Der Dukatenfalter von Anyi ================================================================================ Kapitel 1: Der Dukatenfalter ---------------------------- Der Dukatenfalter Ich war acht Jahre alt, als ich ihn zum ersten Mal sah. Damals liegt schon eine Ewigkeit zurück und zwischenzeitlich ist auch eine ganze Menge passiert. Dinge haben sich ergeben, entwickelt und wieder geändert. Viele Dinge, die ich jetzt nicht mehr alle zusammenfassen kann. Wir sind älter geworden. Reifer. Erwachsen. Jedenfalls schreibt uns das das Gesetzt vor. Das Mindestalter wurde erreicht und die Gesellschaft ist der Meinung, dass wir uns ab jetzt in anderen Kreisen bewegen müssen. Sie sagen uns, wie wir uns zu verhalten haben. Sagen, was geht und nicht mehr akzeptabel ist. Für mich war es nie wirklich neu. Keine wirkliche Überraschung. Von jetzt auf gleich alle kindlichen Züge abwerfen ist mir keinesfalls schwer gefallen. Anders sah es bei ihm aus. Er hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt – tut es selbst heute noch, wenn ihm etwas zu ernst ist. Mit Regeln, die die Gesellschaft machen, beschäftigt er sich nicht. Bürokratie, Gesetz, Politik; Führungswissenschaft und Regierungswirtschaft – das sind nur Begriffe, Dinge, die er zwar kennt, weil er sie irgendwann mal aus meinem Mund gehört hat, aber es sind Dinge, mit denen er nichts anfangen kann. Wenn man ihn fragt, dann sitzt da doch sowieso nur jemand, der nur ein paar Unterschriften leistet. Jemand, der sich einfach nur zwischen A und B entscheidet, mehr nicht. Aber ganz so einfach ist es eben nicht. Manchmal, wenn ich über seine Äußerungen ernsthaft nachdenke, möchte ich ihn für die Fähigkeit so naiv und leichtsinnig zu denken beneiden. Vermutlich würde es auch für mich Vieles einfacher machen. Stressfreier. Leichter. Alles immer ins kleinste Detail zu zerdenken ist nicht gut. Es ist anstrengend, raubt mir Kraft und wertvolle Zeit. Zeit mit ihm. Da gibt es so viele schöne, interessante Dinge im Leben, die man tun kann. So viel, was man erleben kann, doch ich bin gefangen in einem Großstadtbüro, mit Aussicht auf das nächstgelegene Hochhaus. Und somit auf weitere steril eingerichtete Büroräume, mit einem zusammengepferchten Haufen von Menschen. Ein Blick aus dem Fenster, in seltenen Pausen, lohnt sich kaum. Man sieht nur weitere gestresste Menschen, die an Telefonen hängen, Präsentationen erläutern und Akten von einem Ort zum anderen schleppen. Nach unten zu sehen lohnt sich genauso wenig. Dort erwarten einen nur Autos, die im Verkehrsstau stecken, die hier, mitten im Zentrum beinahe rund um die Uhr vorherrschen. Etwas Grünes sieht man kaum. Unten, an der Straße stehen in regelmäßigen Abständen eingepflasterte Bäume, die sich kaum entfalten können. Sie sind zu schwach, um sich gegen die zunehmende Industrialisierung zu wehren. Ich glaube, in ihnen steckt zwar der Wunsch nach einer gesünderen Umgebung, aber sie sind dennoch nichts weiter als ein Dekorationsversuch, der die hässliche Wahrheit übertünchen soll. Nicht mehr. Ich seufze und schließe für einen Moment die Augen. Versuche mir vorzustellen, wie die Luft schmeckt. Wie sich Wind auf meiner Haut anfühlen würde. Das Fenster öffnen kann ich nicht. Nicht, weil es draußen zu kalt ist. Auch nicht, weil uns die Hitze sonst erdrücken würde. Nein, deshalb nicht. Es liegt nur an den Abgasen, an dem Smog, der die Luft dreckig macht und uns das freie Atmen erschwert. Und deshalb erstaunt es mich, dass ich hier oben, nur für einen winzigen Moment einen einzigen Schmetterling sehe. Er flattert durch die Luft, an meiner Nase vorbei, einfach so. In leuchtendendem Orange. Seine Erscheinung bringt mich zum Lächeln und ich erinnere mich zurück. An den Tag, an dem ich herausgefunden habe, dass der Dukatenfalter Narutos Lieblingsschmetterling ist. Es war heiß, drückend und stickig. Draußen sogar noch mehr, als innerhalb des Hauses. Unangenehme Schwüle, die sich durch den Tag schleppte und Menschen träge und müde machte. Es war mein achter Geburtstag. Vielleicht ein besonderer Tag für jedes kleine Kind. Ein Tag, den man mit Freunden verbrachte. Lustige Spiele spielte, kleine Wettkämpfe durchführte und lachte. Den ganzen Tag. Nur ich hatte keine Freunde, mit denen ich lachen konnte oder wollte. Ich hatte auch keinen Spaß an Topfschlagen mit meinem Bruder, weil er ja sowieso immer gewann. Für mich war dieser Tag ein Tag wie jeder andere. Bis zu dem Moment, als meine Eltern am Frühstückstisch verkündeten, dass wir meinen Geburtstag nicht wie üblich zu Hause verbringen würden. Eine Überraschung, hatten sie es genannt. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Damals hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn alles so verlaufen wäre wie immer. Nach dem Frühstück hätte ich bei Itachi auf dem Schoss gesessen und seiner Stimme gelauscht, während er mir ein neues Kapitel aus einem meiner Lieblingsbücher vorgelesen hätte. Ich weiß noch, dass ich das Buch sogar schon gleich nach dem Aufstehen aus dem Regal gezogen hatte. Der Zauberer von Oz – es lag auf dem Wohnzimmersessel, doch wir kamen nicht mehr dazu es zu lesen. Stattdessen saß ich fein angezogen im Auto. Schmollend, weil ich nicht einsehen wollte, warum ich an meinem Geburtstag keine fantasievollen Geschichten hören durfte, die ich selbst noch nicht richtig lesen konnte. Meinen Eltern habe ich es nicht leicht gemacht. Absolut nicht. Ich weiß, sie wollten mir eine Freude machen. Haben es für mich organisiert, doch selbst Itachi konnte mich nicht überzeugen, dass es auch so ein toller Tag werden würde. Dabei hatte er schon zu diesem Zeitpunkt recht gehabt. Ich habe nur noch nicht ganz glauben können, wie ein Besuch in einem Schmetterlingshaus besonders toll werden konnte. „Jetzt komm schon, Sasuke“, lächelte Itachi neben mir. Sein Zwinkern forderte mich geradezu auf, ihm zu folgen, auch wenn ich viel lieber stur im Auto sitzen bleiben wollte. „Jetzt schmoll nicht, ich kann dir auch nachher noch vorlesen.“ „Wirklich?“ „Versprochen“, sagte er und tippte mir leicht gegen die Stirn. Eine Geste, die mich zum Lachen brachte. „Und jetzt komm. Heute ist Eröffnungstag und sie haben eine Hüpfburg im Hof aufgebaut“, meinte er mit sichtlicher Freude und ich schnallte mich ab, um meinem Bruder über den Parkplatz zu folgen. Auf einer Hüpfburg zu springen, war nicht unbedingt das, was ich gerne machen wollte. Schon damals nicht. Ich musste ein seltsames Kind gewesen sein. Ein Kind, das lieber am Rand stand, und seinen Bruder beobachtete, wie er in die Luft flog. Für mich waren das zu viele Kinder. Zu eng. Zu viel Kontakt. Aber Itachi hatte Spaß und ich hatte Spaß ihm dabei zuzusehen, bis mein Blick auf einen Jungen fiel. Er stand Abseits, an einer Tür, auf Zehenspitzen und mit langgestrecktem Hals, um seine Nase gegen das Fensterglas zu drücken. Ein Junge, der nicht älter sein konnte als ich. Ich kann nicht mehr genau sagen, warum ich damals zu ihm gegangen bin. Aber es war die beste Entscheidung meines Lebens. „Warum gehst du nicht rein?“, fragte ich leise, als ich neben ihm stand. Was er sich dort ansah, konnte ich nicht sehen. Sein wuscheliges, blondes Haar verdeckte zu viel. „Sie essen“, antwortete er. Ich wusste nur überhaupt nicht, wovon er da sprach. „Wer?“ „Na die Schmetterlinge, schau“, meinte er und rutschte zur Seite. Es war nicht sonderlich viel Platz an der Tür, aber ich zögerte nicht und stellte mich neben ihn. Ebenfalls auf Zehenspitzen und versuchte durch das Glas zu sehen. Der Raum war voller bunter Falter. Eine unglaubliche Vielzahl verschiedener Arten und fast alle saßen auf einem runden Tisch. Auf frisch geschnittenen Apfelscheiben. „Schön, oder?“, hauchte er. „Ja“, antwortete ich. „Ich mag die orangenen gern. Die sind am schönsten“, schwärmte er und ich sah für einen Moment zu ihm. Seine Augen glänzten, schimmerten blau und einfach alles an ihm wirkte lässig, farbenfroh und bunt, während ich neben ihm stand. Herausgeputzt in gedeckten, passend kombinierten Farben. Auf die Frage, welcher Schmetterling mir besonders gefiel, zuckte ich nur mit den Schultern. Ich mochte Bücher. Er mochte Schmetterlinge. Ich mochte den Zauberer von Oz und er den Dukatenfalter. Wir sind den ganzen Tag zusammen gewesen. Damals, im Schmetterlingshaus. Wir sind nicht gemeinsam auf die Hüpfburg gegangen. Wir waren auch nicht bei den anderen Aktionen, die sie extra für Kinder aufgebaut hatten. Nein. Wir standen an der Tür, bis man uns an die Hand genommen hat und uns erlaubt hatte, in den Raum zu gehen. Ich werde den Anblick Narutos nie wieder vergessen, wie er staunend, mit halboffenem Mund in einem bunten Schwarm flatternder Schmetterlinge stand und seine Hände ausstreckte. Dieses Bild von ihm hat mich fasziniert. Seine Lebensfreude und kindliche Begeisterung hat mich beeindruckt und sie tut es noch heute. Zum Feierabend fahre ich immer zu ihm. Heute allerdings früher als sonst, weil es im Büro nichts mehr gibt, womit ich mich heute noch beschäftigen will. Ich bin ein Jahr älter. Es ist mein Geburtstag. Ein besonderer Tag, seitdem ich ihn kenne. Er steht vor mir. Schneidet summend Apfelsinen und Äpfel in gleichmäßige Scheiben. Er tut genau das, was er sich als Kind schon am meisten gewünscht hat. „Hey“, mache ich leise auf mich aufmerksam, ehe ich zu ihm gehe. Meine Hände wandern an seine Hüfte und ich lege meinen Kopf auf seine Schulter. Er riecht nach frischen Orangen. „Sind sie denn schon da?“, frage ich leise, als er sich seine Hand an einem Tuch abwischt. Sein Schmunzeln drückt sich als Kuss auf meine Wange. „Ja, heute Morgen geschlüpft. Du musst sie dir ansehen“, lacht er und dreht sich meiner Umarmung. Ich halte ihn, für einen Moment, ehe er mir unruhig Küsse auf die Lippen haucht. „Komm mit“, bittet er sanft und schon ist er weg, zieht mich hinter sich her. Sekunden später, stehen wir in einem Raum und um uns herum flattert aufgeregt ein junger Schwarm leuchtend orangener Dukatenfalter. „Happy Birthday, Sasuke“, flüstert er und zieht mich inmitten seiner Schmetterlinge in einen leidenschaftlichen Kuss. Ich mochte Bücher und den Zauberer von Oz. Jetzt mag ich Naruto. Mehr noch. Ich liebe ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)