund war und es mich ziemlich nervte, wenn sie sich um mich kümmerte und sorgte. Trotzdem fragte ich mich langsam, woher die Pferdefresse plötzlich seine Kraft nahm. War er nicht vor wenigen Sekunden noch so erschöpft auf dem Boden herumgekrabbelt? „Außerdem kann ich das sehr wohl alleine“, der Braunhaarige verschränkte die Arme vor seiner Brust und stierte mich noch verärgerter an, als zuvor. Dieser Gesichtsausdruck sollte mich wohl erneut verängstigen, doch diesmal musste ich eher darauf achten, nicht laut los zu lachen. Seine gerunzelte Stirn zusammen mit den zu Schlitzen verengten Augen und den nach unten gezogenen Mundwinkeln waren wirklich zum Schreien. Besonders, wenn man berücksichtigen musste, dass sein Gesicht etwas von der eines Pferdes hatte. Da war sogar sein Blick als er dem Kollabieren nah gewesen war, furchteinflößender gewesen. Ich verdrehte meine blaugrünen Augen als Antwort. „Natürlich. Und wenn du alleine bist, brichst du wegen der Hitze zusammen und verreckst hier, weil ich keine Hilfe holen kann“, merkte ich sarkastisch an und verschränkte ebenfalls die Arme vor meiner Brust. Lust darauf, dass ich Hanji später erklären musste, warum mein Kollege überhitzt auf dem Boden lag, hatte ich nämlich nicht. Wirklich nicht. Jeans Lippen verzogen sich zu einem bitterem Grinsen. „Als ob du Hilfe holen würdest“, höhnte er, was mich irgendwie Grinsen ließ, auch wenn ich versuchte, es zu unterdrücken. Da hatte er nun wirklich recht. Natürlich würde ich ihm jenes niemals sagen, doch der amüsierte Ausdruck auf meinem Gesicht sprach Bände. Die Bitterkeit in dem Gesicht der Pferdefresse verschwand allerdings, als er sich Mikasa zuwandte und ganz plötzlich ein außerordentlich schüchterner Ausdruck auf seinem Gesicht lag. Konnte ich dort etwa rötliche Wangen sehen? Oh, wo war nur meine Kamera in solchen Momenten? „Ihr könnt wirklich gehen, ich habe heute nichts Besseres vor und die Hitze wird mich schon nicht umbringen.“ Er strich sich mit einem verschmitzten Lächeln durch das Haar, was wohl attraktiv wirken sollte. In mir stieß es jedoch nur einen Würgereiz hervor. „Ich bin immerhin ein Mann.“ „Das wage ich zu bezweifeln“, murmelte ich darauf, wofür mir meine beste Freundin einen bösen Blick zuwarf, welcher mich augenblicklich verstummen ließ. Blicke dieser Art sollte man nicht unterschätzen. Sie waren das Gegenteil von Jeans. „Danke“, meinte sie zuckersüß an den Braunhaarigen gewandt und beachtete ihn damit zum ersten Mal an diesem Tag. Jean schien dies nicht aufzufallen – im Gegenteil, dass Mikasa tatsächlich einige Worte mit ihm gewechselt hatte, freute ihn wie ein Hund, der ein Leckerchen bekam. Zumindest ließ sein Gesichtsausdruck dies vermuten. Bezog man das baldige Sabbern aufgrund von Mikasas Outfit mit ein, wurde der Vergleich mit einem Hund noch viel realistischer. „Also gut“, ich klatschte in die Hände und machte sich auf dem Weg zum kleinen Mitarbeiterraum. „Aber wenn du umkippst, musst du dich vor Hanji verantworten“, rief ich noch, bevor ich die Tür hinter mir schloss. „Ich kippe nicht um, Arschloch“, hörte ich die Stimme des Idioten noch zurückrufen, allerdings entschied ich mich dazu, sie einfach zu ignorieren. Wahrscheinlich wäre dies auch das Beste. Stattdessen betätigte ich den Lichtschalter rechts von mir und zuckte, wie immer, zusammen, als ich die kleinen Viecher sah, die hier herumkrabbelten. Sie waren wirklich überall, egal wohin man sah. Keine Ahnung wieso, jedoch liebte Hanji Insekten aller Art, eine Macke von ihr. Ob dies eine kleine oder große war, musste wohl jeder für sich selbst entscheiden. Da sie keinen Platz für diese Dinger hatte, wurden sie eben in ihrem Laden aufbewahrt. Um genau zu sein, im Raum für die Mitarbeiter. Außer sechs kleinen Spinden mit Schloss und einem kleinen Tisch in der Ecke, standen überall kleine Käfige. Diese waren mit Spinnen, Käfern und Würmern aller Art gefüllt, was mich angewidert das Gesicht verziehen ließ. Klar, ich war ein Mann, aber das fand ich trotzdem ziemlich abartig. Ich öffnete seinen Spind und zog mir schnell frische Kleidung über. Mein weißes T-Shirt mit dem Logo, welches aus einer Sonne mit Strand, Palmen, Wasser und der Aufschrift „Sunny“ bestand, wanderte direkt wieder zurück in den Schrank. Dieser war ansonsten nicht wirklich voll, im Gegensatz zu dem von Sasha oder Jean. Sasha bewahrte manchmal Essen darin auf, weil sie einfach immer Hunger hatte. Trotzdem litten die Süßigkeiten am Kiosk am Meisten bei ihren merkwürdigen Anfällen. Grinsend kam in mir die Erinnerung auf, wie Jean es einmal gewagt hatte, Hanjis wertvolle Käfer freizulassen, weil sie ihn scheinbar gestört hatten. Allerdings hatte Hanji dies natürlich sofort gemerkt und nun ja, sie war damals ziemlich ausgerastet. Obwohl sie das sonst nie tat – es sei denn, es ging um ihre „Babys“, wie sie die Dinger liebevoll nannte. Sie hatte Jean als Rache Regenwürmer in den Spind gelegt, anstatt ihm einfach eine Strafe zu geben, wie jeder andere, normale Arbeitgeber. Nun gut, angesichts der Tatsache, dass sie Kleintiere in dem scheiß Raum sammelte, war sie nicht normal. Aber um zum Thema zurückzukommen – jeder konnte sich wohl vorstellen, was geschah, als Jean seinen Schrank öffnete, um sich umzuziehen... Tja, seit diesem Tag, wurden ihre „Babys“ von Niemandem mehr berührt. Von Niemandem. Es wurde sogar schon darauf geachtet, sie nicht zu lange anzusehen. Ich glaube, wir hatten alle schreckliche Angst vor der Strafe, die Hanji sich ausdenken könnte. Sie war nicht ganz richtig im Kopf. Natürlich hatten wir sie trotzdem gern, aber nun ja, sie hatte eben einen Knall. Ich holte noch mein Portemonnaie und mein Handy aus dem Spind, ehe ich abschloss und kurz darauf auch schon den Raum verließ. Jedes Mal, wenn ich da drinnen war, fühlte ich mich, als ob mich jedes dieser Kleintiere beobachten würde. Wirklich gruselig. Draußen erwartete mich auch schon Mikasa, die bereits ziemlich ungeduldig schien. „Nun komm schon“, rief sie und lächelte, ehe sie mich am Handgelenk nach draußen zog. Heute schien ihre Laune wohl ziemlich gut zu sein, ganz anders als in der Schulzeit, in der sich nicht einmal ein richtiges Lächeln auf ihr Gesicht legte. Ich warf noch einen kurzen Blick zu Jean, der ihr leicht verträumt nachsah. „Bis Morgen, Kumpel“, provozierte ich ihn und sah gleich, wie sich sein Gesichtsausdruck von verträumt zu angepisst veränderte. Bei ihm ging das immer ziemlich schnell, wie ich nun wieder bemerkte. „Komm nie wieder, kleiner Wichser“, war seine äußerst freundlich klingende Antwort. Ich lachte leise, ehe ich mich zu Mikasa umdrehte und ihr folgte. Die warme Luft empfing mich beim Rausgehen, allerdings war es hier immer noch etwas kühler als im Laden, was wohl daran lag, dass dieser sich in der prallen Sonne befand. Und diese Sonne brannte nun schon Stunden lang auf die Erde herab, sodass es unvermeidlich war, nicht braun zu werden. Kalifornien eben. „Wie geht’s dir heute?“, fragte Mikasa mich plötzlich und musterte mich mit einem leichten Lächeln auf den geschminkten Lippen. Ich erwiderte dieses, ehe ich mir durch das verwuschelte Haar strich. „Seitdem du mich daraus geholt hast, besser.“ Ein ehrliches Grinsen huschte über meine Lippen. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen und sah sie fragend an. „Und dir?“ „Gut“, gab sie nur von sich, allerdings war ihr Blick nicht mehr ganz so locker, wie zuvor. „Ist auch wirklich alles okay?“, sie war sich wieder einmal nicht sicher oder glaubte mir nicht, was ich manchmal wirklich hasste. Ich wollte nicht, dass sie sich um mich sorgte, wenn es mir doch gut ging. Zumindest redete ich mir dies ein, ob es wirklich so war, konnte ich selbst oft nicht sagen. Es gab einfach Momente, in denen war das Gefühl in mir so befremdlich, dass ich selbst nicht wusste, wie es mir ging. Doch heute war wirklich alles okay. Nicht gut oder schlecht – einfach normal. Ich ließ sie allerdings nicht an meinen Gedanken teilhaben und gab ihr lediglich ein knappes Nicken, weshalb sie nicht weiter nachfragte. An ihrem Blick konnte man allerdings erkennen, dass sie mir am Liebsten hier und jetzt die Worte förmlich aus der Mund quetschen wollte. Ich atmete leise aus, ehe wir stehen blieben, um darauf zu warten, dass die gegenüberliegende Ampel auf grün schaltete. Wir wollten die breite Straße überqueren, die zwischen uns und dem Strand lag, an dem wir uns fast jedes Mal mit Armin trafen. Meistens redeten wir nur, allerdings geschah es oft genug, dass wir auch schwimmen gingen oder Eis aßen. Dinge, die man eben am Strand tat und die mich irgendwie auch glücklich machten. Zumindest, wenn ich gute Laune hatte. Ich musterte den Strand, um schon einmal nach meinem besten Freund Ausschau zu halten. Er war wie immer voller Menschen, die in der Sonne auf ihren Handtüchern lagen, im Meer schwammen, ein Eis aßen oder aber eine Sandburg bauten. Armin wartete meistens am Strandhaus, direkt am vorderen Bereich des Strandes auf uns, damit wir uns gemeinsam zu unserem Platz unter den Palmen begeben konnten. Dort waren wir immer ungestört und konnten unsere Zeit vertreiben. Vielleicht klang es nicht wirklich spektakulär, allerdings war es das in meinen Augen. Denn dieser kleine, abgeschnittene Teil des Strandes hatte etwas furchtbar Schönes an sich, besonders wenn man dort mit Menschen saß, die einem wichtig waren. Doch ganz plötzlich bemerkte ich, dass heute etwas ganz Bestimmtes nicht stimmte. Armin, der am Strandhaus wartete, war nicht alleine und hielt nach uns Ausschau, wie sonst immer. Er wurde von zwei Jungen, die etwa in unserem Alter zu sein schienen, umringt. Ihre bedrohliche Haltung ließ vermuten, dass sie nichts Gutes mit ihm vorhatten. Genauso wie Armins ängstliche, zusammengekrümmte Pose, die er momentan einnahm, während seine Augen immer wieder hilflos zwischen den beiden Typen hin und her strichen. Als ob er abwägen wollte, wer ihm zuerst wehtun wollte. Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte, wie mein Herz automatisch begann schneller zu schlagen. Schon wieder welche, die ihn verprügeln wollten? Mein Blick schweifte zu der Faust, die einer von den beiden Typen ballte. Sie war kurz davor die Bekanntschaft mit dem Gesicht meines besten Freundes zu machen. Ich kniff meine Augen vor Wut zusammen. Verdammt. Er würde Hilfe brauchen - alleine schaffte Armin dies nicht. Dafür war er einfach zu schwach. Viel zu schwach. Ich ballte meine Hände zu kleinen Fäusten, ehe ich meine Augen nur ganz kurz zu dem Verkehr auf der Straße gleiten ließ. Die Anspannung wuchs mit jeder Sekunde und gleichzeitig wuchs die Entschlossenheit in mir, ihm zu helfen. Ich wollte nicht, dass Armin verletzt wurde. Er konnte doch nichts dafür, dass er anders war, als diese Mistkerle. Meine Entscheidung war gefällt ohne wirklich darüber nachzudenken. Ich betrachtete die rote Ampel und dann die Straße. Es kam gerade kein Auto. Laut ausatmend beruhigte ich mich, ehe ich los rannte, so schnell ich konnte. Meine Augen waren weiterhin auf das Geschehen einige Meter vor mir gerichtet und glitten nicht einmal zur Seite. Ich wurde von diesem Bild fast schon angezogen, es ermutigte mich, immer weiter zu rennen ohne auch nur einen Gedanken an etwas Anderes zu verschwenden. Nur ganz leise vernahm ich die Stimme meiner besten Freundin, die verzweifelt meinen Namen rief. Ich drängte sie in den Hintergrund und versuchte mich zu beeilen. Die Straße war selten leer und somit auch heute voller Betrieb. Es war ziemlich gefährlich und riskant, das wusste ich. Mein Herzschlag hatte sich inzwischen verdoppelt. Armin wurde auf einmal stark ins Gesicht geschlagen und er glitt zu Boden. Doch die Kerle schienen jedoch nicht fertig zu sein, wahrscheinlich noch lange nicht. Allein dieser Anblick ließ mich so wütend werden, dass ich meine Geschwindigkeit zu erhöhen versuchte, obwohl dies kaum noch möglich war. Meine Schritte wurden immer schneller, genauso wie meine Atmung. Doch gerade, als ich die Straße fast hinter mich gebracht hatte, hörte ich plötzlich ein Auto, direkt neben mir. Der Boden vibrierte fürchterlich und ich musste um mein Gleichgewicht kämpfen. Ich riss meine Augen auf, nur um mich in letzter Sekunde vor einem starkem Zusammenprall zu retten. So nahm ich einen großen Schritt und kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, dass alles gut gehen würde. Stolpernd fiel ich auf den erhitzten Bürgersteig am anderen Ende der Straße. Ich stützte mich mit den Händen ab, spürte allerdings kaum die Schmerzen des Aufpralls. Es war noch gut gegangen. Meine Augen trafen auf die des Fahrers, dem ich allerdings keine weitere Beachtung schenkte. „Pass auf, wo du hinfährst, Arschloch“, rief ich nur, noch immer von der Wut gepackt, ehe ich mich wieder aufrappelte, um meinem blonden Freund zu helfen. Dass der Autofahrer eigentlich nichts getan hatte, interessierte mich in diesem Moment nicht. Auch die perplex wirkenden, grauen Augen, hatte ich inzwischen aus meinem Gedächtnis verbannt. „Armin“, mit einem lauten Ruf und von Sand gefüllten Schuhen kam ich schließlich bei dem Strandhaus an und ging zwischen die beiden Kerle, die gerade dabei waren, den Blonden zu verletzen. Ich schubste denjenigen, der Armin ins Gesicht geschlagen hatte beiseite und musterte sie mit abfälligem Blick. Beide hatten dunkelblondes Haar und dasselbe, widerliche Grinsen auf den Lippen. Sie schienen, aus der Nähe betrachtet, doch etwas älter als ich selbst zu sein, was man auch daran erkennen konnte, dass sie viel kräftiger waren. Einer trug eine Sonnenbrille und der andere eine Cap, mit der er wohl besonders cool wirken wollte. Ich kannte sie allerdings nicht, vielleicht erinnerte ich mich auch einfach nicht an sie. In diesem Moment war mir allerdings egal, wer sie waren. Es zählte nur, dass sie Armin verletzt hatten und es wieder tun wollten. „Was willst du, Pisser?“, fragte einer der blonden Muskelprotze und spuckte mir das letzte Wort regelrecht ins Gesicht. Seine Knöchel knackten bedrohlich, als er seine Hände zu Fäusten ballte. Ich ließ mir allerdings keine Angst von ihnen einjagen. Wenn nötig, würde ich mich wieder für Armin prügeln, so wie beste Freunde es nun mal füreinander taten. Okay, vielleicht war Armin nicht in der Lage, dies für mich zu tun, allerdings reichte es mir, wenn ich bei einer Kursarbeit von ihm abschreiben durfte. Das rettete mich nämlich auch vor vielen Dingen, wie zum Beispiel dem mir drohendem Wiederholungsjahr. Armin war ein unheimlich guter Mensch. Er war hilfsbereit, freundlich, furchtbar klug und gab stets den richtigen Rat. Ich konnte nicht verstehen, warum manche Menschen ihn so behandelten. Es ging mir deutlich gegen den Strich, dass er andauernd auf der Liste von irgendwelchen Leuten aus unserer Schule stand, nur weil er nicht so war, wie sie. „Wen nennst du hier Pisser?“, stellte ich die Gegenfrage, mit eisig klingender Stimme. Meine grünblauen Augen funkelten wütend, gleichzeitig auch kampfbereit. Ich merkte kaum, dass Armin hinter mir zitternd meinen Namen flüsterte. Er hatte Angst, dass ich mich schon wieder wegen ihm verletzte, das wusste ich. Das Lächeln der Beiden verschwand durch meine Provokation augenblicklich. Der Größere von ihnen ging einen Schritt auf mich zu, während ich jede seiner Bewegungen aufmerksam betrachtete, um auf alles gefasst zu sein. Die Luft wirkte plötzlich unglaublich dünn, eiskalt und gleichzeitig voller Spannung. Wie die Luft kurz vor einem Gewitter. Es würde nur noch wenige Sekunden dauern, bis sich eine riesige Schlägerei entfachen würde, wie ein Blitz, der einschlug. Doch ganz plötzlich hörte ich eine laute Pfeife, dessen Geräusch zischend die Luft durchschnitt. Mit großen, erschrockenen Augen sah ich zur Seite und erkannte meine beste Freundin, die zusammen mit irgendeinem braunhaarigem Typen auf uns zugelaufen kam. Seines Outfits nach schien er der Bademeister zu sein oder irgendein Sicherheitsbeauftragter des Strandes. Ich hörte noch, wie die anderen Beiden begannen zu knurren. „Scheiße, Mann“, murmelte einer von ihnen, seine Stimme zischte vor Wut. Ich war mir sicher, dass er liebend gern noch mehr Zeit mit uns verbracht hätte. „Wir sind noch nicht mit euch fertig.“ Ein letztes Mal strich der bedrohliche Blick des Blonden über Armin und mich. Es herrschte noch immer eisige Kälte und das Wissen, dass er es wirklich ernst meinte. Erst dann zogen die beiden Kerle ab und ließen den Blonden und mich mit Mikasa und dem Bademeister, welche langsam zu uns aufholten, zurück. Ich seufzte laut. Jetzt würde wieder eine Moralpredigt meiner besten Freundin folgen, da war ich mir sicher. Sie tat dies immerhin jedes Mal, wenn ich indirekt Scheiße baute. ~ „Ich frage mich immer noch, wie du einfach über die Straße laufen konntest. Du hättest einen schlimmen Unfall haben können!“, ertönte Mikasas Stimme dicht an meinen Ohren. Sie schüttelte immer wieder ihren Kopf, als würde sie einfach nicht nachvollziehen können, warum ich nur so dumm war. Schon seit mehreren Minuten stellte sie sich diese Frage, als ob sie eine Antwort bekommen würde, wenn sie sie oft genug wiederholen würde. Ich verdrehte nur die Augen, hoffte gleichzeitig aber auch, dass Mikasa dies nicht sehen konnte. Wenn sie merkte, dass ich genervt von ihr war, konnte sie ziemlich unangenehm werden. Ich erinnerte mich nur ungern an das letzte Mal, als wir einen Streit hatten und ich zu stur gewesen war, um mich zu entschuldigen. Inzwischen waren wir auf dem Weg nach Hause. Es hatte ewig gedauert, dem Bademeister zu versichern, dass so etwas wie eben nicht wieder vorkommen würde. Obwohl wir es hoch und heilig versprochen hatten, wusste ich bereits jetzt, dass es früher oder später wieder geschehen würde, wenn auch nicht unbedingt am Strand. Ich war mir sicher, dass meine Freunde diesen Gedanken insgeheim mit mir teilten, der Bademeister wahrscheinlich auch. Er hatte nicht so ausgesehen, als ob er eine schlechte Menschenkenntnis haben würde. Danach hatten wir uns Armins Verletzungen angesehen, welche zum Glück nicht wirklich schlimm ausgefallen waren und anschließend hatten wir sofort den Rückweg angetreten. Niemand von uns hatte noch am Strand bleiben wollen, ob wir nun wieder an unseren Lieblingsplatz gingen oder nicht. Für heute hatten wir alle genug. „Wäre er nicht gekommen, hätten sie mich verprügelt“, warf Armin kleinlaut ein. Er war schon die ganze Zeit über ziemlich ruhig, es war schon fast ein Wunder, dass er seine Stimme nun endlich wieder gefunden hatte. Als ich ihn ansah, bemerkte ich gleich, dass er in unserer Gegenwart ziemlich ruhig war, allerdings loderte in seinem Blick eine Mischung aus Wut und Enttäuschung, von der ich nicht wusste, woher sie stammte. Der Blonde wurde ständig Opfer von mehreren Leuten aus unserer Schule. Der Grund dafür war ganz simpel - Armin war schwul. Leider gab es viele Typen an unserer Schule, die dies nicht tolerierten. Ganz im Gegenteil, ihr Verhalten war regelrecht homophob. Die Blicke, die sie ihm zuwarfen und die beschissenen Gesten, die sie in seiner Nähe machten, ließen mich jedes Mal so wütend werden, dass ich fast schon kochte. Die daraus entstehenden Strapazen bügelte letzten Endes jedes Mal Mikasa aus. So gab es eine klare Rollenverteilung unter uns. Armin wurde von einem Typen gehässig angefahren, woraufhin ich auf diesen losging und dann Mikasa kam, um den Streit irgendwie zu legen. Wie sie das schaffte, konnte ich mir selbst nicht erklären, ihre Methoden waren wohl einfach erstklassig. Eine gute Frage also, warum sie nicht Streitschlichter für die kleinen Kinder werden wollte, die sich mit ihren Freunden um einen Teddybären stritten. Für mich war es allerdings kein Problem, dass mein bester Freund nicht der selben Sexualität angehörte wie ich oder Mikasa. Immerhin machte ihn dies nicht zu einem anderen Menschen. Er war immer noch der übertrieben freundliche Armin, der einem immer half und für einen da war, egal um was es ging. Leider gab es nicht viele, die so dachten, wie ich. „Das tut nichts zur Sache“, Mikasa, die vor uns ging, warf einen bösen Blick über ihre Schulter zu meinem blonden besten Freund. Armin verstummte sofort. Ihr Blick hatte wahrscheinlich bei jedem denselben Effekt. „Er hätte wenigstens warten können, bis die Ampel grün wird und nicht wie ein Bescheuerter über die Straße stürmen müssen.“ Diese Aussage kommentierte keiner von uns, da die Schwarzhaarige wohl oder übel recht hatte. Ich wollte es zwar nicht zugeben, doch musste ich mir eingestehen, dass es besser gewesen wäre, wenn ich einen kühlen Kopf bewahrt hätte. Ich hatte mich zwar nicht verletzt, allerdings wäre dies anders, wenn Mikasa nicht mit dem Bademeister aufgetaucht wäre. Doch manchmal dachte ich eben nicht nach. Jegliche Konsequenzen waren mir in diesen Momenten egal, selbst, wenn sie sehr schlimm waren. So war ich eben. Impulsiv, ein wenig hitzköpfig und vor allem ziemlich stur. Ich sah mich seufzend um und bemerkte, dass wir schon fast bei meiner Wohnung waren. Nun ja, falls man dieses Ding von höchstens zwanzig Quadratmetern Wohnung nennen konnte. Meistens lud ich Armin und Mikasa mehr oder weniger freiwillig dazu ein, auch noch zu mir zu kommen, damit wir gemeinsam aßen, doch heute war mir nicht mehr danach. Der Tag war ohnehin schon anstrengend genug gewesen, da wollte ich mir nicht den ganzen Abend über anhören müssen, wie meine beste Freundin sich über die Ereignisse des heutigen Tages beschwerte und Armin eingeschüchtert vor sich hin schwieg. Ich verabschiedete mich nur kurz von ihnen. Ein kleines Lächeln und ein schnelles „Bis Morgen“ war alles was ich von mir gab, ehe ich auch schon das Treppenhaus des Gebäudes betrat und die alten Steintreppen zu meiner Wohnung nach oben nahm. Es war furchtbar schmutzig, was daran lag, dass die beiden Typen, die diese Woche Putzdienst im Haus hatten, nichts anderes taten, als besoffen in ihrer Wohnung herum zu gammeln. Kopfschüttelnd beeilte ich mich, was angesichts der Tatsache, dass meine Wohnung im letzten Stock lag und ich furchtbar viele Treppen laufen musste, eine gute Idee war. Erst jetzt, wo ich mich intensiver bewegte, bemerkte ich die Schmerzen in meinem Bein, die höchstwahrscheinlich von meinem Sturz kamen. Sie waren nicht stark, doch blaue Flecken würden mit Sicherheit verbleiben. Noch immer tat mir der Autofahrer ein wenig Leid, den ich in diesem Moment so angeschrien hatte. Doch ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich tat. Mit einem lauten Seufzen kam ich schließlich vor meiner Haustür an und nahm meine Schlüssel aus der Hosentasche, um kurz darauf die Wohnung zu betreten. Sie war ziemlich klein und auch nicht sonderlich schön, doch mehr konnte ich mir nicht wirklich leisten. Die Tür hinter mir schließend, ließ ich meinen erschöpften Blick durch das Zimmer gleiten. Es war Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche zugleich und alles war ziemlich eng. Der alte Holzboden knarzte unter seinen Füßen und die gelbe Tapete an den Wänden war unglaublich hässlich, wie ich fand. Am anderen Ende des Raumes stand eine dunkelbraune Couch, welche zu einem Bett ausziehbar war. Da diese allerdings einen Großteil des Zimmers einnehmen würde, begnügte ich mich lieber mit dem zusammengestauchtem Stück als Schlafplatz. Davor stand ein kleines Fernseher auf einer Kommode, in welcher sich meine Klamotten und andere persönlichen Gegenstände befanden. Direkt daneben gab es eine gläserne Tür, welche auf einen Balkon herausführte, auf welchem man ungefähr drei Schritte gehen konnte, nicht mehr. Trotzdem war dies das Einzige, was ich an meiner Wohnung wirklich mochte. Gleich hinter der Tür stand schließlich noch ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, an welchem er immer aß und seine Hausaufgaben machte. Zu guter Letzt gab es noch eine kleine Küche zu seiner rechten, sowie eine Tür zu seinem winzigem Bad, welches fast vollkommen von einer schäbigen Dusche ausgefüllt wurde. Ich fuhr mir durch meine braunen Haare und strich mir die Sneakers von den Füßen. Müde schleppte ich mich zu der Couch. Fast schon automatisch glitt mein Blick zu der pissgelben Wand, an der nur ein kleines Bild hing. Wie jeden Abend musterte ich es mit einer Mischung aus Trauer und Sehnsucht. „Ich wünschte, du wärst da“, flüsterte ich kaum hörbar, ehe ich mich auf den Rücken legte und die Augen schloss, welche in wenigen Minuten sowieso von selbst zugefallen wären. Morgen stand mir wieder ein anstrengender Tag bevor. Wie anstrengend er wirklich werden würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)