Lonely Star von Ai_Mikaze ([ Reiji x Aine ]) ================================================================================ Kapitel 1: Solitude ------------------- Obwohl nun schon einige Jahre vergangen waren, seitdem dieser ‚Unfall‘ mit Aine passiert war und die ganze Welt glaubte, er sei einfach nur verschwunden, um sich von der Musik- und Medienwelt zu distanzieren, gab es immer noch jemanden, der ihm hinterhertrauerte. Der Professor und Ai wussten, dass Aine zwar im Koma lag, aber zumindest noch lebte. Sein engerer Bekanntenkreis, sowie seine Familie, die nur noch aus seinem Onkel bestand, waren über das, was wirklich passiert war, in Kenntnis gesetzt worden. Der Rest wurde in dem Glauben gelassen, er sei gestorben. Nicht einmal Reiji hatten sie mitgeteilt, dass es vielleicht doch noch eine Chance gab, dass Aine ‚zurückkehren‘ konnte. Sie fürchteten, dass es für Reiji wohl zu viel sein würde, mit so etwas umzugehen. Um eine Enttäuschung bei ihm zu vermeiden, sollte Aine nicht mehr aufwachen, blieb es geheim. Nachdem Reiji Aines verzweifelten Anrufe damals nicht angenommen und schließlich nur noch eine Nachricht von ihm bekommen hatte, dass er es in der Welt der Idole nicht länger aushielt und ihm der ganze Stress zu viel wurde, war klar, was passiert war. Zudem hatte Aine das Meer erwähnt, an welchem er so gern gewesen war. Der einzige Ort, an dem er sich noch frei hatte fühlen können. An die Öffentlichkeit drang davon nichts. Sein Onkel hatte nur ein kurzes Statement dazu abgegeben, ohne im Geringsten zu erwähnen, dass es Aine nicht mehr gab. Vielleicht aus Sorge um die Fans, vielleicht aber auch nur, um die Medien weiterhin auf Trab zu halten. Dies funktionierte nun schon fast acht Jahre lang und sie glaubten es noch immer … oder wollten es glauben. Reiji gab sich jahrelang die Schuld an Aines Tod, obwohl dessen Onkel ihm oft gesagt hatte, er wäre es nicht. Vielleicht hätte er ihn retten können, wenn er einfach nur an sein verdammtes Handy gegangen wäre. Doch im Gegensatz zu Aine, war Reiji kein Naturtalent. Er hatte schon als Kind damit angefangen, bis zur Erschöpfung zu arbeiten, damit er es später zu etwas bringen konnte. Zu jener tragischen Zeit hatte er bei seinem Debut alle Hände voll zu tun, sodass er sich auf nichts anderes hatte konzentrieren können. Er war so auf sein Ziel fokussiert gewesen, dass er selbst seinen besten Freund und dessen Zustand aus den Augen verloren hatte. Etwas, das unter normalen Umständen vollkommen untypisch für Reiji gewesen wäre. Obwohl Reiji jeden Tag aufs Neue den Glücklichen mimte und versuchte, alle bei guter Laune zu halten, war dieses Verhalten nicht mehr als eine bröckelnde Maske, hinter der er sich zu verstecken versuchte. Hinter ihr verbarg er seine Einsamkeit, die Trauer und Vorwürfe, die er sich machte, vor jedem, der ihm zu nah kam. Niemand durchleuchtete die Wahrheit, was gut war, doch es kostete ihn viel Mühe, diesen Schein aufrechtzuerhalten. Die ganzen Gefühle, die er tagsüber überspielte, konnte er nur an einem Ort freien Lauf lassen. An dem, an welchem er Aine verloren hatte. Er konnte nicht oft an das Meer fahren, an dem er oft Zeit mit Aine verbracht hatte. Aber wenn er es einmal schaffte, dann stand er einfach nur mit den Füßen im Wasser und blickte auf die dunkle Fläche, die sich weit und schier endlos vor ihm erstreckte. Meist war es Abend, wenn er hierherkam. Kaum eine Menschenseele war dann noch an diesem Ort anzutreffen. Der Wind wehte überwiegend so stark, dass es schwer war, dagegen anzukommen. Ringsherum gab es Klippen, welche Aine wohl genutzt haben musste, um sich in den dunklen Tod zu stürzen. Immer wieder hielt sich Reiji vor Augen, wie es wohl passiert sein musste. Er fragte sich, was Aines letzte Gedanken gewesen waren und was er ihm am Telefon wirklich hatte sagen wollen. Wollte er Hilfe? Wollte er sich nur persönlich von ihm verabschieden? Warum ausgerechnet er? Hatte Kei ihm nicht näher gestanden? Reiji hatte immer das Gefühl, dass er mehr für den gemeinsamen Freund übrig hatte als Freundschaft. Damit war er dann wohl nicht allein. Reiji hatte es ihm nie gesagt, aus Angst um ihre Freundschaft und angehende Karriere, sowie aus Respekt vor dem Verbot von Liebe an der Schule, doch er hatte stets mehr für ihn empfunden. Heute bereute er, es nicht getan zu haben. Aine würde es nun nie mehr erfahren und seine wahren Gefühle für ihn würden für immer unter Verschluss bleiben. Natürlich hatte er in den vergangenen Jahren versucht, Beziehungen zu führen – heimlich, mit irgendwelchen Mädchen und auch Männer waren darunter gewesen – aber er konnte keine tiefere Bindung mit ihnen eingehen. Als er schließlich auf den Rest von Quartet Night getroffen war und sich der Gruppe angeschlossen hatte, versiegelte er den Gedanken auf Beziehungen komplett Dank ihnen hatte er zurück zu einem Sinn gefunden, mit der Musik weiterzumachen. Aus ihr schöpfte er die Kraft, um für Aine weiterzuleben. Das, was er nicht mehr selbst erleben konnte, obwohl Aine die Musik über alles geliebt hatte, wollte Reiji ihm zukommen lassen. Auf dass seine Stimme ihn erreicht, wo auch immer er gerade war. Reiji tat das meiste nur noch für Aine und als er Ai das erste Mal traf, blieb ihm fast das Herz stehen, bis er erfuhr, wer er in Wirklichkeit war. Nichts, was er der Öffentlichkeit mitteilen durfte und womöglich nur Quartet Night alleine wusste. Ein Roboter, der nach dem Bild von Aine geschaffen wurde und irgendwie dessen Platz einnehmen sollte. Es klang grausam, allerdings hatte Ai wenig von seinem besten Freund, weshalb er schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr daran dachte, dass sie eigentlich dieselbe Person sein sollten. Ai entwickelte sich in eine ganz andere Richtung, entwickelte eigene Gefühle und nachdem dieser sogar mit Kei gesprochen hatte, welcher noch lange nach Reiji, in Ai nach Aine gesucht hatte, war für Reiji klar, dass Ai eine eigenständig existierende Person war. Er hatte mehr von einem Mensch, als von einem Roboter. Im Grunde sah Reiji sogar einen Freund in Ai, auch wenn das wahrscheinlich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Obwohl Ai wohl mehr Kontakt mit Ranmaru und Camus pflegte, als mit Reiji, hielten sie als Band gut zusammen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit Quartet Night, gab es dann aber endlich den Zuspruch von allen Mitgliedern, um weiter als Band zu agieren. Nichts, was Reiji jetzt noch gegen irgendetwas eintauschen würde. „Ne, Aine? Ich weiß, dass es nichts bringt, aber vielleicht erreicht es dich irgendwann“, flüsterte Reiji leise gegen den Wind. Es war wieder spät am Abend, niemand war neben ihm hier. Heute stand er ein wenig tiefer im Wasser, hatte seine Hose nach oben gekrempelt, damit sie nicht nass wurde. „Die Arbeit mit Quartet Night ist anstrengend, aber ich liebe sie. Trotzdem hab‘ ich es endlich geschafft, das Lied fertigzustellen, was ich vor acht Jahren für dich angefangen habe.“ Er ließ eine Pause folgen, in der seine letzten Worte wirken konnten. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, als die Gefühle sein Herz erreichten. „Ich hab‘ nie die richtigen Worte gefunden …“, murmelte er weiter, stoppte jedoch, als er plötzlich etwas Nasses an seiner Wange spürte. Ganz unbemerkt hatten sich ein paar Tränen über sein Gesicht geschlichen. Sein Lächeln erstarb. „Ich werde dich nie vergessen, es ist so einsam ohne dich … Aber dieses Lied macht es mir endlich möglich, mich komplett von dir zu verabschieden. … In einer Woche, wird es zum ersten Mal gespielt.“ In den letzten Jahren war es nicht oft vorgekommen, dass Reiji geweint hatte. Doch heute war ein besonderer Tag. Er gestattete sich, nur heute seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. „Heute vor acht Jahren …“ Dies würde voraussichtlich das letzte Mal sein, dass er hierherkam, um in der Vergangenheit zu leben. Für ihn war es an der Zeit, nach vorn zu blicken. Quartet Night würde bald auf Welttournee gehen, da blieb kein Platz für solch nachhängende Sentimentalitäten. Wenn er nicht lernte, loszulassen, würde er den anderen nur ein Klotz am Bein sein. Er wollte Aine nicht vergessen, und das würde er nie. Jedoch konnte er auch, wie jeder normale Mensch um ihn trauern, ohne sich weiter von ihr beherrschen zu lassen. … Kapitel 2: Never... ------------------- Am nächsten Morgen machte sich Reiji früh auf zum Studio. Es war weniger, dass er es der Arbeit wegen musste, als dass er zu dieser schweren Zeit eine Umgebung bevorzugte, in der er nicht allein war und so weniger Gelegenheit zum Nachdenken hatte. Die Einsamkeit tat ihm nicht gut und so versuchte er, sie so gut es ging zu vermeiden. Sein Lied war zwar endlich aufgenommen und wartete nur noch darauf zum ersten Mal im Radio gespielt zu werden, aber da war immerhin noch die Arbeit mit Quartet Night. Jeder hatte angefangen Solosongs aufzunehmen, so blieben die Lieder ihrer Band leider auf der Strecke. Etwas, was nicht sonderlich von Vorteil war, wenn sie mit einem neuen Album auf Tournee gehen wollten und davon bisher noch nicht einmal die Hälfte fertig war. Gedanken, die Reiji noch vor dem Aufstehen hatte. Im Studio traf er direkt auf Ai, der oft der Erste war, wenn der Band noch Aufnahmen oder Termine bevorstanden. Doch zu Reijis Überraschung war er nicht allein, sondern in Begleitung des Professors, welchen er seit Aines Tod vielleicht erst ein- oder zweimal wiedergesehen hatte. Er wusste, dass dieser Ai gebaut hatte und beide deswegen im sehr engen Bezug zueinander standen, doch abgesehen davon hatte er wenig mit dem Professor zu schaffen. „Johooo~! Morgen, ihr beiden“, meinte Reiji fröhlich und winkte ihnen zu, als er den Raum betrat. Wie gedacht, waren weder Ranmaru noch Camus anwesend. Das Schweigen des Professors ließ ihn verstummen. Der ernste Blick des Professors ruhte auf ihm und teilte ihm bereits mit, dass etwas vorgefallen sein musste. „Reiji“, sprach Ai ihn an. Ohne weitere Worte schob er ihm seinen Laptop entgegen. „Ne, AiAi? Was ist denn los?“, wollte Reiji wissen und blickte fragend auf den Bildschirm. Dort waren einige Fenster geöffnet, jedoch verwies Ai gleich auf einen Artikel mit unterschiedlichen Informationen zu Ai und Aine, den Reiji lesen sollte. Die Daten hatten sich über die Jahre hinweg angesammelt; Daten, die während Aines Koma aufgezeichnet worden waren und in Verbindung mit Ais Lieder standen. Etwas, das Ai haben wollte, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht Aine war. Zumindest war es das, was Reiji des Öfteren von Ai mitbekommen hatte. „Ich versteh‘ nicht ganz … was mir das sagen soll“, gestand Reiji, nachdem er sich alles durchgelesen hatte. Vielleicht mochten die beiden verstehen, was da stand, aber er nicht. Er war kein Wissenschaftler und erst recht kein Roboter. „Kotobuki Reiji“, fing der Professor an und trat dabei einen Schritt nach vorn. „Ich dachte, es wäre nun langsam an der Zeit, dass auch du es erfährst. Auch wenn Ai sich ziemlich quer gestellt hat.“ Er bot Reiji an, sich zu setzen, was dieser verweigerte. Sein bemühtes Lächeln machte deutlich, dass er auf der Stelle wissen wollte, was hier los war, weswegen der Professor zu sprechen begann: „Es geht um Aine. Er lebt noch… allerdings befand er sich die letzten Jahre in einem sehr kritischen Zustand und ich musste ihn in ein künstliches Koma setzen.“ Reiji entwichen jegliche Gesichtszüge. Sein Lächeln erstarb, während sein Blick ungläubig zwischen Ai und dem Professor hin und her wechselte. Entweder hatte er sich gerade verhört oder er war Teil eines ganz dummen Spiels, ohne sich dessen bewusst zu sein. „Wir … ich dachte, es wäre besser, wenn du es nicht erfährst. Schließlich wusste ich nicht, ob er je wieder aufwachen würde. Doch seit ein paar Tagen, ist er … tatsächlich wieder wach.“ Ai verhielt sich ruhig im Hintergrund. Seine Finger vergruben sich in die Lehne des Stuhls, als der Professor die Fakten vor Reiji ausbreitete. Doch er sagte nichts und beobachtete die Szene, ohne sich etwas anmerken zu lassen. „Ich weiß, vielleicht glaubst du mir nicht und ich kann dir auch nicht erlauben, ihn jetzt schon zu sehen. Aber ich dachte, du solltest es wissen“, endete der Professor. „Aine ist … am Leben? Er lebt?“, entkam es Reiji nur langsam. Die Hintergründe waren ihm im Augenblick egal. Er hatte aufgehört zu denken, nachdem diese Nachricht zu ihm durchgedrungen war „Hakase? Wie geht es ihm? Hat er nach mir gefragt? Wann kann ich ihn sehen?“ In seinem Schwall aus Fragen war er nach vorn getreten und klammerte beinah flehentlich an dem weißen Kittel des Professors. Kleine Tränen standen ihm in den Augenwinkeln, als er von unten zu dem größeren Mann hinaufblickte „Ihm geht es den Umständen entsprechend. Er ist gerade erst aufgewacht, nach fast acht Jahren. Noch kann er nicht mal sprechen. Er versucht es, aber er tut sich wirklich schwer mit allem.“ Natürlich hatte Aine versucht nach Reiji zu fragen, doch das verschwieg der Professor absichtlich. Noch wusste er nicht, wie schnell und ob sich Aine überhaupt wieder vollständig regenerierte. Der Professor pausierte für einen Moment, als wägte er ab, welche Informationen er noch preisgab. „Was Ai anbelangt, so halte ich es für sicherer, wenn Aine fürs Erste nichts über ihn erfährt. Es wäre ein zu großer Schock für ihn. Möglich, dass er bereits von ihm weiß, doch für den Fall, dass nicht, wäre das Risiko zu hoch. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch nicht ganz abschätzen, welche Konsequenzen es für Aines Gesundheit haben könnte, wenn er sich in diesem instabilen Zustand aufregt“, schloss er. Ai wusste einiges von Aine, aber ob es umgekehrt genauso war, konnte er noch nicht sagen. Es würde wirklich noch lange Zeit dauern. „AiAi …? Aber wieso kann ich Aine denn nicht sehen?“ Reiji wollte nicht so einfach aufgeben. Aus seinen Worten wie aus seinem Blick drang die Verzweiflung, die ihn niederzuringen versuchte. All die Jahre hatte er in dem Glauben gestanden, dass sein bester Freund tot sei, und nun erfuhr er aus heiterem Himmel, dass er noch lebte. War es da nicht normal, dass er unter Schock stand? „Reiji!“, mischte sich Ai plötzlich ein und klappte seinen Laptop hörbar zu. „Vielleicht erinnert er sich an gar nichts mehr.“ Seine Worte bewegten Reiji dazu, von dem Professor abzulassen und den Blick betroffen zu Boden zu senken. „Vielleicht … will er mich sowieso nicht sehen“, flüsterte er vor sich hin. „Vielleicht ist er mir ja auch immer noch böse, dass ich mich damals nicht gemeldet habe …“ Kurz wischte er sich über die feuchten Augen, ehe er den Kopf wieder hob und ein undefinierbares Lächeln auflegte. Er wollte vor den anderen keine Schwäche zeigen, doch stark zu bleiben, fiel ihm so schwer wie nie zuvor. Gestern hatte er noch von Aine Abschied genommen, und jetzt …? Jetzt wusste Reiji zwar, dass die ganze Trauer teilweise umsonst war, andererseits könnte es sein, dass Aine ihn nun hasste. Sagen würde ihm das vermutlich keiner, vielleicht nicht einmal Aine selbst. Obwohl er Aine nun wirklich nicht als solchen Menschen einschätzte, hätte er genauso wenig erwartet, dass er sich umbringen wollte. Aine war ein sehr lebhafter Mensch, er war immer gut gelaunt, war für seine Freunde da und hätte alles für sie getan. Eben das, was Reiji nun auch tat. „Ich muss jetzt leider gehen, mich um Aine kümmern. Reiji, vielleicht solltest du Kei kontaktieren. Er kann dir bestimmte auch einiges erklären.“ Der Professor wandte sich noch einmal an Reiji, ehe er sich mit einem Kopfnicken von ihm verabschiedete und sich aus dem Raum entfernte. „Kei?“ Reiji verstand die Welt nicht mehr. Sollte das heißen, er war bei Aine gewesen? Kei durfte und er nicht? Reglos verharrte Reiji in seiner Position. Ein Bild, das man nicht oft zu sehen bekam, was dazu führte, dass auch Ai sich nicht zu rühren wagte. Er hatte erst jüngst gelernt, was menschliche Gefühle waren, wusste sie aber noch nicht im Ganzen zu deuten und wie er mit ihnen umzugehen hatte. Die Verbindung, welche er mit Aine gehabt hatte, war in solchen Angelegenheiten oft hilfreich gewesen, doch seit dieser aufgewacht war, hatte er keinen Zugriff mehr darauf. Das erschwerte ihm Situationen wie diese ungemein. „Ne, AiAi“, durchbrach Reiji die Stille zwischen ihnen, seine Stimme klang noch leicht brüchig, „ich muss mal eben an die frische Luft. Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.“ Auf seinem Weg zur Tür trat Reiji an den Freund heran. Obwohl dieser nichts sagte, spielte Reiji ein tapferes Lächeln auf die Lippen und legte ihm tröstlich eine Hand auf die Schulter. „Ich kann dir ansehen, was du denkst“, sagte er leise und fing Ais fragenden Blick auf. „Aber keine Sorge, ich verwechsle euch beide nicht. AiAi wird immer AiAi bleiben und Aine ist Aine. Denk bitte daran, ja?“ Er schenkte ihm noch ein aufrichtiges Lächeln, dann drehte er sich herum und ließ Ai in dem kleinen Raum zurück. Ai hatte sich nicht gerührt, hatte keinen Ton von sich gegeben und versuchte sich solche Gedanken auch nicht anmerken zu lassen. Natürlich hatte er Angst, dass Hakase später keinen Gebrauch mehr für ihn hatte. Dieser versicherte ihm jedoch bereits, dass er nun ebenfalls ein Teil seiner Familie war. Auch wenn Aine wach war, würde Ai dazu gehören. Dies beinhaltete jedoch nicht Quartet Night und er hatte schon mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet, als Reiji von Aine erfuhr, jedoch nicht, dass Reiji fast seine Gedanken las. Ai würde er selbst bleiben und auch ein Teil von … Quartet Night? Zumindest ließen Reijis Worte darauf schließen und so selten es war, bewegten sich Ais Mundwinkel ein Stück nach oben, nachdem er alleine im Raum stand und Reiji noch hinterher blickte. Die Frage war nur, ob Reiji auch bei Quartet Night bleiben würde oder ob dieser doch wieder zusammen mit Aine etwas aufziehen wollte? Vielleicht sogar mit den beiden anderen? Immerhin konnte Ai deutlich spüren, dass Aine ziemlich starke Gefühle gegenüber Reiji hatte, die er nie nachvollziehen konnte. Er selbst zumindest fühlte gar nichts, wenn er diesen ansah oder in seiner Nähe war. Das was vorher war, waren alles nur Gefühle, die ab und an von Aine durchschienen. Ai selbst hatte ganz andere Interessen… Auf dem Weg nach draußen begegnete Reiji Ranmaru und Camus, die schon wieder über irgendetwas diskutierten und sich gegenseitig beleidigten. Etwas Alltägliches. Das Einzige, was hier nicht ins Bild passte, war, dass Reiji keinen Ton von sich gab, als er an ihnen vorbeiging. Ganz, als bemerkte er sie nicht einmal. Sie ließen sich nicht davon stören und fanden erst im Studio, in welchem sich noch immer Ai aufhielt, zu einem kurzen Ende ihrer Diskussionen. Es war Ais seltsamer Anblick, der Camus nach einem Moment der eingekehrten Stille einen verächtlichen Laut entlockte. Ohne ein weiteres Wort begab er sich an eine Ecke des Tisches, wo er sich sogleich an die Arbeit machte um ein paar Textzeilen zu schreiben. Ranmaru hingegen verweilte noch bei der Tür, von wo aus er Ai auffällig musterte. Er zögerte einen Moment, dann zog er sich einen Stuhl an Ais Seite heran und ihn selbst auf einen freien Platz neben sich. „Was habt ihr zwei getrieben? Du lächelst blöd und Reiji hat uns nicht mal gesehen?“, wollte er wissen. Natürlich hatte Reiji die beiden wahrgenommen, doch er wollte jetzt nicht mit ihnen reden. Klar, sonst war er immer derjenige, der sich überall einmischte und mit Ai zusammen versuchte, die beiden auseinander zu bekommen, damit sie sich nicht noch irgendwann an den Hals sprangen. Im Moment allerdings war ihm überhaupt nicht danach. Draußen hatte sich Reiji neben dem Eingang an die Hauswand gelehnt und eine Zigarette angezündet. Normalerweise war nicht er, sondern Ranmaru derjenige, der einem Kettenraucher Konkurrenz machte. Erst seit geraumer Zeit griff auch er gelegentlich nach einer Kippe, um sich irgendwie zu beruhigen. Immer wieder waren die Gedanken an Aine der Grund dafür, wie jetzt auch. Ironie, denn sicher würde er es überhaupt nicht gutheißen, wenn er davon wüsste. Aber was soll’s, er würde es sowieso nie erfahren und selbst wenn, dann hasste er ihn auch so schon. Reiji lächelte bitter bei diesem Gedanken. Er holte sein Handy heraus und überlegte kurz, ob er Kei wirklich anrufen sollte. Diese Erwägung lockte ihm ein schweres Seufzen hervor. Entschieden steckte er das kleine Ding wieder in seine Hosentasche, um anschließend an seiner Zigarette zu ziehen. Die ganzen Informationen, die gerade auf ihn eingestürzt waren, musste er erst einmal verarbeiten. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann passte alles zusammen: Aine war wach, Reiji erfuhr erst im letzten Moment davon, durfte ihn aber nicht sehen, Kei hingegen schon. Bei ihm war es offenbar kein Problem gewesen, also welchen Grund sollte es geben, dass er nicht zu Aine durfte? Es war wohl doch so, wie er es sich immer gedacht hatte. Er stieß ein langes Seufzen aus und ließ den Kopf gegen den harten, kalten Stein in seinem Rücken sinken. Es war untypisch für ihn, solch negative Gedanken zu hegen und gleich noch so viele davon. Das fiel ihm selbst auf, doch für seine sonst so positive Art war hier einfach kein Platz. Indem er über all diese Dinge nachdachte, blies er den Rauch gen Himmel und beobachtete die wenigen weißen Wolken, die ihren Weg sorglos in ihm unbekannte Weiten fortsetzten. „Rauchen ist ungesund und macht die Stimme kratzig“, hörte er plötzlich Ranmaru von der Seite, der tonlos neben ihm aufgetaucht war. Ehe Reiji sich versah, hatte er ihm einfach die Zigarette aus der Hand genommen und zog selbst genüsslich daran. „Haha, sagt grad der Richtige“, erwiderte er. Ein kurzer, prüfender Blick auf den Freund ließ ihn schmunzeln. Ihm stand das Rauchen sowieso besser. „Ich bin‘s gewohnt und bei meiner Stimme steh‘n die Mädels doch drauf.“ Unberührt zuckte Ranmaru mit den Schultern, nahm sich der restlichen Zigarette an und lehnte sich lässig neben Reiji. „Ai hat mir erzählt, was passiert ist“, teilte er ihm mit. „Oh.“ „Ich hoffe, du hast nicht vor, Quartet Night zu verlassen.“ Es war eine Drohung, welche er offen ließ. „Ai glaubt nämlich, dass du uns für Aine sitzen lässt“, fügte er hinzu und strich sich durch die Haare. „Auch wenn du Idiot glaubst, dass er dich hasst.“ Natürlich hatte Ai Ranmaru alles erzählt, auch das was er gefühlt hatte, während er noch diese gewisse Bindung mit Aine hatte. Für Ranmaru war der Fall klar, für Ai war es nur verwirrend und Reiji wusste es einfach nicht. Doch ihm so etwas auf die Nase zu binden, das wäre doch viel zu einfach gewesen. „RanRan …“ Reiji sah ihn aus großen Augen an. „Versuchst du mich etwa aufzumuntern?“ „Che. Mir ist doch egal, was du machst.“ „AiAi braucht sich keine Sorgen zu machen. Ich hab‘ ihm schon gesagt, dass er nicht ersetzt wird. Und ich habe auch nicht vor, Quartet Night zu verlassen, selbst wenn … ich Aine wiedersehen könnte. Ihr seid mir mindestens genauso wichtig“, erklärte Reiji mit einem Seufzen. „Ich glaube dennoch, dass Aine etwas … anderes für dich ist“, presste sich Ranmaru nur schwer über die Lippen, wobei er die Zigarette von sich schnipste. „Ran …“ Er blinzelte überrascht. „Danke“, fügte er schnell hinzu und zeigte ein Lächeln. „Was auch immer. Ich bin wieder drin. Ai sieht so aus, als würde er ‘ne Beschäftigung brauchen. Solltest du vielleicht auch mal in Betracht ziehen.“ Damit ging Ranmaru wieder nach drinnen, dicht gefolgt von Reiji. Kapitel 3: The dream we shared, crushed my soul ----------------------------------------------- Gut zwei Wochen nachdem Reiji erfahren hatte, dass sein bester Freund doch noch am Leben war, gab es noch immer keine Möglichkeit, dass er diesen sehen konnte. Der Professor ging ihm aus dem Weg, öffnete ihm nicht einmal die Tür, und Ai wollte er in die ganze Sache nicht auch noch hineinziehen. Seine verzweifelten Versuche, Aine wiedersehen zu können, trugen keine Früchte, weswegen er sich bemühte, sich weiter um die Musik zu kümmern. In der Hoffnung, sich auf diese Weise ablenken zu können. Das war das erste Mal seit acht Jahren, dass seine Gedanken ständig abschweiften. Er hatte damals schon lange gebraucht, um Aines vermeintlichen Tod zu verarbeiten. Vielleicht, so glaubte er, war ihm das nie so wirklich gelungen. Und jetzt auf einmal sollte er akzeptieren, dass er da war … und er nicht zu ihm konnte? Er traute sich nicht einmal Kei zu kontaktieren, obwohl der Professor selbst ihm dies vorgeschlagen hatte. Reiji war verletzt. Zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht, wie er mit einer Situation richtig umgehen sollte. Aus diesem Grund suchte er Trost bei Ranmaru. Er war die einzige Person, mit der er reden konnte. Ranmaru hatte ihm in dieser Sache schon einmal geholfen, auf seine ganz eigene Art und Weise. Zudem erfuhr er von Ai genug, sodass er nicht einmal mehr viel erzählen musste. „Reiji“, sprach Ai ihn an und deutete auf die Tür des Studiozimmers, in welchem sie sich befanden. Sie arbeiteten an den letzten Feinheiten ihrer Texte, bis sie endlich anfangen konnten, die Songs aufzunehmen. Jemand Unerwartetes stand in der Tür, ohne seine Ankunft mit einem Klopfen anzukündigen. „Huh?“ Verwundert blinzelte Reiji in Richtung Tür. Im nächsten Augenblick war er aufgesprungen und zu dieser gerannt, blieb ein paar Zentimeter vor ihrem Besuch stehen, als die Erinnerung ihn einholte. „Kei …“, nannte er ruhig dessen Namen, anstatt ihn freudig anzuspringen. Etwas, das er sowieso schon lange nicht mehr getan hatte, seit dieser ihm die Schuld an Aines ‚Tod‘ gegeben hatte. Auch wenn das inzwischen nicht mehr so war. „Ich muss mit dir unter vier Augen reden“, sagte Kei kühl. Er schenkte Ai nur ein knappes Lächeln, bevor er den Raum schon wieder verließ, um draußen auf Reiji zu warten. „Lange nicht gesehen“, meinte Reiji, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Normalerweise würde er ihn zureden und mit Fragen löchern, aber die Sache mit Aine lag ihm quer im Magen. „Hakase meinte, er hätte dir endlich erzählt, dass Aine wach ist.“ „Scheinbar wusste es jeder, außer mir“, entgegnete ihm Reiji unruhig. „Red keinen Müll. Ich wusste auch nicht, dass er noch am Leben ist. Ich habe es erst erfahren, nachdem mich der Professor angerufen und mir erzählt hat, Aine möchte mich sehen“, erzählte Kei, doch konnte man hören, dass er ein wenig angepisst klang. „Freut … mich für dich … euch. Geht es ihm denn inzwischen wieder besser?“, wollte Reiji wissen und versuchte dabei so ruhig wie möglich zu klingen. Der Schmerz, den diese Worte in ihm auslösten, überwog gegen die Eifersucht, die er empfand. Aine hatte nach Kei verlangt. Er wollte nur ihn sehen. Sofort, nachdem er aufgewacht war? Eigentlich war die Sache damit klar. Er wollte gar nicht mehr wissen. „Oh Mann. Denkst du, ich bin hier, um dir jetzt eins auszuwischen? Um dir zu sagen, dass Aine und ich …?“, fing Kei an und lachte im nächsten Moment kurz auf. „Du bist echt ein Idiot!“ „Danke, das hat RanRan auch schon gesagt.“ „Wie dem auch sei. Aine macht langsam Fortschritte. Er schafft es wieder einigermaßen zu sprechen … ob er jemals wieder singen kann, steht allerdings in den Sternen.“ Seufzend strich er sich durch die Haare. Auch wenn er schon genug Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen, war es nicht einfach, darüber zu reden. Er hörte Aine gern singen, vor allem seine Lieder, die er ihm immer geschrieben hatte. „Aine ist stark. Wenn er will, dann schafft er es auch“, entgegnete Reiji, obwohl es ihm ebenfalls Sorge bereitete. Aine hatte eine wirklich wunderschöne Stimme. Sie war der von Ai natürlich ähnlich, jedoch ein wenig tiefer und … ganz besonders. „Wahrscheinlich. Aber du hattest nicht ganz unrecht. Ich hab ihm endlich gesagt, dass ich auf ihn stehe. Hah. Schon die ganze Zeit. Und dass ich auf ihn warten würde, bis er wieder ganz gesund ist … aber ich hab‘ ‘ne klasse Abfuhr bekommen“, lachte Kei daraufhin. Es war gut, dass er das inzwischen mit Humor nehmen konnte. Er hatte gewusst, wie es um Aines Gefühle stand. Wirkliche Hoffnungen hatte er sich nie gemacht. Der Grund hierfür stand direkt vor ihm. Zu gut konnte er beobachten, wie dessen Gesichtszüge von traurig, geschockt, überrascht und fast schon erleichtert abspielten. „Du … ähm … Kei, tut mir leid?“ „Mhh, kein Problem. Ich bin glücklich, wenn er die Person bekommt, die er will“, lächelte Kei ein wenig zweideutig. Nachdenklich verschränkteer die Arme vor der Brust. „Du solltest wirklich zu ihm gehen, Reiji.“ „Denkst du, ich hab‘ die letzten zwei Wochen irgendetwas anderes versucht?“ „Ich weiß, was du getan hast. Ich war die ganze Zeit bei ihm. Aber Aine … Ich denke, jetzt ist die richtige Zeit gekommen“, legte Kei ihm offen hin. „Ich kann dich zu ihm fahren, wenn du willst.“ „Moment? Du warst die ganze Zeit dort, als mich Hakase vor der Tür stehen gelassen hat?!“ „Beruhig dich. Wenn du mit Aine redest, klärt sich das Ganze auf. Ich kenn dich, leider ein wenig zu gut. Versuch eben Gesagtes nicht erst zu verarbeiten, sondern rede zuvor mit ihm“, gab Kei mit Nachdruck von sich. „Ich warte im Auto auf dich.“ Kei hatte recht. Reiji verstand noch nicht so ganz, was dieses Gespräch eben sollte. Warum sagte Kei ihm, dass Aine ihn zurückgewiesen hatte und er dennoch die ganze Zeit bei ihm gewesen war? Und nun wollte Aine doch mit ihm reden? „Aine …“, kam nur leise über Reijis Lippen, nachdem Kei schon vorausgegangen war. Schnell sagte er noch den anderen Bescheid, dann folgte er Kei mit eiligen Schritten. Wenig später, nachdem Schweigen im Auto herrschte, kamen sie endlich an. Die ganze Fahrt über war Reiji aufgeregt gewesen, und auch jetzt besserte sich dieser Zustand nicht. Kei redete kurz mit dem Professor, erklärte ihm, was Reiji bereits wusste und überließ diesen schließlich seinem Schicksal. „Ich geb dir noch diese eine Chance! Viel Glück“, meinte Kei, lächelte seinen alten Freund an und stieg zurück in das Auto. „Ich versteh überhaupt nichts mehr“, lachte Reiji gehalten. „Tut mir leid wegen den ganzen Unannehmlichkeiten. Aber ich denke, Aine wird dir alles erklären. Erwarte nicht so viel von ihm, er ist noch geschwächt“, war alles was der Professor zu ihm sagte, ehe er ihn in das Zimmer führte, in welchem sich Aines Krankenbett befand. Dort ließ er die beiden allein. Starr und ungläubig blieb Reiji bei der Tür stehen. Am anderen Ende des Raumes saß Aine in seinem Bett, die Augen geöffnet und wach auf Reiji gerichtet. „Rei…ji“, kam es leise über seine Lippen. Schwach hob er die Hand und wollte sie nach Reiji ausstrecken, schaffte es aber nicht. Er sah ein wenig dürr aus, seine Augen fielen des Öfteren zu, bis er sie schwerfällig wieder öffnete. Sonst wirkte er schon unerwartet erholt. „Ai… Aine … Aine!“, entwich es Reiji ein wenig zu laut, weshalb er sich die Hände auf den Mund schlug. Er spürte, wie ihm plötzlich die Tränen kamen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, welches ihn gerade durchflutete. Fast, als würde er nur träumen, doch dies hier war die Realität. Ein Alptraum, der endlich geendet hatte; ganz so, wie er es sich gewünscht hatte. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich endlich in Bewegung setzte und neben Aines Bett zum Stehen kam. „Oh Gott, Aine … Du bist wirklich hier“, flüsterte er, wobei seine Hand zittrig nach der des Freundes suchte. Sie fühlte sich warm an. Ein weiterer Beweis, dass das hier kein Traum und Aine tatsächlich hier war. Direkt vor ihm, lebend. Unerwartet erwiderte Aine diese Geste und griff ebenfalls nach seiner Hand. Mit schwachem Druck hielt er sie fest. Noch immer war dieses eine bestimmte Lächeln auf seinen Lippen zu sehen, bevor er erneut Reijis Namen aussprach. Diesmal deutlicher und sicherer als vorher. „Ich hab dich so schrecklich vermisst, Aine. Ich dachte wirklich ich würde –“ Reiji wurde mitten in seinem Satz unterbrochen, als Aine sich ein wenig nach vorn beugte und ihm einen Finger auf die Lippen legte. „Psst … Ich weiß. Ich weiß so viel von Ai“, erklärte er leise. Erschöpft sank er auf die Kissen zurück. „AiAi?“ „Setz dich bitte. Ich versuch’s … dir zu erklären.“ Es fiel ihm sichtlich schwer zu sprechen, aber er schien entschlossen, es probieren zu wollen. „Ich bin hier… Ich hör dir zu.“ Mit diesen Worten setzte sich Reiji auf die Stelle, die Aine ihm mit der Hand deutete. Er war nun so nah bei ihm, dass er ihn hätte berühren können, wenn die Decke nicht zwischen ihnen gewesen wäre. „Ich hoffe, Kei war nicht … so gemein zu dir. Ich wollte dich am Anfang nicht sehen, weil … ich nichts sagen konnte. Meine Stimme war einfach weg … Das Erste, was ich bewegen konnte, waren meine Finger gewesen, weshalb mir mein Onkel einen Laptop gegeben hat und ich … zu Beginn so mit ihm kommuniziert habe. Deswegen wollte ich erst Kei hierhaben. Ich wollte … dass er mit mir das Sprechen übt.“ Aines Sätze waren abgehackt. Seinen Worten folgten häufige Pausen und er musste etwas länger Luft holen, um sich nicht zu überanstrengen. Reiji schwieg in der Zwischenzeit. Gelegentlich wischte er sich immer wieder die Tränen aus den Augenwinkeln, weil er es immer noch nicht glauben konnte. „Der Laptop … Bitte, lies das.“ Aine deutete auf das kleine Gerät neben sich, welches Reiji gleich an sich heranzog. Er hatte es wirklich versucht, doch ihm war klar gewesen, dass ein Scheitern möglich wäre. Ihm fehlte noch die Kraft, um Reiji alles zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag. Aus diesem Grund hatte er das Wichtigste für ihn schriftlich zusammengefasst. »Es ist ziemlich peinlich. Immerhin weiß ich, dass du das hier lesen wirst, wenn du neben mir sitzt, aber mir bleibt keine andere Möglichkeit, es dir mitzuteilen. Ich bin noch zu schwach, um dir alles zu erklären. Dabei hat Kei Tag und Nacht mit mir geübt und ich wollte stark genug sein, um dir die Wahrheit zu sagen. Auch wenn mein Körper noch nicht so will wie ich, ist meine Entscheidung bereits gefallen. Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, dass ich diesen dummen Fehler gemacht habe. Damals wurde mir alles zu viel. Ich weiß, wir hatten diesen einen Traum und ich weiß, wie viel du dafür getan hast, nur um auf gleicher Ebene mit mir zu sein. Deswegen war ich mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt dafür bereit war. Zu sehen, wie du dich manchmal bis zur Erschöpfung kaputt gearbeitet hast, tat so weh, nur weil du an meiner Seite bleiben wolltest. Ich wollte doch nur, dass alle glücklich sind, auch wenn ich nicht mehr da bin. Vor allem wollte ich aber, dass du glücklich bist, Reiji. Dass du dich auch mal um dich selbst kümmerst und nicht immer nur um andere. Letztlich warst aber weder du noch einer der anderen an meiner Entscheidung schuld. Ich habe mich von der Musik, die ich so unendlich liebe, betrogen gefühlt. Es sah so aus, als hätte sie mehr kaputt gemacht, als dass sie mir geschenkt hat. Und ich hatte dich damals auch nur angerufen, um dir zu sagen, dass du glücklich sein sollst, auch wenn das ziemlich egoistisch geklungen hätte. Dennoch. Ich würde gerne da weitermachen, wo wir … ich aufgehört habe. Ich möchte, dass Kei wieder Texte für mich schreibt, sobald es mir besser geht. Aber ich möchte vorerst nur im Hintergrund agieren, ehe ich wieder an die Öffentlichkeit trete. Und wenn es soweit ist, möchte ich einmal zusammen mit dir auf der Bühne stehen und zusammen singen.« Die zunehmenden Tränen erschwerten es Reiji die letzten Zeilen zu lesen. Endlich war er dazu in der Lage, Aines Gedanken nachzuvollziehen. „Aine … Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“ „Es tut mir … wirklich leid. Das soll nicht heißen, dass du Quartet Night wegen mir verlassen sollst. Aber … ich hoffe, wir können trotzdem wieder zusammen sein. Als beste … Freunde.“ Er schüttelte kurz den Kopf. „Vielleicht aber auch … als etwas mehr“, verbesserte er sich. Daraufhin senkte er den Kopf, konnte jedoch nicht verhindern, dass sich ein leicht rosa Schimmer um seine Nase legte. Es kam alles auf einmal kam und irgendwie viel zu plötzlich, sodass Reiji noch gar nicht alles realisieren konnte. Doch er versuchte, so gut wie möglich zu verstehen. Er verstand alles, was Aine ihm mitteilte, auch dessen letzten Satz. Er zauberte ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen. Wie oft hatte er sich vorgestellt, Aine wiederzusehen? Wie oft war er an diesem Gedanken verzweifelt, dass es selbst dann nie wieder so sein würde wie früher? Und nun saß er hier, vor seinem totgeglaubten Freund, redete mit ihm und erfuhr Dinge, was er sich selbst niemals getraut hätte zu sagen. Heute sah das anders aus. Sie waren inzwischen keine Kinder mehr. Auch wenn Reiji in der Öffentlichkeit stand, war ihm das egal. Er wollte mit Aine zusammen sein. Privat und über die Musik hinaus. „Ich bin so unendlich glücklich, dass du noch am Leben bist, Aine. Du glaubst gar nicht, wie glücklich.“ Seufzend zog er ihn in eine innige Umarmung, vorsichtig aufgrund von Aines‘ schwachen Zustands. Er spürte, wie sich auch dessen Arme um seinen Rücken legten. „Dummkopf, du sollst doch nicht weinen“, sprach er leise. Seine Hand strich zärtlich über das braune Haar. Endlich war er dazu in der Lage, Reiji zu trösten. Etwas, das er gern schon viel früher getan hätte, doch er hatte Ai nicht dazu benutzen wollen. „Ich kann nicht. Ich hab‘s die ganze Zeit zurückgehalten. Ich war so einsam ohne dich. Aine, es tut mir leid … Ich hab‘s dir damals die ganze Zeit verschwiegen. Meine Gefühle für dich sind immer noch so unglaublich stark …“ Er wollte ihn nie mehr loslassen. Nicht aus Angst, Aine erneut zu verlieren. Es gab so viel aufzuholen. So viel, was sie all die Jahre verpasst hatten. „Ich will … unseren Traum leben, Reiji.“ - Ende Hosted by Animexx e.V. 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