Der Untergang der Familie Crouch von SweeneyLestrange ================================================================================ Kapitel 2: Verzweifelt ---------------------- Erlösende Schwärze hatte ihre Sinne vernebelt und sie tief in die Weiten der Bewusstlosigkeit gezogen. Mrs Crouch sah nicht mehr, wie der neunzehnjährige Junge verurteilt wurde. Sie hörte nicht, wie seine verzweifelten Unschuldsbeteuerungen Resignation und schließlich der eisigen Gleichgültigkeit der Dementoren wichen. Ohnmächtig war sie auf ihrem Platz zusammengebrochen, unfähig das Elend noch länger anzusehen. Irgendwann drang aufgeregtes Stimmengewirr an ihre Ohren. Erst dumpf, dann immer, immer lauter. Die Stimmen waren so laut, überspülten ihre Sinne, rissen sie gewaltsam in die Realität. Sie hörte ihren Namen. Irgendjemand hatte eine Hand stützend gegen ihren Rücken gelegt. Mrs Crouch blinzelte. Das Schwarz wich Farben und Licht. Die verschwommenen Umrisse wurden scharf. Dann wurde ihr wieder bewusst, wo sie sich befand. Ruckartig fuhr sie hoch und starrte auf den leeren Platz. „Barty!“, brach es aus ihr heraus, gefolgt von einem erstickten Schluchzen. Zutiefst erschüttert presste sie sich die Hand mit dem tränenfeuchten Taschentuch vors Gesicht, als die unerwünschten Erinnerungen in ihr aufkamen. Ein weiteres Schluchzen schüttelte ihren Körper. „Mein kleiner Junge“, weinte sie. Jemand griff nach ihrem Arm und forderte sie sanft aber bestimmt dazu auf aufzustehen. Eine andere Hand strich ihr das blonde Haar aus dem Gesicht, das sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. „Beruhige dich, Liebling“, sagte ihr Mann. Verständnislos sah sie in das Antlitz des Zauberers, den sie geglaubt hatte, so gut zu kennen. Beruhigen? Wie sollte sie sich beruhigen, wenn sie wusste, dass ihr kleiner Barty in diesem Augenblick nach Askaban gebracht wurde? „Schschschhhh“, machte Crouch und legte seinen Arm um ihre Schulter, während er sie durch die Sitzreihen führte. Um sie herum drängte sich eine neugierige Menge. Grelle Lichtblitze flammten auf, Stimmen verlangten sensationslüstern nach einem Kommentar und vermengten sich zu einem hektischen Durcheinander. Wie benommen wandelte Mrs Crouch durch die Masse aus Reportern. „Wussten Sie, dass Ihr Sohn ein Todesser ist?“ „Finden Sie die Strafe gerecht?“ „Was sagen Sie, Mrs Crouch?“ „Mr Crouch, wie konnte es passieren, dass Ihr Sohn…?“ „… einen Kommentar zu…“ „Bitte, Mr Crouch, erzählen Sie uns…“ Eine Tür schlug mit einem lauten Knall hinter ihnen zu. Das Stimmengewirr wurde gedämpft und verlor sich schließlich. Zischend holte Mr Crouch Luft. Dann führte er seine Frau an einen Tisch. „Setz dich“, sagte er und beobachtete, wie sie vorsichtig seiner Aufforderung Folge leistete. Stumme Tränen rannen ihre Wangen hinab. Seinen Blick mied sie. „Kannst du hier ein paar Minuten auf mich warten?“, fragte er. „Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Danach bin ich für dich da. Einverstanden?“ Mrs Crouch schwieg. Leise Schluchzer entwichen ihr, während vereinzelte Tränen auf ihre feine Robe tropften. „Ich komme gleich wieder, warte hier auf mich“, sagte Mr Crouch von Neuem, wobei er bereits ein paar Schritte zurück zur Tür gesetzt hatte. Ein letztes Mal sah er zu seiner Frau, dann war er durch die Tür in die wissbegierige Meute hinein verschwunden. Mrs Crouch brach in hemmungsloses Schluchzen aus. Stunden vergingen, ehe sich ihr Mann wieder blicken ließ. Das ordentlich zur Seite gekämmte Haar hing ihm mittlerweile in die Stirn und das verbitterte Gesicht war von Wut und Erschöpfung gezeichnet. Seine Frau hatte sich keinen Millimeter bewegt. Steif saß sie da und starrte mit leerem Blick auf die dunkel geflieste Wand. Die Tränen waren getrocknet, doch die Trauer hatte sich tief in ihre Züge genistet. „Die haben mich doch allen Ernstes verdächtigt, mit diesem Abschaum von einem Sohn unter einer Decke zu stecken!“, polterte er los. Mrs Crouch zuckte bei seinen harschen Worten zusammen. „Glauben, ich hätte mein Amt missbrauchen wollen, um ihn zu schützen.“ Er lachte ein raues freudloses Lachen. „Als ob ich für so etwas meine Position aufs Spiel setzen würde, als ob ich auf diesen absurden Gedanken kommen würde! Nicht nachdem ich so viele Jahre harter Arbeit gegen dieses Pack von Todessern gekämpft habe.“ Frustriert ließ er sich neben seine Frau sinken. „Verräter“, brummte er. Mrs Crouch höre ihm nicht zu. Schweigend ließ sie sich in ihren Gedanken treiben und ergriff schließlich die Gelegenheit zu sagen: „Ich möchte hier raus.“ Ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Abscheu und tiefer Trauer. Mr Crouch hielt inne. Es war, als würde er seine Frau das erste Mal bewusst wahrnehmen und er spürte einen Stich, den ihm ihr gebrochener Anblick versetzte. Und Wut. Wut auf diesen elenden Jungen, der sich sein Sohn geschimpft hatte. Er wollte einen Arm um sie legen, wie er es so oft getan hatte, wenn es ihr nicht gut gegangen war, doch dieses Mal wich sie zurück. „Lass uns gehen“, sagte er knapp und stand auf. Mrs Crouch tat es ihrem Mann gleich. Mit zittrigen Gliedern erhob sie sich und wurde plötzlich vom Schwindel übermannt. Hastig stürzte Barty vor und schaffte es so gerade eben noch, ihren Fall zu verhindern. „Vorsicht“, rief er mit echter Sorge in der Stimme. „Es geht schon“, murmelte Mrs Crouch und wollte sich aus seinem Griff wenden, doch sie merkte, dass sie dafür zu schwach war. Ihr wurde schlecht. Eine andere Art von Übelkeit als die des Hungergefühls übermannte sie. Ein eiskalter Schauer lief ihren Rücken hinab, während eine böse Gewissheit sich auf leisen Sohlen anschlich und sich in ihre Gedanken nistete. „Danke“, sagte sie abweisend. Gemeinsam kehrten sie zu ihrem Haus zurück. Die Leere, die die Flure und Zimmer erfüllte, war erdrückender geworden, nun da Barty endgültig nach Askaban geschickt worden war. Mit einem geschwächten Seufzer ließ sich Mrs Crouch auf das bequeme Sofa fallen und nahm dankbar das Glas Wasser entgegen, das Winky ihr beflissen brachte. Nervös spielte die kleine Hauselfe am Saum ihres Handtuchs herum, bis sie es schließlich wagte zu ihrer Herrin aufzusehen. „Darf … darf Winky fragen, ob der junge Herr…“, setzte die Hauselfe zögernd an und wurde sogleich harsch von Mr Crouch unterbrochen: „Kümmere dich um deine Aufgaben. Den jungen Herrn gibt es nicht mehr.“ Winkys Augen weiteten sich erschrocken. „Sir, Winky bittet um Verzeihung, Winky wollte nichts Falsches sagen und wird sich dafür zur Strafe die Hände bügeln.“ Verächtlich sah Mr Crouch der Hauselfe hinterher, die mit eingezogenen Schultern von dannen lief. „Barty, das hättest du nicht tun sollen“, brachte Mrs Crouch hervor. Ihre Stimme klang missbilligend. „Aber…“ „Sie hat sich bloß um unseren Jungen Sorgen gemacht!“ „Unseren Jungen?“ Sofort war der heiße Zorn wieder in Mr Crouch empor geschlagen. „Wen nennst du hier unseren Jungen?“ „Barty…“, flüsterte sie und brach in hemmungsloses Schluchzen aus. Ihr Mann stieß einen frustrierten Seufzer hervor. Wenn er gekonnt hätte, hätte er nach irgendetwas geschlagen. „Dein Barty hat eins der grausamsten Verbrechen begangen, die uns in den letzten Monaten untergekommen sind.“ Doch Mrs Crouch wollte davon nichts hören. „Was wenn er dazu gezwungen worden ist?“ „Das kann er nicht.“ „Wie willst du das wissen? Wie kannst du das einfach so sagen? Du hast doch nicht einmal überprüft, ob er schuldig gewesen ist!“ „Er war mit diesem elenden Pack von Todessern an einem Ort. Er war da, als die Longbottoms gefoltert worden sind!“ Mrs Crouch schüttelte heftig den Kopf, wie um diese grausame Vorstellung einfach von sich zu werfen. „Ich muss wieder los“, sagte ihr Mann schließlich. „Es gibt noch viel Arbeit, die ich nicht einfach den anderen überlassen kann.“ Schweigend sah seine Frau ihn an. Nichts in ihrem Gesicht deutete daraufhin, dass sie ihn aufhalten wollen würde, ebenso wenig schien sie ihn ermutigen zu wollen. Es war ihr egal. In ihren Augen spiegelte sich seine tiefe Verachtung wider. Verachtung, die nicht ihrem Sohn sondern ihm selbst galt. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, machte Mr Crouch auf dem Absatz kehrt und ging wieder zurück ins Zaubereiministerium. „Erzähl mir von Barty.“ Mrs Crouchs Stimme klang schwach. Sie war kaum mehr als ein Flüstern und doch füllte sie die distanzierte Stille vollends aus. Schweigend sah Mr Crouch auf seine Frau, die sich unter einer dicken Wolldecke zusammengekauert hatte, den Rücken ihm zugekehrt. In seiner Hand hielt er eine Schüssel mit dampfender Suppe. „Er war fleißig“, sagte er mit einigem Widerwillen und versuchte an den kleinen Jungen zurückzudenken, der sein eigen Fleisch und Blut war. „Er mochte Quidditch.“ Er war ein elender Verräter. „Er hat dich sehr gern gehabt.“ Und war am Ende nicht besser als der Abschaum, mit dem er sich herumgetrieben hatte. Mr Crouch hielt inne. Vorsichtig beugte er sich vor und berührte seine Frau an der Schulter. „Du musst etwas essen“, drängte er. „Sonst wird es dir noch schlechter gehen.“ Er erhielt keine Antwort. Seit Wochen ging das nun so. Die Verurteilung von Bartemius Crouch Junior hatte eine Kluft zwischen sie getrieben, die sich mit jeder Geste weiter auftat. „Sei keine Närrin“, sagte er verärgert, wobei er die Suppenschüssel geräuschvoll abstellte. „Du kannst nicht ewig so weiter machen!“ Die Matratze wippte leicht, als das Gewicht Mr Crouchs von ihr verschwand. Eine Tür knallte ins Schloss und Mrs Crouch war wieder allein in dem abgedunkelten Schlafgemach. Sie hustete. Die Tränen, die ihr aus dem Augenwinkel liefen, bemerkte sie kaum. „Master Crouch, Winky ist gekommen, um zu sagen, dass die Herrin nach Ihnen gefragt hat.“ Schweigend löste Bartemius Crouch Senior den Blick von dem Kaminfeuer und sah auf seine Hauselfe. Er nickte knapp. Gleichgültig sah er Winky hinterher, dann richtete sich seine Aufmerksamkeit wieder auf die Akten, die er sich mit hinunter in das Kaminzimmer genommen hatte. Abteilungsleiter für Internationale magische Zusammenarbeit. Er hatte seinen Posten verloren. Nach dem Prozess, den er diesen verabscheuungswürdigen Todessern gewährt hatte, hatte man ihn für ungeeignet erklärt, seine Position als Leiter der Magischen Strafabteilung weiter auszuführen! Es war sein Verdienst, dass mehr als die Hälfte der Zellen Askabans mit den übelsten Schwarzmagiern gefüllt war. Er hatte die Gesellschaft zu einem etwas sicheren Ort gemacht. Und wie dankte man ihm? Übellaunig stand er auf und dachte an seine Frau, die dort oben in ihrem Ehebett lag und immer schwächer wurde. Plötzlich packte ihn Angst. Mit forschen Schritten stieg er die Treppen hinauf zu dem Zimmer, in dem sich Mrs Crouch befand. „Soll ich dir von Winky einen Stärkungstrank bringen lassen?“, fragte er, nachdem er sich auf die Bettkante gesetzt hatte. Es erschreckt ihn zu sehen, wie blass seine Frau war. Mit jedem weiteren Tag, der verstrich, schien sie ein bisschen mehr dahinzuschwinden. Mrs Crouch sah zu ihm auf. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. „Ich möchte nichts.“ Schweigend strich er ihr das Haar aus dem ausgemergelten Gesicht. „Wir können rausgehen und einen kleinen Spaziergang machen“, schlug er vor in der Hoffnung, dass der beginnende Sommer Wunder wirken könnte. Zierliche Finger griffen nach seiner kräftigen Hand. Auf den trockenen Lippen lag ein feines Lächeln. Wie sehr er dieses Lächeln vermisste! Barty Crouch beugte sich vor und gab seiner Frau einen sanften Kuss. Wärme brachte seine verbitterten Züge zum Erweichen, als er auf den einzigen Menschen sah, der ihm wirklich von Bedeutung war. „Weißt du noch, wie er gestrahlt hat, als er die Leprechauns der Kenmare Kestrels zum ersten Mal gesehen hat?“, sprach er unwillkürlich in die Stille hinein. Bevor er tatsächlich darüber nachdenken konnte, was er da sagte, hatten sich weitere Worte einen Weg hinaus gesucht: „Wie begeistert er von den wilden Tänzen und ihrem Gold gewesen ist? Er hat tagelang von nichts anderem mehr gesprochen. Ich glaube, die Idee, Quidditchspieler zu werden, habe ich nach diesem Spiel nie ganz aus seinem Kopf bekommen.“ Mr Crouch lachte leise, als er an den kleinen Jungen dachte, der bei der bloßen Erwähnung dieses Sports aufgeregt auf- und abhüpfte und voller Ernst verkündete, eines Tages ein großer Quidditchspieler zu werden. So etwas Lächerliches. Ein Schluchzen ließ ihn aufsehen. „Ich habe ihn nie bei etwas so sehr strahlen gesehen wie bei Quidditch“, sagte Mrs Crouch mit erstickter Stimme. Es stimmte. Sein Sohn hatte sich fast immer bedeckt gehalten, war ruhig gewesen und hatte zu Mr Crouchs großer Zufriedenheit sehr früh gewusst, wie man sich zu benehmen hatte. Ärger hatte es mit ihm nie gegeben. Große Gefühlsausbrüche auch nicht. „Einmal wollten Barty und ich uns mit dir in der Winkelgasse treffen. Aber du kamst und kamst nicht von der Arbeit, weil du wieder einmal viel zu viel gemacht hast. Barty war deswegen sehr traurig und dachte fast, dass du gar nicht mehr kommen würdest… Aber dann warst du auf einmal da und hast uns zu einem Eis eingeladen. Weißt du noch, wie sehr Barty an diesem Abend gestrahlt hat? Wie glücklich er gewesen war, etwas mit seinem Vater gemacht zu haben? “ Mr Crouch schwieg. Bettwäsche raschelte, als Mrs Crouch sich umständlich aufrichtete, um ihrem Mann in die Augen zu sehen. „Du erinnerst dich nicht.“ Er sagte nichts, doch das brauchte er nicht. Verbittert schüttelte sie den Kopf. „Manchmal habe ich das Gefühl, wir waren dir egal. Alles, was zählte, war deine verfluchte Arbeit.“ „Ich habe das für euch getan“, erwiderte Mr Crouch. Seine Stimme hatte an Schärfe gewonnen. „Ich wollte, dass Barty in einer sicheren Welt aufwächst. Einer Welt ohne fanatische Irre wie Voldemort und seine Anhänger. Ich wollte das Beste für euch.“ „Wolltest du das?“ Mrs Crouch sah ihn eindringlich an. Vergeblich suchte sie nach Antworten auf Fragen, die sie sich all die Jahre gestellt hatte und doch nie beantwortet haben wollte. „Ja.“ Seine Hand suchte ihre und drückte sie bestätigend. „Warum hast du ihm keine zweite Chance gegeben?“ „Weil ich das nicht konnte.“ „Natürlich konntest du das.“ Mr Crouchs Gesicht verfinsterte sich. „Er hatte nichts anderes verdient.“ Mrs Crouch zuckte wie von einer unsichtbaren Ohrfeige getroffen zusammen. „Ich habe ihm alles gegeben und er hat es mit Füßen getreten“, fuhr ihr Mann unbarmherzig fort. „Das stimmt nicht!“ Mühsam versuchte sich Mrs Crouch aufrecht zu halten, während sie entschlossen Bartys verbissenem Blick begegnete. „Wie kannst du das einfach so sagen, wenn du nie da warst?“ Mr Crouch sah weg, zu einem unbestimmten Punkt in dem muffigen Schlafzimmer. „Wie oft hast du deinen Sohn wirklich gesehen, Barty? Wann hast du dich für das interessiert, was er gemacht hat?“ Abwartend funkelte Mrs Crouch ihren Mann an und lächelte verbittert. „Alles, was du kennst, sind die Dinge, die er für dich gemacht hat. Er hat ein Leben gelebt, das deinen Vorgaben entsprach!“ „Dieser Junge wurde mit drei Todessern gefasst“, sagte Crouch, als würde das alle seine Entscheidungen rechtfertigen. „Aber…“ „Hast du die Longbottoms gesehen?“, unterbrach er seine Frau ungnädig. „Hast du gesehen, was aus Frank und Alice geworden ist? Sie sind im St. Mungo’s, weil dieses Pack sie in den Wahnsinn getrieben hat.“ „Was wenn Barty dazu gezwungen worden ist? Er kannte Frank und Alice, er würde doch nie…“, Mrs Crouchs Stimme versagte den Dienst. Schluchzend zog sie die Bettdecke zu sich heran und vergrub ihr Gesicht darin. Nachdenklich sah Barty Crouch auf das Bild des Elends, das seine Frau ihm bot, und legte nach einigem Zögern tröstend seine Hand auf ihren Rücken. „Schhh“, flüsterte er beinahe hilflos, während er sie beruhigend streichelte. Als sie sich wieder soweit beruhigt hatte, dass er glaubte, ihr Gespräch fortsetzen zu können, beugte er sich tief zu ihr hinab, um ihr eindringlich in die geröteten Augen zu schauen. „Liebling, er hatte das Dunkle Mal.“ Er konnte erkennen, wie sich Unglauben und Trotz in ihre verweinten Züge nisteten. „Das muss nichts heißen“, erwiderte Mrs Crouch heftig. „Vielleicht wurde er erpresst.“ „Erpresst?“ „Barty, er ist dein Sohn! Der Sohn des Leiters der Abteilung für Magische Strafverfolgung, er-“ „Unsinn! Wenn dem wirklich so gewesen wäre, dann hätte er bescheid sagen können“, erklärte Crouch, doch seine Frau schenkte ihm nur ein freudloses Lächeln, während sie unwillkürlich vor ihm zurückwich. „Wie denn?“, erwiderte sie bitter. „Du warst nie da.“ „Er hat mit mir im Ministerium gearbeitet!“ „Du warst nicht für ihn da“, beharrte Mrs Crouch leise und kroch zurück unter die Decken. „Mister Crouch, Herr, Mister Crouch!“, empfing Barty Crouch eine völlig aufgelöste Hauselfe, als er wieder nach Hause kam. Es war ein kalter Novemberabend, die Arbeit war stressig gewesen, weil es auch nach einem Jahr des Kriegendes noch viele Angelegenheiten gab, die auf Konferenzen der Internationalen Zauberervereinigung von dringendster Wichtigkeit waren, und alles, was er sich in diesem Moment wünschte, war Ruhe. Ruhe, um seine Situation zu begreifen. „Herr, es ist die Mistress“, piepste Winky völlig außer sich. „Sie-“ Doch weiter kam die Hauselfe nicht. Mit einem lauten Rums fiel seine Aktentasche zu Boden, als Crouch alarmiert auf dem Absatz herumwirbelte und die Treppe hinauf stürmte, die ihn in das Schlafgemach seiner Frau führte. „Liebling!“, brachte er völlig außer Atem hervor, kaum dass er über die Türschwelle getreten war. Es war dunkel in dem geräumigen Zimmer und in der Luft hing der stechende Geruch von Krankheit. Vorsichtig trat Mr Crouch näher an das große Ehebett und sah in dem spärlichen Licht, das durch die Tür hineinfiel, auf seine Frau herab. Etwas zog sich schmerzhaft in ihm zusammen, als er sie so einsam und verloren daliegen sah. Ihr Gesicht war verzerrt, als durchlitte sie große Pein, und ihre Haut, die früher von zarter Blässe gewesen war, war gräulich geworden. Behutsam strich Barty seiner Frau eine Strähne ihres verschwitzten Haars aus der Stirn. „Liebling?“, flüsterte er noch einmal und erkannte, dass er keine Antwort erhalten würde; sie schlief. Mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich auf einen bereitstehenden Stuhl zurücksinken. Für einen kurzen Moment hatte er Sorge gehabt, dass … doch das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Es musste etwas geben, das er für seine Frau tun konnte. „Was ist passiert?“, flüsterte er, als Winky wenige Minuten später mit einem Stapel frischer Decken hereinkam. „Sir, ich weiß nicht, die Mistress hat ganz heftig gezittert und keine Luft mehr bekommen. Winky wollte ihr einen Beruhigungstrank geben, aber der ist verschüttet. Winky hat sich dafür schon bestraft.“ Winky hielt inne und sah traurig zu der regungslosen Gestalt in dem Bett. Auf einmal durchbrach ein trockenes Husten die Stille gefolgt von einem leisen Stöhnen. Sofort war Crouch aufgesprungen und beugte sich besorgt über seine Frau. „Alles ist gut“, flüsterte er, als er merkte, dass sie unruhig wurde. „Keine Sorge, ich bin für dich da.“ Schwerfällig öffnete Mrs Crouch die Augen und blinzelte in das schummerige Licht. „Barty?“, krächzte sie heiser und ließ sich willenlos von ihrem Mann aufrichten, damit er ihr kühles Wasser an die Lippen führen konnte. „Schh, ich bin da“, sagte er, während er das Glas wieder auf dem kleinen Nachtschrank abstellte. „Es wird alles gut.“ Doch bei den letzten Worten brach ein ersticktes Schluchzen aus seiner Frau hervor und traurig schüttelte sie den Kopf. „Nein“, sagte sie. „Nein, das wird es nicht“, und lehnte sich gegen den aufrechten Oberkörper ihres Mannes. Teilnahmslos strich Mr Crouch ihr durch das Haar. „Wenn es nur irgendetwas gibt, das ich für dich tun könnte“, murmelte er gedankenverloren. Er spürte, wie sich der Körper seiner Frau an ihm versteifte. Langsam löste sie das Gesicht von seiner Brust und sah ihn aus dunkel umschatteten Augen an. „Ich möchte meinen Sohn noch einmal sehen.“ Geradezu entsetzt erwiderte Mr Crouch ihren Blick. In all den Wochen hatte keiner mehr ein Wort über den Jungen verloren, der weit entfernt in Askaban saß. Das Thema hatte unausgesprochen zwischen ihnen gestanden, doch schien es zu müßig, weitere Worte darüber zu verlieren, denn alles war bereits gesagt worden. Das hatte er zumindest geglaubt. „Ich“, sagte er langsam und überlegte, was er sagen sollte. Er sah den flehentlichen Ausdruck in den Augen seiner Frau und spürte, wie sich alles in ihm schmerzhaft zusammenzog. Wenn sie nur verstehen würde. Aber vielleicht würde sie ja verstehen, wenn sie den Abschaum von ihrem Sohn sah. Wenn sie das Dunkle Mal sah. „Ich werde zusehen, was sich machen lässt.“ Es hatte gedauert. Es hatte viele Gefallen gebraucht, er hatte die Leute an Dinge erinnern müssen, die sie hatten vergessen wollen, doch am Ende kehrte er mit einer guten und mit einer schlechten Nachricht heim. „Wir können deinen Sohn besuchen“, sagt Barty Crouch eines Abends vorsichtig, nachdem er von der Arbeit zurückgekehrt war. Er sah, wie für einen Moment Leben in das ausgemergelte Gesicht seiner Frau trat. „Aber“, fuhr er zögernd fort, „es … geht ihm nicht gut. Er ist gesundheitlich am Ende. Sie geben ihm sechs Wochen … höchstens.“ Mit einem Laut des Leids sank Mrs Crouch in sich zusammen. „Mein kleiner Barty“, wimmerte sie und sah plötzlich anklagend auf. „Warum kannst du ihn nicht rausholen?“, verlangte sie zu wissen. „Warum kannst du ihn nicht aus diesen unmenschlichen Zuständen befreien? Das hat er nicht verdient. Er hat es nicht verdient…“ Ihre Stimme wurde schwächer und brach schließlich, als sie ein starker Hustenanfall schüttelte. „Es geht nicht“, sagte Crouch tonlos. Und er meinte es. Es war unmöglich. Sollte er es wirklich können, konnte es Monate, vielleicht auch Jahre brauchen, bis dieser Schandfleck von einem Sohn herauskommen würde. Diese Zeit hatte er nicht. Es gab jedoch andere Methoden Bartemius Crouch Junior aus seinem Gefängnis zu befreien. Methoden, die sich Crouch nie im Leben hätte ausmalen können. „Barty“, empfing sie ihn mit einem schwachen Lächeln, als er wieder spät von der Arbeit kam. Erschrocken sah Barty zu seiner Frau, die sich kaum auf den Beinen halten konnte, so schwach war sie. „Liebling!“, entfuhr es ihm entsetzt, wobei er bereits hastig zu ihr geeilt war und stützend nach ihrem Arm griff. „Liebling, dir geht es nicht gut, du musst dich wieder hinlegen.“ Doch Mrs Crouch schüttelte entschieden den Kopf. „Ich will nicht“, sagte sie. „Ich kann nicht … einfach im Bett liegen.“ Mr Crouch verstand die Welt nicht. „Rede keinen Unsinn“, sagte er. „Du musst dich ausruhen, damit es dir bald wieder besser geht!“ Da sah sie zu ihm auf. Ganz langsam mit einem traurigen Lächeln auf den ausgetrockneten Lippen und Barty Crouch spürte, wie eiskalte Angst ihre Krallen in ihn schlug. „Mir wird es nicht mehr besser gehen. Ich bin krank und kein Zauber- oder Zaubertrank auf dieser Welt soll mich jetzt noch retten können.“ „Aber … das St Mungo’s. Lass mich dich dahin bringen. Wir werden einen Weg finden.“ „Nein, Barty“, sagte Mrs Crouch entschieden und führte ihren Mann ins Wohnzimmer, wo sie gemeinsam auf einem Sofa Platz nahmen. „Winky hat einmal nach einem Heiler geschickt, als es mir schlecht ging und auch er meinte, … dass es mit mir zu Ende geht.“ Barty Crouch wollte das nicht hören. Erschöpft vergrub er den Kopf in die Hände und fragte sich, wann dieser Albtraum endlich vorbei sein würde. Er konnte doch nicht einfach so aufgeben! „Barty, hör mir zu, ich habe … eine andere Idee“, fuhr Mrs Crouch fort und strich ihm mit ihren dürren Fingern sanft übers Gesicht. „Ich möchte, dass ich nicht umsonst … sterbe. Ich möchte, dass du mir einen letzten Wunsch erfüllst.“ Verwundert sah Crouch auf. Sein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick fiel zu dem kleinen Sofatisch, auf dem, wie er nun erkannte, mehrere Zaubertrankzutaten standen. „Was willst du?“, sagte er und bemerkte kaum, wie seine Stimme hart wurde. „Ich werde meinen Sohn retten.“ Ungläubig drehte er sich zu seiner Frau. Eine Mischung der unterschiedlichsten Gefühle rang in ihm um die Oberhand, während er versuchte die richtigen Worte zu finden. „Was?“, war schließlich alles, was er zustande brachte. „Ich habe lange überlegt, wie man es am geschicktesten anstellen könnte, aber jetzt … ist es ganz einfach.“ Seine Frau lächelte einen Hauch von Optimismus, den man nur verspüren konnte, wenn man nichts mehr zu verlieren hatte. „Was sagst du da?“, rief Mr Crouch und er spürte, wie alle Härte in ihm zurückkehrte. „Was soll der Blödsinn? Du kannst nichts tun! Wir werden ihn besuchen, sowie ich das Einverständnis bekommen habe, aber mehr können wir nicht machen.“ „Barty, versprich es mir!“, verlangte Mrs Crouch jedoch nur. „Hör mir zu und hilf mir, unseren …kleinen Barty aus diesem grausamen Ort zu befreien.“ Barty Crouch wollte toben und schreien und sich auf diese ganzen Lächerlichkeiten nicht einlassen, doch als er zu seiner Frau sah, die zum ersten Mal seit Wochen wieder auf den Beinen war und entschlossener denn je wirkte, stürzte seine Wut in sich zusammen. Alles, was blieb, war Resignation. Und so lauschte er einem Befreiungsplan, den er sich in seinen kühnsten Träumen nie hätte ausmalen können. „Kommt nicht in Frage“, wandte er ein. „Das können wir nicht. Ich lasse dich nicht in dieser … dieser Hölle zurück, um diesen Abschaum zu befreien.“ Abrupt erhob er sich und ging. „Barty!“, rief ihm seine Frau hinterher, während sie mühsam aufstand und versuchte, ihm hinterherzulaufen. „Barty, bitte, tue es für mich. Er hat-“ Ein Poltern riss ihr die letzten Worte von den Lippen. Mrs Crouch war ohnmächtig zusammengebrochen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)