Gotta heal 'em all! von ougonbeatrice ================================================================================ Kapitel 7: Eine Portion Sashimi, bitte! --------------------------------------- Der Nachteil am Camping unter freiem Himmel ist der, dass man die Sonne im Gesicht hat, egal wo man liegt. Ich schlief am besten bei völliger Dunkelheit. Das bedeutete auch, sobald es auch nur ein wenig hell war, war ich wach. Für einige Zeit tat ich so, als würde ich die aufgehende Sonne nicht bemerken, aber irgendwann ließ sie sich nicht mehr ignorieren. Ich streckte mich auf meiner Matratze und suchte meine nahe Umgebung nach meinen Reisegefährten ab. Habitak lag noch immer neben meinem Kopf eingekugelt auf dem Boden. Gut, also ist es nicht abgehauen. Kurz geriet ich in Panik, als ich Psiana nicht entdecken konnte. Aber das Pokemon war ebenfalls bereits wach und saß am Fluss um zu trinken. Das ständige Geräusch des plätschernden Flusses war während der Nacht sehr beruhigend gewesen. Yumiko war in ihrer Decke eingerollt, sodass nur ihre schwarzen Haare zu sehen waren. Soweit so gut. Aber, wo war Leif? Um einen besseren Überblick zu bekommen richtete ich mich auf. Als ich meine Füsse bewegte, durchfuhr mich der bekannte Schmerz. Also würde ich auch heute mit Muskelkater in den Beinen laufen müssen. Vorsichtig strich ich Habitak über den Kopf, oder ich glaubte, dass es der Kopf war. Vor lauter Federn konnte man das Pokemon kaum erkennen. Sofort ging der Kopf in die Höhe und blickte sich hektisch um. Als es erkannte, wo es war, piepte es zufrieden. Es stand auf und lief etwas unsicher umher. Ich nahm es und setzte es wieder auf meine Schulter, was es ohne Meckern mit sich machen ließ. Mein erster Weg ging zum Fluss. Ich trank ein wenig um den ekligen Morgengeschmack aus dem Mund zu bekommen und wusch mir das Gesicht. Psiana saß neben mir und putzte sich. Tahmoh hatte gesagt, sie hätte Interesse daran, dass ich wohlbehalten beim Silberberg ankam. Aber da hörte ihr Interessensgebiet wohl auch schon auf. Von einer Katze ignoriert zu werden war nichts Neues für mich, damit konnte ich umgehen. Aber ich wollte trotzdem versuchen, ein besseres Verhältnis zu ihr aufzubauen. In einem Schwung jugendlicher Übermut tauchte ich meine Hand in den Fluss und bespritzte sie mit Wasser. Es war nicht viel, eigentlich nur ein paar Tropfen. Aber Psiana reagierte äußerst beleidigt. Na, das ging nach Hinten los. "War nicht so gemeint", rief ich ihr noch hinterher, doch sie verschwand bereits wieder Richtung Lager. Spielen würde ich mit ihr nicht können, aber sie war schließlich auch kein junges Pokemon mehr. Ich würde mir etwas anderes einfallen lassen müssen. Derweil hüpfte Habitak auf meiner Schulter umher. Ich gab ihm ein wenig Wasser und marschierte daraufhin ebenfalls zurück zum Lager. Yumiko lag noch immer unter ihren Decken, schaute mich aber mit offenen Augen an. "Wo ist Leif?", fragte sie mich verschlafen. Zur Antwort zuckte ich nur wortlos die Schultern. "Der wird schon wieder auftauchen", gähnte sie und setzte sich auf. Bei ihrem Anblick musste ich lachen, was mir einen schiefen Blick einbrachte. Ihre Haare standen in alle Richtungen und verliehen ihr einen wilden Look. Allerdings sah ich auch nicht gerade besser aus. In meinen Haaren fühlte ich selbst heute noch ein paar kleine Steinchen vom Berg.   Ein paar Minuten später saßen wir zusammen und aßen unser Frühstück. Langsam wurden mir diese Riegel zuwider, auch wenn sie im Gegensatz zu den Nudeln wenigstens gut schmeckten. Die Pokemon bekamen wie gestern ihr Pokefutter, bis auch sie gestärkt für den Tag waren. Gerade, als ich meine Flasche füllte, tauchte Leif auf. Er war völlig verdreckt und verschwitz und atmete schwer. "Wo waren Sie?", rief ihm Yumiko empört entgegen. Ihre Frage war berechtigt und ich konnte nicht leugnen selbst gerne die Antwort zu hören. Andererseits war er ein erwachsener Mann, der die letzten zwei Dekaden alleine in einem Berg gelebt hatte. Er würde schon wissen, was er tat. "Nur ein wenig mit meinen Pokemon gekämpft", sagte er grinsend. Mit den Pokemon gekämpft oder gegen die Pokemon gekämpft.  Da lief er an mir vorbei und sprang in den Fluss. Mit offenem Mund starrte ich ihn an, wie er Haare im Gesicht hängend wieder auftauchte, nur um kurze Zeit später wieder unter Wasser zu verschwinden. Dieser Bastard kann es sich auch erlauben einfach ins Wasser zu springen. Die Welt ist unfair. Die Hände vor der Brust verschränkt beobachtete ich ihn, wie er sich im Fluss wusch und schließlich tropfend am Ufer herausgeklettert kam. Sein Kampfanzug musste mit all dem Wasser mehrere Kilo schwer sein. Mit Auswringen versuchte er das Wasser loszubekommen und hinterließ dadurch eine schlammige Pfütze unter seinen Füßen. "Yumiko, bringst du mir bitte den Verband?" Kurz überprüfte ich, ob sie mich gehört hatte. Als sie winkte drehte ich mich zum klatschnassen Mann vor mir. "Wie geht es Ihren Augen?", fragte ich bissig. "Oh, sie brennen nur noch ein bisschen. Die Sonne ist noch nicht allzu hell. Es sollte für ein paar Stunden ohne Verband gehen." Noch immer versuchte er seine Klamotten von Wasser zu befreien. Yumiko kam mit dem Verband angerannt, wollte aber schon wieder gehen, als sie hörte, was er gesagt hatte. Ich hielt sie zurück. "Das ist keine gute Idee. Sie sollten den Verband jetzt schon tragen." "Aber ich-" "Yumiko, hilfst du mir bitte." Ich ignorierte seinen Protest und verband ihm die Augen. Immer wieder redete ich ihm ein, dass es besser für seine Augen sei, bis er schließlich die Behandlung akzeptierte. Als wir fertig waren überprüfte ich sein Sehfertigkeit und war zufrieden, da er sich keinen Zentimeter rührte, als ich ausholte, um ihn zum Schein zu schlagen. Ich nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Lager. Er würde Hunger haben, sagte ich zu ihm. Diesmal nahm er das Essensangebot an und frühstückte einen der Riegel. Yumiko beobachtete mich schon die ganze Zeit. "Wieso hast du ihm die Augen verbunden?", flüsterte sie mir zu. Zur Antwort zog ich meine Hose aus, warf sie auf meine Matratze und öffnete meinen Zopf. Meine Brille legte ich vorsichtig auf meine Hose. Zuletzt drückte ich ihr Habitak in die Hand. Kurz grinste ich sie an und rannte dann los. Mit einem Satz war ich im Wasser. Das Gefühl endlich im Wasser zu sein war herrlich. Ich durchfuhr meine Haare mit der Hand, um den Dreck herauszubekommen. Da sah ich wie Yumiko mit Habitak völlig perplex am Ufer stand und kaum ein Wort herausbrachte. "Was?", rief ich ihr zu. "Leif ist nicht der Einzige, der das kann. Hast du Shampoo?" Ich musste gegen die Strömung schwimmen, um nicht abzudriften. Aber glücklicherweise war sie nicht allzu stark. Ich sah, wie Yumiko kurz verschwand, nur um tatsächlich mit einer Tube in der Hand zurück zu kehren. Sie warf sie mir zu, jedoch zu kurz, weshalb ich hinschwimmen musste, um sie zu holen. Ich fühlte mich wie Gott, als ich endlich Seife in der Hand hatte. Mit geschlossenen Augen begann ich meine Haare zu waschen. Plötzlich hörte ich es platschen und Wellen schlugen mir ins Gesicht. Ein wenig ging mir auch in den Mund, woran ich mich auch gleich verschluckte. Kurz orientierungslos schaute ich mich um und entdeckte meine Reisegefährtin, die gerade aufgetaucht kam. Sie strahlte mich an. "Was? Glaubst du, du bist die Einzige, die das kann?" Touché, meine Liebe.   Wir wechselten uns mit der Seife ab und kletterten schließlich erfrischt aus dem Fluss. Ich zog mir das Shirt aus und wrang es vor mir aus. Es würde völlig zerknittert sein, aber wenigstens war es jetzt sauber. Blöderweise hatte ich unterschätzt, wie kalt es morgens war. So stand ich nun zusammen mit Yumiko bibbernd im Wind. Aber wir beide lächelten uns trotzdem an. Ein paar Minuten gönnten wir uns noch in der Sonne und gingen schließlich zurück zu Leif, der bereits wartete. Schnell zog ich mir das nasse Shirt wieder über. Zwar konnte er nichts sehen, aber dennoch fühlte ich mich wohler, wenn ich etwas an hatte. Falls er wusste, was wir getan hatten, erwähnte er es nicht. Unter Habitaks ständigem Gepiepe zog ich mir die Hose an und flocht meine tropfenden Haare zu einem Zopf. Unser Lager war schnell eingepackt und wir machten uns an unsere heutige Etappe. Laut Yumiko würden wir heute die Stadt erreichen. Ich hoffte inständig, dass sie Recht behalten würde. Während der ersten Zeit sah unsere Umgebung nicht anders aus, als noch am Tag zuvor. Wasser, Baum, Fluss, Busch, wieder Baum... Es war fürchterlich eintönig. Wo waren die Trainer, wo waren die Pokemon? Ich seufzte schwer, was mir einen schiefen Blick von Yumiko ein brachte. "Was ist los?" "Nichts. Mir ist nur langweilig. Wo sind die ganzen Trainer?", jammerte ich und fühlte mich wie eine Fünfjährige, die um Eis bettelte.  "Wie gesagt. Es will kaum einer das Risiko eingehen, dass seine Pokemon erkranken. Normalerweise wimmelt es hier nur so von Menschen." Niedergeschlagen ließ ich den Kopf hängen. "Es wäre mir eine Freude, noch einmal gegen dich anzutreten", bot Leif Yumiko neben ihm an. Die wedelte jedoch schnell mit den Händen. "Oh, nein danke. Der letzte Kampf war bereits sehr knapp und mein Dragonir ist Ihnen momentan ein zweites Mal nicht gewachsen." Da hatte sie Recht. Ihr einziges Pokemon, das sie gegen Leif einsetzten konnte, war Dragonir. Glumanda war noch zu klein und Rabauz dürfte seinen Nachentwicklungen noch nicht gewachsen sein. Sniebel stand außer Frage, das war Typtechnisch extrem im Nachteil. Kein Wunder, dass sie es vor ein paar Tagen nicht hatte einsetzen wollen. Das arme Sniebel hätte ordentlich einstecken müssen. "Und was ist mit dir?", fragte er mich. Ich war völlig perplex, dass er überhaupt in Erwägung gezogen hatte, mich zu fragen. So konnte ich mir einen verzweifelten Aufschrei nicht verkneifen. "Ich?! Wie denn? Alles was ich habe ist ein geschwächtes Habitak und ein launisches Psiana." Trotzig zeigte ich auf Psiana, die sobald ich ihren Namen nannte schneller lief, um von ums weg zu kommen. "Streichen Sie das Psiana", murmelte ich niedergeschlagen. War es immer noch sauer, wegen den paar Wassertropfen? "Du solltest dir ein paar Pokemon zu legen." No. Shit. Sherlock. "Ja, das sollte ich wohl", erwiderte ich gespielt freundlich. Im Ernst, was glaubt er denn, was ich versuche. Aber erstens, weigerte ich mich ein Zubat zu fangen - die sind der Herpes in jeder Höhle - und zweitens war es nicht so, als hätte ich hier Auswahl. Wir trafen kein einziges Pokemon, bis auf Habitak. Und bei dem wusste ich noch immer nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. "Er hat Recht", mischte sich Yumiko ein. "Es ist nicht mehr weit bis Mahagonia City. Wir hätten also Zeit, dir ein Pokemon zu fangen." Uhhh, jetzt habt ihr meine Aufmerksamkeit. "Pass auf. Das nächste Pokemon, das wir treffen, versuchst du einzufangen. Ist das Okay?", bot sie mir an. Nun, prinzipielle hatte ich nichts dagegen. Nur wenn das nächste Pokemon ein Raupy war, hatte ich eine ganz schöne Niete gezogen. Gab es auf dieser Route überhaupt Raupy? Über die möglichen Arten an Pokemon, die man hier treffen konnte, hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Es müsste Rattfratz geben, wenn ich davon ausging, dass das lila Ding ein solches war. Aber was gab es noch? Innerlich rief ich mir die Karte ins Gedächtnis. Ich wusste, dass ich diesen Streckenabschnitt zwischen Teak City und Mahagonia City sehr oft gefahren war, um ein bestimmtes Pokemon zu bekommen. Nur wollte mir einfach nicht einfallen, welches das war. "-tilamm wäre natürlich auch nicht schlecht." Yumiko hatte irgendetwas erzählt, während ich in Gedanken versunken war. Aber ein Name hatte meine Aufmerksamkeit geweckt. "Entschuldigung, kannst du das noch einmal sagen?", bat ich sie. "Ich sagte, Menki sind sehr häufig, aber schwer zu finden, da sie sich in den Bäumen verstecken. Ein Voltilamm wäre nicht schlecht." Natürlich! Hier gab es Elemäh! In Johto war Voltilamm - später natürlich Ampharos - mein standardmäßiges Elektro-Pokemon gewesen. Das wäre sicherlich ein guter Anfang. "Wenn wir ein Voltilamm finden würden, dann wäre ich schon zufrieden", gab ich strahlend zurück.   Damit hatte ich zumindest etwas zu tun, während wir weiter Richtung Mahagonia marschierten: ich hielt Ausschau nach dem Elektro-Schaf. Jeder Busch wurde genauestens untersucht, ob sich nicht vielleicht doch ein Voltilamm darin versteckte. Auch die einzelnen Ufer behielt ich im Blick in der Hoffnung, eins beim Trinken zu erwischen. So vergingen die Stunden und als es Mittag war, hatten wir noch immer kein Pokemon gesehen. Weder ein Voltilamm, noch ein Menki oder meinetwegen auch ein Rattfratz. Im Landschaftsbild dominierten nun wieder Seen und wir mussten die ein oder andere Brücke überqueren. Bis wir schließlich an einer der Brücken etwas fanden. In dem Moment wusste ich nicht, ob ich mich freuen, oder weinen sollte. Wir hatten etwas gefunden, aber fangen konnte ich es schlecht. Vor uns am Weg saß unverkennbar ein Angler und hatte seine Route ins Wasser gehängt. Es war schön endlich ein anderes Gesicht zu sehen, aber um ehrlich zu sein, wäre mir das Schaf lieber gewesen. Nichtsdestotrotz grüßte ich ihn gemeinsam mit den anderen. Wir verlangsamten unseren Schritt und blieben vor dem Mann stehen. Er sah aus wie ein typischer Angler, mit beiger Weste, langer Hose und dem seltsamen Hut auf dem Kopf. Allerdings war er relativ jung, ich schätzte um die dreißig. Neugierig wurden wir von ihm gemustert, was vermutlich hauptsächlich an Leifs Erscheinung lag. Sein Augenverband wirkte auf den ersten Blick befremdlich. Doch der Mann war höflich genug, uns nicht gleich darauf anzusprechen und begnügte sich mit Smalltalk. Er erzählte uns, dass wir die Ersten wären, die er seit einer Woche getroffen hatte. Sein Haus würde nicht weit weg von hier stehen und er kam jeden Tag her, um zu angeln. Yumiko übernahm das Reden. Ich fand das Gespräch einfach nur langweilig und war froh, mich nicht mit ihm beschäftigen zu müssen. Stattdessen nutzte ich die Gelegenheit um einen Schluck zu trinken. Auch Psiana trottete davon, um sich am See zu erfrischen. "Wo wollt ihr eigentlich hin?", fragte er. Innerlich stöhnte ich auf. Wo sollten wir schon hin wollen. Dies war die Straße nach Mahagonia City. Mir lag bereits eine schnippische Bemerkung auf der Zunge, als ich es gerade noch schaffte, sie herunterzuschlucken. Es lohnt sich nicht. Du siehst ihn nie wieder. "Oh, wie schön. Ich war letzten Monat erst in Mahagonia City und habe-". Oh mein Gott, wen interessiert's. Wie Yumiko so ruhig und freundlich bleiben konnte, war mir ein Rätsel. Wenigstens sah ich mit Genugtuung, dass Leif neben mir ebenfalls ungeduldig mit den Fingern auf seine Arme trommelte. "Wirklich interessant. Aber ich denke, wir sollten Sie nicht weiter stören", schritt ich nun ein. Ich hatte die süßeste Stimmlage gewählt, die mir zur Verfügung stand. Der Angler drehte sich zu mir und ich sah, wie sein Grinsen regelrecht aus seinem Gesicht fiel. Der Mann hatte deutlich redebedarf. "Oh, nein. Ihr stört nicht." "Dennoch müssen wir weiter." Im Gegensatz zu mir hatte Leif ganz und gar nicht süß geklungen. Es war deutlich hörbar gewesen, dass er hier weg wollte und was er von dem redseligen Mann hielt. Yumiko warf dem Angler ein Lächeln zu, womit sie sich wohl für ihre Reisegefährten entschuldigen wollte. Ich machte den ersten Schritt in der Hoffnung damit die anderen mitziehen zu können. "Ehm, wenn ihr wollt, könnt ihr euch ein wenig südlich halten", warf der Angler ein als er sah, dass wir Anstalten gemacht hatten zu gehen. "Es ist Karpadorhochzeit und weiter südlich ist ihr Brutplatz." Mein Herz begann zu rasen. "Danke, wir werden daran denken", verabschiedete sich Yumiko diplomatisch. Und damit entfernten wir uns nun endgültig von dem winkenden Mann. Wir brachten ein paar Meter hinter uns, um außerhalb seiner Hörweite zu kommen. "Der arme Mann sitzt da schon seit Tagen und hat keine Menschenseele getroffen. Wir hätten auch noch ein wenig mit ihm plaudern können", beschwerte sich Yumiko. Mir war momentan etwas anderes viel wichtiger als darüber nachzudenken, ob wir den Angler vielleicht beleidigt hatten. "Ich will nach Süden", verkündete ich mit fester Stimme. Beide schossen mit dem Kopf herum und starrten mich an. Im Falle Leifs tat er das durch die Bandagen hinweg. "Was willst du da?", fragte Yumiko skeptisch. "Ich will ein Karpador." Beinahe sofort brach das jüngere Mädchen in Gelächter aus. Leif hingegen, blieb stumm. "Was? Wieso ausgerechnet ein Karpador?!" Natürlich war für sie meine Entscheidung schlecht nachzuvollziehen. Ein Karpador gehörte zu den nutzlosesten Pokemon schlechthin. Aber trotzdem... ich wollte ein Karpador. "Wir haben gesagt, das nächste Pokemon, das uns begegnet, soll ich versuchen zu fangen. Wir sind keinem anderen begegnet." "Dann suchen wir dir morgen eins. Aber doch kein Karpador!" "Ich denke, das ist eine gute Idee", mischte sich Leif ein, was ihm ein Lächeln meinerseits bescherte. "Beim Training eines Karpadors muss man viel Fingerspitzengefühl zeigen. Ich denke in ihrer Position ist so ein Karpador nicht schlecht." Nicht ganz, was ich im Hinterkopf hatte, aber trotzdem dankte ich ihm für seine Unterstützung. Die Wahrheit war, dass ich Karpador derart zum Lachen fand, dass ich mir aus Spaß IMMER ein Karpador gefangen habe und das bis auf das Maximallevel trainiert hatte. So ein Karpador hatte einen gewissen Nostalgiewert für mich, weshalb ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte. Zumindest sehen wollte ich eins.   Nachdem Leif ein ziemlich gutes Argument geliefert hatte, konnte Yumiko nichts mehr gegen meine Entscheidung sagen, weshalb wir den Weg in Richtung Süden korrigierten. Ich hätte sie auch nur ungern auf ihren Alleingang in der Höhle angesprochen. Damit war sie mir sowieso etwas schuldig. Bereits von weitem konnte man ein lautes Geplätscher mit seltsamem Gemurmel hören, worum es sich wohl um die Laute der Karpador handelte. Habitak wurde unruhiger, je näher wir dem Lärm kamen, sodass ich es vorsichtshalber mit den Händen fixierte, anstatt es auf meiner Schulter sitzen zu lassen. Wenige Schritte später standen wir vor einem nicht mehr ganz so ruhigem See. Er war riesig und dehnte sich in alle Richtungen aus. Eine Brücke hinüber gab es keine. Dafür war der See zu groß. Das Wasser wurde ständig durch sich bewegende Pokemon aufgewühlt und es herrschte ein konstanter Lärmpegel. Ab und zu sah ich bereits eine rote Schwanzflosse aus dem Wasser kommen. Nun war ich völlig aufgeregt und spürte das Adrenalin durch meine Adern fließen. Dies war der Ort, an dem ich mein erstes Pokemon fangen würde. Jäh verschwand das Grinsen aus meinem Gesicht. Doch Yumiko war es, die meinen plötzlichen Gedanken aussprach. "Und wie bekommst du so ein Karpador jetzt aus dem Wasser?" Unschlüssig sah ich mich um. Hier gab es nichts! Was hatte ich auch erwartet. Dass jemand hier Angeln aufstellte zum öffentlichen Gebrauch? Wohl eher nicht. Hoffnungsvoll drehte ich mich zu Yumiko. Ich konnte keine Rehaugen machen, aber ich dachte mir, dass ich in diesem Moment sehr nahe damit dran war. "Schau mich nicht an. Ich habe keine Angel", erwiderte sie, die Hände abwehrend nach oben haltend. Leif hatte noch nicht einmal Proviant, geschweige denn Gepäck dabei. Also konnte ich ihn vergessen. Er entfernte sich sowieso bereits zusammen mit Psiana von dem Geschehen und suchte sich ein Plätzchen unter einem Baum. Hinter mir plätscherten die Karpador vor sich hin, als würden sie sich über mich lustig machen. Wie ich hier stand so kurz vor dem Ziel und doch unendlich weit davon entfernt. Ich brauchte nur etwas, womit ich sie ködern könnte. Vielleicht ließ sich der Verband modifizieren, aber nein, er würde reißen. Ich benötigte etwas stärkeres, wie ein Seil, aber das hatte sie bekanntlich nicht dabei. "Das ist es!", rief ich. Als ich gerade über das Seil nachdachte, fiel mir ein, was wir das letzte Mal als Lösung für unser Seilproblem genommen hatten. Yumiko schaute mich gespannt an. "Yumi, dürfte ich mir dein Dragonir ausleihen", fragte ich buttersüß. Ich erntete jedoch nur einen schiefen Blick ihrerseits. "Was hast du vor?", fragte sie mehr als skeptisch. Ich druckste ein wenig herum, bevor ich antwortete. "Ich dachte mir, vielleicht wäre es möglich Dragonir als Hilfe zu nehmen. So wie wir es in der Höhle getan hatten. Als lebendes Seil. Verstehst du?" Sie verstand und war nicht gerade begeistert. "Du willst mein Dragonir als Angel verwenden?!" Nein, sie war gar nicht begeistert. "Auf gar keinen Fall!" Ich faltete die Hände in einer bittenden Geste. "Was soll ich denn sonst machen. Wir haben nichts anderes und ich möchte wirklich, wirklich gerne ein Karpador. Ich koch auch für dich." Das schien tatsächlich ihr Interesse zu wecken. "Du kannst kochen?", fragte sie skeptisch. Wenn sie gewusst hätte, was ich alles schon gekocht hatte, würde ihr das Wasser im Mund zusammen laufen. Sie würde nie wieder diese Instant-Nudeln auch nur mit dem kleinen Finger anfassen. "Oh ja, das kann ich. Pass auf, du gibst mir dein Dragonir für zehn Minuten. Wenn ich dann nichts gefangen habe", - im wahrsten Sinne des Wortes - "können wir weiter gehen. So oder so werde ich mich um das Essen kümmern. Sagen wir die nächsten fünf Tage. Wenn du zufrieden bist, mache ich das auch gerne weiter." Natürlich schlug ich ihr das nicht ohne Hintergedanken vor. Ich hatte sowieso vor, mich von nun an ums Essen zu kümmern und hatte definitiv vor, auch nach den angebotenen fünf Tagen das Essen zu organisieren. Diese Instant-Nudeln und Fertigriegel würde ich ihr schnell ausgetrieben haben. Wenn sie aber glaubte, ich machte das für sie als Gegenleistung, sprang sie vielleicht eher auf mein Angebot an. Das war einfache Manipulation. Trage deine Farben mit Stolz, Mimi. Trage sie mit Stolz! "In Ordnung." Ich wusste es. "Aber nur zehn Minuten. Danach gehen wir." Der See war zum Bersten gefüllt mit Fischen. Wenn die nur ansatzweise so waren wie meine Goldfische, schluckten die alles, bevor man "Karpador" aussprach. Sie holte einen Pokeball hervor und rief Dragonir heraus. Sofort ertönte das vertraute Plop, das beinahe im Lärm der Karpador unterging. Ich liebte es das Pokemon zu bestaunen. Das Licht der Sonne spiegelte sich ihren Kugeln wieder und ließ ihre Schuppen in verschiedenen Blautönen schimmern. Mir kam es jetzt fast schon frevlerisch vor, dieses schöne Geschöpf als Angel zu missbrauchen. Ich versprach dem Pokemon stumm, dass ich es auch ihr gegenüber wieder gut machen würde. Auch Pokemon freuten sich über richtiges Essen. Yumiko erklärte ihrem Pokemon kurz, was ich vor hatte. Erstaunlicherweise schwebte es beinahe unverzüglich ein paar Meter hinaus auf den See und blieb schließlich dicht über der Oberfläche stehen. Es hängte ihren Schwanz mit den Kugeln einige Zentimeter ins Wasser und versuchte, sich so still wie möglich zu verhalten. Yumiko stand mit verschränkten Armen neben mir und wartete ruhig, ob sich etwas tat. Ich hingegen begann an meinen Fingern zu nagen. Eine alte, schlechte Gewohnheit von mir die sich nur dann zeigte, wenn ich nervös wurde. Zu Schulzeiten hatte ich deutlich häufiger genagt, als ich es heutzutage tat, sehr zum Wohlergehen meiner Nägel. Aber ganz los würde ich es wohl nie werden.   Ich ließ Dragonir keine Sekunde aus den Augen, wie es mit einer Engelsgeduld über dem Wasser schwebte. Ich würde es dem Pokemon tausendfach zurück zahlen und selbst dann würde ich meinen Dank nicht richtig zum Ausdruck gebracht haben. Was ich emotional gerade durchmachte, war einfach nicht zu beschreiben. Ich war möglicherweise nur Minuten entfernt von meinem ersten echten eigenem Pokemon. Und Dragonir alleine machte es möglich. Nein, ich konnte niemals in Worte fassen, wie dankbar ich dem Drachen-Pokemon war. Plötzlich ging alles ganz schnell. Mit einem kräftigen Ruck schoss Dragonir in die Höhe und zog etwas Rotes mit sich. Sie wirbelte in der Luft und schleuderte ihren Schwanz um die eigene Achse. Die Schubkraft ließ das Karpador vom Schwanz rutschen und schleuderte es im hohen Bogen ans Ufer, wo es nun buchstäblich wie ein Fisch auf dem Trockenen herum hüpfte. Völlig fasziniert starrte ich es kurze Zeit an, brach jedoch dann in Jubel aus. "Es hat funktioniert!! Danke!", rief ich und umarmte Yumiko mehr als stürmisch. Die fühlte sich davon wohl zunächst ein wenig überrumpelt, erwiderte die Geste aber schließlich. Dragonir kam zu uns und begutachtete ihr Werk; den hüpfenden Fisch an Land. Sofort sprang ich zu dem Pokemon und streichelte es über die schuppige Schnauze. Immer wieder flüsterte ich, wie dankbar ich war, was Dragonir mit einem hellen Schrei entgegen nahm. Daraufhin wendete ich mich dem japsendem Karpador zu. Ironischerweise war dieses Exemplar tatsächlich kleiner, als ich es erwartet hatte. Ich hatte oft an den Angelwettbewerben für Karpador teilgenommen. Daher wusste ich, wie riesig die werden konnten. Das Karpador vor mir war etwa 30 Zentimeter lang und damit weit unter der Maximalgröße. Vermutlich war es noch jung. Perfekt. Unschlüssig starrte ich auf meine beiden Pokebälle an meiner Tasche. Der Superball erschien mir an dem Karpador schon fast verschwendet. Zittrig nahm ich daher den grünen Freundesball aus der Halterung und ließ ihn mit einem Druck des Fingers heranwachsen. Ich umkreiste das hilflose Karpador, wagte es aber nicht den Ball zu werfen. Ich hatte nur diese beiden und wenn ich es nicht vorher schwächte, verringerten sich meine Chancen das Pokemon beim ersten Versuch zu fangen. Flehend starrte ich daher Yumiko an, die sofort resigniert schnaufte. "Mizu, benutzt du bitte Slam? Aber sei vorsichtig, attackier es nicht zu stark. Wir wollen ja schließlich das wertvolle Karpador nicht verletzten." Letzteres hatte sie grinsend an mich gerichtet. Ich hob die Augenbrauen und zuckte abwehrend die Schultern. Soll sie spotten, soviel sie will. Derweil war Dragonir zurück zu Karpador geflogen und schwebte nun direkt über ihm. Ähnlich wie während des Kampfes gegen Leif drehte es sich vertikal um die eigene Achse, um Schwung aufzunehmen und schlug schließlich mit dem Schwanz zu. Es hätte deutlich stärker zu schlagen können, wenn es gewollt hätte. Trotzdem ließ Karpador für einen Fisch unnatürlichen Jauler hören und verringerte seine Platscher auf ein Minimum. Das treffsichere Werfen traute ich mir noch nicht zu, weshalb ich mich direkt an Karpador stellte und den Ball ein paar Zentimeter über seinem Körper einfach fallen ließ. Beinahe sofort sprang er ratternd auf und saugte das Karpador in einem grellen Strahl ein. Kaum war das Karpador vor mir verschwunden ging ich in die Hocke, um den wackelnden Ball gespannt zu beobachten. Seine Bewegungen lösten bei mir einen antrainierten Trieb aus und das Verlangen, die B-Taste zu drücken. Ohne sie  war ich gezwungen meine Hand in freudiger Erwartung zur Faust zu drücken. Die Sekunden vergingen quälend langsam, doch mit einem hellen Ton blieb der Ball plötzlich bewegungslos liegen. Der Moment, wenn man ein Pokemon erfolgreich gefangen hatte, war schon immer euphorisch gewesen. Aber das Gefühl, das ich in diesem Moment in meinem Bauch ausbreitete übertraf alles. Sofort ergriff ich den Ball und sprang in die Höhe. Wie einen Pokal hob ich ihn über meinen Kopf und tanzte jubelnd umher. Dragonir ließ sich sogar mitreisen und flog um mich herum, bis Yumiko zu mir kam. "Glückwunsch zu deinem Pokemon", sagte sie freundlich. Ich bekam keine Worte heraus und nickte nur stürmisch, während ich noch immer hibbelnd auf der Stelle hüpfte. Auch Leif hatte sein Plätzchen unterm Baum verlassen und kam zu uns, um mir zu gratulieren.  "Beeindruckend und einfallsreich. Mögen du und Karpador ein gutes Team werden." Um seine Worte zu bekräftigen legte er seine schwere Hand auf meine Schulter was zur Folge hatte, dass ich mit dem Hüpfen aufhörte. Freudig betrachtete ich den Ball und warf ihn testend in die Höhe. Er wog ein wenig mehr, als noch zuvor im leeren Zustand. Ein sicherer Beweis dafür, dass im Ball tatsächlich etwas war. Mit einem Schwenker warf ich ihn Richtung Boden und wie erwartet öffnete er sich und gab das Karpador frei. Voller Stolz sah ich zu, wie es auf dem Boden robbte. "Du kannst ihm einen Namen geben, wenn du magst", hörte ich Yumiko sagen. Wollte ich ihm einen Spitznamen geben? Mein erstes Karpador hieß Jormungand, aber das erschien mir hier doch etwas überzogen. Später hatte ich kaum einem Pokemon einen Spitznamen zugeteilt. Die falschen Namen irritierten meistens und in Zeiten, in denen das kleine Figürchen neben dem Namen nicht erkennen ließ, um welches Pokemon es sich handelte, konnte ein Spitzname fatale Folgen haben. Aber hier in diesem Moment wollte ich dem Karpador eine persönliche Note geben. Ein Name musste also her. Ok, das ist ein Fisch. Guppi, nein zu harmlos. Karpa, nein klingt wie Kappa. Wieso hat das alles zwei p? Ich will kein p im Namen. Mein Blick fiel auf Psiana, das sich dem Karpador neugierig näherte. "Sie wird das jetzt aber nicht versuchen zu essen, oder?", fragte ich Yumiko mit Ironie in der Stimme. Die lächelte nur und schüttelte den Kopf. "Nein, an Karpador ist kaum Fleisch dran. Zuviel Panzer." Bei ihren Worten drehte sich mir der Magen um. Soll das heißen, Psiana würde wenn sie könnte?  Das Wort "Essen" schoss mir durch den Kopf. Für Psiana ist Karpador lebendes Sushi. Sashimi....das gefällt mir. "Sashimi, dein Name ist Sashimi", sagte ich zu dem Karpador, kniete mich nieder und fuhr ihm über die Schuppen. Seine Haut war nass und kalt, gab aber unter meiner Berührung nicht nach. Seine riesigen, einzeln gut erkennbaren Schuppen waren hart wie Stein. Testweise griff ich ihm vorsichtig vorne an den gold-glänzenden Schnurrbart, der sich wie eine Gummischlange anfühlte. Die Berührung schien es zu kitzeln, da ein zitternder Ruck durch das Pokemon ging. Nein, nicht das Pokemon. Mein Pokemon! Kurz ließ ich meine Hand auf Sashimi liegen und strahlte es an. Wir werden eine Menge Spaß haben. "Sashimi, ist das nicht etwas zum Essen?", spottete Yumiko. Sollte sie nur lachen. "Apropos Essen. Verabschiede dich schon mal von deinen Fertigprodukten. Ab jetzt kümmere ich mich ums Essen", sagte ich während ich mein Pokemon zurück rief. "Du freust dich ja richtig darauf kochen zu dürfen. " Yumiko war allein die Vorstellung Essen zu kochen zuwider, weshalb sie die Nase rümpfte. Zur Antwort zuckte ich mit den Schultern. Hat ja niemand behauptet, dass ich nicht gerne kochen würde. "Wir sind hier fertig", warf ich ein. "Gehen wir!" Nach kurzem Erfrischen begannen wir den Weg zurück zu laufen, den wir gekommen waren. Ständig glitt meine Hand zu dem nun gefüllten Pokeball. Ich achtete nicht mehr auf andere Pokemon, jetzt da ich selbst eins hatte. Nach einiger Zeit erreichten wir wieder die Hauptstraße und setzten unseren Weg auf ihr weiter Richtung Osten fort. Die Sonne wanderte unterdessen immer weiter und ich fragte, wann wir Mahagonia City endlich erreichten. Dabei fühlte ich mich wie eines dieser quengelnden Kinder. Wann sind wir endlich da? Yumiko vertröstete mich und versprach, dass sie bald zu sehen sein würde. Schweigend ging ich also weiter. Nervös beobachtete ich die Sonne, die mittlerweile beinahe verschwunden war. Doch in der Dämmerung erwartete uns schon von weitem ein wunderschöner Anblick: die Lichter Mahagonia Citys. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)