Virus von fragile ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Ino Yamanaka war sich noch nie für Konsumfreuden zu schade. Ganz gleich was es auch war. Sei es kostbares Olivenöl aus dem Edelschuppen in der Innenstadt, auf ihren eigenen Wunsch individualisierte Handtaschen (aber sie kaufte eigentlich jede Tasche, die ihr besonders gefiel) und natürlich Pralinen. Ino liebte Pralinen. Angeblich würde sie sogar alle aus der Schachtel essen, aber ich weiß, dass sie bei dieser Aussage eher flunkert. Manche Pralinen haben nämlich wirklich einen ungewöhnlichen Geschmack, die meistens wirklich nicht Inos Geschmack waren. Bloß nichts Neues. Etwa so wie „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“. Als gute Freundin allerdings tat ich immer so, als sei ich zu 100% überzeugt und sie schenkte mir die Überbleibsel in der Schachtel, die sie nicht mochte. Schokolade war Schokolade. Ich liebte Schokolade. Der blonde Wirbelsturm kaufte jedenfalls alles. Egal was. Hauptsache es war süß, knuffig oder total-sweet. Selbst Espadrilles kaufte sie. Espadrilles? Ja, Espadrilles. Es hörte sich für mich das erste Mal eher nach einer Art Tacos an. Irgendwas Mexikanisches. „Espadrilles sind leichte Sommerschlupfschuhe, deren verschlussloser Schaft aus Baumwolle oder Leinen und deren Sohle aus geknüpften Pflanzenfasern besteht. Die sind jetzt mega im Trend und sowas von süß!“, erklärte sie mir, als sie mit vier verschiedenen Espadrilles von einer Shoppingtour zurückkam. Bis auf die Farbe waren es aber dieselben. Worauf ich aber hinaus will: Ino Yamanaka liebte es zu shoppen. Sie vergötterte Shoppingtouren, ob alleine oder mit Freunden. Am liebsten wäre sie jeden Tag shoppen gegangen. Ein Pech für sie, dass sie sich das nicht leisten konnte. Natürlich schlug ich ihr jedes Mal vor, nach Dubai zu fliegen, sich an den Pool zu legen (mit dem knappsten Bikini überhaupt) und einfach zu hoffen, dass ein neureicher Scheich auf eine weitere Ölquelle gestoßen war und sie sich als zweite oder dritte Ehefrau leisten konnte. Nun ja, ich stand seit ungefähr dreißig Minuten am Hauptbahnhof, trank meinen Starbucks Kaffee und wartete auf meine Mitbewohnerin, die es sich höchstpersönlich zur Aufgabe machte, mich für mein anstehendes Blinddate einzukleiden. Ich sagte ihr, dass ich überhaupt keine Lust darauf hätte und das ich genügend Kleidung im Schrank hatte und selbst wenn ich nichts Passendes gefunden hätte, wäre sicher etwas in Inos Fundus zu finden gewesen sein. Sie lachte mich aus, schüttelte ihre lange, blonde Mähne und verabredete sich mittwochs mit mir in der Innenstadt. Ich war sogar extra früher von der Arbeit gegangen. Für Ino Yamanaka ließ ich einen kleinen Artikel halb angefangen auf meinem Laptop vor sich hin vegetieren. Mir entfloh ein Schnaufen und genervt pustete ich die feinen Ponyfransen aus dem Gesicht. Meine Gedanken schwappten unwillkürlich zu S. Das letzte Mal, an dem ich mit ihm schrieb, war Montag. Den ganzen Dienstag über hatten wir nicht wirklich Strom. Leider kam das hin und wieder tatsächlich in der Bruchbude vor, dennoch liebten wir beide unsere kleine Wohnung. Ich überlegte fieberhaft, ob ich ihn überhaupt noch antreffen würde oder ob sich Mr. Mysteriös schon längst wieder abgemeldet hatte. Immerhin war der Wetteinsatz drei Tage. Ich knabberte an meiner Unterlippe, eine Angewohnheit, die ich seit der High School nicht los wurde. Der Gedanke daran, dass ich ohne ihn in den Fängen des Online-Datings war, stimmte mich traurig. Natürlich war der Gedanke oder besser gesagt: meine Laune nicht komplett nachvollziehbar. Wir schrieben ja noch nicht lange miteinander. Aber zwischen den ganzen Anmachsprüchen, Einladungen zu Sex-Dates und … ziemlich freizügigen Bildern, war es wirklich angenehm, jemandem wie ihm begegnet zu sein. Außerdem machte ich es mir unterbewusst zur Aufgabe, ihn via Nachrichten aufzutauen. Ich war der festen Überzeugung, dass seine Gefühlswelt eher einem Kühlschrank glich. Wobei ich mit einem Schmunzeln gestehen musste, dass ich auch nicht unbedingt innerhalb weniger Chat-Gespräche und einem viel zu kurz geratenen Sprach-Chat aufgetaut wäre. Eigentlich war ich bei ihm ganz anders, als ich es sonst war. Während ich beispielsweise die netten Einladungen höflich abgelehnt hatte (ich hab mich selbst für die Gemächt-Fotos der Männer bedankt, warum auch immer), war ich bei ihm nicht wirklich freundlich. Es war so interessant zu sehen, wie er reagierte und so ganz unter uns gesagt, es war mal erfrischend anders, dass man Jemandem ganz direkt und ohne Verschönerungen etwas an den Kopf werfen konnte. Ich weiß allerdings noch heute nicht, ob es einfach an seiner Art lag oder aber an der Anonymität, die mit dem Online-Dating händchenhaltend den ganzen liebeswütigen Menschen dabei zusah, wie sie sich gegenseitig scharf machten (oder anwiderten). Ich stand also schon ewig am Hauptbahnhof, betrachtete hin und wieder einen attraktiven Mann und stellte mir sogar vor, wie S wohl aussehen würde. Mir fiel ein, dass ich ihn nicht mal danach fragte, wo er wohnte. Wer weiß, vielleicht lief S gerade schon zum fünften Mal an mir vorbei und ich war zu doof, um ihn nach seinem Wohnort zu fragen. Ich knirschte mit den Zähnen und warf meinen Kopf in den Nacken. „Herrgott Ino! Wo bleibst du?! Meine Gedanken laufen Amok! Lenk mich ab“, murrte ich und stampfte zur Unterstreichung meines Ärgernisses auf den Boden. Ein Kichern ertönte neben mir und ich zuckte erschrocken zusammen. Breit grinsend stand sie neben mir und lächelte selig, als sei sie pünktlich. Ohne auch nur einer Sekunde Verspätung. Ich hob meine Augenbraue und musterte sie. Natürlich kam sie nicht direkt von der Arbeit. „Warst du ernsthaft zuhause und hast dich geduscht?“, brummte ich. Als Antwort erhielt ich ein Nicken: „Ich kann doch nicht verschwitzt von der Arbeit in super tolle Klamotten steigen!“ „Du hättest vielleicht dann sagen können, dass du später kommst? Ich hätte meinen Artikel fertig schreiben können, noch gemütlich etwas Essen und dann wäre ich erst nach all dem hierher gekommen!“, entgegnete ich verstimmt. Meine Laune war im Keller. Nichts ärgerte mich mehr, als Unpünktlichkeit. „Schätzchen, etwas frische Luft tut der Seele gut. Außerdem hättest du ja den einen oder anderen Typen ansprechen können. Den Kaffee hast du dir sicher wieder selbst gekauft“, lachte sie und hakte sich bei mir unter. „Weißt du, eigentlich fühl ich mich schon den ganzen Tag so schlecht. Ich fürchte, es wird eine Migräne-Attacke. Wollen wir das nicht einfach verschieben? So… in zwei Wochen?“ Ich starrte sie mit einem perfekten Hundeblick an, der erfolglos an ihr abprallte. Resigniert stieß ich einen Seufzer aus. Sie brauchte mir nicht einmal antworten, ich wusste es ja ohnehin. Ich war in einem Strudel gefangen und keiner war hier, um mir ein Rettungsseil zuzuwerfen. „Hopp-Hopp. Wir haben nur vier Stunden Zeit, dann machen die Läden zu!“ Ihr Enthusiasmus war grenzenlos und wurde von meiner Unlust verschluckt. Sie merkte das nur nicht. Wir landeten keine vier Minuten später im ersten Laden. Keine zwei Sekunden nach Eintritt hielt Ino mir bereits einen Lederrock und eine weiße Bluse hin. „Meinst du nicht, ich sehe dann eher aus wie eine Kellnerin?“ Ihr entfloh ein Glucksen und sie schob die Kleider auf dem Ständer hin und her. „Aber dann eine sexy Kellnerin. Das kommt mit in die Umkleidekabine! Darauf ein richtig heißer Schuh, der muss raus stechen“, sie stoppte in ihrer Bewegung und legte ihre Stirn nachdenklich in Falten, ehe ein Leuchten in ihren Augen erschien, „Ein roter Schuh! Oder in einem Azurblau! Obwohl, das passt vielleicht nicht zu deinen Haaren.“ „Wie wäre es denn damit, wenn ich einfach zuhause bleibe?“ „Nein.“ „Hm. Okay. Und wie wäre es dann mit einfachen Sneakern?“, schlug ich vor. Ino schüttelte erneut ihren Kopf und drückte vier weitere Blusen in meine Hand. „Du musst den Kerl beeindrucken! Scharf machen auf das, was er haben könnte“, erklärte sie und besah sich ein kurzes purpurrotes Kleid mit geradem Schnitt und V-Ausschnitt. „Ich würde darin hammermäßig-gut aussehen“, flüsterte sie und klemmte sich den Bügel unter den Arm. Nach weiteren zehn Minuten stand ich in der Umkleide und hatte mich tatsächlich in den Rock gezwängt. Und ich meine wirklich gezwängt. Oder gequetscht. Ich quetschte mich in einen Rock, der so eng saß, dass ich meine Beine nicht bewegen konnte. So gut es eben bei mangelnder Bewegungsfreiheit ging, versuchte ich wieder aus dem Kleidungsstück zu kommen, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel mit hochrotem Gesicht und einem lauten, erschrockenen Japsen aus der Umkleide. Peinlich. Mega peinlich. Ino lachte Tränen, andere Kundinnen hielten sich kichernd die Hände vor den Mund und ich starb tausend Tode auf dem billigen Parkettboden des Ladens. Das nächste Kleidungsstück war ein Kleid in einem blassgrün, das mich eher so aussehen ließ, als würde ich in ein Survival-Boot-Camp gehen. Camouflage mal anders eben. Ich hätte mich neben einen Baum stellen können und wäre sicher noch als exotische Blume rüber gekommen. Perfekte Tarnung. Ich muss fairerweise sagen, dass nach knapp fünf Fehlgriffen seitens der Yamanaka tatsächlich Outfits dabei waren, die mir gefielen. Nur der Preis nicht ganz so. Während Ino gerne das Geld ausgab, war ich eher der Sparfuchs. Und ich war stolz drauf. Das hatte ich von meiner Großmutter. „Schätzchen, wie wäre es, wenn wir in den nächsten Laden ziehen? Hier ist wohl nichts Umwerfendes dabei.“ „Wolltest du nicht auch dieses Kleid noch anprobieren?“ „Habe ich, als du mit dem Rock einen erbitterten Kampf geführt hast. Der Ausschnitt war mir doch zu freizügig. Sai würde mir den Kopf abreisen, wenn ich damit ankomme. Oder er würde es mir im Schlafzimmer erlauben, wenn du verstehst“, sie zwinkerte mir vielsagend zu und zog mich an der Hand aus dem Laden. Ich war wirklich glücklich da raus zu kommen. Bestimmt waren schon Schweißränder unter meinen Achseln erkennbar. Ich rollte mit den Augen, als sie mich ins nächste Geschäft zog. „Lieber Gott, verschone mich!“, hauchte ich und beobachtete meine Freundin, wie sie erneut nach mehreren Sachen gleichzeitig griff. Eine Stunde Sport im Fitnesscenter war nichts im Vergleich zu einer halben Stunde Shopping mit Ino. Schlussendlich kehrten wir nach drei Stunden Power-Walken mit vier vollen Einkaufstüten nachhause zurück. Alle vier Tüten gehörten übrigens Ino, denn nachdem ich nach einer Stunde damit begann meine Strategie zu ändern und bei jedem Outfit davon zu schwärmen, wie heiß es an Ino aussehen würde, verfiel sie in einen Ino typischen Kaufrausch. Vielleicht war es wenig ehrenhaft, ihre Schwächen zu meinem Vorteil zu machen, aber im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt! Und wenn ich shoppen ging, führte ich einen Krieg mit Stoffen, Mustern und Schnitten! „Checkst du jetzt, ob dein S online ist?“, fragte sie mich, als sie sich auf dem Küchenstuhl niederließ. „Er ist nicht mein S“, pfefferte ich und nahm mir eine Banane aus der Obstschale, „Wieso haben wir uns nichts zu essen geholt?“ „Dann wäre es wieder ein Burger gewesen oder eine Pizza“, entgegnete sie. „Na und?“ „Du solltest jetzt vielleicht weniger essen. Mit Glück hast du bis zum Wochenende nochmal bisschen abgespeckt. Ein kleinerer Blähbauch oder so“, grinste sie. Ich bewarf sie mit der Bananenschale und verließ die Küche. Wie immer warf sie ein „War doch nur ein Scherz!“ hinterher und versicherte mir, dass ich nicht fett sei und mir darum keine Sorgen machen müsse. Das war wahre Freundschaft. Aber sie hatte Recht mit ihrer Vermutung. Ich schwang mich auf mein Bett und zog den Laptop näher. Gottseidank funktionierte der Strom heute wieder. Mit aufgeregtem Herzklopfen loggte ich mich ein und besah mir meine Kontaktliste. Er war nicht online. Mein Herz machte einen enttäuschten Hüpfer und ich stopfte das letzte Stück Banane in den Mund und ließ mich in meine weichen Kissen fallen. „Na toll…“, brummte ich und schloss die Augen, „Der kommt sicher nie wieder online!“ Gerade als ich beschlossen hatte, den Laptop runter zu fahren und mich vor den Fernseher zu werfen, hörte ich das gewohnte Pling-Geräusch und richtete mich auf. Das war wirklich der schönste Moment an diesem Abend. Dabei war es eigentlich recht amüsant mit Ino eine Shoppingtour zu machen, bei der irgendwann doch sie im Vordergrund stand. Aber hey, ich hatte ja nichts dagegen. Ganz im Gegenteil. Ich besah mir das blinkende Nachrichtenfenster von S. Mein Herz flatterte in meiner Brust herum und gerade als ich es öffnen wollte, stoppte ich. „Oh bitte-bitte-bitte ist er nicht sauer!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)