Chaosbrut von Jadis ================================================================================ Kapitel 1: Anfänge ------------------ 1 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Anfänge Beißender Wind zerrt an meinen Kleidern, peitscht lange rote Haare in mein Gesicht und treibt harschen Sand so scharf durch die diesige Dunkelheit, dass jeder Zentimeter meiner freiliegenden Haut schmerzt und jeder Atemzug eine Qual ist. Ein Tränenschleier trübt zusätzlich meine Sicht und ich versuche meine Augen mit dem Unterarm zu schützen, während ich über kargen, glatt geschliffenen Fels stolpere und ziellos durch vertrocknetes Ödland streife. Kaum gegen den pfeifenden Wind ankommend, schleppe ich mich nur langsam voran. Eine Böe reißt mich zu Boden und ich falle unsanft auf meine vier Buchstaben. Ein Keuchen entweicht mir, als durch den Aufprall Luft aus meinen Lungen gepresst wird. Meine Ohren dröhnen. Ich will weg hier. Weg von diesem infernalischen Ort. Ich schließe meine brennenden Augen, drehe mich auf die Seite und krieche auf allen Vieren über scharf geschliffenen Fels. Schatten tanzen auf meinen geschlossenen Lidern und ich reiße die Augen auf. Ein schemenhafter Umriss zeigt sich nur wenige Meter entfernt, genau da, wo fliegender Sand und beißender Wind an der Grenze meiner Sichtweite zu einer flimmernden Einheit werden. Das ist doch... »Loki?«, rufe ich und sofort ist mein Mund von umherfliegendem Sand ausgefüllt, der knirschend über meine Zähne kratzt. Ich schreie, meine Worte jedoch selber kaum verstehend. »Loki, bist du das? Loki!« Lokis Gestalt verschwindet im Schleier des Sandsturmes und ich raffe mich stolpernd auf, um ihm zu folgen. »Loki!«, rufe ich erneut und muss aufgrund einer staubigen Kehle sofort husten. »Liebling, warte doch!« Ich habe Loki aus den Augen verloren, stelle ich erschüttert fest und rufe weiter seinen Namen, bis meine Stimme nur noch ein heiseres Kratzen ist und vom Brüllen des Sturmes vollkommen verschlungen wird. »Loki«, hauche ich leise und augenblicklich scheint die Zeit still zu stehen. Ich halte erschrocken inne. Sandkörner schweben um mich herum, eine Totenstille hat Einzug gehalten und ich höre nur noch meinen eigenen rasselnden Atem. Ich blinzele und mit einem lauten Krachen, rauschen Millionen Sandkörner auf harten Fels. In der noch immer diesigen Öde steht er plötzlich wieder in seiner vollen Größe vor mir, in seiner schwarz- und grüngoldenen Rüstung befremdlich und doch so bekannt. Ich wage kaum zu atmen, als mich Lokis durchdringender Blick trifft. »Hel?«, höre ich ihn fragen und bemerke erst jetzt, dass er durch mich hindurch sieht. Alarmiert blicke ich hinter mich, taumele sofort erschrocken zurück und bringe einigen Abstand zwischen mich und Hel, der Herrin der Unterwelt, Lokis Tochter. Ich bin ihr bereits einmal begegnet. Vor nunmehr fast zwei Jahren, als Lokis Bruder Byleist mich entführt und in eine Eishöhle verschleppt hatte. Hel sieht genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Ihren zierlichen Körper umfließt ein dunkles Gewand, ihr glänzendes schwarzes Haar fällt ihr in leichten Locken über die Schulter. Sie ist blass und ihr Gang ist aufrecht. Hel ist wunderschön. Die Tatsache, dass die eine Hälfte ihres Körpers der einer Toten ist und nur ein stechend grünes Auge ihr Antlitz ziert, versuche ich zu verdrängen. »Es ist an der Zeit«, sagt sie zu ihrem Vater und erinnert mich damit schmerzlich an die Ereignisse in der Eishöhle. Ich sehe zu Loki, der seine Tochter nur ansieht, einen Ausdruck des Flehens auf seinem schönen Gesicht. »Gib ihn mir«, fordert Hel und ihr toter, skelettierter Arm hebt sich fordernd in die Höhe. Dabei baumelt verfaultes Fleisch in Fetzen von blanken Knochen. Ich blicke ratlos zwischen den beiden Göttern hin und her, bis mir plötzlich auffällt, dass Loki ein Bündel in den Händen hält und beschützend an sich drückt. »Gib mir das Kind!«, verlangt Hel erneut und ihre vollen Lippen pressen sich ärgerlich zusammen, wobei die freigelegten Zähne der anderen Gesichtshälfte leise aufeinander klacken. Der Anblick ist abstoßend und grotesk. »Er ist mein Sohn«, fleht Loki und mein Mund flüstert stumm einen Namen. Doch Hel bleibt unerbittlich und die Ausdruckslosigkeit ihrer leeren Augenhöhle lässt mich schaudern. »Es ist an der Zeit«, wiederholt sie sich und ich spüre wie Lokis Widerstand schwindet. Kurzzeitig stehe ich komplett neben mir und sehe zu, wie er das kleine Bündel verabschiedend küsst und der Herrin der Unterwelt überreicht. Schließlich kommt wieder Bewegung in mich und ich werfe mich zwischen die Fronten, reiße Loki protestierend das Bündel aus den Händen und drücke es an mich. Erst jetzt fokussiert sich sein Blick auf mir und Entsetzen spiegelt sich darin wider. »Was hast du getan?«, fragt er zutiefst enttäuscht und ich verstehe nicht, was er meint, während Tränen in seinen Augen glitzern. Hel schreit hinter mir einen schrecklichen Kreischlaut, von dem ich sofort rasende Kopfschmerzen bekomme. Ich wage nicht, mich umzudrehen, als der Sandsturm an neuer Kraft gewinnt und ich bemerke, dass Loki sich vor Schmerzen windet. Ich kann nur ungläubig starren, als seine helle Haut unschöne, dunkle Risse bekommt, er vor meinen Augen zu Staub zerfällt und seine Überreste sofort in alle Himmelsrichtungen davon getragen werden. »Nein!«, kreische nun ich und greife nach davonfliegendem Staub, bekomme ihn jedoch nicht mehr zu fassen. Weinend in die Knie gehend, huscht mein Blick angsterfüllt auf die Stoffdecke in meinen Händen. Zitternd und vorsichtig klappe ich eine Hälfte zur Seite. Sofort wird Staub von zerrendem Wind davongetragen und gibt das Skelett eines Babies frei. Ich schreie... … Und schrecke weinend von meinem Sofa auf. Der Fernseher läuft noch und ich sehe geradewegs hinüber zum Schreibtisch, wo Loki mich über den Bildschirm seines MacBook fragend und alarmiert zugleich ansieht. »Dali«, ist alles was ich hervorbringe, bevor meine Stimme bricht. Sofort springt meine Sorge auf Loki über und er verschwindet mit diesem charakteristischem »Phlump«, während ich mich noch über die Sofalehne quäle und mit rasendem Herzen Wohn- und Schlafzimmer durchquere. Ich werde kurz aufgehalten, als ich mir schmerzlich die Hüfte am Bettpfosten stoße, doch schließlich bleibe ich keuchend in der offen stehenden Tür meines alten Gästezimmers stehen und blicke ins Halbdunkel des jetzigen Kinderzimmers. Eine Nachttischlampe spendet warmes Licht, Bob schnarcht zu Füßen eines weißen Kinderbettes und Loki steht vor eben diesem und betrachtet unseren friedlich schlafenden Sohn. Er blickt auf, als ich in der Tür erscheine. »Alles in Ordnung«, lässt er mich leise wissen und mir fallen eine Millionen Hinkelsteine vom Herzen. Erleichtert stoße ich die Luft aus – mir war überhaupt nicht bewusst, dass ich sie angehalten habe -, nehme Lokis ausgestreckten Arm als Einladung an und trete neben ihn. Er legt seinen Arm um meine Schulter und ich sehe hinab. Sofort geht mir das Herz auf. Da liegt er. Friedlich schlummernd, wie ein kleiner Engel. Dallkarackint 'Dali' Parker. Unser Sohn. UNSER Sohn. Ist das zu fassen?! Meine Gesichtszüge werden weich, als ich ihn betrachte. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater ist unverkennbar. Schwarzes Haar, grüne Augen, der göttlichen Magie fähig... Dalis winzige Faust erstrahlt in grünem Licht, während er leise vor sich hin gluckst und im Land der Träume irgendwelche Wunder erlebt, die er eines Tages vielleicht selbst einmal erschaffen wird. »Wie geht es dir?«, fragt Loki und legt seine Hand vorsichtig auf Dalis Arm, seine Frage ist jedoch an mich gerichtet. »Ich habe nur schlecht geträumt«, sage ich wahrheitsgemäß und beobachte wie Dalis Magie von Loki aufgesaugt wird. Das grüne Licht geht einfach von Sohn auf Vater über und verblasst schließlich. Der kleine Halbgott kann seine Magie noch nicht richtig kontrollieren. Wie auch? Er ist einfach noch zu jung. Und so absorbiert Loki hin und wieder einen Großteil, um Unfälle oder Ähnliches zu vermeiden. »Möchtest du darüber reden?«, fragt Loki und sieht mich nun direkt an, wischt eine nicht getrocknete Träne vorsichtig von meiner Wange. Ich schüttele den Kopf, ohne Dali aus den Augen zu lassen. »Ich kann mich schon gar nicht mehr richtig erinnern.« Wenn er meine Lüge durchschaut, lässt er es sich nicht anmerken, sondern zieht mich nur noch näher an sich, sodass ich meinen Kopf gegen seine Schulter bette. Hels Worte hallen dabei immer wieder in meinem Kopf nach. Was, wenn es mehr als nur ein Traum war? »Er ist ein starker kleiner Kerl«, lenkt Loki das Thema wieder auf Dali, während Bobs Pfoten zu zucken beginnen und seine Lefzen wackeln. »Ja«, sage ich und denke: Tja, der Apfel fällt eben nicht weit vom Birnbaum. Doch gerade das macht mir ein wenig Sorgen, denn ich habe bezüglich Dalis Kräften keine gute Vorahnung. »Er wird lernen sie zu kontrollieren«, sagt Loki, als könnte er meine Gedanken lesen und dreht mich zu sich. »Hm«, mache ich nur und er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, während ich genießend die Augen schließe und denke, was für ein Glück ich doch eigentlich habe. »Du siehst müde aus«, stellt Loki fest und sieht mich stirnrunzelnd an. »Gehen wir schlafen.« Nichts dagegen, denke ich und nicke, als er meine Hand nimmt, wir über Bob hinweg steigen und das Schlafzimmer unser nächstes Ziel ist. Ich kuschele mich bereits in die Decken, als Loki noch Lichter löscht und den Fernseher ausschaltet. Kurz bevor der Schlaf mich übermannt, bemerke ich noch, dass Sand zwischen meinen Zähnen knirscht. ~ Ich erwache und stelle sofort fest, dass mein Schlaf lang und traumlos war. Ich fühle mich gut erholt, öffne die Augen und weiß sofort, dass Loki da seine Finger im Spiel hat. »Na?«, fragt er niedlich schmunzelnd, während sein Kopf auf seinem abgestützten Arm ruht und er mich direkt ansieht. Ich mag es, wenn er mich beim Schlafen beobachtet. Gruselig aber wahr. »Hast du einen Schlafzauber auf mich gelegt?«, frage ich noch mit vom Schlaf rauer Stimme und reibe mir die Augen. »Das würde ich mir nie erlauben«, sagt Loki und lässt mich durch seine Stimmlage wissen, dass es nicht so ist. Sein Schmunzeln wird zu einem handfesten Grinsen und ich kneife gespielt erzürnt die Augen zusammen. Gott, ich liebe diesen Kerl. »Hast du gut geschlafen?« Meine Gesichtszüge werden wieder weich, ich nicke in mein Kissen und strecke gleichzeitig meine Glieder. »Wie ein Baby.« Ich rutsche näher an Loki heran, spüre die Wärme die von ihm ausgeht und streiche eine lange dunkle Haarsträhne hinter sein Ohr, während er mich mustert, meine Hand ergreift und einen Kuss in meine Handfläche drückt. »Was hat Mr. Chaos denn heute so vor?«, will ich von ihm wissen und sein Mundwinkel zuckt. Er sieht aus wie ein Rockstar, denke ich so bei mir und finde es äußerst passend, dass Dali heute seinen »My Daddy is a Rockstar«-Strampler trägt. »So dies und das.« Aha, sehr aussagekräftig der Herr. »Aber erst...« Ich beobachte, wie er sich über mich beugt und meinen Körper durch sein Gewicht in die Federn drückt. Ich lächele, als er mit seiner Nase spielerisch gegen meine stupst, doch als seine Lippen mich berühren, ist es um mich geschehen. Ich bin Wachs in Lokis Händen. Ein Stöhnen bahnt sich den Weg aus meiner Kehle, als sein Kuss fordernder wird und mein gesamter Körper zu Kribbeln beginnt. Meine Hände finden ihren Weg in Lokis Haar und ziehen ihn noch näher an mich. Er keucht erschrocken auf, als ich ihm lustvoll in die Lippe beiße und ich fühle mich großartig. »Rey-Rey«, haucht er tadelnd und dennoch belustigt und sofort ist sein Mund an meinem Ohr, während seine Hand meinen Körper hinab fährt und wohlige Schauer durch mich strömen. Meine Hände krallen sich in das Bettlaken, als er mein Ohr liebkost, seine Lippen meinen Hals entlang wandern und seine Hand unter mein Top fährt. Mein Körper bäumt sich dem seinen entgegen und während seine kühlen Fingerspitzen über meine Haut streichen,- Ein lauter Knall durchbricht die Stille und ich reiße erschrocken die Augen auf. Sofort ist jegliche Lust verschwunden und mit einem »Phlump« auch Loki über mir. Bobs Winseln dringt an mein Ohr und eine aufkommende Schockstarre sorgt dafür, dass ich nicht in der Lage bin mich zu bewegen und das Bett zu verlassen. Ich habe Angst. Angst davor, dass ich im Kinderzimmer etwas vorfinden werde, dass mein Herz nicht erträgt. Mein Atem kommt nur stoßweise, mein Brustkorb hebt und senkt sich hektisch und ich versuche mich zu sammeln. »Riley«, dringt Lokis tonlose Stimme gedämpft aus dem Nachbarzimmer durch die angelehnte Tür zu mir herüber und ich ahne Schreckliches. Dann höre ich sein leises Lachen und bin verwundert. »Das musst du dir ansehen, Pilzköpfchen.« Ich bringe es zustande, die Beine aus dem Bett zu schwingen und schleiche zur Tür hinüber. Zögernd bleibe ich kurz davor stehen und spähe durch den Türspalt. Ich sehe Loki, der lässig und mit verschränkten Armen an Dalis Kommode lehnt. Ich stecke meinen Kopf durch die Tür und sein Blick huscht zur mir. Seine Augen leuchten, als er lächelnd sagt: »Sieh dir das an.« Ich stoße neugierig die Tür auf und erblicke zuallererst Bob, der total verrußt ist, betröppelt und mit hängendem Kopf vor Dalis Kinderbett sitzt und den Eindruck macht, als wäre er das bemittleidenswerteste Wesen auf der ganzen Welt. Er schaut zu mir auf, als er die Bewegung in der Tür bemerkt und lässt ein jämmerliches Winseln hören. Er sieht zum Erbarmen elend aus. Ich frage mich, weshalb das Fell des armen Kerls so in Mitleidenschaft geraten ist. Jedoch nur kurz. Als ich den Blick hebe, weiß ich es. Dali steht aufrecht in seinem Bettchen, hält sich mit einer Hand tapfer an den Streben des Bettes fest und sieht mich strahlend an. Ich habe jedoch nur Augen für die schwebende Energiekugel, die geräuschlos über Dalis ausgestreckter linker Hand schwebt und deren Anblick mir kurzzeitig den Atem raubt. »Schätzchen«, quietsche ich los, als ich wieder sprechen kann und bewege mich langsam auf ihn zu. Bob jammert weiter leidend vor sich hin und ich tätschele im Vorbeigehen vorsichtig seinen massiven Kopf. Er nutzt die Gelegenheit sofort und macht sich heimlich aus dem Staub. Vermutlich ist er nicht sonderlich erpicht darauf noch einmal Bekanntschaft mit einer weiteren explodierenden Energiekugel zu machen. »Das ist ja unglaublich.« Noch während ich dies von mir gebe, beginnt das grüne Licht der Kugel zu flackern und Dali kreischt entzückt mit seiner zuckersüßen kindlichen Stimme. Dann geben seine Beinchen nach, er plumpst auf seinen kleinen Hintern und die Kugel aus Energie zerfällt in Nichts. Dali guckt verdutzt, dann beginnt seine Lippe zu beben und seine Kulleraugen füllen sich mit Tränen. Schließlich weint er los. Ich will zu ihm eilen, doch Loki ist schneller. Also beobachte ich, wie er seinen Sohn in die Arme hebt und kann mich nur daneben stellen. »Hey Würmchen, nicht weinen«, sagt er und bettet Dalis Kopf gegen seine Schulter. Dali sieht in den Armen seines Vaters so klein und zerbrechlich aus, dass es mir schier das Herz zerreißt, ihn so weinen zu sehen. Ich streiche zärtlich über den Rücken meines Sohnes, während Loki ihn in seinen Armen wiegt. »Das war doch für das erste Mal recht ansehnlich. Und es wird von Mal zu Mal besser. Pass auf.« Dalis Traurigkeit weicht von hier auf gleich einem fröhlichen Quieken, als Loki unzählige Lichter im Raum erscheinen lässt, die wie riesige Glühwürmchen um uns herum tanzen. Babylachen erfüllt den Raum, Dalis Ärmchen schießen in die Höhe und er versucht jedes einzelne davon in die kleinen Finger zu kriegen. Ich lache und strecke ebenfalls die Arme aus. »Gib ihn mir«, sage ich und nehme Dali an mich, wobei ich sofort meine Nase gegen den weichen Flaum seines dunklen Haares drücke und den gutriechenden Babyduft einatme, der auf mich wie eine Droge wirkt. Ein Glücksgefühl stellt sich ein und mein Fürsorgereflex erreicht einen neuen Höhepunkt, als Dalis kleine Finger nicht mehr nach den Lichtern greifen, sondern vielmehr nach den losen Locken meines Haares. Ich küsse seinen kleinen Kopf, wieder und wieder und kann kaum glauben, dass ich gerade einen Halbgott in den Armen halte. Mein Blick huscht zu Loki, der uns mit einem leisen Lächeln betrachtet. Dann tritt er noch näher zu uns, haucht mir einen Kuss auf die Stirn und flüstert leise asische Worte in Dalis Ohr. Meine Augenbraue schießt in die Höhe und Loki sieht mich fragend an. »Was?« Ich zucke nur mit den Schultern. »Unser Sohn wächst also zweisprachig auf?« Noch bevor ein grinsender Loki antworten kann, stört uns ein energisches Klopfen an der Wohnungstür, welches nur sehr leise in das hinterste Zimmer unserer Wohnung vordringt. »Erwartest du jemanden?«, fragt Loki und ich schüttele nur den roten Lockenkopf. »Hm«, macht er nur und löst sich in Nichts auf, um an der Tür schnell nach dem Rechten zu sehen. Ich rücke Dali in meinen Armen zurecht und beeile mich Loki in den Wohnbereich zu folgen, während die tanzenden Lichter allmählich verblassen. Ein unglücklicher Bob liegt auf dem zerwühlten Bett im Schlafzimmer und ich werfe ihm nur einen kurzen aufmunternden Blick zu, bevor ich eine bekannte Stimme rufen höre: »Wo ist mein Patenkind?« Mein Gesicht verzieht sich in Unglauben, als ich das Wohnzimmer durchquere, den Eingangsbereich erreiche und an Lokis Schulter vorbei zur offenen Tür spähe. »Nick?« Mein bester Freund schiebt sich sofort an Loki vorbei und reißt theatralisch beide Arme in die Höhe, als er auf Dali und mich zugestiefelt kommt. »Da ist ja der kleine Scheißer!« Dali wird mir förmlich aus den Händen gerissen und während Nick ihn immer wieder vorsichtig in die Luft wirft und dabei ulkige Geräusche von sich gibt, sehen Loki und ich uns nur ausdruckslos an. »Du bist in den letzten zwei Monaten so groß geworden. Es ist kaum zu fassen!« »Äh«, wage ich schließlich zu sagen, während Loki die Tür schließt und langsam zu uns herüber kommt. »Was machst du hier, Nick?« Sollte er nicht Neuntausend Kilometer weit weg sein und im Disneyland Paris im Prinzessinnenpalais auf Cinderella warten? Nicks freudige Miene versteinert sich, als er den lachenden Dali auf seine Hüfte setzt und mich entrüstet ansieht. »Ist es einem Mann verboten spontan Urlaub zu nehmen um seine Freunde zu besuchen? Störe ich euch etwa? Soll ich mich wieder in den Flieger setzen und die dreiundzwanzig Stunden zurückfliegen?« Nein, aber ein Anruf wäre schön gewesen, denke ich, spreche es aber nicht aus. Nick ist so schnell beleidigt, da ist eine Leberwurst nichts dagegen. »Natürlich nicht«, rettet Loki die Situation und klopft Nick freundschaftlich auf die Schulter. »Wir freuen uns sehr, dass du da bist.« Nicks Blick fliegt von Loki zu mir. Mein Blick fliegt von Nick zu Loki, der mich auffordernd ansieht. »J-J-Ja«, stammele ich und kleistere mir ein Lächeln ins Gesicht. »Sehr.« »Bleib so lange du willst«, fügt Loki hinzu und ich denke, dass das doch ein bisschen zu viel des Guten ist. Schließlich kann er sich wegteleportieren, wenn es ihm passt und ich bin immer die arme Sau, die Nick dann an der Backe hat. Na vielen Dank auch. »Das ist lieb von euch«, schleimt Nick und reicht Dali einen Finger, der sofort von kleinen Händen ausgiebig angegrabscht wird. »Ich habe mich drüben bei Penny einquartiert. Wir können uns also für die nächsten zwei Wochen jeden Tag sehen.« »Supi«, sage ich. Erschieß mich jemand, denke ich. »Ich muss los«, sagt Loki wie auf Kommando und sieht auf seine nicht vorhandene Armbanduhr, eine Geste, die er sich von mir abgeguckt hat, wie ich vor Kurzem festgestellt habe. Innerlich grinse ich darüber, äußerlich versuche ich mir nicht anmerken zu lassen, dass ich entsetzt darüber bin, dass er mich mit Nick allein lässt. Ich habe jetzt echt keine Lust auf Frauengespräche. »Ich bin auch bald wieder zurück. Liebling«, sagt er verabschiedend und gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Würmchen«, fügt er hinzu und kneift Dali vorsichtig in ein rosiges Bäckchen. »Nick«, sagt er abschließend und hält überlegend inne. Dann neigt er leicht den Kopf und es macht »Phlump«. »Immer noch ein vielbeschäftigter Geschäftsmann, was?«, fragt Nick und starrt auf die Stelle, wo Loki verschwunden ist. »Jaja«, sage ich nur und weiß gerade echt nichts mit mir anzufangen. Dann fällt mir meine Mutterpflicht wieder ein und ich zwinge Nick dazu sein Patenkind zu windeln und zu füttern. Er beschwert sich lautstark über volle Windeln und ich erinnere ihn daran, dass er gerade eben noch nach seinem Patenkind gerufen hat. »Tja«, beendet er wenig später das Thema über geeignetes Puder für wunde Halbgotthintern und würde wohl in die Hände klatschen, wären die nicht mit einer Windel beschäftigt. »Ist das da die Reisetasche für den kleinen Scheißer?«, fragt er, nachdem er die Windel fachmännisch im Biomüll entsorgt hat. Ich folge seinem Blick und muss beobachten, wie er die Babytasche neben der Garderobe bereits schultert. »Ist da auch alles drin?« »Was hast du denn vor?«, will ich wissen, während Nick bereits nach Bob ruft, der bis jetzt durch seine Abwesenheit geglänzt hat, und dieser wie ein goldener Blitz aus dem Schlafzimmer geschossen kommt. Ein goldener Blitz der... ziemlich viel Ruß verliert. »Hey, Großer! Wie siehst du denn aus? Ich frag' lieber nicht, bei was ich euch gestört habe«, übergeht Nick meine Frage und beschaut sich den ein wenig verstört dreinschauenden Bob. »Ach«, sage ich und klopfe Bob übers Fell. »Das ist nur ein bisschen versengtes Deckhaar. Das wächst wieder nach.« »Aha«, sagt Nick nur und sieht mich auf seine ganz spezielle Nick-Art an, während er mir erneut Dali aus den Armen nimmt. »Wir gehen dann mal lieber.« »Wo wollt ihr hin?«, will ich wissen. Und was noch viel wichtiger ist: »Darf ich mitkommen?« »Nix da«, brüllt Nick fast und ist bereits auf dem Weg zur Tür. »Das ist eine Männergeschichte.« Mir kommt da ein Gedanke und ich verschränke die Arme vor der Brust. »Du gehst Männer aufreißen, oder?« Ertappt geht Nick nicht weiter darauf ein, öffnet die Wohnungstür und scheucht Bob bereits das Treppenhaus hinunter. Ich kann es nicht fassen. »Du benutzt meinen Sohn um Männer aufzureißen? Schlimm genug, dass du Bob da immer mit reingezogen hast, aber Dali? Er kann nun wirklich nichts dafür, dass deine Beziehung mit Jaques ein Reinfall war.« »Der Mann hieß Francois!«, korrigiert Nick mich und bleibt im Treppenhaus stehen. »Ich will nur ein bisschen Zeit mit meinem Patenkind verbringen, Riley. Ich werde gut auf ihn aufpassen. Bitte werde nicht eine von diesen Helikoptermüttern.« Ich muss schlucken. »Also schön«, sage ich eingeschnappt. »Aber seit vor Einbruch der Dunkelheit wieder hier.« »Ja, Mama«, äfft Nick eine Kinderstimme nach und nimmt Dalis Arm um damit zu winken. »Mach's gut, Mama. Bis später, Mama. Ich hab' dich lieb, Mama.« »Mach's gut, mein Süßer«, säusele ich Dali entgegen und versuche mir den Trennungsschmerz nicht anmerken zu lassen. Nick gebe ich einen Klaps auf den Hinterkopf. »Jetzt hau' endlich ab. Und pass bloß auf meinen Sohn auf. Ich mache dich einen Kopf kürzer, wenn-« »Jaja!« Ich sehe den Dreien nach, wie sie im Treppenhaus verschwinden und schließe letztendlich die Tür. Dann lasse ich die Stille auf mich wirken und realisiere, dass ich schon Ewigkeiten nicht mehr komplett allein war. Ich mache mir bereits jetzt Sorgen um Dali, dann rufe ich mich zur Räson. Nick ist ja kein kompletter Vollidiot. Obwohl... Ich beschließe, dass ich mich beschäftigen muss. Fernsehen vielleicht? Ein Buch lesen? Mir die Nägel machen? Ich könnte Penny von der Pension gegenüber einen Besuch abstatten und ihr einimpfen, dass sie Nick die nächsten Tage irgendwie beschäftigen muss. Schließlich verwerfe ich jeden Gedanken wieder und gehe dazu über das Bett neu zu beziehen und Bobs rußige Hinterlassenschaften zu beseitigen. Ein erneutes Klopfen an der Tür, hält mich irgendwann davon ab, mit der Zahnbürste die Fugen der Badezimmerfliesen zu schrubben. Na sowas, denke ich, als ich zur Tür watschele. Die Männergeschichte schon wieder vorbei, oder was? Allerdings ist es nicht Nick, der da vor mir steht, als ich die Wohnungstür schwungvoll öffne. Kurze Zeit bleibt mir die Spucke weg. Mit Mühe und Not bringe ich geradeso ein Wort hervor. »Dad?« ~ Ende des 1. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)