Virus von fragile ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Muss das sein, Ino? Ich habe wirklich überhaupt keine Lust dazu“, entfuhr es mir. „Ich habe wirklich Besseres zu tun, als … was genau soll das überhaupt sein?“ Ein Lachen entkam ihrer Kehle und routinemäßig warf sie ihr langes, blondes Haar über die Schulter. Kichernd rieb sie sich die Hände, ließ sich entspannt auf dem braunen Ledersofa nieder und lehnte sich über meinen Laptop. „Schätzchen, ich hab dir doch gesagt, dass es endlich Zeit wird, dass wir dein Leben verschönern. Und wenn es im Real Life nicht wirklich klappt, müssen wir eben andere Geschütze auffahren“, antwortete sie und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ich schnalzte und verschränkte abwehrend meine Arme vor der Brust. Dabei pustete ich mir genervt die Ponyfransen aus dem Gesicht. „Ino, ernsthaft. Was soll im Real Life“, ich verdrehte die Augen, „bei mir nicht klappen? Ich bin glücklich.“ Sie schüttelte energisch den Kopf und der Duft ihres Shampoos drang in meine Nase. „Schätzchen, du glaubst nur, dass du glücklich bist, weil du es eben nicht besser weißt. Glaub mir.“ „Ich wiederhole es nochmal: Ich. Bin. Glücklich. Alles läuft toll!“ „Toll ist scheiße. Es geht immer noch einen Tick besser. Und sind wir mal ehrlich, eine Beziehung täte dir ganz gut. Du lässt dich in letzter Zeit ziemlich gehen.“ Empört zog ich meine Augenbrauen in die Höhe und stieß genervt die Luft aus meinen Lungen. „Ich lasse mich nicht gehen“, brummte ich. „Aber der Traum eines Mannes bist du gerade nicht wirklich.“ „Ino!“ Sie hob entschuldigend die Hände in die Höhe und klickte mit der Maus auf mein bereits angelegtes Profil. „Also Sakura, was genau sollen wir hier über dich preisgeben?“ „Nichts! Ich will das gar nicht machen!“, warf ich murrend ein. Manchmal zweifelte ich wirklich daran, ob sie überhaupt Wert auf meine Meinung legte. Das war schon in der Schule so. Wenn sie sich was ins blonde Köpfchen gesetzt hatte, musste ich das natürlich sofort in die Tat umsetzen, denn dummerweise hatte sie meistens Ideen mit meiner Wenigkeit. Eigentlich ist sie auch dafür verantwortlich, dass ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr rosa Haupthaar vorzuweisen habe. Das sollte ursprünglich feuerrot werden. Es sollte mich optisch rebellischer und wilder aussehen lassen, um meinen Schwarm auf mich aufmerksam zu machen. Schlussendlich kam ein Zartrosa heraus, weil Ino irgendetwas beim Färben falsch gemacht hatte. Wieder entrann mir ein lautes Seufzen und ich zwirbelte eine lange Strähne zwischen den Fingern. Zuerst wollte ich das Malheur wieder beheben, aber da mein Haar bereits durchs Blondieren so geschädigt war, dass mein Schopf erst einmal eine kleine Pause von der Chemie benötigte, geriet das Vorhaben irgendwann in Vergessenheit. Vielmehr wurde das zartrosa Haar mein Markenzeichen. Außerdem mochte ich Zuckerwatte schon immer und mein Haar hatte genau diesen Ton. Ino meinte dann, sie müsse sogar meine Augenbrauen färben, damit es einfach besser zusammen passt. Gottseidank hatte sie bei diesem Unterfangen ein besseres Händchen. Ich glaube sogar hin und wieder, dass das Rosa beabsichtigt war. Ich kann mir nämlich überhaupt nicht erklären, wie es funktionieren soll, dass aus einem leuchtenden Rot, feuerrot, ein liebreizendes Rosa wurde. „Soll ich ein Bild von dir hochladen?“, fragte sie und steckte sich eine Hand voll mit Chips in den Mund. „Du sollst gar nichts hochladen“, erwiderte ich und schlug ihre Hand von der Maus. „Sakura! Jetzt sei nicht so verklemmt.“ „Ich bin überhaupt nicht verklemmt!“ Sie lachte laut auf und nahm einen großen Schluck aus ihrem Rotweinglas. Dann schnappte sie sich die Ladies und blätterte die Titelseite auf. Mit ihrem perfekt manikürten Fingernägeln tippte sie auf die Seiten: „Hier willst du hin. Mit einer deiner Kolumnen. Und heutzutage dreht sich alles um die Community. Alles spielt sich virtuell ab. Und du kannst mit einem analytischen Auge inspizieren, was so alles möglich ist. Du kannst die Partnerbörse für sooo viele Frauen auf der Welt testen und ihnen deine Eindrücke schildern. Du kannst vielen Frauen und jungen Mädchen helfen, indem du dieses Terrain erkundest und darüber berichtest. Wenn dann sogar noch ein Mann dabei herauskommt, ist doch überhaupt nichts falsch. Das sind zwei Fliegen mit einer Klappe!“ Ich schürzte meine Lippen: „Ich will keinen Mann.“ „Doch, in Wahrheit willst du einen.“ Ich schlug völlig entnervt meine Hände vors Gesicht. Natürlich wollte ich auf die Titelseite der Ladies. Immerhin war es die Zeitschrift überhaupt! Ich durfte kleine Beiträge leisten, aber nie schaffte ich es auf die Titelseite. Aber unsere Chefin kam auf die glorreiche Idee, dass jeder von uns die Chance erhielt, einen Artikel zu schreiben. Sie gab uns ein ganzes halbes Jahr Zeit dafür. Jeder, selbst unsere Praktikantin, durfte etwas vorlegen. Und Herr-Gott-Nochmal! … ich wollte die Titelstory! Das war genau das, was ich wollte. Nichts anderes! Kein Mann und keine Beziehung. Einfach nur die Titelstory. Meine Augen huschten über mein Profil, das Ino bereits angelegt hatte, als ich noch nichtsahnend den Wocheneinkauf erledigt hatte. Ich war nicht mal komplett aus dem Auto gestiegen, da rief sie schon aufgeregt aus dem Fenster, ich solle mich beeilen, weil sie endlich eine Idee habe, wie sie mein Leben verbessern und optimieren könne. „Wieso schreibst du dort, dass ich auf der Suche nach der großen Liebe bin?“ „Weil du es bist?!“ „Ino. Das stimmt nicht.“ „Du musst süß, unschuldig und naiv wirken! Das macht Männer an und weckt den Beschützerinstinkt. Außerdem ist wirklich jede Frau auf der Suche nach der großen Liebe. Bei der einen offensichtlicher und bei der anderen eben eher unterbewusst.“ „Lösch das!“ „Sakura, willst du nicht in starken Männerhänden liegen? An einer gestählten Brust?“ „Ehrlich gesagt, nein. Das will ich nicht. Das versuche ich dir seit einer Stunde zu erklären.“ Sie winkte ab und klickte erneut auf dem Profil herum. „Wie wäre es mit diesem einen Bild, wo du an diesem Herzlolli vom Jahrmarkt leckst? Das kann durchaus sehr erotisch auf die Männerwelt wirken“, sie zwinkerte mir zu und kicherte leise, „oder das, wo du mit diesem süßen Hotpants und dem engen, weißen Top hier durch die Bude getanzt bist?“ „Du hast davon ein Bild?!“ „Ein ganzes Video sogar. Aber ich weiß nicht, wie man hier ein Video hochlädt“, antwortete sie lässig und legte ihre Stirn in Falten, „eigentlich schade, da wackelst du so süß mit dem Hintern. Die Männer würden reihenweise vor den Bildschirmen nach Luft hecheln, so sexy ist es.“ „Da soll kein einziges Foto von mir auf dieser Seite sein!“ „Aber hier haben alle ein Foto“, brachte sie enttäuscht über ihre Lippen. „Wenn dir das so wichtig ist, dann melde du dich doch da an! Ich schreib den Artikel anhand deiner Erzählungen“, schlug ich vor. Aber seitens der Blondine erntete ich nur ein rasches Kopfschütteln. Ihre Augen lagen entsetzt auf mir, als sie antwortete: „Sai würde mich umbringen, wenn ich mich da anmelde. Vergiss nicht, dass ich sehr wohl eine gut funktionierende Partnerschaft vorzuweisen habe.“ „Wenn ich sage, ich schaue es mir an, lässt du mich dann endlich in Ruhe?“ Sie lächelte breit und nickte freudig. „Gottseidank! Ich dachte du lässt dich nie bekehren!“ Mit ihrem letzten Satz verschwand sie fröhlich pfeifend im Badezimmer. Immerhin war Freitag und ihr ach-so-toller Freund Sai lud sie tatsächlich auf ein gemeinsames Wochenende ein. Ino ging natürlich davon aus, dass es irgendwo in einem Schickimicki-Hotel sein würde, direkt in der Innenstadt. Mit Pool und eigener Hotelbar. Mir entfuhr bei dem Gedanken daran, wie entsetzt sie vor dieser kleinen Waldhütte stehen würde und panisch ihr hübsches Augenpaar auf ihren Freund gerichtet wäre. Obwohl die beiden nicht gegensätzlicher sein konnten, passten sie ausgesprochen gut zueinander. Sai ist während ihrer gemeinsamen Zeit sichtlich aufgeblüht und Ino hat ein klitzekleines bisschen seine Ruhe und Gelassenheit angenommen. Und natürlich wollte ich auch so etwas. Eine Partnerschaft. Aber eben nicht zwingend jetzt. Ich wollte mich verlieben. Nicht unbedingt die Bilderbuch-Liebe oder die Liebe aus einer rosaroten Liebeskomödie. Auch keine wie Romeo und Julia oder Bonnie und Clyde. Ich wollte eine ganz normale Partnerschaft. Meine Großmutter pflegte stets zu sagen, dass Liebe einfach passiert und man sie nicht erzwingen soll. Für jeden Topf gibt es den passenden Deckel, sagte sie und ich glaubte ihr. Ich glaubte meiner Großmutter alles. Und irgendwie hatte ich das Gefühl mit dieser Homepage den natürlichen Lauf der Dinge, dem einfachen Passieren der Liebe, einen Strich durch die Rechnung zu machen. Das grenzte doch schon fast an Sabotage! Vielleicht ist es ja auch ein Vorurteil, aber ich hatte schon oft gehört, dass viele in solchen Communities nur auf der Suche nach einem Betthäschen für eine Nacht sind. Natürlich gab es auch die, die es wirklich ernst meinten. Aber ich war und bin noch immer der festen Überzeugung, dass dies einen geringeren Prozentsatz ausmachen muss. Ich knabberte an meiner Unterlippe, besah mir das Profil und löschte schnell alles, was Ino eingegeben hatte. Aber ich gab ihr Recht. Ein Bild musste sein. Ich gestehe, dass die meisten Bilder, die ich hatte, mit Ino waren. Das war ihr Ding. Sie fotografierte unheimlich gern und sie war wirklich ausgesprochen gut darin. Die Wahl fiel mir nicht sonderlich schwer. Erst vor einem Monat hatten wir unser letztes Fotoshooting, bei dem Ino unbedingt mit rosa Rosen arbeiten wollte. Was wir schließlich auch getan hatten. Ehrlich gesagt sah ich da wirklich richtig heiß aus. Aber so wollte ich mich nicht präsentieren. Ich bearbeitete kurzerhand das Foto und schnitt den oberen Teil des Bildes ab, damit unterhalb der Augen nichts mehr zu erkennen war. Nur mein gewelltes Haar und die blasse Haut. Ich seufzte und klickte auf den Chatbereich. Ein kleines analytisches Stöbern war ja nicht verkehrt. Ich hörte Ino zur Radiomusik mitsingen und lächelte, während ich mir mit einem Kopfschütteln die ganzen Usernamen ansah. SexyGirl24 Lovelady001 ViperLove BiscuitInLove Honey784 Wieder seufzte ich. Da war ich auf jeden Fall etwas unkreativ. Glücklicherweise hatte Ino einfach Sakura eingegeben und erstaunlicherweise war dieser Username sogar noch frei verfügbar. Aber einen Namen wie „Lolita“… nein, danke. Und ich bin mir sicher, Ino wäre wie immer ein überaus toller Name eingefallen, bei dem die Röte in meinem Gesicht nur so vor sich hin geblinkt hätte. Es waren mindestens dreißig Leute in diesem Chatroom. Einige schrieben sich sogar ein herzliches Hallo, bevor sie sich dann in Privatchats näher kennen lernten. Ich fuhr mit meiner Zunge über meine Lippe. HoneyGirl hat sich ausgeloggt BeachBoy28 hat sich eingeloggt BadGirlBlue hat sich eingeloggt S hat sich eingeloggt Verwirrt zog ich meine Stirn kraus. Also ich war ja schon unkreativ, aber das war ja die Faulheit an Kreativität schlechthin. S. „Schätzchen?! Ich mach mich auf den Weg!“, schrie mir meine Mitbewohnerin entgegen und ich sprang schnell auf, um sie ein letztes Mal in den Arm zu nehmen, bevor sie bis Sonntagabend weg wäre. Auf die Ruhe freute ich mich schon das ganze Wochenende. „Pass auf dich auf, lass keine Fremden rein“, sie zwinkerte, „außer es ist ein Hottie aus dem Netz!“ Ich lachte und schob sie bestimmt aus der Tür. „Wenn was ist, ruf mich an!“ „Ich bin kein kleines Kind, Ino. Jetzt verzieh dich schon und viel Spaß“, gab ich als Antwort. Nach einer weiteren kleinen Umarmung und einem Küsschen auf die Wange verschwand sie. Ich lief schnell zum Fenster und winkte ihr ein letztes Mal zu, bevor ich mich wieder vor den Laptop setzte und überrascht auf das kleine Fenster blickte, das mich dazu einlud, einen privaten Chatroom mit S zu nutzen. Ich biss mir nachdenklich auf die Lippe, klickte aber dann auf Ja. Immerhin hatte Ino Recht. Ein paar Eindrücke sammeln war nicht verkehrt. S: Na schöne Frau? Wie geht’s denn so? Sakura: Woher weißt du, ob ich schön bin? Vielleicht bin ich das überhaupt nicht und du ziehst voreilige Schlüsse. Hast du irgendwelche Hintergedanken? S: Ich dachte nur an Kirschblüten. Kirschblüten sind wunderschön ;-) Ich hob meine Augenbraue. Sakura: Bist du von Beruf ein schlechter Detektiv? S: Ziemlich bissig, was? Aber schon in Ordnung so. Hier sind sicher ziemlich viele Pfeifen unterwegs, da darf Frau gerne die Krallen ausfahren Sakura: Und du gehörst da nicht dazu? S: Auf keinen Fall. Ich bin ein Gentleman S hat sich ausgeloggt „Gentleman, na klar“, brachte ich hervor. Nach weiteren zehn Minuten voller überflüssiger Anmachsprüche loggte ich mich ebenfalls aus dem Chatbereich aus und betrachtete stutzig die neue Nachricht in meinem Postfach: S hat sie zu seiner Kontaktliste hinzugefügt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)